Das Mathematische Berlin - Iris Grötschel - E-Book

Das Mathematische Berlin E-Book

Iris Grötschel

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Beschreibung

Glänzende Augen oder Angstschweiß - welcher Mathebuch-Typ sind Sie? Hier ist einmal eins für beide! Für diesen unverstaubten Streifzug durch Berlin benötigen Sie weder Zirkel noch Taschenrechner oder gar algebraische Formeln. Dieses Buch zeigt: Mathematik ist alltagstauglich, macht Spaß - und ist überall um uns herum! Historische Persönlichkeiten und Orte, berühmte Formeln, großartige Architektur, Kultur und Kunst - all das ist Das Mathematische Berlin. Viel Vergnügen!

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Seitenzahl: 240

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DAS MATHEMATISCHE BERLIN

IRIS GRÖTSCHEL

DASMATHEMATISCHEBERLIN

HISTORISCHE SPURENUND AKTUELLE SZENE

IMPRESSUM

Grötschel, Iris:

Das mathematische Berlin – Historische Spuren und aktuelle Szene1. Auflage – Berlin: Berlin Story Verlag 2013ISBN 978-3-86368-726-7

Alle Rechte vorbehalten.

© Berlin Story Verlag

Alles über Berlin GmbH

Unter den Linden 40, 10117 Berlin

Tel.: (030) 51 73 63 08

Fax: (030) 51 73 63 06

www.BerlinStory-Verlag.de, E-Mail: [email protected]

Cover (unter Verwendung einer Konstruktionszeichnung der beiden Globen einer Doppelglobusuhr, 18. Jahrhundert, vermutlich von Phillip Matthäus Hahn): Norman Bösch

Alle Abbildungen: MacTutor History of Mathematics Archive (Public Domain) oder Wikimedia Commons (Public Domain) oder Fotos der Autorin bzw. Archiv der Autorin.

Sollten trotz unserer Recherchen Bildrechte nicht berücksichtigt worden sein, erfüllen wir berechtigte Honorarforderungen selbstverständlich unmittelbar gemäß MFM-Empfehlung.

MacTutor History of Mathematics Archive (Public Domain): Print Seiten: S. 94, 95, 123, 126, 150 (2)

Wikimedia Commons (Public Domain): Print Seiten: S. 28, 31, 39, 42, 47, 51, 54, 60, 78, 83, 88, 92, 97, 100, 120, 124, 145, 146, 149, 170, 222, 252

WWW.BERLINSTORY-VERLAG.DE

INHALT

MATHEMATISCHER BLICK AUF BERLIN

DIE GESCHICHTE DER MATHEMATIK IN BERLIN

Die Anfänge mit Leibniz und der Berliner Sozietät

Erste Blüte unter Friedrich dem Großen

Die Anfänge der Mathematik an der Berliner Universität

Das goldene Zeitalter der Mathematik

Die mathematische Interimszeit

Mathematischer Neustart nach dem Ersten Weltkrieg

Mathematik im Nationalsozialismus

Mathematik an Fachakademien und an der Technischen Hochschule

Mathematik in der geteilten Stadt

Mathematik im wiedervereinigten Berlin

MATHEMATISCHE ORTE MIT TRADITION

Akademie der Wissenschaften

Bergakademie

Bauakademie

Gewerbeakademie/Kriegsakademie

Humboldt-Universität

Technische Universität

Freie Universität

MATHEMATIKER IN BERLIN – BIOGRAFIEN

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716)

Pierre Louis Moreau de Maupertuis (1698-1759)

Leonhard Euler (1707-1783)

Johann Heinrich Lambert (1728-1777)

Joseph Louis Lagrange (1736-1813)

Carl Friedrich Gauß (1777-1855)

August Leopold Crelle (1780-1855)

Jakob Steiner (1796-1863)

Niels Henrik Abel (1802-1829)

Carl Gustav Jacob Jacobi (1804-1851)

Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet (1805-1859)

Ernst Eduard Kummer (1810-1893)

Karl Theodor Wilhelm Weierstraß (1815-1897)

Karl Wilhelm Borchardt (1817-1880)

Ferdinand Gotthold Max Eisenstein (1823-1852)

Leopold Kronecker (1823-1891)

Paul du Bois-Reymond (1831-1889)

Immanuel Lazarus Fuchs ((1833-1902)

Hermann Amandus Schwarz (1843-1921)

Georg Cantor (1845-1918)

Ferdinand Georg Frobenius (1849-1917)

Sofja Kovalevskaja (1850-1891)

Kurt Hensel (1861-1941)

Adolf Kneser (1862-1930)

Constantin Carathéodory (1873-1950)

Issai Schur (1875-1941)

Erhard Schmidt (1876-1959)

Edmund Landau (1877-1938)

Georg Karl Wilhelm Hamel (1877-1954)

Richard Edler von Mises (1883-1953)

Ludwig Bieberbach (1886-1982)

Robert Erich Remak (1888-1942)

Hilda Geiringer (1893-1973)

Wolfgang Haack (1902-1994)

Johann von Neumann (1903-1957)

Alexander Dinghas (1908-1974)

Ernst Mohr (1910-1989)

Wolfgang Döblin (1915-1940)

MATHEMATISCHE VEREINIGUNGEN IN BERLIN

Mathematischer Verein an der Universität Berlin

Berliner Mathematische Gesellschaft

Deutsche Mathematiker-Vereinigung

International Mathematical Union

Berliner Landesverein MNU

PREISE UND EHRUNGEN

Der Nobelpreis und die Mathematik

Fields-Medaille

Nevanlinna-Preis

Carl-Friedrich-Gauß-Preis

Abelpreis

Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis

Sofja-Kovalevskaja-Preis

Diverse mathematische Preise

Orden pour le Mérite

BERLINER MATHEMATIK HEUTE

Mathematische Institute der drei Universitäten

Weierstraß-Institut (WIAS)

Zuse-Institut (ZIB)

Matheon

Berlin Mathematical School

Mathematische Förderprogramme

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Außergewöhnliche Mathematik-Vorlesungen

Mathematikprogramme für junge Menschen

Mathematisches Internetportal

Jahr der Mathematik

ORTE DER ERINNERUNG

Fries am Roten Rathaus

Inschrift am Reiterdenkmal für Friedrich den Großen

Gedenktafeln an Häusern

Straßennamen

Grabstätten

Stolpersteine

Gedenken in Gebäuden

Namenspatronate

MATHEMATISCHE EXPONATE IM ÖFFENTLICHEN RAUM

Allegorien am Zeughaus

Porträtreliefs am Postfuhramt

Mosaik am Haus des Lehrers

Denkmal für Archimedes

Galileo-Skulptur

Die Mengenlehre-Uhr

Der π-Fries in Dahlem

Wissenschaftsfenster in Mitte

Kryptographie in Adlershof

Der Matheon-Buddy-Bär

Die »6«-en

Arc 124,5°

MATHEMATISCHE EXPONATE IN KUNSTSAMMLUNGEN

Kupferstichkabinett

Deutsches Historisches Museum

Alte Nationalgalerie

Museumsinsel

Gemäldegalerie

Deutsches Technikmuseum

Sammlung der Akademie der Wissenschaften

MATHEMATISCHES FEUILLETON

Das Berliner Hausnummern-System

Statistik aus Berlin

Mathematische Zeitschriften aus Berlin

Mathematiker und die Märzrevolution

Frauen und die Mathematik

Mathematischer Einsatz für Berlin

MATHEMATISCHE KNOBELEIEN

Das Berlin-Sudoku

Das Berliner Logik-Rätsel

Das Berliner Brückenproblem

Danksagung

Literaturhinweise

MATHEMATISCHERBLICK AUF BERLIN

»DIE MATHEMATIK IST DAS ALPHABET, MIT DEM GOTT DIE WELT GESCHRIEBEN HAT.«

Galileo Galilei

Also „Alles Mathe“, oder was? Da Galileo Galilei (1564-1642) uns diese Frage leider nicht mehr beantworten kann, müssen wir uns selber auf die Suche begeben. Wir werden dabei nicht das gesamte Universum erkunden, sondern nur einen winzig kleinen Punkt im Weltall, nämlich Berlin. Werfen wir also einen „mathematischen“ Blick auf diese Stadt.

Jeder, der mit offenen Augen durch Berlin geht, wird schnell Buchstaben des von Galilei beschriebenen Alphabets entdecken: Geometrische Figuren bei gotischen Kirchenfenstern oder Marmorfußböden in Einkaufszentren sowie Jahreszahlen in römischen Ziffern an Museen oder schwindelerregend große Zahlen bei der Bundesschuldenuhr. Diese mathematischen Zeichen finden Sie spielerisch ganz alleine.

Das Zahlensystem der Römischen Ziffern ist leider kein Stellenwertsystem. (Das Alte Museum wurde übrigens im Jahr 1828 vollendet.)

Die Bundes-Schuldenuhr in der Französischen Straße in Mitte zeigt den Stand vom 30. Januar 2011 um 12 Uhr mittags.

Doch es gibt auch die eher verborgenen mathematischen Objekte und Geschichten, über die Sie in diesem Buch erfahren. Kommen Sie mit auf eine Zeit- und Raumreise durch das mathematische Berlin! Keine Angst! Sie benötigen auf dieser Expedition weder Zirkel, noch Taschenrechner oder gar algebraische Formeln. Als Gepäck reichen: Interesse an Geschichte, Wissenschaft, Architektur, Kultur und Kunst sowie Neugier auf außergewöhnliche Lebensschicksale bemerkenswerter Menschen.

Mathematische Aktivitäten im wissenschaftlichen Sinn gab es zur Zeit Galileis noch nicht in Berlin. Da die Stadt in jenen Jahren aber ein wichtiger Verkehrsknoten und Handelsplatz war, wurde gewiss elementare Mathematik eingesetzt: Man wog Getreide, maß Stoffe ab oder zählte Fische, außerdem kalkulierte man Preise und berechnete Gewinne. Die Baumeister werden bereits etwas kompliziertere Mathematik verwendet haben, um Pläne zu entwerfen oder Häuser zu errichten.

Die Geschichte der Mathematik begann Jahrtausende früher. Lange bevor die Menschen die Schrift erfanden, benutzten sie Zahlen und geometrische Muster, um Probleme des Alltags zu lösen. 30 000 Jahre alte Knochenfunde mit eingeritzten Kerben belegen den Umgang der Steinzeitmenschen mit Zahlen; 15 000 Jahre alte Höhlenmalereien geben Zeugnis eines erstaunlichen geometrischen Formensinns. Aus der bei allen Völkern betriebenen Arithmetik und Geometrie entwickelte sich im Laufe der Zeit in den Hochkulturen eine Wissenschaft, die ihren ersten Höhepunkt in der Epoche der antiken griechischen Mathematiker Euklid (365-300 v. Chr.) und Archimedes (287-212 v. Chr.) fand. In den folgenden Jahrhunderten wurde die wissenschaftliche Mathematik nur sporadisch von Chinesen, Indern und Arabern weitergebracht. Vom 15. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts konzentrierte sich die Entwicklung der Mathematik auf Europa, seit dem 20. Jahrhundert wird sie in allen Teilen der Welt intensiv betrieben.

Der Mathematiker Immanuel Lazarus Fuchs ist in einem Ehrengrab auf dem Alten St.-Matthäus-Friedhof in Schöneberg bestattet.

Mathematisches Leben im wissenschaftlichen Sinn begann in Berlin im Jahre 1700, als der erste bedeutende deutsche Mathematiker, Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), die Gründung einer Akademie der Wissenschaften bewirkte und ihre Leitung übernahm. Eine solche Gelehrtenvereinigung dient auch heute noch dem wissenschaftlichen Austausch zwischen ihren Mitgliedern und der Förderung der Forschung. Zu dieser Akademie gesellten sich im Laufe der Zeit zahlreiche weitere mathematisch relevante wissenschaftliche Einrichtungen. Viele bedeutende Personen haben in den letzten 300 Jahren unter sehr unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen das mathematische Leben der Stadt geprägt. Heute gehört Berlin zur Weltspitze in der Mathematik. Mit den mathematischen Instituten dreier bedeutender Universitäten, zwei außeruniversitären mathematischen Forschungsinstituten, dem DFG-Forschungszentrum »Matheon« sowie der Graduiertenschule »Berlin Mathematical School« strahlt die Hauptstadt weit über die Landesgrenzen hinaus. Dieses Buch begibt sich auf die Suche nach historischen Spuren von Ereignissen, Orten und Menschen, spannt den Bogen bis zur heutigen Berliner Mathematik und schließt insbesondere auch mathematische Sehenswürdigkeiten mit ein. Die erste Auflage dieses Buches ist zum Jahr der Mathematik 2008 entstanden. Die hier vorliegende zweite Auflage umfasst auch die Änderungen, die sich in der sehr aktiven Berliner Matheszene seit dieser Zeit ergeben haben.

Die mathematische Skulptur »Tetraeder-Subtraktion« des Künstlers Alf Lechner ist vor der Neuen Nationalgalerie aufgestellt.

DIE GESCHICHTE DER MATHEMATIK IN BERLIN

Kurfürstin Sophie Charlotte und Gottfried Wilhelm Leibniz besprechen die Gründung der Sozietät der Wissenschaften in Berlin.

DIE ANFÄNGE MIT LEIBNIZ UND DER BERLINER SOZIETÄT

Die Geschichte der Mathematik in Berlin begann mit der Gründung der Kurfürstlich Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften. Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg, Sohn des Großen Kurfürsten, unterzeichnete den Stiftungsbrief am 11. Juli 1700, seinem Geburtstag. Einen Tag später wurde der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz zum Präsidenten auf Lebenszeit ernannt. Er stand damals in Diensten des Kurfürsten Georg Ludwig von Hannover, der später König George I. von England wurde. Sophie Charlotte (1668-1705), die Schwester Georgs und gleichzeitig Gemahlin des brandenburgischen Kurfürsten, schätzte Leibniz bereits seit ihrer Jugendzeit in Hannover. Die Kurfürstin nahm erheblichen Einfluss auf die Gründung der Sozietät, da sie den geistlosen Prunk am Berliner Hof verachtete und gerne einen intellektuellen Gegenpol schaffen wollte.

Leibniz war einer der renommiertesten Wissenschaftler Europas und – neben dem Engländer Isaac Newton – der bedeutendste Mathematiker jener Zeit. Er war in den Wissenschaftsakademien in England und Frankreich aufgrund seiner mathematischen Leistungen zum Mitglied ernannt worden. Bereits seit seinem 20. Lebensjahr verfolgte er den Gedanken, Akademien zum Wohle der Wissenschaften und der gesamten Menschheit zu gründen und warb in späterer Zeit bei vielen deutschen Landesfürsten für diese Idee. Nur in Berlin gelang ihm die Verwirklichung des Plans. Die Berliner Sozietät vereinte im Gegensatz zu den Gesellschaften in London und Paris von Anfang an Natur- und Geisteswissenschaften und wurde damit zum Vorbild für alle weiteren Akademiegründungen.

Leibniz war letztendlich beim brandenburgischen Kurfürsten erfolgreich, weil er die Gründung der Sozietät geschickt mit dem ohnehin geplanten Bau eines Observatoriums verknüpfte, von dem er von Sophie Charlotte erfahren hatte. Anlass für die Einrichtung eines derartigen astronomischen Instituts war die von der »evangelischen Fraktion« 1699 im Reichstag beschlossene Kalenderreform. Seit der Einführung des Gregorianischen Kalenders in den katholischen Ländern im Jahre 1582 war der Datumsunterschied zu den protestantisch regierten deutschen Ländern bereits beträchtlich gewachsen. Die evangelischen Fürsten erkannten die wirtschaftlichen Nachteile von zwei parallelen Kalendern, wollten aber auf keinen Fall die päpstlichen Kalenderberechnungen übernehmen. Brandenburg war das größte protestantische Territorium im deutschen Reich und erklärte sich deshalb aus Prestigegründen trotz fehlender Finanzen bereit, ein Observatorium einzurichten, um zukünftig evangelische astronomische Berechnungen eigenständig durchführen zu können. Im Jahre 1700 ließ man in den protestantisch regierten deutschen Ländern auf den 18. Februar gleich den 1. März folgen. Die anschließenden Berechnungen wurden von den inzwischen ernannten Berliner Astronomen durchgeführt, zunächst in einer privaten Sternwarte, bis das neue Observatorium fertig gestellt war. Es gab weiterhin geringfügige Unterschiede zum Gregorianischen Kalender, die erst von Friedrich dem Großen 1775 abgeschafft wurden. Leibniz verschaffte der Sozietät das Privileg, die brandenburgisch-preußischen Kalender in eigener Verantwortung zu erarbeiten, zu publizieren und zu vertreiben. Die informativen Kalender waren eine beliebte Volkslektüre, verhalfen der Sozietät zu hohem Ansehen und brachten ihr erhebliche finanzielle Einnahmen.

Am 18. Januar 1701 fand in Königsberg die Krönung des Kurfürsten Friedrich III. zum König Friedrich I. in Preußen statt, und so wurde aus der Kurfürstlich Brandenburgischen die Königlich Preußische Sozietät der Wissenschaften. Mitglieder wurden gewählt und berufen, doch diese investierten nur einen geringen Teil ihrer Zeit und Kraft in die Arbeit der Sozietät. Leibniz hielt sich lediglich sporadisch in Berlin auf, um seine Präsidentschaft wahrzunehmen. Er stand meistens nur in Briefkontakt mit den Mitgliedern der Sozietät. So kam der Schwung der Gründungsphase bald zum Erliegen.

Erst 1710 erhielt die Sozietät das schon lange vorbereitete Statut mit einer Aufteilung in vier Klassen, unter denen die mathematische Klasse inklusive Astronomie und Mechanik eine war. Im selben Jahr gelang es auch endlich, den ersten Band der Miscellanea Berolinensia mit den in Latein verfassten wissenschaftlichen Abhandlungen der Mitglieder zu veröffentlichen. Zwölf der abgedruckten 60 Beiträge stammten von Leibniz (wobei sich seine Abhandlungen auf diverse Gebiete bezogen, drei davon betrafen mathematische Themen), 37 Arbeiten insgesamt entfielen auf die mathematische Klasse.

Die feierliche Eröffnungsveranstaltung aller Mitglieder der Sozietät fand erst im Januar 1711 statt, was vor allem an den Verzögerungen beim Bau des Akademiegebäudes lag. Im Laufe desselben Jahres verließ Leibniz Berlin endgültig in Richtung Hannover und kehrte nie wieder in die preußische Hauptstadt zurück.

Nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms I. im Jahre 1713 geriet die Sozietät in eine schwierige Lage. Der Aufbau einer schlagkräftigen Armee hatte für den Soldatenkönig oberste Priorität; deshalb flossen große Summen aus dem Kalenderprivileg in Wissenschaftszweige mit militärischem Nutzen. Die Mathematik fiel aus königlicher Sicht in diese Kategorie und erhielt weiterhin finanzielle Unterstützung. Die Bedeutung der Sozietät insgesamt schwand jedoch. Die Mitglieder wurden allgemein als die Hofnarren des Königs bezeichnet; es soll auch Mathematiker unter ihnen gegeben haben, die nichts von höherer Mathematik verstanden. Zwischen 1713 und 1740 wurden fünf weitere Bände der Miscellanea publiziert.

Der Fries im Treppenhaus der Alten Nationalgalerie zeigt Leibniz bei der Gründung der Berliner Sozietät der Wissenschaften.

ERSTE BLÜTE UNDER FRIENDRICH DEM GROSSEN

Als Friedrich II. im Jahr 1740 den Thron bestieg, befand sich die Sozietät in einem erbärmlichen Zustand; es grenzte fast an ein Wunder, dass sie überhaupt noch existierte. Dem neuen König jedoch war die Bedeutung der Wissenschaft für den Staat bewusst. Er wollte eine »glänzende Gelehrtenrepublik« schaffen und lud deshalb Wissenschaftler von Rang aus ganz Europa ein, nach Berlin zu kommen. Unter den Gelehrten, die der Einladung folgten, waren auch prominente Mathematiker. Auf diese Weise erreichte die Mathematik in Berlin 25 Jahre nach Leibniz’ Tod ein hohes, international anerkanntes wissenschaftliches Niveau, das sie fast ein halbes Jahrhundert halten konnte.

Die ersten Mathematiker, die dem Ruf Friedrichs II. folgend in Berlin eintrafen, waren Pierre Louis Moreau de Maupertuis 1740 sowie Leonhard Euler 1741. Der Franzose Maupertuis war ein Schüler Isaac Newtons; bekannt geworden war er durch seinen Nachweis der Erdabplattung an den Polen. Der aus Basel stammende Euler hatte bereits 14 Jahre an der St. Petersburger Akademie geforscht und genoss hohes internationales Ansehen. Nennenswerte deutsche Mathematiker gab es damals kaum.

Die Reorganisation der Sozietät kam in den ersten Jahren wegen der Schlesischen Kriege nur sehr zögerlich voran. Euler war jedoch daran gelegen, die Organisationsstruktur der Sozietät moderner zu gestalten. Als Friedrich II. nicht auf seine Vorschläge eingehen wollte, gründete Euler 1743 kurzerhand eine neue Sozietät. Daraufhin beschloss der König, beide Sozietäten unter dem französischen Namen Académie Royale des Sciences et Belles Lettres zu vereinigen. Die feierliche Eröffnungssitzung der neuen Akademie fand im Januar 1744 statt, allerdings in Abwesenheit des Königs, da es noch keinen Präsidenten gab. Nachdem Friedrich II. Maupertuis im Februar 1746 zum Präsidenten der Akademie ernannt hatte, erhielt die Akademie auch ein neues Statut. In jeder der vier eingerichteten Klassen gab es neben drei Mitgliedern, denen ein Gehalt gezahlt wurde, assoziierte, nicht besoldete Mitglieder. Euler wurde der Direktor der mathematischen Klasse.

Auch der Mathematiker Maupertuis (Dritter von links) war zum abendlichen Flötenkonzert Friedrichs des Großen geladen.

Der Präsident hatte große Freiheiten im Hinblick auf Finanzen und Berufungen, neue Mitglieder mussten jedoch vom König genehmigt werden. Friedrich II. und Maupertuis favorisierten Wissenschaftler aus der Schweiz, die im 18. Jahrhundert überall in Europa sehr geschätzt wurden. Fast alle Mathematiker aus der berühmten Wissenschaftlerfamilie Bernoulli aus Basel wurden Mitglieder der Königlichen Akademie und lebten auch zeitweise in Berlin.

Friedrich II. verfügte, dass alle Veröffentlichungen der neuen Akademie in französischer Sprache zu erfolgen hätten. In seiner Regierungszeit war 1743 noch einmal ein Band der Miscellanea in lateinischer Sprache herausgegeben worden. Fünf Abhandlungen in dieser siebten und letzten Publikation der Sozietät waren von Euler verfasst worden. In der neuen französischsprachigen Reihe der Akademie-Abhandlungen, die den Namen Mémoires erhielten, wurde viel häufiger publiziert, beinahe jährlich kam ein neuer Band heraus. Euler alleine veröffentlichte in seinen Berliner Jahren 121 zum Teil umfangreiche Studien in den Mémoires.

Maupertuis war zwar der Präsident der Akademie, doch ihr wachsender Ruhm war vor allem Euler zu verdanken. Während der 25 Jahre seines Wirkens in Berlin wurde die Mathematik aufgrund der unvergleichlichen Produktivität Eulers zur bedeutendsten Wissenschaft an der Akademie. Friedrich II., der Euler als Wissenschaftler sehr schätzte, hatte die Mathematiker im Allgemeinen allerdings im Verdacht, etwas verdreht zu sein. »Ihr Mathematiker«, sagte er einmal, »erhebt Euch gleich Adlern in die Wolken, aber auch die am Boden kriechenden Tiere haben Verdienste, freilich der Geometrie gegenüber nur untergeordnete.«

Eine von dem Mathematiker Johann Samuel König ausgelöste Auseinandersetzung über das sogenannte »Prinzip der kleinsten Wirkung« führte dazu, dass Maupertuis 1753 gekränkt Berlin verließ. Er blieb jedoch bis zu seinem Tod 1759 Präsident der Akademie. Friedrich II. bemühte sich wiederum um einen französischen Mathematiker als Nachfolger, nämlich Jean-Baptiste le Rond d’Alembert (1717-1783). Dieser lehnte das Angebot zwar ab, beriet den König jedoch häufig in speziellen Angelegenheiten der Akademie und hatte großen Einfluss auf dessen Entscheidungen. Friedrich II. verstand sich nun selber als obersten Schirmherrn der Akademie. Euler wurde mit der verwaltungsmäßigen Leitung der Akademie betraut, ohne gleichzeitig mit dem Präsidentenamt geehrt zu werden.

In der friderizianischen Zeit begann man an der Akademie auch damit, jährlich Preisaufgaben zu stellen, wobei die eigenen Mitglieder von der Bearbeitung ausgeschlossen waren. Solche Preisaufgaben hatten an anderen europäischen Akademien bereits eine längere Tradition, gaben mit ihren Themen den Wissenschaftlern jeweils aktuelle Forschungsrichtungen vor und waren nebenbei eine wichtige Einnahmequelle für die Gewinner. Der von der Königlichen Akademie der Wissenschaften ausgesetzte Preis des Jahres 1763 wurde Moses Mendelssohn zuerkannt für seine Abhandlung über die »Evidenz in Metaphysischen Wissenschaften«. In dieser Schrift stellte er einen Vergleich an zwischen den ewig gültigen, allgemein überzeugenden mathematischen Wahrheiten und den sich häufig schnell überlebenden metaphysischen Erkenntnissen. Moses Mendelssohn, der schon in seiner frühen Jugendzeit in Dessau von der Mathematik begeistert war, beschäftigte sich bis an sein Lebensende gerne mit diesem Fach. In einem seiner Werke beschrieb er eindringlich den mathematischen Erkenntnisprozess, der – auch heute noch – mit mühsamen kleinen Schritten beginnt, bis er endlich zum Höhepunkt führt: »Der Mathematiker schwimmt in Wolllust.« Offenbar »vererbte« sich dieses mathematische Gen auf die nächsten Generationen, denn zahlreiche (leibliche und angeheiratete) Mitglieder der weit verzweigten Mendelssohn Familie aus dem 19. und 20. Jahrhundert waren erfolgreiche Mathematiker.

Eine Bereicherung für die mathematische Klasse der Akademie war Johann Heinrich Lambert, der 1764 nach Berlin kam, 1765 Mitglied der Akademie wurde und bis zu seinem Tod 1777 in Berlin blieb. In seiner Berliner Zeit veröffentlichte er nicht nur großartige Abhandlungen zur Mathematik, sondern auch grundlegende Schriften zur Philosophie, Physik und Astronomie. Ebenfalls im Jahr 1764 lud Friedrich II. den Schweizer Mathematiker Johann III. Bernoulli nach Berlin ein, um das astronomische Observatorium der Akademie neu zu organisieren. Bernoulli wirkte also vor allem als Astronom in Berlin, beschäftigte sich aber ebenfalls mit mathematischen Themen.

Die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem König und Euler wurden im Laufe der Zeit immer größer, so dass dieser schließlich 1766 die Einladung Katharinas der Großen annahm, an die Akademie in Sankt Petersburg zurückzukehren. Sein Nachfolger wurde Joseph Louis Lagrange, der noch im selben Jahr aus Turin nach Berlin übersiedelte. Lagrange war ein bedeutender Mathematiker, der von d’Alembert ins Spiel gebracht worden war und das wissenschaftliche Werk Eulers würdig fortsetzen konnte. Lagrange blieb 21 Jahre in Berlin und erbrachte hier bedeutende mathematische Leistungen. Insgesamt änderte sich jedoch in seiner Zeit die wissenschaftliche Arbeitsweise; das Zeitalter der Universalgelehrten ging zu Ende. Um weitere Fortschritte zu erzielen, war eine Aufspaltung in Einzelfächer unumgänglich.

Nach dem Tod des »Alten Fritz« 1786 war man sowohl am italienischen als auch französischen Hof daran interessiert, Lagrange zu verpflichten. Dieser entschied sich für Paris und verließ Berlin im Mai 1787. Damit endete eine glanzvolle Zeit der Akademie, in der die Mathematik eine besondere Rolle gespielt hatte. Unter den nachfolgenden Königen Friedrich Wilhelm II. (ab 1786) und Friedrich Wilhelm III. (ab 1797) wurden viele deutsche Mitglieder in die Akademie aufgenommen. Das Deutsche setzte sich langfristig als vorherrschende Sprache der Akademie durch, auch beim Namen verwendete man nun die deutsche Version Königliche Akademie der Wissenschaften, und die Forschungsergebnisse wurden in der Sammlung der deutschen Abhandlungen veröffentlicht.

Der deutsch-jüdische Philosoph Moses Mendelssohn war zeitlebens von mathematischen Themen und Methoden fasziniert.

Die Mathematik verlor ebenso wie die Naturwissenschaften in Berlin stark an Bedeutung. Neues Zentrum für diese Fachgebiete wurde Göttingen, das nicht nur eine Akademie, sondern auch eine Universität vorzuweisen hatte. Generell nahmen um 1800 die Geisteswissenschaften überall im Deutschen Reich eine vorherrschende Stellung ein.

»MATHEMATIK IST EIN GEISTREICHER LUXUS.«

Friedrich II.

DIE ANFÄNGE DER MATHEMATIK AN DER BERLINER UNIVERSITÄT

Im Jahre 1810 wurde die Berliner Universität gegründet, die 1828 den Namen ihres Stifters erhielt: Friedrich-Wilhelms-Universität. Die Entstehung einer zweiten bedeutenden wissenschaftlichen Institution neben der Akademie führte jedoch zunächst zu keinem Vorteil für die Mathematik, obwohl von Anfang an großer Wert darauf gelegt wurde, für alle Fächer anerkannte Wissenschaftler zu verpflichten. Die ersten Universitätsjahre brachten aber mit den Berufungen von Johann Gottlieb Fichte und Georg Wilhelm Friedrich Hegel lediglich neuen Schwung für die Philosophie. Das lag nicht an fehlender Wertschätzung des geistigen Vaters der Universität, Wilhelm von Humboldt, für die Mathematik, sondern in erster Linie an den wissenschaftspolitischen Verhältnissen der damaligen Zeit.

Um 1810 wurde die Welt der höheren Mathematik von Frankreich dominiert. Innerhalb der Pariser Stadtmauern lebten mehr hervorragende Mathematiker als im gesamten restlichen Europa. Das war vor allem der 1794 gegründeten Pariser École Polytechnique zu verdanken, die für ihre Ingenieur-Ausbildung gleichsam nebenbei erstklassige Mathematiker produzierte, während die Mathematik an den anderen europäischen Universitäten nie eine bedeutende Rolle gespielt hatte. Gleichzeitig ging die Ära der großen internationalen Akademien zu Ende. In den modernen Staaten legte man mehr Wert auf den nationalen Charakter der wissenschaftlichen Vereinigungen.

In dieser Situation versuchten der Geisteswissenschaftler Wilhelm von Humboldt und der Naturwissenschaftler Alexander von Humboldt gemeinsam, Carl Friedrich Gauß, einen der größten Mathematiker aller Zeiten, aus Göttingen nach Berlin zu berufen. Gauß ließ sich jedoch von dem durchaus attraktiven Angebot nicht verlocken und blieb in Göttingen.

Statt Gauß wurde Johann Georg Tralles (1763-1822) erster Mathematik-Professor an der neu gegründeten Universität, nachdem er bereits seit 1804 Mitglied der Akademie der Wissenschaften war. Tralles hatte einen guten Ruf als angewandter Mathematiker. Viele seiner Vorlesungen kamen jedoch nicht zustande, da er es (nach zeitgenössischen Berichten mit Absicht) verstand, die Studenten mit seinen Lehrmethoden abzuschrecken. Wilhelm von Humboldt fand den persönlichen Umgang mit ihm schwierig, konnte ihn aber für sein Anliegen gewinnen, Mathematiklehrer an den höheren Schulen zu fördern. Ab 1821 wirkte Martin Ohm (1792-1872), Bruder des bedeutenden Physikers Georg Simon Ohm, als Dozent sowie ab 1839 als ordentlicher Professor an der Universität. In einem seiner zahlreichen mathematischen Lehrbücher gebrauchte er 1835 zum ersten Mal die Bezeichnung »Goldener Schnitt« für die in der Architektur und Kunst gerne verwendeten harmonischen Streckenverhältnisse. Die Namen der ersten Mathematikprofessoren kennen heute aber nur noch spezialisierte Geschichtsforscher. In den ersten 20 Jahren ihres Bestehens hatte die Berliner Universität ihren Mathematikstudenten nicht viel zu bieten.

Das änderte sich erst, als Alexander von Humboldt 1827 endgültig aus Paris nach Berlin zurückkehrte. Der Naturforscher und Weltreisende machte mit seinen »Kosmos-Vorlesungen« in der Universität und – für ein breiteres Publikum – in der Singakademie die exakten Naturwissenschaften populär. »Berlin muss mit der Zeit … die erste Schule für transzendente Mathematik besitzen«, so lautete ein wesentliches Ziel seines wissenschaftsorganisatorischen Programms. Seine Anerkennung am königlichen Hof nutzte er, um junge mathematische Talente nach Berlin zu holen. Unterstützt wurde er dabei von dem Mathematiker und Ingenieur August Leopold Crelle, der sich ebenfalls für begabte junge Mathematiker engagierte. Da aber die Lehrstühle bereits mit mittelmäßigen Professoren besetzt waren, mussten sich die kreativen jungen Leute zunächst mit zweitrangigen Stellen begnügen. 1826 leistete Crelle der Mathematik in Deutschland einen weiteren unschätzbaren Dienst, als er eine (auch deutschsprachige) mathematische Zeitschrift gründete, die sich in kurzer Zeit zu einer der führenden mathematischen Zeitschriften der Welt entwickelte.

Alexander von Humboldt förderte engagiert und erfolgreich die Mathematik in Berlin.

Einer der ersten erfolgreichen Mathematik-Studenten an der Berliner Universität war Carl Gustav Jacob Jacobi, der nach seinem Studium 1825 promovierte und sich gleichzeitig habilitierte. Jacobi hielt anschließend nur für kurze Zeit Vorlesungen in Berlin, bevor er einen Ruf an die Universität in Königsberg annahm.

Dem Mathematiker Martin Ohm gehörte das Grundstück Nr. 2 in der Ohmgasse, die von 1827 bis 1895 Vorläufer dieser Straße war.

Eine richtungsweisende mathematische Phase in Berlin begann um 1830 mit Peter Gustav Lejeune Dirichlets Ankunft in der preußischen Hauptstadt. Der von Alexander von Humboldt in Paris entdeckte Dirichlet legte mit seinen Lehrveranstaltungen zum ersten Mal ein systematisches Vorlesungskonzept für die Mathematik vor. Er übte einen wesentlichen Einfluss auf einige seiner Studenten aus, die später berühmte Mathematiker wurden, wie Bernhard Riemann, Leopold Kronecker oder Gotthold Eisenstein. 1834 erhielt Dirichlet Unterstützung durch den Schweizer Geometer Jacob Steiner sowie zehn Jahre später durch den engagierten Jacobi, der aus Breslau als der »Hof-Mathematicus«m Friedrich Wilhelms IV. nach Berlin zurückkehrte. Diesem Trio brillanter Mathematiker war die zweite mathematische Blüte in Berlin zu verdanken.

Die Gründung der Berliner Universität im Zuge der preußischen Reformen während der Napoleonischen Besatzungszeit bedeutete auch eine gewaltige Umstellung für die Akademie. Alexander von Humboldt, der 1805 ordentliches Mitglied geworden war, hatte noch 1806 geurteilt: »Die Akademie gleicht einem Hospital, in dem die Kranken besser schlafen als die Gesunden.« Obwohl man kurz danach mit einem Reformkonzept begann, erhielt die nunmehr Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin genannte Institution erst im Jahr 1812 eine neue Satzung. Jede Klasse wurde von einem auf Lebenszeit ernannten »Sekretar« geleitet; die Sekretare wechselten sich turnusmäßig in der Gesamtleitung der Akademie ab. Bei der Wahl neuer Mitglieder war die Akademie weitgehend unabhängig. Die Abgrenzung zur Universität war schwierig, da sich diese nach dem von Wilhelm von Humboldt entwickelten modernen Bildungsprinzip nicht nur der Lehre widmen, sondern ebenso in der Forschung aktiv werden sollte. Daraus resultierte eine enge personelle Verflechtung zwischen der Universität und der Akademie: Fast alle Professoren an der Universität gehörten ebenfalls der Akademie an und die reinen Akademiemitglieder hielten auch Vorlesungen an der Universität. Da der durch die Kriegslasten beeinträchtige preußische Staat keine Sondereinrichtungen an der neu gegründeten Universität finanzieren konnte, musste die Akademie ihre eigenen Sammlungen und Institute (wie Observatorium, Botanischer Garten, naturwissenschaftliche Laboratorien) den Forschern an der Universität zur Verfügung stellen. Nachdem ihr Ende 1809 das Kalenderprivileg entzogen worden war, flossen die Gelder für die Akademie nun unmittelbar aus dem Staatshaushalt.

In einem weiteren Akademie-Statut von 1838 wurde beschlossen, die bisherigen vier Klassen auf zwei zu reduzieren, von denen die mathematisch-physikalische eine war. Die Akademie verstand sich weiterhin als »Gelehrtenclub«, in dem auch Forschung betrieben wurde. Als Aufgaben im neuen wissenschaftlichen Profil der Akademie wurden vor allem aufwändige langfristige Unternehmungen gewählt, die sich nicht mit denen der Universität überschnitten. So wurden zum Beispiel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Werke der Mathematiker Dirichlet, Jacobi und Steiner ediert.

Alexander von Humboldt machte mit seinen Kosmos-Vorlesungen in der Berliner Universität die Naturwissenschaften populär.

Das Gründungsjahr der Universität hatte auch eine weitreichende Bedeutung für die höheren Schulen, da es als Geburtsjahr des deutschen Oberlehrerstandes angesehen werden kann. Nachdem 1798 in Preußen das Abitur eingeführt wurde, wurde 1810 die erste deutsche Prüfungsordnung für das Lehramt an höheren Schulen in Kraft gesetzt.

DAS GOLDENE ZEITALTER DER MATHEMATIK

Der Hörsaal Nr. 3038 in der dritten Etage des HU-Hauptgebäudes Unter den Linden ist nach Karl Weierstraß benannt.

Das Jahr 1855 löste mit dem Tod von Gauß in Göttingen auch im mathematischen Berlin eine Reihe von Veränderungen aus. Dirichlet wurde zu Gauß’ Nachfolger ernannt und verließ Berlin. Aufgrund seiner Empfehlung wurde der ehemalige Oberlehrer und Breslauer Mathematik-Professor Ernst Eduard Kummer auf den freien Lehrstuhl berufen. Dieser wollte gerne den 41-jährigen Gymnasiallehrer Karl Weierstraß, der erst zwei Jahre vorher durch geniale Forschungsergebnisse in Erscheinung getreten war, als Kollegen nach Berlin holen. Da Weierstraß zugleich als Spitzenkandidat für Kummers Nachfolge in Breslau galt, empfahl Kummer einen seiner früheren Studenten für den dortigen Lehrstuhl. Der strategische Plan glückte, und Weierstraß wurde 1856 nach Berlin berufen. Ein weiterer Wunschpartner Kummers, nämlich Leopold Kronecker, war bereits 1855 als Privatgelehrter nach Berlin übersiedelt. Kurz nach dem Erscheinen dieser drei gelehrten Herren in Berlin brach das goldene Zeitalter der Mathematik in der preußischen Hauptstadt an, das mehr als drei Jahrzehnte fortbestehen sollte. Berlin verdrängte nicht nur innerhalb des deutschen Raumes Göttingen vom ersten Platz, sondern wurde das Zentrum der gesamten mathematischen Welt. Junge Mathematiker aus ganz Europa kamen nach Berlin, um hier zu studieren, da sowohl die Forschung als auch die Lehre erstklassig waren. Hätte irgendjemand 1810 bei der Gründung der Universität prophezeit, dass innerhalb eines halben Jahrhunderts die Berliner Mathematiker ihre französischen Kollegen überflügeln würden und dass die Berliner Universität die Pariser École Polytechnique als vorrangigen Ausbildungsort für junge Mathematiker ablösen würde, hätte man diese Idee für völlig absurd gehalten.

Dem Tafelbild nach zu urteilen beschäftigt man sich im Weierstraß-Hörsaal weiterhin mit mathematischen Themen.