Das Moor schweigt - Heinz Kruschel - E-Book

Das Moor schweigt E-Book

Heinz Kruschel

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Beschreibung

Frühjahr 1945. Im Januar dieses letzten Kriegsjahres hatte Hans Pohnert gemeinsam mit vier anderen Jungen aus der 6. Schule den Befehl erhalten, sich in einem Wehrertüchtigungslager einzufinden. Dort ging es hoch her. Ausbilder der SS-Division „Totenkopf" brachten ihnen Handkantenschläge und Mutsprünge, Jiu-Jitsu-Griffe und Anschleichen bei, sie wurden an Panzerfäusten und Handfeuerwaffen ausgebildet. Nicht alle überstanden es gut. Nach einem einstündigen Marsch im fließenden Wasser eines kleinen Baches bei einer Außentemperatur von minus 17 Grad war das Revier am anderen Tage so voll, dass der Sankra einige Dutzend ins Krankenhaus fahren musste. Aber die Jungen aus der 6. Schule hielten durch. Dann kam die Abkommandierung zum Werwolf. Die Klassenkameraden blieben zusammen. Die Apriltage in Wurmfing waren blau und hoch, sodass täglich mit dem Einflug von Bomberverbänden gerechnet werden konnte. Sie kamen auch täglich, es gehörte zum Tagesablauf. Und der war monoton: Hinweis- und Wegeschilder umstecken, um die Amis ins Moor zu führen, Sperren und Minenfelder anlegen und auf den Einsatz warten. Neben den fünf Schülern gehörten dazu alte Volkssturmmänner aus der Umgebung, einige Reservisten, die nicht mehr voll einsatzfähig waren. Geführt wurde die kleine Truppe von Leutnant Wenzlau, einem jungen, blassen Offizier, dem während der Rückzugskämpfe in einer russischen Stadt ein Arm abgeschossen wurde. Sein Stellvertreter war der Ortsgruppenleiter Kochne, ein Bauer in brauner Uniform mit gelben Spiegeln. Er hatte den größten Hof im Ort. Die „Herren Gymnasiasten“ wollen dem Ami einen Empfang bereiten, der sich gewaschen hat: „Wenn dann erst die Wunderwaffen kommen, V 8 zum Beispiel, na, prost Mahlzeit!“, sagt der zwei Jahre ältere Kalle Kozruk und befiehlt Pohnert genau aufzupassen, was der „Bolschewik“ unter ihnen sagt. Gemeint ist Sohne Schwerdtmenger, dessen Vater angeblich in einem Strafbataillon sein soll. Und Kozruk stellt seinem ehemaligen Mitschüler noch eine andere Frage: „Hast du eine Pistole?“ Pohnert zuckte zusammen. Er verneinte. „Nur den italienischen Stutzen!“ Kalle sagte: „Du kommst übermorgen Abend zum Wegkreuz, ich verschaffe dir eine! Bei der Gelegenheit erwarte ich deinen ersten Bericht!“ Hans Pohnert schlug die Hacken zusammen, das konnte er gut, er war „zackig“ und hatte im Fähnlein immer die Fahne mit der Werwolfangel getragen. Kozruk gab ihm die Hand und grüßte. Wie wird es weitergehen? Wann wird der Ami kommen?

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Impressum

Heinz Kruschel

Das Moor schweigt

978-3-95655-096-6 (E-Book)

Das Buch erschien erstmals 1970 im Deutschen Militärverlag, Berlin (Erzählerreihe Nr. 159).

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

Das Buch ist ein Auszug aus der Erzählung „Das Kreuz am Wege“

© 2014 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

1. Kapitel

Der Krieg war für Hans Pohnert eine Selbstverständlichkeit. Solange er bewusst denken konnte, gab es nichts anderes, und so war das Umstecken der Fähnchen auf der Landkarte im Klassenzimmer eine tägliche Gewohnheit. Auch der knappe Raum, den die Reste der deutschen Armeen in diesen ersten Tagen des Jahres 1945 noch verteidigten, ließ in Pohnert nicht den Gedanken an eine Niederlage aufkommen.

Um Berlin würde sich der Krieg entscheiden, denn Berlin bleibt deutsch. Wien wird wieder deutsch, Europa wird niemals russisch, hatte der Propagandaminister gesagt.

Hans Pohnert war froh, als im Januar der Befehl kam, sich im Wehrertüchtigungslager zu melden, denn die Schule ödete ihn an und die Pauker schon lange.

„Pickel" Kerze, der alte, glatzköpfige Rektor, hatte die fünf Jungen mit bewegten Worten verabschiedet: Jonny Renkel, der der schnellste Läufer der Schule war, Kalle Kozruk, den stiernackigen Stammführer, der schon zweimal hängen geblieben war, Manni Hansmann, den schmalgliedrigen Primus der Klasse, Sohne Schwerdtmenger, den sie manchmal böse „Bolschewik" nannten, weil sein Vater in einem Strafbataillon sein sollte, und Hans Pohnert, den blonden Angestelltensohn, der die Penne satthatte und den Krieg erleben wollte. Sie hatten nicht einmal zugehört, der alte Rektor interessierte sie nicht mehr.

Im WE-Lager ging es hoch her. Ausbilder der SS-Division „Totenkopf" brachten ihnen Handkantenschläge und Mutsprünge, Jiu-Jitsu-Griffe und Anschleichen bei, sie wurden an Panzerfäusten und Handfeuerwaffen ausgebildet. Nicht alle überstanden es gut.

Nach einem einstündigen Marsch im fließenden Wasser eines kleinen Baches bei einer Außentemperatur von minus 17 Grad war das Revier am anderen Tage so voll, dass der Sankra einige Dutzend ins Krankenhaus fahren musste.

Aber die Jungen aus der 6. Schule hielten durch. Auch Manni Hansmann, der der anfälligste war und den seitdem ein furchtbarer Husten quälte. Dann kam die Abkommandierung zum Werwolf. Die Klassenkameraden blieben zusammen.

Die Apriltage in Wurmfing waren blau und hoch, sodass täglich mit dem Einflug von Bomberverbänden gerechnet werden konnte. Sie kamen auch täglich, es gehörte zum Tagesablauf. Und der war monoton: Hinweis- und Wegeschilder umstecken, um die Amis ins Moor zu führen, Sperren und Minenfelder anlegen und auf den Einsatz warten.

Sie waren nicht viele: die fünf Jungen, alte Volkssturmmänner aus der Umgebung, einige Reservisten, die nicht mehr voll einsatzfähig waren. Leutnant Wenzlau, ein junger, blasser Offizier, führte die kleine Truppe. Er trug immer einen eleganten grauen Mantel, dessen rechter Ärmel angesteckt war — während der Rückzugskämpfe in einer russischen Stadt hatten sie ihm den Arm abgeschossen. Außerdem hatte er noch einen gefährlichen Lungensteckschuss, dessen Splitter nicht entfernt werden konnten. Er war verbittert, wusste, dass er bald sterben musste, und hatte nur den einen Wunsch, möglichst viele Gegner mit in den Tod zu nehmen.

Sein Stellvertreter war der Ortsgruppenleiter Kochne, ein Bauer in brauner Uniform mit gelben Spiegeln. Er hatte den größten Hof im Ort.

Die fünf Jungen waren in der Waschküche des Gastwirts untergebracht. Der Gastwirt war ein hagerer Mann mit eingefallenem Brustkorb und überschmalen Händen. Schwindsucht, munkelte man im Dorf. Darum sollte er nicht eingezogen worden sein, aber er stand sich auch gut mit dem Kochne-Bauern, dem alten Kämpfer, und der konnte manches regeln mit seinem Einfluss.

Die beiden hockten oft stundenlang zusammen und standen nicht eher auf, bis sie die Buddel ausgetrunken hatten. So war es auch an diesem Frühlingstage des Jahres 1945.

Als der Wirt draußen auf der Straße die Werwolfgruppe vorüberlaufen sah, Panzerfäuste in den Händen, sagte er zum Kochne-Bauern: „Meinst du, dass die es schaffen werden?"

Der Bauer kippte den Schnaps hinunter und rückte ein Stück näher, obwohl diese Vorsicht übertrieben war, denn in der Schankstube befand sich kein Mensch, nur die Schwester des Wirtes hantierte in der Küche. Aber die hörte nicht zu. Sie war ausgebombt und hatte in Magdeburg bei einem Luftangriff ihren zehnjährigen Jungen verloren. Nun lebte sie mit der Tochter hier. Beide halfen in der Wirtschaft, mehr geduldet als gern gesehen.

„Was heißt schaffen?", brummte Kochne, „wir lassen die machen und halten uns 'raus. Adolf hat sich übernommen, er konnte sich auch nicht auf alle verlassen und hatte schlechte Berater. Ich habe keine Lust, in den letzten Minuten ins Gras zu beißen. Man muss versuchen, von einem Kahn auf den andern zu springen und dabei nicht ins Wasser zu fallen. Da kommt es auf einen Moment an, verstehst du, auf eine Sekunde vielleicht, sonst kann es zu spät sein!"

„Aber diese Sekunde, der Moment ... Wie willst du denn wissen ...?", stotterte der Wirt, noch verblüfft über die Worte des Freundes, die heute anders klangen als sonst.

Der Kochne-Bauer antwortete nicht. Er starrte ins leere Glas, nahm es in die Hand und stülpte es um.

Miltenmichler verstand. „Martha!", rief er. „Martha, .bring uns noch eine Flasche!"

„Überlass das nur mir", sagte der Bauer kurz und musterte aus zusammengekniffenen Augen das Mädchen, das in die Schankstube trat und mit einem heftigen Ruck die Flasche auf den Tisch stellte. Es war die Tochter der Schwester, Christine. Sie war achtzehn Jahre alt, hatte Augen wie tiefbraune Mandeln, schmale Hüften und spitze Brüste.

„Deine Mutter hatte ich gerufen. Bist du schon zurück?", fragte der Wirt säuerlich.

Christine trat zum Fenster. „Sie lassen uns nicht mehr 'raus. Alle Straßen sind gesperrt, ich bin nur bis zur Kreuzung gekommen. Wir müssen eben einkaufen, wenn wieder Ruhe ist. Lange kann es nicht mehr dauern!"

Der Ortsgruppenleiter stand auf und trat breitbeinig vor sie hin. „Was soll das heißen?", fragte er langsam und drohend. „Was soll das heißen?", wiederholte er seine Frage. Seine Hände umspannten die nackten Oberarme Christines. Sie blieb unbeweglich stehen.

„Das soll heißen, dass der Onkel seine Futtermittel zurzeit nicht bekommen kann, weiter nichts. Die Gründe sind wohl bekannt", sagte sie ruhig.

„Und sonst?" Kochne ließ den rechten Arm los und versuchte, nach ihrer Brust zu greifen, aber da drehte sich das Mädchen mit einer schnellen Bewegung weg und sah ihn spöttisch an.

„Sonst werden es die da schon machen und den Ami zurückwerfen", sagte sie und wies zum Fenster hinaus.

„Scher dich in die Küche", brummte der Miltenmichler, aber Kochne hielt sie zurück. „Die Grünschnäbel gefallen dir wohl, wie?"

Christine riss sich los. Halb in der Küchentür stehend, sagte sie: „Die Grünschnäbel tun mehr als gewisse Leute!" Dann knallte sie die Tür zu.

„Pass auf sie auf, Miltenmichler. lass sie nicht mit diesen Werwölfen zusammen, denke an den Kahn und an den Moment. Die da draußen sind jung, sehr jung, die kennen das Leben noch nicht. Wie leicht richten sie Unheil an. Pass auf das Mädel auf, sonst garantiere ich für nichts. Wir dürfen den Moment nicht verpassen!" Er schielte auf die volle Flasche, setzte sich die goldglänzende Mütze auf den Schädel und stampfte zur Tür. Auf der Treppe stieß er fast mit einem Manne zusammen, der in die Kneipe wollte und tief die Mütze zog, ohne ein Wort zu sagen.

„Hast gelauscht, Balthar?", schrie der Ortsgruppenleiter ihn an und packte den Mann an seiner zerlumpten Jacke.

„Wo werd' ich denn, Herr Amtsleiter, ich bitt' schön, ich wollt' den Herrn Miltenmichler fragen, wo die jungen Herren heute essen sollen, lässt der Herr Leutnant fragen, bitt' schön!"

Der Kochne-Bauer sah ihn misstrauisch an. Balthar war ein Flüchtling aus dem Osten, der auf dem Hof des Miltenmichler die niedrigsten Arbeiten verrichtete und bei den Pferden schlief. Er war arm wie eine Kirchenmaus und immer verschmutzt und unrasiert.

„Welche Herren denn?"

„Die Herren Gymnasiasten, ich bitt' schön, Herr Amtsleiter!"

„Das sind Soldaten, Werwölfe, verstanden, du Schaf“, brüllte der Bauer und stieß barsch die Tür auf. „He, Miltenmichler, dieser Trottel will wissen, wo die Bengels essen sollen!"

Der Wirt rief von der Schankstube her: „Da, wo sie auch schlafen, in der Waschküche natürlich. Hier jedenfalls nicht. Sie haben mir gestern alles dreckig getrampelt!"

„Ich dank' schön, Herr Miltenmichler, ich dank' schön, Herr Ortsgruppenleiter!" Er zog noch einmal die schmierige Mütze und verschwand auf den Hof.

Der Kochne-Bauer sah ihm nach. Wenn der Leutnant nicht hier wäre, dachte er, und seine Werwölfe, dann hätte ich dem Balthar, dem dreckigen Kerl, den „Ortsgruppenleiter" und „Amtsleiter" schon ausgetrieben. Aber so muss ich die Uniform schleppen in diesen letzten Tagen des Krieges und den Stellvertreter des Kommandanten spielen. Na, man muss eben zu den letzten gehören, die vom Schlachtfelde gehen.

Einer der Werwölfe ging vorüber und grüßte mit steilem Arm. Da riss sich der Bauer zusammen und dankte mit wichtiger Miene.

2. Kapitel

Die Waschküche des Miltenmichler war zu ebener Erde und ein schmutziger Raum. Dort schliefen die Jungen. Fliegen und Schaben und langbeinige Mücken, wie sie nur in sumpfigen Gegenden vorkommen, waren ihre Mitbewohner. Die Jungen wuschen sich unter der Pumpe. Balthar schlurfte heran und blieb in einiger Entfernung stehen. Er sah ihnen zu.

Der Marsch ins Moor hatte sie mitgenommen, sie waren erschöpft und achteten nicht auf den Knecht. „Auf der Kanonenbahn rollen die Transporte pausenlos", sagte Hans Pohnert und rieb sich die geschwollenen Füße. „Ob sie die Front noch weiter zurücknehmen?"

Kalle Kozruk, zwei Jahre älter als die Kameraden, lockte eine Angorakatze, die ihn umschmeichelte und sich streicheln ließ. „Nicht überlegen", sagte er, „es wird schon seine Gründe haben. Wir haben hier unsere Aufgabe und werden dem Ami einen Empfang bereiten, der sich gewaschen hat. Wenn dann erst die Wunderwaffen kommen, V 8 zum Beispiel, na, prost Mahlzeit!"

Jonny Renkel pfiff halblaut eine Melodie, Sohne und Manni zogen sich wortlos an. „Das wird wohl das letzte Minenfeld gewesen sein, das wir angelegt haben", sagte Pohnert und nibbelte den roten Rücken, „ob die Amis drauf 'reinfallen?"

Kozruk lachte meckernd. „Klar. Die müssen sich schließlich nach Karten und Wegweisern richten, die sausen direkt in die Hölle! Besonders an der Kreuzung vor dem Buchenwald!"

Als Pohnert sich umwandte, erschrak er. Der Knecht stand da. Aber das war es nicht. Balthars Gesicht gefiel ihm nicht. Es war ernst und verbissen, seine Augen blickten hart.

Als er den erstaunten Blick des Jungen sah, lächelte er schief und zwinkerte wieder blöde mit den Augen, wie er es immer tat. Ich muss mich geirrt haben, dachte Hans, man sieht schon Gespenster.

„Einen Kohldampf habe ich", sagte Jonny.

„Gehen wir in die Kneipe, es muss so weit sein", schlug Sohne vor.

Aber da trat Balthar auf sie zu und sagte: „Ich bitt' schön, meine Herren, ich soll Ihnen das Essen in die Waschküch', bringen, hat der Herr Miltenmichler befohlen, und der Herr Ortsgruppenleiter waren auch dabei."

„Na los, troll dich!"

Der Knecht ging, einen schiefen Blick auf Pohnert werfend.

„Auch einer von denen, die man bei den Reinigungsaktionen im Osten vergessen hat." Kozruk spuckte aus.

„Wer will das wissen?", fragte Manni mit belegter Stimme, „der wäre vielleicht ein Mensch wie wir, wenn er ein anderes Milieu gehabt hätte!"

„Du bist verrückt, das ist kein Arier, ein typischer Untermensch, schau dir die Stirn an, den irren Gesichtsausdruck. Das ist mehr als nur mangelhafte Schulbildung, das ist Rassenschande!"