Das Kind seines Bruders - Marianne Schwarz - E-Book

Das Kind seines Bruders E-Book

Marianne Schwarz

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Die junge Frau, die in Hamburg aus dem Fernzug stieg, sah krank und elend aus. Sie war nicht sehr groß und zierlich. Üppige schwarze Locken umrahmten ein zartes, auffallend trauriges Gesicht. Ja, diese Traurigkeit, diese verzweifelte Traurigkeit war der jungen Frau anzusehen. Aber es war niemand da, der sie in Empfang nahm, der sie tröstete, ihr Hilfe anbot. Auf einem so großen Bahnhof hat jeder mehr oder weniger mit sich selbst zu tun. Die meisten Menschen sind in Eile, für andere liegen Wiedersehensfreude und Abschiedsschmerz dicht beieinander, es gibt Wartende und Müßiggänger, gibt Taschendiebe, Obdachlose, schräge Existenzen, Menschen in echter Not… jeder hat seine Probleme, man achtet kaum auf seine Mitmenschen. Und so fiel auch diese junge, krank aussehende Frau niemandem auf. Sie trug schwer an ihrem einzigen Gepäckstück, einer Reisetasche aus grauem Nylongewebe, deren Reißverschluß nur zur Hälfte geschlossen war. Sie trug schwer daran – und doch irgendwie behutsam, und als sie, nachdem sie aus dem Zug ausgestiegen war, einen hastigen, verstohlenen Blick in die Tasche warf, füllten sich ihre großen dunklen Augen mit Tränen. Vielleicht merkte sie es nicht einmal, denn sie ordnete sich nun in den Strom der anderen Reisenden ein, die dem Ausgang zustrebten. Draußen auf dem Bahnhofsvorplatz blickte sie sich suchend um. Nein, sie erwartete nicht, von jemandem begrüßt zu werden. Sie hielt Ausschau nach einem Taxi. Sie hatte Glück, es waren viele da, sie brauchte nicht zu warten. Nachdem sie vorsichtig mit ihrer Tasche in den Wagen eingestiegen war, reichte sie dem Fahrer einen zerknitterten Zettel, den sie aus der Tasche ihrer hellen Jacke genommen hatte. Der Fahrer, ein älterer freundlicher Mann, glättete den Zettel, warf einen Blick darauf und fragte: »Da wollen Sie hin?« »Ja« »ist das möglich? Kennen Sie die Straße?«

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Mami – 1955–

Das Kind seines Bruders

Das Findelbaby aus Hamburg

Marianne Schwarz

Die junge Frau, die in Hamburg aus dem Fernzug stieg, sah krank und elend aus. Sie war nicht sehr groß und zierlich. Üppige schwarze Locken umrahmten ein zartes, auffallend trauriges Gesicht. Ja, diese Traurigkeit, diese verzweifelte Traurigkeit war der jungen Frau anzusehen. Aber es war niemand da, der sie in Empfang nahm, der sie tröstete, ihr Hilfe anbot.

Auf einem so großen Bahnhof hat jeder mehr oder weniger mit sich selbst zu tun. Die meisten Menschen sind in Eile, für andere liegen Wiedersehensfreude und Abschiedsschmerz dicht beieinander, es gibt Wartende und Müßiggänger, gibt Taschendiebe, Obdachlose, schräge Existenzen, Menschen in echter Not… jeder hat seine Probleme, man achtet kaum auf seine Mitmenschen.

Und so fiel auch diese junge, krank aussehende Frau niemandem auf. Sie trug schwer an ihrem einzigen Gepäckstück, einer Reisetasche aus grauem Nylongewebe, deren Reißverschluß nur zur Hälfte geschlossen war. Sie trug schwer daran – und doch irgendwie behutsam, und als sie, nachdem sie aus dem Zug ausgestiegen war, einen hastigen, verstohlenen Blick in die Tasche warf, füllten sich ihre großen dunklen Augen mit Tränen. Vielleicht merkte sie es nicht einmal, denn sie ordnete sich nun in den Strom der anderen Reisenden ein, die dem Ausgang zustrebten.

Draußen auf dem Bahnhofsvorplatz blickte sie sich suchend um. Nein, sie erwartete nicht, von jemandem begrüßt zu werden. Sie hielt Ausschau nach einem Taxi. Sie hatte Glück, es waren viele da, sie brauchte nicht zu warten. Nachdem sie vorsichtig mit ihrer Tasche in den Wagen eingestiegen war, reichte sie dem Fahrer einen zerknitterten Zettel, den sie aus der Tasche ihrer hellen Jacke genommen hatte.

Der Fahrer, ein älterer freundlicher Mann, glättete den Zettel, warf einen Blick darauf und fragte: »Da wollen Sie hin?«

»Ja«, nickte die junge Frau,

»ist das möglich? Kennen Sie die Straße?« Sie hatte eine angenehme, weiche Stimme mit südlichem Tonfall. Aber die Stimme klang auch sehr ängstlich, so als fürchtete die junge Frau, daß der Fahrer vielleicht verneinen könnte, daß er ihr sogar sagen würde, diese Straße gäbe es gar nicht in Hamburg.

Doch der Mann lächelte seinem ängstlichen Fahrgast beruhigend zu. »Natürlich kenne ich die Goethestraße in Altona. Das ist kein Problem. Also, los geht’s. Schnallen Sie sich bitte an. Sie wissen ja, das ist bei uns Vorschrift.«

Die junge Frau ließ nicht erkennen, ob sie von dieser Vorschrift wußte oder nicht. Sie folgte jedenfalls der Aufforderung des Fahrers und schaute dann, als der Wagen sich in Bewegung setzte, demonstrativ aus dem Fenster und machte damit deutlich, daß sie nicht in ein Gespräch verwickelt werden wollte.

Der Taxifahrer respektierte natürlich den unausgesprochenen Wunsch, aber er dachte bei sich, daß dem jungen Ding, so elend es aussah, ein freundliches Gespräch bestimmt nicht schaden würde. Aber das war natürlich nicht seine Entscheidung, er hoffte nur, daß die junge Frau dort, wohin sie nun gebracht werden sollte, Freundlichkeit finden würde.

Und Hilfe. Ja, Hilfe brauchte sie wohl auch. Der Taxifahrer war ein erfahrener Mann, er wußte seine Fahrgäste in der Regel richtig einzuordnen.

»Goethestraße«, sagte er schließlich. »Wir sind gleich da. Welche Hausnummer?«

Doch die junge Frau schüttelte den Kopf. »Lassen Sie mich aussteigen, wenn wir in der Goethestraße sind.«

»Wissen Sie die Hausnummer nicht?«

»Nein. Aber das ist unwichtig.«

»Na gut. Wie Sie meinen.«

An der nächsten Ecke ließ der Fahrer den Wagen auslaufen. »Das ist die Goethestraße«, sagte er.

»Ja, danke. Was muß ich zahlen?«

Der Fahrer nannte den Betrag und nahm das Geld in Empfang. »Kommen Sie denn allein zurecht?« fragte er. »Kann ich noch etwas für Sie tun?« Die junge Frau sah so hilflos aus, er mochte sie gar nicht gern allein lassen. Und auf der Straße war offensichtlich auch niemand, der auf sie wartete.

»Nein, nein, danke. Ich brauche keine Hilfe. Sie waren sehr freundlich. Danke.«

Ein wenig schwerfällig, so als hätte sie Schmerzen, kletterte sie aus dem Wagen, nahm die graue Reisetasche an sich und schenkte dem Fahrer ein kleines Lächeln, hinter dem sich wieder diese große Traurigkeit verbarg. Der Mann merkte es wohl, aber er wußte auch, daß er nichts tun, nicht helfen konnte, so leid es ihm auch tat. Also nickte er der jungen Frau nur aufmunternd zu, sagte freundlich: »Alles Gute für Sie«, und setzte sein Fahrzeug wieder in Bewegung.

Die junge Frau, ihre Reisetasche behutsam, fast zärtlich an sich gedrückt, wartete, bis der Wagen um die Ecke verschwunden war. Dann erst sah sie sich suchend um. Ja, da war das Straßenschild – Goethestraße, las sie. Und die Hausnummer wußte sie sehr genau, sie hatte sie nur nicht nennen wollen. Goethestraße siebenundzwanzig.

Das Haus war schnell gefunden. Viel zu schnell, fand die junge Frau, und ihre Schritte wurden immer schwerer, immer langsamer. Aber da war das Haus, und da war die Eingangstür – genau so, wie sie es in der Beschreibung gelesen hatte. Noch einen Augenblick zögerte die junge Frau, es sah so aus, als wolle sie umkehren, zurücklaufen, aber sie tat es nicht.

Alle Überlegungen, Unsicherheiten, die verzweifelte Suche nach einem anderen Ausweg lagen hinter ihr. Der Entschluß war gefaßt, er war unwiderruflich, denn sie wußte ja, es gab keine andere Lösung. Also ging sie nun entschlossen auf die Tür zu, die so lag, daß sie von der Straße her vor Einsicht ziemlich geschützt war.

Und da war sie… die Klappe in der Tür. Etwa dreißig Zentimeter hoch und siebzig Zentimeter breit. Eine Stahlklappe, die man von außen sehr leicht öffnen konnte. Die junge Frau tat es nun ohne weiteres Zögern, und gleich hinter der Klappe sah sie dann das Babybettchen.

Sauber, einladend, ein Wärmebett, das einem Neugeborenen Geborgenheit verhieß. Ein Informationsblatt war auch da, und ein Stempelkissen und Papier.

Die junge Frau hatte die Reisetasche auf den Boden gesetzt und öffnete den Reißverschluß nun ganz. Mit einem leisen, verzweifelten Weinen nahm sie das Bündel heraus, das sie in dieser Tasche transportiert hatte – es war ein Baby. Ihr Baby!

Es hatte ruhig geschlafen, öffnete nun die großen dunklen Augen, was der jungen Frau beinahe die Fassung raubte. Sie schluchzte laut auf, bedeckte das süße Gesichtchen mit Küssen, sie schmeckte ihre eigenen salzigen Tränen, und sie wußte nicht, wie sie das durchstehen sollte, was sie nun tun mußte. Rasch wollte sie das Bündel in das Wärmebettchen legen, aber ihr Blick fiel auf das Stempelkissen.

Wenigstens ein Erinnerungsstück wollte sie von ihrem Kind behalten, und dafür hatten liebevolle und fürsorgliche Menschen die Utensilien wohl auch bereitgestellt. Weinend schälte die unglückliche junge Mutter eines der winzigen Händchen aus der schützenden Decke, drückte es auf das Stempelkissen, dann auf das daneben liegende Papier, ein letzter, inniger, verzweifelter Kuß… dann legte die junge Frau ihr Kind behutsam in das Wärmebettchen. Sie nahm das Blatt Papier an sich, schloß die Stahlklappe, die sich nun, das wußte sie, nicht mehr öffnen lassen würde… und dann lief sie davon.

Blind vor Tränen, das Blatt Papier an sich gepreßt. Das einzige, was sie nun noch von ihrem Kind hatte.

*

Eigentlich hätte Kinderarzt Dr. Achim Rutten an diesem Wochenende dienstfrei gehabt. Aber die Kollegin Marion Frey wollte gern Zeit für ihren Sohn Timmy haben, der am Sonntag seinen zehnten Geburtstag feiern würde. Dr. Rutten hatte bereitwillig der Änderung des Dienstplanes zugestimmt. Er selbst hatte noch keine Familie, und die zu erwartende leichte Verärgerung von Helga nahm er in Kauf. Helga hatte doch gerade geklagt, daß sie mehr Zeit brauche für den Papierkram in ihrem Geschäft. So würde er ihr also vorschlagen, daß sie das Wochenende dazu nutzen sollte.

Helga Brinkmann war die recht erfolgreiche Inhaberin einer kleinen, schicken Boutique in der Innenstadt. Sie war für ihn das, was man heute so Lebensgefährtin nennt, das heißt, sie beide besaßen noch keinen Trauschein, hatten sich aber bereits vor längerer Zeit eine behagliche gemeinsame Wohnung eingerichtet. Eine spätere Heirat war zwar beschlossen, über den Zeitpunkt hatten sie aber noch nicht geredet. Sie waren beide zufrieden mit dem Leben so wie sie es führten. Sie mochten sich sehr, kamen gut miteinander aus, und größere Probleme hatte es bisher nicht gegeben.

Also war damit wohl auch kaum zu rechnen, als Achim Rutten der Änderung des Dienstplanes zugestimmt hatte. In dieser Hinsicht hatte der junge Arzt sich auch nicht getäuscht. Aber er konnte natürlich auch nicht ahnen, daß dieser Dienstplanwechsel schicksalhaft für ihn und auch für einige andere Menschen sein sollte.

So war er also der diensthabende Arzt in der Kinderklinik, als der Anruf kam, ein Säugling sei in der Babyklappe in der Goethestraße abgegeben worden. Die verzweifelte junge Mutter war da wohl noch auf dem Rückweg zum Bahnhof, da bemühte man sich schon um ihr Kind, für das sie selbst nicht sorgen konnte.

Gleich nachdem sie die Klappe geschlossen hatte, erschien nämlich auf dem Monitor eines Wachdienstes, der rund um die Uhr von ehrenamtlichen Mitarbeitern besetzt war, eine Bildaufnahme des Wärmebettchens mit dem darin liegenden Baby. Telefonisch wurde daraufhin eine Mitarbeiterin des Babynotdienstes informiert, die dann schon innerhalb weniger Minuten vor Ort war. Liebevoll nahm sie das Baby an sich und brachte es sofort in die Kinderklinik, wo man das Projekt »Babyklappe« natürlich kannte und auf derartige Fälle vorbereitet war.

So stand der diensthabende Art Dr. Achim Rutten mit seinem Team auch schon bereit, als Frau Weber mit ihrem Schützling ankam.

»Na, wen bringen Sie uns denn da?« fragte Dr. Rutten.

»Ich glaube, das ist etwas ganz besonders Süßes«, sagte Frau Weber und übergab das in eine weiße Wolldecke eingepackte Päckchen Schwester Monika. »Schauen Sie nur, diese schwarzen Löckchen und die großen dunklen Augen.« Zärtlich fuhr sie mit dem Finger über die rosig angehauchte Babywange, und der Säugling verzog das Mündchen, als wolle er gleich zu weinen beginnen.

»Du wirst Hunger haben, mein Schätzchen«, sagte Schwester Monika. »Warte nur, gleich haben wir ein feines Fläschchen für dich. Zuerst wollen wir mal sehen, ob du gesund und sauber bist.«

Sie hatte das Kleine auf den Untersuchungstisch gelegt und packte es nun vorsichtig aus den Decken aus. »Ein Mädchen«, sagte sie mit einem liebevollen Lächeln. »Proper und anscheinend auch gesund. Schauen Sie, Doktor!«

Dr. Rutten beugte sich nun auch über die Kleine. Auch seine Hände waren sehr behutsam, richtig zärtlich. »Ja«, sagte er, »sauber und gepflegt. Und anscheinend auch gesund, soweit man das auf den ersten Blick feststellen kann. Nicht gerade fachmännisch abgenabelt, aber auch nicht stümperhaft.«

»Wie alt ist die Kleine wohl?« fragte Schwester Monika.

»Schwer zu sagen«, meinte Dr. Rutten. »Kaum älter als eine Woche, würde ich sagen. Und vielleicht nicht einmal das.«

Er wandte sich an Frau Weber. »Von der Mutter wissen Sie nichts?«

Frau Weber schüttelte den Kopf. »Nein, gar nichts. Sie wissen doch, Herr Doktor, in unserer Babyklappe können Frauen, die keinen anderen Ausweg wissen, ihr Kind völlig anonym abgeben. Sie brauchen nicht zu befürchten, daß man sie verfolgt oder nach ihnen sucht. Und sie machen sich ja auch in keiner Weise strafbar. Das würde eine Mutter nur tun, wenn sie ihr Kind in einer hilflosen Lage zurücklassen würde, wenn sie es also irgendwo aussetzt. Bringt sie es aber zu unserer Babyklappe, so kann sie sicher sein, daß für ihr Kind gesorgt ist. Und darum hat sie auch keine juristische Verfolgung zu befürchten, wenn sie sich zu diesem Schritt entschlossen hat, aus welchen Gründen auch immer. Aber das wissen Sie ja alles selbst, Herr Doktor.«

»Ja, ja, natürlich weiß ich das. Aber es könnte doch sein, daß die Mutter irgendeine Nachricht hinterlassen hätte. Über den Zeitpunkt der Geburt des Kindes zum Beispiel.«

»Nein, wir haben nichts gefunden.«

»Na gut. Wissen wir also gar nichts über dich, kleines Mädchen. Nur, daß du schwarze Löckchen und dunkle Augen hast und auch sonst wohlgestaltet bist. Zehn Fingerchen, zehn Zehen, ein pralles Körperchen…«

Behutsam drehte der Arzt den Säugling auf den Bauch. »Ei, was haben wir denn da? Schauen Sie mal, Schwester Monika.«

Die Kinderschwester hatte es auch schon gesehen, und auch Frau Weber beugte sich näher über die Kleine.

»Ist das ein Muttermal?« fragte sie und berührte vorsichtig den dunklen Punkt auf der linken Schulter des Säuglings.

»Das ist ein Muttermal«, nickte der Arzt.

»Schauen Sie mal, wie seltsam es geformt ist«, sagte Schwester Monika lächelnd. »Sieht es nicht aus wie ein winziges kleines Kleeblatt? Ein vierblättriges Kleeblatt.«

»Nur mit einiger Phantasie könnte man das vielleicht wirklich erkennen«, schmunzelte der Arzt. »Aber nun versorgen Sie die Kleine erst einmal, die gründlicheren Untersuchungen nehmen wir später vor. Erst einmal das Fläschchen. Die Kleine soll sich doch wohl fühlen bei uns.«

Das Baby hatte inzwischen zu weinen begonnen, es hatte wohl Hunger. »Warte nur, mein kleiner Spatz«, sagte Schwester Monika beruhigend und hüllte die Kleine vorsichtig wieder ein. »Erst gibt’s ein feines Fläschchen, und später machen wir große Toilette, mit Bad und neuer Kleidung. Wie findest du das? Und ein wunderschönes Bettchen haben wir auch für dich.«

Frau Weber sah lächelnd hinter der Schwester her, die mit dem Säugling auf dem Arm den Raum verließ. »Wieder ein Kind, das wir vor einem ungewissen Schicksal bewahren konnten«, sagte sie zufrieden, »Doch wie mag es jetzt wohl der Mutter zumute sein, die ihr Kind zu uns gebracht hat?!«

»Ja, darüber denken wir am besten nicht nach«, meinte Dr. Rutten. »Vielleicht ist sie sehr unglücklich, weil sie sich von ihrem Kind trennen mußte, aus welchem Grund auch immer. Vielleicht ist sie ja auch erleichtert, weil sie sich von einer Last befreien konnte. Wir wissen es nicht, und vielleicht ist das auch ganz gut so, daß wir es nicht wissen.«

»Und das Kind wird es auch niemals erfahren«, fügte Frau Weber versonnen hinzu.

»Richtig. Und auch das ist möglicherweise ganz gut so.«

*

Achim Rutten hatte seine Partnerin durchaus richtig eingeschätzt. Helga Brinkmann schmollte längst nicht mehr, als er an diesem Tag nach Hause kam. Sie empfing ihn lächelnd, und Achim fragte überrascht: »Hey, ist etwas Besonderes?«

Helga Brinkmann war eine äußerst attraktive Blondine, und es gehörte nicht nur zu ihrem Job, sondern auch zu ihrem Stil, daß sie immer sehr gut gekleidet war. Sie verstand es großartig, aus der jeweiligen Moderichtung das gerade für sie besonders Passende herauszufinden und dann mit manchmal recht ausgefallenen Accessoires ihre ganz besondere Note zu gestalten. Insofern war sie selbst für ihre Boutique der beste Werbeträger.

Aber auch in der Freizeit und zu Hause achtete sie immer darauf, irgendwie apart und auf keinen Fall alltäglich gekleidet zu sein.