Das letzte Buch - Sabine Rädisch - E-Book

Das letzte Buch E-Book

Sabine Rädisch

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Beschreibung

Ulrich vermisst seine Frau Erika noch immer schmerzlich: Vor einem Jahr ist die passionierte Leserin gestorben und hat Ulrich mit einer Schrankwand voller Liebesromane zurückgelassen. Jeden Tag bringt er einen davon zu einer Büchertauschzelle. So spaziert er täglich durch Regensburg, die Routine erhält ihn aufrecht. Wie soll es weitergehen, wenn Das letzte Buch verschenkt ist? Als er sich ein letztes Mal auf den Weg zur Tauschzelle macht, zieht ein Sturm herauf. Pitschnass erreicht er die Büchertauschzelle und schlüpft hinein - doch er ist nicht der erste, der dort Zuflucht sucht ...

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Das letzte Buch

 

Man durfte nicht mehrere Bücher auf einmal bringen, sondern immer nur eines. Zu Beginn hatte Ulrich das für ein Problem gehalten, doch im Lauf des Jahres war der tägliche Spaziergang nach Stadtamhof zu einem Ritual geworden, auf das er nicht verzichten wollte. Es hielt ihn, wenn schon nicht bei Laune, so doch wenigstens auf Trab. Auch heute trank er vor dem Aufbruch eine Tasse schwarzen Kaffee und aß ein Butterbrot, während er am Küchentisch die Tageszeitung studierte. Immer dasselbe: Krieg, Verkehrsunfälle, Klimakrise. Wie alt musste man eigentlich werden, damit sich da mal was änderte?

Die Kaffeemaschine röchelte, als wolle sie darauf aufmerksam machen, dass sich noch eine beträchtliche Menge Kaffee in der Glaskanne befand. Seit geraumer Weile blieben jeden Tag zwei Tassen übrig, schwarz und stärker, als Erika es gemocht hätte. Er nahm den letzten Bissen Brot, seufzte und stand auf, um die Maschine auszuschalten. Dann wusch er das Geschirr ab und stellte es auf das Abtropfgestell. Alles sollte sauber und ordentlich sein, wenn er die Wohnung verließ. Über der Spüle tickte die Uhr: Kurz vor acht. Er ging ins Wohnzimmer. Sein Blick glitt über den Couchtisch mit der Glasplatte, den erdig braunen Teppich und die beiden bequemen Sessel, von denen nur noch einer regelmäßig benutzt wurde, nämlich Ulrichs Fernsehsessel neben der Tür. Der andere war der Lesesessel und stand am Fenster, wo das Licht besser war und von dem aus man einen guten Blick in den Garten hatte. Seit Tagen herrschte feuchtes, aber warmes Wetter und das überbordende Grün da draußen wirkte wie ein Urwald. Er hätte längst jemanden kommen lassen sollen, der die Hecke zurückschnitt und das Gras mähte. Doch dafür blieb keine Zeit mehr. Er hatte seine Entscheidung getroffen.

Ulrich trat an die Schrankwand mit dem modernen Flachbildfernseher. Der Rest des Regals war inzwischen leer. Bis auf ein letztes Buch, das er heute wegbringen würde. Dann waren sie alle fort. Wie Erika. Einsam lehnte es an der Regalwand. Er nahm es heraus. Ein dickes, gebundenes Buch, schon reichlich zerlesen. Der Buchrücken war faltig wie der Rücken seiner Hand und der Einband an mehreren Stellen geknickt, als hätte es unter einem Kopfkissen gelegen. Er schämte sich beinahe, ein derart ramponiertes Etwas aus der Hand zu geben. Doch es war Erikas Lieblingsbuch. Und er hatte auch schon eine Vermutung, wer es bekommen würde: Die Frau mit dem kurzen, weißen Haar. Sie war in seinem Alter und ihr Schritt entschlossen und energisch. Mittlerweile grüßten sie einander sogar und bei der letzten Begegnung hatte sie deutlich sichtbar das Buch vom Vortag in der Hand gehalten.

Unschlüssig blickte er auf das Titelbild dieses letzten Exemplars mit dem Einband im Stil der späten Siebzigerjahre. Riesengroß prangten die Lettern des Titels darauf, ließen aber noch genug Platz für ein schwungvoll gemaltes Liebespaar. Die Frau trug ein prächtiges Kleid mit weitem Rock und der Mann hielt sie zärtlich im Arm, als wolle er sie nie mehr hergeben. Es wird der Tag kommen, an dem sie einander loslassen müssen, dachte Ulrich. So wie wir alle.

Er schüttelte den Gedanken ab, ging in den Flur und legte das zerlesene Buch auf den halbhohen Garderobenschrank.

---ENDE DER LESEPROBE---