Das neue Führen - Bodo Janssen - E-Book

Das neue Führen E-Book

Bodo Janssen

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Beschreibung

Führung neu denken

Noch nie waren wir mit der Unvorhersehbarkeit des Lebens so konfrontiert wie heute. Nicht nur privat, sondern auch beruflich. Als Führungskräfte sind wir gefordert: müssen wirtschaftliche Zwänge und Probleme genauso abfedern wie die Sorgen und Nöte unserer Mitarbeiter.
Wie gewinnen wir die Gelassenheit und Klarheit, die wir jetzt brauchen, um Einzelne und die Gemeinschaft zu stärken? Woher nehmen wir den Mut, uns von den Ereignissen leiten zu lassen? Wo finden wir unseren Ruhepol?
Bodo Janssen überdenkt in seinem neuen Buch die Prinzipien der Führung und schafft einen Wegweiser für die Zeitenwende. Eine Lektüre mit hohem Praxiswert für Führungskräfte aller Ebenen – voller Kraft, Weisheit und Vision.

  • Das Prinzip Führung: Erfolgsautor Bodo Janssen liefert den Wegweiser für die Zeitenwende
  • Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit und Klarheit: Was brauchen Führungskräfte, um Einzelne und die Gemeinschaft zu stärken?
  • Für Fans von Bodo Janssen und die Leser*innen von Reinhard K. Sprenger

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Seitenzahl: 273

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Zum Buch:

Führung neu denken

Noch nie waren wir mit der Unvorhersehbarkeit des Lebens so konfrontiert wie heute. Nicht nur privat, sondern auch beruflich. Als Führungskräfte sind wir gefordert: müssen wirtschaftliche Zwänge und Probleme genauso abfedern wie die Sorgen und Nöte unserer Mitarbeiter.

Wie gewinnen wir die Gelassenheit und Klarheit, die wir jetzt brauchen, um Einzelne und die Gemeinschaft zu stärken? Woher nehmen wir den Mut, uns von den Ereignissen leiten zu lassen? Wo finden wir unseren Ruhepol?

Bodo Janssen überdenkt in seinem neuen Buch die Prinzipien der Führung und schafft einen Wegweiser für die Zeitenwende. Eine Lektüre mit hohem Praxiswert für Führungskräfte aller Ebenen – voller Kraft, Weisheit und Vision.

Zum Autor:

Bodo Janssen, geboren 1974, studierte BWL und Sinologie und stieg im Anschluss ins elterliche Hotelunternehmen ein. Als sein Vater bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, übernahm er die Führung der Hotelkette. Nachdem er bei einer Mitarbeiterbefragung vernichtende Ergebnisse erhalten hatte, beschloss er, für eineinhalb Jahre ins Kloster zu gehen. Nach dieser Zeit der inneren Einkehr leitete Bodo Janssen in seinem Unternehmen einen Paradigmenwechsel ein mit dem Ziel, eine authentische Unternehmenskultur zu entwickeln, in der jeder Mitarbeiter im Unternehmen das leben kann, was ihm als Mensch wichtig ist. Im Ariston Verlag sind bereits seine Bestseller »Die stille Revolution«, »Stark in stürmischen Zeiten« (zs. mit Anselm Grün), »Eine Frage der Haltung«, »Stille« und »91 Schlüsselsätze für ein gelingendes Leben« erschienen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.

© 2023 Ariston Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Redaktion: Regina Carstensen

Umschlaggestaltung: wilhelm typo grafisch, unter Verwendung von Fotos von Kay Blaschke/Penguin Random House und bgrocker/Shutterstock.com

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-30656-4V001

Ungewissheit ist gerade die Bedingung, die den Menschen zur Entfaltung seiner Kräfte zwingt.

Erich Fromm

Inhalt

Beweggründe und Gebrauchsanweisung

TEIL I

Bewusstsein schaffen

Zeitenwende

Zurück in die Zukunft

Führung, sich führen lassen und sich selbst führen

Toxische Führung

Neue Arbeit

New Work Inflation

Neue Führung

Wirtschaft und Spiritualität

Bewusstheit

TEILII

Entschlüsse fassen, ins Handeln kommen

Transformationsfähigkeit entwickeln

Gerechtigkeit üben

Stärkende Bilder

So-sein-Dürfen

Vertrauen aufbauen

Resilienz entwickeln

Enttäuschen und enttäuschen lassen

Transformationsturbo Vertrauen

Das rechte Maß finden

Gemeinschaft leben

Gelingende Beziehungen

Gebraucht fühlen

Sinn erfahren

Entschlüsse fassen

Zahlen für Skeptiker

Beweggründe und Gebrauchsanweisung

Die Inhalte und Gedanken zu diesem Buch möchte ich besonders den Menschen ans Herz legen, die tendenziell dazu neigen, (Führungs-)Bücher an Chefs zu verschenken, mit denen sie unzufrieden sind. Denn hier geht es nicht nur darum, andere zu führen, sondern – und das vor allen Dingen – sich selbst führen zu lassen.

Ohne sich dessen meist bewusst zu sein, übernimmt jeder Mensch nicht nur die Rolle des Führenden, sondern ebenso die des Geführten. Der Mitarbeiter wird von seinem Vorgesetzten geführt, der Vorgesetzte wiederum von seinem Vorgesetzten und so weiter. Und diese Kette wird fortgeführt, bis zur obersten Spitze einer Hierarchie. Viele Führungskräfte befinden sich in einer Sandwichposition und haben somit die Rolle des Führenden ebenso inne wie die des Geführten. Selbst Vorstände, Aufsichtsräte und Präsidenten werden geführt. Was für die Mitarbeitenden die Vorgesetzten sind, sind für die Vorstände, Aufsichtsräte und Präsidenten dieser Welt Geschehnisse und Umstände, über die sie nicht verfügen können: Pandemien, Kriege, Umweltkatastrophen, Marktentwicklungen oder Krisen. So ohnmächtig und machtlos sich mancher Mitarbeiter in Gegenwart seines Chefs fühlt, so ohnmächtig und machtlos fühlen sich viele Verantwortliche im Angesicht einer immer verrückter werdenden Welt. Jeder von uns wird also geführt. Ob wir wollen oder nicht.

Was sowohl die Vorgesetzten als auch die Umstände, durch die wir geführt werden, gemein haben, ist, dass wir über sie nicht verfügen können. Wir können genauso wenig über das Verhalten unseres Vorgesetzten verfügen, wie es uns nicht möglich ist, über Krisen, Katastrophen oder andere sich um uns herum entwickelnde Umstände zu verfügen. Aus diesem Grund empfand ich es als sehr wichtig, nicht nur über das Thema Führung zu schreiben, sondern auch über die Bereitschaft und Fähigkeit, sich führen zu lassen.

Hinzu kommt, dass sich uns die Welt auf eine Art und Weise offenbart, die uns immer unsicherer werden lässt. Die Auswirkungen von Volatilität, Komplexität, Mehrdeutigkeit und Brüchigkeit bestimmen unseren privaten und beruflichen Alltag. Und die Frage, auf die ich auch eingehen werde, ist, wie es uns als Mitarbeiter, Führungskraft und Unternehmer gelingen kann, diese Zeiten der Unvorhersehbarkeit gemeinsam zu meistern. Denn das ist mir in den letzten Jahren immer bewusster geworden: Es gibt Probleme, die können wir nur gemeinsam lösen. Und die derzeit auf der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Agenda stehenden gehören dazu: Klimaschutz und Frieden zum Beispiel, oder in der etwas kleinteiligeren Betrachtung so etwas wie der Fachkräftemangel. Ob es den Fachkräftemangel wirklich gibt, kann ich nicht beurteilen. Was ich aber beurteilen kann, ist, dass wir den Fachkräftemangel in der Form, wie er in der Politik, in der Wirtschaft und der Öffentlichkeit diskutiert wird, bei uns im Unternehmen so nicht erleben: Drei von vier Bewerbern müssen wir derzeit absagen. Gründe dafür, weshalb das bei uns so ist, werde ich noch nennen.

Das neue Führen ist kein klassisch strukturiertes Führungsbuch, in dem verheißungsvolle Konzepte oder alles heilende Rezepte angepriesen werden. Es beschreibt eher eine sachlich-philosophische, aber auch praktische Reise, auf der ich durch die unterschiedlichen Facetten der Entwicklung unseres Familienunternehmens schlendere. Zehn Jahre nach Beginn unserer »Stillen Revolution« ziehe ich ein Zwischenfazit zu einer Entwicklung, die der Harvard Business Manager einst als einen am meisten beeindruckenden Wandel in der deutschen Managementgeschichte bezeichnete. Was ist davon geblieben? Was ist seitdem an Neuem entstanden?

In einem ersten Teil gehe ich darauf ein, was ein neues Führungsbewusstsein ausmacht und weshalb es uns in Zeiten der Unvorhersehbarkeit dabei helfen kann, gute Antworten auf die Fragen zu finden, die die uns alle herausfordernde Zeit mit sich bringt und noch bringen wird. In einem zweiten Teil kann jeder daran teilhaben, welche Antworten wir in unserem Unternehmen gefunden haben oder ich mit anderen und wie wir sie für uns in den Alltag übersetzt haben. In allen Teilen lade ich dazu ein, die vorliegenden Inhalte noch einmal zu vertiefen, um persönliche Antworten für komplexe Situationen zu finden.

Mit meinen eigenen Geschichten, Fragen und Übungen möchte ich eher zum Nachdenken anregen, statt pauschale Antworten zu liefern. Die passenden Antworten auf die Fragen, die sich jeder stellt, findet jeder am besten auch selbst.

Ich gehöre zu den 75 Prozent der Forsa-Umfrage vom Juli 2023, die das Gendern nicht anspricht. Aus diesem Grund habe ich zugunsten einer besseren Verständlichkeit und Lesbarkeit bei personenbezogenen Bezeichnungen auf eine geschlechterspezifische Differenzierung verzichtet und das generische Maskulinum angewandt. Dies soll jedoch keinesfalls eine Geschlechterdiskriminierung oder eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zum Ausdruck bringen. Im Sinne der Gleichbehandlung gelten deshalb entsprechende Begriffe für beide Geschlechter.

TEIL I

Bewusstsein schaffen

Zeitenwende

Viele Ingenieure brennen noch für den Verbrennungsmotor// Vor einiger Zeit hatte ich ein Gespräch mit einem mir bekannten Leiter eines Belegschaftsmanagements, es handelte sich um ein Tochterunternehmen eines großen deutschen Automobilherstellers. Er hatte um dieses Gespräch gebeten, um mich auf einen Vortrag für die Führungskräfte seines Unternehmens vorzubereiten. Ungefähr so lief es ab:

»Bodo, in diesem Unternehmen arbeiten rund 3000 Ingenieure, die für den Verbrennungsmotor ›brennen‹. Ingenieure, die schnelle und schicke Autos lieben und deren Auftrag darin besteht, Werkswagen unseres Mutterkonzerns mit Blick auf Optik und Leistung für einen exklusiven Käuferkreis weiterzuentwickeln. Nun haben wir Gewissheit darüber, dass der Verbrennungsmotor in absehbarer Zeit Geschichte sein wird. Doch was mache ich denn jetzt mit meinen Verbrennungsmotoren liebenden Ingenieuren?«

Ich fragte zurück: »Was hat für dich bisher Führungserfolg bedeutet?«

»Da sind die traditionellen Erfolgsfaktoren wie leistungsfähige Mitarbeiter, effiziente Prozesse, hohe Qualität, Innovationskraft, wirtschaftliche Ergebnisse etc.«

»Und haben diese Erfolgsfaktoren bei der Lösung deines aktuellen Problems weitergeholfen?«

»Bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen geht es offensichtlich nicht nur um Zahlen, Produktivität und Qualität«, so seine Antwort.

Einen Augenblick lang überlegte ich, wie ich ihn aus der Reserve locken konnte. Schließlich fragte ich: »Was müsste denn deiner Meinung nach Führung bewirken, damit du dich, dein Team und damit das Unternehmen für die Zukunft als erfolgreich beschreiben würdest?«

Nun dachte auch mein Gegenüber eine Weile nach, schließlich erwiderte er: »Wenn meine Ingenieure nicht nur die Bereitschaft, sondern auch die Begeisterung hätten, sich für das Thema E-Mobilität einzusetzen.«

»Das ist doch schon mal was. Wenn also Führungserfolg für dich zurzeit eher nicht in den traditionellen Erfolgsfaktoren liegt, sondern mehr darin, Menschen zu befähigen, sich für etwas Neues zu begeistern, wird das Auswirkungen auf deine Art der Führung haben. Denn dann heißen die im Kontext der Führung stehenden Fragen für dich nicht mehr: Wie kann ich diesen oder jenen Prozess noch effizienter gestalten? Wie kann ich die Kosten in jedem Bereich oder in jener Abteilung weiter senken? Sondern: Wie gelingt es mir, 3000 Ingenieure für das Unvorhersehbare, das Unbekannte und vielleicht auch bisher Unbeliebte zu begeistern? Wie schaffe ich es, 3000 Ingenieure zu befähigen, gut mit dem Unverfügbaren umzugehen? Denn keiner von ihnen kann darüber verfügen, ob die E-Mobilität Einzug hält oder nicht.«

Gespräche wie diese oder Aussagen wie »So kann es nicht weitergehen« werden mir immer wieder und immer häufiger von Menschen entgegengebracht, die angesichts einer ständig verrückter erscheinenden Welt keine passenden Antworten mehr auf Fragen finden, die sich auf die Zukunft ihrer Arbeit, ihrer Führung von Mitarbeitern, ihres Umgangs mit den Chefs ihres Unternehmens oder sogar ihres eigenen Lebens beziehen. Die meisten der Menschen, von denen ich solche Aussagen oder Fragen höre, sind ratlos, fühlen sich der immer rasanter werdenden gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung machtlos ausgeliefert.

Vor zwölf Jahren fasste ich einen sehr wichtigen Entschluss – nämlich den, den Sinn in unserem Unternehmen nicht mehr in der Gewinnmaximierung zu sehen, nicht mehr darin, die wirtschaftliche Leistung um jeden Preis zu erhöhen, sondern darin, Menschen zu stärken. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich der Auffassung, dass wirtschaftliches Wachstum nicht nur meine Sehnsucht nach einem glücklichen Leben erfüllt, sondern auch die Probleme des Unternehmens löst. Und so war es für mich bis 2010 darum gegangen, alles dafür zu tun, das Unternehmen aus der Abhängigkeit heraus in die wirtschaftliche Freiheit zu führen. In dem Glauben, dass Größe und Stärke unabhängig machen, versuchte ich, seine Wirtschaftsleistung zu steigern. Mein tägliches Tun bestand darin, die Mitarbeiter zu mehr Effizienz, Produktivität und Leistung anzutreiben, Transparenz, Sicherheit und Kontrolle zu gewinnen sowie sämtliche Prozesse zu optimieren und die Qualität zu steigern. Es ging für mich darum, alles aus den für mich arbeitenden Menschen und dem Unternehmen herauszuholen. Die Menschen waren damals für mich vor allem eines: Mittel zum Zweck Wirtschaftswachstum. Mittel zum Zweck, dass es dem Unternehmen gut geht und ich mich besser fühlte.

Mit meiner im Winter 2011 getroffenen Entscheidung änderte sich einiges. Der wohl maßgebliche Paradigmenwechsel bestand darin, nicht mehr den Menschen in den Dienst der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft in den Dienst des Menschen zu stellen. Das Unternehmen als Mittel zum Zweck dafür zu betrachten, Menschen zu stärken. Doch was hieß es konkret, Menschen zu stärken? Was bedeutete das für das Unternehmen und seine Entwicklung? Zunächst war mir das alles nicht so klar, doch ich versuchte mich darin, eine »Vision von glücklichen Menschen« zu formulieren. Mir war bewusst, dass ich niemanden wirklich glücklich machen kann. Wohl aber konnte ich in meiner Rolle als Unternehmer, in der als Führungskraft, Ehemann, Vater, Freund oder Kollege durch mein Verhalten und das Schaffen von günstigen Rahmenbedingungen dazu beitragen, dass Menschen für sich das finden, um sich ein bisschen wohler in ihrer Haut zu fühlen.

Im weiteren Verlauf der sich meiner Entscheidung anschließenden Entwicklung kristallisierte sich aber ein sehr klares Bewusstsein heraus, was »Menschen stärken« konkret für mich bedeutete. Es ging darum, dass sie abends aufrechter nach Hause gehen, als sie morgens zur Arbeit gekommen sind. Menschen zu stärken hieß, sie auf ihrem Weg aus der Angst heraus ins Vertrauen, aus der Fremdbestimmung in die Selbstbestimmung, aus der Opferrolle in die Selbstverantwortung zu begleiten. Sie dabei zu unterstützen, die Fähigkeit und Bereitschaft zu entwickeln, sich den persönlichen, privaten und beruflichen Herausforderungen zu stellen, anstatt vor ihnen zu flüchten. Das Leben (einschließlich der Arbeit) lieben zu lernen, was auch immer das Leben ihnen beschert. Oder einfach ein Leben zu leben, das zu ihnen passt. Eine Arbeit auszuüben, die zu ihnen passt.

Meinen persönlichen Anspruch hatte ich noch ein bisschen erhöht. Denn ich ordnete der Stärkung des Menschen einen Begriff aus der antiken ethischen Philosophie zu: die Eudämonie (griech. eudaimonia; Glück, Zustand des Menschen, in dem die Gottheit, daimon, wohlgesinnt ist). Sie beschreibt eine innere Zufriedenheit jenseits äußerer Faktoren. Ein psychisches, physisches und soziales Wohlbefinden unabhängig davon, was um einen herum geschieht; hemdsärmlig vielleicht mit Resilienz übersetzt. Das war das, wofür unser Unternehmen stehen sollte. Das war das, wofür ich mich einsetzen wollte. Am besten täglich. Daraus entstand die Frage: Was bedeutet dieser für mich neue Anspruch für das Unternehmen? Was bedeutet es für Führung, die in der Absicht geschieht, Menschen zu stärken? Für die Kommunikation, die Organisation, die Infrastruktur, für Produkte, Angebote, Erfolgsmodelle, Sichtweisen, Entscheidungen und Verhaltensmuster? Und so machte ich mich vor zwölf Jahren auf den Weg, nicht nur Antworten auf diese Fragen zu finden, sondern versuchte auch gleich die gefundenen Antworten in die Tat umzusetzen.

Was ich damals weder wusste noch erahnte, war, dass die Folgen meiner Entscheidung offensichtlich immer mehr Menschen im Unternehmen dazu befähigten, sich in diesen anspruchsvoller werdenden, herausfordernden Zeiten immer besser zurechtzufinden.

Zurück in die Zukunft

Wenn die Verheißung von früher zur Bedrohung von morgen wird//In einem Telefonat kam ich mit dem Mitarbeiter eines Verlags auf den forensisch-psychiatrischen Gerichtsgutachter Dr. Reinhard Haller zu sprechen. Er beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie es uns gelingt, uns selbst in schwierigen Zeiten nicht verrückt zu machen. Und ein von ihm betrachteter Aspekt war es dann auch, der mich aufhorchen ließ, denn mein Gesprächspartner zitierte den österreichischen Mediziner mit dem folgenden Satz: »Die heute als verrückt bezeichneten Zeiten sind im Lauf der Geschichte eigentlich die normalen, und die normalen Zeitepochen die wirklich verrückten.« 

Mich erinnerte die Aussage an die Beerdigung der Großmutter meiner Frau Claudia, die 1935 geboren wurde und nach sechsundachtzig, zum Teil sehr herausfordernden Lebensjahren verstarb. Auf ihrer Beerdigung sagte der Pastor: »Gerhardine war eine Frau, die das Leben zu nehmen wusste, wie es kam.« Die Großmutter meiner Frau erfuhr Zeiten, die durch Kriege, Hunger, Armut und Angst geprägt waren. Aber nicht nur ihre Generation, sondern ebenso die meisten vor ihr waren durch militärische Auseinandersetzungen, Seuchen, Hunger und Not oder Naturkatastrophen geprägt. Erst die Generationen nach dem Zweiten Weltkrieg hatten, zumindest in Westeuropa, das unglaubliche Glück, in einer Zeit aufzuwachsen, die vor allem durch Wohlstand und Frieden geprägt war, einer Zeit, in der die Menschen die meisten der herausfordernden Umstände der früheren Generationen in dieser Form nie erfahren mussten und in der die Steigerung des Bruttosozialprodukts zum Goldenen Kalb, zum Gott erkoren wurde. Und der Glaube, dass Wirtschaftswachstum alle Probleme löst, wurde zum Credo einer ganzen Generation. Und so führte die vermeintliche Glücksformel: »Je größer das Bruttosozialprodukt, desto höher der Wohlstand und das Wohlbefinden« dazu, dass die Wirtschaft nicht dem Menschen diente, sondern die Menschen sich und ihre Gesundheit der Wirtschaft, dem Wohlstand opferten.

Doch was wir seit Beginn der Zwanzigerjahre im neuen Jahrtausend erfahren, lässt uns aufhorchen. Wir erleben etwas, was wir vielleicht geahnt haben, aber zugleich einiges, was wir uns so nicht vorstellen konnten. Auch wenn wirtschaftliches Wachstum und Globalisierung über Jahrzehnte für Sicherheit, Stabilität und Frieden gesorgt haben, war uns bewusst, dass es kein unendliches Wachstum geben konnte. Und so hat uns der Kampf um die für das Wachstum erforderlichen Arbeitskräfte und Rohstoffe wieder in Situationen gebracht, die für unsere Vorfahren normal waren: Inflation, Energiekrise, Rohstoffmangel, Flüchtlingswellen, Pandemien, Klimakatastrophen und nicht zuletzt einen erneuten Krieg in Europa. Der Unterschied zu den vorherigen Generationen besteht jedoch darin, dass wir die Einstellungen und die Fähigkeiten verloren oder verlernt haben, in dieser für uns neuen Welt, die mit Modellen wie VUCA (die Abkürzung für Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity, also Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität) oder BANI (Brittle, Anxious, Nonlinear, Incomprehensible; Brüchig, Verunsichert, Non-Linear, Unverständlich) beschrieben werden, um mit neuen Herausforderungen zurechtzukommen. Und so erleben wir, dass sich der »Gott« des Wohlstands nicht im gleichen Maße für unser Wohlbefinden verantwortlich gefühlt hat, dass unendlicher Wohlstand eben nicht unendliches Wohlbefinden bedeutet. Denn uns begegnen immer mehr Menschen, die überfordert sind, unter Burn-out, Depressionen oder anderen psychosomatischen Erkrankungen leiden. Und das völlig unabhängig vom Gehalt. Doch was ist dann die Währung, wenn der Euro an Bedeutung verliert? Gesundheit? Psychisches, physisches oder soziales Wohlbefinden? Sinn? Und welche Anforderungen stellt dies an die Führung von morgen?

Führung, sich führen lassen und sich selbst führen

Führung hoch drei//Die Fragen, die aktuell zum Thema Führung diskutiert werden, unterscheiden sich nicht sehr von denen der Vergangenheit. Es sind vielleicht ein paar hinzugekommen, jedoch richtet sich der Fokus letztendlich auf eine Frage: Wie führe oder transformiere ich ein Unternehmen, eine Abteilung, ein Team erfolgreich? Wie das gelingt, hat sich meinen Erfahrungen und Beobachtungen nach in den letzten Jahren stark gewandelt. Führung ist im Wesentlichen von drei Faktoren abhängig. Von der Absicht, mit der ich führe, von dem Kontext, in dem ich führe, sowie den Menschen, die ich führe. Und da sich der Kontext, in dem Führung geschieht, und das Bewusstsein der Menschen, die geführt werden, einem permanenten Wandel unterliegen, macht es Sinn, sich immer wieder mit dem Thema Führung neu zu befassen.

Beim Führen geht es nicht um Kategorien wie Richtig oder Falsch, Gut oder Schlecht, denn ob ich meine Führung als richtig oder falsch, gut oder schlecht empfinde, hängt stark davon ab, mit welcher Absicht ich führe, was Führungserfolg für mich bedeutet. In Gesprächen mit Kollegen, aber auch mit anderen Unternehmern oder Führungskräften mache ich häufig die Erfahrung, dass wir alle über Führung sprechen, aber jedoch ein unterschiedliches Bewusstsein davon haben, was Führung für den jeweiligen Menschen bedeutet. Eine Diskrepanz zwischen dem, was Führung bedeutet, herrscht nicht nur zwischen vielen Trainern, Coaches, Beratern und den Führungskräften eines Unternehmens, sondern ebenso und ganz besonders zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitern. Eine Gallup-Studie von 2010 zeigte auf, dass 97 Prozent der Führungskräfte glaubten, einen guten Job zu machen, während über 90 Prozent der Mitarbeiter aufgrund des Vorgesetzten kündigten. 2020 wurde die Studie wiederholt, mit einem identischen Ergebnis: »Führungskräfte sind der wahre Produktivitätskiller.«

Offensichtlich gibt es hier ein Missverständnis, fehlt ein gemeinsames Verständnis darüber, was Führungserfolg für beide Parteien bedeutet, was das passende Führungsverhalten ausmacht. Und Missverständnisse führen nicht zum ersten Mal zu Konflikten, zu gestörten Beziehungen, die über kurz oder lang mit sich bringen, dass sich Menschen voneinander trennen. Die Frage, die sich daraus ableitet, lautet: Welches Bewusstsein, welcher Eigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen bedarf es, um Führende und Geführte wieder zusammenzubringen?

Mitgefühl statt Datenbank// Was uns dabei hilft, die Beziehung zwischen Führenden und Geführten erneut gelingen zu lassen, ist die Fähigkeit, die Situation des jeweils anderen nachzuempfinden, uns in die Lage unseres Gegenübers hineinzuversetzen. Empathie ist also eine wichtige Voraussetzung. Der 2018 verstorbene britische Astrophysiker Stephen Hawking mahnte uns, dass das Überleben der Menschheit von ihrer Fähigkeit zur Empathie abhängig sei. Und auch mit Blick auf die sich rasant entwickelnde künstliche Intelligenz können wir absehen, dass Empathie etwas sein wird, die uns von KI nicht abgenommen werden kann. Denn Empathie, also die Bereitschaft, Emotionen und Gedanken, Motive anderer zu erkennen, zu verstehen und zu fühlen, sich also in andere hineinversetzen zu können, unterscheidet den Menschen von der Maschine.

Doch seit Beginn der Industrialisierung wurde uns genau das abtrainiert, denn mit ihrem Einzug ging es darum, die Maschine als Idealbild anzusehen, und Führungskräfte von Fabriken waren darauf ausgerichtet, die menschliche Leistungsfähigkeit an die einer Maschine anzupassen, an die Erfordernisse der Produktion. Der Mensch musste entsprechend ihren Anforderungen und Standards normiert werden, Privates und Persönliches mussten am Werkstor abgegeben werden. Und nun erleben wir, dass die vom Menschen geschaffenen Maschinen ihn immer öfter ersetzen und es nun mehr darauf ankommt, die Menschlichkeit und all die von ihr ausgehenden Fähig- und Fertigkeiten wieder zu entdecken und zu erlernen.

Und wer sich schon mit künstlicher Intelligenz befasst hat, wird zudem zu der Erkenntnis gelangen, dass das, was die Entwicklung der Maschine für das Handeln des Menschen bedeutete, sich bei KI wiederholen wird. Nur dass es hierbei weniger um unser Handeln als vielmehr um unser Wissen geht. Die Generierung, der Zugriff und die Nutzung von Wissen wird immer unabhängiger von einzelnen Menschen. ChatGPT erzeugt in Sekundenschnelle Wissen und macht es öffentlich zugängig. Aber viele Führungskräfte in technischen Berufen, Ingenieure etwa, aber auch Betriebswirte und Ökonomen haben ihre Führungsarbeit und -position auf dem Fundament ihres Wissens aufgebaut. Doch was bedeutet das für sie, wenn ihr Wissen in Zukunft von KI generiert wird, ihr Wissen nicht mehr mit Macht gleichzusetzen ist, sondern für ihre Führungsarbeit immer mehr an Bedeutung verliert. Wie werden sie damit umgehen, wenn KI sie abermals auf das zurückwirft, was von ihnen jahrelang als »weicher Faktor« abgetan wurde: Menschlichkeit. Und wird KI uns dazu bringen, uns von der Wissens- in eine Weisheitsgesellschaft zu transformieren? »Die Macht der Ingenieure und Ökonomen brechen«, so formulierte es Thomas Sattelberger, ehemaliger Vorstand der Telekom in Die stille Revolution, unserem Kinofilm zum Kulturwandel in der Arbeitswelt. Und er führte weiter aus: »Sozialwissenschaftler und Philosophen in die Führungspositionen.« Bisheriges Führungswissen und -verhalten in Zeiten der Unvorhersehbarkeit und von künstlicher Intelligenz werden schneller an ihre Grenzen stoßen, als sich das manch einer wünscht und vorstellen kann. Doch was machen wir mit dieser Erkenntnis?

Reflexion ist produktiver als Aktion//Was mir geholfen hat, mich als Führungskraft wieder besser in mein Gegenüber hineinzuversetzen, war die Erinnerung daran, welche unterschiedliche Formen der Führung ich bisher erlebt hatte. So versuchte ich mich zum Beispiel zu entsinnen, von welchen Menschen ich bisher geführt wurde und welches Verhalten sie dabei an den Tag gelegt hatten. Dann begann ich mir klarzumachen, ob dieses Verhalten anfangs für mich problematisch, aber mittelfristig doch hilfreich war, oder ob es sich genau umgekehrt verhielt. Bei der Auswahl der Menschen, an deren Führung ich mich erinnern wollte, ging ich sehr breit vor, ich scheute mich nicht davor, bis in die Kindheit vorzudringen, zu meiner Mutter, meinem Vater, den Lehrern. Meine Französischlehrerin hatte zwar sehr streng gewirkt, aber sie wurde von allen respektiert – was war ihr Geheimnis von Führung gewesen? Ohne dass ich es als Jugendlicher jemals hätte konkret benennen können, würde ich meine damalige Lehrerin heute als einen Menschen beschreiben, der genauso glaubwürdig wie besonnen und konsequent war. Aber allem voran ein ehrliches Interesse daran hatte, dass wir Kinder uns weiterentwickelten. Frau Willms war auf ihre Art und Weise einfach authentisch.

Neben der Erinnerung waren es weiterhin aktuelle Beobachtungen, die mir halfen, sowohl ein Bewusstsein als auch eine Empfindung dafür zu entwickeln, wie es sich anfühlt, geführt zu werden. Der Startschuss war ein Gefühl der Ohnmacht, der Machtlosigkeit, das ich besonders in den letzten Jahren immer dann spürte, wenn ich einer Situation ausgesetzt war, über deren Entwicklung und Ausgang ich nicht verfügen konnte. Als ich über diese Situationen reflektierte, wurde mir bewusst, dass es nicht nur Mitarbeiter sind, die geführt werden, sondern letztlich jeder Mensch geführt wird. Und zwar völlig unabhängig davon, in welcher Position er sich befindet. Somit ist wichtig, auch als Führungskraft wieder das Bewusstsein, die Bereitschaft und die Fähigkeit zu entwickeln, sich führen zu lassen. Das trägt zu einer Gemeinschaft bei, die entscheidend ist für ein Bestehen in einer Welt, in der es von Tag zu Tag dynamischer, komplexer, brüchiger, mehrdeutiger, ja unvorhersehbarer wird. Die den zukünftigen Anforderungen genügende Führung setzt also die Bereitwilligkeit voraus, sich führen zu lassen und sich nicht nur durchsetzen zu wollen. Doch dieser Einsatz entwickelt sich erst mit der Kompetenz, sich selbst führen zu können.

Sich selbst führen bedeutet vor allem, sich kennenzulernen// Die Art und Weise meiner Führung hängt also nicht nur von meiner Absicht, dem Kontext und den Menschen ab, die von mir geführt werden. Entscheidend ist weiterhin, was ich in die Führung mit einbringe, was mich als Menschen ausmacht, mein persönliches Welt-, Menschen- und Selbstbild, meine Lebensgeschichte, meine bislang gemachten Erfahrungen, seien sie gut oder schlecht, und mein Bewusstsein darüber, was mir als Mensch wirklich wichtig ist und zu meinem Leben passt. Mein Weltbild ist nur Ausdruck der Umgebung, in die ich hineingeboren wurde, in der ich aufwuchs und erzogen wurde. Und somit ist klar, dass die aus meinem Weltbild heraus wirkenden Überzeugungen abhängig sind von meiner Geschichte. Meiner Lebensgeschichte. Und die Lebensgeschichte eines Menschen ist nie richtig oder falsch. Dazu gehört ebenso mein Bild, das ich mir davon mache, wie Führung auszusehen hat. Zunächst einmal ist auch das nicht richtig oder falsch. Zu fragen ist nur: Passt meine Führung noch zum Unternehmen oder in die heutige Zeit? Bewirken meine Hände, mein Handeln und meine Argumente, die ich aus meinen Überzeugungen entwickelt habe, noch das, was wir brauchen, um in dieser chaotischen Welt zu bestehen?

»Nur wer sich selbst führen kann, kann auch andere Menschen führen«, hieß es vor dreizehn Jahren, als ich das erste Mal ein Kloster betrat, um etwas über Führung zu lernen. In diesem Sich-selbst-Führen, bei dieser Arbeit an sich selbst, ging es zunächst darum, sich selbst besser kennenzulernen, Antworten auf die Fragen zu finden, was mich berührt, begeistert oder bewegt, was mir im Leben wirklich wichtig ist, mich erfüllt und Freude bereitet. Und welche Fähigkeiten und Talente mir dafür zur Verfügung stehen, all das zu verwirklichen. Selbstführung führt zur Selbsterkenntnis, Selbsterkenntnis zu Selbstvertrauen, und Selbstvertrauen lässt mich darauf vertrauen, mit all dem zurechtzukommen, was mir das Leben »auftischt«, so chaotisch es auch sein mag. Die Erfahrung, die ich persönlich damit machte, mich selbst zu führen, war, dass es zwischenzeitlich ganz schön unbequem sein konnte. Als Ausgleich hatte ich aber ein Fundament geschaffen, auf dem ich ein Leben aufbauen konnte, das zu mir passt. Zudem wurde meine Gefühlswelt ein bisschen unabhängiger von dem, was um mich herum so alles passierte.

Es ist wichtig, Führung und Arbeit an die menschlichen, gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und klimatischen Entwicklungen anzupassen. Genauso zwischen Führenden und Geführten ein gemeinsames Verständnis zu haben, worauf es in Zeiten der Unvorhersehbarkeit wirklich ankommt. Es gibt Probleme, die können wir nur gemeinsam lösen. Und die sich abzeichnenden Entwicklungen in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Klima gehören dazu!

Toxische Führung

Wer kränkt, macht krank// Im März 2023 erhielt ich von einer Redakteurin des Spiegels die Einladung zu einem Interview über toxische Führung. Es dauerte nicht lange, bis wir herausgearbeitet hatten, dass sich das Toxische nicht nur auf Führung selbst bezieht, sondern ebenso auf die Rahmenbedingungen. Natürlich gibt es ein Führungsverhalten, das krank werden lässt. Eine Führungskraft, die Menschen kränkt, macht krank. Aber genauso existieren Rahmenbedingungen, die Menschen krank werden lassen. Bekommt ein Mensch nicht die Möglichkeit, das, was er gerne macht und ihm wichtig ist, auch gut machen zu können, wird ihn das auf Dauer frustrieren. Und zu guter Letzt sprachen wir darüber, dass der gekränkte oder kranke Mitarbeiter nicht unbedingt die Folge eines kränkenden Führungsverhaltens oder krank machender Rahmenbedingungen sein muss, sondern jeder mehr oder weniger »Gift« in sich trägt, also im übertragenen Sinn schon »krank« zur Arbeit kommt.

Spontan fielen mir zwei Geschichten ein, anhand derer ich auf toxisches Führungsverhalten eingehen und einen Umgang damit beschreiben konnte. Erstere ereignete sich im Rahmen der Vorbereitung für einen Workshop mit dem Generalvikar eines österreichischen Bistums. In unserem Gespräch wurde ich auf die Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung hingewiesen, die zum Ausdruck gebracht hatte, dass viele Mitarbeiter sich von ihren Führungskräften nicht gesehen fühlen. So wurde mir erzählt, dass es manchen Führungskräften wohl nicht möglich sei, ihre Mitarbeiter zu grüßen, wenn sie diesen auf den Fluren begegnen. Die Mitarbeiter fühlten sich durch dieses Verhalten weder gesehen noch wertgeschätzt, seien deshalb unzufrieden.

»Was können wir tun, dass sich das Verhalten der Führungskräfte gegenüber den Mitarbeitern ändert?«, fragte der Generalvikar. »Können wir überhaupt etwas machen?«

Ich antwortete: »Wir können sehr wohl versuchen, die Führungskräfte dazu zu bewegen, ihren Mitmenschen ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Aber darüber verfügen, dass es tatsächlich geschieht, kann ich nicht. Aus diesem Grund wird es nicht allein darum gehen, mit den Führungskräften zu arbeiten, sondern mindestens genauso wichtig wird sein, die Mitarbeiter dazu zu befähigen, sich durch dieses Führungsverhalten nicht zu sehr beeinträchtigen zu lassen.«

Der Anspruch, den ich in die Arbeit mit den Mitarbeitern einbringe, findet seinen Ursprung in der Vorstellung, dass kein Vorgesetzter auf dieser Welt die Macht darüber hat, wie sie sich fühlen. Es ist die Vorstellung, eine innere Kraft zu entwickeln, die jede Führungskraft mit Blick auf deren innere Zufriedenheit machtlos erscheinen lässt. Es geht also darum, die Resilienz der Mitarbeiter gegenüber dem Verhalten ihrer Führungskräfte zu steigern. Ihr Wohlbefinden weniger von dem Verhalten anderer Menschen abhängig zu machen.

Bei der zweiten Geschichte war es mein Verhalten, das dazu führte, dass eine Mitarbeiterin tatsächlich krank wurde. Vor ein paar Jahren hatte ich mir spontan überlegt, in Zukunft kein eigenes Büro mehr belegen und nutzen zu wollen. Also räumte ich meine »sieben Sachen« zusammen und arbeitete fortan nur noch von unterwegs. Obwohl ich das Gefühl hatte, alles Organisatorische für diese Veränderung meiner Arbeitsweise mit dem Team besprochen zu haben, wies eine Mitarbeiterin nach diesem Wechsel immer stärker werdende körperliche Symptome auf: Es fing mit Zähneknirschen an, weiter hatte sie Blockaden in der Schulter und Taubheitsgefühle in den Händen. Irgendwann konnte sie sich nicht einmal mehr ihre Jacke selber anziehen. Ein paar Monate später kam durch Zufall heraus, dass sie nach meinem Auszug aus meinem Büro immer wieder in Situationen geriet, in denen sie sich machtlos fühlte, weil ich bei für sie akuten Fragestellungen nicht mehr so zu erreichen war, wie sie es bisher gewohnt war. »Mir sind die Hände gebunden« und »Beiß die Zähne zusammen« waren zwei ihrer Aussagen, die uns in einem Gespräch mit meiner Frau Claudia (sie ist Ärztin mit einem psychiatrischen Hintergrund) auf die Spur führten, dass es wohl zwischen meinem Verhalten und den Symptomen einen psychosomatischen Zusammenhang geben könnte. Und tatsächlich: Nach dem gemeinsamen Finden einer Lösung für unsere Zusammenarbeit wurden die körperlich so einschränkenden Symptome wieder weniger.

Einmal mehr wurde mir deutlich, dass wir uns als Führungskraft gar nicht häufig genug die Frage stellen sollten, welche Auswirkungen das eigene Verhalten auf andere hat. Wie viele der Führungskräfte sind sich der menschlichen Auswirkungen ihres Verhaltens auf andere überhaupt nicht bewusst?

Wenn Bürokratie und Arbeitsbelastung den Menschen die Luft zum Atmen nimmt// In dem Gespräch mit der Spiegel-Redakteurin hatten wir als weiteren Aspekt die Rahmenbedingungen thematisiert, die einen maßgeblichen Einfluss darauf haben, ob Menschen bei der Arbeit dauerhaft frustriert und dadurch krank werden – oder nicht. Auch dazu fiel mir ein Beispiel ein. Im Herbst 2021 hatten wir uns unter dem Motto »Weniger ist mehr« dafür entschieden, die Auslastungsgrenze unserer Hotels nach oben zu limitieren. Konkret bedeutete das, dass die Direktorin eines Hotels mit hundert Zimmern einen Buchungsstopp bei neunzig belegten Zimmern einrichtete. Denn Mitarbeiter, die sich qualifiziert und weiterentwickelt haben, so unsere Überlegung, würden irgendwann frustriert sein, wenn sie aufgrund des Auftragsvolumens ihre Fähigkeiten nicht mehr so einsetzen können, dass sie ihrem Anspruch gerecht werden. Es ist dann einfach zu viel zu tun, um gut sein zu können. Und das bekümmert jeden.

Aus diesem Grund macht es Sinn, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sie dem Maß der Mitarbeiter gerecht werden. Sie sollen zu ihrer Persönlichkeit, ihren Fähigkeiten, Eigenschaften und Kompetenzen passen. Und tatsächlich: Durch die eingezogenen Auslastungsgrenzen in den Hotels haben wir ein besseres Verhältnis zwischen Gast und Mitarbeiter geschaffen. Überdies haben wir Freiräume geschaffen, die es den Mitarbeitern ermöglichen, bei Problemen angemessener zu reagieren. Konsultiert der Gast nun aufgrund einer Problematik im Zimmer den Mitarbeiter an der Rezeption, muss dieser nicht resigniert darauf verweisen, keine alternative Lösung zu haben, sondern kann dem Gast ein Upgrade vermitteln. Beide sind in diesem Moment zufrieden. Der Gast mit seinem Upgrade und der Mitarbeiter mit der Möglichkeit, dem Gast eine Lösung anbieten zu können.

Das ist das, wofür ein Mitarbeiter brennt, wofür viele Mitarbeiter brennen: Lösungen zu finden! Und etwas gut machen zu dürfen! Hätte der Mitarbeiter für den Gast keine Lösung (ein alternatives Zimmer), würde er sehr schnell genauso unbefriedigt sein wie der Gast. Er kann ihm nicht helfen. So etwas macht ein Mitarbeiter zweimal mit, bevor er sich in den Krankenstand verabschiedet, weil er in eine Situation hineinmanövriert wurde, die für ihn ausweglos ist, in der er sich ohnmächtig fühlt, die ihn stresst und ihm über den Kopf wächst. Und Mitarbeiter, die dauerhaft gestresst sind, werden krank.