Das Mädchen, das den Blumen zuhörte - Stephanie Knipper - E-Book
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Das Mädchen, das den Blumen zuhörte E-Book

Stephanie Knipper

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Beschreibung

Der internationale Bestseller über eine ganz besonderes Mädchen, seine Fähigkeiten und über die Kraft der Liebe: Für alle Fans von Vanessa Diffenbaugh und Eowyn IveyAntoinette Martin leidet an einer starken Form von Autismus, noch nie in ihrem Leben hat sie ein Wort gesprochen. Aber das kleine Mädchen besitzt eine große Gabe: Ihre Berührungen sind heilend. Doch jede Heilung kostet Kraft und mit jeder Berührung riskiert sie ihr Leben. Zusammen mit ihrer Mutter Rose wohnt sie auf der großen Blumenfarm »Eden Farms«. Als Rose lebensbedrohlich erkrankt, bittet sie ihre Schwester Lily um Hilfe. Die beiden Frauen waren als Kinder unzertrennlich – bis ein trauriger Vorfall sie auseinanderriss. Nun kehrt Lily mit gemischten Gefühlen zurück auf die Blumenfarm. Doch dank der unglaublichen Liebe zu Antoinette und der einzigartigen Wunder, die das kleine Mädchen vollbringt, lernen die Schwestern endlich, einander zu verzeihen...»Die Einzigartigkeit dieses Debüts zieht den Leser in seinen Bann.« Publishers Weekly

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Sammlungen



Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Roses Tagebuch– April 2013 –

1. Kapitel

2. Kapitel

Roses Tagebuch– März 2003 –

3. Kapitel

4. Kapitel

Roses Tagebuch– Mai 2003 –

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Roses Tagebuch– September 2005 –

8. Kapitel

Roses Tagebuch– Dezember 2006 –

9. Kapitel

10. Kapitel

Roses Tagebuch– Juni 2007 –

11. Kapitel

12. Kapitel

Roses Tagebuch– Juni 2008 –

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

Roses Tagebuch– August 2009 –

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

Roses Tagebuch– April 2013 –

25. Kapitel

Roses Tagebuch– April 2013 –

26. Kapitel

27. Kapitel

Roses Tagebuch– April 2013 –

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel– Ein Jahr darauf –

– Dank –

Roses Tagebuch– März 2003 –

Angst hat einen speziellen Geschmack.

Ich sitze am verkratzten Küchentisch. Vor mir liegen Tulpen- und Narzissenzwiebeln aufgereiht. Eigentlich sollte ich an meiner Abschlussmappe arbeiten. Es sind Frühjahrsferien, und in sieben Wochen beende ich das College. Stattdessen schreibe ich Tagebuch und trinke Limonade, um den Geschmack von Kupfermünzen von der Zunge zu vertreiben.

Mein Kind soll Ende Mai zur Welt kommen.

Mein. Kind. Ich sehe mich schon bei der Prüfung über die Bühne segeln, das schwarze Gewand wie ein Zirkuszelt um meinen Babybauch flatternd.

Als wir gestern heimkamen, hat Lily unsere Taschen an der Küchentür stehen gelassen, ist hinaus und die Verandatreppe hinabgerannt.

»Willst du nicht erst deine Mutter umarmen?«, hat Mutter ihr hinterhergerufen. Sie stand in der Küche, hatte auf uns gewartet. Obwohl wir erst März haben, ist sie von der Arbeit auf den Feldern bereits braun gebrannt, und ihre Fingernägel leuchten wie immer knallrot. Die Jahre, in denen sie unentwegt Samen in die Erde gesetzt und Unkraut ausgerissen hatte, haben ihre Spuren hinterlassen, deshalb trägt sie stets Nagellack.

Lily warf einen Blick zurück. Der Wind fuhr ihr durch das lange, braune Haar. Sie sah aus, als wäre sie der Erde entsprossen. »Gleich. Ich muss erst im Gewächshaus etwas nachschauen.«

Als sie zurückkam, hatte sie ein Bund Kräuter dabei. Die eine Pflanze hatte filigrane, geweihartige Blätter, die andere kleine gekerbte. »Fenchel und Koriander«, sagte sie, als sie mir das Bouquet hinhielt. »Kraft und verborgene Werte.« Sie lächelte, als sei ich jemand, zu dem man aufschaut, und nicht eine schwangere Collegestudentin, die vom Vater ihres Kindes sitzen gelassen worden war.

Jetzt nehme ich eine Narzissenzwiebel und lasse meine Finger über das weiche, weiße Fleisch gleiten. Die Küche ist der beste Platz zum Arbeiten. Am frühen Morgen ist sie lichtdurchflutet. Dann kann ich so tun, als sei ich in einem Atelier auf dem Campus, mein Bauch noch flach und mein Plan, nach dem Collegeabschluss nach Italien zu reisen, noch nicht dahin. In diesen Momenten kehre ich nicht nach Hause zurück, um auf der Farm zu arbeiten, weil ich für meine Tochter sorgen muss – in diesen Momenten bin ich Künstlerin.

Auch heute krampfen sich meine Bauchmuskeln zusammen, und ab und an bekomme ich keine Luft. »Vorwehen. Braxton-Hicks-Kontraktionen nennt man das«, hatte mein Geburtshelfer bei meinem letzten Termin gesagt. Das tue nicht weh, hatte er behauptet. Ein Irrtum.

Als meine Muskeln sich wieder entspannen, kehrt der Geschmack von Kupfermünzen zurück. Deshalb trinke ich Limonade, aber es hilft nicht wirklich.

Ich versuche, mich auf die Narzissenzwiebel zu konzentrieren, die ich für meine Mappe skizzieren soll. Ich habe die braune papierartige Hülle der Zwiebel mit dem Gartenmesser meines Vaters aufgeschlitzt und sie geschält, indem ich die papierenen Schichten abgezogen habe. Dann habe ich die Zwiebel in der Mitte durchgeschnitten, um die Blütenknospe freizulegen.

Den meisten Menschen ist gar nicht bewusst, dass im Innern der Zwiebel eine winzige aufkeimende Pflanze ruht. Ich fertige eine Serie von Zeichnungen an, die verschiedene Blumen in den unterschiedlichen Stadien des Keimens zeigen.

Die Knospe ist noch in sich selbst gehüllt. Ich lege die Zwiebel hin, strecke die Hand aus – Daumen nach oben, die Daumenspitze auf Höhe des ersten Blatts – und betrachte sie mit zusammengekniffenen Augen. Den Stängel messe ich mithilfe meiner Daumenwurzel. Die Pflanze ist von einem so blassen Grün, dass sie fast weiß ist.

Ich beginne zu zeichnen, mit dünnen, spärlichen Strichen. Dabei konzentriere ich mich darauf, wie sich mein Arm in großen Schwüngen über das Papier bewegt, auf das Gefühl der unebenen Oberfläche unter der Kohle.

Wenn ich zeichne, fällt die Angst von mir ab.

Die Kohle erzeugt ein sanftes Wischgeräusch auf dem Papier. Ich betrachte die Zwiebel und fahre mit dem Finger über den Bogen des Stängels und über die Falte des ersten Blatts. Wenn ich arbeite, versuche ich, die Person zu sein, für die Lily mich hält, strotzend vor Kraft und voller verborgener Werte. Ich setze mich auf und ignoriere den sanften Druck in der Brust, den ich seit dem Überschreiten der Sechs-Monats-Schwelle spüre und der nicht mehr verschwinden will.

Derart in Gedanken versunken, zucke ich zusammen, als mir meine Mutter die Hand auf die Schulter legt. Sie beugt sich hinab und küsst mich auf den Kopf; das Ende ihres langen blonden Zopfs kitzelt mich an der Wange. »Du bist eine Künstlerin. Selbst wenn du wieder nach Hause kommst, wird sich daran nichts ändern.

Gefällt dir die Wiege?«, erkundigt sie sich und tritt an die Arbeitsplatte, um sich einen Kaffee einzuschenken. Sie spannt die Schultern an. Meine Antwort ist wichtig für sie. Sie war enttäuscht, als ich ihr von der Schwangerschaft erzählt habe, aber nachdem der erste Schock überwunden war, starteten sie und mein Vater eine regelrechte Kampagne, um mich nach Hause zurückzuholen.

»Sie ist wunderschön«, sage ich, und es stimmt. Mein Vater Wade hat die weiße Wiege gebaut, die nun am Fußende meines Bettes steht. Die präzise gedrechselten Holzstäbe und der solide Eindruck der Konstruktion tragen seine Handschrift.

Wenn Lily Möbel bauen würde, wären sie genauso. Solide. Wunderschön. Für die Ewigkeit.

»Das freut mich«, sagt Mum. Sie sieht jünger aus, wenn sie lächelt. Ich wünschte, sie täte es öfter.

Wieder überwältigen mich Schmerzen. Ich stöhne auf und beuge mich vor. »Braxton-Hicks«, sage ich mit zusammengebissenen Zähnen und klammere mich so fest an meinen Kohlestift, dass er zerbricht.

Mit einem Scheppern landet die Tasse meiner Mutter in der Spüle. »Das sind keine Braxton-Hicks-Krämpfe«, sagt sie. »Wir müssen sofort ins Krankenhaus.«

 

Meine Arme sind schwer, ich kann die Augen nicht öffnen.

»Rose?« Die Stimme meiner Mutter. »Kannst du mich hören?«

Ich gebe mir alle Mühe, mich in Richtung der Stimme zu drehen, aber ich kann mich nicht bewegen. Nur meine Augenlider flattern. Wo auch immer ich bin, alles ist dämmrig. Ich weiß nicht, ob das Licht ausgeschaltet ist oder ob ich den Tag verschlafen habe.

»Ist sie wach?« Die Stimme meines Vaters. Er klingt müde.

»Fast«, sagt meine Mutter. »Rose? Kannst du mich hören?«

Ja, möchte ich sagen, ich kann dich hören. Irgendetwas blockiert meine Kehle. Ich versuche, meine Hand ans Gesicht zu heben, aber mein Arm ist vom Schlaf entsetzlich schwer.

»Rose?«, fragt Mom. Es scheint aus weiter Ferne zu kommen.

Ich kann nicht sprechen. Und ich bin entsetzlich müde.

Wieder versuche ich mich zu bewegen, aber ich bin gefangen. Ich kämpfe, schüttele den Kopf. Das Kissen raschelt.

»Rose?« Meine Mutter berührt mich an der Wange.

Und ich zwinge mich, die Augen zu öffnen und tief einzuatmen, aber irgendetwas blockiert meine Kehle. Ich kann nicht atmen! In meiner Panik schlage ich mir ins Gesicht. In meinem Mund steckt ein Plastikschlauch.

»Nein, nicht«, sagt meine Mutter und hält meine Hand fest. »Du liegst auf der Intensivstation und bist an ein Beatmungsgerät angeschlossen.« Die Angst hat sich in ihr Gesicht eingegraben; tiefe Falten durchziehen die Augenbrauen. Ihr Nagellack ist abgesplittert, und aus dem eilig geflochtenen Zopf haben sich Strähnen gelöst.

»Du hast uns einen Schrecken eingejagt«, sagt Dad. Er hat schwarze Ringe unter den Augen.

Mein Hirn ist schwammig. Beatmungsgerät? Intensivstation?

Meine Mutter lässt sich auf einen Stuhl neben dem Bett sinken und legt den Kopf auf das Bettgitter. »Es ist alles in Ordnung mit dir«, sagt sie. Die Worte sprudeln aus ihr heraus.

Nichts ist in Ordnung mit mir. Ich fühle mich leer. Ich lasse die Hand auf meinen Bauch fallen.

Er ist flach.

Baby?, frage ich stumm, weil der Schlauch in meinem Mund steckt.

Mom merkt es nicht.

Wo ist es? Der vertraute Geschmack von Kupfermünzen schießt mir in den Mund. Ich hieve mich mit aller Kraft hoch und reiße am Schlauch. Wo ist mein Baby?

»Nicht«, sagt meine Mutter. Sie ragt neben mir auf und nimmt meine Hände. »Wade, hilf mir. Halte ihre Hände fest.«

Dad nimmt meine Hände und zieht sie hinab. »Ganz ruhig, Rose, beruhige dich.« Seine grünen Augen sind rot gerändert.

Baby, forme ich mit den Lippen. Baby!

Endlich versteht meine Mutter. »Deinem Baby geht es gut«, sagt sie, aber ich glaube ihr nicht. Ihre Augen sind so groß, dass das Weiße das Blau schluckt, und das Lächeln, das sie sich abringt, ist schmallippig.

Ich kann nicht atmen. Irgendetwas lastet mir tonnenschwer auf der Brust.

»Es geht ihr gut«, wiederholt meine Mutter. »Lily ist bei ihr. Sie ist ihr nicht von der Seite gewichen.«

»Klein ist sie«, sagt Dad. »Nicht größer als meine Hand. Aber es geht ihr gut.« Er streckt die Hand aus, Handfläche nach oben, und lächelt.

Was?, mime ich. In meinem Kopf: weißer Nebel. Ich erinnere mich, dass ich am Küchentisch gesessen und gemalt habe. Ein Schmerz hat meinen Unterleib zerrissen. Dann … nichts mehr.

Was?, mime ich wieder. Dieses Mal versteht Mom: Was ist passiert?

Sie schaut an die Decke. »Als wir in der Notaufnahme waren, schoss dein Blutdruck plötzlich in die Höhe. Sie mussten das Kind holen. Auf dem OP-Tisch hattest du einen Herzanfall.« Ihre Stimme zittert.

Ich schüttele den Kopf. Das kann nicht sein. Ich bin zweiundzwanzig. Herzanfälle sind etwas für alte Leute.

Dad übernimmt. »Peripartale Kardiomyopathie nennt sich das. Durch die Schwangerschaft hat sich dein Herz vergrößert. Der Herzmuskel ist schwer beschädigt.«

Wenn Mom meine Hände nicht halten würde, würde ich sie auf die Ohren pressen. Ich will wieder ein Kind sein. La, la, la, ich höre gar nicht zu.

Was sie dann sagt, ist so leise, dass ich es fast nicht mitbekomme. »Du bist noch da«, sagt sie, als müsse sie sich selbst davon überzeugen. »Ich habe dich nicht verloren.« Dann lässt sie den Kopf auf meine Brust sinken und schließt die Augen.

 

Am nächsten Tag kommt ein Arzt, den ich noch nie gesehen habe, und entfernt den Beatmungstubus. Er legt die langen Finger um die Röhre und reißt sie mit einem Ruck heraus, als wollte er einen Rasenmäher anschmeißen. Im nächsten Moment atme ich wieder alleine.

Als er fort ist, presse ich die Hand aufs Herz. Es schlägt wie immer, aber jetzt weiß ich, dass es kaputt ist.

Als eine Krankenschwester das Tablett mit dem Frühstück bringt, drehe ich mich weg. Ich halte die Augen geschlossen, als sie die Körperfunktionen prüft. Ich halte sie geschlossen, als eine Hilfsschwester kommt, um mich zu waschen. Das Mädchen hebt meine Arme hoch, reibt sie mit einem feuchten Tuch ab und redet wie ein Wasserfall.

»Sie haben Glück«, klärt sie mich auf. »Sie sind noch jung genug, um zu genesen. Die meisten Leute hier sind alt. Denen bleibt nicht mehr viel Zeit.«

Mir wird bewusst, dass ich nie über die Zeit nachgedacht habe. Mein Leben lag immer vor mir, verlor sich an einem unsichtbaren Fluchtpunkt am Horizont. Jetzt ist es auf einen kleinen Punkt zusammengeschrumpft. Wie viel Zeit bleibt mir noch?

Eine Woche? Ein Monat?

Die Hilfsschwester wendet sich meinen Beinen zu und reibt sie in sanften Kreisen mit dem Lappen ab. Ich zähle meine Herzschläge. Nichts scheint verändert, aber ich traue meinem Körper nicht mehr.

Als sie fertig ist, kommen Mom und Lily herein. Mom schwankt, Lily ist blass.

Ich drehe mich weg.

»Steh auf«, sagt Mom. Sie hat einen Rollstuhl dabei. »Wir bringen dich jetzt zu deiner Tochter.«

Ich rühre mich nicht. Wie soll ich mich um mein Kind kümmern, wenn mein Herz mir jeden Moment den Dienst versagen könnte?