Das Phantom - Hermann Bahr - E-Book

Das Phantom E-Book

Hermann Bahr

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Beschreibung

Der 1934 in München verstorbene österreichische Schriftsteller Hermann Bahr gehört nicht nur zu den bekanntesten, sondern auch zu den produktivsten Autoren seines Heimatlandes und vertritt viele verschiedene Strömungen. "Das Phantom", eine Komödie in drei Akten, gehört zu seinen späten Bühnenwerken und wurde kurz vor Weihnachten 1913 am Deutschen Volkstheater uraufgeführt. Der Text des Werkes wurde insofern überarbeitet, dass die wichtigsten Worte und Begriffe der heute aktuellen Rechtschreibung entsprechen.

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Seitenzahl: 152

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Das Phantom

 

HERMANN BAHR

 

 

 

 

 

 

 

Das Phantom, H. Bahr

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849661458

 

Der Originaltext dieses Werkes, der so überarbeitet wurde, dass die wichtigsten Wörter und Begriffe der aktuellen Rechtschreibung entsprechen, entstammt dem Deutschen Textarchiv DTA (Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913>, abgerufen am 19.11.2021). Das zur Erstellung dieses Buches verwendete Dokument steht unter einer Lizenz CC-BY-SA 4.0. Näheres zur Lizenz und den Möglichkeiten einer Weiterverwendung finden Sie unter https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Personen:1

Erster Akt2

Zweiter Akt39

Dritter Akt67

 

 

Personen:

 

Doktor Fidelis Schmorr

Luzie, seine Frau

Justine Dussen, ihre Mutter

Legationssekretär a. D. Doktor Kuno von Oynhusen

Eva, seine Frau

Zupp, Generaldirektor der Vereinigten Schmorrbrauereien

Sekretär Habusch

Martin Brandauer, Bergführer

Fräulein Therese Rat

Diener bei Schmorr

Diener bei Oynhusen

 

 

Erster Akt

 

Saal bei Doktor Fidelis Schmorr. Hoher, groß und ernst wirkender, dennoch aber behaglicher Raum, der, obwohl durch-aus modern, an Schinkel erinnert.

Links ganz vorne ein sehr hohes, bis zur Erde reichendes Fenster mit Vorhängen aus weißer Seide. Dann die Sofaecke: mattgraue Wand mit blass abgetöntem Medaillon, ein großes halbrundes Sofa in dunkelrotem Mahagoni mit tiefblauem Bezug, ein runder Tisch mit einem einfachen Stuhl und eine Sitzbank aus dunkelrotem Mahagoni mit tiefblauem Bezug. Über dem Sofa ein Bild von Schwind und ein Bild von Maurice Denis; Kronleuchter mit Kerzen aus Porzellan für elektrisches Licht. Weiter links ein zweites sehr hohes, bis zur Erde reichendes Fenster mit Vorhängen aus weißer Seide. Dann in der abgeschrägten Wand ein eingebauter Glasschrank mit altem Porzellan; darüber blass abgetöntes Medaillon.

Rechts vorne, dem Fenster gegenüber, Türe zum Zimmer des Doktor Fidelis Schmorr. Dann die Kaminecke mit einem langen ovalen Tisch aus dunkelrotem Mahagoni mit Schreibzeug, Rauchzeug und Zeitschriften, zwei großen Lehnstühlen an den beiden schmalen Seiten, einem ebensolchen Lehnstuhl an der langen Seite des Tisches und, mit der Lehne an diesen dritten Lehnstuhl gerückt, nach der Mitte hin gerichtet, noch ein vierter solcher Lehnstuhl in dunkelrotem Mahagoni. Über dem Kamin an der mattgrauen Wand ein Stillleben von Cezanne: mehrere grüne Äpfel, ein rötlicher Apfel, ein Brot, ein Zinnkrug, ein Messer und ein Glas auf zerknülltem weißem Tischtuch vor gelbem Hintergrund; daneben eine Landschaft von van Gogh; Kronleuchter mit Kerzen aus Porzellan für elektrisches Licht. Weiter rechts, dem zweiten Fenster gegenüber, Türe zum Zimmer der Frau Luzie Schmorr.

Dann, in der abgeschrägten Wand, eingebauter Glasschrank mit modernem Porzellan.

Hinten in der Mitte Glasschrank mit Kunstgläsern von Tiffany, Olbrich, Moser. Links davon Türe zum Flur und ins Stiegenhaus. Rechts davon Türe zu den anderen Wohnräumen.

Boden mit ockergelbem Teppich bespannt. Plafond hellgrau mit gemaltem Velum. An den Türen Vorhänge aus weißer Seide wie an den Fenstern.

Winter. Trüber Tag. Gegen Abend.

Justine (zweiundfünfzig Jahre, ihre altmodische Tracht lässt sie älter aussehen, aber wenn sie spricht und das misstrauische Gesicht allmählich öffnet, scheint sie zuweilen auf einmal wieder ganz jung zu sein; klein, mit hohen Schultern und einem großen Kopf, klugen, blinzelnden Augen, einer kurzen, breiten, fleischigen Nase und einem großen, weitgeschlitzten Mund; das gelbe Gesicht und ihre starre Haltung machen sie zuweilen fast einer Wachsfigur gleich; sie trägt die dünnen grauen Haare glatt gescheitelt, einen altmodischen, unscheinbaren Hut, ein verschossenes Taftkleid, um den Hals eine goldene Kette mit einem schwarzen Kreuz und in der Hand ein Täschchen; sie pflegt leise zu sprechen, kurz und scharf, wie jemand, der gewohnt ist, dass man auf ihn hört; wenn sie sich ereifert, fängt ihre Stimme zu krähen an, sie hat den Klang der rheinischen Mundart; vom Flur durch die Türe links vom Glasschrank, die ihr Fräulein Therese öffnet, eintretend, während ihr das Fräulein den langen grauen Reisemantel abnimmt). Ich verstehe das nicht! ... Lassen Sie bitte meine Sachen gleich ins — (Tritt ein, nimmt ihren Hut ab und gibt ihn dem Fräulein Therese.)

Therese (dreißig Jahre; Hausfräulein, still, bescheiden, ängstlich, leicht nervös; sehr einfach gekleidet). Wollen gnädige Frau das blaue Zimmer oder den Salon?

Justine (mit Grimasse). Nicht den Salon! Seit der Kerl dort hängt — wie heißt er? Dieser — Hodl!

Therese. Hodler.

Justine. Hodl oder Hodler ... scheußlich! Nein. Ins blaue.

Therese (winkt dem Diener und gibt ihm den Reisemantel und den Hut).

Diener (kommt durch die Türe links vom Glasschrank, bringt einen verschlissenen alten Handkoffer, nimmt den Reisemantel und den Hut, geht durch die Türe rechts vom Glasschrank ab, kehrt gleich wieder zurück und geht durch die Türe links vom Glasschrank in den Flur ab).

Justine (geht zum runden Tisch links). Ich verstehe das gar nicht. Hat sie denn meine Depesche nicht gekriegt?

Therese. Eine Depesche kam für die Frau Doktor, aber da war die Frau Doktor schon fort, im Auto.

Justine (ärgerlich). Wohin denn?

Therese. Vermutlich dem Herrn Doktor entgegen. Da der Herr Doktor gestern telegraphiert hat, dass er heute kommt, denk ich mir, dass sie vielleicht, um ihn in einer Zwischenstation abzuholen ... (achselzuckend) aber freilich, sicher —

Justine (ihr ins Wort fallend, kurz). Nein, sicher weiß man bei ihr nie was. (Setzt sich auf die Sitzbank links, aber mit dem Rücken zum runden Tisch.) Wie lange war denn mein Schwiegersohn fort?

Therese. Morgen genau drei Wochen.

Justine (mit einer leise verächtlichen Betonung). Wieder droben, in seiner Hütte?

Therese (nickt bestätigend). Die Frau Doktor fuhr mit hin, kam aber schon am anderen Tag zurück. Eigentlich sollte der Herr Doktor ja bis Mitte März ausbleiben. Bis die Herrschaften nach Dalmatien gehen.

Justine (nach einer kleinen Pause). Und? Warum?

Therese (verlegen, fast etwas traurig). Ich weiß nicht. (Tritt näher; leise, zögernd.) Die Frau Doktor hat dem Herrn Doktor vier Eilbriefe geschrieben. Bis er gestern telegraphierte, dass er heute kommt. (Achselzuckend, traurig, ganz leise.) Ich weiß aber wirklich nicht.

Justine (trocken). Ich habe Sie schon einmal gewarnt, meine Tochter nicht tragisch zu nehmen. Sie wünscht sich das, aber man soll es nicht.

Therese (beflissen). Ich bemühe mich gewiss —

Justine (ihr ins Wort fallend). Jedes Haus hat ja seine ... gewissermaßen seine Achillesferse, dieses aber besteht aus lauter Achillesfersen. Es muss für Sie nicht leicht sein.

Therese (rasch, beteuernd). Die Frau Doktor ist ja so herzensgut! Und der Herr Doktor doch auch!

Justine (trocken). Dadurch erschweren Sie sich's ja noch mehr.

Therese (fast erschreckt). Wodurch?

Justine. Sie möchten' s meiner Tochter recht machen, aber meinem Herrn Schwiegersohn auch.

Therese (eifrig). Das ist doch aber dasselbe!

Justine (mit einem scharfen Blick auf Therese; kurz). So? Noch immer? — Mir recht!

Therese (beteuernd). Gnädige Frau, ich —

Justine (aufstehend; kurz). Ich habe Sie nicht gefragt. (Geht nach rechts vorne. Nach einer kleinen Pause.) Meine Tochter erzählt mir in einemfort, welchen herrlichen Mann sie hat, und mein Schwiegersohn erzählt mir wieder, welche herrliche Frau meine Tochter ist, und Sie erzählen mir dann, welche herrliche Menschen die beiden sind. Ich habe gewusst, dass das ein böses Ende nehmen muss. Nun scheint' s, sind wir ja so weit.

Therese (entsetzt). Um Gottes willen, was ist denn geschehen?

Justine (kurz). Das weiß ich nicht. (Sieht sie fragend an)

Therese (verwirrt, beteuernd). Aber nichts, gnädige Frau!

Justine (misst sie forschend). Warum sind Sie dann so — ?

Therese (ihr aufgeregt ins Wort fallend). Was denn? Wie bin ich denn, gnädige Frau?

Justine (langsam, trocken). Unheilschwanger.

Therese (blickt beschämt zu Boden, als wenn sie ein schlechtes Gewissen hätte).

Justine (leichthin). Zum Teil mag das ja bei Ihnen Naturanlage sein. Doch nimmt es in der letzten Zeit bedenklich zu. (Geht an Therese vorüber zum Kamin, um sich das Stillleben von Cezanne anzusehen.) Aber ich bin nicht neugierig.

Therese (langsam, zögernd). Ich wäre der gnädigen Frau sogar im Gegenteil sehr dankbar, wenn ich darauf antworten dürfte.

Justine (mit dem Finger auf den Cezanne zeigend; sehr misstrauisch). Das ist doch auch wieder neu?

Therese (gleich gehorsam den Ton wechselnd, erklärend). Ein Cezanne.

Justine (missbilligend, kopfschüttelnd). Schon diese Namen!

Therese. Der Herr Doktor hat ihn selbst das letzte Mal in Paris gekauft. (Mit voller Bewunderung.) Für fünfundsiebzigtausend Mark.

Justine (trocken). Da kommt also der Calville fast auf zwanzigtausend Mark. (Wendet sich voll Verachtung ab; ruhig.) Das sind doch auch Zeichen einer inneren Verstörung. (Kommt wieder an den runden Tisch links.) Was wollten Sie sagen?

Therese (beklommen). Ich meinte nur, dass es mir sehr das Herz erleichtern würde, wenn mir gnädige Frau gestatten wollten —

Justine (trocken). Ich gestatte. Erleichtern Sie!

Therese (in einem Ton tiefer Kränkung). Gnädige Frau haben da früher ein Wort gebraucht ... nämlich dass ich, wie gnädige Frau sagten, gewissermaßen (sie muss sich überwinden, das Wort auszusprechen) „unheilschwanger“ ...

Justine (trocken). Sehen Sie sich in den Spiegel! (Setzt sich auf das Sofa links.)

Therese (gekränkt). Da muss ich also doch aber bitten, das erklären zu dürfen. — (Aufgeregt, sehr leise). Mir ist nämlich um die Frau Doktor so bang!

Justine (keineswegs erschreckt; kurz). Warum?

Therese (aufgeregt, leise). Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sie furchtbar leiden muss.

Justine (trocken). Luz hat immer gelitten, schon als Kind. Es ist ihr nicht wohl, wenn sie nicht leidet. (Mit einer leisen Bitterkeit.) Bei Mädchen, die das Unglück haben, in großem Reichtum aufzuwachsen, ist das nichts Ungewöhnliches.

Therese (kopfschüttelnd). Melancholisch war sie ja von je. Das mag, wie die gnädige Frau sagten, gewissermaßen dazu gehören. Es kleidet sie ja auch so gut. Jetzt aber .... nein, gnädige Frau! Sie muss jetzt wirklich irgendeinen ernsten Kummer haben.

Justine (trocken). Seit wann?

Therese. Es fing eigentlich schon gleich nach Weihnachten an, bald nachdem gnädige Frau wieder abgereist waren.

Justine. Was fing da an?

Therese. Die Frau Doktor war plötzlich so ruhelos. Viermal, fünfmal ging sie täglich aus, und jeden Abend ins Theater oder in ein Konzert, da sie doch sonst immer am liebsten daheim war.

Justine. Was hat denn mein Schwiegersohn dazu gesagt?

Therese (ganz erstaunt). Der Herr Doktor?

Justine. Der mag das doch eigentlich nicht.

Therese (eifrig). Ach, der Herr Doktor mag doch eigentlich alles, ihm macht doch alles Vergnügen.

Justine (spöttisch). Also der ist — unverändert? Der ist wenigstens noch nicht melancholisch?

Therese (unwillkürlich lächelnd). Nein. Das kann man sich auch kaum vorstellen.

Justine. Nun und er hat aber nichts bemerkt, an meiner Tochter?

Therese (rasch, ganz ernst). Der Herr Doktor bemerkt doch überhaupt nichts! — (Erschrocken, dass sie etwas Ungebührliches gesagt hat, das sie nun abschwächen möchte.) Ich meine nur —

Justine. Sie haben sicher recht.

Therese (eifrig). Der Herr Doktor ist doch ein so hervorragend gescheiter Mann, aber eben offenbar viel zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, um ... Ich meine nur, es hat mich gewundert ... es war ja mit der gnädigen Frau jetzt zuweilen schon fast unheimlich, ihm aber scheint nichts an ihr aufgefallen zu sein.

Justine (trocken). Die Männer sind alle dumm. Besonders aber die Gescheiten.

Fidelis (noch draußen im Flur, unsichtbar; laut). Ja hat sie denn meine Depesche nicht gekriegt?

Therese. Der Herr Doktor! (Geht ihm entgegen, zur Türe links vom Glasschrank.)

Fidelis (noch draußen, unsichtbar). Ich verstehe das nicht! (Tritt durch die Türe links vom Glasschrank ein; dreiunddreißig Jahre; mittelgroß, wirkt aber durch seine kurzen Beine fast klein; fest, gedrungen, mit breiten massiven Gebärden; hält sich gern ein wenig schief, wiegt sich beim Gehen seemännisch in den Hüften, immer wie auf Deck; ein kugelrundes, neugieriges, kindlich fragendes Gesicht mit einer kleinen dünnen spitzen Nase und ganz feinen, schmalen, ironisch zusammengepressten Lippen; dazu stimmen eigentlich gar nicht die großen grauen Augen, die wie Schutzbrillen sind, ihn decken, aber nichts verraten; dichtes, sehr weiches, glattes, nach der Seite gestrichenes, strohgelbes Haar; das glatt rasierte Gesicht wetterhart, vom Wind gebeizt, fast wie Leder aussehend; Tenorstimme, schmetternd, lachend und im lebhaften Gespräch leicht gicksend; zuweilen mit einem leisen Anklang der bayerischen Mundart, besonders wenn er vergnügt wird, aus der er aber dann plötzlich wieder in ein sehr scharfes, fast etwas forciertes Hochdeutsch gerät, besonders wenn er ungeduldig wird; zuweilen auch eine leise Neigung zu stottern, besonders wenn er sich im Reden überstürzt, wobei dann der ganze Körper ein wenig zu schwanken scheint; er hat eine Vorliebe für zu weite, schlotternde Kleider, besonders aber für sehr große Taschen, in die er die Arme gern fast bis zu den Ellenbogen steckt; jetzt trägt er einen Lodenanzug mit Kniehosen; beim Eintritt, rasch). Jetzt sagen Sie mir nur, Fräulein — (Erblickt Justine, hält ein; lustig feierlich.) Oho! welcher Glanz! Die Königin-Mutter höchst selbst!

Justine (abwehrend). Fang nur nicht gleich wieder an!

Fidelis (lustig). Ich muss mich bloß erst wieder in den (mit ironischer Betonung) „Hofton“ finden! (Reicht ihr die Hand und behält ihre Hand in der seinen.) Denk nur, Mamchen: drei Wochen in meiner Hütte, jeden Tag neun Stunden in Eis und Schnee draußen, bis man dann abends gar nichts mehr spürt als eine grenzenlose Dankbarkeit, dass man jetzt wieder sitzen darf, stillsitzen und kein Bein mehr rühren, und den Kopf schon gar nicht — herrlich ist das! (Lässt ihre Hand los.) Aber wo steckt denn Luz? Drei Wochen ehelicher Entbehrung und dann bloß ... Schwiegermutter? — Also wo —?

Therese. Die gnädige Frau ist heute früh im Auto fort.

Diener (durch die Türe links vom Glasschrank, mit einem Rucksack, Skiern, einem Bergstock und einer Mappe, geht zur ersten Türe rechts und hier ab).

Justine. Dir entgegen, vermuteten wir.

Fidelis (kopfschüttelnd). Ich sah doch in jeder Station hinaus, ob sie nicht vielleicht — ich kenne diese Leidenschaft ja. (Vorwurfsvoll.) Warum bist du nicht mit?

Justine. Ich —

Fidelis. Man darf sie doch nicht allein fahren lassen, sie kommt ja bekanntlich nie dort an, wohin sie will.

Justine. Ich bin doch selbst erst seit einer halben Stunde hier. — (Langsam.) Sie hat mir nämlich einige recht merkwürdige Briefe geschrieben.

Diener (durch die erste Türe rechts, geht durch die Türe links vom Glasschrank wieder ab.)

Fidelis (erstaunt, nachdenklich). Dir auch? (Er scheint noch etwas sagen zu wollen, unterdrückt es aber mit einem Blick auf Therese.)

Therese (hat seinen Blick bemerkt; indem sie zur Türe links vom Glasschrank geht). Der Herr Generaldirektor hat heute früh telefoniert, er wird —

Fidelis (rasch einfallend). Ich weiß. Nur gleich herein mit ihm, wenn er kommt! (Sich die Hände reibend, vergnügt.) Wir haben das Jahr mit der Brauerei wieder einen mächtigen Haufen Geld verdient, Mamchen! — (Zu Therese, indem er zur ersten Türe rechts geht.) Ja und — auch der Sekretär Habusch hat sich angesagt. Ich will das alles heute gleich erledigen. (Durch die erste Türe rechts ab, die er offen lässt.)

Therese. Soll ich den Tee dann hier oder —?

Justine. Hier.

Therese (durch die Türe links vom Glasschrank ab).

Fidelis (kommt durch die erste Türe rechts zurück und beginnt im Zimmer auf und ab zu gehen). Ich sag dir, Mamchen: Mir ist es zuerst immer wieder ganz unheimlich in der Stadt! Schon der bloße Geruch ... es menschelt so. (Sehnsüchtig.) Meine Hütte! (Mit einem Blick auf Justine.) Aber das kann sich ja so eine Kohlenbaronin gar nicht vorstellen! — Und diese wahrhaft auserlesene Gesellschaft da oben: drei Dackeln und sonst niemand als meine Freund, die Bergführer. (Lacht vergnügt.) Die Kerl'n haben ganz dieselben vier oder fünf Urmotive, durch die ja jedes menschliche Leben bewegt wird, und machen sich aber dazu nicht, wie wir, noch was vor! So herrlich erfrischend ist das! Wenn mir Luz nicht so dringend geschrieben hätte — ja was ist also mit Luz? Sag mir!

Justine (achselzuckend). Ja was ist mit Luz? Sag (mit dem Ton auf dem nächsten Wort) du mir!

Fidelis (achselzuckend). Ich bekam gestern drei Depeschen und vier Eilbriefe von ihr. Alle zugleich. Der Knecht geht ja nur jeden zweiten Tag hinauf, daran hat sie nicht gedacht. In dem einen Brief beschwor sie mich zurückzukommen, gleich, gleich, gleich — du kennst ihre Vorliebe, jedes Wort dreimal zu schreiben und dann noch dreimal zu unterstreichen, das Strafporto wird mich noch ruinieren! Und ebenso heftig beschwor sie mich aber in einem anderen Brief, jetzt nicht zu kommen — ja, ja, ja nicht! Es wäre ihr jetzt „unerträglich“, mich zu sehen! Ähnlich übereinstimmend lauteten die Depeschen und ich wusste nun ja nicht, welcher Brief früher und welcher später geschrieben war, da sie ja nie datiert und der Poststempel sich immer verwischt. Eigentlich fuhr ich also nur her, um mich zu erkundigen, welches der letzte Brief ist, der der gilt. Dann kann ich wahrscheinlich gleich wieder zurückfahren.

Justine (ernst, eindringlich fragend). Was war denn aber?

Fidelis (erstaunt). War denn etwas?

Justine. Ihre Aufregung muss doch irgendeinen Grund haben.

Fidelis (überrascht). Glaubst du?

Justine (ärgerlich). Erlaube mir!

Fidelis (leichthin). Luzens Aufregungen entstehen meistens bloß aus einem inneren Bedürfnis, aufgeregt zu sein. Ohne jeden äußeren Grund.

Justine (vorwurfsvoll). Das kommt aber davon!

Fidelis. Wovon?

Justine (heftig). Wenn sich eine Frau völlig ihren Launen überlassen darf! — Ein Mann muss doch seine Frau zu zügeln wissen. Aber du hast eben von Anfang an nie —

Fidelis (ihr ins Wort fallend, indem er neben sie tritt; lustig neckend). Mamchen, dass dich dein Mann je gezügelt haben sollte — Gott hab ihn selig!?

Justine (auffahrend, verweisend). Ich verbitte mir —

Fidelis (rasch einfallend, indem er sie wieder ins Sofa drückt; begütigend). Kennst mich doch, Mamchen! Wen ich gern hab, muss ich immer ein bisschen zausen. Gar aber dein Anblick, wenn du so dramatisch die Nüstern blähst —! (Leichthin.) Daher hat's auch Luz, das Dramatische!

Justine (ärgerlich). Man kann euch alle zwei ja nicht zu den Erwachsenen rechnen.

Fidelis (lustig). Das ist eigentlich auch mein geringster Ehrgeiz. — (Den Ton wechselnd, plötzlich ernst, besorgt, rasch.) Du glaubst doch nicht, dass im Ernst —

Justine (rasch einfallend, sehr ärgerlich). Aber du hast doch eben selbst erzählt!? Die vier Eilbriefe, die drei Depeschen in einem Tag? Und mir hat sie ja seit vorgestern auch ununterbrochen geschrieben und telegraphiert!

Fidelis (vergnügt lachend). Das dacht ich mir! Mamchen kriegt sicher auch ihr Teil, dacht ich mir.

Justine (strenge). Und dann fragst du noch —?

Fidelis (leichtsinnig). Deswegen? — Sie hat eben wieder einen Anfall. Von Zeit zu Zeit hat sie ihren dramatischen Anfall. — Sicher Vererbung.

Justine (gereizt). Wieso denn?

Fidelis. Erinner' dich nur, Mamchen, wie's manchmal bei dir zugeht! Wenn du plötzlich über den Wäscheschrank gerätst, und man hört deine Stimme dann durchs ganze Haus, dass alles zittert! Dramatischer Anfall.

Justine (empört). Das ist dann noch der Dank!

Fidelis (philosophisch). Man hat keinen Dank.

Justine (sehr heftig). Ich tu's auch gar nicht, um Dank zu haben!

Fidelis (sehr ruhig). Nein, du tust es, um dir Bewegung zu machen. Ganz wie Luz. Nur hat sich's bei der mehr ins Seelische transponiert. — Darum beunruhigen mich ihre dramatischen Tage nicht sehr.

Justine (springt ärgerlich auf, tritt vom Sofa weg, zum ersten Fenster vor; erbittert). Dich beunruhigt ja überhaupt nichts! — Für dich ist doch alles nur wieder ein Anlass, dich in Paradoxen zu ergehen. Denn ich will dir sagen, was du bist!

Fidelis (gelassen, trocken). Ein Egoist.

Justine (wütend, schreiend). Jawohl!

Fidelis (gelassen, bestätigend). Jawohl. Und weißt du, was noch mit mir ist? Ich habe —

Justine (rasch einfallend; sehr erbittert, da sie schon weiß, was kommt). Ja! Du (das nächste Wort stark betonend) hast auch kein —

Fidelis (gelassen, einfallend). Kein Gemüt. — Du warst schon öfter so freundlich, mich darauf aufmerksam zu machen.

Justine (tritt sprachlos an das erste Fenster, blickt hinaus und atmet hörbar auf).

Fidelis (nach einer kleinen Pause; trocken). Zehn Pfennige.

Justine (noch mit dem Rücken zu Fidelis, nur über ihre rechte Schulter zurück nach ihm blickend, verwundert, misstrauisch). Was denn? Wieso?

Fidelis. Wieder zehn Pfennige verdient.

Justine. Wer?

Fidelis. Du.

Justine. Was willst du, was meinst du denn eigentlich?

Fidelis (vergnügt erzählend).