Das Haus Zamis 62 - Peter Morlar - E-Book

Das Haus Zamis 62 E-Book

Peter Morlar

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Beschreibung

Mein Körper bäumt sich auf. Meine Lungenflügel wollen bersten, jeder Atemzug schmerzt. Das Schloss ... der Turm ... der aufgebrachte Mob ... überall Feuer und Rauch, Hitze und Glut ... der Sturz ...
»Ah, du bist schon wach.«
Eine männliche, sonore Stimme hinter mir. Im Türrahmen stand ein hochgewachsener, schlanker Mann mit kurz geschnittenen schwarzen Haaren. Ein feines Lächeln umspielte die Mundwinkel in seinem schmalen ebenmäßigen Gesicht. Der Blick der dunklen, stechenden Augen mit den buschigen Brauen, die über der Nasenwurzel fast zusammenwuchsen, ruhte ausdruckslos auf mir.

Nach dem Sturz aus dem Fenster von Schloss Kronfeld und der anschließenden Rettung durch Schirille erwacht Coco in einer ihr fremden Umgebung in einem Haus am Meer ... und Schirille ist verschwunden, genauso wie Cocos Erinnerung an die Habergeiß!


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Seitenzahl: 136

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Inhalt

Cover

Was bisher geschah

DIE AMME DES TEUFELS

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrundeliegt. Die Zamis sind Teil der Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben.

Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht Coco den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Ihr Vater sieht mit Entsetzen, wie sie den Ruf der Zamis-Sippe zu ruinieren droht. So lernt sie während der Ausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Aber das Glück ist nicht von Dauer. Auf einem Sabbat soll Coco zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an, doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut und verwandelt Rupert Schwinger in ein Ungeheuer.

Seitdem lässt das Oberhaupt keine Gelegenheit aus, gegen die Zamis-Sippe zu intrigieren. So schickt Asmodi den Dämon Gorgon vor, der Wien und alle seine Bewohner zu Stein erstarren lässt – und die Stadt komplett aus dem Gedächtnis der Menschheit löscht. Nur Coco kann im letzten Augenblick entkommen, allerdings hat sie jede Erinnerung an ihre Herkunft verloren ... Kurz darauf findet sie sich jedoch in einer Vision in Wien wieder und steht ihrer versteinerten Familie gegenüber. Nach und nach gewinnt sie ihre Erinnerung zurück und fühlt sich mehr denn je verpflichtet, etwas gegen Gorgons Fluch zu unternehmen.

In einer Bibliothek auf Schloss Laubach in Deutschland stößt Coco auf die Dämonenvita ihres Vaters. Bisher wusste sie nur, dass ihr Vater einst aus Russland nach Wien emigrierte. Aus der Dämonenvita erfährt sie, dass er zuvor über Jahre hinweg seinen Halbbruder Rasputin bekämpft hat. Coco wird klar, dass die damaligen Ereignisse für die Rettung ihrer Familie von elementarer Bedeutung sein könnten.

Aus diesem Grund ist auch Asmodi hinter der Dämonenvita her, doch Coco gelingt es, Gorgons Bann zu brechen und Wien zu retten. Michael Zamis allerdings dankt seiner Tochter die Rettung schlecht und quartiert sie nach Südamerika aus, um ungestört seine Kontakte zu den Oppositionsdämonen auszubauen, die sich Asmodis Sturz auf die Fahnen geschrieben haben. Als Cocos Mutter Thekla von Michaels Liaison mit einer Kämpferin des Widerstands erfährt, tötet sie diese. Michael und Thekla finden wieder zueinander, aber da Michael als Täter verdächtigt wird, kommt es zum Bruch mit den Oppositionsdämonen. Auf dem Schloss des Grafen Ferdinand Mihaly zu Kronfeld soll Coco in Michaels Auftrag verhandeln, doch der Anführer der Oppositionsdämonen bietet Coco lediglich an, sie anstelle ihres Vaters in den Bund aufzunehmen ...

DIE AMME DES TEUFELS

von Peter Morlar

Mein Körper bäumte sich auf unter einem Hustenreiz, der an das Kläffen eines altersschwachen Köters erinnerte. Meine Lungenflügel wollten bersten, jeder Atemzug schmerzte, als jagten Ströme glühend heißer Lava durch die Luftröhre bis hinab in den Magen. Hinzu kam, dass ein widerwärtiger, verräucherter Geschmack in meiner Mundhöhle nistete, der schlimmer nicht hätte sein können, selbst wenn ich am Vortag an einer ganzen Schachtel abgebrannter Streichhölzer gelutscht hätte.

Nur bruchstückhaft kehrte die Erinnerung wieder. Das Schloss ... der Turm ... der aufgebrachte Mob ... überall Feuer und Rauch, Hitze und Glut ... das Turmfenster ... der Boden, viele Meter unter mir. Plötzlich dreht sich alles. Ich sehe den Himmel, dunkel, bedrohlich ... und finstere Wolkenberge. Dann wieder den Boden. Das Feuer. Den Himmel ... Ich falle ... Ja, ich falle ...

Verstört schlug ich die Augen auf. Wie weggewischt waren plötzlich die Erinnerungsfetzen, und sosehr ich mich bemühte, es wollte mir nicht gelingen, sie wieder vor meinem geistigen Auge entstehen zu lassen.

1. Kapitel

Mein Blick klärte sich, fiel auf eine weiß getünchte Wand. Nein, keine Wand – eine Zimmerdecke.

Ich befand mich in einem Zimmer?!

Verwundert wandte ich den Kopf, drehte mich zur Seite. Jede Bewegung schmerzte bis in die letzten Fasern meines Körpers. Beinahe hätte ich aufgeschrien, als ich mich auf dem linken Arm abstützte, der vom Handgelenk bis über den Ellenbogen unter einem blütenweißen Mullverband verschwand.

Ich erblickte einen antiken zweitürigen Holzschrank, der bis knapp unter die Decke reichte. Neben dem Bett, in dem ich lag, stand eine einfache Kommode mit Schubladen, ebenfalls aus Holz, darauf eine alte Petroleumlampe, deren Docht nur noch schwach brannte, eine Karaffe und ein leeres, kalkgetrübtes Wasserglas. Mein Blick wanderte weiter, blieb an einer Tür hängen, die einen Spaltbreit offen stand. Vor dem Bett lehnte ein altersschwacher Tisch an der Wand, links und rechts davon zwei Stühle, über die jemand meine Kleidung drapiert hatte. Einen Spiegel oder Bilder an den Wänden gab es nicht. Rechts von mir entdeckte ich ein paar einfache Stoffvorhänge, dahinter ein zweiflügeliges Fenster mit geschlossenen Läden, durch deren Ritzen schwacher Sonnenschein ins Innere sickerte.

Wo um alles in der Welt war ich hier? Und wie kam ich hierher? Ganz offensichtlich hatte ich den Sturz aus dem Turmfenster überlebt, wobei ich zunehmend Zweifel daran hatte, ob ich überhaupt gefallen war. Wie war es mir gelungen, dem Feuer und dem aufgebrachten Mob in dem Karpatenschloss zu entkommen?

»Ah, du bist schon wach.«

Eine männliche, sonore Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und ignorierte den beißenden Schmerz, der durch meinen Rumpf und den linken Arm jagte.

Im Türrahmen stand ein hochgewachsener, schlanker Mann mit kurz geschnittenen schwarzen Haaren. Ein feines Lächeln umspielte die Mundwinkel in seinem schmalen ebenmäßigen Gesicht. Der Blick der dunklen, stechenden Augen mit den buschigen Brauen, die über der Nasenwurzel fast zusammenwuchsen, ruhte ausdruckslos auf mir.

»Wie fühlst du dich?«

»Wer sind Sie?«, kam es krächzend über meine Lippen. Mein Hals kratzte, und die Zunge fühlte sich an wie ein Fremdkörper, aufgedunsen, spröde und trocken. Ich räusperte mich und musste erneut husten.

Unaufgefordert trat der Mann näher, in einer fast gespenstischen Lautlosigkeit. Er griff nach der Karaffe und schenkte mir zwei Fingerbreit Wasser ins Glas. Ich nahm es dankbar entgegen, nippte vorsichtig und trank ein paar kleine Schlucke, während sich der Fremde fast ein wenig zögernd auf die Bettkante setzte. Er musterte mich sichtlich besorgt, sah dann zu Boden und wartete ab, bis sich der Hustenanfall gelegt hatte.

Schließlich ging ein Ruck durch seinen Körper. »Wer ich bin?« Er deutete auf die Verbände, die einen Großteil meines Körpers bedeckten. »Ich bin dein Retter.« Offensichtlich entging ihm nicht, dass ich die Augen ob dieser geistreichen Bemerkung verdrehte, und er fügte rasch hinzu: »Du hast etliche Verbrennungen davongetragen, vermutlich auch eine Rauchvergiftung.«

»Wie ist dein Name?«

Kurzes Zögern. »Roman Borodin.«

Borodin ... Irgendwo hatte ich diesen Namen schon einmal gehört, aber in einem ganz anderen Zusammenhang. Ich versuchte krampfhaft, mich zu erinnern, kramte in den hintersten Windungen meines Gehirns, doch ich kam nicht drauf.

Müdigkeit schwappte plötzlich über mir zusammen wie eine turmhohe Welle, und von einem Moment zum anderen fühlten sich meine Lider an wie bleierne Vorhänge. Mir gelang es kaum noch, die Augen offen zu halten.

Ich hob den Arm, deutete auf meine Umgebung. »Wo ... Wo bin ich hier?« Meine Worte waren nur mehr ein Lallen. Ich war mir nicht sicher, ob mein Gegenüber mich überhaupt noch verstand.

Doch Borodin antwortete prompt. »In Sicherheit.«

Er setzte ein Lächeln auf, das für meinen Geschmack etwas zu gezwungen wirkte. Abgesehen davon befriedigte mich seine erneute ausweichende Antwort ganz und gar nicht, aber bevor ich etwas erwidern konnte, durchzuckte mich die Erinnerung wie ein Blitz.

Borodin! Hieß so nicht der Ort, an dem ich den Anführer der Oppositionsdämonen treffen sollte? Ja, tatsächlich ... Doch warum nannte sich dieser Mann – mein selbsternannter Retter – ebenfalls so?

Ich setzte zu einer Frage an.

»Psst.« Borodin schüttelte den Kopf, drückte mich sanft, aber bestimmt in die Kissen zurück und breitete die Decke über mich. Obwohl sich alles in mir dagegen sträubte, war ich zu schwach, ihm Widerstand entgegenzubringen.

»Du musst jetzt schlafen und wieder zu Kräften kommen.« Er erhob sich, abermals vollkommen lautlos, und schritt zur Tür. »Morgen ist auch noch ein Tag, um Fragen zu stellen, Coco.«

Er verschwand inmitten einer dichten Nebelwand, die offenbar die Müdigkeit und die Erschöpfung mir vorgaukelten. Mir fielen die Augen zu. Nur Borodins letztes Wort hallte noch in meinen Ohren nach.

Coco ...

Eigenartig ... Woher kannte er meinen Namen? Ich hatte mit keiner Silbe erwähnt, wie ich hieß. Oder vielleicht doch? Verflixt, das Einzige, was ich sicher wusste, war, dass ich es nicht wusste ...

Ich würde ihn später fragen. Wenn ich wieder wach war. Oder morgen ...

Woher kam nur diese Müdigkeit? Ich erinnerte mich daran, auch während der letzten Tage schrecklich erschöpft gewesen zu sein, wegen der Trennung von ... von ... Ich kam nicht darauf, aber ich wusste auch, dass es jetzt nicht mehr wichtig war.

Meine Gedanken verebbten, als mich ein unsichtbarer Sog packte und mit sich riss in den tiefen, dunklen Schlund eines traumlosen Schlafes.

Als ich wieder erwachte, fühlte ich mich schon um einiges besser. Zugegeben, ans sprichwörtliche Bäumeausreißen war noch lange nicht zu denken, und nach wie vor zuckten dumpfe Schmerzwellen durch meinen geschwächten Körper, aber immerhin war jene bleierne Müdigkeit gewichen, die mich gestern daran gehindert hatte, einen klaren Gedanken zu fassen. Oder war es bereits vorgestern gewesen?

Welchen Tag hatten wir heute überhaupt? Und wie spät war es?

Die Antworten musste ich mir schuldig bleiben, denn ich wusste es schlicht und ergreifend nicht. Wie es schien, hatte ich durch den vielen Schlaf jegliches Zeitgefühl verloren. Ich konnte nur schwer einschätzen, wie viele Stunden – oder Tage – vergangen waren, seit ...

Ein kurzes Aufblitzen in der Erinnerung, jedoch zu kurz, um Genaueres erkennen zu können. Für die Dauer eines Lidschlags allerdings glaubte ich ein männliches Gesicht gesehen zu haben, das von einem dunklen, stechenden Augenpaar dominiert wurde. Aber ebenso rasch, wie der Eindruck entstanden war, verschwand er auch wieder.

Vermutlich hatte ich von dem Mann geträumt. Erinnern konnte ich mich jedenfalls nicht daran.

Ich setzte mich auf, strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn und trank einen Schluck Wasser, das auf seltsame Art und Weise abgestanden und brackig schmeckte. Aber wenigstens löschte es den Durst und vertrieb den verräucherten Geschmack in meinem Mund.

Ich stellte das Glas weg und sah an mir hinab. Ich war vollkommen nackt, abgesehen von meinem Slip und breiten Mullverbänden, die um beide Arme, den gesamten Rumpf und um den rechten Oberschenkel gewickelt waren. Übel riechende Dämpfe drangen zwischen den einzelnen Lagen hervor. Ich lupfte vorsichtig den Verband am linken Unterarm – und verzog schmerzhaft das Gesicht. Eine pechschwarze teerartige Masse, dem Anschein nach eine Wund- und Heilsalbe, kam zum Vorschein. Sie klebte förmlich auf der Haut, die stellenweise dunkelrot schimmerte, nässte oder bereits verkrustet war – oder alles zusammen.

Wenn der Rest meines Körpers unter den Verbänden ähnlich aussah, waren die Verletzungen, die ich durch die Flammen davongetragen hatte, doch schwerwiegender als zunächst angenommen.

Nur wer hatte mich verarztet? Jener Mann, dessen Konterfei kurz in meiner Erinnerung aufgeblitzt war?

Plötzlich – ein Name. Borodin ...

Roman Borodin!

Jetzt fiel es mir wieder ein. Dieser junge hochgewachsene, etwas verschüchtert und linkisch wirkende Mann, der sich mir als mein Retter vorgestellt hatte – er musste meine Wunden versorgt haben.

Dann war es also doch kein Traum gewesen, sondern Realität. Wie konnte ich das nur vergessen?

Offenbar befand ich mich doch noch nicht auf der geistigen Höhe, die mir lieb gewesen wäre. Ich schlug trotzig die Decke zurück. Es schmerzte, als ich die Beine aus dem Bett schwang und aufzustehen versuchte. Anfangs überkam mich ein Schwindelanfall, der sich aber rasch legte, als ich ein paarmal tief ein- und ausatmete. Die feucht-kalte, leicht salzige Luft, die ich durch die Nase sog, war geschwängert vom Geruch nach Fäulnis und Moder, der so gar nicht in diese Umgebung passen wollte. Trotzdem ging es mir schon wieder besser. Eine echte Hexe haut eben so leicht nichts um.

Der eklige Geruch aber blieb. Hätte ich nicht mit eigenen Augen gesehen, dass ich mich in einem zwar einfachen und rustikalen, aber zweckmäßig eingerichteten und vor allem sauberen Zimmer aufhielt, ich hätte Stein und Bein geschworen, mich inmitten einer baufälligen Ruine aufzuhalten, die seit Jahrzehnten vor sich hin gammelte.

Rasch zog ich die Vorhänge beiseite, öffnete das Fenster und drückte die Läden nach außen. Das Holz, obwohl augenscheinlich glatt und ebenmäßig gestrichen, fühlte sich seltsam rau unter meinen Fingerspitzen an.

Bevor ich mir darüber nähere Gedanken machen konnte, lenkte der Anblick dessen, was ich zu sehen bekam, meine ganze Aufmerksamkeit auf sich.

Ich blickte direkt auf das Meer!

Ich ließ den Blick schweifen. Am Himmel hingen schwere, dunkle Regenwolken, die an hängende Tränensäcke erinnerten. Nur schwach sickerte das Licht der Sonne hindurch. Es verlor sich zu einem fahlen, zerfasernden Schleier, der kaum ausreichte, die Umgebung von dem tristen grauen Dunst zu befreien.

Ein sanfter, aber kühler Windhauch trug abermals den salzhaltigen Atem des Meeres an mich heran und strich wie mit unsichtbaren Fingern über mein Gesicht und meine Haut. Ich fröstelte, als sich die feinen Härchen der Reihe nach aufrichteten, und zog unwillkürlich die Schultern hoch. Die Fensterläden knarrten leise in den Scharnieren.

Allmählich verzogen sich die dicken, unheilschwangeren Regenwolken in Richtung Horizont, den das wohltuende rote Licht der Morgensonne nach und nach eroberte. Zunehmend klarte es auf.

Dem Haus vorgelagert war ein Garten, der über und über von wild wuchernden Sträuchern bedeckt war und direkt unterhalb des Fensters begann. Ein Baum wuchs einsam aus dem Gestrüpp hervor und reckte seine kahlen, wie skelettierte Finger wirkenden Zweige in den blutroten Morgenhimmel. Eingesäumt wurde der Garten von einem windschiefen Holzzaun, von dem die Farbe fast vollständig abgeblättert war. Ein schmaler Trampelpfad führte quer durch die Büsche und Sträucher und endete vor einem kleinen Gatter, das im Wind quietschend auf und zu schwang. Dahinter erstreckte sich ein breiter, karger Landstrich, der nach etwa zwei-‍, dreihundert Metern in den verlassenen Strand überging. Weit entfernt und für meine Blicke unsichtbar kreischten die ersten Möwen um die Wette.

Plötzlich – eine Stimme, direkt hinter mir.

»Guten Morgen, Coco.«

Ich fuhr herum – und atmete geräuschvoll aus. Roman Borodin stand vor mir, verlegen lächelnd und ein breites Tablett balancierend, auf dem er einen halben Laib Brot, etwas Butter, einen Teller Rührei und gebratenen Speck angerichtet hatte.

»Schon mal was von Anklopfen gehört?«, erwiderte ich schnippischer, als ich beabsichtigt hatte.

»Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken.«

Dabei war ich eher auf mich selbst sauer als auf Roman; denn unter normalen Umständen wäre es ihm wohl kaum gelungen, sich unbemerkt in meinen Rücken zu schleichen. Vermutlich funktionierten meine Instinkte, meine Antennen, die mich vor möglichen Gefahren sonst rechtzeitig zu warnen pflegten, noch nicht richtig. Oder Roman Borodin besaß die einzigartige Fähigkeit, sich absolut lautlos zu bewegen, sogar so lautlos, dass selbst mein Hexengehör ihn nicht wahrnehmen konnte.

Wie auch immer – die Rühreier und der Speck dufteten so verlockend, dass mir das Wasser im Mund zusammenlief und ich meinen Ärger erst einmal hinten anstellte. Nur – warum hatte ich vorher nichts gerochen? Das ganze Haus hätte doch erfüllt sein müssen von den Düften frisch zubereiteter Speisen.

Roman schluckte meine Rüge kommentarlos und stellte das Tablett so vorsichtig auf dem Tisch ab, als sei es zerbrechlich. »Iss, bevor es kalt wird. Möchtest du vielleicht etwas Tee? Oder Kaffee?«

Ich nahm meine Kleider von der Stuhllehne, warf sie achtlos aufs Bett und setzte mich. Durch das Anwinkeln der Knie verschob sich der Verband um mein rechtes Bein und scheuerte über die malträtierten Hautpartien. Ich versuchte den Schmerz so gut es ging zu ignorieren.

»Kaffee«, presste ich gequält durch die Zähne. »Schwarz. Wenig Zucker.«

Roman wollte schon aus dem Zimmer eilen, doch ich hielt ihn am Ärmel fest. »Welcher Tag ist heute?«

»Mittwoch.«

Ich bemerkte nicht einmal, wie Roman Borodin den Raum verließ, während ich versuchte, die neue Information erst mal zu verdauen. Mittwoch ... Wenn das stimmte, dann war ich fast eine Woche ohne Bewusstsein gewesen! Eine ganze Woche ... Nur mühsam gelang es mir, mich zur Ruhe zu zwingen. Doch was blieb mir schon anderes übrig? Ändern konnte ich ohnehin nichts mehr.