Das Musée international d’horlogerie in La Chaux-de-Fonds - Nadja Maillard - E-Book

Das Musée international d’horlogerie in La Chaux-de-Fonds E-Book

Nadja Maillard

0,0

Beschreibung

Es geschah 1974: Die Uhrenindustrie erforschte ihre Zukunft in einem Quarzkristall, die Stadt La Chaux-de-Fonds eröffnete den Ort, der ihre Geschichte ausstellen sollte, das Musée international d’horlogerie (MIH). Die Einweihung des von den Architekten Pierre Zoelly und Georges-Jacques Haefeli entworfenen Bauwerks wurde als grosses Ereignis begrüsst. So unauffällig dieses schöne Beispiel brutalistischer Architektur ist, so reich sind die Sammlungen, die es beherbergt. Dank des chronologischen und typologischen Spektrums der Exponate sowie der Bemühungen der Gründer um eine breite Vermittlung dieses bedeutenden Kulturerbes fand das MIH Anerkennung als eines der weltweit besten Zeitmessermuseen. Über die blosse museale Funktion hinaus birgt das MIH auch ein Zentrum für Restaurierung alter Uhrwerke und nimmt akademische Forschungsaufgaben im Centre d’études L’Homme et le Temps wahr.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 55

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nadja Maillard

Das Musée international d’horlogerie in La Chaux-de-Fonds

Kanton Neuenburg

Der Geist der Uhrmacher

Lage

Ein Museum nach Mass

Ein Schaufenster für die Industrie

Der Architekturwettbewerb

Die Architekten

Pierre Zoelly (1923–2003)

Georges-Jacques Haefeli (1934–2010)

Eingraben in einem englischen Garten

Konstruktion, Ausdruck und Materialien

Aus Beton und Stein

Die Besichtigung als Erlebnis

Vorbilder und Einflüsse

Museumsgestaltung

Presseberichte – eine Blütenlese

Der Zukunft begegnen

Anhang

Der Geist der Uhrmacher

Vor fünfzig Jahren wurde – so berichtete L’Impartial am 18. Oktober 1974 – «der Tempel der Uhrenindustrie» eingeweiht. Eine von der Aussenwelt abgeschottete, heilige Krypta, gemäss der etymologischen Bedeutung von templum. Ein Tempel zu Ehren der Schönheit der Exponate und der von den Architekten Pierre Zoelly und Georges-Jacques Haefeli entworfenen Räume. Eine Welt ausserhalb der Zeit, zum Verständnis und zur Bewunderung dieser kostbaren Uhrenwerke. Nadja Maillards Beschreibung begleitet uns auf der Spur dieses Bauwerks, das mehrmals ausgezeichnet wurde, nicht zuletzt als Europäisches Museum des Jahres. Ein Museum, das aktuelle Fragen aufwirft: nach der Notwendigkeit der Erhaltung des Kulturerbes oder nach der Bewahrung des historischen, ja zuweilen sogar heroischen Bewusstseins. Auch durch seine Beziehungen zu den Unternehmern der Uhrenindustrie und zu den Behörden ist dieses Museum ein Vorbild. Drei Monate vor dem Ausbruch der ersten Erdölkrise engagierten sich diese überzeugt und durch tatkräftige Förderung für die Realisierung eines Baus, der den Göttern dieser Stadt würdig sein sollte.

Wir sind überzeugt, dass der von unseren Vorgängern vorgezeichnete Weg, unterstützt von deren solidarischem, kreativem und innovativem Geist, sich noch lange fortsetzen wird. Somit werden unser Internationales Uhrenmuseum und unsere schöne Uhrenmetropole weiterhin im Einklang ausstrahlen.

Théo Bregnard, Mitglied des Stadtrats, Vorsteher der Kulturdirektion

ABB. 1 Julien Calame, gen. du Torrent (1828–1892). La Chaux-de-Fonds im Jahr 1886. Ansicht von Les Crêtets aus. Öl auf Leinwand. Rechts die Parkanlage der Maison Sandoz, des künftigen Historischen Museums. Der Parc des Musées ist heute noch ein prägender Bestandteil des Ortsbildes.

Lage

Am 13. April 1830 genehmigte der Neuenburger Staatsrat das von Henri-Louis Jacot entworfene Baureglement für die Rue de la Promenade und die Rue du Repos, das die Erstellung und Parzellierung von zwei sich rechtwinklig kreuzenden Strassen südlich des Dorfs vorsah. Ergänzt wurde das Reglement durch eine im gleichen Jahr aufgenommene topografische Karte, die wiederum 1833 als Grundlage für die Geologische Karte von La Chaux-de-Fonds dienen und später in den «Allgemeinen Baulinienplan des Dorfes La Chaux-de-Fonds» (Plan général des alignements du village de La Chaux-de-Fonds) einbezogen werden sollte, den eigentlichen Grundriss des künftigen Stadtrasters. Diese Planaufnahme vereinigte unterschiedliche Zeitverhältnisse – die Formation der Erde sowie die Geschichte der Stadt und ihrer Bebauung – und schuf somit ein Spannungsfeld zwischen der Langfristigkeit der geologischen und der kurzen menschlichen Zeit.

Für das künftige Musée international d’horlogerie (in der Folge MIH) wurde ein Standort am Schattenhang der Mulde gewählt, in welche die Stadt eingebettet ist. Während Ansichten aus der ersten Hälfte des 19. Jh. noch eine ländliche Umgebung zeigen, sah der Baulinienplan von 1841 bereits die künftige Entwicklung mit den vier parallel zueinander verlaufenden Ost-West-Strassen vor. Die benachbarte Weide hiess damals Pré du Jet-d’Eau (Springbrunnen-Wiese). Entscheidend war 1857 der Anschluss an das Eisenbahnnetz, der die weitere städtische Entwicklung bestimmte und beschleunigte. Der Bahnhof, Sinnbild des Fortschritts, war symbolisch und städtebaulich ein neues Stadttor und verschob den urbanen Schwerpunkt. Im südlichen Gebiet entstanden allmählich Parzellen, neue Strassenzüge wurden entworfen, die sich zuerst nördlich und dann südlich der Hauptachsen verdichteten (ABB. 1)

Ein Museum nach Mass

Kein anderer Ort vermag den Feinsinn der Uhrmacher für ihre eigene Geschichte so gut zur Geltung zu bringen wie das Museum als Institution und als Raum. Da es seine Bestimmung ist, ein kulturelles Erbe zu pflegen und vielleicht auch, ein Geschichtsbewusstsein durch die Erinnerung an die Pionierzeit und durch die Erfassung von Erfindungen und technischen Wundern aller Art zu fördern, erscheint das Museum als der ideale Ort, der aus diesem Geschichtsbewusstsein entsteht und dieses wiederum erzeugt. Aus dem Museum entspringt ein neuartiges Verhältnis zu den Dingen, zur Zeit und zum Raum, wo diese Begegnung stattfinden soll. Die Besonderheit eines Uhrenmuseums ist jedoch, dass sich dieses, durch eine verwirrende «Mise en abyme» (ein Bild, das sich selbst enthält), als ein Hüter der Zeit erweist, der selbst Hüter der Zeit birgt.

Das erste Uhrenmuseum wurde am 24. März 1902 im Gebäude der Uhrmacherschule eröffnet, zu der es institutionell gehörte (ABB. 2). Somit verwirklichte sich die Vision, die etwa sechzig Jahre früher entstanden war, nachdem Louis Agassiz mehrere Abhandlungen zum Zustand der Uhrenindustrie im oberen Kantonsteil initiiert hatte und auf dieser Basis ein Programm zur Erstellung von Bibliotheken, Museen und Gesellschaften, die der Uhrenindustrie gewidmet sein sollten. Das Programm weckte ein neues Interesse für die Geschichte sowie für die Produkte der Uhrenindustrie, die mittlerweile zum wichtigsten Gewerbe der Region geworden war. Verschiedene Berichte wiesen auf die Notwendigkeit eines didaktisch erdachten technischen Museums hin, mit alten sowie von der Uhrmacherschule gesammelten Exponaten. Eine fördernde Rolle spielten dabei die Weltausstellungen (insbesondere die von Paris 1855 und 1900, Wien 1873 und Philadelphia 1876), von denen die aus La Chaux-de-Fonds geschickten Vertreter jeweils Argumente für ein Uhrenmuseum im Dienst der Stadt und der Öffentlichkeit zurückbrachten. Kurz: eine Institution, welche die Blütezeit der Uhrenindustrie sowie die Geschichte der Zeitmessung aufzeigen würde.

ABB. 2 Das Uhrenmuseum in den späten 1950er Jahren, damals noch in den Räumlichkeiten der Uhrmacherschule.

Ein Schaufenster für die Industrie

ABB. 3 Automatenuhr mit dem «Grossen Zauberkünstler». Jean-David und Julien-Auguste Maillardet, Fontaines (NE), um 1830. Die Aufnahme in die Sammlung erfolgte 1907.

Die Gesellschaft der Uhrenfabrikanten, die 1902 eine jährliche finanzielle Unterstützung beschlossen hatte, und die Prüfanstalt für Edelmetallprodukte übergaben dem entstehenden Museum verschiedene Objekte sowie den Saldo der für die Weltausstellung von Paris gesammelten Geldmittel. Dazu kamen Stücke aus der Sammlung der Uhrmacherschule. Die Bevölkerung und die Uhrenfabrikanten wurden aufgerufen, Objekte und Werkzeuge zu spenden, kurz alles, was zur Veranschaulichung der für dieses Gewerbe über die Jahrhunderte entwickelten technischen und künstlerischen Aspekte dienen konnte. Wie die Gesellschaft der Uhrenfabrikanten, sicherte auch die Gemeinde 1904 einen finanziellen Beitrag zu, der jährlich erneuert werden sollte. Die Bemühungen von Privatpersonen (Mäzenen, Fabrikanten …), der politische Wille und die Beteiligung der Bevölkerung ermöglichten die Entstehung eines Museums, das seither eigenständig gewachsen ist, aber immer enge Beziehungen zur Uhrmacherschule bewahrt hat. Eine wichtige Rolle kommt diesbezüglich Maurice Favre als Vorsteher und Konservator des Uhren- und des Geschichtsmuseums zu. Die Erweiterung der Sammlung mit Referenzobjekten war ihm ein stetes Anliegen: emaillierte Uhren aus dem 17./18. Jh., Werke der Renaissance und des Barock, die Automatenuhr «Der Grosse Zauberkünstler» der Gebrüder Maillardet (ABB. 3), das Planetarium von François Ducommun, die Uhr von Louis Richard mit Konstant-Kraft-Hemmung sowie verschiedene Meisterwerke der berühmtesten Uhrmacher der Region wie Josué Robert, Jaquet-Droz, Girard-Perregaux u. a. m.