Das Möhrchen-Massaker - Berit Hullmann - E-Book

Das Möhrchen-Massaker E-Book

Berit Hullmann

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Beschreibung

Heul leise, Baby!

Von Abstauberbabys, Nicht-Stillerinnen und Möhrchenbreiexplosionen hat unsere Heldin noch nie gehört, als sie auf dem Teststäbchen die berühmten blauen Streifen entdeckt. Doch während ihr Bauch unaufhaltbar anschwillt, ahnt sie: Mutter werden ist nichts für Anfänger! Hals über Kopf stürzt sie in eine Welt von Neumamas und Supermuttis und stellt sich dabei tapfer allen Herausforderungen: Kind UND Kinderwagen die Treppe hinuntertragen (ohne einen Herzinfarkt zu bekommen), begeistert am nach Windeln müffelnden Pool beim Babyschwimmen zusehen – und der größten Mutprobe ihres Lebens: Das Baby dem Neupapa überlassen ...

Eine liebende Mama packt aus.

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Seitenzahl: 317

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Buch

Dies ist das perfekte Begleitbuch für alle Schwangeren und jungen Eltern, aber auch große Unterhaltung für alle, die einfach mal wieder herzhaft lachen wollen! Hanna, eine junge Frau, berichtet darin selbstironisch aus ihrem Alltag während ihres ersten Jahres als Mutter. Und der hält einige Aufregung für sie bereit, zum Beispiel Zwiemilch, Rückbildungsgymnastik, Beikost und Babyschwimmen. Im Elterntreff macht die Protagonistin Bekanntschaft mit der Supermutti Heike, die alles weiß, strikt gegen das Impfen ist und Hanna vor allem das Gefühl gibt, immer etwas falsch zu machen. Neben ihrem Baby muss Hanna aber auch die überschwänglichen Neu-Großeltern unter Kontrolle halten, geht zur Spielgruppe und gründet einen supermuttifreien Muttistammtisch. Als Hanna sich gerade an die Elternzeit gewöhnt hat, kommt der Anruf vom Chef: Sie soll schnellstmöglich zurück zur Arbeit kommen. Jetzt steht ihr die größte Herausforderung bevor: ihr Baby dem Papa zu überlassen und sich am Schreibtisch auf die Arbeit zu konzentrieren …

Autorin

Berit Hullmann, geboren 1981 in Essen, studierte Germanistik und Kommunikationswissenschaft und arbeitet als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Während ihrer ersten Schwangerschaft gründete sie den Blog »Babyleaks«, der begeistert aufgenommen wurde und unter anderem Blog-Liebling der Brigitte-Mom-Redaktion und »Blog der Woche« bei nido.de war. Berit Hullmann ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Besuchen Sie Berit Hullmann auch auf babyleaks.net.

Besuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvaletund www.twitter.com/BlanvaletVerlag.

Berit Hullmann

Das Möhrchen-Massaker

Eine Mama packt aus

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden.

Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen

wäre rein zufällig.

1. Auflage

Originalausgabe Juli 2015 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Copyright © 2015 by Blanvalet Verlag, in der

Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Umschlagmotive: © Shutterstock/Ralf Beier (2); Shutterstock/Olga Bogatyrenko

Redaktion: Rainer Schöttle

ES · Herstellung: AM

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-15817-0

www.blanvalet.de

Prolog – Einleitung, Hauptteil, Baby – »Weißt du noch – heute vor einem/drei/acht/achtzehn Jahren?«

So beginnt alljährlich in den meisten Familien das Geburtsmärchen. Die Eltern blicken sich versonnen an, und das Kind verdreht spätestens ab dem achten Geburtstag die Augen. Egal, so will es nun mal die Familientradition. Die Geburtsgeschichte wird erzählt, egal wie oft man sie schon gehört hat und obwohl das Ende bekannt ist. In der Regel sitzt es ja sogar mit am Tisch.

Am Vorabend des 25. Oktober, dem ersten Geburtstag unserer Tochter Anna, wollten auch Tom und ich unsere Erinnerungen auffrischen, die Geburtsgeschichte einstudieren und auswendig lernen. Immerhin wollten wir beide sie wortgleich bei der Premiere (ebenso wie bei allen künftigen Kindergeburtstagen) zum Besten geben können.

Als unsere fast Einjährige schlief, holte ich zwei Rotweingläser aus dem Schrank, goss Tom und mir einen Bordeaux ein und begann die Generalprobe mit: »Weißt du noch? Vor einem Jahr?«

»Natürlich weiß ich das noch. Es passierte: nix«, sagte Tom.

Recht hatte er. Vor genau einem Jahr hätte unsere Tochter das Licht der Welt längst erblickt haben sollen, doch offenbar hatte sie nicht die geringste Lust dazu.

Leider hatten wir keine spektakulär in der Öffentlichkeit oder auf einer teuren Ledercouch geplatzte Fruchtblase im Geschichtenrepertoire. Weder einen ultrawichtigen Termin, von dem Tom wegen akuten Weheneinsatzes abberufen werden musste, noch eine Freundin, die zum Kaffee vorbeigekommen war und bei der Sturzhausgeburt Hebamme spielen musste.

Wir hatten nichts von alledem.

Obwohl wir unserer Tochter den Geburtstermin mehrfach mitgeteilt hatten, ignorierte sie ihn einfach. Anna hatte es sich in meinem Bauch schön gemütlich eingerichtet und feierte mit Mutterkuchen und Fruchtwasser ihre eigene Party.

Zehn Tage nach dem errechneten Geburtstermin hatten nicht nur wir Eltern genug von der Warterei, sondern auch die Mediziner.

Da jede gute Story eine anständige Einleitung braucht, beginnt die Geschichte unserer Tochter mit zehn Tagen Verspätung und der Einleitung der Geburtswehen. Im Hauptteil gab es ordentlich Schmerz und Blut, und am Ende lagen sich alle in den Armen.

»Wenigstens muss unsere Familie morgen nicht so lange auf den Kuchen warten«, sagte Tom. »Unsere Story ist schnell erzählt: Wir haben einen Termin bekommen, bei dem du dann erst eine Tablette und dann ein Baby gekriegt hast. Happy End.«

Für mich war die Sache damit jedoch noch nicht erledigt. Anna hatte uns so sehr auf die Folter gespannt. Alle zwei Tage musste ich zum Frauenarzt, um kontrollieren zu lassen, ob sie tatsächlich noch in meinem dicken Bauch war und ob es ihr da drinnen gut ging, aber rauskommen wollte sie nicht.

Weil Anna so getrödelt hatte, sann ich auf Rache. Ich nahm mir vor, bei jedem sich jährenden errechneten Geburtstermin die Geschenke auf den Tisch zu stellen, eine Decke darüber zu werfen und zu meinem Kind zu sagen: »Du darfst alle zwei Tage gucken, ob sie noch da sind. Aber ausgepackt wird erst am Geburtstag!«

Kapitel 1 – Zwei blaue Streifen

»Hanna, aufwachen! Heute ist dein großer Tag«, sagte mein Freund Tom und brachte mir einen Kaffee ans Bett.

Beim Blick aus dem Fenster sah der Tag jedoch nicht aus, als könne er ein großer werden. Es war noch dunkel, und es regnete. In den Sieben-Uhr-Nachrichten kündigte die Radiosprecherin einen nasskalten Februarmontag an. Nicht mal Toms Fürsorge machte die Aussichten besser, denn von dem Kaffeegeruch wurde mir schlecht, und ich stürzte ins Bad. Im Bett oder auf dem Badezimmerteppich liegen bleiben konnte ich aber nicht. Nicht an diesem Morgen. Zwei Vomex mussten den Tag und damit meinen Job retten.

»Es geht um alles«, hatte Herr Thelen gesagt. Mein Chef Nummer eins sagte ständig »Es geht um alles« oder »Jeder Pitch könnte der letzte sein«. Chef Nummer zwei, Herr Rose, sagte meistens nichts.

Um genau 08:35 Uhr hielt ich meine KeyCard vor den Summer der ehemaligen Maschinenhalle, die sich heute Industrie-Loft nannte und die PR-Agentur beherbergte, für die ich arbeitete. Als ich mit dem Schirm in der einen und dem in eine Plastiktüte eingewickelten Laptop in der anderen Hand die Tür aufdrückte, schlurfte Agentursekretär Marvin auf Socken und mit einer Tasse Kaffee über den Flur.

»Da habt ihr euch ja einen tollen Tag für den großen Auftritt ausgesucht«, begrüßte er mich. »Meine Schuhe sind völlig durchnässt. Wenn das mal keine Erkältung gibt.«

»Ich glaub, ich werde auch krank. Ich schau nur kurz in mein Postfach, dann bin ich weg. Ich fahre mit dem Smart. Ist Nina schon da?«

»Ach ja, die hat eben angerufen, steht im Stau. Sie wartet vor Ort auf dich.«

Vor Ort war bei Möbel-Manni.

Möbel-Manni war ein regional bekannter Möbelmogul, der in drei Megastores Wohnungseinrichtungen verkaufte, mit der jeder seine eigenen vier Wände optisch in ein Edelbordell verwandeln konnte. Möbel-Manni hatte sich an meine Chefs gewandt, denn er wollte expandieren und im Zuge dessen auch »mal öfter gute Presse. Und ins Internet.«

»Ü-ber-haupt kein Problem für uns«, hatte Thelen gesagt. Rose hatte genickt und Praktikantin Nina und ich hatten gearbeitet. Wochenlang planten wir, Manni mit einer neuen Website, einer ausgeklügelten Social-Media-Strategie, dem Kundenmagazin Mannis Welt, Testimonials aus der Schlagerszene und »Miss-Manni-Wahlen« groß rauszubringen.

Die Früchte dieser Arbeit wollte ich mir von ein bisschen Übelkeit nicht nehmen lassen. Nina und ich hatten nächtelang Ideen gesammelt, die Präsentation ausgearbeitet und in zueinander passende, aber nicht abgesprochen aussehende Outfits investiert – der komplizierteste Teil des gesamten Auftrags. Unser Plan war, als Duo aus Seriosität (ich) und Attraktivität (Nina) bei Manni die volle Punktzahl zu erreichen und so den Pitch für Thelen & Rose Communications zu gewinnen.

Während ich an diesem Morgen meinen Magen geleert hatte, musste Nina noch beim Friseur gewesen sein. Mit extrem hochtoupierten Haaren und auf extrem hohen Absätzen stöckelte sie über den Parkplatz von Mannis Möbelhaus auf mich zu. So kurz hatte ich ihren Rock gar nicht in Erinnerung.

»Ich hab ihn noch ein Stück kürzen lassen, ich dachte, das passt besser zum Kunden«, erklärte sie ihren Aufzug. Offenbar hatte sie meinen Blick bemerkt.

Mir war alles recht, was die Aufmerksamkeit von mir ablenkte.

Kurz darauf standen Nina und ich im vollverglasten Konferenzraum in der vierten, der Chefetage des Möbelcenters, mit Ausblick auf den grauen Regenhimmel über dem Gewerbegebiet, dessen einziger Farbtupfer an diesem Morgen Mannis Leuchtreklame war. Uns gegenüber saßen Manni und drei Abteilungsleiter. Sie hatten anscheinend alle eine Solarium-Flatrate, die sie voll ausnutzten, eine Vorliebe dafür, helle Anzüge mit Goldschmuck zu kombinieren, und etwas zu schwarz gefärbte Haare. Nur Manni trug ein apricotfarbenes Sakko und blonde Strähnchen und war eindeutig als Alphalöwe des Rudels zu erkennen.

Herr Thelen hatte mal erzählt, dass er Manni noch »von früher« kenne. Ich fragte mich, was die beiden früher zusammen gemacht hatten. Zumal Nina sicher war, »mal irgendwo gelesen« zu haben, dass Möbel-Mannis Geschäftsmodell auf einem Missverständnis basierte: Angeblich hatte er ein paar Etablissements im Rotlichtmilieu betrieben, in denen auch einiges an Drogengeld zusammenkam. Irgendwann kaufte er ein Billigmöbelhaus zur Geldwäsche. Aber der Laden lief so gut, dass er ein seriöser Möbelhausmanager wurde und die Dealer- und Zuhälterkarriere, nicht aber den Zuhälter-Look an den Nagel hängte.

»Die Verkäuferinnen waren alle mal ›seine Mädchen‹«, hatte Nina mit weit aufgerissenen Augen und in die Luft gemalten Anführungszeichen berichtet.

Bei der letzten Folie meiner PowerPoint-Präsentation wurde mir etwas schwummerig, und ich hoffte, dass niemand Fragen stellen würde. Ich hatte Glück, Manni stand als Erster auf und die komplette Ludenriege kam zu uns und schüttelte uns die Hände.

»Gute Arbeit, meine Damen, gute Arbeit! Ich denke, da kommen wir zusammen.«

Als Manni mir kumpelhaft und etwas zu fest auf die Schulter schlug, konnte ich nur mit großer Mühe und einem gequälten Lächeln knapp verhindern, dass ich ihm und seiner Entourage auf die Slipper kotzte.

Auch der Abend verlief anders als sonst. Normalerweise bin ich sehr streng zu mir, was das Abschminken und Zähneputzen angeht. Selbst todmüde oder sehr betrunken oder todmüde und sehr betrunken schaffte ich es, diesen Pflichten gegenüber meiner Haut und meinem Bettnachbarn nachzukommen. Nicht so an jenem Abend.

»Ich bin gespannt, wie es gelaufen ist. Erzähl mal«, hörte ich Tom noch aus der Küche rufen, begleitet vom Ploppen des Korkens und dem Gluckern des Bordeaux, der in die Gläser lief.

Ich sah noch verschwommen, wie Tom mit zwei Gläsern Rotwein um die Ecke kam, hörte dumpf die Tagesschau-Melodie einsetzen und fiel mit ungeputzten Zähnen und verschmierter Wimperntusche in einen traumlosen Tiefschlaf.

Am nächsten Morgen brachte Tom mir den Kaffee an die Couch, und der roch wieder komisch. Also der Kaffee. Und nicht nur der zu Hause, auch der im Büro. Allein die Andeutung von Kaffeeduft löste bei mir einen Würgereflex aus. Schlimmer war es nur, wenn Herr Thelen von seiner Zigarettenpause direkt in unser Büro kam, sich auf meinen Schreibtisch setzte, sich zu mir herüberlehnte und »Zeigen Sie mal schnell die Präsentation« sagte.

Die ganze Woche lang gaben sich Übelkeit am Morgen und Müdigkeit ab dem späten Nachmittag den Staffelstab in die Hand.

Die Müdigkeit war bleiern und unbesiegbar.

»Dieser Typ und seine Puffmöbel haben dich ja ganz schön mitgenommen«, sagte Tom am Freitagabend der ersten Übelkeitswoche. »Morgens keinen Kaffee, abends keinen Rotwein. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du bist schon schwanger.«

»Nee, ich muss mich nur von Mannis Leopardensesseln mit den Hartplastikfüßen erholen. Und nicht jeder, der mal auf dem Sofa einschläft, ist gleich schwanger«, sagte ich. Etwas zu zickig, aber überzeugt. Das konnte gar nicht sein. Noch nicht. Also theoretisch schon. Aber nein. Ich hatte einfach nur zu viel gearbeitet, und das ewige Regenwetter schlug mir aufs Gemüt.

»Unterschätz meine Fruchtbarkeit mal nicht«, sagte Tom und ließ mich noch ein wenig schlafen.

Leider stand noch eine Party an, und zwar nicht irgendeine. Meine allerliebste Freundin Jenny wurde dreißig. Wenn ich da nicht auftauchen würde, wäre ich die längste Zeit ihre allerliebste Freundin gewesen, nämlich seit jenem Sommertag vor fast siebenundzwanzig Jahren, an dem sie mich im Kindergarten erst von der Rutsche schubste, weil ich mich nicht herunter traute, und dann ihr Calippo Kirsch mit mir teilte. Um 22:00 Uhr weckte Tom mich und sicherte so meine Freundschaft zu Jenny für hoffentlich mindestens weitere siebenundzwanzig Jahre.

Jenny begrüßte mich sehr charmant mit: »Na endlich! Du siehst ja furchtbar aus!«

»Danke. Du zum Glück nicht. Also, herzlichen Glückwunsch«, erwiderte ich.

Im Erker von Jennys und Bens riesigem Wohnzimmer stand ein DJ an seinen Plattentellern und legte gerade Jennys Motown-Lieblingslieder auf. In einer anderen Ecke verteilte ein braungebrannter Barkeeper im Muskelshirt an einer Pop-up-Eisbar bunte Cocktails an die Gäste. Jenny zog Tom und mich an die Bar und bestellte drei Caipirinha.

»Cool, ne? Hat alles Ben organisiert. In der Küche ist ein Buffet aufgebaut. Ein Student mit Kochjacke packt dir alles auf den Teller. Es gibt sogar California Rolls. Super, wenn man erwachsen wird und nicht mehr alle ihre zerkratzen CDs und Omas Kartoffelsalat mitbringen müssen, was?«

Ich war in der Tat beeindruckt von dieser Party, aber die Mischung aus schlechter Luft, Parfum, Schweiß und Alkoholatemduft machte die Übelkeit nicht besser.

Hatte Tom etwa Recht mit seiner Vermutung? Schwanger? Ich? Die Pille hatte ich ein paar Wochen zuvor abgesetzt. Tom und ich waren gerade mal ein Jahr zusammen. Doch die biologische Uhr tickte sehr laut. Allerdings nicht meine, sondern seine.

Ein Jahr zuvor hatte er mich mit seinem schiefen, aber irgendwie süßen Grinsen über die Theke unser Lieblingsbar hinweg angegrinst, und dann war alles ganz schnell gegangen. Natürlich hatte er das Ich-bin-ein-unnahbarer-und-ultracooler-aber-im-tiefsten-Inneren-sehr-sensibler-Einzelgänger-und-viel-zu-freiheitsliebend-und-nachdenklich-für-ein-Familie-Getue erst mal eiskalt durchgezogen. Ungefähr eine Woche lang. Danach rief er täglich an und verhielt sich so, dass jede Frauenzeitschrift ihm wegen Unwürdigkeit das Abo verweigert hätte. »Im Bad steht eine neue Zahnbürste für dich.« – »Ich hab dir einen Schuhschrank gekauft, damit nicht immer alle Schuhe im Flur rumliegen.« – »Du bist sowieso ständig bei mir, zieh doch einfach ein.«

Kaum standen nicht nur meine Schuhe in dem neuen Schrank, sondern auch mein Name an der Tür, wollte er auch noch ein Baby. Ständig blickte er mich mit seinen großen blauen Augen an, grinste sein Tom-Grinsen und fragte: »Wann kriege ich denn mein Baby? Wann sind wir endlich eine Familie?«

Ich hielt seinem Kinderwunsch-Dackelblick etliche Monate lang stand. An unserem ersten Jahrestag beschlossen wir dann (auf seine Initiative hin), dass ich die Pille absetzte und wir einfach guckten, ob es klappen würde mit dem Baby.

»Ich hab das gegoogelt. Wenn man so lange die Pille genommen hat, geht das nicht so schnell. Bei den meisten Frauen dauert es eine ganze Weile, bis sich alles wieder eingependelt hat«, hatte Tom behauptet.

Dass sich die Schwangerschaft einfach so nahtlos an die Pillenzeit anschließen würde, konnte ich mir auch nicht vorstellen. Ich war mir sicher, dass ein fünfzehn Jahre lang von der Pille fremdgesteuerter Zyklus seine Zeit brauchte, um sich ohne die tägliche Hormondosis zurechtzufinden.

Jenny hielt mir den Cocktail unter die empfindliche Nase, und das holte mich aus meinen Schwangerschaftsüberlegungen. »An deinem Dreißigsten warst du aber fröhlicher. Trauerst du unserer Jugend hinterher? Trink mal was.«

Am Caipirinha merkte ich, dass Morgenübelkeit durchaus auch abends auftreten konnte. Trotzdem sagte ich: »Danke, Liebes, ich hatte eine stressige Woche. Auf dich!« Ich tat so, als würde ich am Glas nippen, und war froh, dass Jenny schon zu betrunken war, um weiter nachzufragen und zur Stimme von Marvin Gaye in der Gästeschar verschwand.

Der Gedanke, in ein paar Monaten vielleicht ein Baby zu bekommen, löste das erste Mal im Leben bei mir den Gedanken an einen vernünftigen Umgang mit Geld aus. »Schatz, du kannst ruhig was trinken, ich fahre«, sagte ich zu Tom.

Das Taxigeld wollte ich sparen. So ein Kind sollte ja alles andere als günstig sein.

Am nächsten Tag war Tom total verkatert und ich früh im Bad – wegen akuter morgendlicher Übelkeit.

Tom schlurfte hinter mir her und fragte: »Was ist denn bloß los mit dir? Haben wir noch Aspirin?«

Mehr als einen Fingerzeig zum Badezimmerschrank und ein rasches »Habmirdenmagenverdorben« brachte ich vor dem nächsten Übelkeitsschwall nicht heraus.

Das reichte ihm zum Glück als Antwort. Er drückte die letzten beiden Kopfschmerztabletten aus der Packung, schluckte sie ohne Wasser hinunter und verschwand wieder im Bett.

Konnte das tatsächlich Schwangerschaftsübelkeit sein?

Die Übelkeit war anders als bei einem verdorbenen Magen. Sie kam nicht plötzlich, kurz und heftig, sondern war seit immerhin fast einer Woche mein unterschwelliger, aber ständig lauernder und zum Zuschlagen bereiter Begleiter. Wenn ich morgens wach wurde, saß sie schon auf der Bettkante und wich mir bis zum Nachmittag nicht von der Seite.

Vielleicht hatte die Natur das schlau eingerichtet: Alles, was ich besonders eklig fand, konnte nicht gut für einen Körper sein, in dem gerade ein anderer Körper heranwuchs: Allein der Geruch von Kaffee, Alkohol oder Zigaretten ließ mich vor Ekel erschaudern bis erbrechen, und ich fand es völlig unvorstellbar, irgendwas davon jemals mit Genuss konsumiert zu haben.

Mit Kaffee versuchte ich es daher erst gar nicht, sondern mit Kräutertee und frischer Luft. Mein kurzer Morgenspaziergang führte mich zur Apotheke. Ich bestellte eine Großpackung Aspirin für den verkaterten Tom und so beiläufig wie möglich einen Schwangerschaftstest, den ich gut getarnt in die Apotheken-Umschau eingewickelt nach Hause trug.

Die Anleitung war denkbar einfach: draufpinkeln, abwarten, Ergebnis ablesen. Zwei Linien: schwanger, eine Linie: nicht schwanger.

Ich wollte warten, bis Tom wach wurde, damit wir den Test gemeinsam machen konnten. Aber dann fiel mir ein, dass es vielleicht gar nicht so romantisch war, wenn er mir dabei zuguckte, wie ich auf den Teststreifen pinkelte. Also machte ich den Test allein.

Nach 0,2 Sekunden erschienen im Kontrollfenster zwei blaue Streifen. Schütteln. Immer noch zwei. Aber man sollte drei Minuten warten. Die Gelegenheit, sich mal wieder gründlich die Zähne zu putzen. Nach drei Minuten hatte ich Zahnfleischbluten und immer noch zwei blaue Linien. Noch mal schütteln. Es waren zwei sehr robuste blaue Streifen.

Sollte ich noch einen Test machen?

Obwohl ich sie nicht danach gefragt hatte, hatte die Apothekerin mir versichert, dass man sich auf das Testergebnis verlassen könne und ich, egal wie es ausging, nicht nachmittags zur Notapotheke fahren müsse, um weitere Tests durchzuführen.

Das Geld für einen zweiten Test sparte ich also auch. Zusammen mit dem Taxigeld vom Vortag kamen bei meiner neuen Lebensweise schon ein paar Babystrampler herum, und ich nahm mir vor, eine Spardose für diesen ungewohnten Reichtum zu kaufen. Eine Spardose für mein Baby.

Ein schöner Gedanke. Und zugleich ein bisschen beängstigend. Nein, sogar sehr beängstigend. Wenn das stimmte, gab es kein Zurück mehr. Die beiden Streifen starrten mich aus ihrem Kontrollfenster an, als wollten sie sagen: »Glaub es einfach. Wir sind echt. Du kriegst ein Baby.«

Tom würde ausflippen vor Freude. Oder?

In der Theorie ist so ein Kind ja was Tolles. Bekam er am Ende vielleicht doch noch kalte Füße?

Ich wollte ja auch immer ein oder mehrere Kinder. Das Kinderkriegen hatte in unserer Familie eine lange Tradition. Schon meine Ur-Ur-Großeltern sollen viele Kinder gehabt haben. Bis zu meinen Eltern hatte der Trend etwas nachgelassen, aber sich zumindest bis zum Zweitkind in Form meiner Schwester Christina durchgesetzt. Während mein Großvater noch elf Geschwister hatte und meine Eltern immerhin noch jeweils zwei, würde unser Kind mit Christina gerade mal eine blutsverwandte Tante haben. Die müsste dann alle selbst gemalten Bilder in ihrer Wohnung aufhängen. Konnte ich ihr das antun? Na ja, bis es malen könnte, würde es wohl noch dauern. Ob es jemals malen könnte, wagte ich angesichts meines Talents ohnehin zu bezweifeln.

Als Fazit des Morgens konnte ich verbuchen: Auch eine geplante Schwangerschaft kam überraschend.

Ich war überrascht darüber, überrascht zu sein, denn das Baby war von langer Hand und der ganzen Familie geplant worden.

»Weißt du noch, heute vor dreißig Jahren?«, hatte mein Vater gesagt und meiner Mutter eine Hand aufs Knie gelegt, als wir an meinem Dreißigsten in ihrem Garten saßen. Meine Schwester und ich wechselten einen angeekelten Blick, wie immer, wenn unsere alten Herrschaften sich verhielten, als seien sie nicht nur unsere Eltern, sondern ein normales Paar, das eine kinderlose Vergangenheit hatte. Die beiden blickten sich versonnen an, und ich verdrehte die Augen, aber Tom wollte wissen, was sich an einem heißen Julitag dreißig Jahre zuvor ereignet hatte.

Ich hatte die Geschichte schon neunundzwanzig Mal gehört und ging ins Haus, um noch eine Kanne Kaffee zu kochen. Als ich mit der Thermoskanne in der Hand zurückkam, schloss meine Mutter gerade mit dem üblichen Satz: »Ich galt ja damals als spätgebärend. Mit Mitte zwanzig!«

Wieder verdrehte ich die Augen, und meine Mutter erhöhte den Druck: »An meinem Dreißigsten warst du längst im Kindergarten. Und Christina hatten wir auch schon.«

»Tut ihnen doch endlich den Gefallen und schenkt ihnen ein paar Enkelkinder«, half meine Schwester nach. »Ich pass auch gerne auf meine Nichten und Neffen auf. Worauf wollt ihr denn noch warten? Tom wäre bestimmt ein guter Vater, mit dir ist er ja auch immer so geduldig.«

»Außerdem ist er Beamter, da hast du Sicherheit«, fügte meine Mutter hinzu.

»Siehst du«, sagte Tom und grinste sein Tom-Grinsen.

Bei meinen Eltern tickte offenbar auch die biologische Uhr. Das konnte ich gut verstehen. Sie hatten die Rente im Blick und Angst, sich miteinander langweilen zu müssen.

Kurz nachdem meine Familie Tom als Vater der nächsten Generation eingeplant hatte, schöpfte ich den Verdacht, dass sie meinen Gynäkologen mit ins Boot geholt hatten.

Oder das Familienministerium hatte eine Richtlinie erlassen, die alle Gynäkologen zwangsverpflichtete, kinderlose Frauen ab dreißig nach ihrem Kinderwunsch zu fragen und sie damit dezent auf ihre gesellschaftlichen Pflichten hinzuweisen.

Eine Routinekontrolle stand an, und nach der Untersuchung bot der Arzt mir einen bequemeren Stuhl an, tippte etwas in seinen Computer, rückte seine Brille zurecht und fragte: »Wie sieht es eigentlich mit Ihrer Familienplanung aus?«

Der auch noch, dachte ich. Ich war gerade erst bei Tom eingezogen und wollte eigentlich noch ein bisschen mit ihm alleine sein. »Pläne gibt es. Die liegen aber noch mit Topsecret-Vermerk versehen in meiner Nachttischschublade«, erklärte ich ihm. Mit ein paar Pillenstreifen wollte ich mir etwas Zeit kaufen, um an den Plänen zu feilen, bis sie umsetzungsreif waren.

»Körperlich spricht bei Ihnen nichts gegen eine Schwangerschaft«, versicherte er mir ganz galant, ohne auf mein gebärfreudiges Becken zu sprechen zu kommen.

Oder hatte er mit seinem geschulten Gynäkologenblick einfach nur meine eins-a-Gebärfähigkeit entdeckt und wollte diese nicht ungenutzt in die Wechseljahre ziehen lassen?

Es schien ihm ernst zu sein. Er schob mir zwar das unterschriebene Pillenrezept zu, aber darauf lag ein kleines Döschen, das aussah wie eine blickdichte TicTac-Packung. »Das ist Folsäure. Wenn Sie meinen, dass Ihr Kinderwunsch konkreter wird, setzen Sie die Pille ab und nehmen die hier. Damit bereiten Sie Ihren Körper optimal auf die Schwangerschaft vor. Folsäure ist in den ersten Wochen besonders wichtig, sie beugt Fehlbildungen beim Fötus vor.«

Auf der Packung stand: »Bei Kinderwunsch und bis zum Ende der zwölften Woche.« Ich versteckte das Döschen in der hintersten Ecke des Badezimmerschrankes und schaute ab und zu drauf, um mich langsam mit dem Gedanken anzufreunden, in absehbarer Zeit schwanger zu werden.

So ganz angefreundet fühlte ich mich noch nicht, als ich auf dem Badewannenrand saß und die blauen Streifen in ihrem Kontrollfenster anstarrte. Ich kam mir vor wie eine unaufgeklärte Bravo-Leserin, die verzweifelt an Dr. Sommer schrieb, um das Offensichtliche bestätigt zu bekommen. Wenn man die Pille nicht nahm, konnte man (weitere Gelingensbedingungen vorausgesetzt) schwanger werden. Da schien was dran zu sein. Die blauen Linien sprachen für sich.

Kapitel 2 – Die Verkündigungsperformances

Der positive Schwangerschaftstest bedeutete vor allem eins: Ich musste eine Verkündigungsperformance einstudieren.

Viele Frauen haben eine genaue Vorstellung davon, wie sie dem Partner die frohe Botschaft überbringen, wenn es denn mal so weit ist. Plötzlich war es ausgerechnet bei uns so weit, und ich hatte nichts vorbereitet.

In der Werbung für Eisprungtests holt die frisch aussehende Schwangere beim gesunden Sonntagsfrühstück in einer sonnendurchfluteten Maisonette-Wohnung entweder Babyschühchen oder ein Ultraschallbild hervor. Der gutaussehende Mann versteht sofort, dass der auf den Tag genau geplante Geschlechtsverkehr erfolgreich war, hebt die noch schlanke Frau hoch und wirbelt sie mit einer Kein-Problem-Baby-ich-sorg-für-euch-Attitüde durch die Luft.

Nur wo sollte ich an diesem nebligen Februartag Sonne, Maisonette und frisches Aussehen herbekommen? Ganz zu schweigen von dem Ultraschallbild. Es war Samstag und mein Frauenarzt war bestimmt in seinem Wochenendhäuschen. Vielleicht sollte ich ins Krankenhaus fahren? Die würden sicher verstehen, dass ich dem werdenden Vater etwas mehr Beweismaterial bieten musste als einen uringetränkten Teststreifen.

Ich lud eine Schwangerschafts-App auf mein Handy. Nach Analyse meiner Eckdaten zeigte diese an: fünfte Woche. Zu früh für ein Ultraschallbild. Also nicht ins Krankenhaus. Die Verkündigung musste ohne Requisite stattfinden.

Der Schwangerschaftsverursacher musste aufstehen. Er sollte mir bitte huldigen und mich durch die Luft wirbeln.

Ich schlich ins Schlafzimmer.

»Schatz, bist du wach? Ich muss dir was sagen!«

»Wie spät ist es? Was ist los?«, murmelte er im Halbschlaf und zog sich die Decke über den Kopf.

»Kurz vor zwölf. Ich bin schwanger.«

»Cool!«, antwortete er. »Ich hab doch gesagt, du sollst meine Fruchtbarkeit nicht unterschätzen«, grinste er sein Tom-Grinsen – und schlief einfach weiter.

Das war nicht gerade ein Seifenoper-Moment.

Als die Auswirkungen des Katers nachließen, freute Tom sich zwar noch angemessen, allerdings ohne mich durch die Luft zu wirbeln.

In den folgenden Tagen konnte ich an dem Bald-Vater meines Erstgeborenen und, wenn es nach mir ginge, auch aller danach Geborenen beobachten, dass es offenbar keinen größeren Männlichkeits-Booster gab als ein selbst gezeugtes Kind. Er schien tatsächlich ein paar Zentimeter zu wachsen und endlich an die 1,85 Meter heranzureichen, die ich ursprünglich für den Vater meiner Kinder als Mindestmaß vorgegeben hatte (wobei ich mit den Jahren immer kompromissbereiter geworden war). Sein Gang wirkte aufrechter und seine Brust breiter, sein Tom-Grinsen überlegen. Auch wenn es dafür zu spät und seine DNA bereits verteilt war, er wollte wohl keine Haltungsschäden oder mangelndes Selbstbewusstsein vererben.

Es fehlte nur noch, dass mein Tom um mich herumtanzte wie Tom Hanks in Cast Away ums selbst entfachte Feuer und rief: »Ich habe ein Baby gemacht!«

Nach dem Schwangerschaftstest wollte ich es möglichst schnell schwarz auf weiß, nicht nur blau auf weiß. Ein Ultraschallbild wäre schön, aber ein ärztliches Gutachten hätte mir auch gereicht. Also rief ich am folgenden Montag in meiner Frauenarztpraxis an. Auch dort behauptete die Sprechstundenhilfe, es sei viel zu früh für einen Ultraschall.

»Sie können aber gerne zum Bluttest reinkommen«, sagte die freundliche Marion am Telefon.

Ich ließ mir also von ihr Blut abzapfen, und nach endlosen vierundzwanzig Stunden Wartezeit rief sie an. »Ihr Beta-HCG Wert ist deutlich erhöht. Sie sind schwanger.«

Mit dieser telefonischen Auskunft musste ich mich zufriedengeben, eine schriftliche Ausarbeitung sei nicht üblich, meinte Marion. Immerhin gab sie mir einen Termin zum Ultraschall für die achte Schwangerschaftswoche, die zwei Wochen später anbrechen sollte. »Viel früher kann man den Herzschlag nicht erkennen«, meinte sie.

Ich musste wohl oder übel auf ihre Erfahrung vertrauen und warten.

Tom und ich genossen es, unser kleines Geheimnis ein bisschen zu hüten. In diesen Topsecret-Tagen schien die Zeit fast stillzustehen und nur uns zu gehören. Abends schauten wir im Internet nach Babykleidung, abonnierten Schwangerschafts-Newsletter und schliefen mit Toms Hand auf meinem Bauch ein. Das war sehr romantisch. Zumindest bis ich morgens von der Übelkeit und Tom von den daraus resultierenden Geräuschen aus dem Bad geweckt wurden.

Als meine Schwester mir an ihrem Geburtstag in der Küche einen Prosecco einschenkte und ich mit »Danke, ich nehme gerade Antibiotika« ablehnte, merkte ich, wie er mich vom Wohnzimmer aus beobachtete. Er warf mir durch den Flur ein wissendes Tom-Grinsen zu, und ich fühlte mich ein wenig wie die eine Hälfte eines coolen und verwegenen Gangsterpaares, das einen todsicheren Coup plante.

Ein bisschen unwirklich kam mir das Ganze schon vor. Von außen war nichts zu sehen. Niemand schien Verdacht zu schöpfen. Fast freute ich mich über die Übelkeit. Denn sie war der einzige Beweis dafür, dass ich schwanger war.

Neuschwanger zu sein ist ein seltsamer Schwebezustand. Ich wusste, dass da ein kleiner Mensch in mir heranwuchs, hatte jedoch keinerlei Belege für dessen tatsächliche Existenz. Ich hatte noch keinen Mutterpass, kein Ultraschallbild, keinen Kugelbauch, keine Umstandskleidung. Wenn die Übelkeit sich etwas zurückhielt, vergaß ich sogar, dass ich schwanger war.

Tom betrachtete den Bauch schnell als eigenständiges Wesen. »Hallo, Bauch. Hallo, Schatz«, begrüßte er uns, wenn er von der Arbeit kam.

Dann fiel es mir wieder ein. Ach, ich bin ja schwanger.

Ich sehnte meinen ersten Untersuchungstermin herbei. Ohne ärztliche Bestätigung wollte ich meine Familie nicht in Aufruhr versetzen. Meine Eltern würden bei der Aussicht auf ein Enkelkind sicher sofort in den Vorruhestand gehen und ihren Lebensmittelpunkt in unsere Wohnung verlegen.

Oft malte ich mir aus, dass es ein Fehlalarm war und ich mir die Schwangerschaft nur einbildete. Mein Kaninchen Kelly, das zu Grundschulzeiten bei mir wohnte, war mal scheinschwanger. Sie baute ein Nest aus Fell und biss ihren kastrierten Kumpel Kalle blutig, weil er ihr nicht half. Die Aussicht auf Kaninchenbabys versetzte meine Eltern in helle Aufregung. Ich glaube mich aber zu erinnern, dass es keine freudige Aufregung war. Von heute auf morgen war dann alles vorbei, Kelly war wieder lieb zu Kalle, und das Nest wurde aufgegeben.

Zwar hatte ich noch keinen Nestbautrieb entwickelt und ließ Tom unbehelligt in unserer Wohnung schalten und walten, doch ich wollte schon ein offizielles Dokument in der Hand halten, unterzeichnet von einem Arzt, der Ahnung hatte.

ENDE DER LESEPROBE