Das Nationale Jugendsportzentrum Tenero CST - Silvia Berselli - E-Book

Das Nationale Jugendsportzentrum Tenero CST E-Book

Silvia Berselli

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Beschreibung

Das Nationale Jugendsportzentrum Tenero (CST) gehört zum Bundesamt für Sport (BASPO) und ist ein Sportpark. Seit den Achtzigerjahren hat sich dieser städtebaulich-architektonische Eingriff über mehrere Etappen entwickelt, deren letzte heute im Bau ist. Das Grundprinzip des Projekts besteht darin, die Gebäude so anzuordnen und zu verdichten, dass für Grünanlagen und Aktivitäten im Freien genügend Raum bleibt und entsteht. Für die Erweiterungsetappen zwei bis vier zeichnet mit Wettbewerbserfolgen Architekt Mario Botta verantwortlich. Mit den zwei Gebäuden Sasso Rosso und Gottardo und dem neuen vorgelagerten Baukörper (Mehrzweckgebäude Brere) verleiht er dem Zentrum seine markante Gestalt. Die Bauten schaffen ein Bühnenbild, das mit den Bergen und dem See in einen Dialog tritt. Die Materialiät und der architektonische Entwurf der Anlage sind in den verschiedenen Etappen von der Gesamtanlage bis ins Detail kohärent und durchdrungen von historischen, aktuellen und lokalen Referenzen. Sie heben die zeitliche Dimension des Gebäudes auf und machen es zur Ikone im Massstab der Landschaft.

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Silvia Berselli

Das Nationale Jugendsportzentrum Tenero CST

Kanton Tessin

Eine zeitlose Ikone

Das Gebiet «Brere» vor dem CST

Vom Sumpf über den Landwirtschaftsbetrieb zur Heilstätte

Die Schweizerische Nationalspende und die Heilstätte «La Cura»

Von der Heilstätte zum Nationalen Jugendsportzentrum

CST 1. Im Dienste junger Sportlerinnen und Sportler

CST 2. Im Massstab der Landschaft

Ein Sportpark

Die Architektur

CST 3. Umrisse definieren

CST 4. Institut für den Spitzensport

Die Architektur

CST 5. Ein Schwimmzentrum von internationaler Bedeutung

Kunstinterventionen

Schlussfolgerungen und Blick in die Zukunft. Eine inklusive Geschichte

Anhang

Eine zeitlose Ikone

In wenigen Minuten gelangt man von der Autobahnausfahrt zum Parkplatz des Nationalen Jugendsportzentrums Tenero (CST). Die gute Erreichbarkeit stellte von Anfang an einen Mehrwert sowohl für die Nutzerinnen und Nutzer als auch für den Betrieb des CST dar. Das hohe Tempo von Strasse und Stadt verlangsamt sich, wenn man sich dem Komplex nähert. Bei der Ankunft vom Parkplatz her beeindruckt der starke Auftritt der Gebäude Sasso Rosso und Gottardo einerseits und des neuen Mehrzweckgebäudes Brere andererseits. Die tiefe Stille der weiten grünen Wiese vor den Bauten steigert die Wirkung des komplementären Rots des Backsteins und bildet eine Zäsur zwischen der Aussenwelt mit dem hektischen Autoverkehr und der von den natürlichen Rhythmen der menschlichen Körper geprägten Anlage. In Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahre mit den Worten des Geologen Jarno: «Die Gebirge sind stumme Meister und machen schweigsame Schüler.» In Tenero wird die Architektur zur Schülerin der Berge und lernt von diesen die Kunst der Anordnung von Baukörpern im Licht, in der Stille und in der Zeit.

Das Gebiet «Brere» vor dem CST

Vom Sumpf über den Landwirtschaftsbetrieb zur Heilstätte

Das Gelände, auf dem sich das CST befindet, zeichnet sich aus durch eine Naturlandschaft von seltener Schönheit (ABB. 1), in der sich das Blau des Himmels in der Farbe des Sees auflöst und die Vegetation im Wechsel der Jahreszeiten mit allen Nuancen der Palette eines grossen Malers spielt. Dennoch waren es Menschen, die das einst unwirtliche Gebiet umgestaltet und bewirtschaftbar gemacht haben, bis es – in dieser sensiblen Durchgangszone nahe der Barriere des Alpenkamms – zum Bild der Gastfreundschaft schlechtin wurde. «Brere», wo der Ticino in den Lago Maggiore mündet, war ursprünglich ein grosser, sich über 3500 Hektaren bis nach Bellinzona erstreckender Sumpf, der in den Bolle di Magadino heute teilweise erhalten ist. Dieses Ökosystem, seit 1982 durch die UNESCO-Ramsar-Konvention geschützt, ist ein Feuchtgebiet und dient zahlreichen Vogelarten als Brut-, Zugvögeln als Rastplatz bei der Migration.

ABB. 1 Tenero-Contra. Im Hintergrund ist die Staumauer der Verzasca zu erkennen, rechts im Bild die Mündung des Ticino und der Zeltplatz Campofelice. In der Mitte befindet sich das Gelände des CST mit den Bauten der ersten Bauphase. Luftaufnahme von 1987.

ABB. 2 Die Papierfabrik «Cartiera del Verbano», 1954.

Das in Tenero vorhandene Wasser und die guten Verbindungswege begünstigten die Ansiedlung einer Papierfabrik, der «Cartiera del Verbano» (ABB. 2), die 1853 von Tomaso Franzoni, einem geschickten Geschäftsmann aus Locarno, gegründet wurde. Das Unternehmen verfügte von Anfang an über einen modernen und immer wieder erneuerten Maschinenpark. Während über 150 Jahren war es die wichtigste Produktionsstätte der Region und beschäftigte namentlich weibliche Arbeitskräfte in seinen zahlreichen Verarbeitungsstufen. Die Cartiera stellte den kantonalen Papierbedarf sicher und exportierte den Überschuss über den Wasserweg nach Italien. Nach ihrer Schliessung 2006 wurden die Maschinenhallen abgebrochen, um 2012 einem Geschäftszentrum Platz zu machen. Heute sind von der Fabrikanlage nur noch ein Kamin und ein Kanal als letzte stumme Zeugen der langen, industriell geprägten Vergangenheit übrig.

Ab 1888 fand eine grosse, zwanzig Jahre andauernde Baukampagne im Gebiet des Ticino statt: Der Fluss wurde begradigt, erhielt neue Dämme und die Mündungsfläche in den See wurde verkleinert. Die 1918 begonnenen Meliorationsarbeiten in der Magadinoebene (ABB. 3) führten zur Drainage des Geländes mit Kanälen zur Ableitung des Grundwassers mit dem Ziel, den Boden bewirtschaftbar zu machen, sowie zur Befestigung der Flussufer des Ticino. Angesichts der in Europa in der frühen Nachkriegszeit herrschenden Geld- und Lebensmittelknappheit, musste den von der Front zurückgekehrten und geschwächten Soldaten dieses von Menschen dem Sumpf abgerungene und «geheilte» Gelände als gelobtes Land erscheinen.

ABB. 3 Meliorationsarbeiten in der Magadinoebene.

Nicht zufällig gründete im November 1921 die Schweizerische Nationalspende für unsere Soldaten und ihre Familien (SNS) in Tenero die landwirtschaftliche Heilstätte «La Cura» (ABB. 4) mit angegliedertem Landwirtschaftsbetrieb. In Zusammenarbeit mit der Militärklinik in Novaggio im Malcantone verfolgte sie das Ziel, nicht nur körperliche, sondern auch seelische Wunden zu heilen. Das Erlernen landwirtschaftlicher Berufe, eine «Arbeitstherapie» in einer gesunden, natürlichen Umgebung an der frischen Luft, sollte die Wiedereingliederung der Soldaten in die Gemeinschaft fördern.

ABB. 4 Links im Bild das (noch heute existierende) Wohngebäude, rechts der Ökonomiebau (abgebrochen 1996). Postkarte.

Die Schweizerische Nationalspende und die Heilstätte «La Cura»

Die Schweizerische Nationalspende für unsere Soldaten und ihre Familien (SNS) wurde vom Bundesrat 1919 in Bern nach dem Erfolg einer öffentlichen Sammlung, die die damals beträchtliche Summe von 7 Millionen Franken erreicht hatte, gegründet. Damit sollten invalide Soldaten und deren Familien unterstützt und die Kosten für lange Spitalaufenthalte übernommen werden. Diese brauchte es aufgrund der Behinderungen verursachenden Krankheiten wie Tuberkulose, die weit verbreitet und endemisch vor allem bei Armeeangehörigen auftraten. In den meisten Fällen verbrachten die Soldaten eine erste Zeit in Novaggio. Nach Tenero wurden sie erst dann verlegt, wenn ihr Gesundheitszustand den Beginn einer Arbeitstherapie erlaubte. Diese sollte die Rückkehr ins zivile Leben nach dem Motto des Hauses «Qui se penche sur la terre, se relève» («Wer sich zur Erde beugt, steht wieder auf») erleichtern.

Die Wahl des Standorts für die Heilstätte hing von Faktoren ab wie: der Nähe von Verkehrswegen, die das Reisen auf Strasse, Wasser und Schiene erleichterten; dem flachen Gelände; der für die Tuberkulose-Liegekur wichtigen Sonneneinstrahlung; dem milden Tessiner Klima und dem sauberen Wasser der Verzasca, die das Grundstück wie ein Schutzgraben umgab (ABB. 5). Der lehmhaltige, fruchtbare Boden des meliorierten Geländes eignete sich für die Landwirtschaft. Die Leitung des an die Heilstätte angeschlossenen Bauernbetriebs wurde der umtriebigen Familie Feitknecht anvertraut, die ihn geschickt führte und laufend verbesserte. Innert Kürze wurde der Musterbetrieb in Tenero zur treibenden Kraft für den gesamten Landwirtschaftssektor der Region.

Eine strenge Disziplin erlaubte es «La Cura» zwischen 1922 und 1933 1396 Patienten aufzunehmen, im Durchschnitt 116 pro Jahr, ohne dass es zu Zwischenfällen oder Problemen kam. Während des Zweiten Weltkriegs dehnte der Landwirtschaftsbetrieb seine Anbaufläche aus und holzte angrenzendes Gelände ab, um die Produktivität zu steigern und einen Beitrag zur Selbstversorgung des Landes zu leisten, wie dies vom Plan Wahlen vorgesehen war.

ABB. 5 Luftaufnahme mit Blick vom Lago Maggiore Richtung Bellinzona. Links im Bild ist das Gelände zu sehen, auf dem das Zentrum «La Cura» entstand, 1977.

Nach dem Ende der Notlage des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit ging die Zahl der stationären Patienten rasch zurück und die Inflation nahm so stark zu, dass die Betriebskosten nicht mehr tragbar waren: 1962 beschloss die SNS, den rentablen Landwirtschaftsbetrieb aufrechtzuerhalten, die Heilstätte jedoch endgültig zu schliessen. Im Sommer desselben Jahrs organisierte der Solothurner Kantonalturnverband durch eine glückliche Verkettung von Zufällen in Tenero, direkt neben dem Bauernhof, das erste Sportlager für 45 Athleten. Dieses fand im Rahmen des Bundesprogramms zur Förderung der sportlichen Betätigung von Jugendlichen, damals «Vorunterricht» genannt, statt.