Das Leid der Liebe - Isabella Mey - kostenlos E-Book

Das Leid der Liebe E-Book

Isabella Mey

0,0
0,00 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im zweiten Stock standen die Flügeltüren offen und ich konnte nicht widerstehen, einen Blick ins Innere der Wohnung zu werfen. Einige edle Möbel säumten dort bereits die Wände und der Elektriker montierte im Eingangsbereich einen Kronleuchter, von dem unzählige Kristalle herabbaumelten. Plötzlich hörte ich aufgeregte Stimmen in der Wohnung: »In welchem Karton befinden sich die Sektgläser?«, erkundigte sich eine Frau. »Ein normales Glas reicht doch vollkommen aus«, antwortete ein Mann. Der angenehm warme Klang seiner Stimme schickte mir sogleich eine Gänsehaut über den Rücken. »Wenn du mich schon nötigst, in dieses Dorf hier zu ziehen, dann will ich unseren Einstand wenigstens mit Stil begießen.« »Aber das hat doch Zeit, bis alles ausgepackt ist …« »Zeit? Ich glaube es einfach nicht«, regte sich die Frau auf. »Du weißt doch ganz genau, dass ich heute noch nach New York fliege.« »Ach so, ja, New York … Das hätte ich beinahe vergessen, aber ich habe eben auch viel um die Ohren mit dem neuen Job.« »Es wundert mich jedes Mal, weshalb du deine Zeit überhaupt mit dieser unterbezahlten Anstellung verschwendest. Auf dieses Kleingeld könnten wir gut verzichten, wenn du mich fragst.« Der überhebliche Unterton ihrer Stimme gefiel mir nicht. Ohne, dass ich diese Frau überhaupt gesehen hatte, mochte ich sie bereits jetzt nicht leiden, ganz im Gegensatz zu ihrem Partner. »Ich frage dich aber nicht«, erwiderte der Mann gereizt, was ich nur allzu gut verstehen konnte. »Das solltest du aber, schließlich finanziere ich das alles hier.« Darauf erfolgte keine Antwort, stattdessen tauchte ein extrem gutaussehender Mann im Flur auf. Bekleidet mit schwarzem Anzug marschierte er mir mit strammem Schritt entgegen. Ich fühlte mich unangenehm ertappt, wie ich so mit meinen Einkaufstüten im Treppenhaus stand und in die Wohnung hineinstierte. Im Begriff mich abzuwenden, wollte ich die Treppen weiter emporsteigen, doch da hatte ich die Macht seiner Augen gründlich unterschätzt...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Isabella Mey

Das Leid der Liebe

Weitere Bücher der Autorin Lichtertanz Band I – Die Magie der Glanzlichter Band II – Die Magie der Goldwinde Band III – Die Magie der Lichtkristalle (Finale) Flammentanz Band I – Funken Band II – Flammen Band III – Feuer Band IV – Brand Band V – Glut (Finale) Nacht der Lichter Band I – Leiser Strom Band II – Novisapiens Band III – Gewittermacht Fabolon Bunte All-Age-Fantasy Band I – FarbelFarben Band II – Goldenes Glück Band III – StaubNebelNacht WandelTräume RomantasyBookRix GmbH & Co. KG81371 München

Das Leid der Liebe

 

 

 

 

 

 

Isabella Mey

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vollständig überarbeitete Neuauflage

 

 

 

 

 

Simon und Simone

Er ist weg! Fort! Einfach nicht mehr da! Und dabei hatte es so traumhaft begonnen … Ich schwebte wie auf den Wolken des siebten Himmels, hätte die ganze Welt umarmen mögen, doch es hatte nicht sein sollen. Nach dem Absturz fiel ich in ein tiefes, dunkles Loch, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Das Leben schien jeglichen Sinn verloren zu haben – ohne ihn …

Nach einigen Loopings hatte die Achterbahn der Gefühle nun ihren absoluten Tiefpunkt erreicht und ich kann mir beim besten Willen nicht mehr vorstellen, wie es wieder zu einem Aufschwung kommen könnte. Und ich kann auch nicht verstehen, warum es so kommen musste, alles erschien absolut perfekt – wir schwammen auf der gleichen Welle, verstanden uns wortlos und ich fühlte eine innige Liebe und Anziehung wie niemals zuvor in meinem Leben. Diese Verbindung schien wie für die Ewigkeit gemacht.

Warum hat es nicht sein dürfen? Weshalb können wir diese einmalige Liebe nicht leben?

Ich stehe hier am Abgrund der Klippe und blicke über hundert Meter in die Tiefe. Dort unten bricht sich die Brandung des Meeres in den Felsen. Ein frischer Wind zerzaust mein Haar. Der Abgrund zieht mich an wie ein Magnet. Ich schwanke.

Wie es sich wohl anfühlt, wenn man so lange fällt? Verliert man sofort das Bewusstsein oder rauscht die Welt an einem vorbei bis zum letzten Aufprall?

Ich zittere. Nur ein einziger Schritt trennt mich vom endgültigen Sturz in den Tod. Ich kämpfe mit der Angst, die bei der Vorstellung in mir hochkriecht wie kalter Frost.

Nein, ich bin noch nicht so weit zu sterben, aber ich fühle, wie die Verzweiflung mich schier verzehrt. Es bleibt diese absolute Leere, die dieser Mann in meinem Inneren hinterlässt. Ich schließe die Augen und atme tief durch. Ich kann nicht einmal weinen, da ist nur taube Kälte, ein Schmerz, der aus mir das Leben, die Freude und jegliche Energie aussaugt wie ein schwarzer Strudel.

Was ist überhaupt geschehen?

Ein Teil von mir begreift sehr wohl, weshalb sich alles so entwickelt hat, doch alleine das Verstehen bewirkt noch keine Veränderung.

Ich hocke mich ins Gras und schaue übers Meer, wo die Möwen wie kleine Punkte ihre Kreise ziehen und atme tief durch, während die längst vergangenen Szenen in meinem Geiste vorüberziehen:

 

Alles begann damit, dass ich eine neue Arbeitsstelle in Heidelberg angetreten hatte. Nach langer Arbeitslosigkeit fand ich endlich einen Job im Sekretariat einer Lokalzeitung. Allerdings stellte sich die Wohnungssuche als große Herausforderung heraus, da sich meine Ersparnisse in Grenzen hielten und für die Anmietung der meisten Wohnungen neben der Kaution obendrein eine Maklercourtage fällig wurde. Aber endlich hatte ich auch dieses Hindernis überwunden und bezog eine frisch renovierte Dachgeschosswohnung an einem sonnigen Hang, mit Blick auf die Stadt. Ein Investor hatte dieses alte Haus mehr oder weniger baufällig erworben, kernsaniert und renoviert. Das Erdgeschoss belegten bei meinem Einzug bereits eine ältere Dame mit Dackel auf der linken Seite und eine junge Familie mit Baby auf der rechten. Kurz vor mir waren in den zweiten Stock ein schwules Männerpaar und ein alleinstehender Manager eingezogen – ihn bekam ich aber so gut wie nie zu Gesicht. Dachgeschosswohnungen ohne Lift waren nicht sehr beliebt, das war wohl der Grund, weshalb ich für diese für mich leistbare Wohnung den Zuschlag erhalten hatte. Hier oben befanden sich neben meiner kleinen Einzimmerwohnung verschiedene Abteile, in denen die Mieter Wäsche trocknen oder ihre überflüssigen Gegenstände lagern konnten.

Das lästige Treppensteigen mag wohl der Grund dafür gewesen sein, dass das Appartement direkt unter mir lange Zeit leer stand, was sich auch nicht änderte, als der Eigentümer die zwei Wohnungen zusammenlegte, um daraus ein geräumiges Luxus-Penthouse mit offenem Kamin und jede Menge edlem Marmor zu gestalten. Statt mit günstigen Kosten zu locken, glaubte er auf diese Weise eine hohe Miete ansetzen zu können.

Ich erinnere mich noch ganz genau an den Tag, als Simon zusammen mit seiner Frau in die Wohnung unter mir einzog. Es war ein Samstag, was ja schon ungewöhnlich erscheint für einen Umzug. Aber wer über genug Geld verfügt, um das Luxus-Penthouse zu beziehen, grämt sich sicherlich nicht wegen einer Wochenendzulage für das Umzugsunternehmen. Zahlreiche Möbelpacker bevölkerten an diesem Tage das Treppenhaus, als ich, beladen mit Einkaufstüten, auf dem Weg nach oben immer wieder auf Gegenverkehr stieß. Im zweiten Stock standen die Flügeltüren offen und ich konnte nicht widerstehen, einen Blick ins Innere der Wohnung zu werfen. Einige edle Möbel säumten dort bereits die Wände und der Elektriker montierte im Eingangsbereich einen Kronleuchter, von dem unzählige Kristalle herabbaumelten.

Plötzlich hörte ich aufgeregte Stimmen in der Wohnung.

»In welchem Karton befinden sich die Sektgläser?«, erkundigte sich eine Frau.

»Wozu brauchst du die gerade jetzt? Ein normales Glas reicht doch vollkommen aus«, antwortete ein Mann. Der angenehm warme Klang seiner Stimme schickte mir sogleich eine Gänsehaut über den Rücken.

»Wenn du mich schon nötigst, in dieses Dorf hier zu ziehen, dann will ich unseren Einstand wenigstens mit Stil begießen.«

»Aber das hat doch Zeit, bis alles ausgepackt ist …«

»Zeit? Ich glaube es einfach nicht«, regte sich die Frau auf. »Du weißt doch ganz genau, dass ich heute noch nach New York fliege. Gut, dass die Koffer schon gepackt im Wagen liegen, bei dem Chaos hier wäre ich sonst hoffnungslos verloren.«

»Ach so, ja, New York … Das hätte ich beinahe vergessen, aber ich habe eben auch viel um die Ohren mit dem neuen Job.«

»Es wundert mich jedes Mal, weshalb du deine Zeit überhaupt mit dieser unterbezahlten Anstellung verschwendest. Auf dieses Kleingeld könnten wir gut verzichten, wenn du mich fragst.«

Der überhebliche Unterton ihrer Stimme gefiel mir nicht. Ohne, dass ich diese Frau überhaupt gesehen hatte, mochte ich sie bereits jetzt nicht leiden, ganz im Gegensatz zu ihrem Partner.

»Ich frage dich aber nicht«, erwiderte der Mann gereizt, was ich nur allzu gut verstehen konnte.

»Das solltest du aber, schließlich finanziere ich das alles hier.«

Darauf erfolgte keine Antwort, stattdessen tauchte ein extrem gutaussehender Mann im Flur auf. Bekleidet mit schwarzem Anzug, was für einen Umzugstag sicherlich nicht die gewöhnliche Garderobe darstellte, marschierte er mir mit strammem Schritt entgegen. Ich fühlte mich unangenehm ertappt, wie ich so mit meinen Einkaufstüten im Treppenhaus stand und in die Wohnung hineinstierte. Im Begriff mich abzuwenden, wollte ich die Treppen weiter emporsteigen, doch da hatte ich die Macht seiner Augen gründlich unterschätzt. Kaum trafen sich unsere Blicke, verhakten sie sich ineinander und ließen sich nicht mehr los. Der wütende Ausdruck auf seinem Gesicht verwandelte sich schlagartig in ein verwundertes Starren. Ein inniges Gefühl tiefer Verbundenheit durchflutete mich und wie vom Blitz getroffen wusste ich sofort, dass ich meinem absoluten Traummann gegenüberstand – eine irrige Vorstellung, so etwas an einem einzigen Blick festzumachen und doch durchflutete dieses überwältigende Gefühl von Zuhause-angekommen-sein meine gesamte Existenz. Es war, als erkannte ich mich selbst in seinen braunen Augen wieder und das dazugehörige Gesicht mit den dunklen Haaren könnte dem Bruder gehören, den ich niemals hatte. Dieser Mann war wie für mich geschaffen, ein Puzzleteil, das sich nahtlos in meines einfügte. Unser Blickkontakt dauerte keine Sekunde, doch die Intensität darin ließ die Zeit förmlich stillstehen, so lange, bis wir uns beide darüber gewahr wurden, was wir da gerade taten. Er schüttelte leicht den Kopf, wie um einen lästigen Gedanken loszuwerden und kratzte sich verlegen im Nacken. Ich wandte mich der Treppe zu, um wieder klar denken zu können. Gerade hob ich die Einkaufstüten und wollte die Stufen weiter emporsteigen, als mich seine Stimme stoppte, mein in der Luft schwebender Fuß kehrte zurück zum Absatz.

»Sie wohnen auch hier?«

Ein Zittern vibrierte durch meinen Leib, wobei ich mich ihm wieder zuwandte und wortlos nickte.

»Wir sind heute neu eingezogen. Ich bin Simon und wie darf ich Sie nennen?«

Simon? Was für ein unglaublicher Zufall! Und er nennt mir nur seinen Vornamen, bemerkte ich innerlich aufgewühlt.

»Simone«, antwortete ich mit einem Lächeln, welches das Strahlen seiner Augen reflektierte.

»Simon, mit wem sprichst du da?«, ertönte plötzlich die Frauenstimme von drinnen.

Augenblicklich erlosch Simons Strahlen und seine Miene gefror förmlich zur beherrschten Maske.

Es tauchte genau die Person auf, die ich mir vorgestellt hatte: Eine bis ins letzte Detail stilvoll gekleidete Dame, ihr braunes Haar hatte sie kunstvoll hochgesteckt, das makellos aufgetragene Makeup versiegelte jede Unebenheit, ein Kleid, mit dem sie auf jeder Promigala glänzen könnte und hohe Schuhe, in die ich meine Füße niemals hineinzwängen würde. Ihr Blick streifte mich eindeutig abwertend. Der Unterschied zwischen uns könnte kaum größer ausfallen, denn in meiner abgetragenen Jeans und der einfachen Kaufhausbluse musste ich neben ihr regelrecht asozial wirken.

»Das ist unsere neue Nachbarin, Simone«, erklärte Simon kontrolliert emotionslos.

»Simone. Soso. Dann sind wir also schon beim Du angekommen«, bemerkte sie spitz und zog dabei eine ihrer Augenbrauen in die Höhe.

»Nein, das Du hatten wir uns noch nicht angeboten«, antwortete ich so freundlich wie möglich, um die Stimmung aufzulockern. »Aber wenn es recht ist, Simone.« Ich reichte ihr versöhnlich die Hand.

Sie setzte ein falsches Lächeln auf, doch immerhin erwiderte sie die Geste.

»Sehr erfreut.« Kaum hatten sich unsere Finger berührt, zog sie ihre Hand auch schon wieder hastig zurück, als sei ich ein ekliges Tier. »Von Holshofen, Liliane von Holshofen. Mein Mann und ich hoffen auf eine gute Nachbarschaft.«

Ich seufzte kaum hörbar. Es stellte sich die Frage, weshalb mich das Schicksal dermaßen strafte, dass ich meinen Traummann finde und gleich darauf feststellen muss, dass er bereits verheiratet ist.

Und wieso hat er ausgerechnet eine Frau, die so ziemlich das komplette Gegenteil von mir ist?

Mir war klar, dass man niemanden verurteilen sollte, schon gar nicht wegen Äußerlichkeiten, aber ich konnte nicht anders, als mich zu fragen, warum er diese überhebliche Modepuppe geheiratet hat.

Oder bin ich einfach nur neidisch, weil ich nicht mit ihr mithalten kann?

Auch wenn ich nicht mit einer Modelfigur aufwarten konnte, hielt ich mich nie für hässlich. Allerdings konnte mein Haar mal wieder eine Wäsche vertragen und finanziell spielte ich ganz offensichtlich in einer völlig anderen Liga.

Aber das alles sollte doch sowieso egal sein, schließlich kommt es auf die inneren Werte an.

Die Frage war nur, ob Simon das genauso sah. Wahrscheinlich nicht, oder aus welchem Grund sollte er sonst mit Liliane zusammen sein. Ich konnte mir jedenfalls keinen vorstellen.

»Wie man sieht, haben wir hier noch Einiges zu erledigen«, unterbrach die Frau von Holshofen meine Gedankengänge. »Kommst du Schatz?«

Bevor der Schatz noch antworten konnte, schob Liliane besitzergreifend einen Arm um Simons Hüfte und ließ sich von ihm zurück in die Wohnung führen. Der Blick auf das Paar verpasste mir einen tiefen Stich in die Brust. Obwohl ich diesen Menschen gerade erst seit ein paar Minuten kannte, nagte bereits die Eifersucht an mir. Ich kämpfte diese Gefühle mit aller Macht nieder, wandte mich um und eilte die Treppe empor, musste jedoch noch einmal umkehren, um die vergessenen Einkaufstüten zu holen.

 

In der folgenden Nacht spukten die Bilder von Simon dermaßen penetrant in meinem Kopf herum, dass mir das Einschlafen, ganz gegen meine Gewohnheit, kaum gelingen wollte. Permanent wälzte ich mich im Bett umher und spulte diese seltsame Begegnung mit ihm wieder und wieder in meinem Geist ab.

Am Morgen fühlte ich mich wie gerädert, das hinderte mich jedoch nicht daran, wie jedes Wochenende früh aufzustehen. Die Macht der Gewohnheit trieb mich zum Ufer des Neckar, meiner Joggingstrecke. Gedankenversunken trabte ich keuchend vor mich hin. Als ich nichts Böses ahnend den Rückweg antrat, fiel mir sofort ein Jogger in die Augen. Obwohl er noch zu weit weg war, um sein Gesicht erkennen zu können, wusste mein nervöses Herz bereits ganz genau, um wen es sich handelte. Ausweichen wäre hier kaum möglich gewesen und eigentlich wollte ich das ja auch gar nicht. Plötzlich wussten meine müden Beine nichts mehr von der schlaflosen Nacht, als sie Simon entgegenrannten, welcher mit jedem Schritt deutlicher hervortrat. Es war ein Gefühl, was hätte jemand unseren Film auf Zeitlupe geschaltet, während wir auf uns zuliefen, um uns in die Arme zu fallen. Sogar eine dementsprechend schnulzige Musik summte in meinem Kopf. Ich musste den verqueren Sinneseindruck mehrmals wegdrängen, damit ich ihn am Ende nicht verscheuchte durch meinen allzu verklärten Schmachtblick. Als wir uns dann schließlich trafen, schenkte er mir ein strahlendes Lächeln und hob zum Gruß die Hand, was ich ebenfalls tat. Wider Erwarten wechselte er abrupt die Richtung, um neben mir herzulaufen.

»Na, auch schon so früh wach?«, erkundigte sich Simon.

»Ja, am Wochenende jogge ich jeden Morgen«, antwortete ich.

»Sehr sportlich«, lobte er.

Eine Weile liefen wir gleichmäßig schnaufend nebeneinander her.

»Wo wir jetzt schon neben- oder eher übereinander wohnen, würde ich gerne etwas mehr über die Menschen in meiner Nachbarschaft erfahren. Verraten Sie mir denn, was Sie beruflich machen?«

Zwar hatte sich meine Nervosität etwas gelegt, weil die Gegenwart dieses Menschen einfach nur angenehm war, aber dieses warme Kribbeln, das sich in meinem Körper festgesetzt hatte, spürte ich erst, seit er neben mir lief.

»Nichts Besonderes. Ich arbeite im Sekretariat eines lokalen Zeitungsverlages. Und Sie?«

»Ich bin Mediendesigner.«

»Wirklich?«, stieß ich verblüfft hervor.

»Ja, warum erstaunt Sie das so?«

»Na ja, das war eigentlich immer mein Traum. Ich habe ein Studium im Mediendesign begonnen, musste es aber wegen einer Krankheit vorzeitig abbrechen.«

Wir schwiegen eine Weile. Sicherlich verwirrte es auch Simon, dass es zwischen uns so unglaublich viele Gemeinsamkeiten gab.

»Und warum nehmen Sie das Studium jetzt nicht wieder auf?«, wollte er schließlich wissen.

»Na ja, von einem Studium kann ich nicht leben, außerdem hatten meine Eltern einen Autounfall, meine Mutter starb und mein Vater wurde zum Pflegefall. Es kostet mich noch immer viel Zeit und Energie, das alles zu verarbeiten und mich um meinen Vater zu kümmern. Da bleibt kein Platz für Träume mehr übrig.«

»Meinen Sie? Ich denke, man sollte seine Träume niemals aufgeben.«

Dieser Satz schlug tiefer ein, als mir lieb war. Ich konnte nicht verhindern, dass mir in diesem Moment die Tränen in die Augen stiegen, denn seit dem gestrigen Tage war noch ein weiterer Traum hinzugekommen, ein Traum der bereits vergeben war und der den Namen Simon trug.

»Hey, das wollte ich nicht«, sagte er sanft.

Und ich wollte nicht, dass er meine Tränen sieht, aber er hatte meine Traurigkeit sofort bemerkt, hielt an und fasste nach meinem Arm. Ich blieb ebenfalls stehen, senkte den Blick, als etwas passierte, womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte: Er zog mich in seine Arme und streichelte mir dabei tröstend über den Rücken.

»Hey, alles wird gut«, sagte er so voller Wärme, dass ich mich am liebsten an ihn geschmiegt hätte.

Die Gefühle, die mich dabei durchfluteten, entbehrten jeglicher Worte, um sie zu beschreiben. Verschwitzt und tief atmend standen wir viel zu dicht beieinander, um noch einen klaren Gedanken fassen zu können.

Mein Herz pochte so laut, dass es in meinen Ohren dröhnte. Warme Schauer durchfluteten meinen gesamten Körper. Ich spürte, dass ich diesen Mann mehr als alles in der Welt wollte, ihn liebte und begehrte und das, obwohl ich ihn eigentlich gar nicht kannte. Und dann geschah es doch: völlig synchron schmiegten wir uns aneinander, was definitiv über die tröstende Umarmung hinausging. Im selben Moment stieg eine unglaubliche Erregung in mir auf, wie ich sie niemals zuvor gespürt hatte, ich atmete schwer und jede einzelne meiner Zellen schien im selben Rhythmus zu pulsieren. Mir wurde schwindelig. Ich fühlte mich meinen Emotionen willenlos ausgeliefert und merkte, dass auch seine Gefühle mit ihm durchzugehen schienen, als Simon mich begierig gegen seinen Leib presste und der Mund keuchend in meinen Nacken wanderte.

Doch plötzlich schien sein Hirn zu begreifen, was er da gerade tat. Simon schob mich abrupt von sich fort und starrte mich entgeistert an.

»Äh, entschuldige …«, keuchte er heiser und schluckte hart.

Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und joggte mit erhöhtem Tempo in die andere Richtung davon, als wollte er vor mir flüchten. Dieses »Entschuldige« klang danach, als wären wir dann doch ganz automatisch beim »Du« angekommen.

Ich blieb einfach stehen und schaute ihm hinterher. Noch immer konnte ich nicht recht fassen, was da gerade geschehen war. Ich beugte mich über die Brüstung zum Neckar und sah dem Fluss geistesabwesend beim Fließen zu. Zu mehr war ich nicht in der Lage.

Die Erinnerung an seine Berührung, die Wärme, diese unglaubliche Erregung, all das hatte mir schier den Verstand geraubt. Hätte Simon diese Umarmung nicht gestoppt, ich selbst wäre nicht dazu in der Lage gewesen, genaugenommen hätte er so ziemlich alles mit mir machen können auf diesem Gehweg. Alles drum herum wäre mir egal gewesen. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was alles, denn sonst wurde mir schon wieder schwindelig. Doch es war wie ein Sog, der meine Fantasie ins Unendliche beflügelte und in diesen Sphären kannte auch Simon kein Halten mehr.

Ich wusste nicht mehr, wie ich nach Hause gekommen war, denn in meinem Kopf spielte eine völlig andere Musik.

An diesem Tag tigerte ich wie ein gefangenes Tier in meiner Wohnung umher. Meine Gefühle ließen mir keine Ruhe und meine Gedanken drehten sich ausschließlich um den Mann, der nun unter mir wohnte, den Mann, den ich nun vielleicht täglich zu Gesicht bekam, den Mann, der bereits vergeben war. Die Ehe wirkte nicht glücklich, das ließ mich etwas hoffen, andererseits war es nicht meine Art, sich in eine bestehende Beziehung zu drängen. Ich verbot mir selbst weitere Gedanken in diese Richtung, was meine Fantasie jedoch nicht daran hindern konnte, mir immer wieder Bilder und Szenen vorzuspielen, von romantischer Zweisamkeit mit Simon.

Exakt zwei Mal verließ ich an diesem Vormittag die Wohnung, einmal, um Wäsche in meinem Speicherabteil aufzuhängen und ein anderes Mal brachte ich den Müll nach unten. Aber es schien wie verhext, denn wen traf ich bei den Mülltonnen? In dem Moment, als ich dazustieß, versenkte Simon gerade einen Müllsack in der Tonne.

Er blickte verstört auf und warf mir ein knappes »Hallo!« zu. Zur Antwort brachte ich gerade mal ein Nicken zustande.

Hoffentlich denkt er jetzt nicht, ich spioniere ihm nach.

Leben im Augenblick

Am Nachmittag stand ein Besuch bei meinem Vater im Pflegeheim an. Geistesabwesend hockte er in seinem Rollstuhl und blickte aus dem Fenster, als ich eintrat.

»Hallo Papa«, grüßte ich betont fröhlich.

Mit einer Hand am Reifen drehend, kehrte er sein Gefährt um die eigene Achse und schenkte mir ein Lächeln.

»Hallo Liebes. Wie schön, dass du mich besuchst«, grüßte er mit rostiger Stimme. Sorgen und Gram über den Unfall und den Verlust seiner geliebten Frau hatten ihn um viele Jahre altern lassen. Das ehemals braune Haar war von grauen Strähnen durchsetzt. Doch mittlerweile hatte er sich mit seiner Lage abgefunden und es ging wieder aufwärts. Der gütige Blick seiner braunen Augen konnte einen so überwältigen, dass man die lange Narbe auf seiner Wange gerne übersah – neben der Lähmung seiner Beine ein weiteres Zeugnis des Autounfalls.

»Wie geht’s dir heute?«, erkundigte ich mich und griff wie gewohnt nach der Blumenvase auf dem Tisch, um das Wasser zu wechseln. Irgendeine Verehrerin bedachte meinen Vater regelmäßig mit Blumen, doch ich hatte bisher noch nicht herausgefunden, um wen es sich handelte.

»Gut. Die Schmerzen haben etwas nachgelassen. Aber reden wir lieber über dich. Wie klappts mit der Arbeit?«

»Na ja, sie ist schon in Ordnung. Ich kann wirklich froh sein, dass ich etwas in deiner Nähe gefunden habe. Da muss ich nicht so weit fahren am Wochenende.«

»Das klingt aber nicht gerade nach einem Traumjob, mein Engel. Ich möchte nicht, dass du meinetwegen auf dein Glück verzichtest, hörst du?«

»Mach dir keine Sorgen, Papa. Ich stehe auf eigenen Füßen, das ist mir schon mal viel wert, für alles andere hätte ich jetzt ohnehin keine Energie.«

»Ich sorge mich gar nicht mein Kind, denn ich weiß ganz genau, dass es dir einmal sehr gutgehen wird.«

»Das ist toll, aber mir geht es auch jetzt schon prima«, log ich.

»Wie lange kennen wir uns jetzt schon?« Schmunzelnd legte er den Kopf schief.

»Oh, ich würde sagen, seit meiner Geburt sind ungefähr sechsundzwanzig Jahre vergangen, Papa.«

»Das bedeutet, ich kenne dich noch länger als du selbst noch eine Erinnerung an dich hast und wenn ich dir so in die Augen sehe, dann finde ich darin etwas, das sich nach Herzschmerzen anfühlt. Also, Simone, was ist passiert?«

Seufzend ließ ich mich auf den grünen Ohrensessel sinken, die einzige nicht mobile Sitzgelegenheit im Raum, da mein Vater ja alle Wege im Rollstuhl zurücklegte.

»Vor dir kann man auch gar nichts verbergen«, beschwerte ich mich. »Aber es ist hoffnungslos. Da ist unter mir ein Ehepaar eingezogen und ich bekomme den Mann nicht aus dem Kopf. Was macht man, um dieses Gefühl wieder loszuwerden?«

»Oh, das Problem kenne ich. Meistens hilft es, sich auf sich selbst zu konzentrieren, auf die eigenen Ziele, aber manchmal muss man einfach seinem Gefühl folgen. Ich denke, für Herzschmerzen gibt es kein Patentrezept. Aber wenn es dich beruhigt, nichts bleibt ewig wie es ist, weder das Gute, noch das Schlechte. Egal in welche Richtung sich die Sache entwickelt, aber vergiss nicht den Moment zu genießen, denn jeder einzelne Augenblick deines Lebens ist zu kostbar, um ihn nicht voll auszukosten.«

»Ja, ich weiß, diesen Rat gibst du mir jedes Mal, aber das ist viel leichter gesagt als getan.«

»Ich weiß wovon ich rede, denn heute bereue ich zutiefst, die Zeit mit deiner Mutter und als ich mich noch auf zwei Beinen bewegen konnte, nicht in vollen Zügen genossen zu haben. Leider lernt man so vieles erst zu schätzen, wenn man es einmal verloren hat. Und du hast so vieles, worüber du dich freuen könntest. Du bist noch jung und fit, kannst noch so vieles erschaffen, erfahren und erleben.«

»Kann sein, wenn ich nur wüsste, wie ich dieses wundervolle Leben erfahren und genießen könnte, von dem du sprichst.«

»Dein Fehler ist, dass du es an Äußerlichkeiten festmachst.«

»Nein, ganz bestimmt nicht. Ich bin doch keine oberflächliche Pute«, entgegnete ich ein wenig erbost, da das Bild von Simons Frau vor meinem geistigen Auge aufflammte.

SIE macht das Leben an Äußerlichkeiten fest, aber so bin ich doch nicht!

»Mein Engel, ich meine damit nicht, dass du oberflächlich wärst, aber wenn du dein Glück finden willst, dann suche zuerst in dir drin, bevor du nach einem Partner Ausschau hältst.«

»Jaja, ich werde es versuchen.« Ich verdrehte die Augen, dann erhob ich mich und streichelte ihm versonnen übers Haar. »Mein weiser alter Vater …« Das Rumoren meines Magens wies mich darauf hin, dass es Zeit für eine Mahlzeit wurde. »Haben sie dir eigentlich schon das Mittagessen gebracht?«

»Ja, aber diesen Matsch können sie heute selbst essen«, brummte Papa.

»Was war das eben mit jeden Moment genießen, unabhängig von allen Äußerlichkeiten?«, neckte ich ihn.

»Beim Essen mache ich da eine Ausnahme, so erleuchtet bin ich noch nicht«, erwiderte mein Vater lachend. »Eher ernähre ich mich von Luft und Liebe, als dieses Zeug runter zu schlingen.«

»Das brauchst du auch nicht, ich hatte sowieso vor, dich ins Restaurant einzuladen.«

»Gerne gehe ich mit dir essen, aber nur wenn ich bezahle«, widersprach mein Vater so vehement, dass ich nicht anders konnte, als einzuwilligen.

Wir wählten ein Restaurant, das für Rollstühle geeignet war und genossen das gemeinsame Mittagessen. Danach schob ich meinen Vater im Rollstuhl spazieren. Nachdem ich ihn zurück ins Heim gebracht hatte, fuhr ich wieder nach Hause. Immerhin konnte ich während des Zusammenseins mit meinem Vater diesen neuen Nachbarn zumindest zeitweise aus meinen Gedanken vertreiben.

 

* * *

 

Die folgende Woche verlief fürchterlich. Simon und ich gingen uns beide aus dem Weg wo wir nur konnten. Dennoch trafen wir uns wie durch irgendeine Magie immer wieder – bei den Mülltonnen, auf der Treppe, auf dem Gehweg irgendwo in der Stadt.

Alles purer Zufall?

Das Schlimme an der Sache war, dass mir auf der Arbeit vermehrt Fehler unterliefen, weil meine Gedanken fortwährend zu Simon abdrifteten.

»Hallo Simone, ist jemand zuhause?« Meine Kollegin Birte wedelte mit beiden Händen vor meinem Gesicht herum.

»Äh ja … Hattest du was gesagt?«

»Der Knorb erwartet dich in seinem Büro!«

Meine Augen weiteten sich.

»Was will er denn?«

Birte zuckte mit den Schultern. »Lass dich überraschen!«

Mit mulmigem Gefühl im Bauch betrat ich das Büro meines Chefs.

»Ah, da sind Sie ja. Bitte sehen Sie sich doch einmal diese fünf Anschreiben genau an.«

Ich betrachtete die Briefe, welche auf seinem Schreibtisch ausgebreitet lagen. Es waren die Schreiben, die ich an diesem Morgen für verschiedene Kunden angefertigt hatte. Mein Blick streifte die Adresse und die Namen und da erkannte ich den Fehler. Ich hatte zwar die Adressen geändert, aber immer den gleichen Ansprechpartner eingefügt, genau genommen hatte ich den gesamten Text einfach hineinkopiert, ohne den Namen abzuändern.

»Na? Fällt Ihnen etwas auf?«