Das Lied der Tollpatsche - Iva Moor - E-Book

Das Lied der Tollpatsche E-Book

Iva Moor

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Beschreibung

Auf den Friedensfestspielen im Herbstgebirge soll Erle Zapf endlich einen Ehemann auswählen. Doch Erle erkundet lieber mit ihrem Neffen Brun das unterirdische Festival in der Hoffnung, Nork wiederzusehen, eine Zwergin, die ihr Herz höherschlagen lässt. Als der kleine Brun jedoch ausbüchst, hat Erle bald größere Probleme als unwillkommene Heiratspläne und Herzklopfen, denn unter dem Herbstgebirge lauern Gefahren

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Iva Moor Das Lied der Tollpatsche

© 2021 Iva Moor, 1 Auflage Verlag: Littera Magia, Inhaberin Martina Mozelt A-1160 WienLektorat: Katherina Ushachov Korrektorat: Julia K. Hilgenberg Cover: Arturaliev

Das Lied der Tollpatsche

Der Duft von frischem Kräuterbrot, gebratenen Pilzen und saftigem Spießbraten wehte durch die Tunnel – stark und köstlich genug, um den stickigen Geruch der feuchten Erde zu überdecken. Erle Zapf sog die Aromen ein. Thymian! Sie witterte eindeutig Thymian, und Rosmarin, und als ihr das Wasser im Mund zusammenlief, ließ die Beklemmung, die sie in den Klauen hielt, seit sie den Stollen betreten hatte, etwas nach. Trotzdem – Dappen gehörten einfach nicht unter die Erde!

Auch ihr Bruder Waldo beäugte misstrauisch die Decke des Zwergentunnels, die zu dicht über ihren Köpfen spannte, als hoffte er, im fahlblauen Licht der Glühsteine Abzugslöcher zu entdecken. „Ich kriege hier unten keine Luft!“

„Stell dich nicht so an, Waldo“, brummte Papa. Er musste tatsächlich leicht gebeugt gehen, um sich nicht den Schädel an der Tunneldecke zu stoßen. „Wo ist dein Zwergenerbe geblieben?“

Erle schnaubte. Das Zwergenerbe konnte sie gern haben! Dappen lebten aus gutem Grund über der Erde!

Dumpfe Musik wehte in den Tunnel: Flöten, Trommeln und tiefe Bassstimmen in eigenartigen Harmonien, die Erle einen ehrfürchtigen Schauer über den Rücken jagten. Jedes Dappenkind kannte die alten Balladen ihrer Zwergenahnen, aber kaum ein Dapp konnte sie so singen wie die Zwerge selbst.

Eine kleine Hand zog an ihrem Rock. „Wann gehen wir endlich wieder?“, hauchte Brun. „Ich mag’s hier unten nicht! Es ist so dunkel!“

Ermutigend drückte Erle die Hand ihres Neffen. „Wenn wir erst in der Festhalle sind, gruselst du dich bestimmt nicht mehr, Krümel.“ Als Brun bloß skeptisch die Augen zusammenkniff, fügte sie hinzu: „Du wirst schon sehen! Zu den Friedensfestspielen kommen Dappen aus dem ganzen Herbstgebirge! Und Zwerge und Menschen, und die Nachtalben aus Imaldriën! Das Essen ist großartig, und die Chöre … Autsch!“ Fluchend rieb sie sich den Kopf und schielte nach oben.

Ein Stalaktit-Stumpen ragte aus der Decke. Zwerge konnten vermutlich bequem darunter hindurchspazieren, aber Dappen waren schon immer etwas größer gewesen als ihre Zwergenvorväter. Das ließ sich durch ihr Menschenerbe kaum vermeiden.

Während Erle die Beule auf ihrer Stirn betastete, packte ihr Vater sie grob am Arm. „Pass doch auf! Wenn du Einhorn spielst, vergraulst du alle Heiratskandidaten!“

Erle verdrehte die Augen. „Wir sind hier, um unsere Stoffe zu verkaufen und den Rumbacher Chor zu unterstützen, nicht um einen Ehemann für mich zu suchen, Papa!“

Doch ihr Vater zupfte mit schmalem Mund ihre drahtigen Haare zurecht, sodass sie die Beule auf ihrer Stirn verdeckten. „Fummel nicht an deiner Frisur herum“, grollte er. „Deine Mutter hat beim Flechten Krämpfe in den Fingern bekommen. Und bringt es dich eigentlich um, mal zu lächeln?“

Oh nein! Abrupt blieb Erle stehen. „Papa! Du hast gesagt, das Heiratsthema ist durch! Und ich will nicht …“

„Natürlich ist das Thema nicht durch!“, erwiderte ihr Vater. „Wird Zeit, dass du unter die Haube kommst! Dein kleiner Bruder und seine Frau kriegen schon das zweite Kind, und du …“ Er warf die Hände in die Luft und grummelte etwas Unverständliches, das verdächtig nach ‚alte Jungfer‘ klang. Ehe Erle protestieren konnte, beschleunigte er seinen Schritt und mischte sich in den Kriegsrat der Rumbacher Spinner und Weber ein, die diskutierten, wie sie ihre Garne und Stoffe während der Festspiele am besten an den Mann bringen konnten.

Erle, die noch immer mitten im Tunnel stand, bemerkte kaum, wie die vorbeistapfenden Dappen sie anrempelten. Ihre Lippen waren taub.

Die Friedensfestspiele waren ein regionales Großereignis! Ein Abenteuer! Wann sonst kamen alle Bewohner des Herbstgebirges zusammen? Und ihr Vater sah das Ganze als großen Heiratsmarkt! Natürlich. Hatte Erle denn ernsthaft geglaubt, sie könnte ewig die Buchhaltung für die Spinnerei führen? Frei bleiben? Davonkommen, ohne einen der selbstverliebten Spinner aus der Gilde heiraten zu müssen? Erle schossen die Tränen in die Augen. Sie versuchte krampfhaft, nicht daran zu denken, was Nork sagen würde.

„Tut’s so weh?“ Mitfühlend drückte Brun ihre Hand und deutete auf Erles Beule. „Soll ich pusten?“

Ein Goldstück, der Kleine. Also ließ Erle ihn auf ihre Stirn pusten, putzte sich die Nase und hielt ihren Neffen dicht an ihrer Seite, als das Gedränge im Tunnel dichter wurde. Über die Köpfe der anderen Dappen hinweg erkannte sie ein Tor, und dahinter – endlich, endlich! – Licht. Ein Zwerg in heller Wildlederrüstung bewachte dieses Nadelöhr, nahm Namen und Herkunft der Neuankömmlinge auf. Als Erle vor ihm stand, betastete er routiniert ihre Rocktaschen. Seine Hände waren um einiges kleiner und heller als ihre, die zwischen seinen Fingern wie Schatten aussahen, als er ihre Ringe auf Zauber überprüfte, aber um einiges kräftiger und flinker. Eine stetige Erinnerung daran, dass das Zwergenerbe der Dappen durch jede Menge Menschenblut verwässert wurde. Als sein Blick an ihrer Beule hängen blieb, kräuselten sich seine Lippen.

„Ihr Mischlinge seid so tollpatschig!“

„Mischlinge!“, fauchte Erle erbost, doch bevor sie dem Kerl die Meinung geigen konnte, quietschte Brun entzückt auf.

„Der ist aber flauschig!“ Sprach’s und vergrub seine kleinen Hände im Bart des Zwergs.

Hastig zupfte Erle das Kind aus der Reichweite des Wächters, der empört seinen Bart zurechtrückte.