Das magische Geheimnis der Familie Bernauer Dunkle Versuchung (Band 1) - Paula Böhlmann - E-Book

Das magische Geheimnis der Familie Bernauer Dunkle Versuchung (Band 1) E-Book

Paula Böhlmann

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Beschreibung

Das magische Geheimnis der Familie Bernauer - Dunkle Versuchung ist der Auftakt der spannenden Trilogie der Autorin Paula Böhlmann. Eine Hexensaga aus der Gegenwart, gewürzt mit dunkler Magie, Mord und Intrigen rund um Fiona und ihre Familie, die Bernauers. Für alle Leser von 14 bis 99 Jahren, die Mystery-Serien lieben. Urban-Fantasy aus dem Tomfloor Verlag. Zum Inhalt: Fiona Bernauer hat alles, was sich ein junges Mädchen wünschen kann. Sie ist schön, reich, wird von ihren zahlreichen Freunden bewundert und von ihrer Familie geliebt. Doch die Bernauers sind keine gewöhnliche Familie - in ihren Adern fließt uraltes Hexenblut. Fionas Großmutter Aurora herrscht über das mächtige Familienimperium und unterweist ihre Enkelin in den magischen Künsten, denn Fiona wird eines Tages ihren Platz einnehmen. Wenn da nur nicht dieser mysteriöse Fremde wäre, der Fiona ein Angebot macht, das alles verändern könnte …

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Paula Böhlmann

 

Das magische Geheimnis

der Familie Bernauer

 

Dunkle Versuchung

 

 

Impressum

 

Ebook-Konvertierung und Titelbildgestaltung:

© T.C., Tomfloor Verlag

Umschlagbild: Shutterstock.com

© Subbotina Anna © Dominik Hladik

 

ISBN 9783964640130 (epub)

ISBN 97839646401147 (mobi)

ISBN der gedruckten Ausgabe 9783964640123

 

Tomfloor Verlag

Thomas Funk

Alex-Gugler-Straße 5

83666 Waakirchen

https://tomfloor-verlag.com

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist

urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

 

 

 

 

 

 

Für meine Oma,

die mir gezeigt hat, dass es immer einen Weg gibt,

wenn man für seine Ziele kämpft.

Kapitel 1

Ein Erbe der besonderen Art

 

Fiona Bernauer stand vor dem Spiegel und machte sich für ihre Geburtstagsparty zurecht.

In wenigen Stunden wurde sie achtzehn. Schon für normale Menschen war das eine große Sache, aber für sie bedeutete es noch etwas ganz anderes. Punkt Mitternacht würde ihre Großmutter ihr einen Vertrag geben, der sie zur rechtmäßigen Erbin des Familienanwesens erklärte. So war es Tradition bei den Bernauers, wenn das älteste weibliche Familienmitglied einer Generation volljährig wurde. Ihr würde also irgendwann das fünfzehn Hektar große Grundstück mit den fünf Häusern gehören, das sich auf einem Berg über der beschaulichen Kleinstadt Rosmerten erhob.

Momentan besaß das alles noch ihre Großmutter Aurora. Nach deren Tod würde es ihrer Tante Paige zufallen – sobald diese jedoch das Zeitliche gesegnet hatte, würde alles Fionas Eigentum sein. Sie wusste nicht, ob sie sich darauf freuen oder den Tag fürchten sollte. Die Erbin zu sein, brachte eine riesige Verantwortung. Die Häuser mussten instand und die Familie und die Finanzen zusammengehalten werden, und in gewisser Weise zählte es auch zu den Aufgaben, auf die moralischen Werte der anderen Familienmitglieder achtzugeben. Zumindest tat das ihre Großmutter. Aurora war streng, würdevoll und die beeindruckendste Frau, die Fiona kannte.

Fiona konnte sich nicht vorstellen, dass Auroras Tochter Paige nur annähernd die riesigen Fußstapfen ihrer Mutter ausfüllen würde, denn Tante Paige war ihr exaktes Gegenteil. Sobald Aurora einen Raum betrat, wurde es still, und alle Blicke lagen auf ihr. Sie strahlte etwas aus, hatte Größe. Tante Paige dagegen war einfach nur durchschnittlich. Sie ging in der Masse unter.

Fionas Mutter Cleo war zwei Jahre jünger als Paige, die beiden Schwestern verband eine Art Hassliebe. Und das nicht erst, seit Fiona drei Monate vor Tante Paiges Tochter Zoe auf die Welt gekommen war. Paige hatte nach Fionas Geburt noch nicht einmal versucht, Freude zu heucheln, stand doch fest, dass ihre eigene Tochter wegen Fiona nicht Erbin werden würde. Cousine Zoe hatte damit überhaupt kein Problem. Im Gegenteil, sie war Fionas beste Freundin und schien sich sogar für sie zu freuen.

Fiona war sich nicht sicher, ob sie umgekehrt genauso empfinden würde. Selbst wenn es stressig war, das Anwesen zu verwalten, bedeutete es Reichtum und vor allem Prestige. Ihre Großmutter hatte sie so erzogen, dass ihr solche Dinge wichtig waren. Mindestens ebenso zählte es für Fiona, dass sie die Leistung brachte, die Aurora von ihr erwartete. Ihre Cousine Zoe war zwar ebenfalls nicht dumm, aber ihr Aussehen, Partys und Jungs interessierten sie mehr als Schule und die Hexerei.

Und das war die zweite Besonderheit der Familie: Die Bernauers waren nicht nur unermesslich reich, in ihren Adern floss auch ganz besonderes Blut, das ihnen übermenschliche Fähigkeiten verlieh.

Seit Jahrhunderten residierten sie in ihrem Anwesen auf dem Berg über der Stadt Rosmerten, ohne dass die Menschen ahnten, was die Bernauers wirklich waren und dass sie heimlich die Geschicke der Kleinstadt lenkten.

Fiona wusste, dass sie auf die meisten ebenso oberflächlich wirkte wie ihre Cousine Zoe. Doch sie irrten sich alle – denn Fionas wahre Leidenschaft war die Magie. Eifrig lernte sie Zaubersprüche, braute Tränke und bettelte ständig ihre Großmutter an, ihr endlich auch aufregendere Zauber beizubringen.

Obwohl Zoe nicht so war, waren Fiona und sie ein Herz und eine Seele. Sie sahen beide mehr als gut aus, angelten sich die begehrtesten Jungen und veranstalteten die coolsten Partys der Stadt.

So wie heute Fionas Geburtstagsparty. Auf der Gästeliste, die Fiona zusammen mit Zoe ausgetüftelt hatte, standen siebzig Leute, an Platz mangelte es schließlich nicht. Sie feierten im Haupthaus, in der gesamten unteren Etage, wo sich das Wohnzimmer und der riesige Speisesaal befanden. Im Speisesaal dinierte jedes Wochenende die gesamte Familie Bernauer, alle zweiundzwanzig Mitglieder.

Den Partybesuchern, die es etwas ruhiger haben wollten, stand der Wintergarten mit vielen bequemen Sofas offen, und draußen auf der Terrasse mit dem Whirlpool inmitten von Palmen, Oleandern und Olivenbäumen in massiven Töpfen konnte man sich unter freiem Himmel betrinken.

Fiona wusste jetzt schon, dass das Haus morgen ein Saustall sein würde, doch zum Glück hatte Aurora die Reinigungskolonne bereits gebucht.

Heute würden noch einmal alle feiern und Spaß haben, bevor der Ernst des Lebens sie wieder einholte – in vier Tagen begann in Brandenburg nämlich das neue Schuljahr. Für Fiona würde es das letzte sein. Auf das Abitur sollten Studium und Beruf folgen. Doch so weit wollte sie noch gar nicht denken. Sie hatte noch nicht einmal Lust, achtzehn zu werden, denn außer dem Erbe und dem Autofahren ohne Begleitperson fielen ihr keine weiteren Vorteile ein. Da waren nur Verpflichtungen und Verantwortung, auch für sich selbst.

Fiona zog ihren dunkelroten Lippenstift nach, den sie wegen des starken Kontrastes zu ihrer hellen, makellosen Haut besonders liebte, und lockerte ihre dunkelbraunen, fast schwarzen Locken auf. Sie war bereit. Sie verließ ihr Zimmer im dritten Stock des Haupthauses und schritt die breite Wendeltreppe hinab ins Erdgeschoss, in die Partyetage. Hier wurde regelmäßig gefeiert, ob einfache Hausparty oder teure Spendengala. Ruhige Wochenenden gab es auf dem Anwesen eigentlich nie.

Im Wohnzimmer saßen bereits einige Familienmitglieder. Fiona hatte zu jedem in der Familie ein gutes Verhältnis, mit einigen war sie enger, mit anderen weniger, aber es gab nie große Streitigkeiten, wofür sie dankbar war.

»Cheese!«, verlangte Zoe und zielte mit der Kamera ihres iPhones auf ihre Cousine. Fiona posierte und setzte einen verführerischen Blick auf. Das Foto postete Zoe sofort mit den Worten Meine Süße wird 18 in ihrer Snapchat-Story.

»Du siehst fantastisch aus«, stellte Abigail ein wenig neidisch fest. Sie war Fionas Schwester, ein Jahr jünger und keineswegs hässlich, aber bloß hübsch reichte in dieser Familie nicht. Bei den Bernauers zählten nur Attribute wie wunderschön, attraktiv und sexy. Das war Abigail nicht unbedingt, vor allem nicht, wenn man sie mit Fiona und Zoe verglich, denen sie wie ein Schoßhündchen folgte. Abigails Beine waren kurz und etwas dick. Ihr Oberkörper wirkte durch ihre fehlende Taille kastig, und ihre braunen Haare fielen glatt und langweilig auf ihre Schultern. Nicht einmal ihre braunen Augen waren etwas Besonderes.

Zoe war blond, und ihre Augen schimmerten so tiefblau, dass sie oft gefragt wurde, ob das Kontaktlinsen wären. Fiona dagegen hatte mit ihrer Porzellanhaut und ihren voluminösen dunkelbraunen Locken den perfekten Schneewittchenlook. Abigails wahres Problem war allerdings nicht ihr Aussehen, sondern ihr fehlendes Selbstbewusstsein. Vor allem Zoe hielt sie deshalb klein.

Auch heute sahen Fiona und Zoe umwerfend aus. Zoe trug ein hautenges, schulterfreies Kleid in Rot, ihrer Lieblingsfarbe. Es endete knapp über dem Knie und betonte perfekt ihre langen Beine. Natürlich würde sie alle Blicke auf sich ziehen, wie immer. Im Gegensatz zu Abigail störte Fiona das jedoch wenig. Sie musste sich für ihren Look ebenfalls nicht schämen. Ihr dunkelgrünes Kleid, passend zu ihren grünen Augen, war bodenlang. Der komplette Rücken war unbedeckt, und ein langer Schlitz im Kleid ließ den Blick frei auf ihre Beine. Dazu trug sie ein Dia-dem, das Zoe ihr gestern gegeben hatte, da sie der Meinung war, dass das Geburtstagskind gebührend gefeiert und gekrönt werden müsse.

Fiona ließ ihren Blick von Abigail in ihrem faden dunkelblauen Kleid zu ihrer jüngsten Schwester Elenor wandern. Natürlich durfte die Siebenjährige nicht an der Party teilnehmen, man würde sie später in ihr Zimmer schicken. Doch mit ihren süßen geflochtenen Zöpfchen und ihrem pinkfarbenen Barbiekleid war sie einfach perfekt und niedlich. Und sie war keines dieser Nervkinder.

Das fünfte Mädchen im Raum war Faith. Sie war siebzehn, genauso alt wie Abigail, und die Tochter von Naomi, der Cousine von Fionas Mutter. Sie saß neben ihrem Freund Ben auf der Couch. Die beiden waren schon fast zwei Jahre zusammen und einfach unzertrennlich. Im Gegensatz zu Zoe war Faith zu allen supernett und immer lustig. Sie war nicht oberflächlich, und ihr Selbstbewusstsein kam nicht von Komplimenten oder Losern, die sie zum Weinen gebracht hatte. Faith war keine Tusse. Sie trug Jeans und T-Shirt, schminkte sich, wenn sie es überhaupt tat, nur dezent, aber für Ben, ihren Freund, war sie auch so schön genug, und für die meisten anderen Jungen war sie einfach nur ein Kumpel.

Auch wenn Fiona sie mochte, verbrachten sie nicht viel Zeit miteinander. Faith hatte ihren eigenen Freundeskreis, und der unterschied sich deutlich von Fionas. Faiths Freunde waren ganz normal, weder reich noch arm. Kein übermäßiger Drogenkonsum und kein Mobbing. Mit ihrer Clique verbrachte Faith die Nachmittage und feierte auch, aber nicht mit Champagner, sondern mit Wein vom Discounter.

Fiona hatte eigentlich wenig Interesse an solchen Leuten, doch Faiths Freundin Violett Kramer, die öfter wegen Schulprojekten bei ihnen zu Hause war, mochte sie. Deshalb hatte sie Violett auch zu ihrem Geburtstag eingeladen, vor allem aber, weil sie wusste, dass ihr fünfzehnjähriger Cousin Liam heimlich für Violett schwärmte.

Liam hatte einen Zwillingsbruder, Logan, und ihr Vater Matthias war der einzige Mann der Elterngeneration, der nicht angeheiratet war. Sonst hatten Großmutter Aurora und ihr Bruder Sigmar mit ihren Partnern nur Töchter.

Es klingelte an der Tür. Fiona griff reflexartig nach ihrem Smartphone, mit dem sie normalerweise das schwere Eisentor öffnete, das ungebetene Besucher vom Grundstück fernhielt. Heute aber stand das Tor offen, damit alle Geburtstagsgäste ungehindert hereinkonnten.

So erhob sie sich stattdessen und schritt zur Haustür. Als sie öffnete, sah sie einen riesigen Strauß rote Rosen, hinter dem mit einem breiten Grinsen Augustus auftauchte.

»Mein Schatz wird endlich achtzehn«, tönte er und drückte ihr den Blumenstrauß in die Hand, bevor er sie mit einem Kuss begrüßte. Fiona strahlte und bedankte sich, gab die Rosen Abigail weiter und wies sie mit einer Kopfbewegung an, eine Vase zu holen.

»Die Deko hat Zoe gemacht, oder?«, fragte Augustus gleich, als er Hand in Hand mit Fiona das Wohnzimmer betrat.

»Was hat mich verraten?«, entgegnete Zoe mit einem Zwinkern und blickte stolz auf ihr funkelndes Werk.

»Und die Champagnergläser. Wer soll die befüllen?« Kopfschüttelnd betrachtete Augustus den mindestens zwei Meter hohen Turm aus aufeinandergestapelten Kristallgläsern.

»Natürlich das Geburtstagskind! Hoffen wir, dass sie sich mit den Schuhen auf der Leiter halten kann«, stichelte Zoe und deutete auf Fionas High Heels, deren Absatz sicher dreizehn Zentimeter hoch war.

Fiona wusste selbst nicht genau, wie sie in ihren unbequemen Schuhen den Abend überstehen sollte, aber ihr Schuhschrank befand sich ja nur drei Etagen höher, in ihrem begehbaren Kleiderschrank.

»Hey, ich schaffe das! Übrigens war ich nicht diejenige, die sich letztes Jahr den Knöchel in ihren Sky Heels verstaucht hat«, revanchierte sie sich und erntete damit schallendes Gelächter. Alle erinnerten sich nur zu gut daran, was vor den Sommerferien am Ende der zehnten Klasse geschehen war.

Ihr Biologielehrer hatte die Schüler vor dem Ökologiepraktikum mehrmals darauf hingewiesen, dass sie wetterfeste Kleidung und bequemes, festes Schuhwerk tragen sollten. Zoe ließ sich allerdings nicht vorschreiben, wie sie sich zu kleiden hatte.

Sie tauchte im Minirock, mit bauchfreiem Top und Sky Heels mit fünfzehn Zentimetern Absatz und fünf Zentimetern Plateau im Wald auf. Als der Lehrer sie auf ihre sonderbare Kleiderwahl ansprach, wurde sie pampig, und so ließ er sie mit den anderen ziehen. Am Fluss suchten sie nach Käfern, um die Wasserqualität zu bestimmen. Als Zoe einen Stein umdrehte, unter dem tatsächlich ein Käfer lebte, warf sie ihn laut kreischend weg. Bei ihrer panischen Flucht knickte sie um und fiel auch noch in den Fluss. So trug Zoe einen verstauchten Knöchel und eine Erkältung als Erinnerung an das Praktikum davon. Dennoch war sie bis heute der Ansicht, dass es ein Sieg über ihren Biologielehrer war. Die Meinung teilte Fiona absolut nicht, was sie aber lieber für sich behielt, da sie Zoe nicht ihrer Illusion berauben wollte.

Unterdessen war Abigail mit der Vase voller Rosen zurückgekehrt und wollte wissen, wo sie sie hinstellen sollte.

»Na da drüben. Bist du blind?« Zoe wies ungeduldig auf den noch leeren Geschenketisch, den sie neben der Tür platziert hatte, und kümmerte sich nicht um Abigails verletzten Blick.

»Überreicht jeder sein Geschenk, wenn er es für richtig hält, oder gibt es da eine besondere Zeit?«, fragte Augustus.

»Du hast noch etwas?« Fiona lächelte neugierig.

»Mach es jetzt, damit es nicht im Getümmel untergeht. Es kommen ziemlich viele Leute«, riet Faith.

Augustus zog ein kleines Päckchen hervor, das in blaues Geschenkpapier eingewickelt und mit einer roten Schleife verziert war. Fiona öffnete es aufgeregt. Zum Vorschein kam eine wunderschöne Kette mit einem Herzanhänger, in dem ihre Initialen eingraviert waren. Ein riesiges Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

Augustus nahm sie in den Arm und küsste sie. »Gefällt sie dir?«

Fiona nickte begeistert. »Sie ist perfekt! Hilfst du mir, sie anzulegen?« Sie nahm ihre Haare auf die Seite und wandte ihm den Rücken zu, damit er den Verschluss in ihrem Nacken schließen konnte.

»Sie steht dir wundervoll«, lobte er.

»Unser Geschenk gibt es, wenn alle da sind«, verkündete Zoe und lächelte geheimnisvoll. Fiona konnte es kaum erwarten. Zoe hatte sich sicher etwas Spektakuläres ausgedacht, das tat sie immer.

Nach und nach kamen die Gäste, die fast alle aus Fionas Jahrgang waren. Sie übergaben ihre Geschenke, quatschten ein bisschen mit ihr und stürzten sich dann ins Partygetümmel. Schon bald war die Musik unerträglich laut, alle tanzten ausgelassen und der Alkohol floss in Strömen.

Fiona liebte solche Partys, doch noch konnte sie nicht ausgelassen mitfeiern, da sie die Neuankömmlinge begrüßen und Geschenke entgegennehmen musste.

Erneut klingelte es, wieder begleitete Liam Fiona zur Tür, und diesmal wurde er nicht enttäuscht. Violett stand draußen. Sie trug ein pastellblaues Kleid und ihre Haare, die sie sonst immer zu einem sportlichen Pferdeschwanz zusammenband, fielen in großen Locken auf ihre Schultern. Sie hatte ein Blech Muffins dabei.

»Ich wusste nicht so recht, was ich dir schenken soll, also habe ich einfach Blaubeermuffins gebacken. Ich hoffe, das ist okay?«

»Natürlich! Das ist fantastisch. Vielen Dank!«, antwortete Fiona, als sie Violett das Blech abnahm, und meinte es auch so. Ihre Familie war zwar reich, aber für sie zählte nicht nur Materielles. Fiona freute sich immer über Geschenke, bei denen sich jemand Gedanken und Arbeit gemacht hatte.

Violett lächelte erleichtert, und sie plauderten noch ein wenig, bis Violett sich nach Faith erkundigte.

»Ich glaube, sie wollte mit ein paar anderen Flunky Ball spielen«, sagte Fiona. Sicher war sie sich nicht, bei den vielen Leute hatte sie längst den Überblick verloren.

»Oh, dann werde ich wohl nur zuschauen können«, murmelte Violett geknickt.

»Wieso? Trinkst du nicht?«, hakte Fiona überrascht nach.

»Doch, manchmal schon ein bisschen, aber das geht heute nicht. Ich habe mich von zu Hause weggeschlichen. Da kann ich nicht betrunken wiederkommen. Sie wollten nicht, dass ich herkomme. Deswegen ist es auch so spät geworden.«

»Wieso das denn?« Liam wirkte schockiert.

Fiona schmunzelte über seine Naivität. »Das hier ist ein achtzehnter Geburtstag, und unsere Familie ist schließlich nicht unbedingt für harmlose, ruhige Partys bekannt. Violetts Eltern wollen wahrscheinlich nicht, dass ihre Tochter mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus landet.«

»Ich kann dir auch gern etwas Alkoholfreies besorgen«, bot Liam an, und Fiona sah den beiden lächelnd nach, als sie im Wohnzimmer verschwanden. Sie schnappte sich einen der Blaubeermuffins und biss hinein. Er war unfassbar gut, und sie merkte erst jetzt, wie hungrig sie war. Sie hatte seit Mittag nichts gegessen, und so steuerte sie entschlossen das Buffet an, wo sie auf Augustus traf.

»Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt?«, fragte er.

Fiona schenkte sich etwas Bowle ein. »Ich habe die Gäste begrüßt! Gastgeber sein ist echt nichts Tolles«, beschwerte sie sich und zog ihren Freund ins Partygetümmel, wo sie auch Zoe wiederfand.

Ihre Freundin hatte einige Leute versammelt und spielte mit ihnen Wahrheit, Pflicht oder Shot.

»Das Geburtstagskind ist dran«, bestimmte Zoes Ex. Sie waren vor einem halben Jahr zwei Monate zusammen gewesen, gingen aber nach der Trennung ganz normal miteinander um. Das funktionierte bei fast allen von Zoes Ex-Freunden. Zum Glück, denn sonst wäre es auf den Partys bestimmt zu unangenehmen Szenen gekommen, da Zoe bereits neun Beziehungen hinter sich hatte und jetzt heftig mit Fionas erstem Ex-Freund flirtete. Offenbar wollte sie noch vor ihrem eigenen achtzehnten Geburtstag die zehn voll bekommen.

Fiona war das egal, sie hatte sich vor einem Jahr von ihrem Ex getrennt und war mit ihrem dritten Freund Augustus glücklich.

»Pflicht!«, forderte Fiona, und die anderen grölten.

Jemand, dessen Stimme Fiona nicht genau zuordnen konnte, wahrscheinlich Augustus' bester Freund Viktor, brüllte: »Zieh dich aus!«

Es war nur Spaß, dennoch verdrehte Fiona die Augen.

»Strippoker spielen wir für gewöhnlich nicht vor drei«, mischte sich Zoe ein und stellte eine neue Aufgabe: »Zeig auf die Person in der Runde, die du am wenigsten leiden kannst.«

Fiona verdrehte erneut die Augen. Sie mochte Zoe, aber sie war eine verdammte Bitch. Sie musste selbst in solch entspannten Runden immer jemanden schikanieren.

Fiona sah sich um. Neben ihr saß Augustus. Er ganz sicher nicht. Daneben Zoe. Trotz der Frage blieb sie ihre beste Freundin und schied damit aus. Daneben saßen Viktor, Jessica, Markus mit seinem Freund Gabriel, Simon und Selin. Alles supernette Leute aus ihrem Jahrgang, von denen Fiona niemanden auswählen wollte.

Aus diesem Grund kippte sie einfach einen Shot. Dabei spürte sie beinahe körperlich die Gefühle ihrer Mitspieler. Zum einen die Erleichterung, nicht als unbeliebt herausgepickt zu werden, zum anderen die Enttäuschung, nicht Fionas Meinung zu erfahren.

»Langweilig!«, beschwerte sich Zoe sofort und wählte das nächste Opfer. »Augustus!«

»Wahrheit!«

»Hast du schon mal jemanden betrogen?« Fionas Cousine musterte Augustus mit Argusaugen. Sie sorgte immer dafür, dass Fiona nie an die falschen Typen geriet oder zumindest nicht bei ihnen blieb. Bedauerlich nur, dass niemand Zoes Ex-Freunde vor ihr selbst gewarnt hatte.

Augustus schüttelte den Kopf. »Das würde ich nie tun«, versicherte er und rückte näher an seine Freundin heran.

Fiona lächelte, aber ihr war klar, dass er das auch gesagt hätte, wenn es nicht der Wahrheit entsprechen würde. Er wollte schließlich seine Freundin behalten. Trotzdem vertraute sie ihm. Er war einfach ein klasse Typ.

Als Zoe an der Reihe war, wählte sie Wahrheit und sollte erzählen, was an ihrem schlimmsten Date geschehen war.

»Es war Freitagabend, und ich hatte mich mit einem Typen verabredet. Den Namen lassen wir lieber weg, nicht dass sein Ruf noch in Mitleidenschaft gezogen wird. Jedenfalls wollten wir uns in einer Bar treffen. Ich hatte nicht sonderlich viel Lust, denn er war langweilig, aber mein letztes Date war schon ein paar Wochen her. Jedenfalls war er furchtbar nervös, und als er uns Getränke holte, stolperte er über seine zitternden Beinchen. Ein Bier und ein Tequila Sunrise landeten komplett auf meinem Kleid. Das war mein kürzestes Date. Ich stank zwar nach Alkohol, war jedoch bedauerlicherweise komplett nüchtern.«

Die anderen lachten.

 

 

Die Stunden vergingen mit Tanzen, Karaoke und Alkohol in Massen, und Fiona amüsierte sich großartig.

Irgendwann tippte Zoe auf die Uhr. »Es ist bald zwölf. Du solltest den Turm befüllen.«

Sofort klatschten und jubelten die Umstehenden. Fiona lachte und stolzierte zur Leiter. Sie wusste, dass alle sie beobachteten, sie durfte sich keinen Fehltritt erlauben. Augustus half ihr auf die Leiter, und Zoe reichte ihr den Champagner. Auf der Leiter ließ Fiona den Korken knallen und leerte die erste Flasche in das oberste Glas, sodass sich nach und nach auch die Gläser darunter füllten. Sie brauchte viele Flaschen, bis alle Gläser voll waren. Dann schnappte sich jeder ein Glas, und Zoe sah auf die Uhr.

»Noch eine Minute«, verkündete sie. Als fünfzig Sekunden vergangen waren, zählte sie runter. »Zehn! Neun! Acht! Sieben! Sechs! Fünf! Vier! Drei! Zwei! Eins! Happy Birthday!«

Alle stießen an, gratulierten Fiona und umarmten sie. Doch die gute Stimmung hielt nicht lang an, denn Punkt Mitternacht geschah noch etwas. Aurora schritt mit einem großen Buch in den Händen die Treppe herab, gefolgt von ihrem Mann Herbert und ihren beiden Töchtern Cleo und Paige. Augenblicklich war es totenstill, und alle Augen lagen auf ihr.

»Was geht denn jetzt ab?«, rief jemand schockiert.

»Sie schreiben Fiona im Testament als die rechtmäßige Erbin ein«, erklärte Abigail gelangweilt.

»Für das Anwesen? Wie krass ist das denn? Wer muss denn abkratzen, damit du das bekommst?«, wollte eine Mitschülerin nun von Fiona wissen.

»Meine Großmutter Aurora und Zoes Mutter, also meine biologische Vorfahrin und meine juristische«, flüsterte Fiona.

Aurora erbat sich mit einer Handbewegung Stille, auch noch die letzten Stimmen verstummten.

»Fiona, tritt nach vorn«, befahl Aurora.

Fionas Herz schlug bis zum Hals, als sie Auroras Aufforderung folgte.

»Fiona, als die Uhr zwölf schlug, hast du als erste Frau deiner Generation in der Familie Bernauer auf diesem Grund und Boden das achtzehnte Lebensjahr erreicht. Das bedeutet, dass du offiziell in die Erbfolge aufgenommen wirst. Schwörst du, dass du mit dieser Ehre gewissenhaft umgehen wirst?«

»Ich schwöre es!« Fionas Stimme zitterte etwas.

»Gut, dann sprich das Gelöbnis«, forderte Aurora.

Fiona schluckte. Wieso konnte sie nicht so taff wie ihre Großmutter sein? Nie wirkte diese Frau unsicher, nie schien sie zu zögern.

»Ich, Fiona Bernauer, gelobe, die Tradition zu wahren, das Anwesen in der Zeit meiner Verwaltung nach bestem Wissen und Gewissen zu erhalten, zu pflegen und zu erweitern und für Recht und Ordnung in dieser Familie zu sorgen. Ich verspreche, allen Mitgliedern dieser Familie, die den Schutz dieser Mauern wollen und verdienen, ein Heim zu geben. Ab diesem Tage werde ich für die Familie einstehen, komme, was wolle!« Sie sprach schnell. Sie wollte es nur hinter sich bringen und fragte sich, was die anderen von diesem Schauspiel hielten. Für sie musste es vollkommen lächerlich wirken. Vielleicht war es das ja auch, aber hier ging es nicht nur um das Geld der Familie. Es ging um viel mehr, was niemand außerhalb ihrer Familie wusste.

»Wie wirst du dieses Versprechen besiegeln?«, fragte Aurora.

Fiona kannte die richtige Antwort. »Mit Blut!«

Ihre Großmutter reichte ihr eine Nadel. Fiona atmete tief durch, wandte den Blick ab und stach sich mit einer schnellen, energischen Bewegung in die Kuppe des Zeigefingers. Aus der Haut quoll ein Blutstropfen hervor. Hastig beugte sie sich über das Buch und drückte ihren Finger unter ihren in Kalligrafie geschriebenen Namen.

»Nun ist es offiziell. Fiona, du stehst nach mir und Paige in der Erbreihe!«

Fiona stieß erleichtert die Luft aus. Sie hatte es geschafft. Applaus brandete auf, sie wusste nicht, wer begonnen hatte. Sie verstand auch nicht, wieso alle klatschten. Sie hatte drei Sätze aufgesagt, die sie auswendig gelernt hatte, und sich eine Nadel in den Finger gestochen. Das konnte jeder Drittklässler.

Als der Applaus verstummt war, wandten sich die vier Erwachsenen wieder um. Im Vorbeigehen fiel Auroras Blick auf Violett oder vielmehr auf das, was das Mädchen um den Hals trug. Violetts Hals zierte ein Rosenkranz. Ihre Eltern waren sehr gläubig, und sie hatten auch ihre beiden Kinder so erzogen.

»Im Namen dieses Symbols wurden so viele Verbrechen begangen. Ich frage mich, wie das auch heute noch Menschen um den Hals tragen können«, zischte Aurora giftig.

»Oma, hier gibt es so etwas wie Religionsfreiheit.« Abigail starrte ihre Großmutter schockiert an.

Aurora lächelte bitter. »Nicht in meinem Haus! Ich hoffe, die Geburtstagskerzen sind das Einzige, was heute brennt. Einen Scheiterhaufen wird es in meinem Garten jedenfalls nicht geben!« Mit diesen Worten schritt sie davon, und ihr Mann und ihre Töchter folgten ihr wortlos.

»Was ist denn mit deiner Oma los?«, fragte Augustus und legte den Arm um Fiona.

»Keine Ahnung«, log Fiona und überspielte mit einem Lächeln, dass sie sich gerade in Grund und Boden schämte. Wieso hatte Aurora das getan? Violett hatte doch nichts mit den Hexenprozessen zu tun. Die Zeit der Inquisition war schließlich schon lange vorbei.

Zoe brach in schallendes Gelächter aus. »Wer glaubt schon an Hexen. Die Alte spinnt doch.« Sie nahm einfach nie etwas ernst, für sie war alles nur ein großes Spiel.

Doch Violett ließ sich nicht so schnell beruhigen. »Ich verstehe nicht, was ich falsch gemacht habe«, murmelte sie immer wieder.

»Mach dir nichts draus. Unsere Oma hat eben ihre Grundsätze. Das hat überhaupt nichts mit dir zu tun«, versuchte Liam Violett zu trösten.

»Ich hätte dich warnen sollen, dass du den Rosenkranz bei uns besser abnimmst. Tut mir leid«, entschuldigte sich Faith.

»Vielleicht sollte ich gehen«, überlegte Violett und wandte sich schon zur Tür.

Doch Zoe hielt sie fest und zog sie ins Wohnzimmer zurück. »Ehe Aurora vollkommen die Stimmung killt, lasst uns die Musik wieder aufdrehen und dem Mädchen hier was zu trinken geben, damit sie wieder zu sich kommt.«

Tatsächlich hatte sie Erfolg. Violett entspannte sich etwas und setzte sich mit Liam, Fiona, Ben, Faith und Abigail auf das Sofa. Zoe gesellte sich mit neuen Getränken zu ihnen, die Party ging weiter, und niemand interessierte sich mehr für das, was Aurora gesagt hatte.

»Ich wollte nicht trinken«, protestierte Violett.

»Und ich wollte mir nicht vor der halben Schule eine Nadel in den Finger stechen. Man bekommt nicht immer das, was man will.« Fiona drückte Violett das Glas in die Hand, die schließlich doch daran nippte und endlich wieder lächelte.

»Wow, du bist achtzehn. Du darfst jetzt Auto fahren, bis weit nach Mitternacht im Club bleiben, Schnaps und Zigaretten kaufen. Das ist schon cool«, meldete sich Faith zu Wort, um endgültig das Thema zu wechseln, und Ben stieg sofort darauf ein.

»Du darfst Blut spenden«, sagte er grinsend.

»Das werde ich sicher nicht.« Fiona schüttelte heftig den Kopf.

»Wieso nicht? Damit rettest du Menschenleben!« Violett nahm einen weiteren Schluck aus ihrem Glas.

»Das überlass ich lieber anderen«, wich Fiona aus. Die Wahrheit konnte sie schließlich nicht sagen: dass ihr Blut Menschen nicht retten, sondern töten würde.

Das lag an ihren besonderen Genen, besser gesagt, dem einen Gen. Es war schon beeindruckend, was eine kleine Abfolge stickstoffhaltiger Basen doch anrichten konnte. Es veränderte ihren ganzen Körper, machte sie zu Hexen. Sie hatten das Hexengen. Es wandte sich gegen alles menschliche Leben und würde einen Menschen, der eine Transfusion mit Hexenblut bekam, von innen auffressen. Die Eiweiße, die sie produzierten, würden sich sofort gegen die Zellen wenden und sie zerstören. Auch wenn eine Hexe nur ein Allel für das Hexengen besaß, bekam sie ausschließlich Kinder mit magischen Fähigkeiten. Menschliche Organismen sonderte der Körper sofort ab. Bei männlichen Hexen war das ähnlich, nur fand bei ihnen die Auslese schon viel früher statt. Bei heterozygoten Hexern starben alle Spermien, die keine magischen Informationen trugen, beizeiten ab.

»Lasst uns rausgehen«, rettete Zoe mal wieder die Situation und ergriff Fionas Hand. Sie zog sie auf die Füße und dann eilig durch das Gedränge, die anderen folgten ihnen etwas langsamer. Zoes Ziel war der Garten, wo sich bereits etliche Partygäste versammelt hatten. Es war Zeit für die Bescherung.

Fiona hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit dem, was sie jetzt sah. Es war nichts, was man für viel Geld kaufen musste, wie es sonst Zoes Stil war. Es war viel schöner und überlegter. Über dem Boden schwebten ungefähr hundert Lampions, in denen Kerzen brannten, sodass der Garten in ein zauberhaftes Licht getaucht war.

Zoe wies ihre beiden Cousins Liam und Logan an, sie hochzuheben, damit alle sie hörten und sie ihre Idee erklären konnte.

»Wie ihr seht, sind die Himmelslaternen mit Bändern am Boden befestigt. Ihr sollt auf die Karten daran eure Wünsche für Fiona schreiben. Wenn wir damit fertig sind, lassen wir sie steigen, damit sie alle in Erfüllung gehen.«

Die beiden Jungen setzten sie wieder ab, und die Gäste machten sich ans Werk.

»Wow, das ist eine wunderschöne Idee, danke dafür, Süße«, flüsterte Fiona und fiel Zoe um den Hals.

»Schön, dass du es magst. Du hast übrigens auch eine Karte.«

Fiona überlegte nur kurz, was sie sich wünschen könnte, und schrieb dann, dass sie für immer solche tollen Freunde haben wollte und sie nichts auseinanderbringen sollte.

Zoe, die ihr über die Schulter geschaut hatte, lächelte und raunte: »Das wirst du!«

Bei Augustus las Fiona: Eine lange, glückliche Be-ziehung. Auch darauf hoffte sie. Irgendwie war sie enttäuscht, dass sie nicht alle Karten lesen konnte, aber vielleicht war es auch besser so: Die geheimen Wünsche waren schließlich die, die in Erfüllung gingen.

»Auf drei!«, rief Zoe. »Eins! Zwei! Drei!«

Alle ließen die Himmelslaternen los, sie stiegen hoch und erhellten die Nacht mit ihrem warmen Kerzenlicht. Fiona kuschelte sich in Augustus' Arm. Es war perfekt.

Als die meisten Lampions weit oben im Himmel verschwunden waren, gingen alle zurück ins Haus, auch Zoe wollte weiter feiern und trinken. Nur Fiona und Augustus blieben zurück. Sie setzten sich etwas abseits, und Fiona legte ihren Kopf auf seine Schulter. »Es ist ein wunderschöner Geburtstag«, sagte sie glücklich.

»Ein wunderschöner Geburtstag für mein wunderschönes Mädchen!« Er küsste ihr Haar, und Fiona wusste, dass es nicht besser werden konnte.

 

 

Als sie später zurück ins Haus kamen, hatte es sich bereits merklich geleert, und nach und nach verabschiedeten sich immer mehr Gäste und traten den Heimweg an.

Zoe war mittlerweile abgefüllt. Sie hockte in Unterwäsche im Whirlpool und knutschte mit einem Typen, den Fiona noch nie gesehen hatte. Wahrscheinlich hatte ihn einer ihrer Gäste mitgebracht. Abigail und Logan saßen auf dem Sofa, tranken mit ein paar Freunden Wein und wirkten ebenfalls schon leicht angetrunken. Faith und Ben waren verschwunden. Vermutlich hatten sie sich in Faith' Zimmer ins Nebenhaus zurückgezogen.

Fiona und Augustus gesellten sich zu Liam und Violett, den einzigen, die noch halbwegs nüchtern schienen.

»Wie kommst du eigentlich nach Hause, wenn deine Eltern nicht wissen, dass du hier bist?«, fragte Fiona Violett.

»Ich laufe.«

»Du kannst doch nicht allein im Dunkeln den Berg runterspazieren«, protestierte Liam sofort.

Fiona musste lächeln. Es war niedlich, wie ihr Cousin sich um dieses Mädchen sorgte.

»Dann begleite sie doch«, schlug Augustus vor und zwinkerte Fiona zu, die sofort begeistert meinte, dass das eine wunderbare Idee sei.

Violett widersprach zwar, weil sie keine Umstände machen wollte. Liam blieb jedoch hartnäckig, bis sie einlenkte. Gegen drei Uhr brachen sie schließlich zusammen auf.

Die letzten Partygäste verwickelten Fiona und Augustus in ein Trinkspiel, und an dem Punkt endeten Fionas Erinnerungen an ihren achtzehnten Geburtstag.

 

 

Am nächsten Morgen erwachte Fiona mit schrecklichen Kopfschmerzen und völlig desorientiert. Sie hatte keine Ahnung, wie sie in ihr Bett gekommen war. Auf ihrem Nachttisch stand ein riesiges Glas mit einem dickflüssigen grünen Saft, den sie am Vortag mit Abigail gebraut hatte. Es war kein grüner Smoothie, obwohl er so aussah, sondern ein Trank gegen Kater. Einer der Vorteile am Dasein als Hexe.

Nur musste sie ihn erst trinken, und ihr war so schon schlecht genug. Sie seufzte, griff nach dem Glas und nahm einen Schluck. Sie musste einen Würgereiz unterdrücken, aber nach dem fünften Schluck wurde es besser. Dieses Zeug war Gold wert, denn es wirkte sehr viel schneller als Aspirin. Wie viel Alkohol Fiona auch becherte, mit dem Katertrank musste sie am nächsten Morgen nicht viel durchstehen. Innerhalb einer halben Stunde war sie wieder vollkommen ausgenüchtert, sodass sie aufstehen konnte.

Sie war zwar noch ein wenig wackelig auf den Beinen, aber sie konnte ins Bad trotten, das verwischte Make-up entfernen, duschen, sich anziehen und nach unten gehen. Dort waren die Putzkräfte schon fleißig am Aufräumen. Dennoch war es ein katastrophaler Anblick. Überall standen Flaschen und Gläser, nasses Konfetti und undefinierbare Flüssigkeiten bedeckten den Marmorboden, und Luftschlangen hingen an den Lampen. Fiona hatte keine Ahnung, wie sie dahin gekommen waren, denn die Decke war hier sicher fünf Meter hoch.

Sie warf einen Blick auf ihr Smartphone. Keine Nachricht von Augustus, also schrieb sie: Bist du zu Hause? Wann bist du gegangen?

Die Antwort kam nur ein paar Sekunden später. Guten Morgen, Saufnase! Ich habe dich, als du nur noch Mist geredet hast, in dein Bett gebracht und bin dann nach Hause gelaufen. Hab im Vorgarten geschlafen, weil ich es irgendwie nicht geschafft habe, die Tür aufzubekommen.

Fiona lächelte. Es war süß, dass er sich um sie gekümmert hatte. Doch dann runzelte sie die Stirn. Was meinte er mit Mist geredet? Sie fragte ihn und prompt kam seine Antwort. Du hast gesagt, dass du zaubern kannst und dass du eine Zigarette mit bloßen Händen anzündest. Logan hat dir ein Feuerzeug hingehalten, und du warst voll stolz auf dich, dass du Feuer gemacht hast.

Fiona atmete tief durch. Zum Glück war Logan schneller gewesen und hatte ihr betrunkenes Gehirn ausgetrickst, obwohl er bestimmt auch total dicht gewesen war. Sie musste sich unbedingt bei ihm bedanken.

»Wieder nüchtern?«, hörte Fiona eine Stimme hinter sich. Sie fuhr herum und blickte in das Gesicht ihrer Großmutter.

»Hey, es tut mir leid wegen gestern. Die Party ist gegen Ende wohl ein wenig eskaliert.«

»Offensichtlich.« Aurora ließ ihren Blick über das Chaos schweifen. »Übrigens haben wir die fünf Fremden, die hier herumlagen, heute Morgen vor die Tür gesetzt, aber darum geht es nicht.« Sie sah wieder ihre Enkeltochter an. »Es war dein achtzehnter Geburtstag, der für dich einige Veränderungen mit sich bringt. Verständlich, dass du ihn gefeiert hast, aber in Zukunft erwarte ich von dir ein erwachseneres Verhalten. Du hast jetzt Verantwortung, und genau darüber möchte ich mit dir sprechen. Du musst über deine zukünftige Rolle noch einiges wissen.«

Fiona nickte schnell. Sie war erleichtert, dass ihre Großmutter nicht wütend war.

Aurora führte sie in ihr Arbeitszimmer, schloss die Tür und bedeutete Fiona, sich zu setzen. Sie legte ihre Hände auf den Tisch, und der Blick ihrer blauen Augen durchbohrte ihre Enkelin förmlich. »Ich weise dich gleich umfassend ein. Nach meinem Tod, und diese Zeit wird wohl oder übel kommen, musst du über alles Bescheid wissen, damit du dieses Anwesen leiten kannst.«

»Was ist mit Paige?«, fragte Fiona überrascht. Sie hatte selbst keine gute Meinung über die Kompetenz ihrer Tante, dennoch stand Paige immer noch vor ihr in der Erbfolge.

»Wir wissen beide, dass meine Tochter dieser Aufgabe niemals gewachsen wäre. Wenn es so weit ist und sie das Anwesen führt, erwarte ich von dir, dass du im Hintergrund die Fäden ziehst, damit das, was ich aufgebaut habe, nicht den Bach runtergeht.«

Fiona konnte nicht verhindern, dass ein Lächeln über ihr Gesicht glitt. Es freute sie, dass Aurora sie für qualifizierter hielt als Paige. Die ganze Arbeit schien sich gelohnt zu haben. Sie war eine gute Hexe, und solch ein Kompliment aus Auroras Mund bedeutete ihr die Welt.

Die Unterweisung zog sich ewig hin, irgendwann brummte Fiona nur noch der Schädel. Als Aurora sie endlich entließ, ging sie zum Briefkasten, um ihren Kopf wieder frei zu bekommen. Sie kehrte mit einem Stapel Briefe zurück und legte sie im Flur auf den Tisch. Ihre Geburtstagspost nahm sie mit in ihr Zimmer. Als Erstes öffnete sie den Brief ihrer Großtante Harmonia, Auroras Schwester, und Harmonias Mann Peter, dann den von deren Sohn Detlef.

Doch der nächste Umschlag ließ sie stutzen. Er war schwarz. Sie setzte sich auf ihr Bett und zog langsam den weißen Briefbogen mit schwarzem Rand hervor.

 

Liebe Fiona,

ich wünsche Dir alles erdenklich Gute zum Geburtstag: Gesundheit, Stärke, gute Noten, persönliche Bestleistungen, einen netten Freundeskreis und viele neue Bekanntschaften, die dein Leben verändern.

Hör niemals auf, nach Besserem zu streben und auch Sachen auszuprobieren, von denen andere sagen, sie seien verboten.

Mfg Patrick

 

Wer zum Teufel war Patrick?!

Kapitel 2

Gute Gene, schlechte Gene

 

Als am Montagmorgen Zoes Wecker klingelte, hätte sie ihn am liebsten gegen die nächste Wand geworfen, damit er in tausend Teile zersprang. Das Schuljahr begann wieder, und das allein war schon scheußlich.

Sie quälte sich aus dem Bett ins Badezimmer, duschte, schminkte sich und zog sich an. Dabei gab sie sich besonders viel Mühe. Die ganzen Loser sollten nach den Ferien gleich sehen, was wahre Perfektion bedeutete, darum wählte sie eine Hotpants und ein bauchfreies T-Shirt mit riesigem Ausschnitt. Nachdem sie ihrem Spiegelbild ein letztes zufriedenes Lächeln geschenkt hatte, ging sie nach unten, um zu frühstücken.

Im Speisesaal saßen bereits ihr Vater Leo und einige ihrer Cousinen und Cousins, die auch in die Schule mussten. Außerdem Fionas Mutter Cleo, die in Potsdam eine erfolgreiche Anwaltskanzlei führte, Faiths Vater Dieter, der Chefarzt im örtlichen Krankenhaus war, und seine Frau Naomi, die dort als Psychologin arbeitete.

»Morgen Bitches!« Zoe verzog ihre geschminkten Lippen zu einem spöttischen Lächeln, als niemand ihren Gruß erwiderte. Mittlerweile hatte es ihre Familie aufgegeben, sich über ihre Ausdrucksweise aufzuregen. Zoe setzte sich neben ihren Vater.

Leo Bernauer hatte wie alle angeheirateten Bernauer-Männer den Namen seiner Frau angenommen, weil Aurora es so verlangt hatte. Er arbeitete in der Stadt bei einer Bank und war daher immer korrekt mit Anzug und Krawatte gekleidet. Umso kritischer musterte er nun unter zusammengezogenen Augenbrauen seine Tochter. »Ein bisschen mehr zum Anziehen hätte auch nicht geschadet.«

»Onkel Leo, heute sollen dreißig Grad werden«, nahm Fiona ihre beste Freundin in Schutz und erntete dafür von Zoe ein zufriedenes Lächeln.

»Ich habe heute auch ein Sommerkleid an«, verkündete Elenor stolz.

»Das finden die Jungs in deiner Klasse sicher super«, prophezeite Zoe und zwinkerte vielsagend.

Elenor verzog angewidert das Gesicht und streckte ihr die Zunge heraus. »Jungs sind doof.«

»Ja, die meisten schon. Leider meist proportional zum guten Aussehen«, stellte Zoe fest und strich sich eine dicke Schicht Nutella auf ihr Toastbrot.

»Jetzt einmal ehrlich. Würdest du mit Florentin schlafen, wenn er heiß wäre?«, startete Fiona ein Gedankenexperiment und lachte gehässig.

Zoe verzog angewidert das Gesicht und ließ ihr Brot auf den Teller fallen. »Igitt! Das ist ja widerlich. Jetzt hab ich keinen Hunger mehr.«

»Sagt das Mädchen, das bei Saw meinte, sie hätte jetzt Bock auf Nudeln mit Tomatensoße«, erinnerte Fiona sie kichernd.

»Also ist Florentin hässlicher als ein paar zermatschte Schädel?«, folgerte Abigail, die wie immer versuchte, sich in die Diskussion einzubringen.

Das nervte Zoe, aber sie wollte Abigail nicht vor Cleo sagen, dass sie die Klappe halten sollte, also begnügte sie sich mit einem Augenrollen.

»Nach dem, was so in der Gerüchteküche brodelt, war er in den Ferien ja fast ein zermatschter Schädel.« Sofort hatte Fiona die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden, sodass sie sich genötigt fühlte, fortzufahren: »Augustus hat mir erzählt, dass Viktor meinte, Florentin Fehring hätte versucht, sich umzubringen.«

»Was? Nicht dein Ernst?« Zoe war nur kurz überrascht, dann gewann ihr Sarkasmus wieder die Oberhand. »Und sein physikalisches Wissen hat nicht gereicht, um zu wissen, aus welchem Stockwerk man springen muss?«

»Keine Ahnung, wie er es versucht hat. Das mit dem kaputten Schädel war nur mein Versuch einer gelungenen Überleitung. Vielleicht sehen wir es ja heute.« Fiona zuckte scheinbar gelangweilt die Achseln, doch in Wahrheit fühlte sie sich schlecht, weil sie das Gerücht weitergetratscht hatte. Allerdings wäre sie sonst vermutlich geplatzt.

»Es reicht!« Zoes Vater schlug mit der Faust auf den Tisch, dass das Geschirr klirrte. »Seid ihr etwa noch stolz auf euer Mobbing? Es ist mir unbegreiflich, wie ihr das anderen Menschen antun könnt. Egal, ob die Gerüchte stimmen oder nicht, lasst diesen Jungen in Ruhe, verstanden?«

Leo war ein strenger Vater, auch wenn er damit bei Zoe keinen Erfolg hatte.

»Unsere Lehrer sagen, dass Mobbing böse ist und nur dumme Menschen das machen«, verkündete Elenor, die nur die Hälfte der Unterhaltung verstanden hatte.

»Und da sind wir wieder bei der Proportionalität zwischen Dummheit und gutem Aussehen«, stellte Logan fest, worauf die Jugendlichen am Tisch zu lachen begannen.

Auch Zoe und Fiona grinsten.

»Ich weiß jetzt nicht, ob ich mich geschmeichelt oder beleidigt fühlen soll«, gab Fiona zu.

»Ich hinterfrage das gar nicht erst. Logan hat gesagt, dass ich gut aussehe …«, Zoe zupfte eine perfekt sitzende Haarsträhne in Form, »… und das reicht mir schon.«

 

 

Die erste Stunde hatte Zoe bei ihrem Tutor, der Informationen zum neuen Schuljahr gab, darauf folgte ihr Hassfach Mathe.

Ihr Mathelehrer hatte keine Lust auf Belehrungen und organisatorischen Kram. Das ärgerte die Schüler natürlich, aber das war ihm egal. Er teilte ein Blatt mit Übungsaufgaben aus, um zu sehen, wie groß die Wissenslücken in den Ferien geworden waren.

Zoe, die neben Fiona saß, starrte erst auf das Blatt und sah dann ihre Freundin an, die jedoch genauso ratlos wirkte. Tangenten und Kreise?

Als der ganze Kurs die Lösung der ersten Aufgabe nicht fand, beschloss der Lehrer schließlich, es an der Tafel vorzumachen.

»… und so ist ein Kreis zur Geraden geworden«, erklärte Herr Grünwald und schien sich darüber wirklich zu freuen.

Zoe schüttelte genervt den Kopf. Was fand er nur an Mathe, einem Haufen Zahlen mit ein paar Buchstaben gespickt, so umwerfend?

»Das ist das Konzept von The biggest Loser«, flüsterte Fiona, und Zoe brach in schallendes Gelächter aus.

Florentin Fehring drehte sich um und sah sie verärgert an. Er war der Klassenstreber und schrieb immer fünfzehn Punkte, ausnahmslos. Dafür verbrachte er aber auch die Pausen allein, ebenfalls ausnahmslos. Er hatte ein Jahr übersprungen und sah noch viel jünger aus.

»Was?«, giftete Zoe und funkelte ihn aus ihren blauen Augen wütend an.

»Das hier ist Unterricht. Wir wollen uns konzentrieren«, beschwerte er sich.

»Du meinst wohl, DU willst dich konzentrieren. Ich will gerade eigentlich nur nach Hause.« Fiona sah demonstrativ auf die Uhr über der Tür.

»Genau, halt einfach deine dämliche Fresse, okay? Belästige uns nicht mit deiner Visage«, zischte Zoe. Sie ließ sich doch von so einem kleinen Loser nicht vorschreiben, wie sie sich im Unterricht zu verhalten hatte.

Fiona legte ihrer Cousine beschwichtigend eine Hand auf den Unterarm. Plötzlich hatte sie wieder ein schlechtes Gewissen wegen der Gerüchte über Florentin. Obwohl, eigentlich wirkte er doch genauso wie vor den Sommerferien?

Wenn tatsächlich etwas an der Selbstmordgeschichte dran war, dann hatte sich Florentin Fehring überraschend gut unter Kontrolle, dachte Fiona und betrachtete ihn nachdenklich.

Irgendwie brachte Zoe den ersten Schultag hinter sich. Nach der Schule traf sie sich mit Fiona, Abigail, Faith und Ben im Foyer. Zum ersten Mal mussten sie nicht nach Hause laufen, da Fiona nun achtzehn war und endlich ohne Begleitperson fahren durfte.

Auf dem Weg zum Auto erregte etwas Zoes Aufmerksamkeit.

»Kennt jemand den heißen Typen dahinten?« Zoe kicherte und deutete verstohlen auf einen Mann Anfang zwanzig, der lässig an einem Sportwagen lehnte.

»Das ist Florentins Bruder«, erklärte Ben, der im Haus neben dem Schulstreber wohnte, woraufhin Zoe enttäuscht das Gesicht verzog.

»Wirklich? Na ja, vielleicht ist er ja adoptiert«, murmelte sie.

Die anderen lachten, und Fiona legte freundschaftlich ihren Arm um Zoes Schultern. »Ich finde es toll, wie du immer das Positive siehst.«

»Der heiße Typ kann doch nicht wirklich der Bruder von dem kleinen Schwächling sein. So ein Mist!« Zoe konnte sich gar nicht beruhigen, doch dann hellte sich ihre Miene wieder auf. »Ich gebe ihm trotzdem eine Chance!«

»Weißt du, ob er diese Chance überhaupt will?«, kicherte Faith.

Zoe machte sich von Fiona los und schaute Faith so arrogant an, wie es nur ging. »Was wäre er für ein Mann, wenn er die hier nicht will?« Sie deutete auf ihren tiefen Ausschnitt.

»Ich bin so ein Mann«, grinste Ben.

»Das zählt nicht, du bist vergeben«, mischte Fiona sich ein. Sie und Zoe waren immer einer Meinung. Sie waren nicht nur die Anführerinnen der jüngsten Generation der Bernauers, sondern auch der Schule.

»Das könnte Florentins Bruder doch auch sein«, gab Abigail zu bedenken.

»Auch für dieses Problem gibt es eine Lösung«, verkündete Zoe und warf ihr langes blondes Haar zurück.

»Willst du ihn jetzt einfach ansprechen?« Abigail starrte sie entsetzt an.

Zoe nickte. »Man muss auch mal was riskieren«, verkündete sie und stolzierte auf den jungen Mann zu.

»Hallo, mein Name ist Zoe!« Sie streckte ihm die Hand hin.

Er ergriff sie sichtlich überrascht. »Thomas. Kennen wir uns irgendwoher?«

»Nein, und das sollten wir unbedingt ändern. Was machst du hier?«

»Ich … ich hole meinen Bruder von der Schule ab«, stotterte er noch immer verwirrt, aber sichtlich nicht abgeneigt von Zoes forschem Auftritt.

Ein Räuspern ertönte hinter ihnen.

Zoe drehte sich um. Zum Glück konnte Thomas ihr Gesicht nicht sehen, als sie Florentin entdeckte.

»Spring rein, Flo!«, forderte Thomas ihn auf, und zu Zoe sagte er: »War nett, dich kennenzulernen. Vielleicht sieht man sich mal wieder.«

»Worauf du dich verlassen kannst«, murmelte Zoe, als sich das Auto entfernte.

»Florentin ist im Weg«, kam sie wieder bei den anderen ohne Umschweife zur Sache.

»Aber ich weiß schon, wie ich ihn mir zunutze mache. Ich muss nur warten, bis die Lehrer die ersten Gruppenarbeiten aufgeben.« Ihre Stimme wurde mit jedem Wort gehässiger.

»Das kann ja nicht lange dauern«, maulte Abigail.

»Gruppenarbeiten sind doch toll. Was stört dich daran?«, wollte Fiona wissen.

»Klar, du bist ja eine von denen, die die anderen arbeiten lassen«, kritisierte Abigail ihre Schwester.

Zoe verdrehte die Augen. Was war daran schlimm? Jeder setzte seine Prioritäten. Für Fiona war es die Magie, für Zoe der jeweilige Freund. Für Abigail blieb nur die Schule, weil sie auf den beiden anderen Gebieten hoffnungslos versagte. Wenn man es genau nahm, kam bei Abigail aber auch in der Schule deutlich weniger heraus, als sie hineinsteckte. Eines musste man ihr jedoch lassen: Ihre Prognosen trafen in der Regel ein.

Bereits am Mittwoch wurde die erste Partnerarbeit vergeben, und Zoe sicherte sich Florentin Fehring. Er schien erst verwirrt, aber als Zoe klarstellte, dass sie dieses Jahr gute Punktwerte wollte, war für ihn die Sache geklärt.

 

 

Nach der Schule holte Zoe Florentin auf dem Gehweg ein.

»Hey, bleib mal stehen, Streber! Wollen wir uns heute Nachmittag gleich an die Aufgaben setzen?« Sie bemühte sich, freundlich zu sprechen.

»Du willst mitmachen?« Florentin sah sie erstaunt an.

Zoe kicherte. »Natürlich! Es ist Bio. Das kann ich!«

»Nur weil du den Prozess nach der Meiose gut zu beherrschen scheinst, heißt das noch lange nicht, dass du dich mit Genetik auskennst.«

Zoe brach in schallendes Gelächter aus. Fehrings Konter war wirklich gut, das musste sie ihm lassen.

Doch was er konnte, konnte sie schon lange. »Wer sagt denn, dass es mir nicht um den Vorgang geht, den man entwicklungsbiologisch gesehen zur Zygotenbildung nutzt?«

Offenbar hatte sie Florentin erneut überrascht. »Du kennst dich ja wirklich mit Bio aus«, stellte er fest.

»Mit Sex auf jeden Fall!« Zoe hatte Thomas entdeckt, der seinen Sportwagen gerade problemlos in eine enge Parklücke manövrierte. Sofort setzte sie ihr schönstes Lächeln auf und schwang noch etwas mehr mit den Hüften als sonst, während sie auf ihn zustolzierte.

»Hey, ich bin es wieder, Zoe. Du musst mich heute auch mitnehmen. Florentin und ich haben ein Bio-projekt aufbekommen und wollen es erledigen, bevor der Klausurstress beginnt«, begrüßte sie ihn fröhlich und beugte sich ein Stück zu ihm hinunter.

Thomas lächelte, wahrscheinlich erfreut von Zoes tiefem Ausschnitt und davon, dass sein Bruder eine Projektarbeit mit einem so hübschen Mädchen machen durfte. Das zumindest vermutete Zoe, die schnell auf dem Beifahrersitz Platz nahm, sodass Florentin nur die schmale Rückbank blieb.

Nachdem Thomas ausgeparkt hatte, erkundigte er sich, wie der Schultag gewesen war.

»Unfassbar langweilig. Ich hatte heute eine Doppelstunde Physik und danach noch Französisch. Bei Letzterem bin ich zum Glück nicht so schlecht wie bei Ersterem«, riss Zoe sofort die Unterhaltung an sich und ließ ihre Stimme verführerisch und sanft klingen. Sie spürte Florentins Blick auf sich. Langsam schien er zu verstehen, worauf das Ganze hinauslief.

»Ich meinte eigentlich meinen Bruder, aber danke, Zoe.« Thomas lächelte ihr kurz zu, ehe er sich wieder auf die Straße konzentrierte. Doch zu Zoes Freude fragte er: »Was gefällt dir denn an Physik nicht?«

Das Eis war also gebrochen. So einfach konnte es gehen. Auch wenn das Thema weniger nach ihrem Geschmack war. »Ich verstehe nicht, wozu ich den Mist brauche«, stöhnte sie genervt.

»Zum Beispiel damit dein Smartphone funktioniert. Ohne Physik würde es nicht einmal existieren«, belehrte Thomas sie.

»Bist du etwa auch so ein Nerd?« Zoe konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen.

»Kommt drauf an, was du mit Nerd meinst. Die offizielle Definition lautet meines Wissens, dass das ein Mensch mit sonderbaren Interessen, sozialen Defiziten und einem Händchen für Computer ist. In der Hinsicht kann ich dich beruhigen, nichts davon trifft auf mich zu. Ich habe nur ein fotografisches Gedächtnis und mein Abitur mit einem Durchschnitt von 0,7 abgeschlossen. Ach, und da ist noch etwas, was mich von einem Nerd unterscheidet, ich liebe Sport.« Er zwinkerte Zoe zu.

»Oh nein. Jetzt fühle ich mich dumm«, murmelte sie. Allerdings hatte dieser Thomas Fehring kein bis-schen arrogant geklungen, als er ihr seinen Abidurchschnitt verraten hatte.

»Musst du nicht. Jeder kann andere Sachen gut. Nur weil ich ein gutes Abi und ein großartiges Gedächtnis habe, heißt das noch lange nicht, dass ich etwas Besseres bin. Menschen, die so denken, sind Arschlöcher!«

Zoe musste sofort an Aurora denken und lächelte.

Als Thomas fortfuhr, klang er beinahe traurig. »Manchmal hat es auch Nachteile, ein fotografisches Gedächtnis zu haben. Man sieht in seinem Leben Sachen, die man lieber nicht immer wieder vor Augen haben möchte.«

Zoe bemerkte, wie er seinen Bruder im Rückspiegel betrachtete. An den Gerüchten schien wohl doch etwas dran zu sein. Doch darauf würde sie keine Rücksicht nehmen, sie überging Thomas' Anspielung einfach.

»Okay, du bist schlau, siehst gut aus und bist weder Nerd noch Arschloch. Was ist mit den Frauen? Die müssen dir doch reihenweise hinterherrennen?«

»Die meisten sind genervt, weil ich mich sehr auf mein Studium und meinen Job konzentriere. Also hält eine Beziehung bei mir nie lange«, sagte er und wirkte auch dabei nicht fröhlich.

»Also bist du gerade Single?«, tastete sich Zoe weiter vor.

Als er nickte, glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. Der Tag wurde immer besser.

Bei Thomas und Florentin zu Hause angekommen, sah Zoe vor dem Nachbarhaus wie erhofft Faith und Ben. Sie hatten heute eher Schluss gehabt, saßen im Garten und sonnten sich.

Faith blickte überrascht über den Rand ihrer Sonnenbrille.

Zoe grinste und winkte den beiden zu. Sollten sie ruhig wissen, dass sie auf dem Weg war zu gewinnen.

Das Haus der Fehrings war groß, natürlich nicht so groß wie das der Bernauers, dennoch wirkte es sehr geräumig und war hübsch eingerichtet.

Um den Anschein zu wahren, begleitete Zoe Florentin in sein Zimmer.

Nach einer halben Stunde, in der sie nur mit ihrem Handy gespielt hatte, verkündete sie: »Mir ist langweilig. Ich geh zu deinem Bruder.«

Florentin sah von seinen Papieren auf. »Wieso findest du ihn gut und behandelst mich wie den letzten Dreck? Was ist an ihm besser?«

Zoe lächelte ihn an, als hätte er etwas furchtbar Dummes gefragt. »Sein Aussehen!«, sagte sie nur.

Sie lief den Gang entlang und blieb vor dem Zimmer stehen, in das Thomas vorhin hineingegangen war.