Das kleine Café in Kopenhagen - Julie Caplin - E-Book
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Das kleine Café in Kopenhagen E-Book

Julie Caplin

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Beschreibung

Eine im wahrsten Sinne süße Liebesgeschichte im idyllischen Kopenhagen - mit sympathischen Figuren, warmherzigem Humor und viel Lokalkolorit! PR-Frau Kate organisiert eine Pressereise nach Kopenhagen. Unter den eingeladenen Journalisten ist auch der zynische Ben, der von dem Hype um den dänischen Hygge-Trend überhaupt nichts hält und eigentlich lieber gegen die Ungerechtigkeit in der Welt anschreiben würde. Kein Wunder, dass zwischen ihm und Kate sogleich die Fetzen fliegen. Überhaupt entpuppt sich die bunte Reisegruppe als reinster Flohzirkus. Aber dem Charme des idyllischen Kopenhagens kann sich auch Ben letztlich nicht entziehen. Und erst recht nicht dem von Kate ...

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Julie Caplin

Das kleine Café in Kopenhagen

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Christiane Steen

 

Über dieses Buch

PR-Frau Kate organisiert eine Pressereise nach Kopenhagen. Unter den eingeladenen Journalisten ist auch der zynische Ben, der von dem Hype um den dänischen Hygge-Trend überhaupt nichts hält und eigentlich lieber gegen die Ungerechtigkeit in der Welt anschreiben würde. Kein Wunder, dass zwischen ihm und Kate sogleich die Fetzen fliegen. Überhaupt entpuppt sich die bunte Reisegruppe als reinster Flohzirkus. Aber dem Charme des idyllischen Kopenhagens kann sich auch Ben letztlich nicht entziehen. Und erst recht nicht dem von Kate …

Eine im wahrsten Sinne süße Liebesgeschichte im idyllischen Kopenhagen

Vita

Julie Caplin liebt Reisen und gutes Essen. Als PR-Agentin hat sie in diversen europäischen Großstädten gelebt und gearbeitet. Vor allem die dänische Hygge-Lebensart konnte sie begeistern – ebenso wie die leckeren kanelsnegle (Zimtschnecken). Kein Wunder, dass in Kopenhagen die Idee zu diesem Roman entstand. Es ist der Auftakt zu einer Reihe, die fortgesetzt wird mit einer Bäckerei in Brooklyn und einer Patisserie in Paris.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel «The Little Café in Copenhagen» bei HarperImpulse / HarperCollinsPublishers, London.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Januar 2019

Copyright © 2019 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

«The Little Café in Copenhagen» Copyright © 2018 by Julie Caplin

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung FAVORITBUERO, München

Coverabbildung Beskova Ekaterina;Iveta Angelova/Shutterstock

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-40519-6

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Für die Kopenhagen-Crew, Alison Cyster-White & Jan Lee-Kelly, meine liebsten Freunde, Komplizen und rundum großartige Reise-Elfen.

#sehrempfohlenereisebegleiter

Teil EinsLondon

Kapitel 1

«Dann bis später.» Ich drückte Josh einen schnellen Kuss auf die Lippen, und wir tauschten ein wissendes Lächeln. Er zog mich an sich und küsste mich noch einmal, diesmal länger, wobei sich seine Hände unter meinen Mantel schoben, meinen Hintern hinabglitten und dann langsam mein Kleid hochzogen.

«Sicher, dass du nicht noch etwas länger bleiben willst?», murmelte er mit rauer Stimme.

«Nein, ich kann nicht. Du kommst zu spät, und …», ich warf einen Blick über meine Schulter, «Dan kann jeden Moment reinkommen.» Sein Mitbewohner hatte die nervige Eigenschaft eines schnüffelnden Labradors, immer im falschen Moment aufzutauchen. Meine Mitbewohnerin Connie besaß da deutlich mehr diplomatisches Gespür – mit anderen Worten, sie besaß im Gegensatz zu Dan soziale Fähigkeiten.

Josh ließ mich los und nahm seine Müslischale wieder in die Hand. Er lehnte sich an den Küchentresen und aß so langsam, als hätte er alle Zeit der Welt.

«Bis später.» Er zwinkerte mir zu.

Ich nahm meine Laptop-Tasche und zog die Haustür seiner Wohnung zu, die sehr viel schöner war als meine, eilte die Straße zur U-Bahn entlang und ging im Kopf alles noch mal durch, was heute anstand.

Dann geschah es: Nach zwei Jahren störungsfreier Fahrt zur Arbeit – mal abgesehen davon, dass es immer stickig und voll in der Bahn ist und die Verspätungen frustrierend sind – verpasste ich heute meine Haltestelle. Zum allerersten Mal. Das hätte mir eine Warnung sein sollen. Aber in London muss man ja immer am Ball sein – man checkt seine E-Mails, seine Nachrichten, die sozialen Netzwerke, alles. Aber ich verpasste meine Station, weil ich dachte: Was für ein totaler Blödsinn, während ich über die Schulter eines Mitfahrers starrte und einen Artikel über den neuesten Lifestyle-Scheiß las: Hygge. Meine Mitbewohnerin Connie hatte mir neulich Abend schon davon erzählt, ein Buch zum Thema dazu geschwenkt und überall Kerzen angezündet, in dem albernen Versuch, unsere triste Wohnung etwas heimeliger zu machen. Was mich betraf, so konnten ein paar Kerzen nichts gegen den grässlichen Geschmack unseres Vermieters ausrichten. Und bevor ich es begriff, hatten sich die Türen bei Oxford Circus geschlossen.

Aber auch wenn ich an der nächsten Station aussteigen und wieder zurückfahren musste, kam ich nicht zu spät, ich war nur später als sonst. Ich bin normalerweise superfrüh bei der Arbeit. Um zu zeigen, wie engagiert ich bin und wie ernst ich meinen Job nehme. Nicht, dass ich damit irgendwelche Bonuspunkte sammeln will – na ja, vielleicht ein paar. Aber vor allem kann ich es tatsächlich kaum abwarten, zur Arbeit zu fahren. Oh Gott, jetzt klinge ich wirklich wie ein arschkriechender Bieber. Aber das meine ich gar nicht. Ich liebe meinen Job in Public Relations. Ich arbeite für eine der besten PR-Agenturen Londons. Ich könnte zwar sehr gut ohne die hierarchischen Strukturen und die Eiertänze um Beförderungen auskommen, und die Bezahlung könnte wirklich deutlich besser sein … Aber das würde sich nun hoffentlich bald ändern, wenn ich nämlich meine seit langem versprochene Beförderung bekam. Dann würde ich etwas mehr verdienen und könnte in eine Wohnung ziehen, wo kein zehn Zentimeter großer blauer Schimmelpilz an der Wohnzimmerwand wächst.

Trotz der verpassten Station war noch Zeit, mir einen Butterscotch Brulée Latte zu gönnen. Und erst als ich in der Schlange stand, sah ich die Nachricht von meiner Chefin Megan auf meinem Display, die mir schrieb, ob ich als Erstes zu ihr kommen könne.

Lächelnd schob ich mein Handy zurück in die Tasche. Ich würde keine Zeit haben, sie noch vor dem großen Agenturmeeting zu treffen, das wir jeden zweiten Freitag abhielten. Alle fünfundfünfzig Angestellte der Agentur kamen zu diesem internen Briefing zusammen, auf dem neue Geschäftsgewinne und überhaupt große Neuigkeiten – wie Beförderungen – bekanntgegeben wurden. Aber ich hatte so eine Ahnung, warum sie mit mir sprechen wollte. Ich hatte lange genug auf diesen Tag gewartet. Vor zwei Wochen war ich meinem leuchtenden Stern gefolgt und hatte mich auf die vakante Position des Senior-Etat-Direktors beworben. Ich war ziemlich – nein, ich war sehr sicher, dass ich die Beförderung verdient hatte. Und tatsächlich hatte Megan bereits ein paar Andeutungen gemacht, dass es schon bald Neuigkeiten für mich gäbe.

Ich wäre vor lauter Aufregung am liebsten die Treppen ganz bis in den dritten Stock gehüpft, aber stattdessen machte ich kleine professionelle Schritte, zu denen mich mein schmales schwarzes Kostüm und die hohen Absätze zwangen – ein Look, den Connie als meinen Hillary-Clinton-Beerdigungs-Look bezeichnete.

Im Meetingraum nahm ich auf einem der ergonomischen Stühle Platz, mit denen mein Körper sich weigerte zu kooperieren. In der limettengrünen Wellenform aus Plastik sollte man eigentlich anständig sitzen können, doch mein Hintern machte mir sehr deutlich, dass er sehr viel lieber unanständig saß.

Ich rutschte immer noch auf dem Stuhl herum und sah mich neugierig um, als die ersten Kollegen hereinkamen. Der Raum war vor kurzem renoviert worden und hatte jetzt diesen Mutter-Erde-Look samt einer drei Quadratmeter großen grünen Wand voller Pflanzen. Bestimmt hausten da drin eine Menge Käfer und andere kleine Monster. Und vermutlich sollte die Wand sowohl inspirierend als auch praktisch sein – die Pflanzen produzierten frischen Sauerstoff (gab es eigentlich so was wie abgestandenen Sauerstoff?), der die Kreativität förderte. Gleichzeitig war ein kleiner Zen-Wasserfall installiert worden, um ruhige, tiefgehende Gedanken zu fördern. Bei mir förderte er allerdings nur das dringende Bedürfnis, auf Toilette zu gehen.

Trotz des angeberischen Designs war ich jedes Mal glücklich, wenn ich mich im Meetingraum umschaute. Ich hatte es geschafft. Ich arbeitete für The Machin Agency, eine der besten Londoner Public-Relations-Agenturen. Ich war auf der nächsten Stufe meines Fünf-Jahre-Karriereplans. Nicht schlecht für ein Mädchen aus Hemel Hempstead, der vermutlich hässlichsten Stadt in ganz England. Und heute würde ich den nächsten Schritt machen.

Der Geschäftsführer kam rein, und zwei Sekunden später huschte Josh durch die Tür. Er schlüpfte gerade noch rechtzeitig auf einen Stuhl in der ersten Reihe und warf mir im Vorbeigehen nur einen kurzen Blick zu. Ich hatte ihm keinen Platz reserviert, und das hätte er auch nicht von mir erwartet. Wir waren uns einig, dass niemand bei der Arbeit wissen musste, dass Josh Delaney und Kate Sinclair zusammen waren, besonders da wir auch noch im gleichen Team der Agentur arbeiteten.

Ed, der Geschäftsführer, hatte eine Reihe von Ankündigungen zu machen, und ich saß gespannt da und wartete.

«Und schließlich möchte ich noch unsere neueste Beförderung bekanntgeben.»

Ich setzte mich ein wenig aufrechter hin und stellte meine Beine nebeneinander, wobei ich mich um einen bescheidenen, aber selbstbewussten Gesichtsausdruck bemühte. Jetzt war es so weit.

«Bitte gratulieren Sie gemeinsam mit mir zur Beförderung zum Senior Account Director: Josh Delaney.»

 

«Kate.» Beim scharfen Ton meiner Chefin blickte ich auf. Wie immer sah sie perfekt aus: Ihr dickes, rotbraunes Haar lag in leichten Wellen um ihren Kopf – feminin, aber nicht zu mädchenhaft; ihr Körper steckte in einem maßgeschneiderten Kleid, das die Figur umschmeichelte, aber nicht zu viel preisgab, und dazu trug sie hohe Schuhe, die sie groß und schlank und zielstrebig aussehen ließen. «Kann ich mit dir reden?»

Ich nickte, weil ich meiner Stimme plötzlich nicht mehr traute – da lag ein Hauch von Mitgefühl in ihrem Ausdruck.

Ich folgte ihr in ihr Büro und schloss die Tür auf ein Zeichen hin, dann setzte ich mich vorsichtig auf das dunkelgraue Retro-Sofa, das einladender aussah, als es war.

«Ich wollte vor dem Meeting mit dir sprechen. Normalerweise bist du dann ja schon hier.»

Ich zuckte mit den Schultern. «Probleme mit der U-Bahn.» Niemals würde ich zugeben, dass ich die Station verpasst hatte. Solche Sachen passierten mir nicht.

Sie verschränkte die Arme und lief im Zimmer auf und ab. «Es tut mir leid, dass du es so erfahren musstest. Ich weiß, du wolltest diese Beförderung, aber … am Ende hat der Vorstand befunden, dass du noch etwas mehr praktische Erfahrung brauchst. Und etwas mehr Gravitas.»

Ich nickte und lächelte mein Ich-möchte-gefallen-und-meine-Chefin-hat-immer-recht-Scheißlächeln. Gravitas? Was zum … Was war das?

«Und …» – ihre geschminkten Mundwinkel zogen sich leicht angewidert nach unten – «du bist immer noch jung.»

Ich war ganz genauso alt wie Josh. Aber ich wusste, worauf sie hinauswollte.

«Sie wollten einen Mann.»

Sie antwortete nicht gleich. Ich verstand ihr Schweigen als Zustimmung.

«Kate … Sie waren sehr beeindruckt von Joshs Ideen für die Hautpflegemarke. Ich glaube, das hat am Ende den Ausschlag für ihn gegeben. Er besitzt Kreativität und diese … Gravitas.»

Ich nickte wieder und fühlte mich langsam wie ein dämlicher Specht. Von wegen Kreativität! Josh war bloß verdammt gut darin, meine Ideen als seine zu verkaufen.

Innerlich kochte ich vor Wut. Während des Meetings war es mir noch gelungen, scheinbar sorglos an meinem lächerlich teuren Butterscotch Brulée Latte zu schlürfen, während ich gleichzeitig schon bereute, das Getränk überhaupt gekauft zu haben. Vor allem aber bereute ich, mich nicht im Verlierergesicht von Oscarnominierten geübt zu haben. Denn zwei Dinge gingen mir so richtig gegen den Strich, nämlich erstens, dass Josh mir gegenüber nicht mal erwähnt hatte, dass er sich für die Stelle bewirbt, und zweitens, dass die «geniale Idee einer Handy-App für eine neue Hautpflege-Kampagne» eigentlich meine war.

«Kate, wir schätzen dich wirklich sehr, und ich bin sicher, dass wir die Dinge in ein paar Monaten noch mal besprechen können.»

Ich hob das Kinn und nickte erneut, doch selbst sie konnte das leichte Zittern meiner Unterlippe erkennen. Auch wenn sie vermutlich nicht ahnte, dass ich mir beim Blick auf die spitzen Absätze meiner schwarzen Ich-werde-heute-befördert-Schuhe vorstellte, wie diese Kontakt mit den Weichteilen einer gewissen Person aufnahmen.

Sie seufzte und schob ein paar Papiere auf ihrem Tisch herum. «Ich habe hier was … das ist gerade reingekommen. Ich schätze, da könntest du mal einen Blick drauf werfen. Wir wollten uns eigentlich gar nicht damit beschäftigen, aber … na ja, du hättest nichts zu verlieren, falls du entscheidest, das zu übernehmen.»

Das klang nicht gerade vielversprechend, aber immerhin.

Ich legte den Kopf zur Seite und gab mich interessiert, während ich versuchte, meine bittere Enttäuschung zu verbergen.

«Lars Wilders hat uns das geschickt.»

«Echt?» Ich runzelte die Stirn. Vor drei Monaten hatte der dänische Geschäftsmann Lars Wilders die Londoner Agenturszene wie liebestolle Groupies zum Twittern gebracht, die ihn alle verzweifelt als Kunden gewinnen wollten.

«Nachdem er erst mit … unserem größten Konkurrenten arbeiten wollte, hat er sich jetzt doch umentschieden. Er sucht weiterhin nach der richtigen Agentur für seine Kampagne zur Eröffnung seines neuen dänischen Kaufhauses. Ihm haben deren Ideen nicht gefallen. Er sucht nach einem frischen Ansatz. Das könnte eine große Chance für dich sein, dich zu positionieren.»

«Aber?», fragte ich, weil ich ihre Befangenheit spürte.

«Er will schon übermorgen eine Präsentation.»

«In zwei Tagen?» Das war doch wohl ein Witz. Aber leider meinte sie es todernst. Normalerweise brauchten wir Wochen, um uns auf eine Präsentation vorzubereiten, die all die singenden und tanzenden PowerPoint-Folien, Hochglanzdrucke und eine gründliche Marktforschung beinhaltete.

«Er fliegt mittags zurück nach Dänemark und will vorher noch reinkommen. Ich wollte ihn schon anrufen und sagen, dass wir nichts für ihn tun können, aber …»

«Ich mache es.» Jawohl. Ich würde es diesem verdammten Josh Delaney und den Agenturbossen schon zeigen.

«Bist du sicher?»

«Ja», sagte ich. Es war wirklich total verrückt, aber niemand sollte sagen, ich hätte es nicht versucht.

«Natürlich erwartet keiner, dass du den Pitch gewinnst, aber es sieht auf jeden Fall gut aus, wenn wir nicht gleich ablehnen. Das Ganze ist ziemlich aussichtslos, aber zumindest haben wir es dann versucht. Und du bekommst eine Menge Bonuspunkte, wenn du es machst.»

«Wie lautet das Briefing?», fragte ich und drückte den Rücken durch. Ich hatte nichts zu verlieren, aber eine Menge zu gewinnen.

Sie hielt ein einzelnes weißes Blatt in die Höhe. Ich musste zweimal hingucken. Wo war die Akte, die wir normalerweise bekamen, mit seitenweise Statistiken und schicken Fonts, Überschriften und Untertiteln über den Ethos, die Werte, den wirtschaftlichen Hintergrund und die Schrittlänge des Marketing-Direktors?

Hjem

Wie bringen wir das Herz von Hygge nach Großbritannien

und auf die Marylebone High Street in London?

«Das ist alles?» Ungläubig starrte ich auf die wenigen Buchstaben, die auf dem reinen, weißen Papier wirkten wie Fußspuren im Schnee. Das sollte meine große Chance sein? Megan wollte mich doch auf den Arm nehmen. Das war ja in etwa so, als sollte ich mit einer Nagelschere den Pitch für das nächste Pokalendspiel im Wembleystadion vorbereiten. Meine Karriere und die Chance, es Josh so richtig zu zeigen, hingen von diesem Zettel ab?

Kapitel 2

«Connie!» Ich stürmte in unsere Wohnung und schüttelte auf dem Weg in die Küche Tasche und Schuhe ab. «Ich brauche deine Hilfe! Und dazu können wir die hier leeren.»

Sie beäugte die Flasche Prosecco in meiner Hand und sprang vom Tisch auf, wo sie hinter ihrem Dauerstapel Schulhefte gesessen hatte.

Unsere Wohnung war ein Glücksgriff gewesen, jedenfalls im Hinblick auf die bezahlbare Miete. Die offene Küche ging ins Wohnzimmer über, das mit einem dünnem Industrieteppich ausgelegt war, durch den man jeden Nagel im Boden spürte. Die spärlichen Möbel machten den Raum nur unwesentlich wohnlicher. Das zentrale Element war der Flatscreenbildschirm, der auf einem DVD-Spieler balancierte, unsere hauptsächliche Unterhaltungsquelle, da wir permanent pleite waren und diverse Nächte mit einer Flasche Wein und in eine Wolldecke eingewickelt auf dem Sofa verbrachten, denn es war immer eiskalt in der Wohnung.

Die Heizung war abhängig von einem Boiler mit besonders arbeitsscheuem Charakter. Unser Vermieter schien nicht besonders interessiert daran, ihn reparieren zu lassen, und wir waren es langsam leid, uns dauernd zu beschweren.

«Ooooh, Prosecco! Und dann noch der gute. Sechs Pfund fünfundneunzig bei Co-op, nehme ich an.» Connies Augen leuchteten auf, wie immer, wenn Alkohol im Spiel war.

«Nein, von Marks & Spencer, Victoria Station. Für neun neunundneunzig. Ich hatte ihn schon gestern gekauft, als ich noch dachte, dass ich befördert werde.»

«Oh, Scheiße. Bist du nicht? Was ist passiert?»

«Der blöde Josh ist passiert.»

«Was hat er getan?» Connie hatte Josh noch nicht kennengelernt, weil er immer wollte, dass wir uns bei ihm trafen.

«Was er getan hat? Er hat mir die Beförderung geklaut. Und weißt du, was er noch getan hat?» Meine Stimme schraubte sich in Höhen, auf die ein Knabenchor neidisch gewesen wäre. «Er hat mir meine Idee geklaut und sie für seine ausgegeben.»

«Konntest du das nicht sagen?»

«Nicht wirklich. Ist etwas schwierig, der Marketing-Direktorin von unserem postkoitalen Gespräch zu erzählen, bei dem ich Josh die Markenstrategie und die Idee für eine neue App erzählt habe.»

Connie hob die Hand. «Viel zu viel Information. Aber mal im Ernst, wenn dein Bettgeflüster so aussieht, dann musst du wirklich mehr unter Leute.»

«Du hättest dabei sein sollen.»

«Ich bin froh, dass ich das nicht war.» Sie holte zwei Gläser. «Was hat er gesagt?»

Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf.

Joshs SMS-Bombardement hatte erst nachgelassen, als ich zustimmte, mich mit ihm im Treppenhaus zu treffen. Niemand in der Agentur nahm jemals die Treppe.

Zumindest hatte er den Anstand, sich bei mir zu entschuldigen.

«Schau mal, Kate, ich verstehe ja, dass du enttäuscht bist. Aber du musst das im Zusammenhang sehen. Ich habe diese App-Idee nur ganz nebenbei erwähnt. Ich habe niemals behauptet, dass sie von mir ist.»

«Aber du hättest mir sagen können, dass du dich auf die Stelle bewirbst! Warum hast du mir das verschwiegen?»

«Ich war ja zuerst gar nicht so wild darauf. Aber dann … na ja, wenn man dreißig wird, fängt man langsam an, über die Zukunft nachzudenken. Für dich ist das ja nicht so wichtig. Aber ich werde eines Tages die Brötchen verdienen müssen. Ich brauche die Beförderung.»

«Moment mal.» Ich wiederholte seine Worte mit so ätzendem Ton, wie mir bei aller Fassungslosigkeit möglich war. «Du wirst eines Tages die Brötchen verdienen müssen?»

Ich legte meine Hände ungläubig an den Kopf. Das konnte doch nicht sein Ernst sein.

«Kate, du wirst mal heiraten und Kinder haben. Du brauchst das Gehalt nicht.»

«I-ich …» Etwas anderes als Stottern brachte ich nicht heraus.

«Komm schon, Daddy wird dir schon unter die Arme greifen, wenn du keine Lust mehr hast, Karriere zu spielen.»

«Was?!» Ich starrte ihn an, und auf einmal fiel mir sein dickliches Kinn auf, die Falten um die Augen, sein dünner werdender Haaransatz und dass sein gutgeschnittener Anzug bloß seinen weichen Bauch verdeckte. «Wer auch immer behauptet hat, Neandertaler seien vor vierzigtausend Jahren ausgestorben, der hat sich definitiv geirrt.»

Mit diesen Worten beendete ich meinen Bericht, füllte uns mit bitterer Miene Prosecco ein und hob mein Glas, um mit Connie anzustoßen.

Sie schnaubte den Prosecco aus beiden Nasenlöchern wieder aus und gackerte, bis ich ebenfalls lachen musste.

«Du verarschst mich doch!»

Connie war praktisch meine Familie. Mein ganzes Leben lang hatte sie neben uns gewohnt. Unsere Mütter hatten sich beim Geburtsvorbereitungskurs kennengelernt, und als wir beide später nach London zogen, war sonnenklar, dass wir zusammenwohnen würden. Wir hatten schon eine Menge miteinander erlebt. Connies Mutter war mit dem Milchmann durchgebrannt – sprichwörtlich –, und meine war ganz plötzlich an einem Aneurysma gestorben. Sie hinterließ ein riesiges Loch in unserer Familie, das niemals richtig geschlossen worden war.

Connie kriegte sich gar nicht mehr ein. «Du sagst deinem Dad am besten, er soll schon mal den Rolls-Royce putzen.»

Ich schüttelte traurig den Kopf, und unser Gelächter erstarb.

«Sorry, Kate, was für ein Arsch, dieser Josh.» Connie wusste, dass ich Dad bei seinen Hypothekenzahlungen unterstützte.

«Schenk nach», sagte sie und hielt mir ihr Glas hin. «Also, hast du ihn abserviert?»

«Das habe ich in der Tat.»

«Braves Mädchen. Und hast du ihm die Eier abgeschnitten?»

«Mist, ich wusste doch, ich hab irgendwas vergessen.»

Wir ließen wieder die Gläser klirren. Connie stützte das Kinn in die Hand, und wir schwiegen eine Weile nachdenklich. Ich hatte Joshs Verrat so leichtfertig erzählt, aber er schmerzte mich. Wir waren nicht lange zusammen gewesen, aber ich hatte es genossen, mal zur Abwechslung einen Partner zu haben. London konnte für Singles ein ziemlich einsamer Ort sein. Es war schön, jemanden zu haben, mit dem man als Paar etwas unternehmen konnte. Wir arbeiteten beide hart, weshalb es mit uns gut funktionierte. Wir hatten so vieles gemeinsam.

«Katie, ist es das wert?» Ihre Stimme klang weich.

Ich schluckte. Connie und ich führten selten tiefschürfende Gespräche.

«Ist es was wert?», fragte ich und leerte mein Glas, wobei ich spürte, wie sich meine Schultern verspannten.

«Du weißt schon. Dein Job. Das ist alles, was du in letzter Zeit tust: arbeiten. Selbst Josh hatte was mit deinem Job zu tun. Brauchst du nicht mal mehr Spaß?»

«Ich habe massenhaft Spaß.» Ich verzog das Gesicht. «Tatsächlich gehe ich demnächst sogar zu einem … Event. Auch wenn ich eigentlich mit Josh hingehen wollte. Apropos: Kann ich mir dafür vielleicht dein blaues Kleid ausleihen?»

«Natürlich kannst du das. Was ist das für ein Event?»

«Ähm … das ist, ähm … so eine feierliche Veranstaltung.»

Connie stöhnte. «Es ist Arbeit, stimmt’s?»

«Es ist eine Preisverleihung. Für die höchste Zeitungsauflage. Aber es wird nett, und ich liebe meinen Job.»

«Ist ja der Hammer.» Sie stellte ihr Glas hin und schob die Schulhefte zur Seite. «Ernsthaft, Katie, ich mache mir Sorgen um dich. Du bist wie so ein kleiner Hamster in seinem Rad. Du läufst und läufst und läufst, und hin und wieder biegst du kurz ab, weil da eine Sonnenblume steht, aber du stopfst sie dir bloß für später in die Backen. Ich arbeite auch viel, aber ich habe wenigstens die Schulferien. Wann nimmst du dir mal frei? Wenn ich am Wochenende nach Hause fahre, dann kümmert mein Dad sich um mich. Wenn du nach Hause fährst, dann machst du bei deinem Dad sauber und räumst hinter ihm und deinen Brüdern auf. Oder ordnest die Küchenschränke neu. Du kannst nicht für alle Zeiten deine Mutter ersetzen, weißt du? Sie müssen es irgendwann mal selbst schaffen.»

«Ich mache mir einfach Sorgen um sie. Und dass Dad nicht ordentlich isst.»

«Und du meinst, das hilft ihnen weiter?»

Es half auf jeden Fall, mein Schuldgefühl zu besänftigen, weil ich die drei verlassen hatte. «Sie sind nun mal meine Familie – ich muss ihnen helfen. Ich verdiene doch viel mehr als sie.»

«Ich weiß, aber ganz ehrlich, dein Bruder John könnte auch mal seinen verdammten Beitrag leisten. Wie viele Jobs hat er schon gehabt? Er kündigt einfach immer, bevor er rausgeworfen wird, weil er ein derartiger Faulpelz ist. Und Brandon …» Ihre Mundwinkel verzogen sich beim Namen meines jüngeren Bruders zu einem kleinen Lächeln. «… der ist zwar anders. Aber er ist auch nicht blöd. Dieses Modell von TARDIS ist unglaublich. Total genial.»

Mein Bruder war ein großer Science-Fiction-Fan und baute in seiner Freizeit lebensgroße Modelle von Sachen aus seinen Lieblingsfilmen und TV-Serien nach.

Connie klopfte ihre Fingernägel gegen das leere Prosecco-Glas und richtete sich auf. «Wenn er mal aufhören würde, dieses bescheuerte FiFa zu spielen, könnte er viel bessere Jobs machen. Mehr als bloß diesen scheiß Teilzeitjob beim Schrotthändler. Und dein Dad ist auch nicht so nutzlos, wie er gern tut.» Sie presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen, als hätte sie damit alles zum Thema gesagt.

Eine unangenehme Stille drohte sich auszubreiten. Ich liebte Connie sehr, und sie verstand mich sicherlich besser als die Männer in meiner Familie, aber niemand außer mir durfte sie kritisieren.

«Du hast gesagt, du brauchst meine Hilfe. Also, wenn es nicht darum geht, den miesen Delaney mit einem sehr scharfen Messer zu zerteilen – was meinem Rektor vermutlich nicht so gut gefallen würde –, was wolltest du von mir?»

«Dieses Buch, das du neulich hattest – das über Kerzen …»

«Die Kunst von Hygge.»

«Von … was? Entschuldigung?» Ich lachte. «Klingt, als müsstest du dich übergeben»

«Nein, du Dussel.» Sie grinste mich an, und wir waren wieder auf Normalnull. «Das ist ein dänisches Wort.» Sie wiederholte es noch mal, und es klang immer noch so, als hätte sie was im Hals.

«Und worum geht es dabei? Dänische Inneneinrichtung?»

Sie sah mich mit aufgerissenen Augen an. «Neeeein, das ist viel mehr. Es ist eine Haltung. Eine Lebenseinstellung.» Sie kramte in der großen Einkaufstasche, die ständig zu ihren Füßen stand. Als Lehrerin schleppte sie immer eine Menge Sachen mit sich herum. «Das stammt von irgendeinem heißen Typen, so ungefähr der dänische Bruder von Viggo Mortensen. Er leitet das Institut für Glücksforschung oder so.»

Ich hob den Kopf, als sie Viggo erwähnte. Seit wir Herr der Ringe gesehen hatten, waren wir beide ernsthaft verknallt in ihn.

«Ich hab alles über Hygge gelesen. Wusstest du, dass die Dänen das glücklichste Volk der Welt sind?»

«Ach ja? Die scheinen aber eine ziemlich hohe Sterblichkeitsrate zu haben, besessene weibliche Detektive und Dauerregen, jedenfalls nach all den Skandinavien-Krimis, die ich gesehen habe. Das wirkt auf mich nicht besonders glücklich.»

«Quatsch. Es geht darum, sich das Leben durch die kleinen Dinge schöner zu machen.» Ihr ernster Gesichtsausdruck bremste mein Lachen. «Darum auch die Kerzen da.» Sie deutete auf drei Kerzen auf dem Kaminsims und verzog das Gesicht. «Sie sollten eigentlich unsere Wohnung gemütlicher aussehen lassen.»

«Funktioniert leider nicht.»

«Ich weiß. Dieser Schimmel an der Wand stört irgendwie.»

«Wir sollten uns doch noch mal beim Vermieter beschweren. Auch wenn ich keine großen Hoffnungen habe.» Ich rieb mir die Schatten unter den Augen. Sie hatte recht mit dem Hamsterrad. Der Tag hatte einfach nicht genügend Stunden. «Ich brauche jedenfalls einen Crashkurs in Hy– … wie auch immer man das ausspricht. Übermorgen habe ich einen Pitch. Kann ich mir dein Buch ausleihen?»

Kapitel 3

Ich war kurz davor, mir die Sache noch mal anders zu überlegen. Heute sollte der Pitch sein. Der größte Pitch meiner Karriere und DIE Chance, Josh und der Geschäftsführung zu zeigen, zu was ich fähig war. Wie konnte ich mich da allein auf ein paar Kerzen, Birkenzweige, eine teure Lampe und die vereinten Anstrengungen von ein paar Agentur-Möbelpackern verlassen? Als Megan mir versprochen hatte, alle Auslagen abzusegnen, hatte sie vermutlich keine Zweihundert-Pfund-Lampe im Sinn gehabt, doch der Effekt ihres sanft-goldenen Lichtscheins war genau der, den ich in Connies Buch gesehen hatte. Ich hatte es von vorn bis hinten durchgelesen, im Internet Bilder von Socken, Kerzen und Liebespärchen unter Kaschmirdecken angesehen, deren behandschuhte Hände sich um Becher mit heißer Schokolade schlossen. Und dann hatte ich einen Einkaufsmarathon hingelegt.

An Müdigkeit war jetzt nicht zu denken. Gestern Abend war ich erst um zehn Uhr abends nach Hause gekommen, weil ich noch die Oxford Street nach Material abgegrast hatte. Anschließend mühte ich mich bis zum frühen Morgen mit der Perfektionierung von traditionellen dänischen Weizenkeksen, die nach Connies fester Überzeugung absolut hygge waren.

Offenbar bezog sich die dänische Liebe zu Kerzen auch auf den Arbeitsplatz, den Ausgangspunkt meiner Kampagne, um Lars Wilders als Kunden zu gewinnen. An diesem Morgen war ich schon um 7 Uhr im Büro, um den kleinsten unserer Meetingräume im Gebäude hyggelig zu machen – ein neues Wort in meinem Vokabular. Es würde nicht leicht werden, das Zimmer gemütlich aussehen zu lassen, aber ich hatte vollstes Vertrauen in meine Kerzen und die teure Lampe.

Es würde außerdem Tee geben – in zwei hellgemusterten Bechern mit einem L und einem K darauf, die ich in einem Einrichtungsgeschäft gekauft hatte – sowie den Teller mit meinen selbstgebackenen Keksen. Und auch wenn diese selbst nach meinem dritten Versuch ziemlich unförmig aussahen, hatte ich ziemlich damit zu tun, meine Kollegen davon abzuhalten, sie zu essen.

Auch das Mobiliar hatte ich verändert. Ich hatte beim Durchforsten sämtlicher Agenturräume zwei Sessel gefunden, die zwar nicht zusammenpassten, aber am bequemsten waren, und sie neben einen recht hübschen Birkentisch gestellt – ein Stück von Ercol, der von einem Fotoshooting übriggeblieben war. Aus einem kleinen Bücherregal, das ich aus einem anderen Stockwerk hatte bringen lassen, hatte ich die Bücher ausgeräumt und mir dann welche mit bunten Buchrücken zusammengesucht, die hübsch aussahen.

Mit den Kerzen hatte ich es nicht übertreiben wollen, sondern mich auf fünf konzentriert: eine geschmackvolle Dreiergruppe auf dem Tisch und zwei auf dem Bücherregal, auf das ich auch alles für eine Tee- und Kaffeezeremonie gestellt hatte. Offenbar ist das eine dänische Spezialität, diese Zubereitung zu zelebrieren.

Ich arrangierte gerade die Birkenzweige in einem fröhlichen gelben Topf, als der Empfang anrief, um mir zu sagen, dass Lars Wilders da war. Die Zweige sahen kein bisschen hygge aus, ganz egal, was ich versuchte, sondern genau wie ein paar Zweige mit Schleife, die jemand in einen Topf gestopft hatte.

 

Lars Wilders, Geschäftsführer des dänischen Kaufhauses Hjem, war natürlich blond, charmant, groß, und er strahlte diese gesunde Frische aus, die man mit Nordeuropäern verbindet. Mit seinen etwa eins neunzig strahlte er definitiv einen Wikinger-Look aus.

«Guten Morgen, ich bin Kate Sinclair.» Ich streckte ihm die Hand entgegen und las an seiner Körpersprache ab, wie entspannt und locker er war – ganz im Gegensatz zu mir, der eine ganze Kiste Frösche im Magen herumhopste.

«Guten Morgen, Kate. Ich bin Lars. Vielen Dank, dass du heute für mich Zeit hattest.»

Ich suchte in seinem Gesicht nach einem Anzeichen von Ironie. Kunden, die unsere Honorare zahlten, erwarteten normalerweise, dass man für sie durch brennende Reifen sprang. Und nicht, dass man sie gleich duzte.

Das gedämpfte Licht im Raum bildete einen starken Kontrast zu den hellen Lampen der Flure, und ich bemerkte, dass Lars Wilders einen zufriedenen Blick durchs Zimmer warf.

«Bitte, nehmen Sie doch Platz. Tee?» Ich führte ihn zu dem abgenutzten Ledersessel, über dessen Armlehne ich eine Decke gelegt hatte. Dem Sessel gegenüber stand ein schicker 80er-Jahre-Ledersessel mit Metallrahmen, der viel bequemer war, als er aussah. Den würde ich nehmen.

Dann beschäftigte ich mich damit, den Tee zuzubereiten. Seltsamerweise erleichterte mir diese Beschäftigung den Smalltalk, und ich erkundigte mich danach, wie seine Reise bisher für ihn gewesen war.

Schließlich setzten wir uns, auch wenn es sich anfühlte, als hätte ich mindestens schon zehn Minuten unseres Meetings damit verschwendet, auf das Teewasser zu warten.

«Tolle Kekse», sagte Lars und griff nickend nach dem zweiten.

«Danke.»

«Selbstgebacken?»

Ich hob die Hände, um anzudeuten, dass das ja keine große Sache sei, und dachte dabei an den Anblick unserer Küche heute Morgen – und an die Berge misslungener Kekse, die sich an der Seite stapelten. Connie und ich würden wochenlang nichts anderes essen.

Er biss wieder ab. «Wirklich sehr lecker.»

«Familienrezept», log ich. Meine Mutter hatte früher manchmal einen simplen Rührkuchen gemacht, aber niemals Kekse gebacken.

«Ach, Familie …» Er lächelte mich breit an und streckte die Hände aus, um die Bedeutung des Wortes zu betonen. «Familie ist so wichtig … und erst Familienrezepte! Meine Mutter ist berühmt für ihre Kanelsnegle.»

Ich neigte den Kopf und lächelte zurück, als wüsste ich, was ein Kanelsnegle war.

«Sie denkt, jedes Problem lässt sich mit Gebäck lösen.»

In meinen Ohren klang das etwas schräg, aber ich sah ihn an, als sei das tatsächlich möglich. Er hatte sie offensichtlich gern.

«Sie führt ein Café namens Varme – das bedeutet Wärme auf Dänisch. Es ist ein ganz besonderer Ort. Meine Mutter liebt es, sich um andere Leute zu kümmern.»

Ich seufzte beinahe laut auf. Wie schön wäre es, jemanden zu haben, der sich um einen kümmert. In den letzten Jahren hatte ich mich ziemlich einsam gefühlt in meinem Hamsterrad.

«Und dieses Gefühl von Wärme und Gemütlichkeit möchte ich nach England transportieren.»

Lars Wilders räusperte sich, und ich stellte erschrocken fest, dass meine Gedanken abgeschweift waren.

«Meiner Mutter würde es hier gefallen», sagte er und schaute sich erneut im Raum um. «Sehr hyggelig. Gut gemacht. Das ist sehr dänisch. Ich sehe, du verstehst Hygge bereits. Auch die Becher gefallen mir.»

«Danke. Und ich freue mich, dass Sie heute hier sind und mir die Gelegenheit geben, mit Ihnen zu sprechen.» Meine formellen Worte vertrockneten mir auf der Zunge, als Lars laut loslachte.

«Nein, tust du nicht. Du verfluchst mich für die kurze Vorbereitungszeit und die wenigen Informationen.» Sein charmanter dänischer Akzent nahm seinen Worten die Unverblümtheit.

In meinem Inneren kämpfte Diplomatie gegen Ehrlichkeit.

Dann lächelte ich ihn an. «Nun, es war nicht gerade der normale Ablauf, aber wir waren fasziniert von dem Auftrag.»

«So fasziniert, dass deine Firma gleich die großen Geschütze aufgefahren hat.»

Vielleicht konnte der Akzent die Direktheit doch nicht ganz überdecken. Als Einzelkämpferin ging ich natürlich nicht als «ein großes Geschütz» durch, aber ich war ein scharfes Geschoss.

«Und selbstgebackene Kekse», fügte er mit charmantem Lächeln hinzu.

«Ich war wie gesagt fasziniert, und eine Herausforderung schreckt mich nicht.» Ich richtete mich auf. «Wie Sie schon sagten, dieses Treffen ist sehr kurzfristig arrangiert worden, aber ich arbeite im Lifestyle Department, zu meinen Kunden gehören eine Möbelfirma, eine Kaffeefirma, ein Kette mit Käseläden und eine Boutique-Hotelgruppe. Ich bin also absolut qualifiziert dafür, Ihren Bereich zu managen. Meine Chefin, die heute den ganzen Tag in Meetings ist …» Innerlich verschränkte ich die Finger. «… ist der Meinung, dass ich die beste Person bin, um mit Ihnen zu sprechen.»

Und nicht die karrierehungrigste.

«Ich habe dir nicht viel Zeit für die Vorbereitungen gegeben, aber du scheinst das ja gut hinbekommen zu haben. Und du hast mich nicht mit E-Mails bombardiert, in denen tausend Fragen standen. Und …» Er sah sich suchend im Zimmer um. Ich ahnte, dass er nach dem Projektor und dem Laptop suchte.

Ich hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. «Ich möchte gern ehrlich sein. Ich habe keine Präsentation vorbereitet. Nicht, weil keine Zeit war, sondern weil ich das Gefühl hatte, dass Sie der Experte sind und genau wissen, was Sie wollen. Ich weiß, Sie haben schon mit unterschiedlichen Agenturen gesprochen, die alle zu den besten gehören. Und alle werden Ihnen brillante Ideen vorgelegt haben, die Sie aber offenbar alle nicht mochten.» Ich sah ihn aufmerksam an. «Ich dachte deshalb, es wäre besser, erst mal mit Ihnen zu sprechen, um herauszufinden, wonach Sie suchen. Die üblichen Antworten scheinen ja nicht weiterzuführen.»

Lars Wilders grinste und stand auf, um im Zimmer herumzugehen, wobei er die Hände auf den Rücken legte. «Ich mag dich, Kate Sinclair, ich mag deine Art zu denken. Wir Dänen ziehen einen sanften Ansatz vor. Und ich merke jetzt schon, dass du das Konzept von Hygge verstanden hast.» So wie er das Wort aussprach, klang es sehr viel weniger bedrohlich und viel gefälliger.

«Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich fürchte, ich habe da noch eine Menge aufzuholen. Sie sollten mal meine Wohnung sehen. Da–»

«Genau», unterbrach er mich. «Jede Agentur wollte uns erklären, was Hygge ist. Aber es ist gar nicht so genau zu definieren und bedeutet für jeden etwas anderes. Wenn es stimmt, dann stimmt es. Ich habe mir so viele Präsentationen angesehen – wenn ich mir noch eine einzige Give-away-Promotion mit Instant-Hygge, Hygge-Make-overs und Hygge-Kurzurlauben anhören muss, dann lasse ich jede einzelne Kerze in England einschmelzen.» Er seufzte. «Die Agenturen, die wir bisher gesehen haben, waren zu … Es ist schwer zu erklären. Sie waren zu …» Er zuckte mit den Schultern. «Viel zu klinisch und geschäftsmäßig.» Dann deutete er lächelnd auf die Kerzen im Raum. «Das hier … du hast es genau kapiert.»

Ich nickte erleichtert und ließ ihn weitersprechen.

«In unserem Kaufhaus, Hjem, wird es um so viel mehr gehen als um Kerzen und Decken und um Produkte, die man kaufen kann – aber jeder scheint zu glauben, dass es bei Hygge nur allein darum geht. Ich möchte, dass die Leute das Konzept in jeder einzelnen Abteilung des Kaufhauses spüren; ich möchte, dass sie Zeit darin verbringen, in der Buchhandlung, in der Küchenabteilung. Es wird Warentresen geben, Sitzecken, Demonstrationen zu Themen wie Blumenarrangements, Kochen, DIY-Postkarten, Stricken, Weihnachtsdekoration … Es soll nicht nur ein Kaufhaus sein, sondern auch ein lebendiger Treffpunkt.»

«Das klingt interessant», sagte ich und fragte mich im Stillen, wie zum Teufel wir das in eine PR-Kampagne integrieren sollten.

«Aber dazu ist es wichtig, dass die Menschen Hygge wirklich verstehen.»

Ich nickte. In meinen Ohren klang die ganze Sache eher etwas kurzlebig.

«Darum möchte ich ein paar Leute mit nach Kopenhagen nehmen und ihnen zeigen, wie wir Dänen leben und wie unsere Gesellschaft funktioniert, damit sie Hygge wirklich schätzen lernen.»

«Das ist eine tolle Idee», sagte ich und dachte: Eine Reise nach Dänemark wäre wirklich nett, noch dazu mit dem charmanten und warmherzigen Lars.

«Siehst du, Kate, und darum weiß ich, dass du die Richtige für diesen Job bist. Jede andere Agentur hat mir gesagt, das würde zu schwierig werden, dass Leute nicht für mehr als eine Nacht nach Dänemark fahren würden. Also, ich glaube, wir werden gut miteinander klarkommen.»

«Wirklich?» Hatte er gerade gesagt, dass ich ihn als Kunden gewonnen hatte?

«Ja. Ich habe mir all diese Agenturen angesehen auf der Suche nach dem passenden Handschuh. Du bist der passende Handschuh. Ich mag deine Art zu denken.»

«Gut, dann sollten wir gleich anfangen.»

«Gerne, dann fangen wir am besten beim Du an.» Er grinste. «Meinst du, du könntest mir eine Liste mit sechs Journalisten zusammenstellen, Kate?»

«Sechs Journalisten?»

«Ja, für die Reise nach Dänemark. Ich denke, fünf Tage wären eine gute Zeitspanne.»

Uff. Mit «Leute» hatte er also Journalisten gemeint. Nicht gerade die ideale Reisebegleitung. «Sechs Journalisten. Fünf Tage», wiederholte ich.

Er nickte. «Perfekt. In fünf Tagen können wir ihnen die schönsten Orte zeigen, die Kopenhagen zu bieten hat, und ihnen alles über Hygge beibringen. Und ich kenne genau die richtige Person, die uns dabei unterstützen kann.»

Oh Scheiße. Kein Wunder, dass die anderen Agenturen alle abgesprungen waren. Ich wusste aus Erfahrung, dass es schwer genug war, Journalisten für einen Abend innerhalb von London zu begeistert, ganz zu schweigen für einen Fünf-Tages-Trip ins Ausland. Wenn ich das hinkriegte, würde das an ein Wunder grenzen. In was hatte ich mich da bloß reinmanövriert?

Kapitel 4

Du Glücksschwein!

Connies Nachricht poppte auf, als ich eine Woche später meiner Presse-Liste den letzten Schliff verpasste. Ich kritzelte noch ein paar weitere Notizen auf das Papier, dann nahm ich mein Handy und schrieb zurück.

Ich bring dir Lego mit.

 

Nimm mich lieber mit. Könnte so tun, als wär ich die Reisekorrespondentin von der Gazette. Merkt doch keiner.

 

Wenn ich total verzweifele, sag ich dir Bescheid.

Ich schwebte immer noch auf Wolke sieben, nachdem ich sämtliche Erwartungen übertroffen und den Pitch gewonnen hatte. Beim Freitagsmeeting galt mir das große Lob, und diesmal gelang mir der bescheidene War-doch-gar-nichts-Besonderes-Oscar-Gewinner-Blick mit einem Extraschlag Nimm das, Josh Delaney.

Der Mistkerl legte seine Hand zu einem gespielten Gruß an seine Schläfe. Vielleicht lag in seinem Blick sogar so was wie Bewunderung. Obwohl er sich natürlich gleich ins erste offizielle Meeting mit Lars als Kunde drängeln musste. Als ich die potenziellen Journalisten für die Reise durchging, musste er unbedingt was dazu sagen, nur um mit seinem Wissen zu prahlen. «Hast du beim Sunday Inquirer angefragt, Kate? Die haben eine doppelt so hohe Auflage wie der Courier. Benedict Johnson ist da der neue Lifestyle-Redakteur.»

Oft wechselten die Korrespondenten von einer Zeitung zur anderen oder von einem Magazin zum anderen, und die meisten Namen hatte ich schon mal gehört. Bei diesem klingelte aber nichts. Typisch Josh, dass er mir mal wieder einen Schritt voraus war.

«Ich rede mit ihm und schaue mal, was er sagt», antwortete ich und schenkte Josh ein gnädiges Lächeln. Er konnte seine miesen Spielchen immer noch nicht lassen.

 

Ich musste also bloß sechs Journalisten finden, die die Reise mitmachten. Leichter gesagt als getan.

«Kann ich bitte mit Benedict Johnson sprechen?», fragte ich mit meiner freundlichsten und frischesten Stimme.

«Am Apparat.» Er klang ziemlich kurz angebunden.

«Hi, ich bin Kate Sinclair von The Machin Agency. Ich–»

«Sie haben fünf Sekunden.»

«Wie bitte?» Ich konnte nicht glauben, dass er das gerade gesagt hatte. In seinen Worten lag unverhohlene Feindseligkeit.

«Vier.»

Eigentlich hätte ich ihn auffordern sollen, sich seine Arroganz sonst wo hinzustecken, aber ich war so fassungslos, dass ich mich für den Vier-Sekunden-Pitch entschied.

«Hätten Sie Interesse an einer Pressereise nach Kopenhagen, um herauszufinden, warum die Dänen als glücklichste Nation der Welt gelten? Es sind fünf Tage zu verschiedenen Zielen, darunter ein Besuch des Dänischen Instituts für Glücksforschung.»

«Nein.»

Und damit legte er auf.

Ungläubig starrte ich aufs Telefon. Was für ein unhöflicher Mistkerl! Dann knallte ich den Hörer auf die Gabel. Arroganter Sack! Was glaubte er eigentlich, wer er war? Was fiel ihm ein, derart unverschämt zu sein?

Ich drückte die Wiederwahltaste.

«Sind Sie immer so unhöflich?», fragte ich, als er abnahm.

«Nein, nur zu PR-Leuten. Und zu Leuten, die behaupten, mein Sodbrennen behandeln zu können. Und zu Zeitverschwendern. Ihr seid alle austauschbar.»

«Und Sie haben auch gar keine Lust, das mal in Frage zu stellen, oder? Sie wissen doch gar nicht, wer hinter der Aktion steckt.»

«Nein. Und es ist mir auch völlig wurscht, selbst wenn es der dänische Kronprinz persönlich ist.»

Wenn jemand derartig unhöflich ist, kann das sehr befreiend sein, denn man kann dann ebenso unhöflich antworten.

«Sind Sie immer so engstirnig?»

«Wie kann ich engstirnig sein? Ich bin Journalist.»

«Auf mich wirken Sie aber so.»

«Warum? Weil ich keine aufgeblasenen PR-Artikel oder Werbetexte schreibe?»

«Ich habe Sie nicht darum gebeten, einen aufgeblasenen PR-Artikel zu schreiben. Ich biete Ihnen die Möglichkeit, mehr über die dänische Lebensweise herauszufinden und was wir davon lernen können.»

«Was zufälligerweise heißen würde, über die Produkte Ihres Kunden zu schreiben.»

«Ja, das wäre nicht ungewöhnlich, aber hier ist es anders.»

«Wenn ich ein Pfund für jeden PR-Typen bekommen würde, der mir das erzählt …»

«Entschuldigen Sie mal, ich bin kein PR-Typ. Ich heiße Kate, und ich mache meinen Job, genau wie Sie. Und wenn Sie mir die Gelegenheit geben würden, Ihnen die Sache zu erklären, anstatt mich die ganze Zeit anzublaffen wie ein tollwütiger Hund, dann würden Sie mitkriegen, dass mein Kunde hier ein Konzept promoten möchte und weniger ein Kaufhaus.»

«Tollwütiger Hund?» Ich hörte ein unterdrücktes Lachen. «Das hat man noch nie zu mir gesagt. Eine Menge anderer Sachen, aber definitiv nicht tollwütiger Hund.»

«Wenn Sie immer so direkt sind, wundert mich das eigentlich. Vielleicht sollte ich Ihnen lieber eine Woche Benimmschule anbieten.» So langsam fand ich Gefallen an der Sache.

«Ach, gibt es so was noch? Das wäre wirklich mal eine Idee für ein Feature …»

«Googeln Sie das gerade?», fragte ich, weil ich seine Tasten klappern hörte.

«Vielleicht. Vielleicht arbeite ich auch, wie ich es eigentlich vorhatte, bis Sie mich unterbrochen haben.»

«Hören Sie, ich habe Sie angerufen, weil ich dachte, es könnte Sie interessieren.»

«Aber Sie kennen mich doch gar nicht.»

«Ich kenne Ihre Zeitung und die Themen, über die in der Lifestyle-Rubrik sonst so berichtet wird. Das hier ist kein product placement.»

«Aha, es gibt also kein Produkt?»

Ich schwieg.

«Ha! Ich wusste es.»

«Es geht um ein neues Kaufhaus, aber vor allem um ein Konzept.»

«Ein Konzept? Das klingt in meinen Ohren ziemlich schwammig.»

Ich verzog das Gesicht. Das Wort klang wirklich dämlich. Aber wenn Lars darüber redete, ergab es alles total Sinn.

«Das Kaufhaus heißt Hjem. In ein paar Monaten wird eine Filiale in London eröffnet, und die Eigentümer möchten vorher eine ausgewählte Gruppe von Journalisten nach Kopenhagen einladen, um das Konzept von Hygge genauer zu erforschen.»

«Hygge!? Bleiben Sie mir weg mit Kerzen und Wolldecken. Darüber ist doch schon alles geschrieben worden.»

«Genau das meine ich. Sie lehnen es ab, ohne überhaupt zu begreifen, worum es geht.»

«Ich brauche gar nichts zu begreifen. Ich bin nicht interessiert. Jetzt nicht und auch nicht irgendwann.»

«Und Sie finden nicht, dass diese Haltung vielleicht doch etwas engstirnig sein könnte?»

«Nein, das nennt man sich selbst gut kennen und sich nicht beeinflussen zu lassen.»

«Kann ich Ihnen wenigstens ein paar Informationen zumailen und den Reiseplan?»

«Nein.»

«Sie wollen sich nicht mal eine kleine E-Mail ansehen?»

«Wissen Sie, wie viele E-Mails ich jeden Tag von PR-Leuten kriege?» Er spuckte das P aus und knurrte das R.

«Sie sind echt mies drauf, oder?»

«Ja, weil nervige Leute wie Sie mich permanent anrufen.»

Ich schnaubte. «Ich glaube, eine Reise nach Dänemark könnte Ihnen guttun. Vielleicht lernen Sie ja sogar was dabei.»

Es gab eine Pause, und ich erwartete schon, dass er wieder den Hörer hinknallte. Stattdessen hörte ich leichte Belustigung in seiner Stimme, als er sagte: «Geben Sie eigentlich nie auf?»

«Nicht, wenn ich an etwas glaube.» Zugegeben, ich spielte ein wenig mit der Wahrheit. Aber ich glaubte wirklich an Lars’ Vision und an das, was er erreichen wollte. Auch wenn ich ehrlich gesagt nicht davon ausging, dass eine Wolldecke und ein paar Kerzen jemals ein Problem gelöst hatten.

«Sorry, ich beiße immer noch nicht an», sagte er, «aber es war nett, mit Ihnen zu reden, Kate, oder wie immer Sie heißen. Sie haben meinen langweiligen Nachmittag aufgeheitert.»

«Freut mich, dass ich Ihnen helfen konnte», sagte ich leicht säuerlich und schaute auf die Uhr meines Handys. «Und diesmal haben Sie mir zwei Minuten und vier Sekunden Ihrer Zeit geschenkt. Vielleicht denken Sie noch mal über die Fünf-Sekunden-Strategie nach.»

Er fing an zu lachen. «Für eine PR-Frau, Kate Sinclair, sind Sie mir richtig ans Herz gewachsen.»

«Schade, dass das nicht auf Gegenseitigkeit beruht», sagte ich so liebenswürdig wie möglich und legte auf.

Ich strich ihn von der Liste und beschloss, es mit den anderen Journalisten zu versuchen, in der Hoffnung, dass sie einer Reise nach Kopenhagen offener gegenüberstanden als Benedict «Tollwütiger Hund» Johnson.

«Hört sich toll an, Darling», sagte die Lifestyle-Redakteurin des Courier, «aber man hat mir schon eine Pressereise nach Doncaster angeboten. Wer hätte gedacht, dass ich mich zwischen Doncaster und Dänemark entscheiden muss?»

«Ich kann Sie doch bestimmt dazu überreden, mit nach Kopenhagen zu kommen.»

«Süße, Sie könnten mich nur allzu leicht dazu überreden. Das Problem ist die Person, die Sie in erster Linie überreden müssten, und zwar der alte Drachen, der Dem-man-unbedingt-gehorchen-muss und der für die Werbeanzeigen zuständig ist. Die Doncaster-Reise wird von einem Mann mit einem Haufen Geld und einem riesigen Anzeigenbudget bezahlt. Und wenn Sie nicht versprechen können, dass Ihr Klient genauso viel für Anzeigen ausgeben wird, dann muss ich leider in den kalten Norden reisen.»

 

Nach etlichen Stunden am Telefon und vielen, vielen E-Mails hatten zu meiner großen Erleichterung drei Journalisten zugesagt: Fiona Hanning, eine Lifestyle-Bloggerin, Avril Baines-Hamilton von der TV-Sendung This Morning und David Ruddings vom Evening Standard. Außerdem sagte Conrad Fletcher zu meiner Überraschung zu, der zynische alte Teufel und sehr altmodische Hochglanz-Magazin-Autor. «Warum nicht? War schon ewig nicht mehr in Kopenhagen und könnte wirklich mal raus hier», waren seine Worte gewesen. «Gott, Sie glauben gar nicht, wie knauserig die heutzutage mit den Spesen sind.»

«Das liegt vielleicht daran, dass Sie zum Essen immer Wein für dreihundert Pfund bestellen», neckte ich ihn. Ich wusste, dass er gern in dieses unglaublich exklusive Restaurant in der Nähe seiner Redaktion ging, und hatte schon mehrmals mit ihm dort zu Mittag gegessen. Er war nicht jedermanns Fall, aber ich mochte seine Gesellschaft. Und seine Kenntnisse über Inneneinrichtung und Designgeschichte waren von enzyklopädischer Größe, ebenso wie sein endloser Fundus an Klatschgeschichten über die Leute in der Branche.

«Sie kennen mich einfach zu gut, Katie-Schätzchen.»

Als letzte Kandidatin hatte ich mir Sophie Bennings von CityZen aufgespart, weil ich sicher war, dass ich sie am ehesten überreden konnte. Sie war eine Freundin von Connie aus Unizeiten, und ich hatte sie ein paarmal getroffen und mochte sie sehr. Ich warf einen kurzen Blick auf meine Uhr und griff dann zum Telefon. Gerade noch genügend Zeit, bevor ich nach Hause eilen und mich für die Preisverleihung heute Abend fertig machen musste. Jetzt, wo ich allein dorthin ging, war es absolut wichtig, Josh unter die Nase zu reiben, was er an mir verpasste.

«Hi, Sophie, hier ist Kate Sinclair. Ich suche nach Journalisten, die Lust auf eine Pressereise nach Kopenhagen haben und –»

«Oooooh, nimm mich, nimm mich!»

«Okay, super.»

Schweigen.

«Wirklich? Du lädst mich ein?»

«Ja. Eine Woche im wunderschönen Kopenhagen.»

«Eine ganze Woche?» Sophie gab ein büroverträgliches Quieken von sich, bevor sie sagte: «Hmmm, lass mich noch mal darüber nachdenken … für etwa eine Nanosekunde. Iiiiik.» Noch ein unterdrücktes Quieken. Dann platzte es aus ihr heraus: «Ja! Ja! Ich bin dabei! Wie herrlich, das wird ja so toll!»

«Ich hab dir doch noch nicht mal die Reisebeschreibung geschickt», lachte ich. «Wenn es nun eine Reise zu den lokalen Kohleminen, Stahlwerken und Plastikfabriken ist?»

«Wen interessiert das? Es gibt Essen. Das ist alles, was ich brauche. Oh, wie aufregend!»

«Ich maile dir gleich die Einzelheiten.»

«Kann es gar nicht abwarten. Ich bin noch nie in Skandinavien gewesen. Oh, ich muss unbedingt einen von diesen wattierten Mänteln kaufen, den alle tragen. Mit weißem Fellkragen an der Mütze. Und Skihandschuhe.»

«Ähm, Sophie, die Reise findet Ende April statt, da wird es sicher etwas wärmer sein. Ich glaube, du kannst Barbies Nordpol-Forscherinnen-Outfit im Schrank lassen. Und wo wir gerade davon reden, ich muss jetzt los und mir ein Kleid von Connie aus dem Schrank mopsen.»

«Wie geht’s ihr denn? Und was hast du vor?»

«Ihr geht’s gut. Steckt wie immer knietief in Klassenarbeiten. Und ich bin auf dem Weg zu den National Newspaper Circulations Awards.»

«Ah, kenn ich. Furchtbar, mal abgesehen von den kostenlosen Drinks. Wo findet die Feier diesmal statt?»

«Im Grosvenor House, und es gibt auch was zu essen.»

«Verstehe.»

«Aber nur, weil meine Firma den Preis sponsert. Und leider ist auch mein Ex dabei.»

«Oh, das ist Pech.»

«Ja, Connie hat mir bereits angeboten, mich mit einem ihrer Lehrerkollegen zu verkuppeln.»

«Wie nett von ihr.»

«Nun ja … Er heißt Crispin», sagte ich leicht angewidert.

«Und ist das ein Problem?»

«Ich weiß nicht, ob ich jemanden mit Namen Crispin besonders ernst nehmen kann. Das klingt wie der Name eines Ponys.»

Sophie kicherte. «Du kannst doch nicht jemanden nur wegen seines Namens ablehnen.»

«Stimmt, auch wenn ich mich heute mit einem Benedict gezofft habe und gedacht hätte, ein Benedict müsste ein echt heißer Typ sein.»

«Doch nicht Cumberbatch?»

«Nein, der hier war kein bisschen nett. Aber glücklicherweise will er nicht mit auf die Reise, also muss ich mir darüber keine Gedanken machen.»

Kapitel 5

Als ich mit dem Taxi vor dem Hotel vorfuhr, wo die Preisverleihung stattfinden sollte, und mir der Zylinder-behütete Portier die Wagentür öffnete, fühlte ich mich in meinem geborgten Kleid wie eine Hochstaplerin. Es war eines der schicksten Hotels in London und ein Riesenunterschied zu der Absteige in Hemel, wo ich in den Semesterferien als Zimmermädchen gejobbt hatte. Männer in Smoking und Frauen in eleganten Kleidern strömten zum Eingang vor dem Ballsaal.

Connie hatte mir Smokey Eyes geschminkt und viel mehr Eyeliner und Lidschatten benutzt, als ich je gewagt hätte. Und ihr blaues Kleid war einfach großartig.

Nur sie konnte ein Brautjungfernkleid von Vera Wang in einem Secondhandshop aufstöbern, während sie nach Kostümen für die Schule suchte. Der elegante, unaufdringliche Schnitt sah auf einem Bügel nach nichts Besonderem aus – es war ärmellos und hatte einen U-Boot-Kragen –, doch angezogen glitt der Satinstoff an die richtigen Stellen, wickelte sich ganz von selbst um den Oberkörper und über die Hüften, von wo der Rock dann wie Wellenschaum um die Füße rauschte. Es war vollkommen schlicht, abgesehen von dem tiefen Rückenausschnitt, der sich in sündhaften Falten bis knapp unter die Taille zog. Was bedeutete, dass man seine Unterwäsche sehr sorgfältig wählen musste.

Ich ließ meine Finger lächelnd über den seidigen Stoff gleiten, während ich aus dem Taxi stieg, und dachte daran, dass das Kleid beinahe für drei Königsmäntel der Weihnachtsaufführung an der Ashton-Lynne-Vorschule liegengeblieben wäre.

Als ich die Stufen hinaufstieg, Connies silberne, perlenbestickte Clutch in der Hand, drehten sich ein paar Köpfe nach mir um, was mir ein gutes Gefühl verlieh.

Glücklicherweise hatten sich einige meiner Kollegen bereits in einer Ecke der Bar um einen Tisch gruppiert, auf dem ein Champagnerkühler und etliche Gläser standen, eines davon mit meinem Namen darauf. Als ich mich näherte, sah ich als Erstes Josh, der in seinem Abendanzug sehr gut aussah und mich kurz daran erinnerte, was ich mal in ihm gesehen hatte.

Er musterte mich und lächelte, und ich sah einen Funken Interesse in seinen Augen. «Wow, du siehst –»

«Danke», sagte ich schnell. «Hast du Megan gesehen? Ist sie schon hier?»

«Ja.» Er sah mich reumütig an. «Du hast mir nicht vergeben, oder?»

«Es gibt nichts zu vergeben.» Ich lächelte und wandte mich ab, um den Zettel mit der Tischordnung zu betrachten, der rechts neben ihm lag.

Er nahm meinen Arm. «Kate, sei nicht sturköpfig. Wir können doch immer noch Freunde sein.»

Ich schüttelte ihn ab. «Ich glaube nicht. Der Job ist in meinem Leben gerade das Wichtigste, und ich werde nicht zulassen, dass du oder sonst irgendwer mir noch mal in die Quere kommt.» Ich erspähte Megan zusammen mit ein paar anderen Kollegen und drängte mich durch die Menge zu ihr durch.

«Kate, hallo! Wo ist dein Glas?» Sie wartet die Antwort nicht ab. «Das hier ist Andrew.» Sie stellte mir den kleinen, kahlköpfigen Mann an ihrer Seite vor. Und noch bevor ich hallo sagen konnte, drückte sie mir ein volles Glas Champagner in die Hand. «Er sitzt bei uns am Tisch.»

Was bedeutete: Sei nett, denn er ist einer der Agenturgäste, für die die Firma eine Menge Geld bezahlt hat.

«Er arbeitet für den Inquirer», sagte sie etwas zu enthusiastisch. «Sorry, aber ich habe es vergessen: Was tun Sie da noch mal genau?»

Andrew wandte sich um und hielt mir eine kleine, schwitzige Pfote hin. «Freut mich, Sie kennenzulernen», sagte er mit affektierter Stimme. «Andrew Dawkins. Sales Manager. The Sunday Inquirer. Und Sie sind …?»

«Kate Sinclair. Ich arbeite mit Megan bei der Machin Agency.»

«Noch eine PR-Frau?!» Er schrie es beinahe, und sein Mund verzog sich zu einem subtilen «Na, dann nützt du mir ja überhaupt nichts», aber er trug seine Enttäuschung mit Fassung und vollendeten Manieren. «Und wie lange arbeiten Sie da schon?»

«Fünf Jahre.»

«Dann ist es Zeit zu wechseln», riet mir Andrew und hob sein Glas. «Immer in Bewegung bleiben, das ist mein Motto. Niemals irgendwo länger bleiben als zwei Jahre.» Dann prustete er: «Sonst merken die es bloß … So bin ich Sales Manager geworden. Es geht immer nur ums Networking, wissen Sie. Dass man die richtigen Leute kennenlernt. Ich könnte Sie ein paar Leuten vorstellen, Kate. Agenturbossen.» Er hakte sich auf derart plump-vertrauliche Art und Weise bei mir ein, dass es nicht ganz eindeutig war, ob er dabei wirklich unabsichtlich an meiner Brust entlangstrich.

Ich nahm einen tiefen Schluck Champagner und entzog mich seinem Arm, damit es keinen Zweifel mehr geben konnte.

«Sie arbeiten beim Inquirer?», fragte ich. «Dann kennen Sie ja bestimmt Benedict Johnson?»

Er legte seine glänzende Stirn abschätzig in Falten. «Ich meinte, vernünftige Kontakte, keine Schreiberlinge. Ich könnte Ihrer Karriere einen ernsthaften Schub verpassen!» Er deutete mit seinem Glas auf eine Reihe von Männern, die er nacheinander abhakte wie Zahlenreihen: «Geschäftsführer der Magna Gruppe, Finanzvorstand von Workwell Industries. Sagen Sie mir einfach, wen Sie treffen wollen.»

«Mir geht’s gut, danke.»

«Warum wollen Sie dann Johnson treffen?»

«Ich will ihn nicht treffen. Ich war nur neugierig.»

«Sie stehen also auf ihn, ja?»

«Äh. Nein.» Ich schenkte ihm den abfälligen Blick, den er verdiente. «Ich habe ihn noch nie getroffen.» Ich runzelte die Stirn, als ich an unser Gespräch dachte. «Ich habe mich vorhin mit ihm am Telefon gestritten. Er ist PR-Leuten gegenüber ziemlich feindselig.»

«Das liegt daran, dass er sich für einen ernsthaften Journalisten hält. Oder zumindest hat er das mal.» Andrews Grinsen war hinterhältig. «Meint, er wäre zu gut für die Rubrik Lifestyle.» Seine Augen glitzerten boshaft.

«Ich, ähm …» Benedict Johnson tat mir schon beinahe leid.

Andrew lächelte. «Wie sind die Helden gefallen! Er ist der typische, seriöse Journalist. Die halten sich doch alle für ein Geschenk Gottes, das den nächsten Watergate-Skandal aufdeckt. Aber was die nicht begreifen, ist, dass sie ohne …» Er rieb seine Finger und den Daumen gegeneinander. «… ohne Werbeeinnahmen gar keinen Job hätten. Also, was wollen Sie von ihm?»

«Ich habe ihn auf eine Pressereise eingeladen. Aber er hat kein Interesse.»

«Ich würde mit Ihnen mitfahren.»

«Das ist sehr freundlich, aber ich fürchte, unser Kunde würde mir das nicht abnehmen.»

«Wer ist der Kunde?»

«Ein dänisches Kaufhaus, das eine neue Dependance in London aufmacht. Wir nehmen eine kleine Gruppe Journalisten mit nach Kopenhagen.»

«Nettes Angebot. Und Johnson hat abgelehnt?»

Ich zuckte die Achseln. «Bestimmt hat er seine Gründe.»

Vielleicht mochte ich Benedict Johnson nicht, aber Andrew Dawkins mochte ich noch viel weniger.

Andrew versank in Gedanken, und seine schmalen grauen Augen wurden noch schmaler. «Eine Menge potenzieller Anzeigenkunden könnten sich dafür interessieren. Ich schau mal, was ich machen kann.»

Für einen winzigen Moment rang ich mit meinem Gewissen – aber ich sagte nicht Das wäre nett und auch nicht Machen Sie sich nicht die Mühe, ich habe schon jemand anderen eingeladen. Immerhin ging es hier um meine Karriere.

Ein sehr formeller Zeremonienmeister in rotgesäumter Uniform verkündete den Beginn der Veranstaltung. Und es schien, als würde es für mich kein Entkommen mehr geben. Ich saß auf einmal neben Andrew und seinen wandernden Händen und hatte keine andere Wahl, als mich am Champagner festzuhalten und mich gleichzeitig mit einer Gabel zu bewaffnen.

Die Preisverleihung, so undankbar das klingen mochte, unterschied sich kein bisschen von anderen Preisverleihungen, an denen ich mitgearbeitet hatte. Dieselbe Musik. Dieselbe glatte Moderation eines bekannten Stand-up Comedian und dazu eine Menge furchtbar langweiliger und dankbarer Männer mittleren Alters, die ihre gravierten Glastrophäen abholten.

Es gab reichlich Wein, und das Essen war nicht schlecht, wenn man bedachte, wie viele Personen bedient werden mussten. Huhn ist immer der beste gemeinsame Nenner bei jedem Firmenessen.

Eine Armee aus gut gedrillten Kellnern reihte sich an der Wand auf und servierte den ersten Gang, während Andrews Fuß meine Wade ein paarmal zu oft streifte.

Während der Hauptgang abgeräumt wurde, war meine Geduld dann am Ende. Als seine Hand erneut über meinen Oberschenkel fuhr, rammte ich ihm meine Gabel rein.

«Arrgh!»

«Oh, tut mir leid! Ich dachte, es wäre eine Spinne, die mir übers Bein kriecht. Sie müssen wissen, ich habe eine Spinnenphobie.»

Andrew lächelte verkrampft und rieb sich die Hand vor seiner Brust.

Eine Kellnerin trat mit einem hübschen, pink-weißen Dessert zwischen uns.