Das Haus in der Palissadnaja - Jelena Katischonok - E-Book

Das Haus in der Palissadnaja E-Book

Jelena Katischonok

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Beschreibung

Das Haus Nr. 21 in der Palissadnaja-Straße sieht, lauscht, fühlt und lebt mit seinen Bewohnern. Es kennt all deren Geschichten, Gewohnheiten und Geheimnisse und muss zusehen, wie sich die historischen und politischen Ereignisse, die die Welt im 20. Jahrhundert prägten, auf seine Mieter auswirken. Jelena Katischonok nimmt den Leser mit auf einen Streifzug durch die Geschichte einer ungenannten Sowjetrepublik und beschreibt dabei ihre Protagonisten so liebevoll, dass man sich in ihren Geschichten verliert.

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Jelena Katischonok

Das Haus in der Palissadnaja

Roman

JELENA KATISCHONOK

DAS HAUSIN DERPALISSADNAJA

Roman

Aus dem Russischen von Claudia Zecher

Published with the support of the Institute for Literary Translation (Russia):

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel „Когда уходит человек“ bei Время. Übersetzung aus dem Russischen von Claudia Zecher

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

1. Auflage 2014© 2014 by Braumüller GmbHServitengasse 5, A-1090 Wienwww.braumueller.at

Zitate: S. XI, Zitat von Ossip Mandelstam | Ossip Mandelstam, Mitternacht in Moskau: Die Moskauer Hefte. Gedichte 1930–1934. Aus dem Russischen übertragen und herausgegeben von Ralph Dutli, Zürich: Ammann, 2. Aufl. 2004, S. 185. S. 343, „Man spanne nicht vor einen Wagen, / Ein feurig Roß, ein scheues Reh.“ | Aus: Alexander Sergejewitsch Puschkin, Gesammelte Werke in sechs Bänden, herausgegeben von Harald Raab, Band 2, Poeme und Märchen, Berlin/Weimar: Aufbau-Verlag 1966, „Poltawa“, S. 248, übersetzt von Bruno Tutenberg. S. 403 f. Gedicht von P. I. Tschaikowsky | Peter Iljitsch Tschaikowsky, Eugen Onegin. Lyrische Szenen in drei Aufzügen, Text nach Alexander Puschkins gleichnamiger Dichtung. Aus dem Russischen von August Bernhard, herausgegeben von Wilhelm Zentner. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2007, S. 20.

Lektorat: Gudrun LikarSatz: Martin ZechnerCoverfoto: istockphoto / krakozawr

ISBNder Printausgabe: 978-3-99200-124-8ISBN E-Book: 978-3-99200-125-5

Für Schenja

Dank

Mein Dank gilt Wadim Tjomkin, der mich mit seinem fundierten Wissen und seinen profunden Kenntnissen der historischen Fakten unterstützt hat und mir eine unschätzbare Hilfe war.

Jelena Katischonok

Die Autorin erachtet es als ihre Pflicht, darauf hinzuweisen, dass ausnahmslos alle Protagonisten ihrer Fantasie entsprungen sind. Aus diesem Grund sind mögliche Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten mit realen Personen rein zufällig und nicht beabsichtigt.

In nadelverseuchten Pokalen

Trinken wir den Ursachen-Wahn,

Berühren die kleinsten der Größen,

Und ein leichter Tod haucht uns an.

Doch dort, wo die Stäbchen sich fügen,

Bewahrt sich sein Schweigen das Kind –

Das Weltall, es schläft in der Wiege,

Wo Ewigkeit, klein noch, beginnt.

Ossip Mandelstam

So mache dich nun auf und geh heim;

und wenn dein Fuß die Stadt betritt,

wird das Kind sterben.

Altes Testament,1 Kön 14, 12

INHALT

KAPITEL I

KAPITEL II

KAPITEL III

KAPITEL IV

KAPITEL V

GLOSSAR

KAPITEL

I

Der alte Lattenzaun zwischen den beiden hohen Steinhäusern wurde schnell und sorgfältig abgebaut, als würde ein Vorhang abgenommen. Den Zuschauern, besser gesagt den Passanten eröffnete sich der Blick auf eine Wiese mit braunen Erdflecken, auf wuchernde Kletten und einen jungen Kastanienbaum in der rechten hinteren Ecke des künftigen Innenhofs.

Solange die Baugrube ausgehoben, das Fundament gelegt und die Wände hochgezogen wurden, wusste das Haus noch nicht, dass es sich schon sehr bald in einen zwar unscheinbaren, aber nicht mehr wegzudenkenden kleinen Teil der Stadt verwandeln würde, so wie einer der neuen Ziegelsteine, der von den Restauratoren gekonnt genau dort ins Mauerwerk des alten Doms eingesetzt wurde, wo die Zeit ihre tiefen Spuren hinterlassen hatte. Das Haus wusste das nicht, so wie auch die Frucht im Mutterleib nicht weiß, was sie in der Welt erwartet, ja von deren Existenz nicht einmal etwas ahnt, solange die Welt sie nicht derart überrumpelt, dass sie sich mit einem verzweifelten Schrei vor ihr wehren muss.

Auf die Welt gekommen, befreite sich das Haus ungeduldig vom Baugerüst, in das es sorgsam gehüllt war wie ein Säugling in Windeln, und fand sich an der ruhigen Palissadnaja-Straße stehend, die wie ein schmaler Ärmel von der Gogol-Straße abzweigt. Diese wiederum führt zum Bahnhof, wo die Grenze zur Moskauer Vorstadt verläuft und die Innenstadt beginnt. Die Palissadnaja mündet in eine weitere Straße, deren Namen das Haus erst lernen musste, doch die hohe Kirche in jener Straße und den Friedhof, den das Haus in seiner Lebensfreude anfangs für einen Park hielt, merkte es sich sofort.

Geboren wurde das Haus im verhältnismäßig glücklichen Jahr 1927 und, was potenzielle Bewohner betraf, an einem günstigen Platz: Die Innenstadt befand sich in unmittelbarer Nähe, doch die Mieten waren niedriger als dort. Und um das Glück noch abzurunden, war es dem Haus beschieden, die Nummer 21 zu tragen, was dreimal festgehalten war: in schwarz-goldenen Ziffern auf einem Glasfenster über dem Haupteingang, auf einem glänzenden Emailleschild an der Hauswand und zwischen Aktendeckeln irgendwo in der Stadtverwaltung. So wuchs also in der Palissadnaja-Straße das Haus mit der Glücksnummer heran. Die Straße selbst glich einem bescheidenen kleinen Bächlein in der altehrwürdigen Stadt, das auf dem Stadtplan wie eine Perle auf dem Boden eines Glases wirkte, das nicht mit Wein, sondern mit eiskaltem, klarem Wasser gefüllt war. Leider war auf dem Plan der berühmte Turm des Doms nicht zu erkennen, von dessen oberer Plattform man die ganze Stadt und ihre Umgebung sehen konnte, was kein Zufall war, galt er doch als der höchste Kirchturm Europas. Die Stadt befand sich am westlichen Rand Russlands – so weit westlich, dass hier neben dem gemächlichen und nachdenklichen einheimischen Lettischen auch das Russische im Wechsel mit dem Deutschen, dem Polnischen, dem Jiddischen, dem Weißrussischen und so weiter vertraut klangen. Wörter aus verschiedenen Sprachen waren zu hören und wechselten einander ab, weshalb die Stadt manchmal an den Turm zu Babel erinnerte, bevor dessen Erbauer die Fähigkeit verloren, einander zu verstehen, und weiter enthusiastisch einen Stein auf den anderen legten, die Stadt selbst war indes schon das achte Jahr die Hauptstadt der von Russland und allen anderen unabhängigen Republik.

Äußerlich glich das Haus einem korrekten jungen Geschäftsmann, wie es sie in der Stadt zuhauf gab. Es trug einen dunkelgrauen Ratinémantel – die Granitverkleidung war in eben dieser Farbe – und dazu eine neue Melone – das hell glänzende Blechdach. Einfach und robust wie englische Schuhe waren die zwei Stufen zum Eingang, und dann war da noch der klare, freundliche Blick der sauberen Fenster. Kurzum: wahrer Konstruktivismus, nichts Überflüssiges.

Vielleicht war das der Grund dafür (und nicht zuletzt die Hausnummer natürlich), dass bald Menschen in das Haus einzogen: Die schmalen weißen Zettel verschwanden aus den Fenstern, als wären sie vom Wind fortgetragen worden. Alle Wohnungen, außer jenen im Erdgeschoss, waren groß und hell, keine Luxuswohnungen, aber doch sehr komfortabel. In den Badezimmern fiel die Sonne auf die neuen Nickelhähne, die glänzten und kleine Figuren an die Wand warfen. Die Küchenfenster zeigten natürlich nach Norden, ganz so, wie es sich gehört, die Zimmerdecken waren hoch, und die Politur der Wohnungstüren schimmerte dezent. Ein Keramikmosaik zierte Böden und Wände des Haupteingangs und auch die Treppenabsätze.

Hätte der Hausherr die Last vieler Jahre oder vielleicht eines Bauches oder der Gicht zu tragen gehabt, so hätte er vor dem Kauf eines vierstöckigen Hauses ohne Lift nachdenklich den Schnurrbart gezwirbelt. Der Hausbesitzer war jedoch jung, leichtfüßig und bartlos, weshalb er auch nichts zum Zwirbeln hatte, und das Haus (wenn auch ohne Lift) hatte ihm so sehr gefallen, dass er, ohne lange nachzudenken, die Wohnung Nr. 3 im ersten Stock bezog. In die Nachbarwohnung zog eine ältere Dame von irgendeiner Wohltätigkeitsgesellschaft ein.

Nur einen Hausmeister und einen Pförtner musste er noch finden, um sich danach wieder seinen Geschäften widmen zu können. Herr Martin Baumeister, Textilkaufmann wie sein Vater, war rein zufällig zum Hausbesitzer geworden, weil ihn das Haus begeistert hatte.

Jan Maigars war in jenem Alter, das junge Leute als fortgeschritten, Menschen mittleren Alters hingegen als reif bezeichnen: Er hatte die vierzig erreicht, machte jedoch einen gesetzteren Eindruck. Er war ein kluger Kopf, wortkarg und strahlte Würde aus. Der billige Anzug wirkte an ihm so elegant wie ein Frack. Es war einem peinlich, ihn bei seinem Vornamen Jan anzusprechen, umso mehr, da sein Benehmen und sein Äußeres ihn wie den Professor für Antike Philosophie wirken ließen, den der junge Herr Baumeister in Oxford kennengelernt hatte; er räusperte sich sogar von Zeit zu Zeit genau wie jener Professor. Der Professor hatte übrigens John geheißen, und diese Analogie der Namen belustigte Martin Baumeister sehr. Hausmeister Jan sah so gar nicht nach einem Bauern vom Land aus, obwohl er sein ganzes Leben in einem Dorf zugebracht hatte und erst vor Kurzem in die Stadt gezogen war. Sein Bruder war dortgeblieben, denn jemand musste schließlich den Hof bewirtschaften. Jans Frau hatte ein freundliches Lächeln, sorgfältig zu einem Knoten zusammengestecktes (ergrautes oder ausgebleichtes) Haar, ein Tuch aus grober Wolle um die Schultern, hörte auf den volkstümlichen Namen Laima und widmete sich sofort den häuslichen Arbeiten.

Nach und nach bevölkerte sich das Haus. In den zweiten Stock zog ein Gymnasiallehrer samt Frau und Töchtern – zwei blassen Gymnasiastinnen – und einem lautstarken Pudel, nicht größer als ein Kinderstiefel. In die Etage darüber mietete sich ein junger Zahnarzt ein, der soeben seine Praxis eröffnet hatte. Er lief immer schnell in seinen dritten Stock hinauf, doch auf der Treppe blieb eine Zeit lang der beunruhigende, durchdringende Geruch zurück, der einen schmerzlich an Zahnweh erinnert.

Ärzte sind für ihre Kollegialität bekannt, also zog schon bald noch ein Arzt in dieselbe Etage – ein hochgewachsener, schweigsamer Gynäkologe, dem Aussehen nach um die dreißig, mit einem ebenso schweigsamen Bernhardiner. Immer wenn der Bernhardiner an der Wohnung des Lehrers vorbeigeführt wurde, begann der Pudel herzzerreißend zu jaulen, worauf der Bernhardiner seinem Herrchen einen ruhigen, verblüfften Blick zuwarf. Der Arzt zuckte mit den Schultern und sagte leise, als hätte ihn der Pudel sonst hören können, immer ein und dasselbe Wort – „Idiot“ –, dann setzten die beiden schweigend ihren Weg fort.

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