Das Lachen der Kinder hinter den Hemdgespenstern - Thomas Staufenbiel - E-Book

Das Lachen der Kinder hinter den Hemdgespenstern E-Book

Thomas Staufenbiel

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Beschreibung

Plötzlich sind wir wieder Kinder. Ist so etwas möglich, fragen wir uns, wo wir doch eben noch als Erwachsene durch die Straßen liefen. Aber dann stehen wir auch schon mitten in unserem Abenteuer. Wir erleben noch einmal Olivers schlimmen Tag. Dieser doofe Kanarienvogel hat ihn einfach allein gelassen. Das geht Oliver zu weit. Unser Nachbar erzählt Geschichten, die wir gar nicht hören wollen. Zu allem Unglück müssen wir uns auch noch um unseren Freund Hans kümmern. Der weiß jetzt wenigstens, dass es auch morsche Balken gibt. Die kleine Künstlerin Lisa versucht uns ein Kaninchen für einen Hasen zu verkaufen, aber wir sind doch nicht dumm, auch wenn die meisten von uns noch gar nicht in die Schule gehen. Dann gibt es da noch eine Überschwemmung im Hausflur und natürlich den Zauberer. Mit ihm fing alles an. Bei so viel Aufregung zieht es uns immer wieder in unser Versteck. Weit hinter den flatternden Hemdgespenstern, mit ihren huiii-huiii-Rufen, da wo Dinge stehen, die keiner mehr braucht, dort liegt es und ist unser Geheimnis.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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2022

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Thomas Staufenbiel

 

Das Lachen der Kinder

hinter den

Hemdgespenstern

 

 

 

 

Alt ist, was man vergessen hat.

Und das Unvergessliche war gestern.

Der Maßstab ist nicht die Uhr, sondern der Wert.

Und das Wertvollste, ob lustig oder traurig,

ist die Kindheit.

Vergesst das Unvergessliche nicht! Diesen Rat kann man,

glaub ich, nicht früh genug geben.

(Erich Kästner: Als ich ein kleiner Junge war)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Geschichte und alle darin erwähnten Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig.

ERSTER TEIL - Geschichten

Treffpunkt Weltzeituhr

Pfiffi

Lange Ohren im Hausflur

Fangen, abschlagen, du bist dran

Huiii-huiii

Erwischen lassen

Krawumm, klirr und Ruhe

Oliver ist weg

Verschwinden und auftauchen

Die Reise endet

 

 

ZWEITER TEIL - Reime

Das Fass

Der Riesenbaum

Das Schloss

Apfeltraum

Marienkäfer

Rätselhaftes

Kasimir und die Maus

 

Erster Teil

Geschichten

 

Weißt du, es ist gar nicht so einfach, ein Erwachsener zu sein. Ich muss es wissen, denn ich bin einer von ihnen. Und meine Freunde sind es auch. Da kannst du nicht den ganzen Tag spielen. Erwachsene haben viele Pflichten, müssen zur Arbeit gehen, einkaufen, die Wäsche machen, sich um das Haus und die Wohnung oder um ihre Kinder kümmern. Aber glaub mir, auch Erwachsene haben Träume, so wie du. Manche wünschen sich einfach nur, wieder jung zu sein. Und dann gibt es noch die anderen, die ihre Kindheit ganz vergessen haben. Dazu gehörte ich auch einmal.

Ich erzähle dir jetzt die Geschichte, wie meine Freunde und ich durch einen unerklärlichen Zauber wieder zu Kindern wurden. Wir durften all die schönen und lange zurückliegenden Abenteuer noch einmal erleben und sogar den Hemdgespenstern wieder begegnen. Alles begann an einem wunderbaren Sonntagmorgen.

Als ich aufstand, schaute ich aus dem Fenster in einen herrlichen Sommertag. Ich dachte voller Vorfreude an meine Freunde. Würden wir uns am Nachmittag alle wiedersehen? Als ich mich später auf den Weg zum Treffpunkt machte, ahnte ich also noch nichts von unserer ungewöhnlichen Reise.

 

Treffpunkt Weltzeituhr

 

Die gelbe Straßenbahn kreischt über den Alex und der Telespargel ragt in eine blaue Leinwand, auf der nun schon dunkle Wolken abgebildet sind. Weit oben schwebt majestätisch ein Flugzeug, hier unten trifft sich die Welt. Menschen wuseln herum und erinnern mich an ein Ameisenvolk. Bei genauerem Betrachten sind es jedoch viele Völker, die hier aufeinandertreffen. Sie kommen von irgendwoher und gehen irgendwohin, ziehen wie ein endloser Strom an mir vorüber.

Noch bin ich allein an diesem herrlichen Nachmittag mitten in Berlin. In Bangkok ist es gleich 20 Uhr, das zumindest sagt die Weltzeituhr. Meine eigene Uhr zeigt kurz vor drei. Ich warte und denke bei mir, gleich ist es so weit und sie werden hier sein. Einer nach dem anderen.

Da sehe ich Hans, der geradewegs vom Bahnhof Alexanderplatz auf mich zukommt. Schon von weitem winkt er und seine Schritte werden schneller. Hans, der ungern zu spät kommt und dessen modisches Sakko sich gerade unter dem Zutun einer Windböe aufbläht. Dann ist er heran, begrüßt mich und winkt bereits kurz danach Lisa zu. Auch ich sehe sie in diesem Moment aus der Straßenbahn steigen.

Lisa, mit dem Pferdeschwanz und ihrem Markenzeichen, den knallbunten Pumps. Sie kommt auf uns zugelaufen, schließt uns fest in ihre Arme und kann sich immer noch wie ein Kind freuen. Dann schaut sie sich um und eine Sorgenfalte wächst auf ihrer Stirn. So war es immer, wenn es um Oliver ging. Ihre Augen suchen den ganzen Alex ab, obwohl sie weiß, er kann nur aus der Richtung Parkhaus kommen. Und dann sieht sie ihn auch schon und winkt heftig mit beiden Armen. Hans und ich schauen uns nur an.

Oliver, mit seiner Holzkern-Uhr und immer dem aktuellsten Smartphone, wird langsamer, als er Lisa winken sieht. Er weiß genau, was jetzt kommt. Doch als er stehen bleibt, läuft Lisa schon auf ihn zu. Es kommt, was immer kommt, was einfach kommen musste, was dazugehört.

Oliver wartet einen Moment, weicht dann aus und läuft vor Lisa weg. Eine kleine Jagd, alles Spaß natürlich und sie lachen dabei. Auch wir müssen kichern über dieses immer gleiche Schauspiel. Der Alex ist groß, aber Oliver lässt Lisa nicht zu sehr aus der Puste kommen. Dann bleibt er stehen, wartet, grinst über das ganze Gesicht und nimmt Lisa schließlich lange in die Arme. Sie genießt es. Er ist immer noch ihr kleiner Oliver, und er ist mein Bruder.

Jetzt sind wir vollzählig, so wie wir uns hin und wieder hier treffen. Wir könnten uns überall verabreden, aber immer heißt es einfach nur: 15 Uhr. Und jeder weiß Bescheid.

Reif und erwachsen sind wir inzwischen geworden und oft drehen sich unsere Gespräche nur um Arbeit und Karriere. Etwas wehmütig betrachte ich uns dann und weiß doch, auch ich bin kein Kind mehr. Nur manchmal, viel zu selten, fällt uns irgendeine Geschichte von damals ein. Kaum noch holen wir uns die Freuden der Kinderzeit in unser Erwachsenenleben hinein. Viel eher fühlen wir uns von solchen Dingen belästigt und haben ganz vergessen, dass auch wir einmal jung, draufgängerisch und unbeschwert waren. Manchmal denke ich sogar, dass uns etwas Wichtiges verloren gegangen ist.

Meistens setzen wir uns in das kleine Café im urigen Nikolaiviertel und lassen uns den leckeren Kuchen schmecken. Doch heute wird alles anders. Nur noch wenige Fetzen blauen Himmels schauen zwischen den Wolken hervor. Wir wollen vor dem Regen noch etwas herumlaufen, lenken unsere Schritte in Richtung Prenzlauer Berg und kommen doch nicht mehr weit.

Ein offener Hauseingang, drinnen herrscht Dämmerlicht, draußen platschen jetzt die Tropfen auf den Gehweg. Ein alter Mann streift uns im Vorübergehen, schaut kurz von einem zum anderen, doch wir beachten ihn nicht weiter und verstehen auch nicht, was er vor sich hin murmelt. Schon ist er im Dunkel des Hausflurs verschwunden, wir hören noch seine Schritte, dann klappt eine Tür und hinterlässt Stille. Eine eigenartige Stimmung erfasst uns jetzt. Jeder Regentropfen scheint plötzlich ein Gedanke zu sein. Irgendetwas passiert mit uns. Wir fühlen es alle und doch kann keiner von uns genau sagen, was es ist.

Der Regen bildet Pfützen und eine davon dehnt sich langsam zu uns herüber. Wie eine Zunge sieht sie aus. Sie erreicht den Hauseingang, der ebenerdig zu uns führt, und überschreitet die Grenze, die uns von der Außenwelt trennt. Jetzt, in diesem Moment leckt sie an unseren Schuhen, als wolle sie uns an etwas erinnern. Wir schauen uns an, denken an damals, an diese eine Geschichte und jeder weiß sofort Bescheid. Unsere Gedanken beginnen, Raum und Zeit zu überwinden. Das Hier und Jetzt verschwimmt, Nebel legt sich auf unsere Erinnerung an heute Morgen.

Der Regen peitscht seine Tropfen zu uns in den Hausflur und Hans drückt die Eingangstür von innen zu. Nun ist es dunkel um uns herum und wir spüren, es hat sich etwas verändert. Ist es nur ein Gefühl, fragen wir uns. Hans vermisst plötzlich sein Sakko und Oliver sucht nach seiner Uhr. Wir stellen verwundert Fragen: Wer hat die Dinge genommen? Unsere Stimmen klingen dabei kindlich, als wären wir noch nicht in den Stimmbruch gekommen.

Langsam gewöhnen sich unsere Augen an die Dunkelheit und das Erste, was wir sehen lässt uns staunen. Oliver will Licht in die Sache bringen und sucht nach dem Türgriff. Doch der ist nicht da, wo er ihn erwartet. Jetzt hilft ihm Hans und findet ihn weit über Olivers Kopf. Ist so etwas möglich? Er öffnet die Haustür und der Wind treibt Regentropfen in unsere Gesichter. Wir glauben nicht, was wir sehen, stehen ganz still und folgen unseren Gedanken. Sie fließen dahin, wie das Wasser der kleinen Pfütze zu unseren Füßen. Ich schaue Lisa an. Ihre Sorgenfalte ist verschwunden und sie sieht jetzt aus wie ein kleines Mädchen. Auch Hans und Oliver sind ganz jung und klein geworden. Alle sehen zu mir und sind wohl genauso verwundert wie ich.

Wir wollen es anfangs nicht glauben. So etwas gibt es nicht, lässt sich nicht erklären. Ist das etwa Zauberei? Wir sind doch erwachsen? Oder etwa nicht? Die Gedanken verschwimmen, wie wir einen Traum schon kurz nach dem Aufwachen vergessen und letztlich bleibt uns nur die Gewissheit wie klein wir sind. Erst muss ich grinsen, dann lauthals lachen und alle stimmen ein. Ja, wir sind Kinder, waren nie etwas anderes und sind natürlich in unserem Haus in dem wir seit unserer Geburt wohnen. Wo denn auch sonst.

 

Pfiffi

 

Nachdem wir vor lauter Lachen kaum noch Luft bekommen, werden wir ruhiger. War da eben etwas? Berlin Alexanderplatz? Vier ältere Herrschaften, zumindest aus unserer jetzigen Sicht? Nein, alles Fantasie. Davon haben wir genug. Auf dem Alex ja da waren wir schon einmal. Mit unseren Eltern, aber eine Armbanduhr aus Holz, sowas gibt es doch gar nicht. Wir sind mitten im Prenzlauer Berg, Jahreszahlen interessieren uns nicht, aber Hans weiß sie trotzdem. So ein Streber. Wir haben 1986 und es ist Sommer. Noch einmal lachen wir, dann stehen wir unschlüssig im Hausflur herum. Wir sind einfach nur Kinder: Hans, Lisa, Oliver und ich.

Plötzlich quält sich Lärm durch den Flur unseres Hauses und wir möchten fliehen. Unsere Ohren, sie sind ungewaschen und groß, glühen schon von diesem Geschrei. Die Buschkühl, wie immer, denken wir. Ist es unseretwegen? Haben wir ihr etwa wieder einen Streich gespielt? Hat Hans Sturm geklingelt oder Lisa den rechten Strumpf von der Wäscheleine im Hof stibitzt? Nein, denn draußen regnet es ja. Heute hat die Buschkühl ein anderes Opfer gefunden. Wir stehen unten im Hausflur und wissen nicht, wen sie mit endlosen Wortkolonnen eindeckt.

Aber wir wissen, unser Haus hat drei Stockwerke. Oben wohnen meine Eltern mit meinem Bruder Oliver und mir. Daneben, gleich Tür an Tür, wohnt die Buschkühl. Für uns ist sie alt. Zugegeben, nicht so alt wie das Haus mit seinen Rissen und Furchen im Putz, doch Falten hat auch sie schon genug. So um die vierzig wird sie sein. Unsere Eltern, wir erschrecken bei dem Gedanken, etwas jünger sind sie noch, aber bald …. Werden sie dann auch so viel meckern, über alles und jeden?

Wir haben vorgesorgt. Unten im Keller, in einem dunklen Winkel, noch hinter den Hemdgespenstern auf der Wäscheleine, da wo die Dinge stehen, die keiner mehr braucht, dort ist unser Geheimnis. In den letzten einhundert Jahren hat sich niemand mehr so weit in den Keller gewagt. Na gut, denken wir, wir wissen es zumindest von den letzten Monaten, denn so lange schleichen wir selbst schon dort unten herum. Hans war der Erste. Er ist auch der Älteste von uns, hat den meisten Mut. Er geht in die zweite Klasse und gibt mächtig damit an, dass er alles lesen kann, was dort unten an staubigen Wänden und zerbeulten Rohren geschrieben steht. Wir müssen es ihm glauben, wissen aber, er liest weit mehr vor, als dort Worte stehen.

Noch immer dringt die hohe Stimme der Buschkühl zu uns hinunter. Wir spitzen die Ohren, lauschen und sind neugierig. Die Tür haben wir inzwischen wieder geschlossen. So fühlen wir uns im Halbdunkel des Hausflures sicher und sind trotzdem mucksmäuschenstill.

Lisa hält sich die Hände vor die Augen. Wir finden das albern, denn immerhin ist sie schon fünf Jahre alt, glaubt aber immer noch, sich auf diese Weise verstecken zu können. Sie sagt, jetzt kann sie keiner mehr sehen. So sind die Mädchen, denken wir Jungs und sehen sie trotzdem.

Im Flur hallt und schallt es. Worte schwirren uns um die Köpfe, prallen links und rechts an den Wänden ab, werden zu Wortkanonenkugeln. Wir müssen uns ducken, es hilft nichts, die Wortgeschwader treffen uns trotzdem. Verstehen können wir sie nicht. Auf ihrem Weg von oben haben sie sich so oft an den Wänden gestoßen, dass sie uns nur noch als Wortkrüppel erreichen.

Ganz leise mischt sich ein anderes Geräusch dazu. Wie ein Plätschern hört es sich an. Wir stutzen. Ja, da ist es schon wieder. Wie gebannt hocken wir im Hauseingang, gleich neben der hölzernen Treppe mit ihren abgetretenen Stufen.

Neben all der Aufregung hätten wir jetzt beinahe vergessen, dass Olivers heute einen ganz besonders traurigen Tag hat. Der Kleine ist geknickt und auch wir sind deshalb nicht so lebhaft wie sonst, trauern wir doch gemeinsam mit ihm um Pfiffi, den gelben Wellensittich. Der war seit ewigen Zeiten Olivers Haustier, oder sagen wir lieber sein Hausvogel. Heute Morgen lag er auf dem Boden seines Käfigs und regte sich kein Stück mehr. Gut, denken wir, er war nicht mehr der Jüngste - der Wellensittich natürlich, Oliver ist erst vier Jahre alt - aber es hätte noch nicht heute sein müssen.

Es gab mal eine Zeit, da gehörte dieser Vogel mir und davor meiner Mutter, aber mein kleiner Bruder war schon immer vernarrt in ihn. Da hieß es dann nur noch Olivers Pfiffi hier und Olivers Pfiffi da. Ich konnte den Namen Pfiffi bald nicht mehr hören und irgendwann pfiff ich auf Pfiffi und ich hatte gar keinen Schmerz dabei. Mal ehrlich, wozu brauche ich einen Wellensittich?

Hans machte heute Morgen den Vorschlag, ihn zu begraben, doch Oliver hörte gar nicht hin. Er schien eher wütend zu sein auf den doofen Vogel, der ihn einfach so allein gelassen hatte. Und während Hans, Lisa und ich hier unten im Hausflur beratschlagten, wie wir dem Pfiffi eine ordentliche Beerdigung bereiten könnten, war Oliver noch oben geblieben. Später kam er traurig zu uns herunter. Kurz darauf begann der Lärm im Haus. So jedenfalls erinnern wir uns an diesen Tag.

In der zweiten Etage, gleich unter der Buschkühl, wohnen die Zentners. Wir sehen sie kaum, fragen uns oft, ob sie vielleicht verreist sind, und malen uns die farbigsten Erlebnisse aus. Zentner auf einem Elefanten mitten in Indien, seine Frau streichelt einen Löwen - nein nicht im Zoo, da ist so etwas verboten - in Afrika natürlich. Das zottelige Tier leckt Frau Zentner die Wange ab und sie schauen gemeinsam in den Sonnenuntergang. Wir schütteln uns vor Lachen bei solchen Gedanken. Ein Löwe und Frau Zentner, das gibt es nur in Kinderbüchern. Wir sind dafür schon zu alt. Na klar!

Vater erzählt, die beiden arbeiten im Schichtdienst, am Tag schlafen sie oft und nachts müssen sie dann in irgendeiner Fabrik schuften. Wir dürfen nachts schlafen und träumen von den verrücktesten Dingen und manchmal auch von unserem Kellerversteck.

Das haben wir uns hinter Bergen alten Gerümpels gebaut. Ein Tisch, darunter sitzen wir. Vor dem Tisch stehen Säcke mit alten Kleidungsstücken, Regalbretter, ein Stuhl und die Kuckucksuhr. Nein, die zeigt uns nicht die Zeit an. Der Kuckuck hängt schlaff heraus, das Ziffernblatt ist zersprungen und ein Pendelgewicht haben wir für irgendeinen Streich gebraucht. Wir können uns nicht mehr erinnern.

Ursprünglich gehörte sie Herrn Zuckschwerdt, dem Nachbarn der Zentners. Manchmal erwischt er uns, wenn wir gerade wieder durch das Treppenhaus schleichen. Zur Strafe lädt er uns dann zu einer Tasse Kakao ein, bei der wir uns seine alten Geschichten anhören dürfen. Zugegeben, der Kakao schmeckt gut, aber wen interessiert schon, was Herr Zuckschwerdt in seiner Jugend getrieben hat. Uns interessiert es meistens nicht. Nur manchmal mogelt sich ein kleines Geschichtchen dazwischen, spannend und fremd, von damals als alles anders war. Obwohl wir gar nichts über alte Zeiten wissen, wir sind doch noch Kinder, sitzen wir ganz still, halten beinahe den Atem an und lauschen.

So wie jetzt hier im Hausflur. Da ist das komische Geräusch schon wieder, näher als vorhin und ganz deutlich zu hören. Die Buschkühl muss oben wohl in die Wohnung gegangen sein, denn den Wortkrüppeln, die neben uns zu Boden gefallen sind, folgen keine weiteren. Nun sind wir mit dem Plätschern allein. Einen Moment lang will jeder von uns nachsehen, doch da geht Zuckschwerdts Tür auf und wir bleiben im Halbdunkel stehen. Gut für uns, sonst würde er in uns ein Opfer finden, so jedoch läuft er nach oben und erhebt lautstark das Wort gegen denselben Unbekannten, den sich auch schon die Buschkühl vorgenommen hat.

Im ersten Stock rechts, da wo die Treppe hinaufgeht, wohnt Familie Geisbier mit unserer Freundin Lisa. Gegenüber, dort wo die Treppe hinunterführt, die dann zu unseren Füßen endet, lebt Hans mit seinen Eltern. Sein Vater, Hausmeister Schönbaum, sitzt oft mit Lisas Vater im Hinterhof. Sie trinken dort Bier und rauchen Zigarre. Die kleinen Freuden des Alltags sagt Hans und macht seinen Vater dabei täuschend echt nach. Die Frauen verstecken sich dann auf weichen Sofas, trinken Kaffee und tauschen Rezepte aus. Kein Wunder, dass Hans und Lisa vor solchen Klatschrunden fliehen. Da ist unser Kellerversteck genau das Richtige.

Wir klemmen uns dann zu viert unter den Tisch. Bis alle richtig sitzen, ist es ein lustiges Gewusel. Da tritt Hans dem Oliver auf die Finger und Lisa stößt ihren Ellenbogen in meine Seite. Alles unabsichtlich versteht sich, es ist kein besonders großer Tisch. Wenn wir alle sitzen, schaltet Hans die Taschenlampe ein und leuchtet jedem direkt ins Gesicht. Wieder ist ein großes Geschrei im Gange. Später überlegen wir dann, was wir tun können und verbringen die Zeit mit der Suche nach etwas Interessantem. Lisa will unbedingt mit Olivers Teddy spielen. Sie ist die Mama. Aber keiner möchte der Papa sein und Oliver unbedingt seinen Teddy zurück. Nach einer ganzen Weile einigen wir uns auf irgendetwas, doch dann ist es meistens Zeit, nach oben zu gehen. So läuft das unter unserem Tisch.

Wieder plätschert es im Hausflur, wir hören aufmerksam hin und nun staunen wir nicht schlecht. Auf dem Absatz vor Hausmeister Schönbaums Wohnung sammelt sich eine große Wasserpfütze. Es plätschert von oben herunter. Wir erinnern uns an das Geschrei der Buschkühl und ahnen den Grund. Das Wasser hat dort oben seine Quelle.

Und wo wir jetzt unten im Hausflur stehen, das nahende Wasser unsere Zehen zu kitzeln beginnt, einzelne kleine Bäche sich bereits auf den Weg in den Keller machen und wir nur hoffen, dass sie auf ihrem Weg durch dunkle Gänge nicht unsere geheimsten Verstecke finden werden, da schauen wir alle zu Oliver.

---ENDE DER LESEPROBE---