Kraftquelle Tradition - Bodo Janssen - E-Book

Kraftquelle Tradition E-Book

Bodo Janssen

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Beschreibung

"Stell dir vor, Arbeit bedeutet für dich, nur das zu tun, was dich wirklich erfüllt." In diesem Buch beschreibt Bodo Janssen, wie aus dieser Vorstellung in einer norddeutschen Hotelkette Realität wird. Es geht um den Abschied von einer zahlengetriebenen Leistungs¬gesellschaft und die Hinwendung zu einer den Sinn und Menschen stärkenden Gemeinschaft. So werden Potenziale des Einzelnen ebenso entfaltet wie ein gelingendes Miteinander. Bei der Antwort auf die Frage: "Wie sieht die Arbeit aus, die ich wirklich, wirklich will?" orientiert er sich an der 1500 Jahre alten Ordensregel des heiligen Benedikt von Nursia. Durch Bodo Janssens Interpretation mit vielen praktischen Beispielen aus seinem Unternehmen wird deutlich, dass diese Regel alles bereithält, was es für ein sinn- und menschenorientiertes Arbeiten in einem wirtschaftlichen Unternehmen braucht. "Er begann, bei mehreren Klosteraufenthalten sein Führungsverständnis zu reflektieren. Was daraus folgte, ist eine der beeindruckendsten Wandlungen der deutschen Managementgeschichte: eine grundlegende Veränderung der Unternehmenskultur hin zu glücklichen, selbstverantwortlich handelnden Mitarbeitern."

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Seitenzahl: 189

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Bodo Janssen

Kraftquelle Tradition

Benediktinische Lebenskunst für heute

Vier-Türme-Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2019

ISBN 978-3-7365-0272-7

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2019

Inhalt

~

Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?
Benedikt, New Work und das liebe Leben
Erfolg ist, wenn Liebe folgt
Tradition – ohne Geschichte keine Zukunft
Die Regel
Das Alte ehren und das Neue lieben
Neue Wege – alte Werte
Wie ich zu den Mönchen kam
Disziplin und Gehorsam
Im Gleichgewicht – ora et labora
In der Stille hören lernen
Gemeinschaft
»Stehen wir also endlich einmal auf!« – ins Handeln kommen
»Den unberechenbaren Tod täglich vor Augen haben«
Was konkret zu tun ist
Vom Überwinden zur guten Gewohnheit
Jan Luka überwindet sich
Verantwortung übernehmen – für mich und mein Tun
Die Werkzeuge der geistlichen Kunst – ein Vorbild guter Gewohnheiten
Die richtigen Worte finden
Vergeben – eine unglaubliche Kraft
Gute Eigenschaften finden – und fördern
Nobody is perfect
Erkenne dich selbst!
Dem inneren Kind begegnen
Marie zieht Kopfsalate
»Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt«
Özden findet einen neuen Stern
Gesund leben
Schlaf
Gemeinschaft
Stille
Was Gemeinschaft wirklich heißt
Was ihr dem Geringsten meiner Geschwister getan habt ...
Das Prinzip Augenhöhe
Die Pyramide
Das Netzwerk
Der Organismus
Eine Frage der Haltung – Gerechtigkeit und die gute Absicht
Miteinander sprechen anstatt übereinander zu reden
Beteiligung und Entscheidung
Fragen stellen statt Antworten geben
Ohne Führung keine Gemeinschaft
Entscheidungen treffen
Christus im Bruder begegnen
Gastfreundschaft
Das Unternehmen als Werkstatt für ein gelingendes Leben
Vom Deichgrafen zum Upleven
Feste Strukturen
Wofür es sich lohnt, jeden Tag aufzustehen
Der Autor

Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?

~

Benedikt, New Work und das liebe Leben

New Work oder die sogenannte neue Arbeit ist das Zauberwort, das einen sich in der Arbeitswelt vollziehenden Megatrend beschreibt und aktuell in aller Munde ist. Gemeint ist damit eine breite Bewegung aus Arbeitnehmern, Arbeitgebern, Philosophen, Soziologen und sogar bis hin zu Buthans Glücksminister Dr. Ha Vinh Tho, die an einer neuen Form von Erwerbstätigkeit mitdenken und mitarbeiten. Wenn man so möchte, ist die Work-Life-Balance als Schlagwort passé, im Vordergrund steht nun vielmehr, in seiner Arbeit Sinn zu finden, Leben und Arbeit also nicht als voneinander getrennt zu erleben. Es geht um erfüllte Lebenszeit.

Immer mehr Firmen legen Wert darauf, den im Zusammenhang mit diesem Begriff stehenden Ansprüchen gerecht zu werden. Um das zu erreichen, steht die praktische Beantwortung von Fragen wie: »Wie sieht denn das Unternehmen aus, in dem wir leben wollen?« oder »Wie sieht die Arbeit aus, die ich wirklich, wirklich will?« im Vordergrund. Bei den Antworten geht es um den Abschied von einer rationalen Leistungsgesellschaft und der Hinwendung zu einer den Sinn und den Menschen stärkenden Gemeinschaft, in der die Potenziale des Einzelnen genauso entfaltet werden wie ein gelingendes Miteinander. Die Absicht des Begründers der New-Work-Bewegung, Fridjof Bergmann, bestand darin, Zentren für »Neue Arbeit« zu gestalten, in denen Menschen gemeinsam mit ihren Mentoren ihre »Selbstunkenntnis« überwinden und sich auf die Suche nach einer Arbeit in Übereinstimmung mit den eigenen Wünschen, Hoffnungen, Träumen und Begabungen machen. Fridjof Bergmann ist der Ansicht, dass diese Neue Arbeit das eigene Leben so verändert, dass man sich »lebendig(er)« fühlt.

Auch ich wollte mich nach einer niederschmetternden Mitarbeiterbefragung wieder »lebendig(er)« fühlen und ging ins Kloster. Und was ich dort in meiner Zeit als Klosterschüler erkennen durfte und manch einen Leser überraschen wird, ist, dass die Wurzeln sowohl der Absicht als auch der Organisation des Neuen Arbeitens in einer 1500 Jahre alten Tradition verankert sind.

Im 6. Jahrhundert gründete Benedikt von Nursia auf dem Monte Cassino ein Kloster. Diese Abtei gilt als die Wiege des abendländischen Mönchtums. Um das Zusammenleben seiner Mönche zu ordnen und zu strukturieren, verfasste er eine Lebensregel, die als Benediktsregel fortan vielen Menschen und Gemeinschaften als Kompass auf dem Weg zur Selbsterkenntnis und Leitfaden für eine friedvolle Gemeinschaft diente. Im Prolog, dem Eingangskapitel der Regel, schreibt Benedikt einen Satz, der, etwas anders formuliert, auch der Leitsatz des New-Work-Begründers ist: »Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?« Beide scheinen sich einig darüber zu sein, dass Erfolg wenig mit Leistung, sondern viel mehr mit einem gelingenden Leben zu tun hat. Und während Fridjof Bergman von den ersehnten »Zentren für neue Arbeit« spricht, fordert Benedikt in seiner Regel dazu auf, »eine Schule für den Dienst des Herrn zu errichten«. Manch ein Leser wird sich fragen, was das eine mit dem anderen zu tun hat, doch bei genauerem Hinsehen und dem Versuch einer modernen Interpretation dieser alten Lebensregel werden die Gemeinsamkeiten nicht verborgen bleiben. So finden sich zum Beispiel auch in anderen Sätzen der Regel die Ursprünge der postmodernen Organisation, wie Frederic Laloux sie in seinem Buch »Reinventing Organizations« beschreibt. Da heißt es in einem Satz des Kapitels über die Einberufung der Brüder zum Rat: »Tu alles mit Rat, dann brauchst du nach der Tat nichts zu bereuen.« Gerade im 21. Jahrhundert, in dem es um Verantwortlichkeit, zwischenmenschliche Beziehungen, Gemeinschaft, Gesundheit, geistige Entwicklung und Sinn geht, ist die Regel aktueller denn je, denn darin geht es nicht um religiöse Vorschriften, sondern um eine Anleitung für die körperliche, geistige, seelische und soziale Entwicklung eines Menschen. Es geht um die Antworten auf die wichtigen Fragen des menschlichen Seins, des eigenen Lebens und des gelingenden Miteinanders. Und diese Fragen kann ich klug oder dumm, sinnvoll oder sinnwidrig beantworten.

Seit 2010 versuche ich die Regel Benedikts für mich persönlich, aber auch für das Leben und Arbeiten in unserem Unternehmen Upstalsboom als Kompass unseres Handelns zu verstehen. Die daraus entstandene Entwicklung ist tiefgreifend und wird vom Harvard Businessmanager als »beeindruckendster Wandel in der deutschen Managementgeschichte« beschrieben.

Dieses prominente Statement, aber auch viele andere Medienberichte über uns führen zu einer besonderen Herausforderung im Umgang mit dem uns entgegengebrachten Interesse. Zum Beispiel in Bezug auf die Mitarbeiter in unserem Unternehmen: Immer mehr Bewerber haben die Vorstellung, in der kulturellen Wüste unserer nationalen Arbeitswelt in Upstalsboom eine Oase der Glückseligkeit zu finden. Der häufige Irrglaube, dass bei uns nicht gearbeitet werden müsste, sich alle umarmen und nur lieb miteinander sind, hat schon so manch einen harmoniesuchenden Menschen dazu gebracht, sich bei uns zu bewerben. In der Praxis entstand dann mit der Erkenntnis die Ernüchterung, dass wie in jedem anderen Unternehmen auch bei uns Arbeit gefordert ist. Den Wenigsten ist im ersten Moment bewusst, dass wir Arbeit aber nicht ausschließlich als etwas betrachten, das dazu dient, unseren Lebensunterhalt zu verdienen, und das möglichst im »Piep-piep-piep-wir-haben-uns-alle-lieb-Schongang«, sondern vielmehr etwas ist, das dazu führt, sich selbst ein bisschen besser kennen und lieben zu lernen, seine Potenziale und sich als Persönlichkeit zu entwickeln und als Mensch zu wachsen. Was viele außerdem nicht glauben können: dass das richtig anstrengend ist, weil wir die Menschen bei uns dazu ermutigen, sich ihrem Schatten, ihren Verletzungen, ihrer Vergangenheit und nicht zuletzt ihren Kollegen, Kunden und Partnern zu stellen, um in der Begegnung mit ihnen zu wachsen. Wir unterstützen sie darin, sich den Herausforderungen des täglichen Lebens zu stellen und nicht vor ihnen zu flüchten. Denn mit Verhindern, Flüchten und Ausweichen hat noch niemand sein Ziel erreicht. Mit Blick auf unsere »Touren des Lebens«, auf die ich später noch eingehe, behaupte ich sogar, dass es bei uns teilweise noch viel anstrengender, herausfordernder und auch ungemütlicher zugeht als in vielen anderen Unternehmen. Aber der Lohn, den jeder für sein Tun empfängt, ist eben nicht nur etwas, das sich auf seinem Bankkonto bemerkbar macht, sondern ganz besonders in der persönlichen Entwicklung. Unserer bisherigen Erfahrung nach zeigt sich diese persönliche Entwicklung in einem selbstbestimmteren und selbstbewussteren Leben, in dem innere Zufriedenheit und Freude immer losgelöster vom Siegen, Besitzen, Haben, Konsumieren und Herrschen entstehen. Cathy, eine unserer Auszubildenden auf Föhr, fragte mich einmal: »Bodo, wird es nach meiner Zeit bei Upstalsboom überhaupt noch möglich sein, sich in einem anderen Unternehmen zurechtzufinden?« Meine Antwort war, dass es mein Anspruch ist, sie in ihrer Entwicklung so zu unterstützen, dass ihre Zufriedenheit möglichst unabhängig davon ist, in welchem Unternehmen sie arbeitet, und wir unser Ziel noch nicht erreicht haben, wenn ihre Zufriedenheit von ihrem Dasein in unserem Unternehmen abhängig ist. Denn dann waren wir im Sinne unsere Kultur und unseres Anspruchs noch nicht vollkommen erfolgreich. Und um es vorwegzunehmen: Wir werden auch nie vollkommen sein. Uns geht es um die innere Freiheit, das zu leben, was uns als Menschen, sei es in der Rolle als Gast, Mitarbeiter, Kollege oder Partner, wirklich wichtig ist, und das möglichst frei von äußeren Umständen. Es geht uns darum, Menschen dabei zu unterstützen, Sinn, Freiheit und Verantwortung für das eigene Leben zu finden und zu übernehmen.

Doch das bekommt keiner von uns geschenkt. Die Antworten auf die wichtigen Fragen des menschlichen Lebens muss sich jeder hart erarbeiten, auch bei uns. Diese extrem harte Arbeit bieten wir in unserem Unternehmen nicht nur gerne an, sondern wir haben sie zum Sinn unserer unternehmerischen Existenz erklärt. Arbeit ist bei uns damit weniger ein Mittel, um Geld zu verdienen, sondern vielmehr, um ein gesundes Leben zu leben. Und das bedeutet, sich psychisch, physisch und sozial wohlzufühlen. Das sehen jedoch viele Menschen nicht, die sich bei uns in dem Glauben bewerben, dass Upstalsboom das Paradies in dieser vielerorts oberflächlichen Arbeitswelt sei.

Das Glück findet niemand in irgendeinem Unternehmen, so wie es vielleicht gerade derjenige glaubt, der sich bei uns bewirbt, weil er es in seinem jetzigen Job nicht mehr aushält, weil er dort mit seinen Kollegen und Vorgesetzten nicht mehr zurechtkommt oder die Arbeitsbedingungen schwierig findet. Doch wer andernorts nicht zurechtkommt, wird es bei uns auch nicht, es sei denn, er kommt mit der festen Absicht, sich als Mensch auf den Weg in die Schule der Selbsterkenntnis zu begeben. So wie Isabella, eine Führungskraft in einer deutschen Großbank, die zwei Monate ihres Sabbaticals als Praktikantin in unserem Hotel auf Usedom verbracht hat. Sie ist bewusst aus dem herkömmlichen Karrierewege ausgestiegen, um ihren eigenen Weg zu definieren. Die gemeinsame Zeit mit unseren Mitarbeitern im Housekeeping, der Küche, der Rezeption und der Verwaltung haben ihr eindrucksvoll die Erkenntnis und die Erfahrung geschenkt, dass innere Zufriedenheit nur sehr wenig von äußeren Umständen abhängig ist, dass Jammern niemanden weiterhilft und nur man selbst ganz allein für sein Wohlbefinden verantwortlich ist. Sie fing an, sich mehr mit der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu beschäftigen, und durfte letztendlich erleben, dass auch ihre Zufriedenheit unabhängig von den Gegebenheiten bei ihrem Arbeitgeber ist. Diese Absicht haben New Work und Benedikt gemeinsam: Arbeit ist Teil einer Lebensaufgabe, der wir uns in der Hoffnung auf ein gelingendes Leben stellen müssen. Dieses persönliche Wachstum geschieht aber nicht, wenn ich dazu gezwungen werde, sondern nur, wenn ich es wirklich will, ich mich dazu entschieden habe.

Erfolg ist, wenn Liebe folgt

Früher war in meinen Augen Erfolg messbar an Dingen wie Status, Macht, Besitz oder Anerkennung. Erfolg zu haben bedeutete für mich, in diesen Bereichen zu siegen, besser zu sein als andere. Doch anstatt an die Spitze führte mich dieser tägliche Kampf um den Sieg in eine ordentliche Krise. Und mit der Krise stand eine Frage im Raum: Wieso gehen manche Menschen gestärkt aus einer Krise hervor, während andere an ihr zerbrechen?

Als ich 2010 nach der Mitarbeiterbefragung ins Kloster gegangen bin, konnte ich schließlich durch die Gemeinschaft und die Regel Benedikts Antworten darauf finden, wie eine Krise dazu führen kann, als Mensch zu wachsen. Die Regel des heiligen Benedikt war für mich ein Schlüssel für die Tür auf dem Weg zu einem gelingenden Leben. Sie ist für mich zu einem wichtigen Leitfaden in meinem Leben geworden, der mir immer wieder Impulse gibt, mich den Abenteuern und Herausforderungen des Lebens zu stellen und nicht vor ihnen zu flüchten. »Unter den Hammerschlägen unseres Schicksals formen wir uns in Weißglut zu Heiligen oder Dämonen« ist dabei für mich zu einer wichtigen Erkenntnis geworden. Jeder Mensch durchlebt Krisen oder muss sich Herausforderungen stellen, und so ist in mir die Sehnsucht gewachsen, meine Erfahrungen auch anderen Menschen zugänglich zu machen. So hielt die Regel des heiligen Benedikt nicht nur Einzug in mein Leben, sondern auch in unser Unternehmen und damit auch in das Leben vieler anderer Menschen. Die Regel hilft dabei, uns in eine Richtung zu entwickeln, die unserer ganz eigenen Wahrheit entspricht. Sie führt uns auf den Grund unserer Seele zurück, jenem Ort, an dem wir authentisch und unverletzbar sind. Und auf dem Weg dorthin bekommt auch Erfolg nach und nach eine ganz andere Bedeutung. Für mich heißt es heute, das Leben zu lieben, und zwar bedingungslos und unabhängig davon, was um mich herum geschieht.

Das Leben zu lieben bedeutet für mich aber auch, dass ich bei aller Verbundenheit mit meinen Mitmenschen die innere Freiheit habe, im Alltag das zu leben, was mir als Mensch wirklich wichtig ist, was meinem Wesen entspricht, die Gemeinschaft also genauso zu lieben wie die Freiheit. Das Leben zu lieben bedeutet für mich Gegenwärtigkeit, da zu sein, präsent zu sein und sich nicht von außen treiben zu lassen. Das Leben zu lieben bedeutet für mich außerdem, sich auch bedingungslos selbst zu lieben, sich zu erkennen und sich so anzunehmen, wie man wirklich ist. Das Leben zu lieben bedeutet für mich, mir jeden Tag darüber bewusst zu sein, wofür ich heute aufgestanden bin, und den »Sinn des Augenblicks« zu erkennen, egal, wie hart die Situation oder das Leid auch genau in dem Moment sein mag. Das Leben zu lieben bedeutet für mich, ein Feuer in den Augen der Menschen zu entfachen. Das Leben zu lieben bedeutet, mich von meinen Ängsten zu befreien, in dem ich sie zulasse, annehme und durch sie hindurch gehe. Und zuletzt bedeutet das Leben zu lieben für mich auch, ins Gelingen verliebt zu sein. Für den, der das Leben liebt, hat Erfolg nichts mehr mit Wirtschaft, Besitz oder Geld zu tun.

Als kleiner Junge habe ich es geliebt, mich immer wieder in meine vier Wände zurückzuziehen. Schon damals brauchte ich diese Ruhe, diese Zeit für mich, um Abstand von den Dingen um mich herum zu bekommen, ganz besonders dann, wenn es mir um mich herum oder mit all meinen Aktivitäten zu viel wurde. Noch heute erinnert mich meine Mutter häufig daran, dass ich als Kind so oft sagte: »Ich habe gar keine Zeit mehr für mich.« Für mich war dieser Rückzug in mein Zimmer »heilig«. Ich habe mir dann eine ganz eigene Welt aufgebaut, wie nur mir sie gefällt, meiner Fantasie freien Lauf gelassen und aus Lego, Playmobil oder Bauklötzen etwas aufgebaut, was mir innere Freude, Ruhe oder Zufriedenheit geschenkt hat. In diesen Momenten war ich ganz gegenwärtig, war ich in Verbindung mit meinem Selbst.

Heute, gut vierzig Jahre später, ist es nicht mehr das Spielzeug, sondern ein Unternehmen, aus dem diese ganz eigene Welt entsteht. In mir als Unternehmer sehe ich den kleinen Bodo in seinem Zimmer sitzen, der seiner Sehnsucht nachgeht und seinem inneren Bild entspricht, indem er mit einem Unternehmen im Kleinen etwas aufbaut, was im ganz Großen vielleicht nicht möglich ist, das aber der Gesundheit des Menschen dient und in dem möglichst viele Menschen die Freiheit empfinden, das zu leben, was ihrer Persönlichkeit, ihrer ganz eigenen Wahrheit entspricht. Ich betrachte mich als eine Art unternehmerischer Aussteiger, der sich aus der klassischen Welt der Wirtschaft verabschiedet hat, weil er das Gefühl gewonnen hat, dass diese alte Welt dem Menschen wie auch der Natur nicht guttut.

Mit den folgenden Zeilen möchte ich dir, liebe Leserin und lieber Leser, nun unseren Versuch näherbringen, ein mitmenschliches Arbeitsethos in einem wirtschaftlichen Unternehmen zu leben. Dafür bediene ich mich persönlicher, unternehmerischer und zum Teil auch emotionaler Geschichten aus unserer Unternehmensentwicklung, anhand derer ich versuche, unser Handeln im Sinn der Regel Benedikts zu beschreiben und damit in Teilen auch die aus dem 6. Jahrhundert stammende Lebensregel ins Zeitalter und die Sprache der New Work zu übersetzen.

Tradition – ohne Geschichte keine Zukunft

~

Die Regel

Mein erster Kontakt mit der Regel Benedikts war genauso kurz wie die Abschnitte derselben. Das kleine schwarze Büchlein stand auf dem Schreibtisch meiner Klosterzelle neben einer Reihe anderer Bücher und fiel mir dort ins Auge. Im Lauf der immer wiederkehrenden Klosterzeiten, für die ich mich im Nachgang zu meinem ersten Besuch entschieden hatte, sah ich die einzelnen Bücher und Schriften nach und nach durch, mal absichtslos, mal mir einen Überblick verschaffend, mal etwas tiefer hineinschauend. Auch wenn die in der Regel verwendete Sprache mir ein bisschen altmodisch erschien, wurde mir in der vertiefenden Arbeit damit deutlich, dass ich ein Buch in der Hand hielt, dessen 1500 Jahre alten Inhalte aktueller denn je sind. Das bezieht sich aber nicht nur auf die Kapitel über den Abt oder Cellerar, die für die Führung von Menschen in einem Unternehmen von Bedeutung sind, denn ein Unternehmen ist nicht irgendein »Ding«, sondern letztlich ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen, um gemeinsam eine gute Zeit zu gestalten – ähnlich wie in einem Kloster.

Die Regel Benedikts fußt auf einer noch älteren Schrift, die bis dahin für viele Gemeinschaften maßgeblich war: die Regula Magistri. Benedikt nahm wahrscheinlich ganz bewusst einige Passagen daraus beinahe wörtlich in seinen Text auf, weil er davon ausgehen konnte, dass die meisten Menschen diese vielleicht sogar auswendig kannten (denn lesen und schreiben war damals nur wenigen vorbehalten) und somit wussten, um was es geht. In einigen Kapiteln nahm Benedikt aber ganz bewusst wesentliche Änderungen vor, die den Grundtenor der alten Regel völlig veränderten. Die Regula Magistri war von einem negativen Menschenbild und von tiefem Misstrauen gegenüber dem Menschen geprägt. Übertragen auf den heutigen wirtschaftlichen Kontext könnte man die Regula Magistri auch als »alte Arbeitswelt« bezeichnen. Sie transportierte eine einseitige Fixierung auf die Schuld des Einzelnen, der in seinem Herzen als böse, dumm und faul angesehen wird. Ich glaube, dass dieses negative Menschenbild auch heute noch in vielen Unternehmen, aber auch Familien, Schulen, der Politik und der Gesellschaft zu finden ist. Sinn der Regula Magistri war also, den Menschen mittels Verängstigung zu einem besseren Menschen zu machen – durch Strafen, Bußen, Erziehungsmaßnahmen. Lange war das ebenfalls maßgeblich für das Bild, das in der Gesellschaft für Kinder galt: Beginnend in der Familie wurde das »ungezogene« Kind zum Objekt der Erwartungen und moralischen Vorstellungen vieler Eltern. Auch in unserer Generation ist der Satz »Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst ...« nicht unbekannt. Wir leben das, was wir erlebt haben, und das war häufig die Konfrontation damit, nicht zu genügen. Bis zu seinem 18. Lebensjahr bekommt ein junger Mensch mehrere zehntausendmal gesagt, was er alles nicht kann. In vielen Familien nimmt der Schatten der Eltern den Kindern die Sonne zum Wachsen. Ähnlich nimmt in einem Unternehmen der Schatten vieler Führungskräfte den Mitarbeitern die Sonne, um menschlich und persönlich an seinen Aufgaben zu wachsen.

In der Schule bedeutete Unterricht allzu oft, heruntergedrückt und dann an den Werten und Normen einer Gesellschaft wieder aufgerichtet zu werden. Die wahre Persönlichkeit wurde gebrochen, das wahre Wesen verstummte und die zerbrochene innere Haltung wurde durch ein äußeres Korsett der gesellschaftlichen Ordnung ersetzt. Die Kinder wurden »normal«. Wer dem nicht entspracht, wer von der Norm »verrückt« war, der wurde verschmäht und ausgegrenzt. Der hatte keine Chance. Aus Angst davor verbiegen sich Menschen und machen sich zu Sklaven dieser Angst vor Ablehnung. Ein perfides System, das es vielen schwermacht, daraus auszubrechen und ein echtes Leben zu leben. Ein solch negatives Menschenbild führt sozusagen direkt von der Wiege ins Hamsterrad und von dort aus hechelnd ins Grab.

Benedikt wollte dem ganz bewusst etwas entgegensetzen: Seine Regel basiert auf einem positiven Menschenbild. Sie ist so etwas wie eine Wegbeschreibung aus dem Hamsterrad hin zum Fels in der Brandung, die zudem nicht nur den geistlichen Weg vor Augen hat, sondern auch die körperlichen, organisatorischen und wirtschaftlichen Dinge im Blick hat. Wichtig ist zudem, dass Benedikt nicht alles im Einzelnen geregelt hat. Er überlässt dem Abt viele Entscheidungen. Das ist etwas ganz anderes als das, was wir heute in vielen Unternehmen in Form von Überregulierungen finden, die ihren Ursprung nicht selten in der Angst vor der Übernahme von Verantwortung hat. Die Folge ist, dass die in einem Unternehmen arbeitenden Menschen vor lauter Checklisten und Formularen nicht mehr den Sinn ihrer Arbeit erkennen können. Bewusst wurde mir das einmal mehr, als ich in einem meiner Klosterkurse eine Mitarbeiterin der Agentur für Arbeit hatte. Sie geht einer sehr sinnvollen Arbeit nach, weil sie Menschen dabei unterstützt, wieder ein eigenständiges Leben aufzubauen. Doch im Umgang mit all den Regularien, Vordrucken, Quoten und Kennzahlen ist ihr der Blick für diesen Sinn vollkommen abhandengekommen. Ein Großteil ihrer Arbeitszeit verlor sie sich in den bürokratischen Auswüchsen eines angstbesetzten Systems. Vielleicht ist auch deshalb die mit Misstrauen durchsetzte Regula Magistri um zwei Drittel länger als die auf Vertrauen basierende Regel Benedikts. Oder kurz: Die bürokratischen Auswüchse, der Regulierungs- und Zertifizierungswahn sind nur Ausdruck einer tiefen, ja vielleicht sogar in unserem Fall auch »German« Angst, in der die Menschen ihre Verantwortung lieber auf einer Checkliste abhaken oder ein Zertifikat übertragen, als sie selbst zu übernehmen.

Dabei ist eine Checkliste nicht grundsätzlich schlecht. Doch sie ist und bleibt immer nur ein Instrument. Die Frage ist, mit welcher Haltung ich es nutze. Dient also die Checkliste dem Menschen oder der Mensch der Checkliste? An dieser Frage – dient der Mensch der Regel oder dient die Regel dem Menschen? – wird auch der Unterschied zwischen der Regula Magistri und der Regel Benedikts deutlich. Vielleicht fühle ich mich Benedikt deshalb so verbunden, weil er sich mit seiner Regel im spirituellen Sinn auf den Weg heraus aus einer von Misstrauen geprägten Zeit gemacht hat, so wie es auch heute wieder unsere Sehnsucht ist, im unternehmerischen Sinn einen Weg aus dem Misstrauen, der sozialen Kälte und der egoistischen Konzentration zu finden. Egozentrische Ziele sind Angstmacher und daher wundert es mich nicht, dass sich die Zahlen der an Burnout und Depression erkrankten Menschen in den letzten Jahren potenziert haben. Wer nur für sich selbst Erfolg haben will, muss vor dem Misserfolg zittern.

Diesbezüglich verstehe ich Benedikts Regel auch als Einladung, Unternehmen zu entbürokratisieren, um den Menschen wieder den Blick für das Sinnhafte zu ermöglichen und ihnen den Freiraum für Entfaltung zu schenken. Gerade in Bezug auf das Thema Sinn sind meiner Erfahrung nach Unternehmer gut beraten, diesen wieder in den Fokus zu rücken, denn die jüngeren Generationen denken eher in Einheiten sinnvoller Arbeit als in Geldeinheiten, für die sie ihre Lebenszeit hergeben. Noch vor Kurzem wurde ich gebeten, einen völlig überalterten Aufsichtsrat zu verjüngen. Wieso muss es so weit kommen? Wieso will kein junger Mensch diese Aufgabe übernehmen? Worauf deutet das hin?