Die kleine Bäckerei in Brooklyn - Julie Caplin - E-Book
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Die kleine Bäckerei in Brooklyn E-Book

Julie Caplin

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Beschreibung

Eine romantische Komödie in der aufregendsten Stadt der Welt: für Romantiker, New York-Fans und alle, die mal eine Pause vom Alltag brauchen. Sympathische Figuren, warmherziger Humor und viel Lokalkolorit. Nach einer schmerzhaften Trennung ist die junge Food-Journalistin Sophie froh über einen beruflichen Wechsel nach New York. Jeden Morgen betört sie der köstliche Duft von Bagels und Cupcakes aus der Bäckerei unter ihrem neuen Apartment in Brooklyn. Sophie freundet sich mit der Besitzerin Bella an und hilft ihr gelegentlich aus. Und sie lernt Bellas attraktiven Cousin Todd kennen. Auch er kann sich für gutes Essen begeistern - und für Sophie. Aber warum warnt Bella vor seinem Charme und seiner Bindungsangst? Geht Liebe nicht durch den Magen?

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Seitenzahl: 584

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Julie Caplin

Die kleine Bäckerei in Brooklyn

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Barbara Ostrop

 

Über dieses Buch

Nach einer schmerzhaften Trennung nimmt die junge Journalistin Sophie Hals über Kopf das Angebot ihrer Chefin an, sechs Monate in New York zu arbeiten. Sie fühlt sich schnell wohl in dem kleinen Apartment in Brooklyn. Jeden Morgen betört sie der köstliche Duft von Bagels und Cupcakes aus der Bäckerei im Erdgeschoss. Sophie freundet sich mit der Besitzerin Bella an und hilft ihr gelegentlich aus. Und sie lernt Bellas attraktiven Cousin Todd kennen. Auch er kann sich für gutes Essen begeistern – und für Sophie. Aber warum beäugt Bella die Annäherung der beiden so misstrauisch? Geht Liebe nicht durch den Magen?

Vita

Julie Caplin lebt im Südosten Englands, liebt Reisen und gutes Essen. Als PR-Agentin hat sie in diversen Großstädten gelebt und gearbeitet. Mittlerweile widmet sie sich ganz dem Schreiben. Nach «Das kleine Café in Kopenhagen» entführt uns Julie Caplin mit diesem Band der Romantic-Escapes-Reihe nach New York. Bereits in Planung ist: «Die kleine Patisserie in Paris». Die Romane sind aber auch unabhängig voneinander ein großes Lesevergnügen.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel «The Little Brooklyn Bakery» bei Harper Impulse/HarperCollins Publishers, London.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juni 2019

Copyright © 2019 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«The Little Brooklyn Bakery» Copyright © 2018 by Julie Caplin

Redaktion Annalena Ehrlicher

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung FAVORITBUERO, München

Umschlagabbildung theerakit, Tanya Knyazeva, Studio Barcelona, davorana/Shutterstock

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen

Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN Printausgabe 978-3-499-27552-4 (1. Auflage 2019)

ISBN E-Book 978-3-644-40518-9

www.rowohlt.de

Kapitel 1

«Das ist ein tolles Angebot», sagte Sophie, die nur ganz leicht bedauerte, dass sie es ablehnen musste. Eines Tages würde sie bestimmt dazu kommen, New York zu besuchen. «Aber ich kann es derzeit unmöglich einrichten.»

Angela verzog das Gesicht. «Ja, klar, es kommt auch wirklich sehr kurzfristig. Ich könnte Mel den Hals dafür umdrehen, dass sie sich das Bein gebrochen hat.»

«Das hat sie wohl kaum absichtlich gemacht», warf Sophie sanft ein.

«Na ja, es kommt gerade einfach furchtbar ungelegen. Ich habe zwar eine Menge Leute an der Hand, die sich darum reißen würden, für ein halbes Jahr Mels Stelle in New York zu übernehmen, aber du bist meine beste Food-Journalistin. Du würdest es hervorragend machen.»

«Das ist nett von dir, Angela …»

«Nett?» Angela zog eine ihrer rasiermesserscharf gezupften Augenbrauen hoch. «Nett kenne ich nicht. Das ist einfach ehrlich. Du bist eine großartige Redakteurin, und ich wünschte …» Sie schüttelte den Kopf. «Sag das ja nicht weiter, aber ich wünschte, du würdest einmal deine Flügel spreizen.»

«Und du bist ein kleines bisschen verzweifelt», neckte Sophie sie.

«Tja, das stimmt natürlich.» Angela legte ihren Kuli mit einem selbstironischen Lachen aus der Hand. «Aber denk wenigstens einmal darüber nach. Es ist eine phantastische Chance. Angebote, den Job zu tauschen, gibt es nicht so oft, und wenn ich die Zwillinge nicht hätte, wäre ich selber schon drüben.»

«Was ist denn mit Ella? Sie würde das doch liebend gern machen», schlug Sophie vor.

Angela legte den Kopf schief. «Ella ist neunundzwanzig, aber jede Zwölfjährige könnte sie in die Tasche stecken. Sie wäre eine Katastrophe.»

«Vielleicht würde sie sich gar nicht so schlecht schlagen.»

Angela zog jetzt die andere Augenbraue hoch. «Ich weiß genau, wie viel du ihr hilfst. Ich glaube nicht, dass sie ohne dich klarkäme.»

Sophie lächelte sie spöttisch an. «Dann kannst du mich ja unmöglich nach New York schicken.»

Lachend klappte Angela ihr Notizbuch zu. «Wir würden es schon ohne dich schaffen.» Als Sophie aufstand, um zu gehen, wurde Angelas Gesicht wieder ernst. «Ehrlich, Sophie, versprich mir, dass du darüber nachdenkst.»

 

Sophie kehrte in das Großraumbüro zurück, wo alle noch immer von dem grauenhaften, knirschenden Geräusch redeten, mit dem Mels Schenkelknochen gebrochen war. Am Ende ihrer Abschiedsfete – Juhu, ein halbes Jahr Highlife in New York – war sie vom Tisch gesprungen, wobei sie sich unschön verletzt hatte. Auf der anderen Seite des Raums tänzelte der erschlaffte Heliumballon, auf dem die Worte Du wirst uns fehlen! prangten, noch immer über einem Stuhl in der Luft herum. Jemand sollte ihn dort wegnehmen, bevor die frisch eingetroffene Brandi Baumgarten mit ihrem unverkennbaren amerikanischen Akzent auf der Bühne erschien und Mels Schreibtisch in Besitz nahm.

Die Ärmste hatte etwas Besseres verdient als die Sauerei aus klebrigen Prosecco-Ringen und Monster-Munch-Krümeln (Mels Lieblings-Chips), die die Schreibtischplatte bedeckten. Sophie schnappte sich eine Schere, rückte gegen den Ballon vor und schnitt ihn mit einem befriedigenden Schnipp ab. Es war genau richtig gewesen, Angelas Vorschlag abzulehnen. Der Gedanke, Brandis Schreibtisch auf der anderen Seite des Atlantiks zu übernehmen, war viel zu erschreckend. Auch Brandi, die hier in dieser ihr fremden Stadt ganz allein auf sich gestellt sein würde, tat ihr leid. Sophie unterdrückte ein Schaudern. Vielleicht könnte sie ihr ja Kekse backen, dicke, weiche Cookies mit fetten Schokoladenstücken darin, als ein kleines Willkommensgeschenk, damit sie sich ein bisschen zu Hause fühlte. Und dazu Kaffee. Amerikaner legten Wert aufs Kaffeetrinken. Vielleicht sollte sie ja ein kleines Willkommenspaket packen: Willkommen in England. Ein kleiner Londonführer. Ein Regenschirm. Ein …

«Erde an Soph. Wie buchstabiert man Clafoutis?», unterbrach Ella, die andere Food-Journalistin bei CityZen, ihre Gedanken.

«Sorry. Was hast du gesagt?» Sophie nahm den Ballon in die Hand und stach mit der Schere ein Loch hinein.

«Oh, das hatte ich auch schon vor. Na ja, ich habe zumindest darüber nachgedacht. Also, wie buchstabiert man jetzt Clafoutis? Ich kann es mir nie merken.»

Sophie rasselte die Buchstabenfolge herunter und setzte sich Ella gegenüber auf ihren Platz am Schreibtisch.

«Was wollte Angela von dir? Hast du Ärger?»

Sophie schüttelte den Kopf, noch immer ein wenig verwirrt von dem Vorschlag, eine Zeitlang bei der amerikanischen CityZen, dem Schwesterblatt ihrer Zeitschrift in Manhattan, einzuspringen. Falls sie Ella davon erzählte, würde die sich überhaupt nicht mehr einkriegen.

«Hattest du ein schönes Wochenende?» Ella schnitt plötzlich eine Grimasse. «Ach, Kacke noch mal, die Rechtschreibkorrektur hat Klaviatur daraus gemacht. Buchstabierst du es bitte noch einmal für mich? Ich war in dieser neuen Location in Stoke Newington. Ziemlich lange Anfahrt, aber … ach ja, wie war Le Gavroche am Samstag?» Sie warf einen prüfenden Blick über den Schreibtisch. «Oh … nein, er hat doch nicht …?»

Sophie zuckte zusammen und brachte dann ein munteres Lächeln zustande. «Leider konnten wir nicht hingehen. Seine Mum war krank.»

«Ach, Herrgott noch mal, die Frau ist doch ständig krank.»

«Sie kann ja nichts dafür», widersprach Sophie und überging die Zicke in ihrem Inneren, die Ella aus vollem Herzen recht gab. War es unfair, sich zu wünschen, Mrs. Soames könnte ihre Unpässlichkeiten auf etwas günstigere Zeiten legen? «Diesmal war es ein echter Notfall. Mit Blaulicht ins Krankenhaus. Der arme James hat die ganze Nacht in der Notaufnahme auf Entwarnung gewartet.»

Ella verzog finster das Gesicht. «Du bist viel zu nett. Und du solltest ihm nicht ständig verzeihen, verdammt noch mal. Er hat dich gar nicht verdient.»

«Ich würde ihn nicht lieben, wenn er nicht selbst so nett wäre. Wie viele Männer kennst du denn, die ihre Familie allem anderen voranstellen?»

Ella spitzte ihren mit blassrosa Glitzer-Lippenstift bemalten Mund. Anscheinend hatte sie schon wieder den Schrank der Beauty-Redakteurin geplündert. «Stimmt, Greg hat Muttertag vergessen, meinen Geburtstag und unseren Hochzeitstag.»

Sophie hätte am liebsten die Augen verdreht, hielt sich aber zurück. Einen Wettkampftermin seines 5er-Football-Teams vergaß Greg nie, aber mehr hatte in seinem Kopf offenbar nicht Platz.

 

«Du bist eine phantastische Köchin», sagte James, als er Messer und Gabel aus der Hand legte. Sophie nickte, denn sie war ebenfalls zufrieden mit ihrem Massaman-Curry – es war würzig-süß mit genau der richtigen Schärfe, und die Kartoffeln waren weder weichgekocht noch zu fest.

Sie saßen in ihrer geräumigen Küche, zwischen ihnen eine brennende Kerze. Die Montagabende waren Sophie die liebsten in der Woche: Sie kochte dann besonders lecker, weil sie wusste, dass James das ganze Wochenende alle Hände voll mit seiner Mutter zu tun gehabt hatte. Er lebte an drei Tagen der Woche bei seiner Mutter und war während der restlichen vier mit Sophie in ihrer Wohnung. Sophie hegte den Verdacht, dass es Mrs. Soames nicht wirklich dermaßen schlecht ging, sondern sie ihren Sohn einfach gern bei sich zu Hause hatte. Und wer könnte ihr das verdenken?

«Ich sollte dich irgendwann heiraten.» Er zwinkerte ihr zu, griff nach seinem Rotweinglas, ließ den Inhalt kreisen und schnüffelte anerkennend daran. Völlig zu Recht, denn es war ein ausgezeichneter australischer Merlot, den sie auf Empfehlung der Weinredakteurin ihrer Zeitschrift aufgestöbert hatte, und er hatte sie ein kleines Vermögen gekostet.

«Das solltest du in der Tat», antwortete sie mit unangenehm heftig pochendem Herzen. Es war nicht das erste Mal, dass er etwas in dieser Art sagte. Und sie hatte gedacht, am Samstag würde er im Le Gavroche … Na ja, es war der zweite Jahrestag ihres Kennenlernens gewesen … und sie hatte gehofft …

«Wie war es heute bei der Arbeit?» Das war das Schöne an James. Er war immer interessiert.

«Weißt du noch, dass ich dir erzählt habe, Mel würde am Freitag aufbrechen? Tja, stattdessen hat sie sich das Bein gebrochen. Jetzt klappt das mit New York doch nicht.» Sophie zögerte und sagte dann mit einem Lachen: «Angela hat mir angeboten, ich sollte als Ersatz für sie einspringen.»

«Was … nach New York gehen?» James schaute beunruhigt.

«Keine Sorge. Ich habe direkt abgelehnt. Ich möchte nicht von dir weg.»

James tätschelte lächelnd ihre Hand. «Wenn du wirklich hättest fliegen wollen, hätte ich nichts dagegen gehabt.» Er hielt inne und zog dann ihre Hand an seine Lippen. «Aber du hättest mir furchtbar gefehlt, Darling. Ich fände es schrecklich, wenn du weggehen würdest.»

Sophie stand auf, trat hinter ihn und schlang ihm die Arme um die Brust, froh, dass sie Angelas Schmeichelei nicht allzu ernst genommen hatte. Natürlich würde sie eines Tages gern nach New York fliegen. Vielleicht könnten James und sie das ja einmal gemeinsam machen. Zum Beispiel in ihren Flitterwochen.

James erhob sich ebenfalls, wandte sich ihr zu und liebkoste mit den Lippen ihren Hals. «Gehen wir früh ins Bett? Ich bin todmüde. Die Rückfahrt von Cornwall ist wirklich mörderisch.»

«Ich muss erst noch aufräumen.» Sophie warf einen kurzen Blick auf ihre Küche und wünschte, sie hätte kein solches Chaos angerichtet und James wäre nicht immer so müde. Aber sie konnte ihn wohl kaum darum bitten, ihr zu helfen – nicht nachdem er über zweihundert Meilen gefahren war.

Und sie konnte sich ja auch wirklich nicht beklagen. Wie viele Frauen ihres Alters besaßen wohl so eine Küche? Oder lebten in einer fürstlichen Wohnung in Kensington? Dad hatte darauf bestanden. Es wäre gemein von ihr gewesen, seine Großzügigkeit abzulehnen. Sie liebte ihn innig, aber das bedeutete nicht, dass sie seine Hilfe bei der Stellensuche zugelassen hätte (er hatte Beziehungen zu allen möglichen Firmenvorständen) oder dass sie sich an eine teure Privatschule hätte schicken lassen (sie hatte sich schon in der Gesamtschule vor Ort eingelebt), und es kam ihr auch nicht richtig vor, den Titel zu benutzen.

Als sie mit dem Aufräumen fertig war und ins Schlafzimmer ging, schlief James bereits tief und fest. Im Zimmer war es stockdunkel. Er dachte nie daran, die Nachttischlampe für sie brennen zu lassen. Sie zog sich geräuschlos aus, schlüpfte neben ihm ins Bett und kuschelte sich an ihn, doch er reagierte nicht. Der arme Mann war vollkommen erschöpft. Lächelnd strich sie ihm ein paar verirrte Strähnen aus der Stirn. Er war ein guter Mann. Klaglos kümmerte er sich um seine Mutter. Sophie schloss die Augen. Was für ein Glück sie hatte. Wer brauchte da New York?

 

Bin zu spät, wir sehen uns dort. Und heute habe ich frei, aber danke, dass du dem Café so treu bist. xx Kate

Sophie betrachtete lächelnd die Nachricht auf ihrem Handy. Kate war sogar noch schlimmer als sie selbst und versuchte immer, möglichst viel in ihren Tag hineinzustopfen. Sophie würde ihr letztes Pfund darauf verwetten, dass Kate gestern bei ihrem Freund Ben übernachtet hatte und dass das der wahre Grund für ihre Verspätung war. Sie waren immer noch in der total verliebten Phase, in der man partout nicht die Hände von einander lassen kann. Nicht, dass Sophie sich bei ihr selbst und James an so etwas hätte erinnern können. Bei ihnen war es eher eine weiche und sanfte Landung in der Liebe gewesen als ein Sprung vom Klippenrand. Sophie wusste auch gar nicht, ob sie mit einer derart brennenden sexuellen Leidenschaft hätte umgehen können. So etwas war überhaupt nicht ihr Stil, und ein wenig fragte sie sich auch, ob es nicht ein kleines bisschen selbstsüchtig war. Sollte Liebe nicht zartfühlend, voller Wärme und gegenseitiger Akzeptanz sein? Etwas, das allmählich heranwuchs, wenn es genährt und umhegt wurde. Allerdings konnte sie nicht abstreiten, dass Kates Glück und joie de vivre einem das Herz erwärmten. Und wenn sie die Blicke sah, die Ben Kate immer wieder zuwarf, bekam Sophie von der Intensität eine Gänsehaut.

Während sie auf ihren Cappuccino wartete und dem Zischen der Espressomaschine lauschte, die von einer Samstagsaushilfe bedient wurde, schaute sie sich die Plunderteilchen doch noch einmal genauer an. Das war ein Fehler, aber sie sahen einfach so köstlich aus. Nein, es half nichts, sie konnte den Zimtschnecken nicht widerstehen.

Mit ihrem Teller in der einen Hand und ihrer Tasse in der anderen schlängelte sie sich zwischen leeren Stühlen zu ihrem Lieblingsplätzchen in der Ecke hindurch, von dem aus man eine gute Aussicht auf die belebte Straße hatte. Die größte Herausforderung dabei war, ihre Schultern so gerade zu halten, dass die Handtasche nicht herunterrutschte und einen der Tische abräumte.

Doch an ihrem Stammplatz saß leider bereits eine erschöpft wirkende Frau mit einem vor Empörung kreischenden Baby. Wütend patschte das kleine Mädchen mit einem Löffel in der Hand nach einem Schälchen Joghurt, das die Mutter gerade außerhalb seiner Reichweite von ihm weghielt. Sophie verstand genau, warum: Das kleine Mädchen hatte es bereits geschafft, sich mit dem Zeug die Haare vollzuschmieren, und die Mutter versuchte gerade, es sauber zu machen. Aus Sophies Blickwinkel sahen die beiden ein wenig aus wie zwei kämpfende Tintenfische.

Sie setzte sich an den Nachbartisch, beobachtete die Kapriolen der beiden mit einem sanftmütigen Lächeln und wollte sich gerade abwenden, als die junge Frau aufblickte und ihr mit vor Abscheu zusammengekniffenen Lippen einen bitterbösen Blick zuwarf.

Sophie trank viel zu hastig einen Schluck Kaffee, der ihr auf dem Weg zum Magen im Schlund brannte, und schaute weg, erschreckt von dem heftigen Hass, der sie unmittelbar traf und ihr fast das Gefühl eines körperlichen Angriffs vermittelte. Sie atmete ein paarmal tief durch, um sich zu beruhigen. Wahrscheinlich war die arme Frau total gestresst, und das Ganze hatte nichts mit Sophie selbst zu tun. Also setzte sie ein Lächeln auf, trank einen weiteren Schluck Kaffee, diesmal vorsichtiger, und schaute in der Hoffnung zu der Frau hinüber, dass der Anblick einer freundlichen, beruhigenden Miene sie ein wenig aufmuntern würde.

Da lag sie aber mal total daneben! Falls überhaupt, wurde die Abneigung in den Augen der Frau noch entschiedener, während sie mit hektischen Bewegungen das Gesicht ihres Kindes abwischte.

Es war unmöglich, die Nöte der Frau nicht mitzufühlen. Sophie zögerte nur eine Sekunde. Sie konnte nicht so tun, als hätte sie nicht gesehen, wie unglücklich die Ärmste war.

«Alles in Ordnung mit Ihnen?», fragte Sophie mit einem vorsichtigen Lächeln und dem Gefühl, eine vernünftige Diskussion mit einer Löwin führen zu wollen.

«Ob mit mir alles in Ordnung ist?», zischte die Frau, worauf prompt das kleine Mädchen zu weinen begann. Da fiel das Gesicht der Mutter in sich zusammen, und Wut und Boshaftigkeit wichen purem Unglück. «Ach Emma, mein Schatz.» Sie schloss das kleine Mädchen mit seinen klebrigen Fingern und allem Drum und Dran in die Arme, drückte es an sich und rieb ihm den Rücken. «Ist ja gut. Tut Mummy leid.»

Sophie empfand einen Anflug von Neid und ein winziges Ziehen im Unterleib. Eines Tages …

Das kleine Mädchen umklammerte seine Mutter und hörte auf zu weinen. Nun sah die Frau Sophie etwas ruhiger an, doch in ihren Augen stand noch immer Zorn. «Sie haben mich gefragt, ob mit mir alles in Ordnung ist?» Ihre Augen funkelten von nicht geweinten Tränen, und sie legte herausfordernd den Kopf schief.

«Ja. Kann ich Ihnen vielleicht mit irgendetwas helfen? Sie haben wirklich alle Hände voll zu tun.» Sophie lächelte das kleine Mädchen an, das inzwischen wesentlich zufriedener wirkte. «Wie niedlich sie ist. Aber um die Sauerei beneide ich Sie nicht. Soll ich Ihnen noch ein paar Papierservietten holen oder so?»

«Sie ist niedlich, und sie ist mein Kind», erklärte die Frau mit einem alarmierten Blick und legte dem kleinen Mädchen schützend den Arm vor die Brust.

«Ja», antwortete Sophie, die jetzt auf der Hut war. Die Frau hielt sie doch nicht etwa für eine Kindesentführerin?

«Aber Sie haben damit ja kein Problem, oder, Sophie? Damit, das eine oder andere zu teilen?» Die Stimme der Frau klang nun erschöpft, ihre Schultern sackten zusammen und ein schmerzvoller Ausdruck glitt über ihr Gesicht.

Sophies Lächeln gefror. Was meinte die Frau? Und woher kannte sie ihren Namen?

«Ich …» Ratlos unterbrach sie sich. «Ich wollte Ihnen doch nur helfen.» Jetzt bereute sie es, dass sie die Frau auch nur angeschaut hatte.

«Sie? Mir helfen?» Die Frau stieß ein bitteres Lachen aus. «Ich denke, Sie haben schon genug geholfen. Nämlich sich selbst. Sie haben sich zu meinem Mann verholfen.»

«Wie bitte?» Sophie erstarrte mitten in der Bewegung.

«Sind Sie stolz auf sich? Miss Reiche Schlampe mit ihrer Wohnung in Kensington und Daddys Landgut in Sussex. Ich habe recherchiert. Lady Sophie Bennings-Beauchamp.»

Sophie blieb der Mund offen stehen. Diese Frau hatte ihre Hausaufgaben gemacht. Keine ihrer Kolleginnen bei der Arbeit kannte ihren vollen Namen. Sie hielt ihren Ausweis vor neugierigen Blicken verborgen. Kate war tatsächlich die Einzige, die ihn gesehen hatte, und selbst damals, als die beiden Frauen noch nicht befreundet waren, war sie Profi genug gewesen, um darüber zu schweigen.

«Ich verwende den Titel nicht …», protestierte sie automatisch, wie sie es immer tat, aber die Frau unterbrach sie.

«Was für ein kuscheliges Leben. Kein Wunder, dass James die Hälfte seiner Zeit lieber bei Ihnen verbracht hat. Nirgendwo hängt Wäsche herum. Und nachts weint kein kleines Kind.»

«James?» Sophie erstarrte. Noch während sie den Mund öffnete, begriff sie, dass ihre Worte wie ein absolutes Klischee klangen. «Was hat er damit zu tun?»

«James Soames. Mein Ehemann. Vier Nächte in der Woche lebt er in London – Frau und Tochter besucht er von Freitag bis Montag in Newbury.»

«Aber … er fährt doch immer nach Cornwall.» Sophies Beine fühlten sich auf einmal unfassbar schwer an. «Da ist er auch im Moment.»

«Nein, ist er nicht, Sie dumme Kuh. Er mäht gerade in der Fantail Lane Nr. 47 in Newbury den Rasen, und anschließend baut er eine Schaukel für Emma.»

Kapitel 2

Ihr Herz begann, unruhig zu klopfen, als das Zeichen zum Anschnallen aufleuchtete. Jetzt war es zu spät, noch einmal ihre Meinung zu ändern und sich zu fragen, ob ihr spontaner Entschluss nicht doch ein wenig übereilt gefallen war.

Um sie herum sammelten die Passagiere ihre Sachen zusammen, packten Laptops und iPads ein, machten Eselsohren in Bücher oder legten ihre Decken zusammen. Durch die Fensterreihe gegenüber sah Sophie funkelnde Lichter, die immer deutlicher hervortraten, als das Flugzeug in den Sinkflug ging. Ihre Ohren fielen zu und fühlten sich verstopft an.

Mit einem dumpfen Rums und einem Ruck setzten die Räder auf dem Boden auf, und die Schubumkehr, mit der das Flugzeug bremste, ließ die Triebwerke dröhnen. Sie war also tatsächlich hier, mit einem Portemonnaie voller Dollar, einer Adresse in Brooklyn und einem Koffer, aus dessen kärglichem Inhalt sie im nächsten halben Jahr ihre Garderobe würde bestreiten müssen. Hatte sie eigentlich einen warmen Pullover eingepackt? Und Handschuhe? Wurde es im Winter in New York nicht eisig kalt?

Noch immer in Gedanken bei ihrem Gepäck, rang sie sich beim Aussteigen dem Flugpersonal gegenüber ein Lächeln ab. Dabei kämpfte sie gegen die überwältigende Versuchung an, eine der Flugbegleiterinnen am Arm zu packen und sie anzuflehen, sie auf dem Rückflug wieder mit nach London zu nehmen.

Das war einfach nur die Müdigkeit, sagte sie sich auf dem Weg durch die hallende Gangway, deren Boden leicht unter ihren Schritten erbebte, während die Metallwände von den rumpelnden Rädern des Handgepäcks widerhallten. Vor ihr lag so vieles, womit sie fertigwerden musste: die Einreisekontrolle, die Suche nach einem Taxi, die Begegnung mit Fremden und ein neues Zuhause. In den letzten paar Stunden hatte sie sich in einem harmlosen Zwischenreich befunden und sich keine anderen Fragen stellen müssen als die, welchen Film sie schauen sollte, ob sie lieber Rindfleisch oder Hähnchen essen wollte und wie sie die Folienverpackung ihres Brötchens aufbekam.

Sie hielt den Griff ihres Trolleys fest gepackt, als könnte er ihr auf magische Weise Mut einflößen, und folgte den Leuten vor ihr, die überwiegend weder nach links noch nach rechts schauten und offensichtlich wussten, wo sie hinwollten. Als sie um eine Ecke bog, gelangte sie in den riesigen Passkontrollbereich und blickte sofort zur amerikanischen Fahne auf, die an der Decke hing. Ihr war mulmig zumute. Ihre Papiere waren natürlich in Ordnung, aber sie hatte schon wahre Horrorgeschichten über die nordamerikanischen Einreisekontrollen gehört. Die Lage in der riesigen Halle sah nicht gut aus: Nur einige Schalter waren besetzt, und die Schlange wirkte endlos. Während sie sich langsam vorwärtsschob, hielt sie ihren Reisepass immer fester umklammert und versuchte, unschuldig auszusehen, eine spontane Reaktion auf die bewaffneten Beamten, die so streng dreinschauten, als könnten sie einen jederzeit, ohne mit der Wimper zu zucken, erschießen.

Als sie endlich an der Reihe war, war sie erschöpft, aber auch genervt. Das Flugzeug war schon vor beinahe anderthalb Stunden gelandet, ihr Körper hatte die Zeitverschiebung noch nicht bewältigt, und sie war an die routinierte Gleichgültigkeit der europäischen Grenzbeamten gewöhnt. Der langwierige Prozess mit Irisscans und Fingerabdruckprüfung zu nachtschlafender Zeit, während ihr die Beine weh taten und sie schwindlig vor Müdigkeit war, stellte selbst Sophies Geduld auf die Probe – obwohl sie normalerweise die Langmut von Mutter Teresa hatte. Quälende Minuten vergingen, in denen ein Grenzbeamter mittleren Alters mit versteinerter Miene ihren Reisepass studierte, die ergrauten Augenbrauen zusammengezogen.

Er musterte sie, dann wieder ihren Reisepass und schließlich erneut sie. Sophies Magen zog sich zusammen. Vor Erschöpfung und Benommenheit schwankte sie leicht. Ein weiteres Mal blickte er in ihren Reisepass.

«Ist das echt?», fragte er mit erstaunt geweiteten Augen, während er den Pass erneut prüfte und sie anschließend noch einmal musterte. «Lady Sophie Amelia Bennings-Beauchamp.» Sie brauchte einen Moment, um sich in den breiten amerikanischen Akzent einzuhören. Dann nickte sie mit einem resignierten Lächeln und einem leichten Schulterzucken.

«Ha’m Sie ’n Diadem im Gepäck?» In dieser direkten Frage schwang eine verwirrende Mischung aus Aufdringlichkeit und Neugierde mit.

Irgendein frecher Kobold in ihrem Kopf ließ sie voller Ernst versichern: «Dieses Mal nicht. Ich reise am liebsten ohne den Familienschmuck.»

«Ja, wenn das so ist, Ma’am. Oder ziehen Sie die Anrede Euer Ladyship vor?»

«Sophie ist okay.»

Er sah sie entgeistert an.

«Oder Miss Bennings», fügte sie mit einem Lächeln hinzu, erfreut, dass sie seine einschüchternde Beamtenstrenge aufgebrochen hatte.

«Nicht Miss Bennings-Beauchamp?» Er sprach es Bautschämp aus, sodass sie mit dem Gedanken spielte, ihm zu erklären, dass es eigentlich Bo-Schoh ausgesprochen wurde. Sie beschloss aber, darauf zu verzichten. Nicht zu dieser nächtlichen Stunde.

Sie beugte sich zu ihm vor und flüsterte: «Ich bemühe mich, inkognito zu reisen. Daher belasse ich es bei Miss Bennings. So ist es einfacher.»

Er nickte, legte den Finger an die Lippen und sah sich verschwörerisch in der Halle um. «Meine Lippen sind versiegelt.»

«Danke.»

«Gern geschehen, Lady Bennings-Bauschamp.» Er zwinkerte ihr zu und runzelte dann die Stirn. «Sie arbeiten hier?» Seine Brauen verdüsterten seine Augen. «L1 Visum.»

«Daddy hat mein Erbe verspielt», flüsterte Sophie ihm aus dem Mundwinkel zu. Allmählich genoss sie ihre Rolle.

«Ach herrje.» Er schüttelte bedauernd den Kopf. «Wie schrecklich, Mylady.»

«Und ich konnte schließlich nicht die Familienerbstücke verkaufen. Daher musste ich mir einen Job besorgen.»

«Also, das finde ich nicht richtig.» Er hielt inne, das Gesicht in einer Mischung aus Widerwillen und Mitgefühl verzogen, fügte dann aber mit einem respektvollen Nicken hinzu: «Aber gut für Sie, Euer Ladyship.» Es folgte eine kurze Pause, und dann war es, als träte er ins Glied zurück und riefe sich in Erinnerung, dass er einen Fragenkatalog abzuarbeiten hatte. «Wo halten Sie sich für die Dauer Ihrer Reise auf?»

Sie spulte die Adresse herunter, die sie sich eingeprägt hatte.

«Brooklyn?»

«Ja», antwortete Sophie und lächelte über seine spürbare Enttäuschung. «Es ist doch nett da, oder?»

Er richtete sich auf und reckte das Kinn. «Na, Sie sprechen gerade mit einem waschechten Brooklyner, Ma’am, ich meine, Euer Ladyship. Brooklyn …» Er verzog das Gesicht. «Na ja, Brooklyn hat sich im Laufe der Jahre sehr verändert. Jetzt ist es da sehr hip. Nicht wie zu meiner Zeit. Hoffentlich gefällt es Ihnen dort.»

«Bestimmt.»

«Darf ich Ihnen noch eine … persönliche Frage stellen?»

«Natürlich.»

«Kennen Sie die Queen?» Erwartungsvolle Hoffnung funkelte in seinen Augen.

Sophie richtete sich auf und schaute sich sorgfältig um, bevor sie sich ihm verschwörerisch zuwandte, als würde sie ihm jetzt etwas streng Geheimes anvertrauen. Sie senkte die Stimme. «Ja, meine Familie wird Ostern immer in den Buckingham Palace eingeladen. Prinz Philip ist ein Schatz – und Williams und Kates Kinder sind unfassbar süß. Aber verraten Sie niemandem, dass ich Ihnen das erzählt habe. Wir sollen nicht darüber reden.»

Er nickte und deutete einen kurzen militärischen Gruß an, den Zeigefinger an die Augenbraue gelegt. «Kein Sterbenswörtchen. Aber grüßen Sie sie doch bitte von mir. Ich heiße Don. Don McCready.» Er strahlte. «Das muss ich meiner Frau Betty-Ann erzählen. Sie liebt die Royals. Sie wird ausflippen, wenn sie das hört.»

 

Das Taxi schlängelte sich eilig durch den selbst zu dieser späten Stunde noch lebhaften Verkehr, und das Licht der Neonschilder verschwamm vor Sophies Augen. Sie registrierte unangenehm berührt den abgestandenen Geruch von Pizza, der hinten in dem heruntergekommenen Taxi in der Luft hing, das hässliche Metallgitter, das die Passagiersitze vom Fahrer trennte, sowie dessen mürrische Gleichgültigkeit. Aus dem Handy, das am Armaturenbrett in einer Halterung steckte, drang ein Strom spanischer Sätze, der nur hin und wieder von den einsilbigen Antworten des Fahrers unterbrochen wurde.

Sophie ließ sich in den zerschlissenen Sitz zurücksinken und verfolgte durch die zerkratzte Scheibe, was sich draußen tat, während das Taxi pausenlos zwischen den Spuren wechselte. Das hier sah aus wie das Amerika, das sie als Kind in den alten Folgen von New York Cops – NYPD Blue gesehen hatte. Menschen aller Kulturen und Länder drängten sich auf den Bürgersteigen. Kosmetikstudios lagen unmittelbar neben Autowerkstätten, und bei den Werbeschildern sprang ihr die amerikanische Orthographie ins Auge. Die Fastfoodketten hießen Golden Krust, Wendy’s, Texas Chicken & Burger – oder aber sie trugen zwar die gewohnten Namen wie McDonald’s, Dunkin Donuts und Seven Eleven, sahen aber trotzdem irgendwie anders aus.

Eine Weile war sie in großer Versuchung, dem Taxifahrer einfach auf die Schulter zu klopfen und ihn zum Wenden aufzufordern. Sie atmete tief durch. Reiß dich zusammen, Sophie, du hast es selbst so gewollt. Es ist deine eigene Entscheidung.

Seufzend nahm sie ihr Handy aus der Handtasche und las die E-Mail über die getroffenen Vorbereitungen noch einmal durch. Die Personalabteilung der Zeitschrift hatte ihr ein Apartment in Brooklyn besorgt, eine kleine Zweizimmerwohnung in Fußnähe der Subway und in angenehmer Pendeldistanz zu ihrem Arbeitsplatz. Ganz kurz tauchte das Bild von Mels schlaffem Luftballon in ihrem Kopf auf. Brandi Baumgartens Schreibtisch stand für Sophie bereit, und Montagmorgen, gerade einmal in einunddreißig Stunden, würde sie dort ihren Dienst antreten. Sie scrollte nach unten, bis sie den Subway-Plan fand, den sie heruntergeladen hatte. Im Vergleich zur Karte der Londoner U-Bahn, an die sie gewöhnt war, sah er furchtbar kompliziert aus. Sie holte tief Luft und schloss die App. Morgen würde sie mehr als genug Zeit haben, sich zu orientieren und den Weg zu ihrem Arbeitsplatz auszutüfteln.

Das Taxi fuhr jetzt langsamer, da sie den Highway verlassen hatten, und hier wirkten die Straßen plötzlich interessant. Massenhaft Lokale mit Tischen auf den Bürgersteigen, an denen es von Gästen wimmelte, die aus aller Herren Länder stammten. Mit einem plötzlichen Bremsenquietschen hielt das Taxi an, und sofort drehte sich der Fahrer zu Sophie um.

«Vierzig Dollar», sagte er barsch.

«Sind wir da?», fragte sie und spähte aus dem Fenster auf eine Ladenzeile.

«Nummer 425 – gleich dort drüben, Lady.» Er deutete herablassend mit dem Daumen auf die Fassade. «Genau da, wo Sie hinwollten.»

«Ach ja», sagte Sophie, die nicht begriff, wo er irgendeine Hausnummer entdeckt haben wollte.

Aber der Taxifahrer war bereits ausgestiegen und hievte ihren Koffer auf den Bürgersteig.

Sophie bedankte sich höflich, kramte in ihrem Portemonnaie durch die unvertraute Währung und spürte einen Fünfzig-Dollar-Schein auf. Sie wusste, dass in Amerika ein hohes Trinkgeld üblich war, und hatte einen leichten Anflug von Panik. «Das stimmt dann so», sagte sie. Sie hatte keine Ahnung, ob es zu viel oder zu wenig war, aber nach der langen Reise wollte sie jetzt einfach nur noch den versprochenen Schlüsseltresor finden, in ihr Apartment verschwinden und sich ins Bett plumpsen lassen.

Der Fahrer schnappte sich das Geld und sprang in sein Taxi zurück, bevor sie noch ein weiteres Wort loswerden konnte. Und schon verschwanden die roten Rücklichter des Wagens in der Ferne, zwei Augen, die in der Dunkelheit glühten wie ein zurückweichender Dämon.

Mit ihrem Koffer und ihrem Handgepäck stand sie auf dem Bürgersteig, und beim Betrachten der Ladenzeile überkam sie ein Anflug von Angst. An keiner einzigen Tür stand eine Hausnummer. Sie spähte die Straße hinunter, die sich schnurgerade in die Ferne erstreckte. Es war eine sehr lange Straße. Ein paar Leute waren unterwegs, und hinter der nächsten Kreuzung ertönten laute Stimmen.

Sie drehte sich wieder um und fuhr zusammen, als wie aus dem Nichts ein Mann vor ihr auftauchte. Er war schwarz und sicherlich zwei Meter groß. Seine schlaksigen, leicht gebogenen Beine federten beim Gehen, als er auf sie zukam. Ihre kurz aufflackernde Angst, mitten in der Nacht und ganz allein in einer ihr unbekannten Gegend überrumpelt worden zu sein, legte sich, als ihr sein Lächeln entgegenblitzte.

«He, Lady, alles okay? Sie sehen fast so aus, als hätten Sie sich verirrt.»

«Ich … äh … ich suche die Nummer 425.»

Er beugte sich über sie, und sie stellte zu ihrer Verblüffung fest, dass er nach Rosmarin roch. Mit einem verstohlenen Schnüffeln erkannte sie außerdem noch Basilikum.

«Das ist gleich hier, über Bellas Laden.» Er deutete auf eine Bäckerei, und sie entdeckte einen schmalen Hauseingang, der zwischen zwei Geschäften eingeklemmt war. «Sie müssen die Engländerin sein.»

«Ja, die muss ich wohl sein.» Der Geruch nach Basilikum wurde noch stärker, und benommen vom Jetlag, platzte Sophie einfach mit ihrem Gedanken heraus. «Sie riechen nach Kräutern!»

«Und Gewürzen!» Er klang beinah stolz. Dann fügte er noch hinzu: «Haben wir alles bei Herbs and Spice.»

Sein Lächeln wurde breiter, und er deutete auf ein Geschäft ein paar Eingänge weiter. Sophie kam sich ein bisschen dumm vor, als sie merkte, dass Herbs and Spice der Name des Ladens war. Dann sah sie auch die zwei Kräutertöpfe, die er in einer Umhängetasche mit sich trug.

«Sie sind gerade erst angekommen?» Er lachte. «Ja klar, natürlich, sonst würden Sie ja nicht mitten in der Nacht mit Ihren Koffern auf der Straße stehen. Ich heiße Wes – ich trage Ihnen noch schnell die Sachen hoch, ja?»

Zu müde, um Einwände zu erheben, nickte sie und stellte gleich darauf erleichtert fest, dass der Schlüsseltresor auf den ersten Blick neben dem Eingang zu finden und leicht zu öffnen war.

Wes ging ihr über die schmale Treppe voran und trug den Koffer und ihr Handgepäck mühelos nach oben, während sie hinter ihm her taumelte.

Im ersten Stock blieb er vor einer leuchtend roten Tür stehen. «Hier wären wir – Nr. 425A – unmittelbar unter Bellas Wohnung. Bella hat das ganze Haus gemietet.» Er ließ sich von Sophie den Schlüssel geben, öffnete ihr die Tür, als wäre er der Gastgeber, stellte den Koffer in der winzigen Eingangsdiele ab und schaltete das Licht ein. «Willkommen in unserer Straße.» Er angelte eine Rosmarinpflanze aus seiner Umhängetasche und reichte sie ihr. Mit einem gutmütigen Lächeln verabschiedete er sich, zog den Kopf ein, um sich nicht am Türrahmen zu stoßen, und trabte mit seinen federnden Schritten pfeifend die Treppe hinunter.

Obwohl Sophie wahnsinnig müde war, vermittelte ihr die kurze Begegnung mit diesem netten Mann das Gefühl, dass das Leben in Brooklyn vielleicht doch erträglich werden könnte.

Die Diele führte in ein Wohnzimmer, von dem mehrere Türen abgingen. Im Vorbeigehen registrierte sie den glänzenden Holzboden, zwei hohe Fenster, durch die das Straßenlicht einfiel, und verschiedene im Dunkeln schattenhafte Möbelstücke. Sie stellte den Topf auf einen Tisch und öffnete die nächstgelegene Tür. Volltreffer, sie hatte das Schlafzimmer auf Anhieb gefunden. Ein Doppelbett, Bettdecke und Kopfkissen, aber nichts davon überzogen. Verdammt, ihr war gar nicht der Gedanke gekommen, Bettwäsche einzupacken. Egal. Ohne sich auch nur zu entkleiden, ließ sie sich aufs Bett plumpsen und kuschelte sich ein. Ihr letzter Gedanke war, dass sie die Zähne dann eben am Morgen eine Minute länger putzen würde.

Kapitel 3

Trotz der unchristlichen Zeit – es war erst 5:00 Uhr morgens! – lag sie hellwach da, denn ihr Biorhythmus war noch auf die Londoner Zeit eingestellt, wo sie jetzt um 10 Uhr vormittags gemütlich im Bett herumläge.

Stöhnend wälzte Sophie sich auf die andere Seite. Ihr ganzer Körper fühlte sich von der Reise schmuddelig an und juckte. Außerdem war sie noch immer steif vom langen Flug. Im Schummerlicht des frühen Morgens, das durch die dünnen Vorhänge hereindrang, starrte sie zu der unbekannten Zimmerdecke hinauf. Wie üblich begannen ihre Gedanken zu kreisen. Erinnerungen an die vergangenen zwei Jahre kämpften sich wie Gremlins an die Oberfläche ihres Bewusstseins. Nein, kommt nicht in Frage. Lass das sein, halt den Kopf frei. Duschen. Auspacken. Tee aufstöbern. Das waren die Prioritäten.

Sie schwang die Beine aus dem Bett, trat energisch auf die breiten Dielen des Holzbodens und schaute sich im Zimmer um. Ein kleiner Raum, aber sauber und offensichtlich frisch gestrichen. Das geschmackvolle Salbeigrün der Wände passte gut zum cremeweißen Kopfteil des Bettes und einer gleichfarbigen Kommode, über der ein ovaler Spiegel hing. Um Platz zu sparen, stand das Bett direkt an der Wand. Einen Schrank gab es nicht.

Der Grund dafür wurde ihr klar, als sie eine der beiden Türen öffnete, die aus dem Schlafzimmer abgingen. Sie führte in einen winzigen Flur mit einem eingebauten Wandschrank und von dort durch eine weitere Tür in ein langes und sehr schmales Badezimmer. Doch die glänzenden Fliesen in Backsteinoptik und die makellos schimmernden Armaturen entschädigten mühelos für seine schlauchartige Enge.

Beim Anblick der hochmodernen Dusche, die mit ihren verchromten Wasserhähnen, Duschköpfen und Hebeln Platz für ein ganzes Rugby-Team hätte bieten können, schlüpfte Sophie aus ihren Kleidern und überließ sich dem wohligen Gefühl des Wassers. Erst als ihr langes, blondes Haar von zwei Seiten durchtränkt wurde, fiel ihr auf, dass sie kein Shampoo, keine Seife und kein Handtuch eingepackt hatte. Sie blinzelte vor Verblüffung über ihre eigene Dummheit. Warum hatte sie nicht daran gedacht, Handtücher und Bettwäsche mitzunehmen?

Als sie sich wie ein Hund das Wasser vom Leib schüttelte, mit ihrer Jeans als Badematte unter den Füßen, bemerkte sie bei einem Blick in den Spiegel, welch dämlichen Anblick sie mit ihren in ein T-Shirt gewickelten, patschnassen Haaren bot.

Herrgott noch mal, normalerweise war doch sie diejenige, die nicht nur alles für sich selbst dabeihatte, sondern auch noch genug zusätzlich, um notfalls allen anderen auszuhelfen.

Sie kramte in ihrem Koffer, nahm ihre Sachen heraus und erschrak über den wild zusammengewürfelten Inhalt und all das, was unübersehbar fehlte. Das Glätteisen. Ebenso der Föhn. Da waren vierzehn Paar Unterhosen. Aber nur ein einziger BH. Drei Tuben Zahnpasta und keine Zahnbürste. Eine Pinzette. Aber keine Nagelschere. Ihr zweitliebstes Kochbuch. Und entkoffeinierte Teebeutel. Dabei hätte sie sich gerade jetzt am liebsten eine fette Dosis Koffein direkt in die Adern gespritzt. Wer trank denn überhaupt diesen entkoffeinierten Mist? Er sollte gesetzlich verboten werden.

Sie hockte sich auf die Fersen und sah mit plötzlicher Klarheit auf die letzte Woche zurück. Mein Gott, im Nachhinein war man wirklich immer klüger. Jetzt, da es verdammt noch mal zu spät war, sah sie, dass sie ihre Koffer unter einem Schleier von Realitätsverweigerung und völliger Unentschlossenheit gepackt hatte. Im Grunde war sie überzeugt gewesen, dass sie in Wirklichkeit niemals fliegen würde. Bis zur allerletzten Minute, als der Taxifahrer auf die Klingel drückte, war sie sich nicht wirklich sicher gewesen, ob sie es durchziehen würde.

Sie kniete zwischen ihren auf den Boden geworfenen Blusen, Jeans und den knöchelhohen Converse-Sneakers und biss sich auf die Lippen, während sie an ihre letzten Tage in London zurückdachte. Als sie Angela erst einmal zugesagt hatte, war es, als wäre sie in ein Laufrad getreten und hätte nicht mehr die Energie, den Willen oder die Verstandeskraft besessen, etwas anderes zu tun, als einen Fuß vor den anderen zu setzen. Wie sich herausstellte, war ihr Elend ein nützlicher Panzer gewesen, der ihr geholfen hatte, die Realität auszublenden, bis es zu spät gewesen war, aus dem Laufrad abzuspringen. Auf einmal war das Taxi da gewesen, und sie hatte ihren Reisepass in der Hand und Koffer und Handgepäck neben sich stehen.

Und hier war sie nun also, in Amerika.

Sie stand auf, löste das T-Shirt von ihrem nassen Haar und warf sich im Spiegel einen strengen Blick zu. «Du bist jetzt hier.» Langsam wiederholte sie: «Du, jawohl, du, Sophie Bennings … Beauchamp, Bautschämp für diesen netten Grenzbeamten, du musst dich zusammenreißen. Du hast einiges zu tun. Bettwäsche, Handtuch, Toilettenartikel.»

Diese idiotischen Packfehler verschafften ihr heute wenigstens eine Aufgabe. Sie musste nach draußen gehen und zumindest diese unverzichtbaren Dinge besorgen.

«Du musst einkaufen.» Herrgott, sie war so klatschnass und hatte bisher noch nicht einmal ihr neues Zuhause erkundet. Und sie redete mit sich selbst. «Na und? Komm schon. Das hier ist eine Chance.» Wenn sie es laut sagte, fühlte sie sich schon weniger dämlich. Vielleicht sollte sie sich ein Selbsthilfebuch besorgen, um noch ein paar überzeugende Mantren zu finden. «Das hier ist eine Riesenchance. Manche Leute würden alles tun, um an deiner Stelle zu sein.» Okay, das war vielleicht übertrieben, aber ihre Freundinnen waren unverhohlen neidisch gewesen. Keine von ihnen hatte gesagt: «Ach Gott, überleg doch nur, wie riesig und einschüchternd New York sein wird und wie einsam du dich fühlen wirst.»

 

Ihr Erkundungsgang war rasch erledigt. Das Apartment war klein, aber sehr funktional. Modern, urban und ausgeklügelt. Natürlich nicht das, woran sie gewöhnt war, aber als sie in der offenen Küche stand, nickte sie ganz zufrieden. Okay, hier konnte man leben. Die glänzenden Holzdielen des Bodens wirkten gemütlich, und die großen Schiebefenster ließen viel Licht ein und boten eine tolle Aussicht auf die Straße. Es gab einen Fernseher und dazu ein kleines, schwarzes Gerät mit mehreren Fernbedienungen. Sie musterte es kurz und schnitt eine Grimmasse. So etwas war immer James’ Domäne gewesen. Die leuchtend rote Couch mit den grauen Kissen, die gegenüber einem Kaminofen stand, hieß sie dagegen einladend willkommen. Erfreut stellte sie fest, dass auch die Küche perfekt eingerichtet war.

Als sie beim Blick in ein paar der Küchenschränke das altbekannte Geschirr von Ikea vorfand, konnte sie sich nicht recht entscheiden, ob sie das enttäuschend oder beruhigend fand. Mit einem Teil ihrer selbst hoffte sie auf irgendetwas Exotisches – Geschirr eines amerikanischen Porzellanherstellers wäre dann der handfeste Beweis für die 3000 Meilen gewesen, die sie hierher zurückgelegt hatte. Aber der andere Teil ihrer selbst – und, ehrlich gesagt, der stärkere – war beim Anblick der vertrauten hohen Becher und robusten Teller in Primärfarben erleichtert. Sie sagten ihr: Siehst du, so weit bist du doch gar nicht von zu Hause weg.

Mit einem zufriedenen Nicken wollte sie sich schon abwenden, da fiel ihr Blick auf eine weitere Tür, die sie zunächst übersehen hatte, weil sie sich am hinteren Ende der Küchenzeile befand.

«Oh, wow.» Sie trat hinaus auf einen geräumigen Balkon und neigte sofort das Gesicht nach oben, um es im warmen Sonnenschein zu baden. Der Himmel war strahlend blau und wolkenfrei. Sophie blieb eine kleine Weile so stehen und ließ sich von der Wärme durchströmen. Der goldene Glanz umfing sie in einer zeitlosen Umarmung und gab ihr, zerschlagen, wie sie sich innerlich fühlte, sofort neuen Mut.

«I want to see the sunshine after the rain, I want to see bluebirds flying over …», summte sie, während sie den kleinen Bistrotisch mit zwei Stühlen und den leeren Blumentrog betrachtete, der danach rief, mit Kräutern bepflanzt zu werden. Sie würde mit Wes sprechen, dem geheimnisvollen Kräutermann von gestern Abend. In Gedanken mit der Frage beschäftigt, ob sie auch eine Chilipflanze mit hinzunehmen sollte, wandte sie sich um und betrachtete die Dachlandschaft der umliegenden Häuser sowie die Aussicht, die ihr geheimes Plätzchen auf die hinter der Häuserzeile verborgenen Gärten bot. Man konnte von hier aus auf die Nachbargrundstücke hinunterschauen. Es gab dort Klettergerüste und Schaukeln auf winzigen Rasenstücken zu sehen, aber auch ausgebaute Terrassen mit teuer wirkenden Gartenmöbeln. Sie sang jetzt wieder den Refrain: Sunshine after the rain. Nach dem Regen scheint wieder die Sonne, wie passend, dachte sie. Sie schluckte den Kloß in ihrer Kehle herunter und kämpfte mit den Tränen. Okay, es würde eine Weile dauern, bis auch der zweite Teil des Songs wahr würde und sie wieder Bluebirds fliegen sehen würde, über die Berge oder wohin auch immer, aber eines Tages würde sie sich besser fühlen. Sie warf einen finsteren Blick auf den zweiten Bistrostuhl.

Seufzend kehrte sie in die Küche zurück. Sie hatte einiges zu tun. Sie müsste sich eine Liste machen. Wenn sie doch nur einen verdammten Kuli eingepackt hätte. Gleichzeitig wusste sie, dass sie den Augenblick aufschob, in dem sie das Apartment verlassen würde.

Da hing ja ein Zettel an der Innenseite der Wohnungstür, ein Zettel aus fettresistentem Einwickelpapier mit zerfetztem Rand, als hätte jemand das Erstbeste abgerissen, was ihm in die Hände kam. Darauf war mit einem hellblauen Permanentmarker eine Nachricht gekritzelt.

Liebe Sophie, kommen Sie doch schnell im Café vorbei, damit wir uns kennenlernen. Kaffee geht auf mich – und das Frühstück spendiere ich außerdem, weil ich nichts für Sie eingekauft habe. Ihre Vermieterin Bella.

Kaffee. Kaum war der Gedanke in Sophies Kopf, begann ihr Magen zu knurren. Wann hatte sie zum letzten Mal etwas Richtiges gegessen? Sie konnte nicht den ganzen Tag hier bleiben … oder doch, im Grunde wohl schon … aber sie brauchte ein paar Sachen, Handtücher und Bettwäsche zum Beispiel. Damit hatte sie den perfekten Grund, sich endlich in Bewegung zu setzen und nicht länger ein solcher Schwächling zu sein.

Sie schnappte sich ihren Stadtführer und ihre Handtasche, packte hastig alles hinein, was sie vielleicht gebrauchen könnte, und ging hinaus.

 

Einen Moment lang blieb sie fasziniert stehen, in Bann geschlagen von dem Schaufenster, das sie am Vorabend völlig übersehen hatte. Ein Foto von Audrey Hepburn in My Fair Lady in ihrem ikonischen, schwarz-weißen Ascot-Kostüm hing mitten in der Luft über etwas, was Sophie nur als eine wirklich umwerfend großartige Auslage beschreiben konnte. Zwei im gleichen Muster schwarz-weiß dekorierte Cupcakes, präsentiert auf zwei eleganten Tortenständern, hielten sich wie zwei Kammerzofen hinter einer fünflagigen Hochzeitstorte bereit, deren Zuckerguss und Form äußerst raffiniert das Design von Audrey Hepburns Hut aufgriff.

Sophie war ganz versunken in die Betrachtung des Schaufensters, bis neben ihr die Tür aufging und jemand herauskam, gefolgt von einer Wolke von Kaffeeduft.

Erneut beschwerte sich ihr Magen, und sie griff nach der zufallenden Tür. Noch in der Tür blieb sie stehen und schloss schnuppernd die Augen. Nachdem der Sonnenschein auf dem Balkon ihre Stimmung schon gebessert hatte, heiterte die vertraute Magie des Dufts von Butter und Zucker, Eiern und Mehl sie nun endgültig auf. Sie fühlte sich erleichtert, als wäre ihr eine Last von den Schultern genommen, und das hatte sie dem sanften Vanillearoma zu verdanken, das beruhigend in der Luft hing, dem süßen und würzigen Hauch von Schokolade und dem scharfen Zitrusgeruch der Limonen. All diese Düfte strudelten um sie herum und erdeten sie wieder. Beinahe hätte sie laut aufgelacht. Die Düfte erdeten sie, was für ein bescheuertes Bild. Aber es stimmte, zum ersten Mal seit Wochen fühlte sie sich wieder ein wenig wie sie selbst. Dann erblickte sie den Spruch über der Theke: Der heutige Tag schenkt ihnen 86400 Sekunden. Haben Sie schon eine davon zum Lächeln verwendet?

Sie nahm sich die Botschaft zu Herzen, entspannte die Mundwinkel und grinste schließlich breit, wobei sie noch einmal diskret schnüffelte. Das hier fühlte sich beinahe wie zu Hause an, und plötzlich hätte sie am liebsten in ihrer Küche gestanden, um Zutaten zu mischen, zu rühren, zu kosten und zu backen.

Sie schlug die Augen auf und ging zur Theke. Ihre Begeisterung fühlte sich ungewohnt an, als wäre sie durch Mangel an Gebrauch eingerostet. Jetzt wollte sie unbedingt sehen, was es zu kaufen gab, wo all die köstlichen Düfte herkamen und was sie hier lernen könnte. Sie war noch nie in Amerika gewesen, und so gab es hier eine völlig neue kulinarische Welt zu erkunden. Ihre Augen leuchteten auf. Oh ja, mit Sicherheit.

«Guten Morgen. Wie geht es Ihnen? Was darf es sein?», fragte ein freundlicher Rotschopf, dessen Lockenpracht von einem leuchtend grünen Tuch gehalten wurde. Die zierliche Frau war mit dem Abwischen der Kaffeemaschine beschäftigt.

«Hi. Es geht mir … sehr gut, danke. Ich bin Sophie. Von oben.»

«Sophie!», quietschte die junge Frau, ließ ihr Tuch fallen, eilte hinter der Theke hervor, legte ihr die Hände auf die Arme und musterte sie mit der Begeisterung und dem leuchtenden Blick einer Großtante, die ihre Großnichte nach vielen Jahren zum ersten Mal wiedersah. «Hey! Wie schön, dich zu sehen. Ich bin Bella. Die Vermieterin. Ich habe noch nie etwas vermietet. Ist das Apartment in Ordnung?» Sie ließ Sophie los und sprach eifrig gestikulierend weiter: «Brauchst du noch irgendetwas? Tut mir leid, dass ich dir nicht ein paar Lebensmittel besorgt habe. Vielleicht hätte ich das tun sollen, ich war mir nicht sicher, aber dann haben wir einen Eilauftrag bekommen, und da hab ich einfach … Na ja, am Wochenende ist hier immer der Teufel los. Willkommen in Brooklyn!»

Sophie bremste den Wortschwall lachend mit erhobenen Händen ab und beruhigte die Frau. «Alles in Ordnung. Das Apartment ist ganz zauberhaft. Und ein netter Mann namens Wes hat mir geholfen, meinen Koffer nach oben zu tragen. Er hat mir sogar einen Kräutertopf geschenkt.»

«Ach ja, der wunderbare Wes.» Bellas Mundwinkel zuckten einen Moment lang nach unten, bevor sie fortfuhr: «Er ist ein Schatz. Und immer hat er ein paar Kräuter parat.» Sie nickte mit dem Kopf in Richtung der Alutöpfe voller Lavendel, die auf den Tischen standen. «Puh, ich musste mich ganz schön ranhalten, um alles rechtzeitig fertig zu bekommen, aber als mein Cousin Todd sagte, jemand bei der Zeitschrift brauche eine Wohnung, konnte ich ihm seine Bitte nicht abschlagen. Was kann ich dir denn jetzt anbieten? Du hast bestimmt einen furchtbaren Jetlag. Ist es jetzt mitten in der Nacht in London?»

«Nein, kurz nach Mittag, aber ich versuche, nicht daran zu denken. Ein Kaffee wäre super, danke.» Normalerweise war sie eine eiserne Teetrinkerin, aber sie wusste, dass die New Yorker ihren Kaffee liebten, und hatte den Verdacht, dass es sich als Herausforderung erweisen würde, eine anständige Tasse Tee zu bekommen.

«Meine Güte, ich liebe deinen englischen Akzent. Das klingt so süß.»

«Danke.» Sophie musste einfach strahlend zurücklächeln. Das geschah automatisch. Bella hüpfte herum wie ein Trickfilm-Kobold in einem Wirbelwind. Ihre haselnussbraunen Augen sprühten vor Interesse und Intelligenz.

«Wie wäre es mit etwas Essbarem? Ich habe heute Morgen diese Lavendel-Vanille-Cupcakes hier frisch gebacken, und dort stehen noch Karotten-Zimt-Cupcakes und welche mit Orangen und Zitronen.»

«St. Clements», sagte Sophie automatisch.

«St. was?»

«Das ist Cockney Rhyming Slang. Die Geschmacksrichtung Orange und Zitrone wird manchmal St. Clements genannt. Das ist eines meiner Lieblingsaromen.» Aus einem Impuls heraus sang sie leise die erste Zeile des Kinderlieds: «Oranges and lemons say the bells of St. Clements.»

«Oh, das ist ja süß! Das hab ich noch nie gehört.» Bellas Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an. «Cockney. Das kommt in Mary Poppins vor. Ich könnte ein ganzes Sortiment zu diesem Thema backen. Supercalifragilistic-Kuchen.»

«Dein Schaufenster ist toll. Hast du den Kuchen selbst entworfen?»

Bella strahlte, und Sophie hätte schwören können, dass die Sommersprossen auf ihrer Nasenspitze tanzten. «Aber sicher. Gefällt er dir?»

«Ich finde ihn unglaublich. Er ist wirklich großartig. Die schwarz-weißen Rüschen und die Federn aus Zuckerguss sind wirklich raffiniert.»

«Danke, das freut mich sehr. Du musst Hunger haben, oder? Also, was hättest du gern? Das erste Frühstück geht aufs Haus.»

«Mhm, das alles sieht wirklich köstlich aus.» Mit knurrendem Magen musterte Sophie den Inhalt der Glastheke, in der sich verschiedene Brotsorten stapelten. Auf der anderen Seite prangten Reihen von reizend verzierten Cupcakes, die mit ihrer cremeweißen Glasur und den Zuckergussblumen wie Osterkörbchen aussahen. Außerdem standen dort mehrere Käsekuchen mit Obstbelag, gerahmt von riesigen Cookies, auf denen Schokostückchen glänzten, und diversen Torten.

«Backst du das alles selbst?»

«Nein, dafür fehlt mir die Zeit. Die Cupcakes und das Festtagsgebäck stammen von mir. Und ich mache mir Hoffnungen, dass die Hochzeitstorten ein Verkaufsschlager werden. Die Käsekuchen kommen von der wunderbaren Maisie, die um die Ecke wohnt und sie bäckt, wenn die Kinder in der Schule sind. Sie verwendet dazu den Bio-Cream-Cheese aus der Käserei ihrer Familie in Maine. Sie sind einfach nur göttlich. Und die Brote und die Bagels werden täglich von einem zweiköpfigen Team angeliefert, Ed und Edie. Ein Er und eine Sie.» Sie lachte. «Ihr Betrieb heißt Die Beiden Eds. Und ihr Werbeslogan lautet: Beim Brot sind zwei Eds die Besten.»

Sophie stöhnte. «Jetzt habe ich richtig Hunger! Und nach dem Gebäck im Schaufenster zu schließen … sollten dir die Kunden die Tür einrennen.»

Bella verzog das Gesicht. «An den Wochenenden ist hier tatsächlich der Teufel los. Und diese Woche war es noch schlimmer als sonst. Ich hatte zwei Geburtstagsfeiern und musste hundertfünfzig Cupcakes backen, glasieren und mit Baseball-Spielern verzieren. Ich kann dir sagen, diese kleinen gestreiften Shirts sind eine Fummelei. Aber andererseits: Jeder liebt doch Cupcakes.» Sie fing Sophies Blick auf und zwinkerte.

Sophie lächelte zurück. «Deine Zuckerguss-Blumen sind toll.» Sie deutete auf die Cupcakes in der Auslage. «Es muss Spaß machen, die herzustellen. Ich würde wirklich gern lernen, wie das geht.» Sie betrachtete sie mit einem abwägenden Blick. «Ich bin Food-Redakteurin, daher backe ich viel. Um Rezepte auszuprobieren.»

«Wirklich? Todd hat mir gar nicht erzählt, was du machst. Das ist total cool. Vielleicht können wir ja irgendwann mal ein paar Ideen tauschen.»

«Das wäre schön. Backen hat einfach etwas …» Sophie schnupperte noch einmal nach den Düften im Raum, und schon kam ihr ihr Aufenthalt in New York nicht mehr ganz so schwierig vor.

«Oh, ich glaube, wir werden uns wunderbar verstehen. Ja, das Backen hat etwas … Es ist beinahe magisch. Und ich mag die Kunden. Die kommen immer wieder mit neuen Ideen. Ich sehe es so gern, wenn ihre Augen aufleuchten. Gebäck macht den Leuten gute Laune.»

«Die da sehen köstlich aus.» Sophie blickte auf ein Tablett mit Cupcakes, das unmittelbar vor ihr stand. «Das muss doch Stunden dauern.»

«Das stimmt … aber sie sind die Mühe wert, und jeder einzelne ist mit Liebe und Herzblut gemacht.» Bella strahlte. «Natürlich ist es auch harte Arbeit, aber das hier ist mein eigener Laden. Na ja, er gehört mir, der Bank und meinem Großvater. Er ist der eigentliche Besitzer des Gebäudes und vermietet es mir.» Sie unterbrach sich und musterte Sophie. «Sag mal, gibt es noch etwas, was du brauchst? Ich vermiete das Apartment jetzt zum ersten Mal. Es ist erst seit zehn Tagen fertig renoviert.»

«Ehrlich, Bella. Die Wohnung ist phantastisch. Alles ist bestens.» Sophie biss sich auf die Unterlippe, denn sie wollte die fehlende Bettwäsche nicht erwähnen. Für so etwas war Bella nicht verantwortlich, aber Sophie hatte das Gefühl, dass sie sich trotzdem sofort darum kümmern würde.

«Na, gib mir aber Bescheid, falls es noch irgendwas gibt.»

«Nein, alles ist gut, und ich liebe den Balkon.»

«Ja, aber pass bloß mit den kleinen Quälgeistern auf. Die sind fies.»

«Quälgeister? Du meinst Moskitos?»

«Oh ja. Falls du dort sitzen willst, solltest du dir ein paar Kerzen mit Zitronellenduft besorgen, oder einen Ventilator. Aber jetzt erst einmal Kaffee? Wir haben Milchkaffee, Filterkaffee, Iced Coffee, Cappuccino, Latte macchiato, Flat White, Americano und Espresso.»

«Einen Cappuccino, bitte. Zum letzten Mal habe ich im Flugzeug etwas getrunken», antwortete Sophie und schnupperte in Richtung der Kaffeemaschine.

«Setz dich doch, dann bringe ich ihn dir rüber.»

Sophie ließ sich an dem einzigen freien Tischchen nieder, einem Platz am Fenster, und schaute sich gründlich in der Bäckerei um. Sie liebte das Ambiente, in dem verschiedene Stilrichtungen gemischt waren, aber so, dass jeder Bereich seinen ganz eigenen Charakter behielt. Sofas, Stühle, Kissen und Überwürfe orientierten sich dabei am Muster der jeweiligen Tapete.

Im Hintergrund öffnete sich ein geschwungener Durchgang, durch den man in die Küche sah, wo noch immer Mehlreste und Backgeräte auf dem Tisch verteilt waren, als wäre das letzte Blech mit Gebäck gerade erst fertig geworden.

Mit einem glücklichen Seufzer lehnte Sophie sich auf ihrem Stuhl zurück. Hier im Café fühlte sie sich auf Anhieb wohl, und Bella hatte sie so warm und herzlich willkommen geheißen. Plötzlich fühlte sie sich schon nicht mehr ganz so weit von zu Hause weg. Sie nahm ihr Notizbuch und ihren Reiseführer heraus. Sie musste so viel erledigen, aber sie war ein wenig benommen, als hätte sie Watte im Kopf. Deshalb fiel es ihr schwer, ihre Gedanken zu ordnen und Prioritäten zu setzen. Der Jetlag war wirklich zum Kotzen.

Der Plan des Subway-Systems sah grauenhaft kompliziert aus, und sie begriff bei keiner einzigen Strecke, mit welchem Namen sie bezeichnet war. Sie warf einen Blick auf Bella, die hinter dem Tresen beschäftigt war. Sie würde sie um Hilfe bitten.

Ihre Nerven flatterten, als sie durchs Fenster auf den lebhaften Verkehr der Straße blickte. Sie befand sich wirklich hier. London lag mehrere Flugstunden entfernt, und in der Sicherheit des Cafés bekam sie das Gefühl, dass sie die nächsten sechs Monate bewältigen würde, wenn sie es langsam anging, einen Tag nach dem anderen.

In England musste jetzt früher Nachmittag sein. Was James wohl gerade tat? War er noch bei seiner Frau Anna?

«Hi, du bist Sophie, oder?»

Mit einem Ruck fuhr sie hoch und registrierte den Mann, der vor ihr stand. Die durchs Fenster hereinströmende Sonne umriss seine Gestalt, machte es aber schwierig, seine Gesichtszüge zu erkennen. Daraus, wie er Bella zunickte, die schon wieder wild gestikulierte, schloss Sophie, dass die junge Amerikanerin ihm bedeutet hatte, wer sie war.

Er setzte sich verkehrt herum auf einen Stuhl und lächelte Sophie an.

Sie war sofort von seinem Selbstvertrauen irritiert, von der lässigen Art, mit der er einfach wie selbstverständlich davon ausging, dass sie sich über sein Kommen freuen würde. Sie lächelte ihm schmallippig zu.

«Ich bin Todd.» Er streckte ihr die Hand hin, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als sie zu ergreifen. Sein Händedruck war trocken und fest.

Sie versteifte sich und wäre am liebsten vor ihm zurückgewichen. Er strahlte eine solche Selbstgewissheit aus, dass ihr Gefühl, nicht hierherzupassen und vollkommen fremd zu sein, sich nur noch verstärkte.

«Bella ist meine Cousine. Ich habe dir das Apartment oben besorgt.»

Was wollte er von ihr? Einen verdammten Orden?

Da die Höflichkeit es gebot, nickte sie und sagte knapp: «Danke.»

«Gern geschehen.» Er hob den Kopf, als Bella sich mit Sophies Cappuccino und ihrem Gebäckstück näherte. «Hi, Bellabella. Bringst du mir einen Iced Coffee?»

«Hi, Todd, was führt dich so früh am Tag hierher?» Sie stellte Kaffee und Kuchen vor Sophie hin. «Ich dachte, nach der gestrigen Party würdest du erst mal ausschlafen.»

«Wer hat denn behauptet, dass ich schon zu Hause war?»

«Wie dumm von mir, natürlich warst du das nicht.»

Sie wandte sich Sophie zu. «Das ist mein Cousin. Todd McLennan. Ein richtig übler Partylöwe.» Sie beugte sich vor und umarmte ihn. «Also, wo warst du gestern Nacht unterwegs? Oder sollte ich besser fragen, mit wem?»

«Du tust mir unrecht.» Er legte die Hand aufs Herz und lächelte Sophie an. «Glaub ihr kein Wort.»

«Oh, glaub mir jedes Wort. Von dir muss eine Frau die Finger lassen, sonst gibt es Probleme.»

«Bella, Bella, Bella … du verkennst mich.» Er seufzte. «Ich belüge die Damen nie.»

«Stimmt, aber jede denkt, sie werde diejenige sein, die es schafft, dich zu läutern.»

Er beugte sich achselzuckend vor, dippte den Finger in die Glasur von Sophies Cupcake und zwinkerte ihr zu. «Was kann ich dafür, wenn sie mir nicht zuhören?»

Sophie zog die Augenbrauen zusammen, als Bella ihm einen Klaps auf die Hand versetzte.

«Pfoten weg, das ist Sophies Kuchen. Sie hatte bestimmt noch kein Frühstück.»

«Sorry», antwortete er und lächelte breit. «Ich auch nicht.»

«Warst du überhaupt schon zu Hause?», fragte Bella kopfschüttelnd.

«Ja, ich hab friedlich und fest in meinem eigenen Bett geschlafen, wenn du schon fragst. Also, bringst du mir jetzt einen Kaffee, oder muss ich erst darum betteln?»

Sophie hätte am liebsten geschnaubt. Als ob dieser Mann jemals um etwas betteln müsste. Ein einziger Blick auf ihn in seinem lässigen Ralph-Lauren-Shirt und seinen schicken, marineblauen Shorts mit den teuren, wenn auch abgenutzten Slippern an den Füßen genügte, um zu wissen, dass dieser Mann auf der Sonnenseite des Lebens stand. Fast als hätte er ihre geringschätzigen Gedanken gelesen, schenkte er ihr ein charmantes, strahlendes Filmstar-Lächeln.

«Also, Miss Sophie, wie findest du Brooklyn bisher?» Er beugte sich über die Stuhllehne vor und richtete den Strahl seiner Aufmerksamkeit ganz auf sie, als wollte er die Antwort auf seine Frage wirklich wissen. Sie hatte das Gefühl, dass dies ein eingeübter Schachzug war, der ihm so leicht fiel wie Atmen.

«Einfach nur Sophie, bitte, und ich bin gerade erst angekommen. Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, mir ein Bild zu machen.» Ihre Worte kamen ihr gestelzt und steif vor.

Er fasste über den Tisch und zog ihre Notizen und den Faltplan zu sich. «Bergen Street. Die Linie F 47th/50th.»

«Sorry?» Zum Teufel, jetzt klang sie sogar noch spröder und zimperlicher.

Er grinste einfach nur. «Der Weg zur Arbeit. Das wolltest du doch nachschauen, oder?»

Konnte er Gedanken lesen? Sie runzelte die Stirn.

«Du machst den Jobtausch mit Brandi. Ich habe Bellas Apartment vorgeschlagen, weil sie die für die andere Kollegin reservierte Wohnung bereits wieder freigegeben hatten. Mensch, was für ein Pech, dass sie sich das Bein gebrochen hat – aber andererseits wohl Glück für dich. Ich hätte niemals erwartet, dass sie bei euch so schnell jemanden auftreiben, der für sie einspringt. Standst du schon als Ersatzfrau auf der Liste oder was?»

«Nein», fuhr Sophie ihn mit für sie ganz untypischer Schärfe an, denn es ärgerte sie, dass alle sie nun für die zweite Wahl halten würden. Dabei hatte sie ja in Wirklichkeit erst einmal gar nicht kommen wollen.

Er hob die Hände, als würde er sich ergeben. «Ich wollte damit nicht andeuten, du seist weniger gut.» Überraschenderweise waren seine Augen plötzlich voll Mitgefühl, als wüsste er, dass es komplizierter war. «Die Subway kann für einen Neuankömmling ein bisschen verwirrend sein. Die Bergen Street liegt ein paar Straßen von hier entfernt. Ich könnte dir den Weg nach dem Kaffee zeigen.» Er zog die Schultern hoch. «Wir werden schließlich Kollegen sein.»

«Was? Du arbeitest bei CityZen?»

«Ja, klar.» Seine Augen funkelten schalkhaft, und er zog die Augenbrauen herausfordernd hoch, ein wenig anzüglich. «Ich schreibe die Kolumne Man in the City.»

Offensichtlich ging er davon aus, dass sie darüber Bescheid wusste. Sie hätte sich die Zeitschrift vorher einmal anschauen sollen. Jeder, der angemessen begeistert darüber gewesen wäre, dass man ihm eine großartige Möglichkeit geboten hatte, eine Weile in der aufregendsten Stadt der Welt zu arbeiten, hätte das getan.

Plötzlich hatte sie sich selber satt, hatte das Auf und Ab ihrer Gefühle satt, hatte es satt, sich selbst zu bemitleiden, und besonders hatte sie es satt, dass James ihr das angetan hatte. Ihre ganze Kindheit hindurch hatte sie es geschafft, sich über unangenehme Umstände hinwegzusetzen und sonnig und positiv zu bleiben, trotz all der Gemeinheiten der Exfrau ihres Dads gegen ihre Familie. James würde ihr das nicht wegnehmen.

Mit einem absichtlich strahlenden Lächeln erwiderte sie: «Klingt gut.» Sobald er gegangen war, würde sie sich einen Zeitschriftenladen suchen (hießen die hier nicht Newsstands?) und eine Ausgabe von CityZen erstehen.