Das Internet muss weg - Schlecky Silberstein - E-Book

Das Internet muss weg E-Book

Schlecky Silberstein

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Beschreibung

Eine fundamentale Abrechnung mit dem Internet von einem der einflussreichsten Blogger der Republik

Ausgerechnet Schlecky Silberstein, Kultakteur in der Netzgemeinde, propagiert diesen Leitspruch: »Das Internet muss weg.« Der Blogger und Online Comedian kennt das Netz wie seine Westentasche. Und gerade deshalb warnt er davor. Dank Fake News, Filterblasen und Social Bots erlangen Konzerne, politische Entscheidungsträger und Kriminelle zunehmend Kontrolle über weite Teile der Menschheit. Schlecky Silberstein analysiert den »Daten-Kasino-Kapitalismus«, in dem unsere Daten als Handelsware gezielt eingesetzt werden, um unser Verhalten vorherzusagen und zu beeinflussen. Nicht nur Donald Trump wusste ihn auf seinem Weg zur Macht zu nutzen, auch unsere eigene Gesellschaft droht von programmierbaren Propaganda-Maschinen gelenkt zu werden. Können wir einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet lernen oder hilft nur noch die sofortige Abschaltung?

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Seitenzahl: 407

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Zum Buch

»Das Internet – die größte Verarschungsmaschine aller Zeiten!«

Wir sind im Netz gefangen. Online 24/7. Rohstofflieferanten für Google und Facebook, die als Händler unserer Daten die Welt regieren. Dabei merken wir gar nicht, wie man uns mithilfe dieser Daten manipuliert: Unsere Meinungen, unsere Entscheidungen, unsere Umgangsformen. Schlecky Silberstein, Kultakteur in der Netzgemeinde, weiß, wovon er spricht.

Können wir einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet lernen oder hilft nur noch die sofortige Abschaltung?

Zum Autor

Schlecky Silberstein, geboren 1981, ist einer der wichtigsten Blogger Deutschlands. Er kennt das Netz wie seine Westentasche: Seit zehn Jahren analysiert er in seinem gleichnamigen Blog Inhalte aus Comedy, Kunst und Webkultur, was ihm über 600 000 regelmäßige Leser beschert. Rund 130 000 folgen ihm auf Facebook. Die von ihm produzierte Comedy-Show »Bohemian Browser Ballett« ist fester Bestandteil von funk, dem jungen Online-Medienangebot von ARD und ZDF. Schlecky Silberstein lebt in Berlin.

SCHLECKYSILBERSTEIN

DASINTERNETMUSSWEG

Eine Abrechnung

KNAUS

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

2. Auflage

Copyright © 2018 Albrecht Knaus Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, MünchenISBN 978-3-641-22822-4V004www.knaus-verlag.de

Urteile nie über einen anderen, bevor du nicht einen Mond lang in seiner Filter Bubble gesurft hast.

Inhalt

Gut gemeint, miserabel umgesetzt. Warum es sich mit dem Internet unmöglich leben lässt

GETTINGSTARTED. DASMÜSSENSIEWISSEN

Follow the Money. Geld ist der Treibstoff des Internets

Wenn es nichts kostet, sind Sie das Produkt

DASDESINFORMATIONSZEITALTERLÄDTEIN

Süße Droge Reichweite. Journalisten sind abhängig

Fake News. Die Wahrheit ist relativ

Hate Speech. Das Netz ist ein Bällebad für Sadisten.

Filter Bubble. Die Echokammer meiner Mutter

DASINTERNETVERÄNDERTALLES. UNDJEDEN

Online-Sucht. Unser Belohnungssystem wurde gehackt

Rechts sein ist der neue Punk. Die Rückkehr der Arschlöcher

E-Mail, WhatsApp, Snapchat. Moderne Kommunikation zerstört die Kommunikation

Millennials und Generation Z. Versuchskaninchen der Geschichte

Jobkiller Automatisierung. Roboter sind die besseren Angestellten

Die Zukunft könnte futuristisch werden

Was soll ich tun?

Quellenverzeichnis

Gut gemeint, miserabel umgesetzt. Warum es sich mit dem Internet unmöglich leben lässt

Lieber Leser, seitdem dieses Buch erstmals das Licht der Buchläden erblickte, wurde ich von einer Frage verfolgt: Wie kann jemand das Internet verteufeln, der als Blogger und Gründer einer Online-Comedy-Show all seine Erfolge genau diesem Medium zu verdanken hat? Mittlerweile wird die Frage immer seltener gestellt, denn pünktlich zur Veröffentlichung der Erstauflage stolperte Facebook über einen gigantischen Datenskandal im Rahmen der Cambridge-Analytica-Affäre, wenig später präsentierte die EU mit der Datenschutzgrundverordnung eine historische Maßnahme gegen die bis dahin weitestgehend unregulierte Datensammelwut vieler Konzerne aus dem Silicon Valley. Man kann sagen: Mittlerweile existiert in der vernetzten Welt ein besseres Verständnis für die Macht der Daten und die damit verbundenen Manipulationsmöglichkeiten. Das Internet in seiner aktuellen Form ist die menschenfeindlichste Maschine, die die Menschheit je gebaut hat. Ich fordere daher den Komplett-Reset, den großen Blackout. Dann haben wir vielleicht die Chance, die Kontrolle über dieses Medium zurückzugewinnen. Diese Option möchte ich gemeinsam mit Ihnen durchdenken und eröffne mit den gravitätischen Worten: Wer die Zukunft erschaffen will, muss die Vergangenheit verstehen.

Die beginnt in unserem Fall mit der Erfindung des Buchdrucks. Die Erfindung des Buchdrucks hat alles verändert: Plötzlich lag das Wissen der Welt nicht mehr bei wenigen korrupten Geistlichen, es stand jedem offen, der sich informieren wollte. Erstmals konnten Gedanken in großem Maßstab vervielfältigt und geteilt werden. Der Austausch von Ideen bedeutete die »Globalisierung des Denkens«, die den modernen Humanismus ungebremst bis in die letzten Winkel Europas bringen sollte.

So wird es uns stets vorgebetet, und langfristig trifft das auch zu. Kurzfristig, also in den drei Jahrhunderten, nachdem Johannes Gutenberg 1450 mit seinen beweglichen Lettern die erste gedruckte Bibel produzierte, brach das Chaos aus. Diese Seite der Geschichte wird viel zu selten erzählt, verrät uns aber mehr über das Internet, als Sie glauben. Bevor wir uns also in die Tücken der Gegenwart stürzen, lassen Sie uns nach Mainz ins Jahr 1445 schweifen, wo der Goldschmied Johannes Gutenberg seit zehn Jahren an einem System arbeitete, das seiner Einschätzung nach das next big thing werden könnte. Bis dahin wurden Bücher von Spezialisten per Hand geschrieben, und weil diese Spezialisten in der Regel Mönche oder Nonnen waren, hielt sich die Spannung ihrer Werke in Grenzen. Gutenberg erfand mit dem Handgießinstrument eine Art Backform für Buchstaben. In diese Form goss er heißes, flüssiges Metall und hatte nach dem Abkühlen einen Buchstaben-Stempel. 1455 präsentierte Gutenberg die erste Bibel, die mithilfe dieser Buchstaben-Stempel entstanden war, und demokratisierte damit das rare Gut Wissen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Menschen auf einen kleinen Wissenskanon geeinigt, und Nachrichten waren Mundpropaganda nach dem Stille-Post-Prinzip. Plötzlich wurden die Bürger von unterschiedlichsten Druckerzeugnissen nahezu überrollt, von denen die Bibel nur eines unter vielen war: Bücher, Pamphlete, Traktate, Flugblätter, Satiren, Pornografie, alles war dabei. Jeder mit genügend Geld und Zugang zu einer Druckerpresse konnte vom konstruktiven Beitrag bis zum hirnverbrannten Wahnsinn alles in den Raum stellen, und schnell merkten die Zeitgenossen, dass man nicht nur Geschichten, sondern auch Denkanstöße publizieren kann. Binnen weniger Jahre konnten alle mitreden, nicht nur Kirche und Adel, während das Drucken immer preiswerter wurde. Alles war mit allem vergleichbar, und immer häufiger mussten die Menschen sich entscheiden, welcher von den vielen Meinungen sie sich anschließen wollten. Es gab weder Erfahrung im Umgang mit Massenpropaganda, noch gab es überhaupt Erfahrung mit Druckerzeugnissen, es gab nur eines: Verunsicherung. Zuerst ging es den alten Eliten an den Kragen: Die lutherische Bibelübersetzung brachte das Wort Gottes zu den kleinen Leuten, die daraufhin das Auslegungsmonopol der lateinisch gebildeten Geistlichen in Frage stellten. In der Folge tobten gerade in Deutschland unterschiedliche Konfessionskriege, die in den Geschichtswissenschaften häufig als Dreißigjähriger Krieg zusammengefasst werden. Nie zuvor hatte Mitteleuropa eine solche Verwüstung gesehen: Zwischen 1517 und dem Westfälischen Frieden von 1648 schrumpfte die Bevölkerung von schätzungsweise 17 Millionen Menschen auf 10 Millionen. Das waren die direkten Folgen des Buchdrucks; vom Philanthropinismus und Humanismus, die Europa später küssen sollten, bekamen die Zeitgenossen nichts mehr mit.

Dem aufmerksamen Leser erschließen sich die Parallelen zur Gegenwart. Zurzeit erleben wir eine ähnliche Entwicklung. Geld, Papier und Logistik waren in den letzten 550 Jahren die Bedingung für die Verbreitung von Informationen, bis das Internet den nächsten großen Demokratisierungsschub brachte: Heute kann jeder alles für sehr wenig Geld publizieren, eine Möglichkeit, von der eifrig Gebrauch gemacht wird. Wieder begegnen wir einer Wasserwand von Informationen, mit deren Ausmaß wir noch nie in der Geschichte der Menschheit Erfahrung gemacht haben. Auch wenn der Buchdruck für die Zeitgenossen im 15. Jahrhundert eine Revolution war, er ist ein Witz gegen den Schritt vom analogen ins digitale Zeitalter. Heute kann die Information eines Einzelnen in weniger als zwei Sekunden an nahezu die Hälfte aller Menschen auf dem Planeten geschickt werden. Überlegen Sie sich das mal!

Wird Krieg ausbrechen? Sagen wir mal so: Auf der ganzen Welt lösen nationalistische Regierungschefs ihre liberalen Vorgänger ab, die Arbeitslosigkeit steigt, und sowohl Historiker als auch Statistiker fürchten, unsere weitgehend friedlichen Zeiten könnten bald vorbei sein. Das liest man immer wieder.

In diesem Buch geht es nicht um Krieg. Es geht um die Transformation der analogen in die digitale Welt, die viele als eine weitere Errungenschaft nach der Elektrizität und der Dampfmaschine wahrnehmen, weshalb sie sich auf die Zukunft freuen. Das ist alles eine Frage der Perspektive. Für mich ist das Internet Schritt zwei. Schritt eins war das Rad.

Als großer Science-Fiction-Fan war ich schon als Kind fasziniert von Dystopien wie 1984 und Brave New World, wobei ich mich fragte, warum es bei der ganzen Auswahl an Visionen so wenige optimistische Vorstellungen von der Zukunft gibt. Wahrscheinlich liegt es in der Natur des Menschen, sich vor dem Ungewissen zu fürchten und stattdessen die Vergangenheit zu romantisieren. De facto ging es bei allem »Früher war alles besser« immer bergauf. Wohlstand und Gesundheit sind in der Menschheitsgeschichte stetig gestiegen, doch wir ziehen daraus nicht den Schluss: »Morgen wird alles besser«. Dabei sollte uns die Statistik optimistisch stimmen: Wächst die Weltwirtschaft weiterhin wie in den letzten 50 Jahren, wird die Welt im Jahr 2050 fast fünfmal reicher sein als heute, 2100 werden wir unseren Wohlstand im Vergleich zu heute etwa vervierundreißigfacht haben. Aber genau diese exponentiell ansteigende Rasanz fordert uns einiges ab. Das Gefühl vieler Zeitgenossen, die Welt drehe sich für sie zu schnell, ist mehr als nur ein Gefühl, es ist ein Tatsachen-Erlebnis. Gemäß dem Moore’schen Gesetz, das der Intel-Mitbegründer Gordon Moore bereits 1965 formulierte, verdoppelt sich die Rechenleistung von Prozessoren alle 18-24 Monate.

Wenn sich die Rechenkapazität von Computern alle zwei Jahre verdoppelt, haben wir ein klassisches exponentielles Wachstum, das heißt, die Rechenleistung steigt nicht konstant, sondern mit der Zeit immer schneller. Dabei sind Computer nicht nur stationäre Rechner oder Laptops, sondern auch Smartphones, Fernbedienungen sowie das Innenleben Ihrer elektrischen Zahnbürste. Wir sind in allen Lebensbereichen von Computern umgeben, deren Leistung sich in atemberaubender Geschwindigkeit erhöht. Durch das Internet sind diese Computer in der Regel alle in unterschiedlichen Ausgestaltungsstufen miteinander vernetzt. In diesem Netz bewegt sich der Mensch, dessen Rechenleistung deutlich langsamer steigt – manche haben sogar das Gefühl, sie sinke seit einigen Jahren. Der Mensch war schon immer dazu verdammt, dem technischen Fortschritt, den er ja selbst anschiebt, hinterherzukommen. Bislang waren wir immer in der Lage, zum aktuellen technischen Status quo aufzuschließen, entgegen den Prognosen der Skeptiker, die nach jeder technischen Revolution den Untergang der Menschheit voraussagten. Aber wenn Sie mich fragen, ist die Erfindung des Internets überhaupt nicht vergleichbar mit all den Peanuts-Errungenschaften unserer Vorfahren, die jeweils ein neues Zeitalter eingeläutet haben sollen. Das Internet ist der eine riesengroße Schritt, von dem sie in 100 000 Jahren sagen werden: Das war die erste Zeitenwende der Menschheit. Messen Sie mich an meiner Aussage in 100 000 Jahren.

Das Internet ist kein neuer Standard, der uns auf ein neues technologisches Plateau hebt, das wir die nächsten 50 Jahre in Ruhe bewirtschaften können. Das Internet oder besser gesagt die vernetzte Welt verändert sich so schnell, dass 2019 ganz anders aussieht, als 2022 es tun wird. Wenn ich also dem Buchtitel gemäß fordere »Das Internet muss weg«, dann rede ich von der aktuellen Version des Internets. Alle Probleme, die ich auf den folgenden Seiten illustriere, haben ihre Wurzeln in jüngster Vergangenheit. Wenn Sie mich auf einen konkreten Zeitpunkt festnageln wollen, dann beginnt die von mir kritisierte Version des Internets am 9. Februar 2009, als der Facebook-Like-Button eingeführt wurde, womit die Hochphase der Attention Economy begann. Ich beziehe mich also auf das Social-Media-Internet, in dem Einzelpersonen bequem und gratis ihr eigenes Egomarken-Portal im Internet eröffnen können. Darauf kommen wir im Detail später noch zu sprechen.

Zurück zur Dystopie: In den meisten finsteren Zukunftsvisionen der Science-Fiction und der Cyberpunk-Kultur gibt es bei allen fantastischen Gedankenspielen auffallend oft eine Konstante: Die Welt wird nicht von gewählten Regierungen, sondern von Konzernen regiert. Ganz offensichtlich fürchten wir uns davor, vom Kapitalismus mit Haut und Haar gefressen zu werden und eines Tages 24 Stunden lang für die Gewinn-Interessen anderer zu leben. Der Gag ist: Das tun wir bereits! Wir befinden uns mitten in einer düsteren Science-Fiction, aber weil unsere Autos immer noch nicht fliegen, merken wir es nicht. Sie ahnen bereits meine These: Technologie-Konzerne wie Facebook, Google und Apple regieren die Welt. Das ist Auslegungssache. Niemand im Silicon Valley will Legislative, Exekutive und Judikative über den Haufen werfen oder gar an sich reißen. Ebenso wenig haben die größten Tech-Milliardäre der Welt Ambitionen, eine Präsidentschaft anzutreten. Große Tech-Konzerne wollen fürs Erste nur Geld verdienen. Und sie sind unglaublich gut darin. Interessant ist, dass die wenigsten Internetnutzer verstehen, womit die größten Tech-Konzerne der Welt ihr Geld verdienen. Die meisten antworten: mit Werbung. Das ist sogar ein bisschen richtig, aber nur ein kleiner Teil der ganzen Antwort: Facebook und Google verdienen ihr Geld mit den Nutzerdaten ihrer User. Diese Daten werden unter anderem für den gezielten Einsatz personalisierter Werbung ausgewertet. Aber auch für Rohdaten gibt es einen Markt: Datenhandel ist wie Drogenhandel eine sehr diskrete Branche, die für eine 200-Milliarden-Dollar-Industrie auffällig unauffällig in der Gesellschaft auftritt.

Abb. 1Diskret, aber mächtig. Datenhändler könnten in Sachen Einfluss schon bald Bankern den Rang ablaufen.

Daten-Broker kaufen Nutzerdaten von sozialen Netzwerken, aber auch von Spieleherstellern und Anbietern von Unterhaltungselektronik – machen wir’s kurz: Daten-Broker kaufen alle Daten. Denn es gibt keine wertlosen Daten. Dafür beschäftigen Daten-Broker die talentiertesten Mathematiker und Statistiker der Welt, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Daten zu finden. Über verschiedene statistische Methoden und hochspezialisierte Algorithmen schürfen Daten-Broker aus allen Daten nichts weniger als statistische Fakten. Wenn Sie zum Beispiel Kastanienmännchen verkaufen, können Sie bei einem Daten-Broker eine Analyse in Auftrag geben, bei welchen Menschen statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit am höchsten ist, dass sie noch in diesem Jahr mindestens ein Kastanienmännchen kaufen werden. Anschließend präsentiert Ihnen der Daten-Broker, was Sie tun müssen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, von potenziellen Kastanienmännchen-Käufern gesehen zu werden. Das hat weniger etwas mit Werbung zu tun als mit gezielten datengestützten Prognosen. Es gibt auf der Welt kein Unternehmen, das daran kein Interesse hat. Datenhändler sind also die größten Käufer von Daten. Die größten Anbieter sind Google und Facebook. Je mehr Geld diese Unternehmen verdienen wollen, desto mehr Daten müssen sie abbauen. Das heißt: Google und Facebook suchen den ganzen Tag nach Möglichkeiten, ihren eigenen Service so zu verändern und zu verfeinern, dass ihre Nutzer maximal viele Daten erzeugen.

Wenn der Rohstoff Daten heißt und Datenhändler die Hauptkunden von Facebook und Google sind, was sind dann die Nutzer von Facebook und Google? Die Rohstofflieferanten. Buchstäblich jeder unserer Schritte ist ein mess- und verkaufbares Datenprodukt. Gleich mehrere Apps auf Ihrem Smartphone messen, wann sich Ihre Positionsdaten verändern, jede einzelne Handlung auf Facebook wird festgehalten, Ihre Einkäufe beinhalten unglaublich wertvolle Informationen, die natürlich registriert und weiterverkauft werden. Jeder Ihrer Kontaktpunkte mit irgendeiner Art von vernetztem Mikrochip erzeugt handelbare Daten. Und so hat sich in den vergangenen zehn Jahren die Grundarchitektur des Internets komplett verändert, obwohl es augenscheinlich aussieht wie immer. Fast jeder Inhaber eines Servers optimiert sein Produkt dahingehend, möglichst viele Daten abgreifen zu können. Als größte Player am Datenmarkt geben Google und Facebook das Tempo und den Trend vor. Und der liegt im Anreiz zur Interaktion. Tech-Konzerne verlassen sich nicht mehr darauf, dass wir so oder so Daten dalassen, stattdessen werden wir gemäß den aktuellsten Erkenntnissen der Neurowissenschaften mit Interaktionsanreizen bombardiert. Denn Interaktion ist, wenn Sie so wollen, der Samen, aus dem Daten erst entstehen. Jede einzelne Vibration Ihres Smartphones ist ein Interaktionsanreiz, die Gestaltung Ihres Newsfeeds auf Facebook und Instagram ist ein Interaktionsanreiz; dass keine Variable mehr ohne Kennzahl kommt (Freunde, Likes, Kommentare …), folgt ebenso wie sämtliche Formen und Farben im Internet dem Konzept eines ausführlich getesteten Interaktionsanreizes. Dieses System gilt nicht für ausgewählte Märkte, sondern für die ganze Welt. Deshalb haben wir auch überall auf der Welt die gleichen Probleme. Medien müssen sich dem Diktat der Interaktionsanreize anpassen. Vielleicht haben Sie auch schon festgestellt, dass die Nachrichtenberichterstattung heutzutage deutlich emotionaler ist als noch in den Neunzigern. Das liegt einzig daran, dass Emotionen durch viele Studien belegt Interaktionen fördern. So werden nüchterne oder differenzierte Haltungen von Algorithmen gefiltert, die nur für eine Aufgabe programmiert wurden: den Interaktionsgrad zu erhöhen. Leider sorgen negative Emotionen für mehr Interaktion als positive Emotionen. Heißt das etwa, Algorithmen machen uns absichtlich wütend, weil Wut die effektivste Determinante für Interaktion ist? Indirekt ja. Und das ist das Problem mit Algorithmen. Sie arbeiten tausendmal schneller als das menschliche Gehirn, aber sie verstehen den Menschen nicht. Wenn der Massenmörder Anders Breivik auf Facebook viele Inhalte mit den gleichen Schlagworten teilt, also interagiert, dann lernt der Algorithmus: Das gefällt ihm offenbar, davon sollte er mehr sehen, dann interagiert er. Der Algorithmus versteht nicht, dass die Schlagworte »Heil«, »Auslöschung« und »Invasion« Ausdruck negativer Gefühle wie Wut sind. Und deshalb macht der Algorithmus den Massenmörder unfreiwillig wütender mit immer mehr Content aus der Welt der rassistischen Arschlöcher.

Falls Sie sich noch an die Prä-Internet-Ära erinnern können: Gab es damals Reflexhandlungen wie das Checken des Smartphones oder Panik-Gefühle, wenn Sie ein bestimmtes Produkt zu Hause vergessen hatten (abgesehen von Ihrem Pass auf dem Weg zum Flughafen)? Oder ein Stadtbild, in dem Menschen komplett absorbiert in ein Gerät starren? Das gab es nicht, weil es kaum Interaktionsanreize gab. Nehmen Sie die ersten Mobiltelefone: Niemand wischte selbstvergessen durch seine Telefonnummern. Erst 2007, als Social-Media-Kanäle über das Smartphone mobil besucht werden konnten, kamen die ersten Handy-Zombies. Apple, Nokia und Motorola haben keine Daten verkauft, sondern Hardware. Der Reflex Smartphone-Checken entstand erst durch die Interaktionsanreize, die vor allem Facebook anbietet. Hinter diesen Impulsen verbirgt sich nämlich noch mehr als der kleine Stupser, doch irgendetwas Datenträchtiges zu tun. Wenn wir auf der Toilette unsere Social-Media-Kanäle checken, kommt der Antrieb dazu aus einer kleinen Region im Vorderhirn. Hier befindet sich der Nucleus accumbens, der die wichtigsten Rezeptoren des Menschen beherbergt: die Dopaminrezeptoren. Über Dopamin wird das Belohnungssystem gesteuert. Oder nennen wir es doch einfach Anreizsystem. Ohne den Neurotransmitter Dopamin würden wir morgens einfach im Bett bleiben. Genau genommen hätten wir nicht mal ein Bett, weil unsere Vorfahren ohne Dopamin keinen Antrieb gehabt hätten, das Bett zu erfinden. Dopamin hängt zusammen mit unserer Erwartung auf ein positives Gefühl, das durch eine bestimmte Handlung ausgelöst wird. Wir haben Lust auf Sex, weil wir erwarten, uns dabei gut zu fühlen. Beim Sex wird daher Dopamin freigesetzt. Wir essen Kuchen, weil wir erwarten, den Geschmack zu genießen. Daher wird beim Kuchenessen Dopamin freigesetzt. Wir checken auf der Toilette einen Social-Media-Kanal, weil wir erwarten, dass wir etwas Interessantes entdecken oder dass uns jemand erwähnt beziehungsweise geschrieben hat. Allerdings ist unser Belohnungssystem extrem leicht von außen zu trainieren. Wenn Ihr Smartphone in der Tasche vibriert, ist automatisch Ihr Belohnungssystem aktiviert, dagegen können Sie gar nichts tun. Sie empfinden eine Erwartung und verknüpfen sie mit der Handlung, auf Ihr Smartphone zu schauen. Ist die Nachricht fantastisch, wird viel Dopamin freigesetzt, ist sie mindestens interessant, wird wenig Dopamin freigesetzt, war es eine Werbemail, wird gar kein Dopamin freigesetzt, weil Erwartung und Ergebnis zu weit auseinanderliegen. Dabei gibt es einen Trick: Würde Ihr Smartphone nur bei positiven Nachrichten vibrieren und sich bei »Nieten« gar nicht melden, wären Erwartung und Dopaminausstoß deutlich geringer. Das klingt auf den ersten Blick seltsam, ist aber die Basis für alle Formen des Glücksspiels. Ein Spielautomat, bei dem Sie immer gewinnen, wäre völlig reizlos. Die Ungewissheit des Ergebnisses macht Reiz und Intensität der Dopaminabgabe aus. Dazu gibt es in diesem Buch überzeugende Experimente, die den Schluss zulassen: Smartphones sind kleine Spielautomaten, deshalb können wir uns so schwer davon lösen. Die Münze ist dabei eine Dateneingabe infolge eines Interaktionsanreizes.

Dopamin ist ein häufiges Wort in diesem Buch, und das hat einen Grund: Die Belohnungssysteme der meisten Internetnutzer befinden sich nicht mehr in einem natürlichen Gleichgewicht. Oder drastischer: Viele von uns sind gehackt. Wenn Sie morgens als Erstes auf Ihr Smartphone schauen, wurden sie gehackt. Wenn Sie in der Kneipe sitzen und zum Smartphonechecken auf die Toilette gehen, wurden Sie gehackt. Wenn Sie es nicht schaffen, Ihr Smartphone 15 Minuten nach dem Vibrieren nicht anzurühren, wurden Sie gehackt. Aber Sie sind nicht allein.

Wenn ich sage »Das Internet muss weg«, meine ich, wie erwähnt, eigentlich das Social-Media-Internet, das jedoch einen so großen Teil des Gesamt-Internets ausmacht, dass der Titel dieses Buches schon klargeht. Mit Social-Media-Internet meine ich ein Netz, in dem weite Teile der Bevölkerung und nicht ein paar wenige Nerds über ein Social-Media-Profil verfügen. Das Social-Media-Internet unterscheidet nicht mehr zwischen technikaffinen Menschen und Normal-Bürgern. Auf Social-Media-Kanälen wird ein Querschnitt der Gesellschaft abgebildet, online und offline werden nicht mehr als unterschiedliche Welten betrachtet. Die ersten Menschen werden geboren, die keine Welt außer der vernetzten Welt kennen. Die gleichen Menschen werden aber auch von Kindesbeinen an Interaktionsanreizen ausgesetzt, die nachweislich einen starken neurologischen Einfluss haben. Gerade die Gehirne von Kindern verfügen über eine hohe Plastizität, man kann auch sagen Lernfähigkeit, ich bevorzuge in diesem Zusammenhang das Wort Programmierbarkeit. Wir wissen nicht, was das bedeutet. Vielleicht gar nichts. Vielleicht tritt das ein, was man schon beim Buch, beim Radio und beim Fernsehen beobachtet hat: gar nichts. Kinder passen sich schnell an neue mediale Bedingungen an, ohne dabei jemals in den Verdacht geraten zu sein, alle Errungenschaften ihrer Vorfahren aufs Spiel zu setzen. Die Forschung zum Social-Media-Konsum von Menschen, die keine andere Welt als die Social-Media-Welt kennen, findet genau jetzt statt, wir müssen uns also gedulden. Und doch dürfen uns ein paar Zahlen beunruhigen: Nie waren Angststörungen und Depressionen unter Teenagern so hoch wie heute. Nie gab es so viele Teenager-Selbstmorde. Nie beklagte sich eine Generation so sehr über Beziehungsstörungen wie Millennials, und nie registrierten Psychologen einen so niedrigen Stand des Empathie-Levels unter Jugendlichen wie heute.

In diesem Buch geht es nicht um böse Technologie-Konzerne, die skrupellosen Raubbau an Nutzerdaten begehen. Es geht vielmehr um Kollateralschäden, die niemand vorausahnen konnte. Die Erfindung des Facebook-Like-Buttons war ein gut gemeintes Instrument, mit dem man seinen Freunden zeigen konnte, dass man sie schätzt. Kein Mensch konnte nach der Einführung 2009 voraussehen, dass Facebook damit ein Monster geschaffen hatte, das zwar die Interaktionszahlen explodieren lässt, aber auch reihenweise Menschen in tiefste Krisen stürzt. Das ist nur eine von vielen nicht geplanten Entwicklungen, um die es in diesem Buch geht. Wir haben zudem viele digitale Schmetterlingseffekte, bei denen Ereignis A durch völlig irrsinnige Verkettungen Ereignis B auslöst. Überhaupt soll Ihnen dieses Buch Zusammenhänge näherbringen, die nicht auf der Hand liegen und mich bei der Recherche selbst überrascht haben. Dieses Buch will Sie zu einem mündigen Internetnutzer machen, denn das Problem ist nicht das Internet. Es sind die Leute, die es bedienen, ohne die Funktionen zu kennen.

Mir geht es mit diesem Buch auch um eine kritische Distanz zu den Möglichkeiten des Internets. So erinnere ich mich mit Schaudern an den Arabischen Frühling. Westliche Medien waren Anfang 2011 wie im Rausch, als Proteste und Aufstände wie ein Lauffeuer durch weite Teile der arabischen Welt gingen. Die Rede war von einer Facebook-Revolution, und gerade in den USA war man davon überzeugt, dass Technologie aus dem Silicon Valley vielleicht nicht sofort den Weltfrieden, zumindest aber die Demokratie in alle Welt bringen werde. Der Korrespondent George Friedman fasste pointiert zusammen: For the Western media, anyone under the age of 30 with an iPhone is by definition a liberal democrat. – »Für die westlichen Medien ist jeder Mensch unter 30, der ein iPhone besitzt, automatisch ein Liberaldemokrat.«

Tatsächlich blieben vom Arabischen Frühling nur drei Bürgerkriege und eine Flüchtlingskrise, die fünf Jahre später besonders Kritiker der liberalen Weltordnung über Social Media vereinen sollte. Es bleibt spannend.

GETTINGSTARTED. DASMÜSSENSIEWISSEN

Mein geschätzter Verlag verdonnerte mich dazu, auch an die Leser zu denken, die das Netz nicht wie ihre Westentasche kennen. Gleichzeitig warnte man mich davor, Power-User und Experten zu langweilen. Ich versichere beiden Lesergruppen: Sie werden auf Ihre Kosten kommen. Nur ist das hier kein Roman, der den Leser mit einem nervenzerfetzenden Doppelmord auf Seite eins in seinen Bann zieht. Der richtige Schocker beginnt früh genug, dafür brauchen Sie aber ein Basis-Verständnis für die Motivation aller Protagonisten. Ich habe unendlich lange über einen Einstieg nachgedacht, der jeden, vom Technik-Agnostiker bis zum Start-up-Guru, gleichermaßen aktivierend in dieses Buch einlädt. Bis es mir irgendwann wie Schuppen von den Augen fiel: Wenn Sie den Kreislauf des Geldes verstehen, das jeden Tag durch das Internet fließt, dann können Sie sich die größten Probleme der Digitalisierung schon fast selbst herleiten. Wir müssen also erst mal über Geld reden. Sollten Sie sich auf den folgenden Seiten langweilen, dann verfügen Sie bereits über einen wichtigen Teil des Basis-Wissens und blättern gleich zum nächsten Kapitel, bei dem der Datenhandel im Mittelpunkt steht. Ab da versichere ich auch Intensiv-Nutzern des Internets: Es geht an die Nerven.

Wenn das Internet eines ist, dann dynamisch. Dieses Buch ist eine Momentaufnahme, aber schon übermorgen kann es sich lesen wie eine Schrift aus dem Pleistozän des Internets. Auf Auf meinem Blog schleckysilberstein.com werde ich mich voraussichtlich bis in alle Ewigkeit mit allem auseinandersetzen, was man wissen muss, um ein skeptischer Nutzer zu bleiben.

Und jetzt viel Spaß beim Lesen.

Follow the Money. Geld ist der Treibstoff des Internets

Wenn Sie es nicht selbst schon wussten: Im Internet dreht sich alles ums Geld. Natürlich ist die Website des Tierheims Twistringen frei von Profitinteressen, aber die digitale Infrastruktur, in der sie sich befindet, ist zu hundert Prozent von kapitalistischen Dynamiken gekennzeichnet. Was das Geldverdienen im Internet so spannend beziehungsweise pervers macht, ist die vorherrschende Gratis-Kultur. Der Internetnutzer war es immer gewohnt, digitale Inhalte seriös aufbereitet vorzufinden, ohne alle fünf Minuten etwas bezahlen zu müssen, wie es etwa am Zeitschriftenregal Usus ist. Nichtsdestotrotz wollen Content-Ersteller und Service-Dienstleister für ihre Arbeit entlohnt werden, also haben sie sich verschiedenste Wege erschlossen, dennoch Geld zu verdienen. Ich beschränke mich auf die wichtigsten Erlösmodelle, die man kennen muss, um das Internet im Social-Media-Zeitalter zu verstehen. Der elektronische Handel, wie ihn Amazon und klassische Online-Shops betreiben, gehört nicht dazu. Das größte und spannendste Geschäft namens Datenhandel folgt im nächsten Kapitel.

Banner-Werbung

Der transparenteste Weg, im Internet an Geld zu kommen, ist Werbung. Sie alle kennen Werbebanner im Umfeld eines Artikels. Es gibt verschiedene Anbieter für diese Banner; der beliebteste stammt von Google selbst. Das funktioniert so:

Jeder Website-Betreiber kann sich kostenlos beim Programm Google AdSense registrieren. Dort kann der Nutzer einen sogenannten AdSense-Banner erstellen, der sich bequem in seine Homepage einbinden lässt. Welche Werbung dieser Banner konkret anzeigt, hängt vom jeweiligen Besucher der Seite ab beziehungsweise von dessen Surf-Vergangenheit. Über einen gar nicht so komplizierten Algorithmus ahnt Google, welcher Art Produkt oder Dienstleistung der Website-Besucher zum Zeitpunkt x am ehesten zugeneigt ist. Hat die Person am gleichen Tag Turnschuhe gesucht, steigt die Wahrscheinlichkeit, Turnschuhwerbung auf den anschließend besuchten Seiten zu finden. Noch immer halten viele Internetnutzer dieses Prinzip für Voodoo und können nicht begreifen, dass sie von elektrischen Zahnbürsten verfolgt werden, weil sie zuvor Parodontose gegoogelt haben. Seien Sie versichert: Es hat nichts mit schwarzer Magie zu tun.

Sobald ein Seitenbesucher auf einen dieser AdSense-Banner klickt, wird dem Konto des Seitenbetreibers eine kleine Geldsumme gutgeschrieben. Deren Höhe hängt von so vielen Faktoren ab, dass ich es im Sinne der Verständlichkeit dabei belasse. Viel spannender ist, dass anders als bei Zeitungsangeboten für die Einblendung der Werbeanzeige keine Pauschalsumme bezahlt wird. Zeitungen haben Preislisten, die sich an ihrer Auflage bemessen, das heißt: Eine Anzeige kostet 70 000 €, wie oft sie gesehen wird und wie oft ein konkreter Kauf daraus resultiert, ist Glückssache. Wie viel über einen AdSense-Banner verdient wird, ist da deutlich leistungsgerechter. Wird der Artikel häufig aufgerufen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Banner geklickt wird, entsprechend steigt der Verdienst pro Artikel. Hier verbirgt sich ein folgenschwerer Aspekt, der den Journalismus für immer verändert hat: In der alten Zeitungswelt hat der einzelne Artikel den Werbeerlös nicht beeinflusst. Ob der Autor eine reißerische Lügengeschichte oder einen in monatelanger Recherche entwickelten Pulitzerpreis-Anwärter verfasste, spielte für den Erlös pro Artikel keine Rolle. Der Erlös pro Artikel konnte nicht mal berechnet werden. Beim Online-Artikel ist es messbar und entscheidend, wie oft er aufgerufen wurde. Andersherum weiß jeder Online-Journalist, wann sein Artikel buchstäblich wertlos war, und so weiß es auch sein Chefredakteur. Im Kapitel »Süße Droge Reichweite« gehen wir detaillierter darauf ein, merken Sie sich jetzt nur: Wer viel verdienen will, und das ist durchaus menschlich, muss dafür sorgen, dass seine Artikel so verfasst sind, dass sie so oft wie möglich neu geladen werden und damit der entsprechende Werbebanner so oft wie möglich unter dem Cursor eines Lesers landet.

Neben dem AdSense-Banner, den man an einem kleinen blauen Dreieck erkennt, gibt es unzählige weitere Banner von Medienagenturen, die aber im Wesentlichen alle nach dem gleichen Muster funktionieren. Manchmal reicht allein die Anzahl der Aufrufe des Banners, manchmal erfolgt eine Honorierung nur, wenn über den Banner auch tatsächlich ein Kauf getätigt wurde. Dazwischen gibt es viele verschiedene Modelle, die für den Seitenbetreiber aber in der Regel immer bedeuten: Je mehr Aufrufe, desto mehr Einnahmen.

Affiliate-Links

Affiliate-Programme funktionieren nach dem Provisionsprinzip und können als Banner oder als Link in Erscheinung treten. Nehmen wir an, Sie haben sich auf einem Tech-Blog über ein ganz bestimmtes Laptop-Modell schlaugemacht und sich zum Kauf entschieden. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden Sie in dem Artikel einen Link finden, der Sie direkt zum Online-Shop führt. Der jeweilige Händler weiß durch den Link, wer ihm den Kunden beschert hat, und so fließt im Rahmen dieses Affiliate-Deals ein Prozentsatz x vom Produktpreis an den Betreiber des Blogs. In den meisten Fällen führt der Link zu Amazon, denn hier gilt: Alles, was der Käufer zusätzlich im Rahmen dieser einen Einkaufssession ersteht, wird anteilig dem Konto des Seitenbetreibers gutgeschrieben. Hat der Tech-Blog also nur einen Affiliate-Link zu einem USB-Stick verwendet, verdient er zusätzlich, wenn sich der Käufer neben dem Stick noch eine Hydraulik-Presse für 60 000 € in den Warenkorb legt.

Aus diesem Grund sind Amazon-Affiliate-Links für Seitenbetreiber meist interessanter als Affiliate-Links mit dem Hydraulikpressen-Shop. Und jetzt fragen Sie sich gerne, welches Interesse ein Tech-Blogger hat, ein vorgestelltes Produkt zu verreißen. Sicher, es zahlt auf die Glaubwürdigkeit der Seite ein, und das ist langfristig wertvoller, als jedes Produkt in den Himmel zu loben. In der Tendenz muss es bei Bewertungsseiten jedoch um Verkäufe gehen, und glauben Sie mir: Ich habe schon so viel Schrott erstanden, der nicht mal einen halben Stern verdient gehabt hätte, aber auf mehreren Seiten als Cutting-Edge-Technologie angepriesen wurde. Denn leider gibt es zahlreiche Agenturen, deren Geschäftskonzept darin besteht, positive Rezensionen für alles Mögliche zu verfassen. Auf Amazon ist das kein Geheimnis, aber auch in Kommentarspalten auf den Seiten von spezialisierten Shops sind diese Agenturen aktiv. Es gibt Tech-Blogs, die nur für die Hohepreisung eines einzelnen Produkts gegründet werden. Die sind meistens in der Launch-Phase online, um dann nach drei Wochen wieder vom Netz genommen zu werden. Und nicht jede dieser Seiten wird von echten Menschen verfasst. Es gibt Programme, die mit Fotos und Mustersätzen zu einem Produkt gefüttert werden und dann vollautomatisch einen neuen Tech-Blog im Netz registrieren, nur um ein Produkt zu bewerben. Ebenso gibt es sogenannte Content-Aggregatoren, die automatisch beliebte Produkte identifizieren und sie ebenso automatisch mitsamt der Produktbewertung und natürlich dem Affiliate-Link auf einer Seite sammeln, die sich als seriöses Technik-Forum ausgibt. Zwei Personen in meinem Freundeskreis leben sehr gut von solchen Aggregatoren, die circa einmal pro Monat ein wenig Wartung erfordern. (Ihr wisst, wer ihr seid. Ich mag euch trotzdem.)

Sie merken schon: Gerade über den Bereich »Dirty Tricks im E-Commerce« könnte man Bücher schreiben. Es gibt diese Bücher auch, nur heißen sie nicht »Dirty Tricks«, sondern oft einfach nur »Erfolgreich im Internet in 10 Schritten«. Die kurze Faustformel lautet: Alles, was denkbar ist, ist auch machbar. Während eines Aufenthalts in Peking (ausgerechnet) mailte mir ein Freund, er habe durch Zufall eine Seite eines Schweizer Betreibers gefunden, die eine exakte Kopie meines Blogs sei. Daraufhin habe ich einen neuen Artikel verfasst und fasziniert registriert, wie er nach wenigen Sekunden perfekt formatiert auf der Schweizer Kopie erschien. Inklusive zusätzlicher Affiliate-Links. Ich habe den Betreiber ausfindig gemacht. Es war ein Teenager, der sich immerhin reuig zeigte und die Seite vom Netz nahm.

Advertorials

Warum im Umfeld werben, wenn man auch direkt einen ganzen Artikel kaufen kann? Ein Advertorial ist eine Werbeanzeige in der Aufmachung eines redaktionellen Beitrags, ein Artikel, den der Autor im Auftrag des Werbenden verfasst, der ihn dafür bezahlt. Das klingt nicht nur schal, es ist es auch. Ich nehme auch Geld für Artikel und kann zumindest für die Blogger-Zunft sagen: Dass es sich bei dem Artikel um Werbung handelt, wird ganz groß in der Artikelüberschrift mit den Worten »Werbung« oder »Sponsored Post« gekennzeichnet. Wobei die Kennzeichnung meist auch von den werbenden Unternehmen explizit eingefordert wird, alles andere wäre Schleichwerbung. In der Regel funktioniert das so: Eine PR-Agentur stellt eine Anfrage, zum Beispiel für die Verbreitung eines Werbefilms. Der Blogger kann entscheiden, ob das Video in den Rahmen seines Programms passt, wobei ich auch schon oft gebeten wurde, Videos über die Vorteile von Solaranlagen zu verbreiten. In dem Fall lehne ich ab, weil ich weiß, meine Leser würden sich auflehnen. Passt das Video thematisch, steht den Blogs frei, wie sie darüber berichten. Ich habe auch mal testweise ein Video eines großen Autobauers nach allen Regeln der Kunst verrissen, um zu testen, wie weit das Versprechen der redaktionellen Freiheit wirklich gilt. Es gab keinen Widerspruch, allerdings habe ich auch nie wieder von der Agentur gehört. Dennoch verstehe ich den Unmut meiner Leser, weil sich mit einem Advertorial Unternehmen in das Heiligtum eines Mediums einkaufen. In den Content-Bereich nämlich. Oft lese ich Kommentare wie »Schade, dass der AdBlocker keine Advertorials blockt«.

AdBlocker erkennen klassische Werbebanner und blenden sie aus. In der Folge laden Seiten schneller, und der Lesespaß wird nicht von Werbung getrübt. Für den Werbemarkt bedeutete das Aufkommen dieser Browser-Erweiterungen logischerweise sinkende Einnahmen. Und so wurden die Budgets für Bannerwerbung sehr schnell in den Topf für Advertorials umgelegt. Die Anfragen für In-Article-Werbung sind bei allen Online-Angeboten explodiert, was die Beziehungen zwischen Redaktionen und Lesern regelmäßig trübt. Aber die Ironie des Kapitalismus will es so: Leser störten sich an Werbung im Content-Umfeld, jetzt haben sie die gleiche Werbung viel störender im Content. Und so edel wie sich die Anbieter von AdBlockern oft geben, so clever verdienen sie Geld. Das Unternehmen Eyeo bietet die erfolgreiche und kostenlose Browser-Erweiterung Adblock Plus an, die in ihrer Wachstumsphase die Marke von 100 Millionen Nutzern knackte, denen sie weitgehend werbefreies Surfen versprach. Weitgehend bedeutet hier: Adblock Plus blockt nur Werbung, die das Unternehmen als inakzeptabel kennzeichnet. Akzeptable Werbung wird weiterhin auf den Bildschirmen der Nutzer angezeigt. Als akzeptabel betrachtet Eyeo: keine aggressiven Pop-ups (Banner, die unvermittelt aufpoppen), keine Banner, die den Lesefluss unterbrechen, also mitten im Text platziert sind, und ein paar weitere Kriterien mehr. Marketer können ihre Banner bei Eyeoprüfen lassen. Natürlich gegen eine Gebühr. Genial! 2014 meldete das Unternehmen dem Bundesanzeiger eine Bilanzsumme von 4 799 002,94 €.

Seit September 2016 können Unternehmen bei Eyeo sogar Banner in Auftrag geben. Natürlich nur akzeptable Banner. Der Nutzer-Protest blieb übrigens bei der als akzeptabel eingestuften Werbung aus.

Influencer

Die mit Abstand beliebtesten Werbeflächen für Marketer sind echte Menschen. So macht es einen Unterschied, ob die Computerbild eine Gaming-Tastatur bewirbt oder ein Gamer mit drei Millionen Facebook-Fans. »Influencer« ist ein Marketing-Neologismus für Leute mit vielen Social-Media-Fans. Das können viele Follower auf Twitter oder Instagram sein, Fans bei Facebook, Abonnenten bei YouTube – am besten eine akkumulierte Kombination aus allem. Diese Kriterien erfüllen in erster Linie Stars, und das dürften Sie noch aus fernerer Vergangenheit kennen: Erfolgreiche Personen aus Kultur oder Sport haben schon immer Werbeverträge gemacht, waren Markenbotschafter oder haben ihr Arbeitsgerät von einem Sponsor erhalten. Das ist immer noch so, nur gibt es, getreu der Vorhersage Andy Warhols, mittlerweile 100 000 Mal mehr Stars als noch Ende der Achtzigerjahre (Schätzung). Um genau zu sein, reden wir hier von Social-Media-Stars, also Menschen, die deshalb Stars sind, weil sie viele Social-Media-Fans haben. Das große Versprechen des Social-Media-Zeitalters ist dabei, dass man erstmals keine überragenden Talente braucht, um heutzutage ein Star zu sein. Der moderne Star geht noch zur Schule, kann weder singen noch schauspielern, noch würde er in irgendeiner sportlichen Disziplin besonders hervorstechen, und trotzdem verfügt er über 900 000 Fans. Und genau das macht diese jungen Influencer so interessant für die Werbewirtschaft: Sie sind die perfekte Identifikationsfläche für ihre genauso normalen Fans.

Das Prinzip Influencer-Marketing lässt sich am besten am Beispiel von YouTubern erklären, also Menschen, die regelmäßig Videos von sich auf YouTube senden und in einer perfekten Symbiose mit den Interessen ihrer Fans und den Interessen der Werbewirtschaft leben. Besonders eindrucksvoll: Beauty Blogger. Mehrmals pro Woche präsentieren meistens junge Damen Schminktipps, für die sie natürlich real existierende Produkte verwenden. Unternehmen wie L’Oréal haben also ein Interesse, dort ihre Produkte zu platzieren, während Zuschauer ein Interesse haben, die vorgestellten Produkte auch kaufen zu können. Für die Werbewirtschaft ist damit ein Traum wahr geworden: Echte Menschen präsentieren Produkte über einen Zeitraum, der als klassische TV-Werbung unbezahlbar wäre. Aber es kommt noch besser: Diese Menschen werden von der Zielgruppe nicht als bezahlte Models wahrgenommen, sondern als Freunde. Influencer haben, wie der Name schon sagt, einen Einfluss auf ihre Follower, weil sie eben keine unnahbaren Stars sind, sondern ihren Anhängern das Gefühl geben, diese könnten an ihrem Leben teilhaben. Der unbezahlbare Wert für die Werbewirtschaft liegt auf der Hand: Wer sein Leben mit mir teilt, dem vertraue ich um ein Vielfaches mehr als einer Person, die ich hin und wieder in People-Magazinen sehe.

Bevor ich erkläre, wie YouTuber Geld verdienen, muss ich noch einmal betonen: Es sind nicht kreative Inhalte, die einen jungen Menschen zum Fan eines YouTubers machen. Es ist die Person. In ihren erfolgreichsten Videos sitzen YouTuber ohne Schnitt vor der Kamera und reden über sich und ihre Gefühle. Ein Sketch, ein Kurzfilm oder eine Kunstperformance wären mit Sicherheit origineller, aber nicht das, was die Fans sich wünschen. Für Menschen, die mit halbwegs professionell hergestellten Medienprodukten aufgewachsen sind, ist es immer wieder unerklärlich, wie sich Teenager stundenlang andere Teenager anschauen können, die nicht mehr tun, als normale Teenager zu sein. Und damit 500 000 Views pro Video generieren. Aber genau diese Nähe zieht Fans von YouTubern immer wieder vor den Bildschirm. Einen wesentlichen Reiz macht auch ein konkretes Das-könnte-ich-auch-Gefühl aus, das unter anderem dafür sorgt, dass YouTuber bei Schülern schon länger ganz oben auf der Liste der Berufswünsche steht. Glauben Sie mir, für diese Erkenntnis habe ich lange gebraucht, und der Weg dorthin war nicht frei von psychischen Schmerzen.

Fangen wir also an: Ein YouTuber ist quasi sein eigener Privatsender. Im Schnitt erscheinen drei Videos pro Woche, die durchschnittlichen Produktionskosten pro Clip liegen im mittleren zweistelligen Bereich. Meistens reichen eine Kamera und zwei Licht-Panels aus, erstaunlich viele YouTuber verzichten sogar auf ein Ansteckmikrofon. Mit so einem überschaubaren Set-up lassen sich 500 000 Fans langfristig bequem bespielen. Da YouTube Google gehört, kann man die Clips ebenfalls über das AdSense-System monetarisieren, nur werden hier keine Banner, sondern kurze Werbefilme vor die Videos geschaltet. Das generiert Einnahmen, aber weil wir hier über das Prinzip »Geld verdienen als Influencer« sprechen, möchte ich gleich zum Influencer-Aspekt springen: Unternehmen haben schnell erkannt, dass ihre Produkte in den Händen eines YouTubers eine hochprofitable Form des Marketings sind und ganz anders gehandhabt werden als Product Placement in den traditionellen Medien. Wo ein Unternehmenslogo in der Unschärfe eines ARD-Tatorts regelmäßig für Entrüstungsstürme sorgt, gehört die offene Präsentation eines Produkts bei YouTubern zum guten Ton. In sogenannten HAUL-Videos zeigen YouTuber in 20 Minuten 20 Produkte, und zwar nicht im Kontext einer Storyline, vielmehr ist die Produktpräsentation der Content. Wer jetzt denkt »Das schaut doch keine Sau«, der irrt: HAUL-Videos erfreuen sich ebenso vieler Zuschauer wie ein hochpersönlicher Seelenstriptease.

Die Vermittlung zwischen Marken und YouTubern übernehmen in der Regel Influencer-Agenturen beziehungsweise Influencer-Netzwerke. Wenn also Ferrero ein besonders schlankes, schönes Model sucht, um Nutella auch bei figurbewussten Teenager-Mädchen ganz nach oben zu bringen, kann sich das Unternehmen an eine dieser Agenturen wenden. Sein Produkt wird dann in einem YouTube-Clip präsentiert, der je nach Reichweite des Influencers 100 000 bis 900 000 Kontakte erzielt. Die Reichweite entscheidet dabei natürlich auch über das Honorar.

Abb. 2Sie präsentiert ihren Lieblingsaufstrich aus tiefster Überzeugung. Andernfalls wiese eine Einblendung auf eine Werbung hin.

Laut einer Preistabelle, die der Süddeutschen Zeitung im Februar 2015 vorlag, erhielt die damals 25-jährige YouTuberin Nilam Farooq alias »daaruum« 12 800 € pro Kooperation, einen Post über Instagram gab es bereits für 2970 €. Das klingt viel, ist auch viel, aber aufgrund meiner sieben Jahre in der Werbebranche kann ich Ihnen versichern: Im Gegensatz zu klassischer Werbung (Print, TV, Radio) ist das unschlagbar günstig.

Wer sich als erwachsener Mensch zum ersten Mal durch das Video-Archiv einer Beauty-Vloggerin (= Video-Bloggerin) klickt, ist zunächst schockiert. Hier werden Produkte mit so viel Nachdruck gelobt, dass der Betrachter vermuten muss, die Protagonistin würde mit dem Tod ihrer Familie erpresst. Noch viel größer aber ist das Problem der klaren Kennzeichnung als das, was es ist: knallharte Werbung. Dem durchschnittlichen Teenager von Verstand wurde lange Zeit suggeriert: »Ich war heute bei Rossmann und habe mir von meinem Geld diese zehn Produkte gekauft, deren Namen ich deutlich ausspreche und ohne die ich mir ein Leben in Würde nicht mehr vorstellen kann.« Das ist laut Telemediengesetz Schleichwerbung:

Schleichwerbung ist immer dann gegeben, wenn der redaktionelle Gehalt mit Werbung vermischt wird, ohne dass die Werbung als solche kenntlich gemacht wird. Nach dem Telemediengesetz (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 TMG) ist Schleichwerbung verboten, denn die sogenannte »kommerzielle Kommunikation« muss deutlich als solche erkennbar sein. Auch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (§ 4 Nr. 3 UWG) sind verschleierte geschäftliche Handlungen mit Werbecharakter unzulässig.

Nur: Wo kein Kläger, da kein Richter. Erst seit Mitte 2017 gehen die Landesmedienanstalten gegen Schleichwerbung im Sinne des Telemediengesetzes vor und leiten formale Verfahren ein. Bis dahin waren Fans, YouTuber, Unternehmen und Vermarkter unter sich: eine Standleitung ungefilterter Werbebotschaften direkt ins Kinderzimmer. Das ist für Eltern und Jugendschützer nur schwer zu ertragen, zumal die Kennzeichnungspflicht, auch wenn sie eingehalten wird, meiner Einschätzung nach unzureichend ist. Wenn sich ein YouTuber hundertprozentig absichern möchte, ist das mit einer winzig kleinen Einblendung »Werbesendung« laut Telemediengesetz gegeben.

In der Regel gilt jedoch: Weist mir doch erst mal nach, dass für diesen Inhalt Geld geflossen ist. Und so besuchen 17-jährige Influencer ihre Fans in einem nagelneuen Mercedes-Modell, das perfekt ausgeleuchtet effektiv vier Minuten lang zu sehen ist. Anschließend gibt es eine kurze Umarmung mit dem Fan, und das Video mit dem Titel »OMGICHÜBERRASCHEEINENFAN!!!« ist vorbei.

Aber auch wenn Jugendschützern bei diesem Gebaren das Messer in der Tasche aufgeht, darf man nicht vergessen, die Meinung der Nutzer zu hören. Im Rahmen der ARTE-Dokumentation »Re: Mein Leben als Werbefläche – YouTube und die Generation Z« befragte das Team bei einer Meet-and-Greet-Veranstaltung Englands erfolgreichster YouTuber die Fans nach ihrer Haltung gegenüber Product Placement und Schleichwerbung. Die überraschend selige Antwort lautete unisono: Das gehört dazu, ich mag’s, wenn mir Tanya Bakes (Englands erfolgreichste YouTuberin) neue Produkte zeigt. Wenn sie’s selbst nicht mag, würde sie es nicht empfehlen.

Sätze wie diese treiben Marketing-Leuten auf der ganzen Welt Tränen der Freude in die Augen. Oder wie Marketing-Experte Ricky Ray Butler in der gleichen Dokumentation erklärt: Durch YouTube können Unternehmen, Influencer und das Publikum zum ersten Mal Werbung gemeinsam genießen. Das kann man krank und rundheraus abstoßend finden, doch eine Mehrzahl der Teenager hat kein Problem damit, ihren YouTube-Stars dabei zuzusehen, wie sie den Traum eines jeden Jugendlichen leben: Man wird den ganzen Tag mit Produkten zugeschüttet und muss nichts anderes tun, als darüber zu reden. Ich teile Ihre Befürchtung, dass hier einem Ultramaterialismus Vorschub geleistet wird, der nicht zwingend die sympathischsten jungen Erwachsenen produzieren muss. Gleichzeitig haben ältere Generationen schon immer vorhergesagt, dass ihre Nachfolger das Abendland in den Untergang reißen werden. In zehn Jahren wissen wir mehr.

Die Instagram-Mafia

Nachdem Facebook den Online-Dienst Instagram 2012 für eine Milliarde Dollar übernahm, wurden in der Foto- und Video-Community sukzessive Mechanismen eingeführt, die bereits bei Facebook für mehr Interaktion sorgten. Viele Instagram-User der ersten Stunde erinnern sich noch mit Schrecken an den März 2016, als Instagram ein Update seines Algorithmus ankündigte, das versprach, auf intelligente Weise den Content rauszufiltern, der ohnehin langweilig ist. Bis dahin erschienen im Newsfeed des Instagram-Users alle Content-Anbieter, denen er folgte, gleichgewichtet in der zeitlichen Reihenfolge ihres Content-Uploads. Ab April galten dann neue Regeln, die Facebook-Nutzer schon kannten und ohne größeren Aufruhr akzeptiert hatten: Je mehr soziale Interaktionen (Likes, Comments etc.) ein Foto sammelt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit seiner Sichtbarkeit. Umgekehrt bleibt Content mit weniger sozialen Interaktionen als irrelevant im Filter hängen. Eine wesentliche Rolle für die Relevanz des einzelnen Beitrags spielt außerdem die Relevanz des Absenders. Hohe Fanzahlen sind daher die besten Voraussetzungen, vom Algorithmus begünstigt zu werden. Mit diesem Update begann der teilweise existenzielle Run auf Likes und neue Follower, denn viele Instagram-Influencer lebten bereits von Werbeeinnahmen.

Die ersten Profiteure waren Unternehmen, die Fans und soziale Interaktionen verkaufen. Das klingt dubios, gehört aber zum ganz normalen Marketing. Googeln sie einfach mal nach »Fans kaufen«, sie werden seriöse Unternehmen finden, die sich auch nicht Fake-Fan-Börse, sondern Marketing-Service nennen. Auf likeskaufen.eu gibt’s 1000 Facebook-Fans für 23,79 €, 500 Instagram-Follower kosten 47,59 €, 50 000 YouTube-Views erhalten Sie für 199,99 €. Das ist gemessen am Effekt extrem günstig. Social-Media-Services geben artig an, gegen das Treiben mit gekauften Likes intensiv vorzugehen, aber dazu müssten sie beweisen können, dass die sozialen Interaktionen gekauft sind. Im Sommer 2017 wurde eine sogenannte Klickfarm in Thailand entdeckt. Die Polizei fand selbst gebaute Metallregale, an denen unzählige Smartphones angebracht waren. Die »Klickarbeiter« tätigten die gekauften Likes per Hand.

Auf diese Weise handgemachte, kommerzielle Likes von echten Menschen sind für einen Algorithmus zur Stunde nicht von tatsächlichen Likes zu unterscheiden, weil Algorithmen keine Intentionen verstehen. Die Anbieter gehen dabei sehr sorgfältig vor und verteilen 5000 Likes auf YouTube über einen längeren Zeitraum, ebenso wird die Herkunft der Interaktionen aus Thailand, Bangladesh oder der Ukraine über sogenannte Proxy-Tools verschleiert. Und das sind nur die preiswerten Möglichkeiten. Der heilige Gral auf Instagram ist der »Verified Badge«. Das ist ein kleiner blauer Haken, den Instagram 2014 einführte, um Fake-Profilen zu begegnen. Ein »Verified Badge« bedeutet: Dieser Instagram-Account wurde von echten Instagram-Mitarbeitern geprüft und ist das Original. Der Badge ist nicht nur ein Symbol, sondern führt auch zu einer höheren Sichtbarkeit. Und hier wird’s geheimnisvoll: Es gibt auf offiziellem Weg nichts, was Sie tun können, um den Verified Badge zu bekommen. Allerdings existiert ein Schwarzmarkt. Im September 2017 berichtete das Magazin Mashable von einem Mittelsmann, der einen Instagram-Mitarbeiter bestochen habe, einen Verified Badge für einen Kunden freizuschalten. Laut Mashable sind dabei 15 000 Dollar geflossen.

Spätestens seit dieser Meldung fällt immer häufiger das Wort Instagram-Mafia. Und hier der komische Teil: Der aktuelle Trend im Marketing lautet: Runter von der klassischen Werbung, rein ins Influencer-Marketing. Doch wenn schon Social-Media-Kanäle nicht zweifelsfrei falsche von echten Fans unterscheiden können, wie soll es dann werbenden Unternehmen gelingen? Für Betrüger ist es ein Leichtes, sich 100 000 Instagram-Fans und authentisch wirkende Interaktionen für kleines Geld in Niedriglohnländern zu kaufen. Laut Forbes stellen Top-Influencer bis zu 25 000 Dollar für einen Post auf Instagram in Rechnung.

Eine Fake-Community kann sich also schnell auszahlen. Nehmen wir an, das fiktive Unternehmen BeautyBootie fährt eine Kampagne für seinen neuen Lippenstift »GlossyStrike«. Das Marketingziel: Der Hashtag #GlossyStrike muss 2000 Mal auf Instagram verwendet werden. Dafür kauft BeautyBootie für 5000 € einen Post bei der fiktiven Instagram-Betrügerin Farina Fakemann. Diese streicht 4000 € ein und überweist die restlichen 1000 € an eine Klickfarm in Thailand mit dem Auftrag, den Hashtag #GlossyStrike in den Stunden nach Zahlungseingang 2000 Mal auf Instagram zu erwähnen. Alle wären zufrieden, obwohl kein echter Mensch den Hashtag gelesen hätte. Die Marketingabteilung von BeautyBootie hätte die Zielvorgaben erreicht, die vermeintlich logisch mit der Investition in Farina Fakemann zusammenhingen. Dass de facto kein einziger Lippenstift mehr verkauft wurde, kann 1000 Ursachen haben.

Die PR-Agentur Mediakix veröffentlichte im August 2017 ein Experiment, bei dem sie zwei fiktive Instagram-Nutzerinnen erschuf, für die sie Fake-Follower kaufte. Die falschen Nutzerinnen »calibeachgirl310« und »wanderingggirl« wurden mit Fotomaterial aus kostenlosen Bilddatenbanken zum Leben erweckt. Nachdem rund 80 000 Follower für beide Profile aktiviert waren, wendete sich Mediakix an Agenturen für Influencer-Marketing und hatte sofort vier Angebote, unter anderem von einem Unternehmen für Bademode, in der Tasche. Insgesamt investierte die Agentur 1000 Dollar für Fake-Follower, Fake-Likes und Fake-Kommentare und hatte innerhalb von 24 Stunden zwei marktreife, aber falsche Influencer erschaffen.

Abb. 3Sieht aus wie echt, ist aber ein Model, das mit gekauften Followern auf einflussreich getrimmt wurde: »calibeachgirl310«.

In den Anfangsjahren des Internets wussten große Player, dass jederzeit ein besserer Konkurrent am Markt auftauchen und binnen weniger Jahre der eigenen Firma den Rang ablaufen kann. Der ehemalige Marketingverantwortliche der Plattform MySpace, Sean Percival, erinnerte sich 2015 auf einer Konferenz daran, wie Facebook als damals kleiner Wettbewerber in den Markt drang. MySpace war so etwas wie ein soziales Netzwerk für Künstler, vor allem Musiker. 2003, als MySpace gegründet wurde, ahnte noch niemand, dass einmal Privatpersonen ohne Talente in einem Online-Netzwerk aktiv sein könnten. Am 9. August 2006 durchbrach MySpace die 100-Millionen-Mitglieder-Marke.

Im Rückblick identifizierte Percival jede Menge Probleme, angefangen von Sicherheitslücken, die nie in den Griff bekommen wurden, über pornografischen Content, dem man nicht Herr wurde, bis hin zu ungeschickter und als penetrant empfundener Werbung, was die Nutzer in Summe zu Facebook flüchten ließ. Facebook platzierte Werbung lange Zeit sehr dezent, weshalb frühe Beobachter immer wieder rätselten, womit das Unternehmen eigentlich Geld verdiente. Bei MySpace wurde hingegen durch unterschiedliche Beteiligungen ein klarer Fokus auf Monetarisierung gelegt. Oder wie Percival sagt:

Es ging nur um Monetarisierung. Geld verdienen, jeden Dollar aus der Plattform pressen … Facebook war der große Gewinner. Kein Fokus auf Monetarisierung. Kaum Werbung in den ersten Jahren. Und wenn sie Werbung einsetzten, dann taten sie es sehr dezent, sehr unaufdringlich.