Wenn Kindertränen fließen - Marianne Schwarz - E-Book

Wenn Kindertränen fließen E-Book

Marianne Schwarz

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Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! »Bringst du mir ein Mondschiff mit, wenn du wiederkommst, Vati? Weißt du, so ein richtiges großes, das auch fliegen kann. Und einen Helm brauche ich dann auch, und so ein dickes Paket auf dem Rücken und…« Die blauen Augen des kleinen Andy strahlten vor Begeisterung. Er sah sich schon als kühnen Astronauten, bewundert und beneidet von seinen Spielgefährten. Frank Bender, Andys Vater, wirkte nicht sehr glücklich in diesem Moment. Er stand an seinem Wagen, hatte den Türgriff bereits in der Hand und schaute seinen Sohn ganz merkwürdig an. Anders als sonst jedenfalls, und das fiel sogar dem Siebenjährigen auf. »Oder ist das zu teuer, Vati?« fragte er zaghaft. Auf seiner Stirn bildeten sich niedliche Dackelfalten vom angestrengten Nachdenken. Er schien mit sich zu kämpfen, doch dann meinte er großzügig: »Das Mondschiff brauche ich nicht so ganz nötig, Vati. Wenn ich bloß einen Helm bekommen könnte? Er muß aber tüchtig blitzen, und vorn muß er ein Fenster haben. Oder… oder ist das auch zu teuer?« Frank Bender räusperte sich. Er zwang sich zu einem Lächeln. »Darüber mache dir keine Gedanken, mein Junge. Ich werde es schon bezahlen können. Du bekommst das Mondschiff und den Helm.«

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Leseprobe: Baby Blues

Romantische Liebesgeschichten voller Herz, Schmerz und Dramatik werden von den besten Schriftstellerinnen erzählt. Wie aufregend und spannend die Liebe sein kann, wird von der ersten bis zur letzten Seite fesselnd geschildert. Man möchte diese süchtig machenden Romane in einem Atemzug regelrecht verschlingen...

Mami Bestseller – 47 –

Wenn Kindertränen fließen

Andy will nicht auf seinen Vater verzichten

Marianne Schwarz

»Bringst du mir ein Mondschiff mit, wenn du wiederkommst, Vati? Weißt du, so ein richtiges großes, das auch fliegen kann. Und einen Helm brauche ich dann auch, und so ein dickes Paket auf dem Rücken und…«

Die blauen Augen des kleinen Andy strahlten vor Begeisterung. Er sah sich schon als kühnen Astronauten, bewundert und beneidet von seinen Spielgefährten.

Frank Bender, Andys Vater, wirkte nicht sehr glücklich in diesem Moment. Er stand an seinem Wagen, hatte den Türgriff bereits in der Hand und schaute seinen Sohn ganz merkwürdig an. Anders als sonst jedenfalls, und das fiel sogar dem Siebenjährigen auf.

»Oder ist das zu teuer, Vati?« fragte er zaghaft. Auf seiner Stirn bildeten sich niedliche Dackelfalten vom angestrengten Nachdenken. Er schien mit sich zu kämpfen, doch dann meinte er großzügig: »Das Mondschiff brauche ich nicht so ganz nötig, Vati. Wenn ich bloß einen Helm bekommen könnte? Er muß aber tüchtig blitzen, und vorn muß er ein Fenster haben. Oder… oder ist das auch zu teuer?«

Frank Bender räusperte sich. Er zwang sich zu einem Lächeln.

»Darüber mache dir keine Gedanken, mein Junge. Ich werde es schon bezahlen können. Du bekommst das Mondschiff und den Helm.«

»Wirklich, Vati?«

Lieber Himmel, wie die Kinderaugen strahlen konnten!

Sanft streichelte er über Andys borstiges Blondhaar, und am liebsten hätte er ihn auf die sommersprossige Stupsnase geküßt.

»Du kannst dich darauf verlassen, Andy. Ich schicke dir die Sachen.«

»Schicken? Aber Vati, du sollst sie doch bloß mitbringen, wenn du wiederkommst.«

Der Mann biß sich auf die Lippen. Da hatte er sich ja beinahe verraten, und das wäre gegen die Absprache mit seiner Frau gewesen. Unwillkürlich streifte sein Blick den Kofferraum des Wagens. Dort war nahezu seine gesamte persönliche Habe verstaut, das war alles andere als normales Reisegepäck. Aber davon hatte Andy natürlich keine Ahnung.

»Es dauert diesmal ein bißchen länger, bis ich wiederkomme, Andy«, sagte Frank Bender vorsichtig. »Da müßtest du zu lange warten.«

Andy nahm die Pose ein, die er irgendwann einem Erwachsenen abgesehen hatte und die er wohl für sehr männlich hielt. Er verschränkte die Hände auf dem Rücken, schob das rechte Bein etwas vor und neigte das Köpfchen auf die linke Schulter. Und auch seine Stimme klang recht wichtig, als er nun bedächtig sagte: »Das ist nicht so schlimm, wenn ich warten muß, Vati. Das tue ich gern. Du sollst doch dabeisein, wenn ich das Mondschiff auspacke und ausprobiere. Weißt du, das ist Männersache, das ist nur etwas für uns beide. Die Frauen verstehen nichts davon. Dazu brauche ich dich.«

Die Frauen, die Andy bei seinen Worten mit einer etwas geringschätzigen Handbewegung bedachte, waren seine ansonsten innig geliebte Mutti und das vierjährige Schwesterchen Imma, bei dem Andy die reizendsten Beschützerinstinkte entwickelte.

Aber mit dem Vati fühlte er sich als eine Einheit, das war etwas ganz anderes. Sie beide waren eben die Männer in der kleinen Familie, und das verband.

Frank Bender wurde unter dem klaren, vertrauensvollen Blick Andys ausgesprochen unbehaglich zumute. Wie hilfesuchend blickte er zum Fenster der im ersten Stock gelegenen Wohnung hinauf. Er wußte, daß dort hinter dem Vorhang seine Frau Astrid stand.

Vermutlich würde sie das Töchterchen auf dem Arm haben, und in ihren Augen blinkten Tränen.

Nein, das war keine schöne Situation! Das war fatal, ganz fatal.

»Ich schicke dir deine Mondausrüstung trotzdem, Andy«, sagte Frank Bender rasch. »Hast du schon einmal ein Paket bekommen?«

Andy schüttelte stumm den Kopf.

»Na, siehst du«, fuhr Bender fort, »so ein Paket ist eine besonders feine Sache. Es steht dein Name darauf, und es ist nur für dich bestimmt«

»Für mich ganz allein?«

»Natürlich! Der Postbote bringt es, du darfst es auspacken, und dann gehören die Sachen, die drin sind, dir.«

»Hm! So ein Paket möchte ich schon mal bekommen.«

»Also abgemacht, Andy. Ich werde sehen, wo ich ein Mondschiff mit dazu passendem Helm auftreibe, und dann bekommst du es geschickt.«

»Ich mache es dann auf und spiele schon mal damit«, willigte Andy nach kurzem Zögern ein. »Wenn du dann nach Hause kommst, weiß ich schon alles und kann es dir zeigen.«

»Das ist fein«, erwiderte der Mann gepreßt. »Jetzt muß ich aber wirklich fahren, Andy. Auf Wiedersehen, mein Junge. Sei schön brav, und mache der Mutti keinen Kummer, hörst du!«

»Ach wo, Vati, du kannst dich doch auf mich verlassen.«

»Das weiß ich, Andy. Du bist ein lieber Junge, und… und ich bin sehr stolz auf dich.«

Frank Bender schien es jetzt tatsächlich sehr eilig zu haben. Er schaute sich nicht mehr um, blickte auch nicht mehr zum Fenster seiner Wohnung hinauf, sondern er stieg rasch in das Auto, schlug die Tür hinter sich zu und startete so abrupt, als gelte es, ein Rennen zu gewinnen.

Wie immer sonst winkte Andy hinterher, aber heute erschien die Hand des Vaters nicht im Seitenfenster, der Abschiedsgruß des Kindes wurde nicht beachtet, und Andy ließ enttäuscht das Händchen sinken.

Aber vielleicht, so tröstete Andy sich, hatte der Vati gerade aufpassen müssen. Vielleicht war da ein Hund vors Auto gelaufen oder es war ein Radfahrer da. So viel verstand Andy schon vom Autofahren, daß man dann besonders scharf aufpassen mußte – da konnte Vati natürlich nicht zurückwinken. Ja, so war es sicher gewesen.

Andy war schon wieder vergnügt. Er lief durch den kleinen Vorgarten auf das Haus zu und hastete dann die Treppe hinauf.

Er mußte doch der Mutti so rasch wie möglich erzählen, daß er ein richtiges Mondschiff bekommen sollte.

*

Astrid Bender stand tatsächlich am Fenster. Sie war eine hübsche blonde Frau und hatte die gleichen strahlendblauen Augen wie ihr Sohn.

Doch jetzt strahlten die schönen blauen Augen nicht. Sie waren eher verschleiert.

Es kostete Astrid unendliche Mühe, das Weinen zurückzuhalten, nach außen hin ruhig und gelassen zu erscheinen. Das glaubte sie den beiden Kindern schuldig zu sein, die sie nicht mit ihrem Leid belasten wollte.

Wie sollten der siebenjährige Andy und die vierjährige Imma auch begreifen, daß der heißgeliebte Vati eines Tages erklärt hatte, er könne nicht mehr bei seiner Familie bleiben, weil es eine andere Frau gäbe, die ihm die Ruhe geraubt hätte, die er so leidenschaftlich liebte, daß er sich ein Leben ohne sie einfach nicht mehr vorstellen könnte.

Nein, so etwas vermochten Kinder nicht zu begreifen, wie es auch Astrid nicht begreifen konnte, immer noch nicht.

Sie war glücklich gewesen in ihrer Ehe. Sie hatte ihren Mann aus ganzem Herzen geliebt, und sie war so sicher gewesen, genauso geliebt zu werden. Nie hatte es einen ernsthaften Streit gegeben zwischen ihnen, nie war etwas Böses in ihre Gemeinsamkeit gedrungen. Sie hatten eine harmonische Ehe geführt, und Astrid hatte geglaubt, es müsse immer so bleiben.

Der Schlag traf sie völlig unvorbereitet, und er traf sie um so härter.

»Mutti, der Vati hat nicht mehr gewinkt, als er weggefahren ist«, berichtete Andy aufgeregt, kaum daß er im Zimmer war. »Sonst hätte er sicher einen Fußgänger überfahren. Und ich bekomme ein Paket, ein richtiges Paket für mich allein, mit einem Mondschiff drin. Da staunst du aber, was?«

»Ja, Liebling, da staune ich«, antwortete Astrid mit mühsamen Lächeln. Sie konnte nicht verhindern, daß ihre Stimme zitterte.

»Hast du Schnupfen, Mutti?« fragte Andy aufmerksam.

»Nein, ich habe keinen Schnupfen.«

»Du siehst aber so komisch aus, Mutti.«

»Ach was, Andy, das denkst du dir nur.«

»Deine Augen sind ganz anders als sonst«, beharrte Andy.

Nun meldete sich auch Imma, die sich in Muttis Arme gekuschelt hatte.

»Mutti hat geweint«, berichtete sie wichtig.

Doch Andy war in keiner Weise beunruhigt.

»Muttis weinen doch nicht«, erklärte er großspurig. »Das tun bloß so kleine Zimperliesen, wie du eine bist, Imma.«

Doch das wollte die Vierjährige nicht auf sich sitzen lassen. Flink rutschte sie von Muttis Armen herunter.«

»Du weinst auch mal, Andy!«

Angriffslustig marschierte sie auf den Bruder zu.

»Nö, tue ich nicht.«

»Du hast aber schon mal geweint!«

»Na ja, da war ich auch noch kleiner. Jetzt weine ich nicht mehr. Ich bin doch ein Mann.«

»Ist ja nicht wahr! Vati ist ein Mann. Du bist bloß ein kleiner Junge.«

»Ich bin kein kleiner Junge! Ich bin schon ganz groß! Ich gehe ja schon zur Schule. Und ich werde auch mal ein Mann!«

»Und ich werde mal eine Mutti«, konterte Imma würdevoll. »Das kannst du aber nicht werden, ätsch! Weil du so kurze Haare hast.«

Normalerweise hätte Astrid wohl über dieses bestechende Argument ihres Töchterchens gelacht, doch jetzt war sie eigentlich nur froh, daß die Kinder mit sich selbst zu tun hatten. So konnte sie sich unbeobachtet rasch mal über die Augen wischen, sie konnte das Schluchzen, das ihr in der Kehle saß, herunterschlucken.

*

Während Astrid die Trauer in ihrem Herzen verschloß und sich liebevoll um ihre Kinder kümmerte, fuhr Frank Bender dem entgegen, was er sein neues Leben nannte.

Er hatte sich den Entschluß nicht leichtgemacht, und auch jetzt wurde er noch von Zweifeln geplagt, ob er das, was er getan hatte, auch verantworten könnte. Aber er war machtlos gewesen gegen den Sturm in seinem Innern, er hatte sich nicht gegen die Leidenschaft wehren können, die ihn so plötzlich und mit überwältigender Macht überfallen hatte.

Er war sicher, daß das Schicksal ihn auf diesen Weg führte, den er selbst eigentlich nur gewollt hatte, und er war nicht stark genug, sich gegen das Schicksal aufzulehnen.

So hatte es zu dieser Stunde, zu diesem Schritt kommen können. Die Familie, auf die Frank Bender so stolz gewesen war, die ihn glücklich und froh gemacht hatte, sie blieb nun hinter ihm zurück.

Vorn aber, am Ende des Weges, den er jetzt eingeschlagen hatte, wartete Lenore.

Ein erwartungsvolles Lächeln umspielte die Lippen des Mannes, wenn er an das kapriziöse, schlanke, langbeinige Mädchen mit der rotblonden Mähne und dem erregenden Schmollmund dachte.

Lenore Vorwerck – allein der Name war schon Musik in den Ohren von Frank Bender.

Tatsächlich, er war ein beneidenswerter Glückspilz, daß Lenore, die aufregend schöne einzige Tochter des reichen Industriellen Julius Vorwerck, sich ausgerechnet in ihn verliebt hatte.

Gewiß, Frank Bender hatte keine Minderwertigkeitskomplexe. Er wußte, daß er nicht nur in seinem Beruf tüchtig war, sondern daß er auch sehr gut aussah. Er war schon immer das gewesen, was man einen ausgesprochenen Frauentyp nannte. Er war groß und hatte breite Schultern, sein Haar war pechschwarz wie das eines Südländers, und die Augen waren von einem leuchtenden Blau.

Dazu hatte Frank Bender ein sehr einnehmendes Wesen, er war charmant und gewandt, er verstand es, Frauen nette und meist auch ehrlich gemeinte Komplimente zu machen, und er wußte sich auf gesellschaftlichem Parkett zu bewegen.

Ein Mann also, mit dem jede Frau sich sehen lassen konnte! Bisher aber war Frank Bender seiner eigenen Frau treu gewesen. Er liebte Astrid, er war glücklich mit ihr, und er hatte sich niemals eine Änderung gewünscht.

Dann aber war Lenore Vorwerck wie ein Sturmwind in sein bis dahin so ruhiges Leben eingebrochen, sie hatte alles durcheinandergewirbelt, was bisher so sicher und festgefügt schien, und sie hatte so mit Haut und Haaren von ihm Besitz ergriffen, daß er sich ein Leben ohne Lenore einfach nicht mehr denken konnte.

Mit solchen Gedanken erreichte Frank Bender seinen neuen Wohnort. Er bog in die Straße ein, wo er sich eine Wohnung gemietet hatte.

Es war eine stille Vorortstraße mit eleganten Appartementhäusern zu beiden Seiten. Das Haus, vor dem Bender seinen Wagen ausrollen ließ, war mit hellem Marmor verkleidet, es hatte große, breit ausladende Fenster und, was man von der Straße aus nicht sehen konnte, geräumige Loggien zur Südseite hin.

Schon von außen konnte man ungefähr erahnen, wie hoch hier die Mieten sein mußten, und Frank Bender hatte so etwas wie ein schlechtes Gewissen, wenn er daran dachte.

Er verdiente als Abteilungsleiter nicht gerade schlecht, aber er war doch alles andere als ein Krösus. Eine solche Luxuswohnung war ihm eigentlich zu aufwendig, aber Lenore hatte darauf bestanden, daß er sich hier einmietete.

Nun ja, Repräsentation gehörte auch zu seinem neuen Leben.

Er verließ seinen Wagen und ging auf das Haus zu. Zum erstenmal würde er sein neues Heim betreten. Zum erstenmal würde er nicht mehr von seiner Frau Astrid begrüßt werden, würden ihm nicht die Kinder entgegenlaufen.

Er hätte selbst nicht gedacht, daß er so viel zurückdenken würde – aber das war natürlich nur am Anfang so. Und es war wohl auch erklärlich. Damit beruhigte Frank Bender sich selbst.

Er schloß die Tür seiner im ersten Stock gelegenen Wohnung auf, wollte eintreten – und wäre beinahe rückwärts zu Boden gestürzt. So heftig nämlich warf sich Lenore ihm in die Arme, die ihn hier ohne sein Wissen erwartet hatte.

»Frank, Liebling, endlich bist du da! Ich bin beinahe gestorben vor Langeweile und Sehnsucht nach dir.«

Frank Bender schloß Lenore innig in seine Arme. Er war glücklich. Nun war er doch nicht in eine leere Wohnung gekommen. Er war erwartet worden.

»Wie schön, daß du hier bist, Lenore! Das hatte ich gar nicht zu hoffen gewagt. Ach, du, ich bin so froh!«

Er küßte sie so voller Glück und Leidenschaft, als hielte er sie zum erstenmal in den Armen, und Lenore erwiderte seine Küsse mit ungestümer Zärtlichkeit.

»Eigentlich habe ich dich ja bestrafen wollen, weil du mich so lange hast warten lassen«, flüsterte sie zwischendurch, »aber dann müßte ich mich ja auch selbst bestrafen, wo ich mich doch so nach deinen Küssen gesehnt habe. Ach, Frank, du machst mich ganz verrückt!«

»Ich möchte dich nicht verrückt, sondern glücklich machen, mein Herz!«

»Das eine schließt das andere wohl nicht aus. Komm, küß mich, Frank! Ich bin wie eine vertrocknete Pflanze, du hast mich zu lange allein gelassen.«

Eine solche Aufforderung brauchte Lenore natürlich nicht zu wiederholen, Frank kam ihr zu gern nach.

»Komm, nun wollen wir aber endlich hineingehen«, sagte er nach einer Weile ganz atemlos. Sie standen noch immer in der Diele.

Sofort wurde Lenore munter. »Augen zu!« befahl sie.

»Aber warum denn? Was ist denn los?«

»Wirst du schon sehen. Augen auf. Ich führe dich hinein.«

Bender gehorchte. An die kapriziösen Einfälle Lenores würde er sich nun wohl gewöhnen müssen. Er tat es natürlich nicht ungern, denn er fand diese Art äußerst reizvoll.

Aber dann erwartete ihn doch eine böse Überraschung.

»Jetzt darfst du deine Augen wieder aufmachen«, erlaubte Lenore.

Bender öffnete die Augen – und hätte sie am liebsten sofort wieder geschlossen.«

»Was… was ist denn das?« frage er bestürzt.

»Das ist das Nestchen, das ich für dich eingerichtet habe«, erklärte Lenore mit sichtbarem Stolz. »Na, was sagst du nun? Habe ich das nicht fein gemacht? Das Beste war mir gerade gut genug für dich. Und du mußt zugeben, daß ich dabei einen ausgezeichneten Geschmack entwickelt habe.«

Ja, das stimmte. Ein Innenarchitekt hätte es kaum besser machen können. Stilmöbel, wertvolle Teppiche und eine moderne, äußerst bequeme, mit Leder bezogene Sitzgarnitur bildeten eine harmonische Einheit. Mandelgrüne Vorhänge umrahmten das Fenster, und Grünpflanzen in üppiger Pracht vollendeten das Bild.«

»Na, gefällt’s dir?« fragte Lenore erwartungsvoll.

»Es… es ist schön, Liebling. Natürlich, sehr schön. Aber ich hatte die Wohnung doch möbliert gemietet. Wo sind denn die anderen Sachen?«

»Ach, das Zeug habe ich auf den Boden schaffen lassen. Das war doch alles nicht gut genug für dich. Serienmöbel, Polstersachen, wie man sie überall sieht. Nein, der Mann, den ich heiraten werde, muß anders wohnen. Ich müßte mich ja sonst schämen, wenn meine Leute zu dir kämen.«

»Soso!«

»Ach, Schatz, nun mach nicht gleich so ein pikiertes Gesicht! Natürlich schäme ich mich nicht deinetwegen. Im Gegenteil, ich bin stolz auf dich, das weißt du doch. Aber die Menschen sind manchmal eben komisch, gerade in unseren Kreisen. Da beurteilt man sich gegenseitig danach, was man an Äußerlichkeiten vorzuweisen hat. Nun ja, und eine anständig eingerichtete Wohnung ist da das mindeste. Das verstehst du doch, nicht?«

»Ich werd’s wohl verstehen müssen. Aber, Liebling, du mußt dich mit dem Gedanken abfinden, daß ich nun einmal kein Millionär bin. Ich kann nicht einfach so aus dem vollen schöpfen. Ein bißchen rechnen muß ich schon.«

Lenore lachte silberhell.

»Ach, Schatz, du bist süß! Du brauchst dir doch keine Geldsorgen zu machen! Ich habe dir zwar die Rechnungen dort auf den Schreibtisch gepackt, aber wenn du willst, nehme ich sie mit, Paps wird das alles gern bezahlen. Es macht ihm Spaß, wenn er mir eine Freude bereiten kann.«

»Untersteh dich!«

Frank Bender wurde nun wirklich ungehalten. Er ging zum Schreibtisch und nahm die Rechnungen an sich.

»Wenn du Wert auf eine gemeinsame Zukunft mit mir legst, Lenore«, sagte er, seine Erregung nur mühsam unterdrückend, »dann mußt du dir eins merken. Für dich spielt Geld zwar keine Rolle, und leider hat dein Vater dich auch viel zu sehr verwöhnt. Aber bei mir darfst du nicht die gleichen Maßstäbe anlegen. Ich verfüge über keine Reichtümer, ich muß für meinen Lebensunterhalt und für den meiner Frau, also für dich, arbeiten. Aber ich gedenke keinesfalls, nun in die Rolle eines ausgehaltenen Schwiegersohnes zu schlüpfen, und ich will mich auch nicht in ein gemachtes Bett legen. Ich habe mich nicht in dich verliebt, weil du die Tochter von Julius Vorwerck bist, sondern weil ich dich mag, dich persönlich! Vielleicht schätzt man mich anders ein, aber das muß ich in Kauf nehmen. Du aber sollst wissen, Lenore, wie die Dinge liegen. Herr im Haus bin ich und bleibe ich. Daran führt kein Weg vorbei. Wenn du das nicht willst, wenn du dir unser Leben anders vorgestellt hast, dann ist es wohl besser, daß wir erst gar nicht anfangen. Noch ist es früh genug. Wir könnten uns trennen, ohne daß es allzuviel Aufsehen erregte.«

Lenore spürte, daß sie wohl zu weit gegangen war.