Das Mitternachtsversprechen - Mascha Vassena - E-Book

Das Mitternachtsversprechen E-Book

Mascha Vassena

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Beschreibung

Turin 1948. Die drei Schwestern Teresa, Lidia und Aurora haben das im Krieg zerstörte »Caffè Molinari« ihrer Eltern wieder aufgebaut und führen es dank des geheimen Familienrezepts für Giandujapralinen zu neuem Glanz. Doch als die Journalistin Vera beinahe siebzig Jahre später nach Turin reist, um mehr über das Leben ihrer Großmutter Teresa zu erfahren, stößt sie hinter der traditionsreichen Fassade des Kaffeehauses auf ein schreckliches Geheimnis. Stück für Stück enthüllt sie das Rätsel um die Familie Molinari, bis sie zu dessen bitterem Kern vordringt ...

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www.piper.de

ISBN 978-3-492-97389-2

September 2016

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016

Covergestaltung und -motiv: Johannes Wiebel/punchdesign, unter Verwendung von pixabay.com

Datenkonvertierung: Kösel Media, Krugzell

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

Prolog

Sie wussten, dass sie nicht vom Weg abweichen durften. Wenn das Moor einen verschluckte, verschwand man auf Nimmerwiedersehen, so hatte Mutter es ihnen erklärt. Nimmerwiedersehen. Das Wort jagte Vera einen leichten Schauer über die Unterarme. Nimmerwiedersehen wurde ihr Name für das Moor, ihr eigenes, magisches Reich. Vi hielt sich nicht an Verbote, und Vera ließ sich jedes Mal überreden. Sie drangen nie sehr weit vor und kehrten um, wenn die dunkle Erde sich schmatzend an ihren Turnschuhen festsaugte. Doch es war nicht leicht, denn Nimmerwiedersehen lockte mit seinen bemoosten Baumstämmen, halb versunken in dunklem Wasser, mit seinem leisen Glucksen und Flüstern, mit Büscheln hüfthohen Grases, dessen Halme an den Handflächen kitzelten. Mücken wirbelten um sie herum wie goldener Staub. Vera hatte sie »Monaden« getauft, auch wenn sie nicht wusste, was das Wort bedeutete. Ihr Vater hatte es in einem Telefongespräch benutzt, dem sie vom Sofa aus im Halbschlaf gelauscht hatte. Monaden mussten eine Art Feen sein, und die winzigen Mücken, die von der Sonne vergoldet wurden, waren vielleicht genau das.

Sie jagten den winzigen braunen Fröschen nach, die man in die hohlen Hände schließen konnte und deren zarte Bewegungen auf der Haut kitzelten. Jetzt im Mai gab es Hunderte von ihnen, und sie sprangen wie Grashüpfer vor Veras und Violas Füßen auf.

Nimmerwiedersehen gehörte ihnen allein, es war ihr Geheimnis, das sie gemeinsam hüteten. Hier konnten sie so tun, als gäbe es nur sie beide auf der Welt, und gleichzeitig wussten sie hinter sich den Weg, der sie innerhalb einer Viertelstunde nach Hause zurückführen würde.

Sie folgten einem kleinen Bachlauf, der zwischen Moospolstern plätscherte und sie immer tiefer ins Moor führte, als sich plötzlich etwas veränderte. Vera blieb stehen. Sie wusste nicht genau, was es war, aber ein Rascheln ging durch die Sträucher, ein Schatten streifte kühl über ihre Arme, und als sie den Kopf wandte, kam es ihr vor, als huschte etwas aus ihrem Blickfeld.

»Vi«, sagte sie, »drehen wir lieber um.«

Vi war ihr mehrere Meter voraus und schien nichts bemerkt zu haben. Ihr blaues T-Shirt leuchtete zwischen den grünen Farnen.

»Vi!«, wiederholte Vera. Sie fröstelte und schlang die Arme um ihren Körper.

»Was ist denn?« Viola drehte sich um.

»Wir sind schon viel zu weit reingegangen.«

Vi verschränkte die Arme und knickte in der Hüfte ein. Die Kirschen an ihrem Haargummi leuchteten rot. »Hast du etwa Angst?«

Vera ging nicht darauf ein. »Ich hab noch Taschengeld«, sagte sie, »wir können uns in der Waldschänke ein Dolomiti holen.« Vi liebte Eis.

Aber so einfach wollte Viola nicht nachgeben. Sie kniff die Augen zusammen und überlegte einen Moment. »Das können wir später immer noch. Erst gehen wir auf Forschungsexpedition.«

Vera rührte sich nicht. Warum mussten sie immer alles so machen, wie es ihre Schwester wollte?

»Vi, ich dreh jetzt um!« Sie spürte, wie ihre Füße allmählich in den von Wasser durchtränkten Boden einsanken.

»Na, dann geh doch«, sagte Vi, die genau wusste, dass Vera sie nicht allein zurücklassen würde. Schon im Bauch ihrer Mutter waren sie zusammen gewesen, und bei der Geburt war Vera ihrer Schwester gefolgt wie seither überallhin. Aber dieses Mal nicht.

»Mache ich auch!« Als Vera sich umdrehte und begann, am Bachlauf entlang zurückzugehen, stieg ein helles Siegesgefühl in ihr auf. Sie hatte ungefähr zwanzig Schritte gemacht, da hörte sie hinter sich ihre Schwester rufen: »Warte auf mich!« Vera musste sich zwingen, nicht zurückzublicken.

»Na gut, wenn du unbedingt willst, holen wir uns eben ein Eis.« Vi konnte Dinge so sagen, als täte sie einem einen Gefallen, auch wenn es gar nicht so war.

Vera ging weiter, aber langsamer, sodass Vi sie einholen konnte. »Du zahlst aber.« Vi stieß sie mit dem Ellbogen leicht in die Seite.

Sie stiegen die Böschung hinauf, und Vera atmete erleichtert aus, als sie wieder auf dem Weg standen. Nimmerwiedersehen war ihr Reich, aber ob das auch die Wesen wussten, die dort lebten? Jetzt, wieder in Sicherheit, wurde das Schaudern zu einem wohligen Nachklang, während sich schon die Vorfreude auf das Eis in ihr ausbreitete. Bis zur Siedlung, deren Straßen die Namen von Bäumen trugen, war es nicht weit, und auf dem Weg zur Waldschänke am Ende des Fichtenwegs würden sie ihrer Mutter im Garten zuwinken können. Sie mussten nur den Waldweg hinuntergehen, noch einmal abbiegen, und fünf Minuten später wären sie am Haus von Frau Bartels, die in der Waldschänke als Bedienung arbeitete und ihnen manchmal ein Wassereis mit Kirsch- oder Waldmeistergeschmack umsonst gab.

Gedankenverloren trödelten sie vor sich hin, blieben immer wieder am Wegesrand stehen, um Gräser auszureißen oder nach frühen Walderdbeeren zu suchen. Die Zeit rollte sich zusammen, nichts schien sie zu drängen. Vera überließ sich dem köstlichen Gefühl, dass sie heil aus Nimmerwiedersehen zurückgekehrt waren und der Nachmittag erst in einer sehr fernen Zukunft in den Abend übergehen würde.

»Ich nehm ein Supercornetto!«, rief Vi, während sie auf einem Bein neben Vera herhüpfte.

»Ich glaub, bei dir piept’s!«, empörte sich Vera. Supercornetto kostete zwei Mark, Dolomiti nur sechzig Pfennige.

»Du hast gesagt, du bezahlst, jetzt musst du auch!« Vi hüpfte weiter, jeder Sprung eine kleine Explosion aus Staub und Schotterstückchen. »Ich hab aber nicht gesagt, dass du dir einfach irgendeins aussuchen darfst.«

»Du hast auch nicht gesagt, dass ich’s nicht darf, also darf ich’s!«

Vera befühlte die Münzen in ihren Shorts. Sie wusste, dass es zwei Mark achtzig waren. Wenn Vi das Supercornetto nahm und sie das Dolomiti, blieben nur noch zwanzig Pfennige. Die würden nicht mal mehr für ein Mini Milk reichen, und bis es wieder Taschengeld gab, waren es noch fast zwei Wochen hin. »Du kannst ein Ed von Schleck haben.«

»Nö-hö!«, sagte Vi im Rhythmus ihrer Hüpfer. »Versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen! Sonst bist du ein Lügner, und das erzähl ich morgen allen in der Schule.«

Vi konnte die beste Schwester der Welt sein, das war sie sogar meistens. Sie kam zu ihr ins Bett, wenn sie sich vor den Schatten fürchtete, die die Straßenlaterne an die Wand warf, und erzählte ihr die Geschichte von Jonathan und Krümel. Sie ließ Vera, die im Rechnen viel langsamer war, die Hausaufgaben abschreiben, und sie hatte niemandem erzählt, dass Vera in Stefan aus der Sechsten verknallt war. Aber sie musste immer recht haben, immer bestimmen, und wenn Vera nicht mitmachte, konnte sie richtig gemein werden. Egal, was Vera sagte, Vi hörte einfach nicht hin, sondern bestand darauf, dass alles so gemacht wurde, wie sie es wollte.

»Supercornetto Erdbeer«, sang sie jetzt beim Hüpfen und zog dabei das »Erdbeer« so sehr in die Länge, wie es nur ging. Und das war zu viel. Vera streckte den Arm aus und schubste ihre Schwester, so fest sie konnte. Es sah komisch aus, als Viola fiel, ein Bein seitlich von sich gestreckt, den Mund so weit aufgerissen, dass die breite Zahnlücke sichtbar wurde – das Einzige, worin sie sich unterschieden, denn Vera hatte beide Vorderzähne noch.

Mit einem hässlichen Knirschen schlitterte Vis Fuß durch die kiesdurchsetzte Erde und hinterließ eine helle Schneise, dann krachte sie auf die Seite und blieb liegen. Ihre Jeans war voller Dreck. Vi rührte sich nicht, und Veras Beine wurden ganz steif, als sie Vi so dort liegen sah, die Arme und Beine verrenkt. Doch dann bewegte sie sich, setzte sich auf, die Beine angewinkelt. Vera atmete aus. Sie entdeckte Abschürfungen an Vis Oberarm, wie eine rosa Landkarte, aus der winzige rote Perlen quollen. Vis Mund bebte, weil sie nicht vor ihrer Schwester weinen wollte, aber dann heulte sie doch los. Vera ging in die Hocke und wollte ihr über den Arm streichen, aber Vi schlug nach ihr, und sie kippte um. Spitze Steinchen bohrten sich in ihre Oberschenkel.

»Hau bloß ab!« Vis Gesicht zog sich hasserfüllt zusammen. »Eine blöde Kuh bist du, richtig oberblöd!«

Vera, die den Schubser schon bereut hatte, war auf einmal so wütend auf Vi, dass sie ihr nicht einmal mehr in die Augen blicken konnte. »Ist doch nicht meine Schuld, wenn du hinfällst, du blöde Kuh!« Sie stand auf und ging einfach weiter, während Vi hinter ihr herschrie: »Ich will überhaupt kein Eis von dir!«

Das war der letzte Satz, den Vera je von ihrer Schwester hörte.

Kapitel 1

Um fünf nach zwei wurde Vera nervös. Sie trat auf den vorderen Balkon und sah die Straße hinunter. Von Tom und Finn war nichts zu sehen. Sie ging in die Küche zurück und schenkte sich aus der Thermoskanne nach, obwohl sie keine Lust auf Kaffee hatte. Wenigstens lenkte es sie ab. Tom kam häufig zu spät, wenn er Finn zurückbrachte. Vera wusste das, und trotzdem wurde sie jedes Mal fahrig, wenn die beiden nicht zur vereinbarten Uhrzeit auftauchten. Draußen knatterte ein Motor, und Vera zuckte zusammen. Doch Tom konnte es nicht sein, denn seine alte Kawasaki EN 500 wummerte wie eine Heavy-Metal-Band.

Zehn nach zwei, der Kaffeebecher war leer, und sie stellte ihn in die Spüle. In ihrem Kopf spielten sich Szenen ab, die mit quietschenden Reifen, zerbeultem Blech, Blut und zerquetschten Knochen zusammenhingen, und es gelang ihr nicht, sie zu verdrängen. Nichts unternehmen zu können war das Schlimmste. Jede Minute dehnte sich wie ein krümeliges Gummiband, kurz bevor es riss. Sie klappte die Spülmaschine auf, räumte die Tasse hinein und klappte die Spülmaschine wieder zu, den süßsauren Geruch nach Essensresten immer noch in der Nase, als sie sich wieder aufrichtete.

Viertel nach zwei. Unwillkürlich ging sie in die Diele, öffnete die Wohnungstür und trat auf den Treppenabsatz. Sie lauschte kurz. Tom wusste, dass sie sich schnell Sorgen machte, aber er hatte noch nie Rücksicht darauf genommen. Irgendwann hatte Vera begriffen, dass er sich einfach nicht vorstellen konnte, wie es sich anfühlte, ständig mit dem Schlimmsten zu rechnen. Wenn sie selbst mit Finn einmal zu spät dran war, fiel es ihm meistens gar nicht auf, und falls doch, kam er nicht auf die Idee, besorgt zu sein. Auch als sie noch zusammen gewesen waren, hatte er sich nie Gedanken gemacht, wenn er Vera nicht hatte erreichen können. Vera beneidete ihn um diese Sorglosigkeit, gleichzeitig trieb sie sie in den Wahnsinn.

Vera hängte sich ihre Tasche um, lief – das Telefon in der einen, den Schlüsselbund in der anderen Hand – die drei Stockwerke nach unten und stellte sich auf den Bürgersteig. Weshalb kamen die beiden nicht endlich? Vera presste ihre Daumenkuppe auf die Spitze des Haustürschlüssels. Nebenan trat Christine aus ihrem Laden, einen Stapel bedruckter Ethnoschals im Arm. Sie grüßten sich, Vera machte eine Bemerkung über die leuchtenden Farben der Schals, und Christine erkundigte sich, wie es beim Sender lief. Dann begann sie, die Schals auf dem Auslagentisch aufzufächern, und Vera war wieder sich selbst überlassen. Sie sah auf ihr Telefon: Zweiundzwanzig nach zwei. Sie hätte längst auf dem Weg nach Hakenfelde sein sollen, wo ihre Eltern sicher schon mit dem Kaffee warteten.

Ein dumpfes Grollen wurde hörbar, näherte sich, dann hielt die Kawasaki vor Vera, und Finn glitt von seinem Platz hinter Tom. Seine Augen strahlten unter dem riesigen Jethelm hervor. »Wir sind total schnell gefahren, das war klasse!«

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