Das Monster Emeralds - Allan Rexword - E-Book

Das Monster Emeralds E-Book

Allan Rexword

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Beschreibung

"Ihre Körper waren entstellt, ihre Seelen zerfressen. Um seine Familie zu retten, müsste er sie jetzt umbringen." Melvin hat alles verloren, seine geliebte Frau Lena, seinen kleinen Sohn Kim, seine treue Kameradin Cathrine - und sein Leben. Doch die Stadt Emerald wäre nicht Emerald, wenn man ihm nicht einen durch und durch unfairen Handel anbieten würde, den er nicht ablehnen kann: Ein neues Leben, gegen die Verpflichtung, die nächsten 132 Jahre dem Militär zu dienen. Gleichzeitig ist das seine einzige Chance, seine Familie sowie Cathrine aufzuspüren und zu retten - so klein sie auch sein mag. Was Melvin nicht erwartet hat, ist das Monster, das ihm aus dem Spiegel anblickt. Und das in seinem Kopf erst recht nicht.

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Das Monster Emeralds

Von Allan Rexword

© 2024 Allan Rexword

Website: https://rexword.de

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Das Monster Emeralds

Von Allan Rexword

1. Auflage, 2024

© Allan Rexword – alle Rechte vorbehalten.

[email protected]

https://rexword.de

Psycho-Wüste7

Warmes Grauen23

Verräterische Kameradschaft36

Künstlicher Galgenhumor50

Staubige Patrioten62

Rasende Glühwürmchen75

Kraftvoller Strom89

Körperliche Geschäfte102

Normale Extravaganz116

Fehlerhafte Einschätzungen126

Zerlegte Schweine139

Mobile Artillerie153

Zerrissener Hoffnungsschimmer166

Schützende Sphären179

Gnadenlose Wahrheit191

Dreckige Katzenöhrchen201

Heißkaltes Donnern215

Epilog227

Psycho-Wüste

»Los, Kugelfang«, mit einem metallischen Klacken, stieß der Soldat den Ellenbogen, gegen seinen Arm. Bloodhound stand in weißen Lettern auf dessen Helm. »Bist bereit für die Jagd, aye? In zwo Minutn gehts rund, lad! Wär gelacht, wenn wa das Gewürm nich dazu kriegn, uns dies verdammte Waffenlager zu zeign, aye?«

Melvin antwortete nicht, Bloodhound mit seinem schwer verständlichen Akzent ging ihm auf den Keks. Er hatte das Gefühl, die anderen im Trupp hielten ihn manchmal für etwas minderbemittelt. Das taktische Display, das sein Gesicht verdeckte, zeigte ihm den Countdown bis zum Ausstieg in roten Lettern an. Zusammen mit einem Dutzend weiterer Parameter sowie einer Miniaturkarte, auf der sich sechs Punkte einer Kleinstadt mitten in der Wüste näherten. Der Stadtrand war übersät mit rotblinkenden Flecken. Ihre Feinde. Und ihr Auftrag war ihm bekannt, schließlich hatte er gemeinsam mit den anderen in der Operationsbesprechung gesessen.

An deren Stelle hätte er bei einem Kampfcyborg, der jeden der Elitesoldaten um einen Kopf überragte, einen etwas respektvolleren Ton angeschlagen. Aber inzwischen hatte er gelernt, dass die anderen in der Truppe ihre Nervosität vor dem ersten Feindkontakt mit lockeren Sprüchen und Schmähungen des Gegners überspielten.

»Würdest du dich mehr an diesem Machogehabe beteiligen, würden die anderen dich eventuell auch als Mensch betrachten«, merkte die androgyne Stimme in seinem Kopf an.

Konnte die KI sich nicht darauf beschränken, ihm hilfreiche Informationen für den Kampf zu liefern anstelle von sinnvollen Ratschlägen?

»Das tue ich. Für den Kampfeinsatz ist es gut, wenn der Trupp zusammenhält. Dein Schweigen wird von den anderen als Ablehnung und Arroganz interpretiert.«

Jaja. Du mich auch. Leider konnte er seine KI, eine künstliche Intelligenz, die in seinen Roboterkörper integriert war, nicht abschalten. Von wegen taktische Hilfe. Eine Psycho-KI war das.

»Du vergisst, dass dein neuer Körper zu neunzig Prozent künstlich ist. Dir fehlt die menschliche Biochemie fast vollständig. Ohne mich wärst du schon lange verrückt geworden.«

Immer wieder die gleiche Leier. Angeblich war das auch der Grund, warum er keinerlei Erinnerung an sein Leben vor dem Militär hatte. Um ihn zu »schützen«. War klar.

»Jetzt sei nicht so ...«

In diesem Moment unterbrach ein kurzes Hornsignal den Dialog und die Kabine wurde in rotes Licht getaucht. Gefechtsbeleuchtung. Das metallische Hämmern des Maschinengewehres, das oben auf ihrem Truppentransporter montiert war, und dumpfe Detonationen erklangen. Sie waren angekommen. Die Zeit für tiefschürfende Gedanken und sinnlose Diskussionen mit seiner Psycho-KI war vorbei. Er ignorierte das weitere Gequassel und konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt.

»Yeppie Yaj Ye! Ah, des klingt doch fein, aye?«, rief Bloodhound neben ihm, während sie von einer Bodenwelle durchgeschüttelt wurden. »Gleich geht's los, Kugelfang. Gut, dass ma dich vorschickn kennan.«

Melvin konnte sein Gesicht nicht sehen, da er ebenfalls das Visier geschlossen hatte, genauso wie vor und neben ihm auf den Bänken die anderen: Ghostfang, Riptide, Frostbite und ihr Captain, Warhammer. Sein eigener Rufname im Einsatz war Razorclaw. Nicht ganz unpassend, wie er zugeben musste.

Sie trugen sandfarbene Kampfanzüge mit schusssicheren Westen, beige Sturmgewehre. Dazu Vollhelme, deren herunter geklappte Visiere an Ameisenköpfe mit leuchtend blauen Augen erinnerten. In dieser Montur hatte jeder von ihnen etwas Roboterhaftes an sich. Das Gestänge und die Panzerplatten von Melvins Roboterkörper zeigten ebenfalls Tarnflecken, die mit der Wüstenlandschaft verschmelzen würden.

»Wir erreichen unser Operationsgebiet«, verkündete Warhammer mit einer Stimme, die permanente Heiserkeit auszeichnete. »Bereitmachen.« Ihr Fahrzeug kam mit einem Ruck zum Stehen. »Los!«

Melvin sprang auf und fuhr mit einem gedanklichen Befehl seine Waffensysteme hoch. Er war immer der Erste, der rausging und der Letzte, der wieder reinkam. Ob es daran lag, dass sein Körper deutlich besser gepanzert war und sich leichter reparieren ließ oder ob man ihn schlicht für entbehrlich hielt, wusste er nicht zu sagen.

Dank ihrer Drohnen zeigte ihm sein Display die Außenansicht vor der geschlossenen Fahrzeugtür, als hätte er einen Röntgenblick. Ein leerer, staubiger Platz. Einstöckige, graue Kastenbauten mit verriegelten Fensterläden. Ein zerschossener, qualmender Kleintransporter vor einem durchlöcherten Marktstand aus Holz, den Gemüsefetzen bedeckten. Dem Haus war es nicht besser ergangen. Ihre panzerbrechenden Geschosse hatten sowohl das Blech des Lasters komplett durchschlagen, genauso wie die dünnen Steinwände dahinter. Keine sichtbaren Gegner. Anstelle der Terroristen würde er sich ebenfalls nicht offen hinstellen, wenn ein gepanzerter Militärtransporter mit einem mannsgroßem MG auf seinen Dorfplatz vorführe.

Mit einem kräftigen kurzen Zug an einem Metallhebel ließ er die Hintertür krachend runterklappen, sodass sie ihnen eine Rampe bot. Mit einem Satz war er draußen und sprintete zur gegenüberliegenden Gebäudewand. Weiterhin keine sichtbaren Gegner.

»Sicher«, informierte er seine Kameraden, die bereits auf dem Weg zum ihm waren.

Gebückt, mit Gewehren im Anschlag kamen sie herübergelaufen und drückten sich neben ihm an die Wand des Hauses.

Warhammer wies ihnen ihre Aufgaben zu: »Razor, du durchsuchst mit Blood die östlichen Gebäude. Ghost, Rip, ihr nehmt euch die westlichen vor. Frost, du folgst mir zu den südlichen. Die anderen Viertel werden vom zweiten Trupp durchkämmt. Versucht, zivile Opfer zu vermeiden, aber wir müssen herausfinden, wo sich das Waffenlager befindet. Die Terroristen nutzen sicherlich die hiesige Bevölkerung, um sich zu verstecken. Befragt bei Bedarf die Einwohner.«

»Einfach nur Fragen, Sir? Glaubst, des bringt wos? Solln ma nich lieber ein bisserl härter an de richtign Stelln greifn?« Es war Bloodhound, der mit seiner schnarrenden Stimme klarstellte, dass er freundliches Fragen für Zeitverschwendung hielt.

»Damit hat er wohl recht«, merkte Melvins persönliche KI, die sich erstaunlich lange zurückgehalten hatte, an.

»Mir ist egal, wie ihr das anstellt«, antwortete Warhammer knapp. »Wir brauchen diese Information. Da sich das Lager in diesem Quadranten befindet, weiß jeder der Terroristen, wo es liegt. Und ich bin überzeugt, zumindest ein paar verstecken sich hier in den Häusern und nutzen die Familien als Schutzschilde. Wir wissen von den Luftaufnahmen, dass sie die Stadt nach unserer Ankunft nicht verlassen haben.«

»›Egal wie‹, klingt scho bessa, Sir«, kommentierte Bloodhound das Gesagte und Melvin konnte das schmutzige Grinsen aus seiner Stimme heraushören. »Los, Kugelfang«, der Soldat gab ihm einen leichten Stoß, »geh mal vor, lad, ich will ma hier nix einfangn.«

Langsam reichte es ihm. Wenn er schon die Vorhut bildete und die Kugeln für die anderen abfing, konnte er wenigstens ein wenig Kameradschaft und Dankbarkeit erwarten. Am Ende war er genauso sterblich, wie jeder in der Truppe.

»Melvin, nein«, meldete sich seine KI, die natürlich wusste, wie es in ihm brodelte.

Trotzdem dreht er sich zu Bloodhound um, statt loszumarschieren. »Wenn du mich noch einmal Kugelfang nennst ...«,

»Razorclaw! Bloodhound!«, fuhr Warhammer dazwischen. »Spart euch das für später auf. Wir sind im Einsatz.«

»Genau, Kugelfang«, setzte sein Kamerad kichernd eins obendrauf. »Und jetz beweg dein Roboterarsch, damit wa was Spaß bekomma.«

Melvin war sich nicht sicher, ob er beim ersten Feindkontakt nicht versehentlich vergessen sollte, sich vor seinen Kameraden zu stellen.

»Das wirst du ganz sicher nicht vergessen. Ansonsten melde ich das der Militärführung und lass mir die Erlaubnis geben, dich abzuschalten. Endgültig.«

Melvin stieß Luft aus und verkniff sich eine Bemerkung sowie entsprechende Gedanken, und marschierte los. Was für ein Wichser und was für eine verräterische KI. Natürlich würde er das nicht tun, aber die Idee war verlockend.

Da sie keinen besseren Anhaltspunkt hatten, ging er zum nächsten Haus und rüttelte an der Wellblechtür. Verschlossen. Er hämmerte mit der Faust zweimal gegen das dünne Metall und rief: »S.U.S. Marines. Hausdurchsuchung. Öffnen Sie!«

Erwartungsgemäß keine Reaktion, aber er war formal korrekt geblieben. Ein kurzer Tritt ließ die Tür krachend in den Raum fliegen. Staubkörner wirbelten im Sonnenkeil auf, der in die Schwärze fiel. Seine Sensoren konnten in der scharf abgegrenzten Dunkelheit dahinter keine Bewegungen ausmachen. Er ließ rasiermesserscharfe Klingen aus seinen linken Fingern springen. Sein integriertes Plasmagewehr am rechten Arm sowie die Miniraketenwerfer in den Schultern waren bereit. Mit einem schnellen Schritt trat er in den Raum. Zerwühlte Teppiche, ein flacher Tisch mit fünf halb mit Brei gefüllten Tonschalen sowie ein holzbefeuerter Herd auf der gegenüberliegenden Seite mit schmutzigen Blechtöpfen, bildeten die ärmliche Einrichtung. Menschen waren keine zu sehen.

»Sicher«, informierte er pflichtgemäß seinen Kameraden und bewegte sich langsam in Richtung eines gewebten Vorhangs, der den einzigen Nebenraum abgrenzte. Ein Windstoß hob den Stoff an. Er trat heran und schob das Gewebe mit den Klingen zur Seite.

»Achtung! Zwei Personen im Zimmer!«, kam die Meldung seiner KI zeitgleich mit der Anzeige zweier roter Silhouetten in seinem Sichtfeld.

Diese standen jedoch nicht aufrecht, sondern kauerten gemeinsam in einer Ecke. Vermutlich Hausbewohner. Mit dem Wink seines Zeigefingers schnitt er den Stoff an der oberen Kante komplett ab und betrat das Zimmer.

Den fensterlosen Raum dominierten eine Matratze, auf der sich schwarze Flecken wie ausgelaufene Tinte ausbreiteten. Daneben ein Klapptisch mit drei Blechstühlen. In der Ecke des Bettes kauerte eine blonde Frau mit langen Haaren und ein maximal zweijähriger Junge mit hellbraunen Locken. Beide starrten ihn aus angstvoll aufgerissenen Augen aus fleckigen Gesichtern an. Sie zitterten und drückten sich aneinander.

Bumm. Ein greller Blitz ließ ihn zusammenfahren.

»Papaaa!« Kim sprang von der Matratze auf, stürmte auf ihn zu und warf sich an seine Beine. Als wäre er tagelang fort gewesen und nicht nur acht Stunden bei der Arbeit.

Lena erhob sich von einem der Blechstühle, kam lächelnd herüber und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Alles in Ordnung, Schatz? Du siehst besorgt aus.«

Bumm. Er stand wieder in dem nahezu identischen, unbeleuchteten Zimmer und blickte auf die zwei verängstigten Bewohner. Was zum Teufel war das eben gewesen ...?

»Melvin? Was ist?«, fragte seine KI.

Kopfschüttelnd sah er sich um. Flecken tanzten vor seinen Augen, die Szenerie war unverändert. Eventuell ein technischer Defekt im Display?

»Ich kann keine Fehlfunktion feststellen. Ist etwas passiert?«

Nichts. Alles gut, formulierte er ausnahmsweise aktive Gedanken, die sich an die KI richteten. Normalerweise versuchte er, das Biest so gut es ging zu ignorieren. Es anzusprechen, war unnötig. Was war das eben gewesen? Eine Halluzination? Hatte er Ähnliches bereits früher erlebt?

»Ein Déjà-vu? Moment, ich checke deine Gehirnfunktion.«

Vielleicht. Egal. Sie hatten hier einen Auftrag zu erledigen.

»Alles sicher. Nur zwei Zivilisten«, informierte er seinen Kameraden, der kurz darauf in das Zimmer zurückkam.

Zu zweit in voller Montur war es beengt im Raum. Früher hatte er ihn immer als großzügig empfunden. Moment. Früher? Was waren das für Gedanken? Melvin trat einen Schritt in eine der hinteren Ecken und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen.

»Sehr schön«, übernahm Bloodhound die Gesprächsführung. »S.U.S. Marines, aye? Suchn nach Terroristen. Habt welche versteckt, aye?«

Die Frau schüttelte schweigend den Kopf.

»Blood. Lass sie in Ruhe«, meinte Melvin. »Hier im Haus kann sich niemand versteckt haben. Wir haben alles gesehen, was es zu sehen gibt.«

»Des seh ich anders«, warf sein Kamerad ein. »Hast eben nich Schüsseln gezählt, lad? Fünf warns.«

Verdammt. Da hatte er recht. »Vielleicht hatten sie Besuch?«

»Ja, kann sein. Abba vielleicht wohnse hier auch zu fünfe.« Er wendete sich an die Mutter: »Und? Hastn paar Leut versteckt hier?«

Erneutes Kopfschütteln.

»Sie lügt«, kommentierte seine KI trocken. »Das lässt sich eindeutig aus ihren Pupillen und den Körperreaktionen des Kindes ablesen.«

Mist. Er hatte gehofft, dass sie hier nichts finden würden. Wollte aber vermeiden, dass Bloodhound auf dumme Ideen kam. Daher übernahm er die Initiative: »Wir wissen, dass sich hier weitere Personen versteckt haben. Aufstehen! In die andere Ecke. Sofort!«

Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, hob er seine Klingenhand. Die Frau sprang auf und zog ihren Sohn in die gegenüberliegende Ecke, wo sie ihn fest mit beiden Armen an ihren Bauch drückte. So, wie es auch Lena mit Kim gemacht hätte. Er schüttelte seinen Kopf.

»Ey, Razor, was is ...?«, setzte Bloodhound an, dem sein Zögern und Kopfschütteln nicht entgangen waren.

Mit einem schnellen Schritt trat Melvin an die Matratze, packte sie mit seinem rechten Arm und warf sie zur Seite. Die Frau stieß einen spitzen Schrei aus, bewegte sich jedoch nicht. Unter dem Bett kam eine hölzerne Falltür zum Vorschein. Volltreffer.

Mit deutlicher Stimme rief Melvin: »Wir wissen, dass ihr da unten seid. Kommt langsam mit erhobenen Armen raus oder wir werfen eine Granate zu euch runter.«

Im Hintergrund konnte er Bloodhound kichern hören. Was für ein psychopathischer Trottel. Wenn die KI hier jemanden aus dem Verkehr ziehen wollte, dann den.

»Da gebe ich dir recht. Leider habe ich dafür keine Befugnisse.«, kam die erwartungsgemäße Antwort seiner nutzlosen Psycho-KI.

Rascheln, die Laute von Metall auf Holz sowie flüsternde Stimmen unterbrachen sein inneres Zwiegespräch. Kurz darauf Schritte auf einer Leiter. Er visierte mit dem MG die Öffnung an und bedeutete seinem Kameraden, zurückzutreten. Sollten die da unten auf dumme Ideen kommen und selbst eine Granate rauswerfen oder ein Gewehrlauf hindurchstecken, wäre er vorbereitet. Ein Riegel wurde schabend aufgeschoben. Quietschend hob sich der Holzdeckel einige Zentimeter an. Und verharrte. Die würden doch nicht ...?

Die Klappe hob sich weiter und das Gesicht eines bärtigen Mannes in den Fünfzigern mit rotem Lockenschopf kam zum Vorschein. Ein Blick auf Melvins Körper ließ ihn seine Augen aufreißen und innehalten. Diese Reaktion kannte er schon. Wer würde sich nicht vor einem scheinbaren Kampfroboter, der bis an die Zimmerdecke reichte, fürchten. Seine Panzerplatten, die alle Körperteile bedeckten, konnten nicht verhüllen, dass sich darunter mechanisches Gestänge und Motoren befanden. Und die ausgefahrenen Klingen, der integrierte Gewehrlauf sowie Miniraketenwerfer in seinen Schultern, ließen niemanden vermuten, dass sich unter dem Helm ein menschlicher Kopf befinden könnte. Denn das war alles, was von seinem ursprünglichen Körper existierte.

Sobald sich der Mann gefasst hatte, kletterte er hinaus und trat zur Seite. Ihm folgten ein Schwarzhaariger in den Vierzigern mit deutlichem Bauchansatz sowie ein jüngerer Mann. Maximal Anfang Mitte zwanzig, ebenfalls mit schwarzen Haaren und Oberlippenbärtchen. Alle drei trugen Militärstiefel, abgewetzte Outdoorhosen in Tarnfleck sowie Jacken mit Dutzenden Taschen, Patronengurte und leere Pistolenhalfter. Waffen wurden von seinen Sensoren keine registriert.

»Sehr schön«, es war Bloodhound, der wieder in den Raum trat, sich die Hände rieb und mit fröhlich klingender Stimme meinte: »Aye, da wolln wa den Spaß ma beginn lassn.«

Sein Kamerad hob das Sturmgewehr und schoss dem Rothaarigen ansatzlos eine krachende Salve mitten ins Gesicht.

Warmes Grauen

Das gemeinsame Kreischen von Frau und Kind vermengten sich mit dem blutigen Matsch, der hinter dem Mann an die Wand klatschte, zu einem Mahlstrom des Grauens. Der tote Körper des Rothaarigen hielt sich noch einige Sekunden aufrecht, als könne er nicht fassen seiner Steuerzentrale beraubt zu sein, bevor er zusammenbrach. Die anderen beiden Männer waren an die Wand zurückgewichen und starrten aus aufgerissenen Augen seinen Kameraden in dem Wissen an, selbst die Nächsten sein zu können.

Melvin schluckte, aber da ihm der menschliche Körper fehlte, konnte ihm nicht übel werden. Seine Möglichkeiten, eine Gänsehaut zu bekommen, waren ebenfalls begrenzt. Hinzu kam, dass er mit dieser Truppe bereits seit drei Monaten im Einsatz war. Es war nicht der erste brutale Aussetzer Bloodhounds und es würde vermutlich nicht der letzte sein. Hatte Melvin zu Beginn noch versucht, seine Begleiter von willkürlichen Tötungen und Folterungen abzuhalten, musste er inzwischen einsehen, dass er dazu nicht in der Lage war. Seine innere KI verhinderte, dass er sich seinen Kameraden in den Weg stellte, sodass er dazu verdammt war, das Grauen mit anzusehen. Vielleicht verabreichte sie ihm auch Medikamente, die seine Gefühlswelt abstumpfen ließen. Er wusste es nicht. Und da er sich an sein früheres Leben nicht erinnerte, konnte er nicht beurteilen, ob diese Gefühlskälte normal für ihn war oder nicht. Aus Sicht ihres Captains schien der Zweck jedes Mittel zu heiligen. Für die sadistische Brutalität der anderen Soldaten hatte es nie mehr als eine Ermahnung gegeben. Trotzdem hatte Melvin nur im Kampf Gegner getötet und es bei den Befragungen maximal bei Drohgebärden belassen.

»Das ist nicht ganz korrekt«, erinnerte ihn die KI, »letzte Woche hast du dem alten Rinderzüchter ein Ohr abgeschnitten.«

Das war ein Versehen, der hatte gezuckt.

»Nein, so war es nicht. Und das weißt du.«

»So, lads«, fuhr sein Kamerad im lockeren Plauderton fort und unterbrach seine Gedanken. Inzwischen war das Kreischen zu einem Wimmern abgeklungen. »Da wolln wa ma schaun, wassa uns erzähla könn, aye? Also: Wo is das verfickte Waffnlager?«

Die beiden schwiegen mit verkniffenen Minen und starrten wortlos zurück.

»Razor?«, wendete er sich an Melvin und nutzte ausnahmsweise nicht dessen Schmähnamen. »Würd ma sagn, is Zeit um se was mit deina Krallen zu kitzeln, aye?«

War klar. Kaum gingen Bloodhound die Ideen aus, sollte er den gewissenlosen Kampfroboter mimen. Aber gut, wenn das half, weiteres Blutvergießen zu verhindern, warum nicht. Also ließ er die Klingen aus allen Fingern springen und bewegte sich langsam auf die beiden zu. Sein mechanischer Körper mit den glühenden Augen, dessen Oberfläche hier einen mattschwarzen Ton angenommen hatte, musste einen diabolischen Anblick bieten. Hoffentlich kam einer von denen zur Besinnung und redete.

»Nimmt den Älteren auf der rechten Seite«, merkte seine KI an.

Was sollte das für einen Unterschied machen? Die zitterten beide am ganzen Leib.

»Ja, aber der Linke schaut ständig zu Frau und Kind. Vermutlich bedeuten sie ihm was. Für den haben wir noch zwei weitere Druckmittel.«

Vergiss es. Keinesfalls würde er sich an Frau oder Kind vergehen. Er wendete sich an den Rechten, mit den schwarzen Haaren und dem Bauchansatz.

Melvin drückte ihm seine Krallenhand auf die Brust, sodass sie Klingenspitzen die Kleidung durchdrangen und in die Haut ritzten, und befahl: »Sprich. Das Waffenlager wo ist es?«

»Hattest du nicht eben gemeint, dass du es bei Drohungen belässt?«, fragte die KI nach.

Das ist eine Drohung. An den Mann gewandt: »Ich zähle bis drei. Eins ... zwei ...« Mit jeder Zahl verstärkte er minimal den Druck. Das verschwitze Gesicht des Mannes verzog sich zu einer schmerzverzerrten Grimasse. Aber er schwieg und hielt seinem Roboterblick stand. »Deine letzte Chance ...«

»Er wird nicht sprechen, egal was du mit ihm anstellst. Die Körpersprache ist eindeutig. Bring es zu Ende.«

Verflucht. Melvin trat einen Schritt zurück. Nein. Er würde keinen Wehrlosen mit bloßen Händen töten. Auch keinen Terroristen.

Eine weitere Salve hämmerte durch das winzige Zimmer und der Soldat vor ihm brach zuckend zusammen. Mist.

Bloodhound schnaubte verächtlich, während eine kleine Rauchfahne aus seinem Gewehrlauf zog. »Siehste. Bis doch nurn Kugelfang. Habs ja gsagt, aye. Roboter mit Gefühl. Des brauch echt kein Mensch. Komma zum spaßgen Teil unsrs Besuchs, aye?«

Der Soldat ließ seine Waffe durch den Raum wandern. »Ens, zwo, dre – wer von euch willn zuerst?« Dabei deutete er nacheinander auf den Mann sowie Frau und Kind.

»Bitte ...« Das war das erste, leise gesprochene Wort von dem verbleibenden Terroristen. »Ich würde es euch sagen, wenn ich es wüsste. Aber bitte, lasst die beiden am Leben.«

»Ah, des Vöglchen fangt an zu zwitschern, aye? Razor? Sorg dafür, dassa mich nicht stört, klar? Da is en Befehl.« Er warf einen Blick nach hinten und als Melvin sich nicht rührte, setzte er hinzu: »Wird's was? Halt de Kralle an san Kehl!«

»Das war ein klarer Befehl und du musst niemanden töten«, stellte auch seine KI klar.

Langsam, aber ohne eine andere Wahl, tat er wie geheißen und ließ seine klingenbewährte Hand wenige Millimeter vor dem Hals des Mannes zur Ruhe kommen. Sollte dieser sich bewegen, würde er sich damit selber töten. In den Augen des Jüngsten der drei Terroristen spiegelte sich pure Panik. Das war eindeutig. Dafür brauchte er nicht die Analyse seiner Psycho-KI. Wenn er etwas wüsste, würde er es sagen.

»Nicht unbedingt. Aber ich bin sicher, in ein paar Minuten sind wir schlauer«, merkte seine KI an.

Hinter ihm schrie die Frau auf. Er warf einen Blick zurück. Bloodhound hatte sein Gewehr auf den Rücken geschoben. Mit beiden Händen packte er die Blonde und schleuderte sie brutal gegen sie Wand. Sie landete benommen auf der Matratze. Sein Kamerad würde doch nicht ...?

Der Mann, den er mit seiner Kralle fixiert hatte, flehte: »Nein! Nicht! Ich bitte Sie. Ich würde es ihnen sagen, aber ich weiß es nicht. Ich bin erst seit drei Tagen dabei und sie haben mir nicht gesagt, wo das Lager ist. Bitte. Nicht vor meinem Sohn ...«

Bloodhound lachte und kniete sich über die Frau. Über Lena. Seine Absicht war klar. In diesem Moment schrie Kim auf und stürzte sich selbstmörderisch auf den Soldaten.

»Wer sind Lena und Kim?«, fragte die KI dazwischen.

Sein Kamerad riss sich den zappelnden Jungen vom Rücken. Der Kleine hatte dem muskelbepackten Elitesoldaten nichts entgegenzusetzen. Im hohen Bogen krachte er gegen die Mauer. Sein Kopf schlug mit einem dumpfen Aufprall auf und er brach bewegungslos zusammen. Bloodhound packte sich Lena und drehte ihr die Arme auf den Rücken. Sie zappelte und schrie: »HILFE!«

Bumm.

Vermummte Polizisten hatten ihm die Arme auf den Rücken gedreht und dirigierten ihn an der Menschenmenge vorbei. Ihre Kollegen standen in einer engen Reihe und hielten die Massen zurück, die mit ihren Smartphones und Kameras einen Blick auf das Geschehen erhaschen wollten.

„Hey! HILFE“, rief Melvin in Richtung der Menge. „Die zweitausend Menschen da drinnen ersticken! Die Frischluftzufuhr ist zerstört! Ihr müsst sie rausholen! Hab ihr nicht gehört?!“

Doch keiner kümmerte sich und die Vermummten zogen ihn weiter. Inzwischen näherten sie sich der letzten Absperrung. Dahinter wartete bereits ein Polizeibus darauf, ihn fortzubringen. Sein Rufen, Schreien und Betteln schienen hier niemanden ernsthaft zu interessieren.

Jemand schlug einem der Beamten in der Kette mitten ins Gesicht. Blut spritzte auf und ließ den Mann zurücktaumeln. Ein wilder brauner Lockenschopf brach durch die Absperrung. Cathrine! Seine Kameradin kam zu seiner Rettung! Wie eine Löwin stürzte sie sich mit einem Schrei auf den Vermummten neben ihm.