Das Lemniskatenbahnensystem - Roland Schrapp - E-Book

Das Lemniskatenbahnensystem E-Book

Roland Schrapp

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Beschreibung

Veröffentlichung einer Forschungsarbeit zu Rudolf Steiners Aussagen und Skizzen zu den Lemniskatenbahnen der Planeten. Die über viele Vorträge verteilten Aussagen und Skizzen Rudolf Steiners zum Thema der "Lemniskatenbahnen der Planeten" wurden erstmals nach fast einhundert Jahren in einen größeren Zusammenhang gebracht und auf sich daraus ergebende Konsequenzen untersucht. Steiners Anregungen zu einer Neubetrachtung der Planetenbewegung wurden aufgegriffen und versucht, sie im vorgegebenen Sinne weiterzuentwickeln. Zur Veranschaulichung der vielfältigen Bewegungsvorgänge enthält das Buch 253 Abbildungen.

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Seitenzahl: 257

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STELLARUM REVOLUTIONES

NOVITER COGNOSCES*

* Du wirst die Umläufe der Sterne auf neue Weise kennenlernen.

DAS GEGENSÄTZLICHE FINDE ZUSAMMEN

UND AUS DEN VERSCHIEDENHEITEN

ENTSTEHE DIE SCHÖNSTE HARMONIE.

Heraklit

INHALTSVERZEICHNIS

Vorbemerkung

TEIL 1

1.0.1 Einführung

1.0.2 Rechenmethode und Realität

1.0.3 Epizykel, Ellipse und Lemniskate

1.1 Die Lemniskatenbahnen von Sonne und Erde

1.1.1 Perihel und Aphel, Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen in der Lemniskatenbahn

1.1.1.1 Die Bahnlängen-Lösung

1.1.1.2 Die Geschwindigkeits-Lösung

1.1.2 Die fortschreitende Lemniskate und die bahngestaltenden Kräfte

1.2 Die Lemniskatenbahnen der inneren Planeten

1.2.1 Vorgehensweise zur Ermittlung der Planetenlemniskaten

1.2.2 Die Merkurlemniskate

1.2.3 Die Venuslemniskate

1.3 Lemniskatenbahn oder Kreisbahn der Sonne?

1.3.1 Drehbewegung der Erd-Sonnenlemniskate

1.3.2 Drehbewegung des Sternenhimmels

1.3.2.1 Raum, Zeit und Ewigkeit

1.3.3 Drehbewegung des gesamten Planetensystems (Systemrotation)

1.3.4 Schwenkbewegung der Erd-Sonnenlemniskate und Drehbewegung des Sternenhimmels

1.3.5 Schwenkbewegung der Erd-Sonnenlemniskate bei gleichzeitiger Drehbewegung im Rahmen der Systemrotation

1.4 Die Bahn der Erde im Weltall

1.5 Zusammenfassung der Ergebnisse

TEIL 2

2.1 Entwicklungsstufen des astronomischen Weltbildes

2.2 Fortsetzung der Betrachtungen zu den geradlinigen Bahnabschnitten von Sonne und Erde

2.2.1 Das Problem des Lemniskatenhälftenwechsels

2.2.2 Getrennte Schwenkbewegungen von Erd- und Sonnenlemniskate

2.3 Die Kreisbahn des Mittelpunktes der Ekliptik

2.4 Das dritte kopernikanische Gesetz als notwendiger Bestandteil des Lemniskatenbahnensystems

2.5 Die fortschreitenden Lemniskatenbahnen von Sonne und Erde und die Bewegung der Lemniskatenachse

2.5.1 Die Aufwärtsbewegungen von Sonne und Erde

2.5.2 Die Auswirkungen der Aufwärtsbewegungen auf die kosmische Kreuzbahn von Sonne und Erde

2.5.3 Die lemniskatische Bewegung der Lemniskatenachse

2.6 Die Apexbewegung der Sonne

TEIL 3

3.1 Einleitung

3.2 Die Lemniskatenbahnen der inneren Planeten

3.2.1 Die Merkurlemniskate

3.2.2 Die Venuslemniskate

3.3 Die Bewegungen der Erd-Sonnenlemniskate beim Blick vom ekliptikalen Nordpol

3.4 Die bewegte kosmische Kreuzbahn und die ruhende Sonne

3.5 Die fünf Bildestufen der Erdbahn

3.6 Die zwölf Bildekräfte der Erd- und Sonnenbahn

3.7 Die Lemniskatenbahnen der äußeren Planeten

3.7.1 Die Marslemniskate

3.7.2 Die Jupiterlemniskate

3.7.3 Die Saturnlemniskate

Nachwort

Literaturverzeichnis:

Abbildungsverzeichnis:

Vorbemerkung

Jahrzehntelang war die moderne Astrophysik der festen Überzeugung, dass sich die im Universum beobachtbaren Phänomene allein durch die Faktoren Masse und Gravitation erklären lassen. Inzwischen wird dieses Lösungsmodell zunehmend in Frage gestellt. Neuere kosmologische Erklärungsmodelle fordern die Existenz einer bisher unbekannten „dunklen Materie“ sowie einer ebenso unbekannten „dunklen Energie“. Beide zusammen sollen ca. 90 % des Universums ausmachen. Das heißt letztlich, dass der weitaus größte Teil der im Universum formbildenden Faktoren noch überhaupt nicht verstanden wird. Möglicherweise wirken verschiedene Kräfte zusammen, um die Formen, Bewegungsabläufe und Gruppierungen von Planeten, Sternen und Galaxien hervorzubringen.

In einer solchen Zeit der Suche nach weiteren „Bildekräften“ im Universum mag es für Leser, die einerseits naturwissenschaftlich astronomisch, andererseits aber auch spirituell interessiert sind, reizvoll sein, sich näher mit den Aussagen Rudolf Steiners zur Planetenbewegung zu befassen. Ein solches Vorhaben setzt eine große Unvoreingenommenheit voraus und die Bereitschaft, sich zunächst einmal von alten, liebgewonnenen Vorstellungen zu lösen. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Wissenschaft noch fest davon überzeugt, dass Atome unteilbar seien. Erst im Jahre 1913 gelang es Bohr auf Grundlage der Quantengesetze Plancks, die Bestandteile und den Aufbau des Wasserstoffatoms zu beschreiben. Vielleicht ist hundert Jahre danach die Zeit reif für die Erkenntnis, dass auch Bewegungen, wie wir sie z.B. bei den Planeten beobachten, nicht unteilbar sind, letztlich nicht „atomistisch“ zu erklären sind, sondern ebenso aus einer Vielzahl von Bewegungskräften zusammengesetzt sind wie die Atome aus einer Vielzahl von Elementarteilchen, sofern man heute überhaupt noch von Teilchen sprechen kann, denn diese scheinen sich ja nach neueren Erkenntnissen immer mehr in Kräfte aufzulösen. Wäre es aus dieser Sicht nicht möglich, dass die Bahn der Erde und der übrigen Planeten um die Sonne nicht einfach nur auf Gravitation beruht, sondern das Resultat des Zusammenwirkens einer weitaus größeren Anzahl von Kräften ist, dass ihr ein ähnlich kompliziertes und vielgestaltiges Kräftesystem zugrunde liegt wie dem Aufbau eines Atoms? Rudolf Steiner hat sich mit seinen Aussagen und Skizzen zur Planetenbewegung in ein völlig neues astronomisches Forschungsgebiet vorgewagt. Er hat uns allerdings kein fertiges, in sich abgeschlossenes Lehrsystem zu den Bildekräften der Planetenbahnen hinterlassen, sondern aus verschiedenen Blickwinkeln ganz unterschiedliche, zum Teil scheinbar mit einander unvereinbare Teilansichten beschrieben. So ist es unsere Aufgabe, die vielen Puzzleteile zu einem in sich schlüssigen Gesamtbild zusammenzusetzen. Manche Teile mussten völlig neu hinzugefügt werden, um die Lücken im Gesamtbild schließen zu können. Nach vielen einzelnen Erkenntnisschritten ist es letztlich gelungen, die Aussagen und Skizzen Rudolf Steiners mit dem kopernikanischen System der Planetenbahnen in Einklang zu bringen.

Die Arbeit zu diesem Thema begann im Juli des Jahres 2008, genau 84 Jahre (ein Uranus-Umlauf) nach dem Tode Rudolf Steiners am 30.03.1925. Ein erstes Skript wurde am 20.10.2008 an die Mathematisch-Astronomische Sektion am Goetheanum in Dornach eingereicht. Am 21.11.2009 wurden auf Einladung der Sektion die bis dahin gewonnenen Erkenntnisse der dortigen Arbeitsgruppe „Astronomie und Geisteswissenschaft“ vorgestellt. Dieser Vortrag weckte bei den Teilnehmern das Bedürfnis, einen Überblick über alle bis dahin errungenen Erkenntnisse auch anderer Autoren zum Thema der Lemniskatenbahnen zu erhalten. Diesem Bedürfnis wurde mit der öffentlichen Tagung „Sonne, Erde und die Lemniskate“ vom 13. bis 15.10.2010 im Goetheanum in Dornach entsprochen. Die Tagung begann mit einer Vorstellung der in TEIL 1 sowie einigen der in TEIL 2 des vorliegenden Buches beschriebenen Ergebnisse. Kurz vorher, noch rechtzeitig zur Tagung, war TEIL 1 in der von der Mathematisch-Astronomischen Sektion am Goetheanum herausgegebenen Zeitschrift JUPITER veröffentlicht worden (Vol. 5, Nr. 1, September 2010). Auf Wunsch einiger Mitglieder des Zweiges Kassel wurden diese Ergebnisse am 29.01.2011 auch im dortigen Anthroposophischen Zentrum unter dem Titel „Die Lemniskatenbahnen der Sonne und der Planeten“ einer Gruppe von Interessierten vorgestellt. Nachdem im Laufe des Jahres 2011 die Arbeit an TEIL 2 fertiggestellt worden war, konnte dieser am 27.08.2011 unter dem Titel „Die Lemniskatenbahnen der Planeten und die kosmische Kreuzbahn von Sonne und Erde“ wiederum im Anthroposophischen Zentrum Kassel einer Gruppe von Interessierten vorgestellt werden. Kurz darauf erfolgte die Veröffentlichung in JUPITER, Vol. 6, Nr. 1, September 2011. Die Veröffentlichung von TEIL 3 im JUPITER hätte nach Auskunft aus Dornach voraussichtlich erst in 2014 erfolgen können. Um die an dem Thema Interessierten nicht unnötig lange warten zu lassen, wurden die TEILE 1 bis 3 daher als Gesamtwerk im Internet zum Selbststudium bereitgestellt. In der Folgezeit erreichten den Autor zahlreiche Anfragen nach einer gedruckten Fassung. Diesem Wunsch kann mit dem vorliegenden Buch nun entsprochen werden.

Der Leser wird auf eine spannende Erkenntnisreise mitgenommen. Sie beginnt mit dem Versuch des Autors, zunächst einige widersprüchlich erscheinende, ganz grundlegende Aussagen Rudolf Steiners ihrem Sinn nach zu erschließen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu erkunden. Dabei ergeht an den Leser stets von neuem die Anforderung, sein Denken reichlich in Bewegung zu bringen, sich von einem Formdenken zu einem Bewegungsdenken zu erheben. Als Unterstützung wurde die gesamte Arbeit mit über 250 Abbildungen versehen. Lange bleibt offen, wohin die Reise führt, ob sich die Aussagen Rudolf Steiners überhaupt mit dem kopernikanischen System in Einklang bringen lassen und wenn ja, auf welche Weise das geschehen kann. Erst in TEIL 3 rundet sich das Bild und das Lemniskatenbahnensystem wird als ein vielgliedriges Bildekräftesystem erkennbar, das letztlich das äußere Bild des kopernikanischen Systems hervorbringt.

Der ursprüngliche Text der Veröffentlichungen im JUPITER wurde nahezu unverändert beibehalten. Nur einige erläuternde Fußnoten wurden hinzugefügt. Sämtliche zitierten Aussagen wurden kursiv gesetzt. Die Abbildungen wurden neu durchnummeriert und ein Abbildungsverzeichnis beigefügt. Die etwas holprigen und antiquierten Übersetzungen der Zitate aus Kopernikus’ Hauptwerk De revolutionibus in der Thorner deutschen Ausgabe (1879) wurden neu übersetzt.

TEIL 1 macht zunächst mit den grundlegenden Aussagen Rudolf Steiners zur Planetenbewegung in unserem Sonnensystem bekannt. Im Verlaufe der einzelnen Erkenntnisschritte wird der Leser immer weiter von den gängigen Vorstellungen des kopernikanischen Systems hinweg geführt hin zu einem System sich drehender Lemniskatenbahnen.

TEIL 2 vertieft das Thema der sich drehenden Lemniskatenbahnen und beschreibt, wie die Positionen von Sonne und Erde im Jahreslauf auf Geraden zu liegen kommen, die gemeinsam eine kosmische Kreuzbahn bilden. In diesem Zusammenhang wird das Phänomen der Ekliptik aus einer völlig neuen Perspektive betrachtet und auf die Notwendigkeit des sogenannten dritten kopernikanischen Gesetzes für das Lemniskatenbahnensystem hingewiesen. Schließlich wird das Thema des vertikalen und horizontalen Fortschreitens der Lemniskatenbahnen ausführlich behandelt und die Apexbewegung der Sonne in die Betrachtungen mit einbezogen.

TEIL 3 führt als neue Bewegungsart für die kosmische Kreuzbahn von Sonne und Erde eine halbjährige geradlinige Vor- und Rückbewegung ein. Auf dieser Grundlage lässt sich beschreiben, wie die kopernikanische Erdbahn über fünf Bildestufen entsteht, die aus dem Zusammenwirken von zwölf Bildekräften hervorgehen, welche sich wiederum mit den zwölf Tierkreiskräften in Einklang bringen lassen. Letztlich können auf diese Weise die Lemniskatenbahnen der Planeten, die kosmische Kreuzbahn von Sonne und Erde, die kopernikanische Kreisbahn bzw. Ellipsenbahn der Erde sowie ihre Schraubenbahn in Richtung Sonnenapex miteinander in Einklang gebracht werden. Darüber hinaus werden die Lemniskatenbahnen der inneren und äußeren Planeten abschließend beschrieben.

TEIL 1

Zusammenfassung: Die Anregungen Rudolf Steiners zu einer wirklichkeitsgemäßeren Anschauung der Planetenbewegung scheinen unvereinbar mit den von der Erde aus beobachtbaren Bahnen von Sonne und Planeten am Himmel wie auch mit den als gesichert geltenden Erkenntnissen der modernen Astronomie auf Grundlage des kopernikanisch-keplerschen Systems zu sein. Darüber hinaus sind die Beschreibungen und Skizzen Rudolf Steiners zu den seiner Aussage nach realen Bewegungsabläufen so verschiedenartig, dass schon sie allein unvereinbar miteinander erscheinen. Das Anliegen der folgenden Betrachtungen ist, ausgehend von Steiners Aussagen über lemniskatische Planetenbewegungen, einen Weg zu einer schlüssigen Zusammenschau zu eröffnen.

1.0.1 Einführung

Rudolf Steiner hat uns zahlreiche Anregungen zu einer wirklichkeitsgemäßeren Neubetrachtung der Planetenbewegung gegeben. Dem Grundprinzip der Anthroposophie folgend, hat er auch dieses Thema von den verschiedensten Seiten beleuchtet. Doch er hat uns kein fertiges, neues Modell eines Planetensystems hinterlassen, sondern eher die Aufgabe, die Vielzahl seiner so unterschiedlichen Aussagen zu einer Einheit zusammenzufügen und mit dem heute vorherrschenden kopernikanischen System in Einklang zu bringen, das er als ein rein geometrisches Bild und nicht als Wirklichkeit1 ansah: „Jetzt hat man das äußere Bild, das rein geometrische äußere Bild; das andere Bild wird dazukommen, und erst aus der Vereinigung der beiden Bilder wird die spätere Menschheit die Vorstellung gewinnen, die sie haben muss.“2 Steiner wies darauf hin, dass die Menschheit im Laufe ihrer Entwicklung von Kulturstufe zu Kulturstufe unterschiedliche Auffassungen über die Planetenbewegung zur jeweils vorherrschenden gemacht hat und machen wird, und dass auch unsere heutige Auffassung im Grunde nur für einige Jahrhunderte als ein Glied dieser Reihe anzusehen ist. Er nannte sie daher eine „moderne Mythologie“ und führte dazu aus: „Eine gerade Linie geht von dem, was die alten europäischen Bewohner in ihren Götter- und Sternen- und Weltensagen gesagt haben, was die Griechen, die Römer in ihren Mythologien gegeben haben, was das Mittelalter in seinen mehr oder weniger getrübten Mythologien gegeben hat, bis herauf zu jener Mythologie, welche, voll geeignet und vollständig zur Bewunderung berechtigt, Kopernikus, Kepler und Galilei gestiftet haben. Es wird eine Zeit kommen, wo man über diese moderne Mythologie so etwa sprechen wird: Es gab einmal Menschen, die haben es für richtig befunden, eine materielle Sonne in den Mittelpunkt einer Ellipse zu stellen, in Ellipsen Planeten herumkreisen zu lassen, diese in verschiedener Weise rotieren zu lassen; sie haben sich da ein Weltensystem zurechtgerückt wie frühere Zeiten eben auch. Heute, so wird natürlich eine zukünftige Zeit sprechen, ist das alles nur mehr Sage und Märchen. – Ja, diese Zeit wird auch kommen, wenn auch der Moderne noch so sehr die alten Mythologien verachtet und auf seine schwört, und wenn es ihn auch noch so unmöglich dünkt, dass von einer kopernikanischen Mythologie gesprochen werden kann.“3

Der Weg der astronomischen Mythologien führte von den Planetengöttern zu den rein materiellen Planetenkörpern. Zum Verständnis ihrer Bewegungen am Himmel wurden zu verschiedenen Zeiten verschiedene Systeme entwickelt. Während das Ptolemäische System die Erde im Mittelpunkt sah, also geozentrisch war, stellt das darauf folgende Kopernikanische System die Sonne in den Mittelpunkt, ist also heliozentrisch angelegt. Wie zwei Gegensätze stehen sich diese beiden Systeme gegenüber. Eine ähnliche Gegensätzlichkeit scheint nun auch zwischen dem Kopernikanischen und dem künftigen, noch nicht näher benannten, aber von Steiner schon in Teilen beschriebenen System zu bestehen. Während nämlich das Kopernikanische System mit seinen Ellipsenbahnen und der Sonne in der Mitte wohl das einfachste der bisherigen Systeme ist, dürfte das Nachfolgesystem, das wir auf Grundlage von Steiners Angaben für die Zukunft entwickeln sollen, wohl das komplizierteste überhaupt werden. Die Berechtigung für diese überaus große Kompliziertheit sieht Steiner darin, dass es die realen Bewegungen der Planeten im Raum wiedergibt, die nun einmal so ausgesprochen kompliziert seien.

Versucht man, sich einen Überblick über die Aussagen Rudolf Steiners zu den realen Bewegungen der Planeten im Raum zu verschaffen, erhält man eine wahrlich erstaunliche Reihe von Eigenschaften.

Abbildung 1: Rudolf Steiners Skizze der Schraubenlinie zu seinen Ausführungen in der Konferenz vom 25.09.1919

„Wir haben ein System bestimmt angeordneter

Lemniskaten

als die Bahnen der Planeten und auch als die Erden-Sonnenbahn.“

4

„Die

Schraubenlinie

setzt sich im Weltraum fort. Also nicht, dass sich die Planeten um die Sonne bewegen, sondern diese drei: Merkur, Venus, Erde, ziehen der Sonne nach, und diese drei: Mars, Jupiter, Saturn gehen voraus.“

5

– Hierzu wurde folgende Zeichnung gegeben:

„Sie können

nicht in denselben Raum

hineinzeichnen die Bahn der Venus und die Bahn des Saturn. Daraus ersehen Sie, ... dass

es gar nicht geht, ein Sonnensystem zu zeichnen

.“

6

– Die „Bahn der Venus“ steht hier stellvertretend für die inneren Planeten und die „Bahn des Saturn“ für die äußeren Planeten.

„Der Mensch also bildet Geometrie aus. Wodurch aber bildet er zum Beispiel die Vorstellung eines

Dreiecks

aus? ... In Wahrheit ist das eine unbewusste Bewegung, die er im Kosmos vollführt. ... Die Erde hat noch ganz andere,

künstlerische Bewegungen

, die werden da fortwährend ausgeführt. Und noch viel kompliziertere Bewegungen werden ausgeführt, solche Bewegungen zum Beispiel, die in den Linien liegen, welche die geometrischen Körper haben: der

Würfel

, das

Oktaeder

, das

Dodekaeder

, das

Ikosaeder

usw.“

7

Eine in sich widersprüchlichere Beschreibung der Planetenbewegung kann man sich wohl kaum denken. Wie soll ein Bewegungsablauf aussehen, der all diese Eigenschaften in sich vereinbart: Lemniskatenbahnen, Schraubenbahnen, die gleichzeitig aber auch eckige geometrische Bahnen sind, sogar noch dreidimensionale Körper nachbilden, wobei zusätzlich nicht alle Planeten im selben Raum laufen? Wie ist Letzteres überhaupt zu verstehen? Und dann sagt Steiner noch: „dass es gar nicht geht, ein Sonnensystem zu zeichnen“. – Soll man deshalb von vornherein alle Versuche unterlassen, zu einer genaueren Vorstellung der Planetenbewegung zu kommen? Wenn das Steiners Absicht gewesen wäre, hätte er sicherlich nicht so viele Details z.B. zur Lemniskatenbewegung gegeben und selbst zahlreiche Skizzen gezeichnet, die ja dann doch – wie z.B. Abbildung 1 – ein Sonnensystem darstellen.

Wenngleich also das Anforderungsprofil erschreckend hoch gesteckt sein mag, sollten wir uns davon keineswegs entmutigen lassen, sondern versuchen, Schritt für Schritt die Hinweise Steiners nachzuvollziehen, d.h. seine Angaben ernst zu nehmen, darauf aufzubauen und sie in seinem Sinne weiter zu entwickeln.

Die weitaus meisten und detailliertesten Angaben Steiners beziehen sich auf Lemniskatenbahnen. Deshalb erscheint es sinnvoll, hier den Einstieg zu nehmen und zu schauen, ob die Ergebnisse letztlich Verbindungen zu den anderen Formen der Planetenbewegung (Schraube, künstlerische Bewegungen, Vielecke, platonische Körper) zulassen und ob zusätzlich alles auch noch mit dem kopernikanischen System in Einklang gebracht werden kann. Dieser Aufgabenstellung widmen sich die nachfolgenden Betrachtungen.

1.0.2 Rechenmethode und Realität

Seit inzwischen mehreren Jahrhunderten betrachtet die Menschheit die Planetenbewegungen in unserem Sonnensystem als Kreisbahnen im Sinne des Kopernikus, mit leichten elliptischen Veränderungen im Sinne der Keplerschen Gesetze. Auf dieser Basis lassen sich die Planetenpositionen recht gut errechnen, nicht nur für nahegelegene Zeitpunkte, sondern auch für weit in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegende Zeiten. Die Tatsache, dass es uns heute möglich ist, mit bemannten Raumschiffen den Mond oder mit unbemannten Sonden die verschiedenen Planeten anzusteuern und zu erforschen, erscheint gerade zu als eine unumstößliche Bestätigung der Richtigkeit des kopernikanischen Systems.

Draußen im Weltall finden wir freilich immer nur die Planetenkörper am berechneten Ort vor. Welchen Weg sie tatsächlich im Raum genommen haben, können wir bisher weder sehen noch messen, denn Planeten ziehen keine für uns beobachtbare Spur hinter sich her. Allein aufgrund der Richtigkeit unserer Rechenergebnisse sind wir felsenfest davon überzeugt, dass die den Berechnungen zugrunde gelegten kopernikanisch-keplerschen Bahnverläufe den realen Bahnverläufen der Planeten im Raum entsprechen müssen. Aber ist das zwingend so? – Ptolemäus errechnete die Planetenpositionen auf Grundlage eines Epizykelsystems. Darin bewegen sich die Planeten auf kleinen Kreisbahnen (Epizykel), deren Mittelpunkt einer großen Kreisbahn folgt. Mit dieser Methode lassen sich Ergebnisse erzielen, die sich hinter den auf kopernikanischem Wege ermittelten keineswegs verstecken müssen. Diese Tatsache zeigt, dass richtige Rechenergebnisse keineswegs ein Beweis dafür sind, dass die der Berechnung zugrundegelegten Planetenbahnen den tatsächlichen Bahnen im Raume entsprechen müssen. Es sind zunächst einmal nur „angenommene“ Bahnverläufe, mit deren Hilfe wir zu nahezu exakten Positionsbestimmungen kommen.

Die sehr schleifen- und kurvenfreudigen Bahnverläufe von Merkur und Venus stellen für das kopernikanische System in seiner ursprünglichen Form zunächst ein Problem dar. Es müssen Modifikationen eingeführt werden, um zu einer Lösung zu kommen. So muss den Bahnen von Merkur und Venus eine besonders starke Neigung zur Ekliptikebene eingeräumt werden (Venus mehr als 3° und Merkur gar 7°). Darüber hinaus muss der Merkurbahn eine außergewöhnlich hohe Exzentrizität zugestanden werden (0,206 gegenüber 0,017 bei der Erdbahn) und zusätzlich muss die Merkurbahn auch noch eine sogenannte „Periheldrehung“ vollziehen. Genauer betrachtet ist das kopernikanische System somit keineswegs durchgehend so einheitlich und einfach gestaltet wie gemeinhin angenommen wird. Daher muss die Frage erlaubt sein: Sind solche „Zugeständnisse“ an die Venus- und Merkurbahn vielleicht letztlich auch nur „Berechnungshilfen“ wie jene des Ptolemäus? Sind die Ellipsenbahnen etwa auch nur „angenommene“ Bahnen wie es die Epizykelbahnen des Ptolemäus sind? Ist es denkbar, dass die Planeten auf Bahnen laufen, die sowohl die mathematischen Gesetzmäßigkeiten von Ellipsen wie von Epizykeln beinhalten, weshalb beide Rechenwege möglich sind, ohne dass die Bahnverläufe in Wirklichkeit Ellipsen oder Epizykel sind? Dies würde auch Rudolf Steiners Aussage verständlich machen, wonach sowohl das Ellipsen-System wie das Epizykel-System unrichtig sind in Bezug auf die wahren Planetenbewegungen, aber das Letztere der Realität doch näher komme: „Heute ist dem Menschen wie selbstverständlich, dass die Sonne in der Mitte feststeht und die Planeten sich in Ellipsen herumdrehen. Nicht lange wird es in die Zukunft hinein dauern und man wird einsehen, dass die Anschauung des Kopernikus von der Sternenwelt viel unrichtiger ist als die vorhergehende des Ptolemäus. Die kopernikanischkeplersche Weltanschauung ist eine sehr bequeme Weltanschauung. Um aber dasjenige zu erklären, was der Makrokosmos ist, ist sie nicht die Wahrheit.“8

Wie sehen nun die Bahnen von Merkur und Venus am Himmel tatsächlich aus? Leider lassen sich beide aufgrund ihrer Nähe zur Sonne von der Erde aus nur sehr eingeschränkt beobachten. Wir können immer nur sehr kleine Bahnabschnitte kurz vor Sonnenaufgang oder kurz nach Sonnenuntergang am Himmel verfolgen. Den weitaus größten Teil Ihrer Bahnen können wir nur errechnen. Abbildung 2 zeigt einen solchen errechneten Bahnverlauf Merkurs in der Zeit vom 15.03. bis 31.12.2004.

Abbildung 2: Errechnete Merkurbewegung vom 15.03. bis 31.12.2004

Die Merkurpositionen sind in 5-Tagesabständen abgebildet. Merkur läuft in der Abbildung von rechts nach links. Die Zeichnung ist insofern nicht ganz maßstabsgerecht als die Horizontalbewegung Merkurs durch die abgebildeten 270° der Ekliptik etwas zusammengeschoben wurde, während die Vertikalbewegung Merkurs (Ekliptikale Breite) etwas auseinandergezogen wurde, um die Schleifenbewegungen besser sichtbar zu machen. Dies ändert jedoch nichts am Grundprinzip des Verlaufs der Merkurbahn.

Sieht man sich diesen Bahnverlauf mit unvoreingenommenem Blick an, so wird man nicht bestreiten können, dass er mit seinem rhythmischen Wechsel von „Schleife nach oben“ und „Schleife nach unten“ an eine weit auseinander gezogene, sogenannte „fortschreitende Lemniskate“9 erinnert, die sich hier an der Ekliptik entlang bewegt. Könnte Rudolf Steiner Recht haben mit seiner Behauptung, dass sich die Planeten in Wirklichkeit nicht auf Ellipsenbahnen bewegen, sondern auf Lemniskatenbahnen oder anderweitig geformten Bahnen? Und können uns vielleicht gerade die Planetenschleifen von Merkur und Venus helfen, seine Aussagen zu bestätigen – oder zu widerlegen?

1 zumindest nicht als letzte, voll verstandene Wirklichkeit, sondern nur als Teil einer höheren, umfassenderen Wirklichkeit.

2 GA 171 „Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des 19. Jahrhunderts“, Dornach, Vortrag vom 01.10.1916 – Mit dem „geometrischen äußeren Bild“ meinte Rudolf Steiner offenbar das physikalisch beobachtbare Endergebnis (die kopernikanischen Planetenbahnen), das aus Vorgängen resultiert, die er unter dem Begriff „das andere Bild“ zusammenfasste (die Bahnbildeprozesse auf der Grundlage von Lemniskatenbahnen).

3 GA 110 „Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt“, Vortrag vom 12.04.1909.

4 GA 323 „Das Verhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astronomie. Dritter naturwissenschaftlicher Kurs: Himmelskunde in Beziehung zum Menschen und zur Menschenkunde“, Vortrag vom 17.01.1921.

5 GA 300a „Konferenzen Band 1“, Dornach, Konferenz vom 25.09.1919.

6 GA 201 „Entsprechungen zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos. Der Mensch eine Hieroglyphe des Weltenalls“, Vortrag vom 02.05.1920.

7 GA 293 „Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik“, Vortrag vom 23.08.1919.

8 GA 130 „Das esoterische Christentum und die geistige Führung der Menschheit“, Vortrag vom 18.12.1912

9 Vergleiche hierzu Abbildung 9 (Seite 20). Dreht man die dort gezeigte Skizze Rudolf Steiners zur fortschreitenden Lemniskate um 90° und zieht sie gedanklich horizontal auseinander, erhält man einen Kurvenverlauf, der dem in Abbildung 2 prinzipiell entspricht.

1.0.3 Epizykel, Ellipse und Lemniskate

Abbildung 3: Rudolf Steiners Skizze zum Grundprinzip einer Lemniskatenbahn

Auf den ersten Blick mögen uns Ellipse und Lemniskate als sehr verschieden erscheinen. Doch ist das so? Schaut man sich das Grundprinzip einer Lemniskatenbahn an (Abbildung 3), wie sie Rudolf Steiner im Vortrag vom 01.10.1916 gegeben hat10, so kann man sich diese auch aus zwei miteinander verbundenen Ellipsen zusammengesetzt denken, denn die Überkreuzung in der Lemniskatenmitte muss keineswegs so spitz verlaufen wie in der Abbildung angegeben. Auch zwei nebeneinander liegende Ellipsen würden dem Grundprinzip einer Lemniskatenform entsprechen. Es wäre also möglich, dass man mit einer Berechnungsmethode, die auf dem Prinzip der Ellipse basiert, Bahnverläufe errechnen kann, die in Wirklichkeit dem übergeordneten Prinzip einer Lemniskate folgen.

Das größte Hindernis für die moderne Astronomie bezüglich des Für-möglich-Haltens eines lemniskatenförmigen Bahnverlaufs dürfte die vorherrschende Auffassung über die Kräfte sein, die den Planetenbewegungen zugrunde liegen. Man geht heute davon aus, dass alle Planetenbewegungen ein Ergebnis von Gravitation, Masse und Trägheit bzw. von zentripetalen und zentrifugalen Kräften sind. Die Einfachheit des Prinzips einer anziehenden Zentralmasse, der Sonne, welche von ihr hinweg eilen wollende Planetenkörper auf Kreisbahnen hält, ist natürlich beeindruckend. Lemniskatenförmige Bahnen lassen sich damit nicht erklären, da die Frage der Richtungsänderung innerhalb der Lemniskate unbeantwortet bleibt. Aber ist es gerechtfertigt, eine Bewegungsform von vornherein als unmöglich anzusehen, nur weil man sie mit den derzeit gültigen physikalischen Auffassungen nicht erklären kann? Wir sollten doch wenigstens die Bahnverläufe der Planeten einmal genauer anschauen, ob sie irgendwelche „Merkwürdigkeiten“ zeigen, die als Hinweise auf Lemniskatenbahnen gelten können. Ein solcher Hinweis wurde oben schon genannt. Es ist der errechnete Bahnverlauf Merkurs (Abbildung 2, Seite →), der einer auseinander gezogenen „fortschreitenden Lemniskate“ gleicht.

Nach Aussagen Rudolf Steiners laufen nun aber nicht nur Merkur und die anderen Planeten, sondern auch die Sonne selbst auf einer Lemniskatenbahn. Das beinhaltet, dass die Sonne zu gewissen Zeiten einen Richtungswechsel vollziehen muss. Es stellt sich also die Frage: Müsste ein Richtungswechsel in der Sonnenbewegung nicht Auswirkungen auf die sie begleitenden Planeten haben, insbesondere auf den ihr nächsten Planeten, der ja doch am ehesten ihre Bewegungen mitmachen muss? – Betrachtet man unter diesem Aspekt die oben abgebildete Merkurbahn genauer, so findet man an ihr eine weitere „Merkwürdigkeit“. Während die mittlere Schleife in Abbildung 2 (Seite →) durchaus elliptisch oder lemniskatisch aussieht, gleichen die Schleifen zum Jahresbeginn und zum Jahresende eher Kurven als Schleifen. Abbildung 4 zeigt die Kurve, die Merkur von März bis Mai 2004 vollzog (vergrößert). Merkur läuft darin von rechts nach links. Ein solcher Bahnverlauf lässt sich wohl besser als „Zacke“ oder „spitzer Winkel mit nachfolgender Kurve“ beschreiben.

Abbildung 4: Errechnete Merkurbewegung vom 15.03. bis 29.05.2004

Hier drängt sich die Frage auf: Wie kommt die plötzliche Richtungsänderung im Bereich des spitzen Winkels innerhalb weniger Tage – Merkur ist in 5-Tagesabständen abgebildet – zustande? Sieht es nicht so aus, als würde er von seiner von rechts nach links oben ziehenden Bahn durch eine von außen auf ihn wirkende Kraft plötzlich weggezogen und in einen Kurvenbahnverlauf nach rechts unten gebracht? Könnte dieser spitze Winkel in der Merkurbahn die Folge einer Richtungsänderung der Sonne auf ihrer Lemniskatenbahn sein, wobei sie Merkur mit sich führt?

Ein ähnliches Phänomen zeigt die Merkur-„Kurve“ vom Ende des Jahres 2004 (Abbildung 5) als Ausschnitt von Abbildung 2 (Seite →). Auch hier kommt es innerhalb weniger Tage zu einem Richtungswechsel, als würde Merkur von der Sonne plötzlich in eine andere Richtung „mitgerissen“ als sie seiner ihm eigenen Bahn entspräche.

Abbildung 5: Errechnete Merkurbewegung vom 31.10. bis 30.12.2004

Die kopernikanische Astronomie wird sagen, dass es sich um perspektivische Phänomene handelt, die ganz einfach dadurch zustande kommen, dass nicht nur Merkur, sondern auch die Erde durch den Raum läuft, so dass es zu perspektivischen Verzerrungen der Ellipsenbahnen kommen muss. Selbstverständlich kommt es aufgrund des fortwährenden Ortswechsels zu solchen Verzerrungen. Aber könnte bei dem Phänomen der „spitzen Winkels“ nicht auch noch ein anderer Faktor mitwirken? Etwa ein Richtungswechsel der Sonne auf ihrer Lemniskatenbahn? Die eine mögliche und zulässige Erklärung muss nicht zwangsläufig eine andere mögliche und zulässige Erklärung ausschließen.

10 GA 171 „Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des 19. Jahrhunderts“

1.1 Die Lemniskatenbahnen von Sonne und Erde

Die Behauptung Rudolf Steiners, dass sich die Sonne auf einer Lemniskatenbahn bewegt – was ursächlich für die „spitzen Winkel“ im Verlauf der Merkurbahn sein könnte –, wirft sogleich zwei weitere Fragen auf:

Wie lässt sich ein lemniskatenförmiger Bahnverlauf von Sonne und Erde mit der scheinbaren Kreisbahn der Sonne durch den Tierkreis vereinbaren?

Wie lässt sich eine solche Bahn mit den als gesichert geltenden Perihel- und Aphel-Konstellationen zwischen Sonne und Erde (Sonnennähe der Erde etwa am 2. Januar und Sonnenferne etwa am 2. Juli) in der kopernikanisch-keplerschen Ellipsenbahn der Erde sowie den Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen vereinbaren?

Die erste Frage ist eine ganz grundsätzliche. Eine Lösung wird in Richtung einer Bewegung der Lemniskate zu suchen sein, die so geartet sein müsste, dass sich als Resultat eine scheinbare Kreisbahn der Sonne am Himmel ergibt. Ob es eine solche Bewegungsart wirklich gibt und wie sie letztlich aussehen müsste, bedarf einer ausführlicheren, separaten Betrachtung. Sie soll zunächst zurückgestellt und im Anschluss an die Betrachtungen zu den Lemniskatenbahnen der inneren Planeten erneut aufgegriffen werden (siehe Abschnitt 1.3). Außerdem verkompliziert jede Bewegung der Lemniskate alle Betrachtungen enorm, so dass es sinnvoll ist, zunächst von einer ruhenden Lemniskate auszugehen und auf dieser Basis zu versuchen, die Frage nach den Perihel- und Aphel-Konstellationen, Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen zu beantworten. Dabei soll die Aussage Rudolf Steiners berücksichtigt werden, dass die Erde nicht um die Sonne läuft, sondern: „... dass wir es zu tun haben mit einem Nachfolgen der Erde gegenüber der Sonne, gewissermaßen einem Vorauseilen der Sonne und einem Nachfolgen der Erde.“11

1.1.1 Perihel und Aphel, Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen in der Lemniskatenbahn

Es gibt einige grundlegende astronomisch beobachtbare Gegebenheiten, für die auch eine Lemniskatenbahn eine Erklärung liefern muss. Das sind vor allem die unterschiedlichen Abstände der Erde zur Sonne, die sogenannte Perihel-Konstellation (Sonnennähe) Anfang Januar bzw. die Aphel-Konstellation (Sonnenferne) Anfang Juli, sowie die Rahmenbedingungen des Sonnenlaufes am Himmel mit Sonnentiefststand zur Wintersonnenwende, Sonnenhöchststand zur Sommersonnenwende und die Tagundnachtgleichen im Frühling und Herbst.

Für die Perihel- und Aphel-Konstellationen bieten sich zwei Lösungen an.

1.1.1.1 Die Bahnlängen-Lösung

Auf ihrer kopernikanisch-keplerschen Ellipsenbahn kommt die Erde jedes Jahr um den 2. Januar in Sonnennähe (Perihel) und um den 2. Juli in Sonnenferne (Aphel). Diese Konstellationen lassen sich mit einer Lemniskate vereinbaren, wenn man von zwei unterschiedlich großen Lemniskaten-Hälften ausgeht. Die eine Hälfte wäre gewissermaßen die etwas kürzere Perihel- oder Winter-Lemniskaten-Hälfte, die andere entsprechend die etwas längere Aphel- oder Sommer-Lemniskaten-Hälfte (Abbildung 6). Die Folge wäre, dass bei der Lemniskate genau die umgekehrte Situation bestünde wie bei der Ellipse, d.h. dass die Perihel- und Aphel-Konstellationen dann zustande kommen, wenn die Erde (statt der Sonne) im Mittelpunkt steht und die Sonne (statt der Erde) jeweils an einem der beiden Enden. Die Erde folgt dabei dem Lauf der Sonne im Abstand einer halben Lemniskatenhälfte.

Abbildung 6: Perihel- und Aphelkonstellationen in einer Lemniskate mit unterschiedlich großen Hälften

Die in der Abbildung stark übertriebene Betonung der Ellipsenform der beiden Lemniskatenhälften wie auch der stark übertriebene Längenunterschied zwischen Perihel und Aphel dienen allein zur Veranschaulichung. Tatsächlich sind die keplerschen Ellipsen fast Kreisbahnen. In einer maßstabsgetreuen Zeichnung wäre der Unterschied zwischen Perihel- und Aphelabstand nicht wahrnehmbar.

Der in Abbildung 6 dargestellte Bewegungsablauf kann jedoch nur der erste Schritt zu einer Lösung des Problems sein. Denn würde die Erde auf exakt derselben Bahn laufen wie die Sonne, so käme es zu zwei Aphel- und zwei Perihelkonstellationen pro Jahr. Wenn die Sonne den Mittelpunkt der Lemniskate erreicht hat, ist die Erde dort angekommen, wo vorher die Sonne war. Beide hätten nur den Platz getauscht und wieder den gleichen Abstand zu einander. Rudolf Steiner weist aber darauf hin, dass Sonne und Erde jeweils auf einer eigenen Lemniskatenbahn laufen, die in ihrer Neigung voneinander abweichen und sich nur in ihrem Mittelpunkt decken.12 Der Neigungswinkel der Erdbahn dürfte dem Winkel zwischen Himmelsäquator und Ekliptik, also der Neigung der Erdachse von ca. 23,5° (im kopernikanischen System) entsprechen. Die Erde läuft im Abstand eines Lemniskatenviertels immer der Sonne hinterher, aber auf einer eigenen Bahn, die sich nur in ihrem Mittelpunkt mit der Bahn der Sonne schneidet. Rudolf Steiner hat uns hierzu die Skizze eines Doppel-Lemniskatensystems von Sonne und Erde gegeben (Abbildung 7). Diese zeigt, wie die Sonne (Kreis mit Punkt – links im Bild) auf ihrer waagrecht liegenden, heller schraffierten Bahn zum Kreuzungspunkt in der Mitte der Lemniskate zieht, wo sich gerade die Erde befindet (Kreis ohne Punkt), während diese auf ihrer eigenen, dunkler schraffierten Bahn dem Lauf der Sonne gewissermaßen „folgt“ (angedeutet durch die nach oben weisenden Pfeile) oder vielleicht besser: ihn auf ihrer eigenen Bahn nachvollzieht.