Das Konzert - Hermann Bahr - E-Book

Das Konzert E-Book

Hermann Bahr

0,0

Beschreibung

Dieses eBook: "Das Konzert" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Das Konzert ist das erfolgreichste Lustspiel von Hermann Bahr. Der Pianist, Klavierlehrer und Künstler Gustav Heink entbindet sich kurzfristig aller Pflichten, weil er für ein unter Geheimhaltung abgehaltenes Konzert engagiert sei. In Wirklichkeit reist er mit seiner Schülerin Delfine Jura in eine Berghütte, wohin er für gewöhnlich seine Affären mitnimmt. Hermann Bahr (1863-1934) war ein österreichischer Schriftsteller, Dramatiker sowie Theater- und Literaturkritiker. Er gilt als geistreicher Wortführer bürgerlich-literarischer Strömungen vom Naturalismus, über die Wiener Moderne bis hin zum Expressionismus.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 202

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hermann Bahr

Das Konzert

e-artnow, 2016 Kontakt: [email protected] ISBN 978-80-268-6863-7

Inhaltsverzeichnis

Personen
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt

Personen

Inhaltsverzeichnis

Gustav Heink, Pianist.

Marie, seine Frau.

Dr. Franz Jura.

Delfine, seine Frau.

Eva Gerndl.

Pollinger.

Frau Pollinger.

Fräulein Wehner.

Fräulein Selma Meier.

Miss Garden.

Frau Claire Floderer.

Frau Fanny Mell.

Frau Dr. Kann.

Erster Akt

Inhaltsverzeichnis

Salon bei Heink. In der linken Wand Türe zum Zimmer der Frau Marie, in der Mitte Türe zum Musikzimmer, in der rechten Wand Türe zum Vorzimmer. Bilder Gustav Heinks, eine Büste Gustav Heinks. Links Tisch mit Stühlen. An der Türe rechts ein Kamin, weiter nach vorn ein Wandsofa, vor diesem ein rundes Tischchen mit Stühlen. Überall Blumen in hohen schmalen Gläsern. Alles ist hell, behaglich und reich, von einer angenehmen ungesuchten Eleganz.

Auf dem Tische links: Sträuße von Tulpen, Narzissen und Flieder, eben hingelegt, dann ein Stoß von uneröffneten kleinen blaßblauen, gelben und rötlichen Briefen mit Monogrammen und ein Handkoffer in gelbem Leder, halb gepackt. Auf dem Tischchen rechts ein Stoß von uneröffneten kleinen Briefen.

Die Tür zum Musikzimmer steht auf; man erblickt einen großen schwarzen Steinway und an der Wand Lorbeerkränze mit großen Schleifen. Auch die Tür rechts steht auf.

HEINK[dreiundvierzig Jahre; groß, auffällig schlank, was er durch seine Kleidung noch hervorzuheben sucht, und sehr jugendlich in seinen eiligen Bewegungen; pechschwarzes Haar in langen glatten Strähnen bis auf die Schultern; das unruhige Gesicht rasiert, sehr gescheit, mit einem Zug ins Spöttische, der seinen Ausdruck banaler Liebenswürdigkeit stört; es wäre der Kopf eines durchtriebenen Weltmannes oder Diplomaten, ohne die langen Haare, die ihm etwas gewerbsmäßig Künstlerisches geben; er ist weibisch kokett, besonders wenn er im Gespräch die müden, ein wenig verschlafenen Augen plötzlich aufreißt und nun visionär ins Weite starrt; er spricht mit einer affektierten Herzlichkeit, seine zärtliche Stimme hat etwas Bittendes, Streichelndes, doch vergißt er sich leicht und wenn er ungeduldig wird, ist sie hart und schreit; er trägt einen Automobilmantel; er ist im Musikzimmer rechts, noch unsichtbar, und kann sich der andrängenden Damen kaum erwehren]: Glauben Sie mir, meine Damen! Ich bin untröstlich! Ein Versehen meines Sekretärs offenbar, das ich mir selbst noch gar nicht erklären kann, denn Sie können sich doch denken, meine verehrten Damen, daß ich – [immer noch unsichtbar, bricht er, da er etwas sucht und nicht findet, plötzlich ab und ruft ungeduldig nach dem Vorzimmer hin] Fräulein! [Und gleich wieder in seinem sanften Ton zu den Damen] Wie gesagt, ich bin untröstlich, ich konnte doch nicht denken, daß mein Sekretär – ich kann's auch noch gar nicht verstehen, er hatte den Auftrag, die Damen noch gestern sofort zu verständigen, und ich weiß gar nicht was – [wieder in dem andern Ton, nach dem Vorzimmer rufend, noch heftiger, indem er, einen Pyjama über den Arm, ein Täschchen in der Hand, zur Tür des Musikzimmers schießend, einen Augenblick sichtbar wird, von den Damen begleitet] Fräulein! [Gleich verschwindet er wieder im Musikzimmer nach rechts und fährt mit sanft klagender Stimme fort] Sie sehen mich untröstlich, meine Damen! In zwei Tagen bin ich ja freilich wieder zurück, aber Sie können sich denken, wie bang mir nach Ihnen sein wird, die zwei Tage! [Wieder in dem anderen Ton, indem er wütend schreit] Fräulein!

FRAU FANNY MELL[klein, aufgeregt, schusselig; rennt aus dem Musikzimmer in den Salon, nach dem Vorzimmer rufend]: Fräulein!

FRAU CLAIRE FLODERER[blond, dick, tragisch; tritt aus dem Musikzimmer in die Tür, lehnt sich an und seufzt, Tränen in den Augen]: O Gott! O Gott!

FRÄULEIN SELMA MEIER[enthusiastisch, atemlos; folgt stürmisch der Frau Mell, nach dem Vorzimmer rufend]: Fräulein!

FRAU FANNY MELL[vor der Tür rechts, ins Vorzimmer rufend]: Fräulein! [Sie will ins Vorzimmer und prallt mit der eintretenden Eva Gerndl zusammen; vor dem großen Blumenstrauß, den diese vorstreckt, zurückschreckend] Oh!

EVA[neunzehn Jahre; sehr schlank, phantastisch, auf Schlange stilisiert, Klimtaugen, Klimtfrisur, überhaupt ganz Klimt; versucht auf alle Weise nervös zu schillern; ist immer aufgeregt und hat immer Verdacht; unter ihrer Maske sieht, wenn sie sich zuweilen vergißt, ein argloses liebes Wiener Gesicht mit großen verwunderten Augen kindisch hervor; zuerst erscheint ein ungeheurer Strauß von gelben Tulpen, den sie trägt, dann folgt sie selbst, erschrickt vor Frau Fanny Mell und fragt gleich sehr mißtrauisch]: Was? Was ist denn? Was ist geschehen?

FRAU FANNY MELL[mit einem Blick ins Musikzimmer zurück und dem Ausdruck des höchsten Entsetzens]: Er verreist!

FRÄULEIN SELMA MEIER[tritt zu Frau Fanny Mell]: Er verreist!

FRAU CLAIRE FLODERER[tragisch mit tiefer Stimme]: Der Meister verreist! [Kommt langsam vor.]

EVA[an dem Worte würgend, das ihr im Hals stecken bleibt]: Ver – reist?

FRAU FANNY MELL[rasch]: Die Stunde fällt aus –

FRÄULEIN SELMA MEIER[einfallend]: Auch morgen und –

FRAU FANNY MELL[einfallend]: Er gibt ein Konzert –

FRÄULEIN SELMA MEIER[dazwischensprechend]: Der Sekretär hat uns abschreiben sollen –

FRAU FANNY MELL: Mir hat er nicht geschrieben –

FRÄULEIN SELMA MEIER: Mir auch nicht –

FRAU FANNY MELL[zu Eva]: Hat er Ihnen geschrieben?

EVA[noch ganz starr]: Mir? Mir?

FRAU CLAIRE FLODERER[zu den anderen vortretend; tragisch]: Der Meister verreist!

EVA[atemlos]: Kein Wort! Kein Wort! Aber da – da – [ringt nach Luft].

HEINK[im Musikzimmer, unsichtbar; ruft nach dem Vorzimmer]: Fräulein!

EVA: Da steckt ein Geheimnis! [Läßt mit einem kurzen Aufschrei den Strauß fallen, fährt mit der Hand ans Herz und sinkt auf das Wandsofa.]

FRAU DOKTOR KANN[kurz, stämmig, asthmatisch; mit einem Riesenhut und vielen Ringen; stürzt aus dem Musikzimmer vor]: Fräulein!

FRAU FANNY MELL[ins Vorzimmer rennend]: Fräulein! [Rechts ab.]

FRÄULEIN SELMA MEIER[der Frau Fanny Mell folgend]: Fräulein! [Rechts ab.]

FRAU CLAIRE FLODERER[will ins Vorzimmer, bleibt aber an der Tür rechts; seufzend]: O Gott! O Gott!

FRAU DOKTOR KANN[wackelt auf Eva zu]: Die Stunde fällt aus, der Meister verreist!

EVA[mit geschlossenen Augen, mit schwacher Stimme]: Wasser! Wasser!

[Liegt malerisch auf dem Wandsofa.]

FRAU DOKTOR KANN[zu Eva, gleichgültig fragend, ohne sich zu rühren]: Was haben Sie denn?

HEINK[kommt aus dem Musikzimmer, mit seinem Pyjama, dem Täschchen und einem Fußsack beladen, den ihm Miß Garden durchaus abnehmen will; sich dagegen wehrend, geziert, verschämt]: Aber nein, nein! Was fällt Ihnen ein? Das geht doch nicht, mein Kind! [Geht an den Tisch links.]

MISS GARDEN[Amerikanerin; sehr exotisch aufgedonnert; mit leisem Akzent; zerrt an dem Fußsack]: O geben Sie doch, Meister! Geben Sie mir ihn! O es macht mich glücklich!

FRAU DOKTOR KANN[wackelt auf Heink zu]: Mir, Meister, mir!

EVA[schlägt blinzelnd die Augen auf, und da man keine Notiz von ihr nimmt, erhebt sie sich und greift nach dem Tulpenstrauß].

HEINK[sich wehrend; geziert, verschämt]: Nein, Kinder, nein! Es geht doch wirklich nicht! Das ist für eure zarten Damenhände nichts!

FRAU DOKTOR KANN[erwischt seinen Pyjama und hält ihn hoch].

MISS GARDEN[reißt ihm den Fußsack weg, den sie an ihren Busen drückt].

HEINK[zwischen Frau Doktor Kann und Miß Garden in der Mitte, das Täschchen in der Hand; schmerzlich vorwurfsvoll klagend]: Nein, Kinder! Aber Kinder! Seid ihr toll?

FRAU CLAIRE FLODERER[von der Tür rechts her hinter Heink tretend; langsam, mit tiefer Zärtlichkeit, bittend]: Meister!

HEINK[gleichgültig fragend, rasch]: Ja, mein Kind?

FRAU CLAIRE FLODERER[mit schwerer Innigkeit]: Vertraun Sie mir das Täschchen an, Meister!

HEINK[legt rasch die Hand schützend auf das Täschchen; wieder in jenem geziert verschämten und schmollenden Ton]: Nein, Kinder, nun hört schon auf! Ihr wißt, daß ich das nicht mag, wenn ihr es so mit mir treibt! Es macht mich ganz befangen.

FRAU CLAIRE FLODERER[tief traurig]: Wird denn nur mir gar nichts gewährt?

HEINK[sieht sie kokett an, lächelt und reicht ihr bezwungen das Täschchen]: Wer könnte solchen Augen widerstehen? [Klatscht in die Hände; in einem andern Ton, ungeduldig] Nun macht aber rasch, daß endlich gepackt wird! Es ist die höchste Zeit. Ich versäume sonst wirklich noch mein – Konzert. [Lustig] Rasch, Kinder, rasch!

MISS GARDEN, FRAU DOKTOR KANNundFRAU CLAIRE FLODERER[packen an dem Tische links den gelben Koffer].

EVA[tritt zu Heink, der sie jetzt erst bemerkt, und reicht ihm die gelben Tulpen]: Verehrter Meister!

HEINK[affektiert überrascht, indem er die Tulpen nimmt]: Ach die schönen, schönen Blumen! Danke schön! Und wissen Sie, Kind, daß das meine Lieblingsblumen sind?

EVA[ein freudiges Erstaunen heuchelnd]: Nein?

HEINK[die Blumen streichelnd, kokett]: Ja!

EVA: Wirklich, Meister?

HEINK: Klein Evchen errät doch meine geheimsten Gedanken!

EVA: Ich wünschte mir, der Meister erriete meine!

HEINK[kokett]: Nun?

EVA[leise]: Ich möchte mit. [Sieht ihn frech an.]

HEINK[erschreckt, verwirrt; plötzlich in einem harten ungeduldigen Ton]: Was denn, wie denn, wohin?

EVA[frech]: In das Konzert.

HEINK[rasch]: Welches – [ärgerlich] Ach so! [Scharf] Was fällt Ihnen ein!?

EVA[frech]: In das Konzert, das Sie geben. Ich weiß ja nicht wo. Aber warum denn nicht?

HEINK[heftig]: Nein. Ausgeschlossen, mein Kind! [Wieder milder im Ton] Daß es vielleicht noch heißt, ich schleppe den ganzen Troß meiner Schülerinnen mit! Das wäre so was für die Herren der Presse! Und dann, Kind, ist es auch gar kein öffentliches Konzert, sondern auf einem Schloß, nämlich bei der Gräfin – aber der Name ist ja gleich, ich will nicht, daß man ihn weiß, es sähe aus, als ob ich damit prahlen möchte, und Sie wissen, mein Kind, ich hasse nichts mehr, als was irgendwie nach Reklame schmeckt. [Plötzlich wieder in einem sehr netten, schmeichelnden Ton] Also seien Sie lieb und hüten Sie mein Geheimnis! Ja?

EVA[heuchlerisch treuherzig]: Ja, Meister.

HEINK: Klein Evchen wird mich doch nicht verraten? Ich kenne Klein Evchen doch! Und wenn es brav ist und schön zu schweigen weiß, dann –

EVA: Dann?

HEINK[sieht sie kokett an]: Tja! Wer weiß?

EVA: Darf ich dann ein anderes Mal vielleicht mit, ins – Konzert?

HEINK[ganz nahe an ihrem Gesicht, kokett]: Wer weiß?

EVA[langsam]: Auch in ein so ganz geheimes Konzert?

HEINK[plötzlich ärgerlich, trocken]: Mein liebes Kind, benutzen Sie lieber die paar Tage, um einmal tüchtig zu üben! Ihr Anschlag ist höchst mangelhaft. Das kommt aber davon, wenn man allerhand Torheiten im Kopfe hat. Ich kann schon auch einen Scherz verstehen. Aber die Kunst, mein Kind, die Kunst fordert den ganzen Menschen für sich! [Er läßt sie stehen und wendet sich ab, zum Tische links hin; plötzlich in einem andern, weinerlichen Ton] Aber nicht den Fußsack! Was treibt ihr denn, der Fußsack kommt doch nicht in den Koffer!

FRAU DOKTOR KANN, MISS GARDENundFRAU CLAIRE FLODERER[reißen alles wieder aus dem Koffer].

EVA[blickt Heink einen Augenblick nach, stampft dann zornig mit dem Fuß auf und tritt an den Kamin rechts, wo sie trotzig bleibt].

FRÄULEIN WEHNER[siebenundzwanzig Jahre; ängstlich, gehetzt; eine Automobilmütze bringend, atemlos durch die Tür rechts]: Hier, Herr Professor, ist die –

FRAU FANNY MELLundFRÄULEIN SELMA MEIER[hinter dem Fräulein Wehner, durch die Tür rechts und gleich zum Tische links].

HEINK[als er die Stimme der Wehner hört, ohne sich nach ihr umzuwenden, an einem Koffer beschäftigt; ungeduldig klagend]: Endlich, Fräulein! Wo stecken Sie denn, Fräulein? Ich will doch abreisen, Fräulein! Und Sie lassen mich ganz allein! Ich habe doch wirklich noch andere Dinge im Kopf!

FRÄULEIN WEHNER[hält ihm die Mütze hin, atemlos]: Ich habe die Mütze gesucht, Herr Professor!

HEINK[ungeduldig ärgerlich]: Ach ja die Mütze!

FRÄULEIN WEHNER: Sie hing im Garten auf dem Apfelbaum.

HEINK[gereizt]: Nun ja! Das hätten Sie sich auch denken können. [Sieht sie vorwurfsvoll an und sagt in einem Ton tiefer Kränkung] Fräulein, Fräulein!

FRÄULEIN WEHNER[steht schuldbewußt; leise, flehentlich, zerknirscht]: Verzeihen Sie, Herr Professor!

HEINK[ungeduldig, weinerlich; auf den Koffer zeigend, den er nicht zubringt]: Aber nun kommen Sie doch endlich und helfen uns! [Während Fräulein Wehner an den Tisch stürzt] Vorher aber sehen Sie noch nach, ob denn der Johann bereit ist! Es ist ja die höchste Zeit, Fräulein! Er soll gleich den Koffer holen! [Während Fräulein Wehner vom Tische links an die Tür rechts stürzt] Und Fräulein, Fräulein! Haben Sie denn meiner Frau gesagt –?

FRÄULEIN WEHNER[an der Tür rechts]: Gleich, Herr Professor! [Rechts ab.]

HEINK[ruft ihr wütend nach]: Nein, Fräulein! Hören Sie doch!

FRAU FANNY MELL[zur Tür rechts stürzend]: Fräulein!

MISS GARDEN[sich an dem Koffer bemühend]: Man muß stopfen. Dann geht es gut.

FRÄULEIN SELMA MEIER[zur Tür rechts stürzend]: Fräulein!

FRAU CLAIRE FLODERER[mit tiefer Stimme]: O Gott! O Gott!

FRÄULEIN WEHNER[rechts draußen rufend]: Ja? [Erscheint atemlos in der Tür rechts]

HEINK[verzweifelt, weinerlich]: Vor allem rufen Sie doch meine Frau! Ich habe Sie doch gebeten, meine Frau zu rufen, Fräulein!

FRÄULEIN WEHNER[stürzt von der Tür rechts zur Tür links]: Ja, Herr Professor.

HEINK: Und geben Sie mir doch meine Mütze! Warum geben Sie mir denn meine Mütze nicht?

FRÄULEIN WEHNER[die die ganze Zeit die Mütze in der Hand behalten hat; an der Tür links, fassungslos]: Die Mütze? Die Mütze, Herr Professor?

FRAU FANNY MELL: Die Mütze, Fräulein!

FRÄULEIN SELMA MEIER: Die Mütze!

HEINK[brüllend]: Sie haben sie doch in der Hand!

FRÄULEIN WEHNER[erschrickt]: Ja, Herr Professor! [Rennt von der Tür links an den Tisch und bringt die Mütze].

HEINK[indem er die Mütze nimmt und aufsetzt]: Vor allem aber meine Frau, Fräulein! Und den Johann haben Sie mir auch noch nicht gerufen! Und dann müssen Sie doch endlich den Koffer schließen!

FRÄULEIN WEHNER[an der Tür links]: Gleich, Herr Professor! [Links ab.]

HEINK[klagend]: Wenn ich nicht alles selber mache! Sie sehen, meine Damen! Ach ja, Kinder, es ist schwer, berühmt zu sein! [Geht nach rechts, erblickt Eva und sagt zornig] Und Sie könnten auch ein bißchen helfen, statt sich da malerisch an den Kamin hinzugießen! Mit Ihrer Faulheit, mein Kind, werden Sie nie was erreichen! Wie oft soll ich Ihnen das noch sagen?

EVA[zornig, ganz leise]: Sie haben mich zu tief verletzt!

HEINK[muß über ihr zorniges Gesicht lachen]: Wie denn? Wann denn?

EVA: Glauben Sie, ich weiß nicht?

HEINK[unruhig]: Was?

EVA: Alles.

HEINK[ungeduldig]: Was denn?

EVA[mit einer spöttischen Verbeugung]: Viel Glück zum – Konzert, verehrter Meister!

HEINK[unruhig, streng]: Kind, ich bitte mir aus, daß Sie –

MISS GARDEN[der es endlich gelungen ist, den Koffer zu schließen; triumphierend]: Zu!

FRAU DOKTOR KANN[triumphierend]: Zu!

FRÄULEIN SELMA MEIER[stürzt nach rechts auf Heink zu]: Er ist zu! Meister, der Koffer ist zu!

EVA[tritt wieder an den Kamin mit dem Rücken gegen die anderen].

FRAU FANNY MELL: Aber die Schlüssel?

MISS GARDENundFRAU DOKTOR KANN[tragen den Koffer zur Tür rechts]: Ja, die Schlüssel?

HEINK[in seinen Taschen suchend]: Die Schlüssel?

MARIE[zweiunddreißig Jahre; blond, klein, sehr zierlich; ihr Gesicht ist viel zu gescheit, um schön zu sein; ihr ganzes Wesen hat eine große Ruhe, der man nicht trauen darf; sie ist ganz unauffällig gekleidet, fast kokett einfach; durch die Tür links, die Fräulein Wehner, ihr folgend, hinter ihr schließt; als sie die Damen erblickt, nickt sie kurz und bleibt auf der linken Seite, links vom Tisch]: Was ist, Gustl?

FRAU CLAIRE FLODERER[zum Fräulein Wehner]: Die Schlüssel, Fräulein! O Gott!

HEINK[zu Marie gehend, indem er immer noch in allen Taschen nach den Schlüsseln sucht; eilig]: Guten Morgen, Marie! Ich will dir nur sagen, daß ich – [unterbricht sich, bleibt stehen und schreit wütend] Ich habe die Schlüssel nicht! Fräulein, Fräulein!

FRÄULEIN WEHNER[gleich hinter Marie durch die Tür links]: Die Schlüssel müssen im Musikzimmer sein! [Rennt durch die Tür in der Mitte nach dem Musikzimmer.]

MISS GARDENundFRAU DOKTOR KANN[lassen den Koffer an der Tür rechts stehen und stürzen ins Musikzimmer]: Im Musikzimmer!

FRAU FANNY MELLundFRÄULEIN SELMA MEIER[stürzen ins Musikzimmer].

FRAU CLAIRE FLODERER[folgt ihnen mit langsamen tragischen Schritten ins Musikzimmer].

HEINK[ins Musikzimmer rufend; ärgerlich klagend]: Und, Fräulein, ist denn nun der Johann so weit? [Mit einer halben Wendung zu Eva; ungeduldig, kurz] Ach, Frau Eva, Sie sind wohl so lieb, rasch einmal nach dem Johann zu sehen! Ja?

EVA[ärgert sich; verheißt es und nickt kurz; rechts ab].

HEINK[geht zu Marie nach links; im Gespräch mit ihr hat sein Ton bisweilen eine Schüchternheit oder Verlegenheit, die ihm sonst fremd ist]: Ich will dir nur geschwind Adieu sagen, Marie! Denn denk dir, ich muß auf ein paar Tage fort, das hat sich plötzlich so gemacht, eben jetzt erst, heute früh, nämlich, aber [verlegen auflachend] wir brauchen ja nicht feierlich zu werden, in zwei, drei Tagen bin ich wieder zurück, es wird mir ganz gut tun, einmal ein bißchen herauszukommen, es handelt sich nämlich um ein Konzert, übrigens ohne Bedeutung, die Hauptsache ist mir, ein bißchen frische Luft zu schöpfen, und so nebenher will ich, weil sich gerade die Gelegenheit ergibt, nicht wahr, du begreifst –

MARIE[mit unverhohlenem Spott]: Ich habe mir gleich gedacht, daß es sich um ein Konzert handeln wird.

HEINK[durch ihren Ton betroffen; beleidigt]: Marie! [Sieht sie an und muß lachen; lustig] Aber du hast recht, es ist ja zu dumm, ich werde dich doch nicht anlügen! Du verrätst mich ja nicht, ich muß das nur vor [mit einer Gebärde nach dem Musikzimmer], vor meinen Gänsen sagen, denn, Marie, glaub mir, sie sind fürchterlich, es geht nicht mehr, ich muß wieder einmal ein paar Tage heraus, ich will in die Hütte hinauf, ein paar Tage im Wald liegen und den Vögeln zuhören, ich halt's nicht mehr aus und der Frühling ist ja da, da packt's mich immer wieder und ich hab' mir's doch ehrlich verdient, die zwei, drei Tage, nicht?

MARIE: Du hast dir's ehrlich verdient! Und es ist sehr lieb von dir, daß du mich nicht anlügst.

HEINK[sieht sie zweifelnd an, ob sie das ernst meint]: Nicht wahr? [Rasch weitersprechend] Und du wirst ja den Gänsen nichts verraten, die brauchen das nicht zu wissen, da wird nur gleich wieder getratscht. [In einem lebhaften Ton] Du kennst die Leute, da heißt's gleich, man ist müd, man ist krank, was weiß ich, gar in meinem Alter, sie rechnen mir ja so schon immer meine Jahre vor! Wer über zwanzig ist, wird doch in der Musik heute gleich als Patriarch behandelt! Also du verstehst, daß ich es da vorziehe zu sagen, es handle sich um ein Konzert, es ist wirklich gescheiter! [Lachend] Und du wirst mich ja nicht verraten!

MARIE: Nein, ich verrate dich nicht. Du weißt doch, daß ich schweigen kann. Nicht?

HEINK: Wenn du dir nur den ironischen Ton abgewöhnen könntest! Du sagst die nettesten Sachen oft so, daß es unheimlich ist.

MARIE[tut erstaunt]: Ich?

HEINK[unsicher]: Oder bilde ich mir das ein? [Rasch darüber wegsprechend] Es ist ja möglich, ich bin wieder einmal mit meinen Nerven so fertig, Gott, du mußt nur denken, der Winter war arg, erst die große Tournee, dann hier von Gesellschaft zu Gesellschaft und tagüber die Gänse! Ich bitte dich, beschwichtige mir die Gänse, sonst wirft sich noch eine vor mein Automobil!

MARIE: Mein lieber Gustl, wie soll ich das? Du weißt doch, sie hassen mich alle.

HEINK: Warum denn?

MARIE: Sie denken wohl, ich nehme dich ihnen weg. Es ist mit Gefahr verbunden, deine Frau zu sein.

HEINK[lachend]: Du bist aber ganz tapfer.

MARIE[in ihr Schicksal ergeben]: Man lernt es mit der Zeit.

JOHANN[Heinks Chauffeur; durch die Tür rechts; nimmt den Koffer].

EVA[mit Johann durch die Tür rechts; tritt zum Kamin].

HEINK[Johann erblickend]: Na endlich, Johann! Sind wir so weit?

JOHANN: Jawohl, Herr Professor!

[Mit dem Koffer rechts ab]

HEINK: Es ist auch die höchste Zeit! [Indem er Marie die Hand reicht] Also laß' dirs gut gehen, in zwei Tagen bin ich ja wieder bei dir! [Küßt ihr die Hand.]

FRAU CLAIRE FLODERER[kommt aus dem Musikzimmer].

MARIE: Strenge dich nur nicht zu sehr an!

HEINK[durch ihren Ton verwirrt]: Ach du! Du machst dich immer lustig über mich!

MARIE[die Besorgte spielend]: Nun, so ein Konzert –!

HEINK[umarmt sie stürmisch]: Adieu, adieu! [Küßt sie] Adieu!

FRAU CLAIRE FLODERER[da sie Heink Marie küssen sieht; tragisch]: O Gott!

FRÄULEIN WEHNER, MISS GARDEN, FRAU FANNY MELL, FRAU DOKTOR KANNundFRÄULEIN SELMA MEIER[im Musikzimmer durcheinanderschreiend]: Da sind sie! Die Schlüssel sind gefunden! Gefunden, gefunden! Geben Sie mir! Lassen Sie mich! [Stürzen, durcheinander drängend und schreiend, aus dem Musikzimmer vor, Fräulein Wehner mit den Schlüsseln an der Spitze, Miß Garden als die Letzte.]

HEINK[die Flucht vor ihnen ergreifend, die Automobilbrille aufsetzend]: Jetzt aber nur schnell, Gott steh mir bei! [Winkt seiner Frau noch einmal mit der Hand und rennt zur Tür rechts.] Adieu, adieu! Und den Fußsack, Fräulein! Vergessen Sie den Fußsack nicht! In drei Tagen, Kinder, bin ich ja wieder zurück! Haben Sie das Täschchen, Fräulein? Und haltet mir die Daumen, Kinder, für mein Konzert! [Rechts ab; man hört ihn noch draußen rufen] Und fleißig üben, Kinder, immer fleißig üben! Denkt an mich und übt! Fräulein, ich habe die Blumen vergessen! Die Blumen, die Blumen müssen mit! Und die Briefe, meine Briefe! Nur fleißig üben! Immer fleißig üben, Kinder! [Seine Stimme verhallt draußen, man hört das Automobil pusten.]

MARIE[lächelnd, langsam links ab].

FRÄULEIN WEHNER, FRAU FANNY MELL, FRAU DOKTOR KANNundFRÄULEIN SELMA MEIER[drängen hinter Heink hinaus, rechts ab; man hört sie draußen schreien]: Die Blumen, um Gotteswillen, die Blumen!

MISS GARDEN[eben an der Tür rechts, wendet sich noch einmal um und will die Blumen und die Briefe vom Tische holen].

FRAU CLAIRE FLODERER[kommt ihr zuvor, stürzt an den Tisch, rafft alle Blumen und die Briefe zusammen und trägt sie feierlich hinaus, mit einem drohenden Blick Miß Garden messend].

MISS GARDEN[voll Haß und Zorn]: O diese gräßliche Person! Ich hasse sie!

FRÄULEIN SELMA MEIER[kommt durch die Tür rechts zurück; atemlos]: Die Blumen! Er hat die Blumen vergessen!

FRAU CLAIRE FLODERER[die Blumen fest an ihren Busen drückend; feierlich, mit schwerer Stimme]: Ich habe seine Blumen. [Rechts ab.]

FRÄULEIN SELMA MEIER[steht enttäuscht und unglücklich an der Tür rechts und läßt Frau Floderer vorüber].

EVA[tritt rasch auf Miß Garden zu; scharf]: Ich muß mit Ihnen sprechen! Sie sind ja noch die Gescheiteste.

MISS GARDEN[erstaunt]: O ja.

EVA[zur Tür rechts hin rufend]: Selma!

FRÄULEIN SELMA MEIER[auffahrend]: Ja? [Kommt zu Eva.]

EVA[zwischen Miß Garden und Fräulein Selma Meier tretend, jede bei der Hand fassend; scharf fragend]: Ihr glaubt an dieses Konzert? [Höhnisch] Ihr glaubt an dieses Konzert? [Voll Verachtung] Ihr glaubt an dieses Konzert?

[Läßt ihre Hände los, läßt die beiden stehen und setzt sich auf das Wandsofa mitten hin.]

FRÄULEIN SELMA MEIER[nach einer Pause nachdenklich und neugierig, indem sie langsam vor das Wandsofa tritt]: Du meinst –?

MISS GARDEN[nach einer Pause, indem sie langsam neben Fräulein Meier tritt; zu Eva]: Ich glaube nicht, aber ich weiß nicht.

EVA: Ich aber weiß. [Winkt den beiden, ganz nahe zu ihr zu treten; dann geheimnisvoll flüsternd, sehr rasch und scharf.] Noch gestern hat er von diesem Konzert nichts gewußt. Nicht wahr? Wir waren doch hier! [Die beiden nicken.] Erst heute früh taucht dieses Konzert auf. Heute früh! [Die beiden nicken.] Er sagt zwar, daß uns sein Sekretär noch gestern hätte schreiben sollen. Sagt er! Aber hat dir der Sekretär geschrieben? [Fräulein Selma Meier verneint.] Nein! Hat er Ihnen geschrieben? [Miß Garden verneint] Nein! Hat er mir geschrieben? Nein! Folglich, folglich, folglich?

FRÄULEIN SELMA MEIER[gespannt]: Folglich?

MISS GARDEN[breit]: Folglich?

EVA: Oder habt ihr je gehört, daß es heute plötzlich ein Konzert gibt, das es gestern noch nicht gab?

FRÄULEIN SELMA MEIER[rasch, überzeugt]: Nein!

EVA: Denkt nach!

MISS GARDEN[langsam, breit]: Nein!

EVA[triumphierend]: Und nun merkt aber auf! Niemand hat gewußt, daß heute keine Stunde sein wird. Alle sind gekommen. Ich habe es nicht gewußt, du hast es nicht gewußt, Sie haben es nicht gewußt, und die Frau Fanny Mell nicht und die Frau Doktor Kann nicht und nicht einmal die Frau Claire Floderer, seine tragische Muse, [ihr nachspottend] o Gott! nein, und ich habe das Fräulein gefragt, das Fräulein hat auch nichts gewußt, nein, keine. Keine hat's gewußt, alle sind gekommen. Nur eine hat's gewußt, denn die ist nicht gekommen. Wer ist nicht gekommen? Frau Delphine Jura ist nicht gekommen. Also muß sie's gewußt haben!

FRÄULEIN SELMA MEIER[aufgeregt]: Das ist wahr!

MISS GARDEN[langsam, breit]: Das ist wahr.

EVA[feierlich bekräftigend]: Das ist wahr! Und folglich –

FRÄULEIN SELMA MEIER[den Kopf vorstreckend]: Folglich?

MISS GARDEN[den Kopf vorstreckend, langsam]: Folglich – [indem sie zu begreifen beginnt, freudig zustimmend] O ja, o ja, o ja!

EVA[ihren Schluß ziehend]: Ist es klar, daß dieses Konzert, das Gustav Heink heute gibt, Frau Delphine Jura heißt!

MISS GARDEN[empört]: O diese schändliche Person!

EVA[aus vollem Herzen zustimmend]