Das Haus Zamis 50 - Peter Morlar - E-Book

Das Haus Zamis 50 E-Book

Peter Morlar

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Nasenflügel der Gestalt blähten sich, als wittere sie das Blut, das aus den klaffenden Wunden sprudelte. Ein animalisches Knurren drang aus ihrer Kehle. Dann drehte sie dem Mann mit einem brutalen Ruck den Kopf zur Seite, dass sich die Haut über seinem Hals spannte. Die wild pulsierende Hauptschlagader trat hervor wie der Strang eines Stahlseils.
Die Gestalt leckte sich genießerisch über die Lippen, bevor sie ihre Zähne tief in den Hals ihres Opfers schlug und schlürfend das ausströmende Blut trank ...

Coco scheint die Flucht aus der Bibliothek gelungen, doch noch immer kennt sie nur einen winzigen Ausschnitt der Dämonenvita ihres Vaters. In St. Petersburg angekommen, machte Michael Zamis sich innerhalb kürzester Zeit einen Namen als Wunderheiler, als im Jahr 1905 plötzlich ein alter Rivale auftaucht - und sich anschickt, Michaels Platz an der Seite des Zaren einzunehmen ...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 137

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Was bisher geschah

DIE VAMPIRE DES ZAREN

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrundeliegt. Die Zamis sind Teil der Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben.

Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht Coco den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Ihr Vater sieht mit Entsetzen, wie sie den Ruf der Zamis-Sippe zu ruinieren droht. So lernt sie während der Ausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Aber das Glück ist nicht von Dauer. Auf einem Sabbat soll Coco zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an, doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut und verwandelt Rupert Schwinger in ein Ungeheuer.

Seitdem lässt das Oberhaupt keine Gelegenheit aus, gegen die Zamis-Sippe zu intrigieren. So schickt Asmodi den Dämon Gorgon vor, der Wien und alle seine Bewohner zu Stein erstarren lässt – und die Stadt komplett aus dem Gedächtnis der Menschheit löscht. Nur Coco kann im letzten Augenblick entkommen, allerdings hat sie jede Erinnerung an ihre Herkunft verloren ... Kurz darauf wird Coco in einem geheimnisvollen Labyrinth mit Teilen ihrer Erinnerungen konfrontiert: In einer Vision findet sie sich in Wien wieder und steht ihrer versteinerten Familie gegenüber. Mehr denn je fühlt Coco sich nun verpflichtet, etwas gegen Gorgons Fluch zu unternehmen.

Ein erster Hinweis führt sie zum Schloss Laubach in Deutschland, wo sich eine uralte Dämonenbibliothek befindet. Coco stößt auf die Dämonenvita ihres Vaters, ein magisches Buch, das von einem affenartigen Wesen unter Verschluss gehalten wird. Diese Kreatur – der Bibliograf – verfasst die Lebensläufe unzähliger Dämonen für die umfangreiche Schlossbibliothek. Coco gelingt es, das Buch an sich zu bringen und das Vertrauen des Bibliografen zu gewinnen. Woher stammen die Zamis? Bisher weiß Coco nur, dass ihr Vater einst aus Russland nach Wien emigrierte und dort rasch eine herrschende Rolle innerhalb der Schwarzen Familie einnahm. Doch weshalb ist Michael Zamis überhaupt aus Russland geflohen? Je länger Coco sich in die Zamis-Biografie vertieft, desto klarer wird ihr, dass die Ereignisse von damals mit ihren heutigen Problemen in Zusammenhang stehen.

Inzwischen setzt auch Asmodi alles daran, in den Besitz der Dämonenvita zu gelangen. Er bläst zum Sturm auf die Festung Laubach und tötet den Bibliografen, der Coco kurz zuvor einen magischen Stein überreicht. Mit diesem Stein rettet sich Coco in den See in der Grotte unterhalb des Schlosses – und taucht der Ungewissheit entgegen ...

DIE VAMPIRE DES ZAREN

von Peter Morlar

Der Mann rannte wie von Furien gehetzt durch die Nacht. Sein keuchender Atem flog, kondensierte in der eisigen Luft zu kristallenen Wolken, die alsbald in der Dunkelheit zerfaserten.

Immer wieder drehte er sich um und warf einen panischen Blick über die Schulter. Obwohl er irgendwann seine Verfolger aus den Augen verloren hatte, wusste er, dass sie ihm dicht auf den Fersen waren.

Er schlitterte um die nächste Straßenecke, wäre beinahe auf dem spiegelglatten Kopfsteinpflaster ausgerutscht. Weiter, nur weiter!, schrie es in ihm. Ein letztes Mal nahm er all seine Kräfte zusammen und warf sich nach vorne. Drei-‍, höchstens vierhundert Meter trennten ihn noch von seinem Ziel, der nahe gelegenen Kirche, einem der wenigen Zufluchtsorte, an dem er sich vor seinen Verfolgern verstecken konnte.

Ein dunkler Schatten, noch schwärzer als die sternenlose Nacht, senkte sich plötzlich über ihn. Der Mann warf den Kopf in den Nacken. Eine Gestalt in einem langen, wehenden Mantel sauste auf ihn herab wie ein Stein und begrub ihn unter sich.

1. Kapitel

Der Aufprall raubte ihm fast das Bewusstsein. Messerscharfe Krallen zerfetzten ihm das Hemd, zogen Furchen durch sein Gesicht. Das Blut lief ihm in die Augen, nahm ihm für einen Moment die Sicht auf die totenbleiche Fratze, aus der ihm ein weit aufgerissener Schlund entgegengähnte. Nadelspitze Zähne blitzten bedrohlich in der Dunkelheit.

Die Nasenflügel der Gestalt blähten sich, als wittere sie das Blut, das aus den klaffenden Wunden sprudelte. Ein animalisches Knurren drang aus ihrer Kehle. Dann drehte sie dem Mann mit einem brutalen Ruck den Kopf zur Seite, dass sich die Haut über seinem Hals spannte. Die wild pulsierende Hauptschlagader trat hervor wie der Strang eines Stahlseils.

Die Gestalt leckte sich genießerisch über die Lippen, bevor sie ihre Zähne tief in den Hals ihres Opfers schlug und schlürfend das ausströmende Blut trank.

Aus der Dämonenvita des Michael Zamis,

13. November 1905

Die Luft, die vom Meer her über die Newa weht, klirrt vor Kälte. Unabdingbar kündigt sie den nahenden Winter an, dessen hartem Regiment sich das Land in den nächsten Monaten zu beugen hat. Vorbei ist die Zeit der Sommersonnenwende, in der es sogar nachts niemals richtig dunkel wird, vorbei die Zeit, in der man ohne dicke Fellbekleidung über die mehr als 42 sumpfigen Inseln spazieren kann, auf denen Sankt Petersburg erbaut ist.

Die Stadt duckt sich hinter hohen Wällen aus Granitsandstein, die im Falle einer Sturmflut Mensch und Tier vor den schäumenden Wassermassen schützt, und nicht zuletzt die zahlreichen Prunkbauten wie den Winterpalast, die Eremitage oder das Katharinenkloster mit dem legendären Bernsteinzimmer.

Da die Newa-Mündung auf gleicher Höhe liegt wie der Meeresspiegel, wurden große Teile der Stadt auf Pfählen errichtet, wofür man Anfang des 18. Jahrhunderts über 70.000 Männer zwangsrekrutierte, von denen viele die Strapazen nicht überlebten. Zyniker behaupten, dass es nicht jene Pfähle seien, die Sankt Petersburg stützen, sondern die Skelette der ungezählten Toten.

Heute ist die über 1,4 Millionen Einwohner zählende Metropole ein gigantischer Moloch, der der Fantasie eines Fieberkranken entsprungen sein könnte, ein Schmelztiegel architektonischer Stilrichtungen, reichend von Frühbarock über Jugendstil bis hin zur frühen Moderne.

Kurzum: Es ist meine Stadt, und ich fühle mich pudelwohl hier. Ich habe die Schatten der Vergangenheit endlich hinter mir gelassen und ein völlig neues Leben begonnen. Tag und Nacht habe ich gearbeitet, mir all das angeeignet, was ich schon immer wissen wollte. Inzwischen habe ich promoviert, ein Medizinstudium an der Petersburger Universität abgeschlossen und es sogar geschafft, eine Anstellung am Hofe des regierenden Zaren Nikolai Alexandrowitsch II. zu bekommen.

Mir kann niemand so schnell etwas vormachen. Ich kenne jede sonst wie geartete Krankheit, weiß genau, wie man sie therapieren und ausheilen kann. Jedoch bin ich ebenso in der Lage, kraft meines Willens Krankheiten und Pestilenzen entstehen zu lassen. Neben dem Studium habe ich jede freie Minute mit der Perfektionierung meiner Zauberkünste verbracht, mir ein gigantisches Wissen über Hexenkunst und schwarze Magie erworben. Es gibt in der ganzen Stadt kein einschlägiges Buch mehr, das ich nicht schon verschlungen habe.

Dabei spüre ich stets, dass mich noch etwas anderes zu den dunklen Künsten hinzieht als nur meine Neugier und mein unbändiger Ehrgeiz. Wann immer ich mich mit schwarzer Magie beschäftige, spüre ich diese seltsame Vertrautheit. Ich weiß, dass ich anders bin als die anderen – und dass ich noch meilenweit entfernt bin, das Geheimnis meiner Neigungen wirklich zu lösen.

Außerdem kommt mir zugute, dass es in der feinen Gesellschaft von Sankt Petersburg zurzeit Mode – oder wie sich die Versnobten unter ihnen ausdrücken: »très chic« – ist, sich von der orthodoxen Kirche abzuwenden. Der heidnische Mystizismus feiert Hochkonjunktur, Sekten und selbst ernannte Geistheiler verbreiten sich schneller als die Rattenplage, mit der die Stadt seit Langem zu kämpfen hat.

Im Zuge dieser Entwicklung haben meine Heilkünste die Aufmerksamkeit Johann von Kronstadts erweckt, eines Geistlichen, der zu den engsten Vertrauten des Zaren gehört.

Noch muss ich meine Zeit mit den Wehwehchen des Hofpersonals vergeuden, deren Magenverstimmungen, Hautausschläge und eingewachsene Fußnägel kurieren oder bei Erkältungen und anderen Infekten einen Aderlass durchführen.

Welche Verschwendung meines Könnens angesichts der Tatsache, dass dafür auch das beschränkte Wissen eines jener Quacksalber genügt hätte, die sich in Sankt Petersburg zu Hunderten niedergelassen haben!

Ich will mehr.

Ich habe mir zum Ziel gesetzt, binnen Jahresfrist zum Leibarzt des Zaren aufzusteigen. Der Weg an die Spitze führt mich über Johann von Kronstadt, der von der schwarzen Beulenpest befallen ans Bett gefesselt ist und auf sein klägliches Ende wartet. Zwar hat man in der Schulmedizin die tödlichen Erreger längst bezwungen, doch in meinem Repertoire magisch erzeugter Maladien feiern sie gerade so etwas wie eine Renaissance. Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel.

Mein hageres Gesicht mit der scharfrückigen Nase und dem schmallippigen Mund spiegelt sich in der Scheibe des Fensters wider, unter dem sich die dunklen Wassermassen der Newa dahinschieben. Mein Blick ist ernst und verschlossen, eine steile Falte über der Nasenwurzel teilt meine Stirn in zwei Hälften, die Augen, zu engen Schlitzen zusammengepresst, verlieren sich unter den tief herabgezogenen Brauen. Ein Anblick, der mir nicht fremd ist: So sehe ich immer aus, wenn ich in Gedanken versunken bin und unter fieberhafter Anspannung stehe.

Beinahe hätte ich den Mann nicht bemerkt, der lautlos an mich herantritt.

»Johann von Kronstadt erwartet Euch.« Der Bedienstete führt mich durch einen weitläufigen, im Glanze barocker Baukunst und verspielter Ornamente erstrahlenden Gang in einen abgedunkelten Raum, in dem einsam die Flamme einer Petroleumlampe flackert. Ihr fahler Schein reicht gerade einmal aus, das breite Bett mit dem ausladenden Baldachin zu erleuchten, aus dem mir ein bleiches, ausgemergeltes Gesicht entgegenstarrt.

»Seid gegrüßt«, sickert es über die spröden Lippen des alten Mannes, dessen Züge gezeichnet sind von den eiternden Wunden der Beulenpest. Sein rasselnder Atem zeugt davon, dass es dem Ende zugeht.

»Womit kann ich Euch zu Diensten sein, ehrenwerter Johann von Kronstadt?«

»Seht mich an. Die Ärzte sind ratlos. Keine der bekannten Heilmethoden schlägt an. Ich glaube, wenn mich die Kurpfuscher noch einmal zur Ader lassen, habe ich keinen Tropfen Blut mehr im Leib.«

»So weit soll es doch sicher nicht kommen.« Ich bemühe mich, nicht belustigt zu klingen.

»Ihr seid meine letzte Hoffnung, Mikhail. Es heißt, Euere Heilkunst sei legendär. Deshalb habe ich nach Euch verlangt.«

»Ich fühle mich geehrt. Nur schade, dass es sich bis zum Zaren noch nicht herumgesprochen hat.« Ich bücke mich nach dem abgewetzten Lederkoffer, den ich mitgebracht habe. »Ihr habt Glück, Johann von Kronstadt. Es besteht noch Hoffnung.«

Ein schwaches Glitzern in den glasigen Augen, die sich an mir festfressen. »Tatsächlich?«

»Ihr zweifelt an meinen Worten?«

»Verzeiht meine Skepsis, aber die letzten Wochen haben mich gelehrt, etwas Zurückhaltung zu üben, was die Versprechen von Medizinern betrifft.«

Ich bediene mich der Glaskaraffe mit Trinkwasser auf der Kommode neben von Kronstadts Bett. Zwei Fingerbreit fülle ich in ein Porzellanschälchen und schütte Kochsalz und grünes Farbpulver hinzu. In von Kronstadts Augen tritt ein Glanz, als halte ich Gold in meinen Händen. Seine schwarz gefärbte Zunge leckt gierig über die aufgesprungenen Lippen.

»Zwei Dinge ...«, ich presse das Schälchen an meine Brust, »zwei Dinge sind von äußerster Wichtigkeit für Euere Genesung. Zum einen: Teilt Euch die Tinktur sorgsam ein. Ein winziger Schluck jetzt, ein winziger Schluck morgen früh, den Rest am Abend. Sonst wirkt sie nicht.«

»Was noch?«

Ich sehe dem Dahinsiechenden beschwörend in die Augen. »Zum anderen vergesst nicht, seiner Kaiserlichen Hoheit Nikolai II. eine ausdrückliche Empfehlung auszusprechen.«

»Das werde ich, Mikhail, das werde ich – wenn Ihr mich nur von dieser schrecklichen Krankheit befreit!«

Ich reiche ihm das Porzellanschälchen mit der giftgrünen Flüssigkeit. Obwohl seine knöchernen Hände wie Espenlaub zittern, hält er sich an meine Anordnung und nippt lediglich daran.

»Jetzt ruht Euch aus, werter von Kronstadt«, sage ich, während ich meinen Koffer wieder zusammenpacke. »Euer Körper wird einen harten Kampf gegen die Krankheit auszufechten haben.«

Als ich das Schlafgemach Johann von Kronstadts verlasse, muss ich stark an mich halten, um meinen Triumph nicht aus voller Kehle hinauszuschreien.

Ich überlasse nichts dem Zufall. Nicht mehr. Obwohl ich keinen Zweifel daran habe, dass von Kronstadt seinen Teil der Abmachung einhält und mich dem Zaren empfiehlt, muss ich etwas unternehmen, das meine Dienste für Nikolai II. und seine bezaubernde Gattin Alexandra Fjödorowna unentbehrlich macht.

Als Opfer habe ich ihren einjährigen Sohn Alexej auserkoren. Lange Zeit habe ich überlegt, welches Leiden ich ihm anhexen soll. Erneut auf die schwarze Beulenpest zurückzugreifen, halte ich für zu auffällig, zumal er sie in seinem Alter bestimmt nicht überleben würde. Deshalb habe ich mich für eine Krankheit entschieden, die ebenso tückisch wie tödlich ist: Hämophilie – die Bluterkrankheit. Anders als bei einem gesunden Menschen fehlt dem Blut eines Hämophilen die Fähigkeit der Gerinnung. Jede noch so kleine Wunde kann den Tod durch Verbluten zur Folge haben.

Anschließend habe ich dafür gesorgt, dass Alexej eines Nachts Besuch von einem ganzen Schwarm ausgehungerter Stechmücken erhielt. Außerdem stolperte er bei seinen ersten Gehversuchen und zog sich fürchterliche Hämatome zu, die bereits wenige Stunden später fast seinen ganzen Körper bedeckten.

Natürlich versagte die sprichwörtliche Heilkunst aller konsultierten Ärzte, die als letzten Ausweg den kleinen Alexej mit breiten Lederschlaufen ans Bett fesselten, um ihn an jeder Bewegung zu hindern. Eingehüllt in unzählige Druckverbände, einer ägyptischen Mumie ähnelnd, rang er fortan unter den sorgenvollen Blicken seiner Eltern mit dem Leben.

Fast ein Jahr streicht ins Land, ehe die Zariza Johann von Kronstadts Empfehlung nachkommt und nach mir verlangt. Beflissen sage ich zu und vergesse nicht zu erwähnen, dass es eine Ehre sei, meine bescheidenen Heilkünste in den erlauchten Dienst der Zarenfamilie zu stellen.

Wie zuvor bei von Kronstadt braue ich die farbenprächtigsten Mixturen zusammen und verabreiche sie dem Kleinen, der zur Freude seiner Mutter binnen weniger Tage dem sicheren Tod entrinnt. Es versteht sich von selbst, dass ich ihn nicht vollständig auskuriert habe; schließlich brauche ich einen Vorwand, unter dem ich täglich den Katharinenpalast betreten und in der Nähe der anmutigen und von ihrem Gatten schwer vernachlässigten Alexandra verweilen darf.

Schon nach kurzer Zeit gewinne ich ihr Vertrauen, und nach und nach auch ihre Zuneigung. Eines Tages, während wir in Abwesenheit ihres Gatten zu Abend essen, schüttet sie mir ihr Herz aus, beklagt sich, dass ihr Mann Nikolai seit Monaten kaum Zeit mit ihr verbringe, weil die angespannte politische Lage in Russland seine ungeteilte Aufmerksamkeit erfordere. Er lasse es sich auch nicht nehmen, aus Angst, zu viel seiner Macht aus den Händen zu geben, persönlich die ihm unterstellten Streitkräfte zu koordinieren, um die seit dem Petersburger Blutsonntag wie Pilze aus dem Boden schießenden revolutionären Parteien und Vereinigungen auszurotten.

Es fällt mir nicht schwer, Mitgefühl zu heucheln, und bald nach dem Essen schmiegt sich die Zariza auf einer Chaiselongue an meine Brust und schnurrt wie eine Katze. Nach einem Austausch inniger Zärtlichkeiten landen wir schnell im kaiserlichen Bett, wo Alexandra an mir ihren Heißhunger nach körperlicher Befriedigung stillt.

Ich habe zwar vermutet, dass die wohlproportionierte Zariza mit den grün-grauen Katzenaugen und dem langen brünetten Haar eine leidenschaftliche Liebhaberin sein kann; aber ihre Ungezügeltheit in jener Nacht überrascht mich dennoch. Mit weichen Knien wanke ich am Morgen in meine Unterkunft und hole auf der unbequemen Holzpritsche den Schlaf nach.

So vergeht ein weiteres Dreivierteljahr, das mich meinem Ziel Stück für Stück näher bringt: Ich sorge dafür, dass der Zustand des kleinen Alexej zwar stabil, aber kritisch genug bleibt, und stehe in den Nächten meinen Mann, was mir Alexandras an Hörigkeit grenzende Zuneigung sichert. Ich bekomme sogar Gelegenheit, Zar Nikolai II. – so er einmal mit uns zusammen speist – regelmäßig niedrige Dosen eines schleichenden, aber auf lange Sicht tödlichen Toxins zu verabreichen.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er an den Folgen der Vergiftung dahinsiechen und an seiner Stelle Alexandra den Thron besteigen wird. Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass ich der neue Mann an ihrer Seite sein werde. Das Einzige, was mir dann noch zu tun bliebe, wäre, dafür zu sorgen, dass der rechtmäßige Thronfolger, der kleine Alexej, doch noch seiner unheilbaren Krankheit erliegt.

16. Oktober 1907

Heute bin ich Johann von Kronstadt begegnet, der von der Beulenpest längst vollständig genesen ist.

Es ist ein kühler, jedoch für russische Verhältnisse warmer Herbsttag, an dem ich mich dem Katharinenpalast nähere, um meine tägliche Visite bei dem kleinen Alexej abzuhalten.

Auf den breiten Stufen kommt mir von Kronstadt entgegen. Er scheint es sehr eilig zu haben. Kein Wort des Grußes, nicht einmal ein Nicken, nur ein undefinierbarer Blick, bevor er hastig den gepflasterten Vorplatz des Palasts überquert und auf dem Trottoir verschwindet.

Nachdem ich Alexej seine »Medizin« verabreicht habe, spreche ich Alexandra auf den Geistlichen an.