Das Haus Zamis 35 - Peter Morlar - E-Book

Das Haus Zamis 35 E-Book

Peter Morlar

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Beschreibung

»Verschwinde, du Hexe! Und lass dich nie wieder hier blicken!«
Die alte Zigeunerin zog den Kopf ein und versuchte dem Stein auszuweichen, der in hohem Bogen durch die Luft flog.
Einen Sturz konnte sie gerade noch verhindern, nicht aber, dass das scharfkantige Wurfgeschoss sie an der Schulter traf.
Sie unterdrückte den Schmerz und versuchte so schnell wie möglich das Grundstück zu verlassen. Der fettleibige Bauer und seine Familie lachten ihr hinterher.
Kurz bevor die Zigeunerin den Zaun erreicht hatte, drehte sie sich noch einmal um und rief: »Das werdet ihr mir büßen! Von diesem Moment an seid ihr verflucht! Denkt an meine Worte, wenn es so weit sein wird ...!«

Coco hat Tatau besiegt, aber noch immer leidet sie unter Anfällen, die sich stetig verschlimmern. Ein erster Hinweis auf die Ursache führt Coco weit zurück in die Vergangenheit der Familie Zamis - in eine Epoche, in der die Hexe in Schwarz die Menschen verfluchte ...


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Seitenzahl: 136

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Inhalt

Cover

Was bisher geschah

DIE HEXE IN SCHWARZ

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrunde liegt. Die Zamis sind Teil der sogenannten Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben und nur im Schutz der Dunkelheit und ausschließlich, wenn sie unter sich sind, ihren finsteren Gelüsten frönen.

Der Hexer Michael Zamis wanderte einst aus Russland nach Wien ein. Die Ehe mit Thekla Zamis, einer Tochter des Teufels, ist standesgemäß, auch wenn es um Theklas magische Fähigkeiten eher schlecht bestellt ist. Umso talentierter gerieten die Kinder, allen voran der älteste Bruder Georg und – Coco, die außerhalb der Sippe allerdings eher als unscheinbares Nesthäkchen wahrgenommen wird. Zudem kann sie dem Treiben und den »Werten«, für die ihre Sippe steht, wenig abgewinnen und fühlt sich stattdessen zu den Menschen hingezogen.

Während ihrer Hexenausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels lernt Coco ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Als ihr schließlich zu einem vollwertigen Mitglied der Schwarzen Familie nur noch die Hexenweihe fehlt, meldet sich zum Sabbat auch Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, an und erhebt Anspruch auf die erste Nacht mit Coco. Als sie sich weigert, wird Rupert Schwinger in den »Hüter des Hauses« verwandelt, ein untotes Geschöpf, das fortan ohne Erinnerung an sein früheres Leben über Coco wachen soll.

Auf weitere Konsequenzen verzichtet Asmodi vorerst, als es Coco gelingt, einen seiner Herausforderer zu vernichten – durch die Beschwörung des uralten Magiers Merlin, der sich auf Cocos Seite stellt. Merlin aber ist seinerseits gefangen – im centro terrae, dem Mittelpunkt der Erde. Coco gelingt es, ihn zu befreien, doch im Anschluss verliert sie ihre Erinnerungen an die Reise ins centro terrae, so wie Merlin es ihr prophezeit hat.

Zurück auf der Erdoberfläche, erfährt Coco, dass Asmodis Groll auf die Zamis nicht geschwunden ist. Dennoch schließen Asmodi und Michael Zamis einen Burgfrieden. Die Leidtragende ist Coco, die in der Kanzlei des Schiedsrichters der Schwarzen Familie Skarabäus Toth von einer Armee von Untoten getötet wird. Im letzten Moment rettet sie ihre Seele in den Körper der Greisin Monika Beck. Als Toth den Zamis Cocos Leichnam präsentiert, schöpft nur Cocos Bruder Georg Verdacht. In Amerika spürt Coco inzwischen in Monika Becks Körper den Seelenfänger Sheridan Alcasta auf, der ihr die Rückkehr in den eigenen Leib ermöglicht. Kurz darauf entdeckt Coco jedoch ein Tattoo unter ihrer Brust, das sich täglich vergrößert: der Fluch des Dämons Tatau, den Coco gerade noch rechtzeitig brechen kann ... und offenbar haben in ihrer »Abwesenheit« noch andere Mächte Zugriff auf ihren Körper erlangt ...

DIE HEXE IN SCHWARZ

von Peter Morlar

Würzburg, 12. November 1723

»Verschwinde, du Hexe! Und lass dich nie wieder hier blicken!«

Die alte Zigeunerin zog den Kopf ein, als ein Stein in hohem Bogen auf sie zuflog. Einen Sturz konnte sie gerade noch verhindern, nicht aber, dass das scharfkantige Wurfgeschoss sie an der Schulter traf. Sie unterdrückte den Schmerz und versuchte so schnell wie möglich das Grundstück zu verlassen. Der fettleibige Bauer und seine Familie lachten ihr hinterher.

Kurz bevor die Zigeunerin den Zaun erreicht hatte, drehte sie sich noch einmal um und rief: »Das werdet ihr mir büßen! Von diesem Moment an seid ihr verflucht! Denkt an meine Worte, wenn es so weit sein wird!«

Als wollte der Himmel die Drohung unterstreichen, ballten sich dunkle Wolkenberge zusammen. Ströme von Wasser ergossen sich auf das Grundstück. Hastig scheuchte der Bauer seine Familie ins Haus zurück und warf einen letzten Blick auf die Greisin. Er konnte nicht vermeiden, dass ihm dabei ein Schauer über den Rücken lief ...

1. Kapitel

Die Zigeunerin hatte noch auf anderen Höfen versucht, sich ein wenig Geld zusammenzubetteln, doch keiner der Bauern war bereit gewesen, ihr etwas zu geben.

Im Gegenteil. Einer hatte ihr sogar seine Bluthunde hinterher gehetzt, denen sie nur mit Mühe und Not hatte entkommen können. Sein schadenfrohes Gelächter klang jetzt noch in ihren Ohren nach.

Völlig außer Atem erreichte die alte Frau die ersten Ausläufer der Stadt.

Die zerlumpte Kleidung schlotterte um ihren Körper, und bei ihren Schuhen lösten sich bereits die Sohlen. Das Tuch auf ihrem Kopf schützte sie kaum vor dem Wind, der wie mit eisigen Nadeln in ihr Gesicht stach.

Jetzt hielt die Greisin inne, blickte sich kurz um und schlug dann den Weg zum Marktplatz ein. Dort würde sie noch am ehesten Menschen antreffen, die sie um Geld anflehen konnte.

Zwei elegant gekleidete Herren eilten der Zigeunerin entgegen, von denen der eine einen Spazierstock mit einem goldenen Knauf in der Hand schwenkte. Die Alte lächelte und wartete, bis sich die beiden Herren auf gleicher Höhe befanden.

»Eine kleine Spende für eine alte Frau«, rief sie ihnen dann zu und verbeugte sich. »Es soll Euer Schaden nicht sein!«

»Verschwinde!«, herrschte sie der Mann mit dem Spazierstock an und vollführte eine wegwerfende Handbewegung.

»Ihr macht einen großen Fehler, werter Herr!«, begehrte die Zigeunerin auf und hielt wie durch Zauberei eine Perlenkette in der Hand. »Gegen einen geringen Obolus soll dieses Schmuckstück Euer sein!«

»Ich habe keine Verwendung für deinen Plunder!«, entgegnete der Mann ungehalten und ließ die Alte links liegen.

Doch die Zigeunerin gab nicht auf und rannte ihm hinterher. »Herr! So wartet doch! Ich habe Hunger, und ich möchte mir doch nur etwas Geld verdienen ...«

»Du hast doch gehört, was mein Herr gesagt hat!«, zischte der Begleiter des Edelmannes und packte die alte Frau an den Schultern. Mit einem kräftigen Ruck zog er sie herum und versetzte ihr einen Stoß, dass die Zigeunerin ein paar Schritte rückwärts taumelte. Sie stolperte über einen hervorstehenden Pflasterstein und stürzte zu Boden. Mit dem Hinterkopf schlug sie gegen den Pfahl einer Straßenlaterne und verlor sekundenlang das Bewusstsein.

»Lass dir das eine Warnung sein, du alte Schlange!«, spie ihr der Untergebene des Edelmannes entgegen und rannte seinem Herrn hinterher, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen.

Die Zigeunerin schüttelte benommen den Kopf und starrte ihren Peinigern aus finsteren Augen nach. »Das werdet Ihr mir büßen!«, schrie sie dann. Ihre Stimme hallte dumpf an den Häuserwänden wider. »Seid verflucht, dekadentes Pack!«

Sie hörte noch das abfällige Lachen der beiden Herren, dann verschwanden sie hinter einer Straßenecke.

Schwerfällig richtete sie sich auf und versuchte den Schmutz der Straße von ihrer Kleidung zu entfernen. Nach kurzer Zeit nickte sie zufrieden und setzte sich wieder in Bewegung.

Auf dem Weg ins Zentrum der Stadt begegnete sie weiteren Menschen, die sie ebenso abfällig behandelten wie die beiden Edelmänner. Kein Einziger von ihnen wollte ihr den Schmuck abkaufen, den sie eigenhändig hergestellt hatte. Stattdessen erntete sie nur Spott und Hohn.

»Hau ab, Alte!« und »Verschwinde, Zigeunerin!« waren noch die nettesten Worte, die ihr entgegengeschleudert wurden. Ein dicker Mann mit rotem Vollbart, dessen Wams sich über dem beachtlichen Bauch spannte, wich vor ihr zurück und brüllte: »Scher dich aus der Stadt! Gesindel gibt es hier schon genug. Dir und diesem ganzen Abschaum wünsche ich die Pest an den Hals!«

Die Zigeunerin hatte ihn nur angestarrt, woraufhin dem dicken Mann sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen war. Dann war er davongerannt, als ob der Teufel hinter seiner Seele her gewesen wäre.

Die alte Frau murmelte etwas vor sich hin. Es waren kehlige Laute, die aus dem Innersten ihres Körpers aufzusteigen schienen. Ihre Augen funkelten böse. Sie kicherte und schlurfte zum nächstgelegenen Haus.

Der Schein einer Straßenlaterne spendete diffuses Licht und warf gespenstische Schatten auf das Kopfsteinpflaster. Die Eingangstür des Gebäudes, für das sich die Greisin entschieden hatte, erreichte er jedoch nicht mehr.

Die Frau krümmte ihre dürren Finger zu einer Faust, dann klopfte sie an.

Schlurfende Schritte ertönten. Ein Riegel wurde gelöst, ein Schlüssel sperrte. Schließlich schwang die Tür einen Spaltbreit auf, und das bleiche Gesicht eines Mannes lugte hervor.

»Was willst du?«, herrschte er sie an.

»Bitte, Herr!«, flehte die Zigeunerin. »Habt Erbarmen! Nur eine kleine Spende für eine hungernde alte Frau!«

»Scher dich zum Teufel!«, schrie der Mann erbost. »Weißt du überhaupt, wie spät es ist?«

»So hört mich an, Herr! Ich möchte auch nichts geschenkt haben!«

»Ach nein?«, höhnte der Mann und baute sich vor ihr auf. Alkoholdunst schlug ihr entgegen. »Was möchtest du dann?« Der Spott in seiner Stimme war nicht zu überhören.

»Hier, Herr!«, keuchte die alte Frau und hielt dem Mann eine Perlenkette entgegen. »Die habe ich selbst gebastelt!«

»Wertloser Kram!« Er krempelte die Ärmel seines speckigen Hemds nach oben. »Und so einen Dreck wagst du mir anzudrehen?«

»Aber Herr, ich versichere Euch ...«

»Schweig, Alte! Nimm dir ein Beispiel an ehrbaren Leuten wie mir, anstatt zu betteln!« Er deutete auf einen Laden, über dem ein verwittertes Holzschild prangte. ›Albert Hofer – Bäckerei‹ stand darauf.

Sie wollte eine Entschuldigung murmeln.

Da packte er sie auch schon am Kragen. Das Weiße in seinen Augen leuchtete. Alkoholhaltiger, stinkender Atem schlug der Zigeunerin entgegen. »Du willst nicht gehen? Ich verpass dir eine Tracht Prügel wie einem räudigen Hund, du alte Vettel!«, schrie er.

Er holte aus – und erstarrte. Schweiß trat auf seine erhitzte Stirn, er riss den Mund auf und schnappte nach Luft. Seine Blicke klebten an den Augen der Zigeunerin, die sich plötzlich ins Weiße verkehrt zu haben schienen. Die Iriden waren verschwunden. Pupillen, so klein wie Stecknadelköpfe, setzten sich von dem hellen Hintergrund ab.

»Verflucht seist du!«, krächzte sie und packte seine Hand. Ihre Fingernägel waren zu schwarzen Krallen geworden. »Du bist des Todes, Hofer ...!«

Er ließ sie fallen wie eine heiße Kartoffel. »Weiche von mir, Hexe!«

Er sprang zurück und warf die Tür zu. Dann stürzte er die Treppe zum Schlafzimmer hinauf. Das Lachen der Zigeunerin verfolgte ihn bis nach oben.

Seine Frau war von dem Lärm aufgewacht und saß senkrecht im Bett. »Was hast du, Albert? Um Himmels willen, du bist ja ganz blass!«

»Ich ... Ich ...« Er war nicht in der Lage, einen vollständigen Satz zu formulieren.

»Jetzt beruhige dich erst mal«, ermahnte ihn seine Frau. »Du siehst ja aus, als wärst du dem Teufel begegnet!«

Gegenwart

Es war noch nicht einmal richtig hell geworden, als das Flugzeug, mit dem Papa Roach seine Heimreise nach Haiti antrat, von der Rollbahn abhob.

Arnulf Roemer und ich standen auf der Aussichtsplattform des Wiener Flughafens Schwechat und sahen dem stählernen Vogel so lange hinterher, bis er aus unserem Blickfeld entschwand.

Mit gemischten Gefühlen drehte ich mich um und musterte Arnulf eingehend. Die dicke Hornbrille konnte seine angeschwollenen Tränensäcke nicht vollständig verbergen, das schüttere Haar hing ungekämmt an seinem Kopf herab. Nur seine graublauen Augen funkelten unternehmungslustig.

»Wir haben wohl eine Schlacht gewonnen, nicht aber den Krieg«, meinte ich müde, legte Arnulf meine Hand auf den Arm und wandte mich zum Gehen.

»Da magst du recht haben, Coco«, stimmte mir der selbst ernannte Dämonologe zu. »Aber du musst dich jetzt ausruhen, der letzte Anfall war doch etwas zu viel für dich!«

»Lass gut sein, Nuffy, es geht schon«, erwiderte ich trotzig, denn ich wollte mir vor dem schrulligen Kauz keine Blöße geben. Trotzdem musste ich mir eingestehen, dass ich mich schwach und ausgelaugt fühlte. Meine Muskeln und Sehnen schmerzten, als bestünden sie aus glühender Lava, und ich hatte das Gefühl, dass kein einziger Knochen in meinem Leib mehr heil war.

Viel schlimmer jedoch war die dumpfe Leere in meinem Magen, die bis hinauf zu meinem Herzen ausstrahlte, wenn ich an Otto Keller dachte. Ihn als Freund verloren zu haben, tat fast noch mehr weh als die Nachwirkungen des Anfalls.

Arnulf und ich verließen das Flughafengebäude und winkten ein Taxi herbei. Der Fahrer war sehr zuvorkommend und öffnete uns die Türen. Wir nahmen auf der Rückbank Platz. Auf seine Frage, wo es denn hingehen sollte, nannte ich ihm als Ziel die Ratmannsdorfgasse.

Der Wagen setzte sich in Bewegung, als ich Arnulf Roemer unvermittelt ansprach: »Was hast du damit gemeint, als du sagtest, dass ich mit einem Fluch beladen sei und die Schuld einer anderen Person sühnen muss?«

»Ich wusste, dass du mich das fragen würdest, Coco«, meinte der Dämonologe ernst. »Und ich bin mir sicher, dass es sich genauso verhält!«

»Dann erkläre es mir!«, drängte ich.

Er seufzte und drehte sich zu mir um. »Also schön, du würdest ja ohnehin keine Ruhe geben!« Er blickte nach vorn und nickte befriedigt, als er erkannte, dass sich der Taxifahrer nicht für unsere Unterhaltung interessierte. »Es ist buchstäblich eine ziemlich lange Geschichte, und sie begann in Würzburg vor weit über zweihundert Jahren ...«

Würzburg, 13. November 1723

Wie an jedem Morgen standen Albert Hofer und seine Frau Elisabeth gegen drei Uhr auf, um ihre Arbeit in der Bäckerei anzutreten.

Dunkle Ringe lagen um die Augen des Mannes, der nach dem Vorfall mit der Zigeunerin nicht zur Ruhe gekommen war. Stundenlang hatte er neben seiner Frau wach gelegen und war erst kurz vor dem Aufstehen in einen unruhigen Schlaf gefallen.

Noch immer sah er das Gesicht der alten Frau vor sich. Das Abbild ihrer grässlichen Augen hatte sich unabänderlich in sein Gehirn gebrannt.

Während Elisabeth Hofer das Frühstück vorbereitete und dabei ein Liedchen vor sich hin pfiff, verließ Albert das Wohnhaus und suchte das Nachbargebäude auf. Er öffnete die Tür, zündete einige Petroleumlampen an und verschwand dann im hinteren Teil der Bäckerei, wo sich der große Steinofen befand. So wie an jedem Morgen.

Und doch fühlte Albert Hofer, dass heute etwas anders war als sonst. Er vermochte nicht zu sagen, was es war, aber er spürte die Veränderung mit jeder Faser seines Körpers.

Er öffnete eine Holzklappe am Boden, unter der er den bereits vorbereiteten Brotteig gelagert hatte, und heizte den Ofen an. Die Handgriffe waren ihm während der vergangenen Jahre in Fleisch und Blut übergegangen.

Da hörte er das Geräusch. Albert Hofer kreiselte herum – und stieß einen Schrei aus!

Ein schwarzer Hund stand vor ihm und starrte ihn zähnefletschend an.

»Verschwinde, du Mistvieh!«, zischte Hofer und versuchte, nach dem Tier zu treten. Doch der Hund wich nicht einen Zoll zurück. Da riss bei dem Bäcker der Geduldsfaden. »Na, warte!«, schrie er, griff nach dem Nudelholz und schleuderte es in Richtung des Hundes.

Es verfehlte ihn nur knapp und landete scheppernd in einer Ecke des Raumes.

Plötzlich begann der Hund zu knurren und legte die Ohren an, das Fell entlang seines Rückens sträubte sich. Dann stieß sich das Tier mit einem kräftigen Satz ab.

Noch bevor der Bäcker zu einer weiteren Überlegung fähig war, riss ihn das Gewicht des Hundes von den Füßen. Schwer prallte er auf den Steinboden. Sterne tanzten vor seinen Augen. Die Todesangst trieb die drohende Bewusstlosigkeit zurück. Er umklammerte die Kehle der Bestie und versuchte, das aufschnappende Maul von sich fernzuhalten. Der Hund biss zu, und Hofer spürte einen brennenden Schmerz in seinem Unterarm. Ehe er reagieren konnte, befreite sich das Tier aus dem Griff und schnappte erneut zu. Hofer schrie, als seine Hand zwischen den kräftigen Kiefern zermahlen wurde. Der Hund gab die Hand frei, und Hofer stierte auf die blutige Masse, die einmal sein Unterarm gewesen war. An einer Stelle war der bleiche Knochen zu sehen.

Ich verpasse dir eine Tracht Prügel wie einem räudigen Hund ...!

Die Umgebung verschwamm vor den Augen des Bäckers, als ihn eine gnädige Ohnmacht gefangen nahm.

Der Hund aber setzte sein schauriges Werk fort, bis der Steinboden in ein Meer von Blut getaucht war.

»Eine schlimme Geschichte, nicht wahr, Herr?«, wandte sich Herbert Schneider an seinen Herrn, den Mediziner Günter Paulsen.

»Du meinst den grausamen Tod des Bäckers?«, hakte der Arzt nach. »Schade um ihn. Er war so ein netter Kerl!«

Gedankenverloren nippte Paulsen an seinem Bier und strich sich den Schaum von den Lippen.

In seiner Praxis war es heute Vormittag verhältnismäßig ruhig zugegangen. Außer der verstörten Bäckersgattin hatte er keine weiteren Kranken behandeln müssen. Er hatte ihr einen beruhigenden Trank verordnet. Mehr konnte er nicht für die arme Frau tun.

Nachdem sie gegangen war, hatte er seinen Mantel umgehängt, seinen Spazierstock mit dem goldenen Knauf gepackt und war mit seinem Assistenten Herbert in die Wirtsstube eingekehrt. Jetzt war er satt und fühlte sich ausgesprochen wohl.

»Eigenartig ...«, murmelte Herbert Schneider.

»Was?«, wollte Paulsen wissen.

»Von dem räudigen Köter, der den Bäcker zerfleischt hat, fehlt jede Spur.«

»Er wird wieder auf die Straße gelaufen sein.«