Das Patriarchat - Ernest Borneman - E-Book

Das Patriarchat E-Book

Ernest Borneman

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Beschreibung

Dieses umfassend und sorgfältig recherchierte Werk, an dem Ernest Borneman vierzig Jahre lang gearbeitet hat, beschreibt die Konterrevolution der Männer gegen die frauenrechtlichen Gesellschaftsstrukturen der Alten Welt, gegen die gesellschaftliche und sexuelle Gleichberechtigung. Borneman stellt die frauenrechtliche Kultur der Vorgeschichte dar und vermittelt seinen Leserinnen damit die Erkenntnis dessen, was sie waren: Schöpferinnen einer der besten und gerechtesten Gesellschaftsordnungen, die es je in der Geschichte der Menschheit gegeben hat. Er zeigt, wie sich das Patriarchat überhaupt etablieren konnte und erläutert Strategien und Techniken zu seinem Sturz. – Seine Leser fordert Borneman auf, über ihr männliches Selbstverständnis nachzudenken und die Frauenbewegung solidarisch zu unterstützen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 1528

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Ernest Borneman

Das Patriarchat

Ursprung und Zukunft unseres Gesellschaftssystems

FISCHER E-Books

 

Mit einem Nachwort zur Taschenbuchausgabe

Inhalt

Das Patriarchat ist den [...]Mater semper certa est, [...]VorwortI Der Ursprung12345II Die Mütter der Alten Welt12345678910111213III Die Väter der Neuen Welt123456789101112131415161718IV Das Patriarchat in Hellas: Die soziale Basis123456789101112131415161718192021V Das Patriarchat in Hellas: Der sexuelle Überbau1 Soziale Basis und sexueller Überbau2 Patriarchat und Sklaverei3 Patriarchat und Frau4 Patriarchat und Ehe5 Geschlechtsverkehr im Patriarchat6 Patriarchat und Prostitution7 Kindheit und Jugend im Patriarchat8 Patriarchat und Homosexualität9 Matriarchat und Patriarchat im griechischen Theater10 Matriarchat und Patriarchat in Sparta11 Die Emanzipation vom PatriarchatVI Das Patriarchat in Rom: Die soziale Basis123456789VII Das Patriarchat in Rom: Der sexuelle Überbau1 Soziale Basis und sexueller Überbau2 Sklaverei im römischen Patriarchat3 Die Frau im römischen Patriarchat4 Die Ehe im römischen Patriarchat5 Kindheit, Jugend, Adoption im römischen Patriarchat6 Geschlechtsverkehr im römischen Patriarchat7 Homosexualität im römischen Patriarchat8 Sadismus und Masochismus im römischen Patriarchat9 Prostitution im römischen Patriarchat10 Die Emanzipation der RömerinVIII Die Zukunft12345678910NachwortLiteraturverzeichnisI. VorgeschichteI.A. Die ersten MenschenI.B. Vorgeschichtsforschung und ArchäologieI. C. Chronologie der VorgeschichteI.D. Zur Frage einer evolutionären VorgeschichtsforschungI.E. Ökonomische UntersuchungenI.F. Soziale UntersuchungenI.G. Mythologische UntersuchungenI.H. Sexualwissenschaftliche UntersuchungenII. Von der Vorgeschichte zur geschichtlichen ZeitII. A. Frühgeschichtliche UntersuchungenII. B. Regionale UntersuchungenII. C. Ökonomische BasisII. D. Soziale GrundlagenII. E. Sexueller ÜberbauIII. GriechenlandIII. A. GeographieIII. B. ChronologieIII. C. Ökonomische BasisIII. D. Soziale GrundlagenIII. E. Sexueller ÜberbauIV. RomIV. A. GeographieIV. B. ChronologieIV. C. Ökonomische BasisIV. D. Soziale Grundlagen RomsIV. E. Sexueller ÜberbauIV. F. Der Zerfall Roms und der Untergang der antiken WeltNachwort zur Taschenbuchausgabe

Das Patriarchat ist den Frauen gewidmet. Es soll der Frauenbewegung dienen, wie Das Kapital der Arbeiterbewegung gedient hat: als Analyse der Vergangenheit, als Schlüssel zur Zukunft, als Waffe im täglichen Kampf der Gegenwart.

Mater semper certa est,

etiamsi vulgo conceperit.

Pater vero is est quem nuptiae demonstrant.

 

Paulus, Dig. 2, 4, 5.

Vorwort

Der Terminus »Patriarchat« gilt in der bürgerlichen Ethnologie unserer Tage als veraltet und verpönt. Ich benutze ihn, um mich bereits im Titel des Buches von ihr zu distanzieren. Das Buch setzt meine Arbeiten über die Gentilgesellschaften der europäischen Vorzeit und ihren Einfluß auf die Sexualordnung der Griechen und Römer mit der ausführlichsten Studie matrilinearer, matrilokaler Kulturen der Alten Welt und ihrer patrilinearen, patrilokalen Nachfolger fort, die meines Wissens bisher unternommen worden ist. Meine Leser mögen mir verzeihen, wenn ich hier noch einmal in gründlicherer Form auf die Themen zurückkomme, die ich in den zwei Bänden meiner Studien zur Befreiung der Frau bereits angesprochen habe.

Diese beiden Bände, Sexualgeschichte Griechenlands vom Paläolithikum bis zum Hellenismus und Sexualgeschichte Italiens vom Paläolithikum bis zum Ende des Römischen Reichs, waren als Paralleluntersuchungen zu den fünf Bänden meiner Studien zur Befreiung des Kindes gedacht, die seit 1973 in jährlichen Abständen in der Schweiz erscheinen. Obgleich sie vor mehr als fünf Jahren an einen deutschen Verlag abgeliefert worden sind, hat sich ihr Erscheinen aus verlagsinternen Gründen verzögert. Der Verlag wollte sie ursprünglich als Teil einer 24bändigen Reihe über »Die Völker der Erde« herausbringen, aber wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten ist das Projekt nach dem neunten Band abgebrochen worden. Mein »Rom«-Band wurde nie gedruckt, mein »Griechenland«-Buch erschien in gekürzter Form und mit einer 117seitigen Einleitung von fremder Hand. Fußnoten wurden gestrichen, bibliographische Angaben sind vom Verlag drastisch reduziert worden. Um diese Verluste zu kompensieren, habe ich versucht, die gestrichenen Quellen in den griechischen Teil des vorliegenden Werkes einzuarbeiten, aber das ergab bis zu fünf bibliographische Anmerkungen pro Zeile und hätte dazu geführt, daß die Fußnoten oft länger gewesen wären als der Text, den sie belegen sollten. Ein solches Buch wäre schon im optischen Sinne unlesbar gewesen, und deshalb haben wir uns entschlossen, den Großteil der Quellen ans Ende des Buches zu verlegen; nicht als alphabetisch geordnete Bibliographie, sondern in der Reihenfolge der Themen, die im Buch behandelt werden.

Von diesen Themen ist die Ergreifung der Macht über Frau und Kind durch den Mann das weitaus wichtigste: Sie war in ihren Auswirkungen bedeutsamer als die Wende vom Zeitalter der Sklaverei zu dem des Feudalismus, oder die vom Feudalismus zur bürgerlichen Gesellschaft. Alles was auf diesen späteren Stufen der Entwicklung geschah, stand unter dem Schatten jener früheren Geschehnisse, mit denen sich dieses Buch beschäftigt: der »neolithischen Revolution«, ihrer Vorgeschichte und ihrer Folgen. Diese Folgen – Privateigentum, Klassengesellschaft, Erniedrigung der Frau, Unterdrückung des Kindes – haben nicht nur die »hydraulischen« Kulturen Mesopotamiens und Ägyptens, nicht nur die Sklavenökonomien Griechenlands und Roms, sondern auch den Charakter des Feudalismus maßgeblich geprägt.

Der Begriff der neolithischen Revolution stammt von meinem Lehrer, dem australischen Vorgeschichtsforscher Vere Gordon Childe, und ist im sozialen und ökonomischen Sinne mehr als berechtigt, umschreibt in sexueller Hinsicht aber eher eine Konterrevolution, einen konspirativen Aufstand der Männer, eine Art Ur-Putsch. Ähnliche Entwicklungen haben sich natürlich auch in anderen Teilen der Welt vollzogen, aber die Geschehnisse in Hellas und Rom sind von besonderer Bedeutung, weil sie das spätere Wirken und Denken jener europäischen Raubvölker geformt haben, die vom fünfzehnten Jahrhundert unserer Zeit an zur Plage der Menschheit geworden sind, indem sie fast die gesamte nichteuropäische Welt erobert, kolonisiert und ausgebeutet haben. Die neolithische Revolution, die sich in den Regionen der späteren griechischen und römischen Kultur abspielte, hat also nachträglich noch 4500 bis 5500 Jahre lang das Schicksal des ganzen Erdballs beeinflußt.

Das Bedeutsame hieran ist, daß die Unterdrückungsmethoden der europäischen Männer nicht nur das Weltbild der Unterdrücker, sondern auch das der Unterdrückten geprägt haben. Denn das Trauma dessen, wogegen man sich wehrt, kann tiefere Folgen haben als die Sehnsucht nach dem, was man erstrebt. Überall auf der Welt, bei den »jungen« Nationen ebenso wie bei den ehemaligen Kolonialvölkern, ja sogar bei den Frauen beider Völkergruppen, hat sich das Bild der Frau als zweitklassiges Wesen so tief eingeprägt, daß die wenigen Frauen, die es als falsch erkannt haben, oft von ihren eigenen Geschlechtsgenossinnen als »Mänaden« empfunden wurden: als »Mannweiber«, als frustrierte Wesen, die »nur einen richtigen Mann brauchen, um wieder normal zu werden«. Und doch nimmt diese ganze Entwicklung einen Zeitraum von weniger als 6000 Jahren ein: ein kaum wahrnehmbares Quentchen in der Entwicklungsgeschichte unserer Gattung, eine kurzlebige Reaktion, die bald hinter uns liegen und unseren Nachfahren kaum noch verständlich sein wird.

Die Spaltung einer einst klassenlosen Stammesgesellschaft in Meister und Sklaven, Reiche und Arme, Adlige und Gemeine, Unterdrücker und Unterdrückte ist in unzähligen Schriften untersucht worden. Die Entwicklung des Privateigentums aus einer anfangs eigentumslosen, später auf Gemeinschaftseigentum aufgebauten Stammesordnung, die Aufspaltung einer einst integren Gesellschaft der Gleichen und Gleichberechtigten in eine demoralisierte und demoralisierende Klassengesellschaft, das krebsartige Wuchern des Staatsapparats, die Herausbildung des »Rechtsstaats«, der sich nur mit Hilfe von Militär, Polizei und Gefängnissen erhalten kann – all dies ist zur Genüge beschrieben worden. Aber das Kernstadium dieses Prozesses, die eigentliche Machtergreifung des Mannes, die Zerschlagung der neolithischen Frauensippen und der erste Aufbau des Vaterrechts ist bisher so gut wie nirgends dokumentiert worden.

Das Buch ist weder ein Werk der Vorzeitforschung noch der Altphilologie, weder der neueren Evolutionstheorie im Sinne von E.R. Service und M.D. Sahlins (Evolution and Culture, Ann Arbor 1968; Cultural Evolutionism, New York 1971; Stone Age Economics, Chicago 1972) noch der ökonomischen Anthropologie im angelsächsischen Sinne, obgleich es sich dank meinen langen Studien in England und Amerika unweigerlich aller vier Disziplinen bedient. Es gliedert sich vielmehr in die junge Wissenschaft der historischen Sexualanthropologie ein und wird mit all seinen Fehlern und Mängeln hoffentlich als Test dessen gelten dürfen, was heute auf diesem Gebiete getan und nicht getan werden kann. Die wenigen Lehrstühle der Sexualwissenschaft sind heute von Medizinern, Soziologen und Psychoanalytikern besetzt. Die Gruppe jener Historiker und Ethnologen, die seit Jahrzehnten eine Lehrdisziplin der historisch und ethnologisch ausgerichteten Sexualwissenschaft angestrebt haben, ist klein, aber sie ist im Wachsen begriffen. Ich denke vor allem an jene Forschungsgruppe, die sich im Jahre 1961 bei der Plenarsitzung der American Anthropological Association in Philadelphia herauskristallisiert und im Jahre 1971 ihren ersten Forschungsbericht vorgelegt hat (Human Sexual Behavior, Basic Books, New York). An der methodologischen Orientierung dieser Gruppe habe ich manches auszusetzen. Aber sie stellt trotz aller Schwächen die erste formelle Anerkennung jener Forschungsarbeiten dar, die mit Morgans klassifikatorischem System begannen und über Malinowskis Sexualstudien sogenannter mutterrechtlicher Gesellschaften zu den vorbildlichen Arbeiten des schweizerischen Teams Parin, Morgenthaler und Matthey geführt haben (Die Weißen denken zu viel, Zürich 1963; Fürchte deinen Nächsten wie dich selbst, Frankfurt am Main 1971).

Im Mai 1965 fand im Rahmen des Kongresses der Central States Anthropological Society in Lexington, Kentucky, das erste Symposium über Sexualanthropologie statt. Teilnehmer waren John C. Messenger, Milton Altschuler, Paul H. Gebhard, Donald S. Marshall, Harold K. Schneider und Robert C. Suggs. Das sogenannte Kinsey Institut, eigentlich The Institute for Sex Research at Indiana University, nahm die Arbeiten dieser Gruppe unter seine Fittiche und veröffentlichte ihren ersten Arbeitsbericht als Teil seiner Monographienreihe. Daß ich als einstiger Schüler des psychoanalytisch ausgebildeten Ethnologen Géza Róheim zumindest mit den Bestrebungen einer solchen Gruppe sympathisiere, brauche ich kaum zu betonen. Aber als späterer Schüler zweier sozialistischer Altertumswissenschaftler, des Archäologen V.G. Childe und des Altphilologen George Thomson, erscheinen mir diese Bestrebungen gleichzeitig auch viel zu bescheiden, viel zu sehr auf die Tradition des autoritären Lehrbetriebes bürgerlicher Provenienz bezogen.

Vielleicht liegt der Grund darin, daß das Quellenmaterial nicht auf eine einzige wissenschaftliche Disziplin begrenzt ist. Man muß es in mühsamer interdisziplinärer Arbeit aus den Bereichen der Paläonthologie, der Archäologie, der Ethnologie, der Vor- und Frühgeschichte, der griechischen und römischen Sprachforschung herausklauben. Ob mir das gelungen ist, kann nur der Leser entscheiden. Aber daß dies zumindest den bisher weitestreichenden Versuch der Sexualanalyse einer Vorzeitkultur und ihrer geschichtlichen Folgen darstellt, steht außer Zweifel. Das mag allerdings eine Angelegenheit des Einäugigen im Lande der Blinden sein, denn es gibt keine Wissenschaft, in deren Namen mehr Scharlatanerie betrieben worden ist als in dem der Sexualwissenschaft. Die Anzahl der Sexualwerke, die sich – an den Maßstäben anderer Disziplinen gemessen – wissenschaftlich nennen können, ist verschwindend klein. Selbst bei den Autoren, die in anderen Disziplinen Bedeutendes geleistet haben, findet man Entgleisungen, sobald sie sich dem heiklen Thema der Sexualität zuwenden. Dies gilt besonders für die Steckenpferde, die so mancher Akademiker zu Tode geritten hat, nachdem er sich in die Arena der Erotik gewagt hatte. So sind fast alle Arbeiten über die Homoerotik der Griechen und Römer von Homoerotikern verfaßt worden. Für sie war die Geschichte der Griechen und Römer also ein Vorwand, um ihren Neigungen ein historisches Alibi zu verschaffen. Dies ist, hoffe ich, in der vorliegenden Studie nirgends geschehen.

Es ist sicherlich kein Zufall, daß gerade Marxisten, die in mancher Hinsicht die besten Arbeiten zur Vor- und Frühgeschichte geliefert haben, vor einer Sexualanalyse dieser Zeiten zurückgewichen sind, denn die bürgerliche Sexualwissenschaft hat solchen Studien einen schlechten Namen gegeben. Andererseits haben sich Marx und Engels besonders intensiv mit dieser Frage befaßt, was manche ihrer Interpreten eine Zeitlang am liebsten vertuscht hätten. So haben die Schriftgelehrten mit bezeichnender Fehlleistung fast ein Jahrhundert lang »Lebensverhältnisse« statt »Liebesverhältnisse« in die Handschrift der Deutschen Ideologie hineingelesen. Erst in dem Probeband der Marx-Engels-Gesamtausgabe, die der Dietz Verlag im Juli 1972 einer ausgewählten Gruppe von Fachleuten zustellte, fand man den tatsächlichen Wortlaut des Vorwurfs, den Marx gegen Feuerbach erhoben hatte: daß Feuerbach sich vor der Aufgabe gedrückt habe, eine »Kritik der jetzigen Liebesverhältnisse« vorzunehmen. Bald danach folgt der Satz: »Soweit Feuerbach Materialist ist, kommt die Geschichte bei ihm nicht vor, und soweit er die Geschichte in Betracht zieht, ist er kein Materialist.« Was Marx also von uns verlangt hat, ist eine historisch-materialistische Kritik der Entwicklung menschlicher Liebesverhältnisse. Das habe ich in der vorliegenden Arbeit nachzuholen versucht.

Mir geht es um die Verankerung sexualwissenschaftlicher Angaben in der Klassenstruktur, der sie entstammen. Auch in dem vorliegenden Bande, der sich zum großen Teil mit sexuellen Phänomenen befaßt, die vor der Bildung der Klassengesellschaft entstanden sind, habe ich versucht, den sexuellen Überbau möglichst auf seine gesellschaftliche Basis zurückzuführen. Nur der soziale und ökonomische Nachweis, daß die Frau beim Ursprung unserer Kultur eine dem Manne zumindest ebenbürtige Rolle gespielt hat, kann der Frauenbewegung unserer Tage das Argument liefern, das sie benötigt, wenn sie helfen will, das patriarchalische System abzuschaffen und damit die Grundlage einer freien Gesellschaft mit wirklicher Gleichberechtigung der Geschlechter zu legen. In meinen Studien zur Sexualanthropologie (alphabetisch geordnet unter dem Titel Lexikon der Liebe, München 1968; Frankfurt, Hamburg, Stuttgart 1970), meiner philologischen Studie Sex im Volksmund (Reinbek b. Hamburg 1971), meiner Libidotheorie des Eigentums Psychoanalyse des Geldes (Frankfurt am Main 1973), und den drei Bänden meiner psychoanalytischen Deutung des sexuellen Gehalts der Reime, Lieder, Sprüche und Verse deutschsprachiger Großstadtkinder (Olten und Freiburg 1973–1976) habe ich deshalb versucht, meine eigenen Perspektiven einer radikalen Sexualanthropologie vorzustellen.

Da ich den größten Teil meiner griechischen und lateinischen Quellen bereits in den beiden Vorstudien über das Sexualverhalten der Griechen und Römer veröffentlicht habe, beschränke ich mich in der Bibliographie auf eine klassifizierte Angabe der nichtgriechischen und nichtlateinischen Werke, die ich benutzt habe. Aus dem gleichen Grunde habe ich es auch unterlassen, die üblichen griechischen und lateinischen Fachausdrücke des Stammes- und Sippensystems zu verwenden. Ich sage »Stamm« statt Phyle oder Tribus, »Bruderschaft« statt Phratrie oder Curie, und »Sippe« statt Genos oder Gens, aus analogen Gründen endlich auch deutsche statt griechischer Buchstaben, wobei ich das griechische ksi nicht mit x, sondern mit ks buchstabiert habe. Die Zahl derjenigen, die heute bürgerliche Schulen verlassen, ohne Griechisch oder Latein gelernt zu haben, wächst jedes Jahr. Es wäre deshalb eine Form der intellektuellen Arroganz, vom Leser zu erwarten, daß er zu jener Minderheit der Privilegierten gehöre, deren Eltern es sich leisten konnten, ihren Kindern alte Sprachen beibringen zu lassen. Ich selber bin armer Leute Kind, habe nie eine Gelegenheit gehabt, in meiner Schulzeit Altsprachen zu lernen, und mußte mir beide Sprachen mühselig als Erwachsener beibringen. Deshalb weiß ich, wovon ich spreche.

Weiterhin zur Terminologie des Buches: Ich benutze die Worte matristisch und patristisch, um Gesellschaftsordnungen zu kennzeichnen, die eine Betonung des mütterlichen oder väterlichen Elements aufweisen. So auch Matrismus und Matristik, um die inkorrekten Ausdrücke »Matriarchat« und »Mutterrecht« soweit wie möglich zu vermeiden. Matriarchat ist inkorrekt, weil die griechische Sprachwurzel archos, »Herrscher«, andeutet, daß hier die Mutter herrscht. Das tut sie aber gemeinhin nicht. Alle jene Kulturen, die Lewis Henry Morgan, der Popularisator dieses Ausdrucks, in seinen Werken beschreibt, zeichnen sich gerade dadurch aus, daß die Mütter ihre latente Macht im Gefüge der Sippe oder des Stammes nicht zur Beherrschung ihrer Gatten, Väter und Söhne verwenden. Eben darin liegt der charakteristische Unterschied zum Patriarchat, das ein echtes Herrschaftssystem ist.

Ähnlich steht es mit dem von Johann Jakob Bachofen geprägten Ausdruck »Mutterrecht«, denn der Kernpunkt jener Kulturen, die er »mutterrechtlich« nennt, ist gerade der, daß sie präjuristischen Ursprungs sind: ihr Gesellschaftssystem stammt aus der Ära vor der Konstituierung des menschlichen Rechts. Das Recht – dies ist eine Kernthese des vorliegenden Buches – geht auf einen historischen Urakt zurück: die Negation der Natur. Der natürliche Vorgang, der hier negiert wird, ist die Geburt. Die Frau weiß stets, daß das Kind, welches sie soeben geboren hat, ihr eigenes ist; der Mann dagegen kann seiner Vaterschaft nie sicher sein. Das Patriarchat konstituiert sich mit der Deklaration des Mannes, daß dieser Zustand hiermit aufzuhören habe: »Da die Frau uns bis in alle Ewigkeit überlegen wäre, wenn ein solcher Zustand weiter bestünde, verbiete ich ihn hiermit. Dieses Verbot nenne ich: das Recht.«

Recht ist also im historischen Sinne das, was die Natur negiert und deshalb mit einem stets wachsenden Apparat von Gesetzgebern und Gesetzen, Richtern und Richtsprüchen, Polizisten und polizeilichen Maßnahmen, Gefängniswärtern und Gefängnissen, Strafbehörden und Strafen erzwungen werden muß. Deshalb stellt der Ausdruck »Mutterrecht« auch einen Widerspruch in sich selbst dar. In matristischen Gesellschaftsordnungen kann es noch gar kein »Recht« geben, weil es noch keine Überschüsse gibt. Niemand zerbricht sich den Kopf, wem das Kind »gehört«, solange das Kind noch nicht als Eigentum empfunden wird. In Begriffen des Eigentums lernt der Mensch aber erst dann zu denken, wenn seine Nahrungsmittelerzeugung so weit fortgeschritten ist, daß sie einen Überschuß produziert. Erst der Nahrungsüberschuß ermöglicht die Akkumulation von Eigentum, erst die Akkumulation von Eigentum ermöglicht dessen Vererbung, und erst die Vererbung von Eigentum erfordert die Feststellung der Vaterschaft. Dies aber ist genau der historische Punkt, der die Machtübernahme des Patriarchats kennzeichnet.

Daß solche Überlegungen weitgehend heuristischen Charakter tragen, versteht sich von selbst, denn niemand weiß, was der vorgeschichtliche Mensch tatsächlich gedacht hat. In diesem Sinne soll hier auch unterstrichen werden, was dem Fachkollegen selbstverständlich sein wird: daß trotz größter Sorgfalt der Quellenforschung ein bestimmter Teil des Buches – fast alles, was sich mit der Sozialstruktur, den Eigentumsverhältnissen, dem Sexualleben und dem Glauben des vorgeschichtlichen Menschen befaßt – den Charakter eines Denkmodells trägt und nur als Arbeitshypothese gelten kann. Dieser Teil beruht einerseits auf meinen eigenwilligen Interpretationen der Vorzeitfunde, andererseits auf rückwärts extrapolierten Evolutionskurven. Dabei soll nicht verschwiegen werden, daß beide Praktiken heftig umstritten sind, vor allem von denen, die den Auftrag des Vorgeschichtsforschers auf das Sammeln und Katalogisieren von Knochenfunden und Artefakten beschränken möchten und jeden Versuch der sozialen Deutung solcher Funde für Aberwitz halten. Selbst die Suche nach Entwicklungstendenzen vorgeschichtlicher Kulturen ist bei manchen Kollegen suspekt. Die Evolutionstheorie, die unter Genetikern und Deszendenzforschern kaum noch Feinde hat, wird von bürgerlichen Ethnologen (mit der lobenswerten Ausnahme von E.R. Service, M.D. Sahlins und ihren Schülern) nach wie vor bekämpft. Während die generelle Evolution, die Entwicklung der Arten, fest im System der Naturwissenschaft verankert ist, gibt es noch immer Geschichts- und Vorgeschichtsforscher, die das Konzept der spezifischen Evolution, der Entwicklung sozialer Formen, als unwissenschaftlich ablehnen, weil es keiner Experimentalanalyse zugänglich ist. Diese Logik, bestechend wie sie im ersten Augenblick zu sein scheint, ist aber defekt, weil die Grenzen zwischen genereller und spezifischer Evolution fließend sind, so daß selbst die Trennung zwischen diesen Kategorien kaum noch haltbar ist.

Trotzdem stand die bürgerliche Frühzeitforschung bis vor rund zehn Jahren noch völlig unter dem kalten Stern der sogenannten Empirie und des angeblichen Pragmatismus. Die großen Evolutionstheoretiker des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts waren teils vergessen, teils verpönt. Die neue Generation von »reinen Pragmatikern« lehnte jede Arbeit in Bibliotheken und Museen als »Schreibtischethnologie« oder »Menschheitsstudium aus der Entfernung« ab, erhob »Feldarbeit« (Expeditionen und Ausgrabungen) zum Fetisch und sprach herablassend von den großen Evolutionswissenschaftlern des neunzehnten Jahrhunderts, ohne diese Giganten (ich denke unter anderen an Lamettrie, D’Holbach, Helvetius, Morgan, Bastian, Bachofen, Lippert, Frazer) vollständig und im Urtext gelesen zu haben. Statt dessen las man spätere Zusammenfassungen, Deutungen, Kommentare, deren verächtliche Besserwisserei nur dem bewußt war, der sich die Zeit genommen hatte, die Väter selber zu lesen.

Gegen Mitte des Jahrhunderts war die Reaktion gegen jeden Versuch der Einordnung von Forschungsdaten in ein evolutionäres Modell so tief eingerissen, daß kein Archäologe es sich leisten konnte, vor den Kollegen zuzugeben, daß er überhaupt zu denken vermochte. Karl J. Narr baute seine Urgeschichte der Kultur (Stuttgart 1961), ein in jeder anderen Hinsicht ganz vorzügliches kleines Werk, auf der Didaktik auf, dem Leser einzuhämmern, es gäbe keine beweisbare Kontinuität in der Urgeschichte; allen Fortschrittstheorien müsse man deshalb mit größtem Mißtrauen begegnen. Das Studium der Urgeschichte hatte sich also auf das Niveau des Altsteinzeitmenschen zurückgezogen: auf die Aneignung, auf das primitive Sammeln. Jeder Versuch, zur Produktion und damit zur eigentlichen Kultur vorzustoßen, galt als unwissenschaftlich. Die Forscher hamsterten Fakten und Daten, ohne die geringsten Vorstellungen zu haben, was man mit dem gesammelten Material anfangen solle. Und all das nicht etwa aus Dummheit oder Faulheit, sondern aus der Überzeugung, daß das normale Streben der Naturwissenschaft nach Gesetzlichkeit und Theorie eines Archäologen oder Prähistorikers unwürdig sei. Damit sank die Vor- und Frühgeschichtsforschung zur Sklavin des Zufalls herab. Denn ohne Hypothese, ohne Modell können wir nicht denken. Der Zweck der Forschung ist nicht der, sich der Erstellung von Denkmodellen zu entziehen, weil man fürchtet, sie könnten falsch sein, sondern Modelle aufzustellen, damit sie falsifiziert werden können. In der Geschichte der Wissenschaft hat es sich stets als fruchtbarer erwiesen, falsche Theorien aufzustellen als gar keine.

Natürlich bin ich mir nur allzu bewußt, daß mein Versuch, der Angst vor Denkmodellen zu entgehen, in jenen Teilen des Buches, die mehr als provokatorische Fragen denn als belegbare Aussagen gelten wollen, zum anderen Extrem geführt hat, und bitte meine Kollegen deshalb bei der Lektüre dieser Stellen um das übliche in dubio pro reo. Mittlerweile hat meine Überzeugung, daß es mit der »reinen Pragmatik« nicht weitergehen kann, aber auch in China, in der UdSSR und den Volksrepubliken Unterstützung gefunden. Dort buddelt man zwar nicht weniger fleißig, aber das ganze Ausgraben und Katalogisieren gilt doch nur als Vorarbeit zu der eigentlichen Aufgabe des Vorzeitforschers: aus den Fakten schlüssige Folgerungen über die Gesetzlichkeit der historischen Entwicklung zu ziehen.

Daß sich die bürgerliche Vor- und Frühzeitforschung so intensiv gegen den »Evolutionismus« gewehrt und ihn immer wieder als Rückfall ins neunzehnte Jahrhundert bezeichnet hat, mag sich unter anderem daraus erklären, daß die »Evolutionisten« nahezu alles, was das Bürgertum als ewige Werte betrachtet, eindeutig in die Entwicklungsgeschichte der Gesellschaft eingeordnet haben, manches davon mit so rezenten Daten, daß der Anspruch, es handle sich um »natürliche« Werte der menschlichen Gesellschaft, höchst suspekt geworden ist: das Privateigentum, das Profitmotiv, das Leistungsprinzip, die hierarchische Struktur der Gesellschaft, die Autorität des Vaters, die angeborene Minderwertigkeit der Frau.

Die Mißdeutung soziologischer Aspekte der Vorgeschichte läßt sich nicht mit der mangelnden Fähigkeit dieses oder jenes Wissenschaftlers erklären, sondern erinnert an die ständige Mißinterpretation der präkolumbianischen Kulturen Amerikas durch Gesandte der europäischen Könige, die in jedem frei gewählten Häuptling einen Feudalherrn und in jedem seiner freien Stammesgenossen einen Vasallen zu sehen vermeinten. Das Konzept eines sich selbst verwaltenden Gemeinwesens ohne Privateigentum, ohne Herrscher, ohne Bürokratie, ohne Trennung in Exekutive und Legislative, ja ohne gesetzgebende und ausführende Organe irgendwelcher Art ist dem heutigen Wissenschaftler, der in einer Klassengesellschaft aufgewachsen ist, offenbar ebenso schwer begreiflich, wie es den Vertretern des Feudalismus einst gewesen ist.

Wie arbeitet eine evolutionäre Vor- und Frühzeitforschung? Woher wissen wir, was vor der Erfindung der Schrift gewesen ist, und woher wissen wir, wann es geschah? Vor allem durch die systematische Erschließung von Bodendenkmälern und anderen Funden, vornehmlich durch Ausgrabungen, Höhlenforschung, Meeres- und Seebodenerschließung, wobei uns Schichten- und Formenkunde (Stratigraphie und Typologie) oft erste Anhalte bieten, die Funde nach Alter und Kulturstufen zu ordnen. Dabei liefert die Chorologie, die Wissenschaft von der geographischen Verbreitung der Funde, einen Schlüssel zur räumlichen Verteilung der Kulturen. Mit Hilfe der Warvenforschung (Geochronologie) und der C-14-Methode (Radiokarbondatierung) können wir dann die ungefähren Daten der Funde festlegen. Warven sind die farbigen Tonsedimente, welche die Halte- und Rückzugsphasen der Gletscher markieren. Die Datierung der in ihnen gefundenen Gegenstände ergibt sich also aus unserem nicht immer ganz sicheren Wissen der Eiszeitbewegungen. Die C-14-Datierung beruht dagegen auf der Erkenntnis, daß alle Organismen, so lange sie am Leben sind, Kohlenstoff speichern, und zwar zwei verschiedene Arten in einem festen Verhältnis zueinander – normales C-12 aus irdischen Quellen und radioaktives C-14 aus kosmischen Strahlungen. Sobald der Organismus zu leben aufgehört hat, beginnt das C-14 zu zerfallen, so daß man dann aus dem Verhältnis des verbliebenen C-12 und des teilzerfallenen C-14 das genaue Alter des Organismus berechnen kann. Diese Methode ist von dem amerikanischen Chemiker Willard F. Libby 1949 entwickelt und von seinen Kollegen Charles Wesley Ferguson und Hans E. Suess in den 60er Jahren noch einmal überprüft und verfeinert worden, so daß sie heute als nahezu fehlerfrei gelten kann. Hinzu kommt die Pollenanalyse, die eine Rekonstruktion eines großen Teils des vorgeschichtlichen Pflanzenwuchses und Klimas ermöglicht. Da der Blütenstaub sich außerordentlich lange erhält und eine Deutung seines gattungsmäßigen Ursprungs erlaubt, stellt er nicht nur ein gutes Mittel dar, um festzustellen, was wann gewachsen ist, sondern auch wovon sich der vorgeschichtliche Mensch unter anderem ernährt haben mag. Die Dendrochronologie, die Jahresringbestimmung, läßt uns an den hölzernen Werkzeugen und den Balken der ersten menschlichen Gebäude erkennen, aus welchem Zeitalter sie stammen, denn das Klima einer jeden Region hinterläßt in den Jahresringen eine unverkennbare Struktur, die sich in allen anderen Bäumen der gleichen Region wiederholt.

An den Skelettfunden, den Gräbern, den Beigaben der Toten und anderen Resten der menschlichen Wohnstätten, aus Geräten, Waffen, Werkzeugen, Schmuck- und Kunstgegenständen, aus Höhlenbildern und Artefakten können wir mit ziemlicher Sicherheit erkennen, wie diese Menschen gelebt und in welchen gesellschaftlichen, ökonomischen und sexuellen Beziehungen sie zueinander gestanden haben. Wo eine größere Anzahl von Funden vorliegt, aus denen man den Fortschritt einer bestimmten Völkergruppe erkennt, kann man auch rückwärtige Folgerungen über den früheren Zustand dieser Kultur ziehen, selbst wenn keine Funde aus dieser früheren Zeit vorliegen.

Die physische Anthropologie, die Vermessung von Knochen- und Schädelresten, vermittelt Erkenntnisse über ethnische Zugehörigkeit, Lebensweise, Gesundheit und Krankheit des Vorzeitmenschen. Die Daktyloskopie, das vergleichende Studium von Fingerabdrücken auf alten Geräten, liefert uns weitere Erkenntnisse über die ethnische Zugehörigkeit der Menschen, die diese Geräte hergestellt und benutzt haben. Sie beruht auf dem Umstand, daß die Schlingen-, Wirbel- und Bogenmuster bei verschiedenen Volksstämmen sehr verschieden sind. Beim Studium der Funde aus Kreta und der von Kretern erbauten, aber von Griechen eroberten Städte hat man zum Beispiel entdeckt, daß die Abdrücke aus der minoischen Zeit Kretas vier Prozent Bögen, 42 Prozent Schlingen und 54 Prozent Wirbel aufzeigten, während die rund tausend Jahre späteren Abdrücke zu 20 Prozent Bögen, zu 65 Prozent Schlingen und zu 15 Prozent Wirbel aufwiesen.

Die vergleichende Sprachforschung erlaubt uns gewisse Vermutungen, welche sprachlich erkennbaren Gruppen einst bestimmte Regionen bewohnt haben. Finden wir im alten Griechenland beispielsweise eine Anzahl von Ortsnamen, die auf -nth enden, zum Beispiel Korinth, und wissen wir, daß dies eine im Griechischen unbekannte Endung ist, so können wir schließen, daß diese Orte von vorgriechischen Siedlern gegründet worden sind. Suchen wir nun nach Sprachen, in denen solche Endungen geläufig sind, so ergibt sich die Möglichkeit, daß Menschen dieser Sprachgruppe die Ortschaften gegründet haben. Ähnlich können wir gewisse Daten in der Völkerwanderung der Vorgeschichte philologisch ermitteln. Entdecken wir beispielsweise, daß es in den verschiedenen »indogermanischen« Sprachen nahezu identische Worte für Rinder, Kühe, Ochsen, Schafe, Ziegen und Schweine gibt, während das Vokabular der Bodenbearbeitung bei jedem der indoeuropäischen Völker anders ist, so können wir vermuten, daß sich diese Völker nach der Erreichung der Hirtenstufe, aber vor der Herausbildung der Pflugkultur voneinander getrennt haben.

Durch Elimination späterer Hinzufügungen und Verfälschungen erlaubt uns die vergleichende Mythenforschung manchmal, an den zeitlichen und regionalen Ursprung des Geschehnisses heranzukommen, dem der Mythos seinen Ursprung verdankt. Die Literaturforschung erlaubt sowohl sprachliche wie auch inhaltliche Rückschlüsse über Geschehnisse auf zwei verschiedenen zeitlichen Ebenen, von denen die eine lange vor der Erfindung der Schrift liegen mag. Beschreibt ein griechischer Autor beispielsweise die Geschehnisse der Vorgeschichte seines Volkes, so können wir aus dem Vergleich mit anderen Beschreibungen derselben Ereignisse sowohl Schlüsse über die Zeit ziehen, in der die Ereignisse stattgefunden haben, wie über die, in der sie aufgezeichnet worden sind: die Unterschiede der Darstellung spiegeln die Zustände der Zeit des Autors wider. Schließlich bietet uns die Kunstgeschichte durch vergleichendes Studium der Form von Werkzeugen, Waffen, Hausrat (vor allem Töpfereiprodukten) und ihrer Verzierungen die Möglichkeit, sowohl den Ursprung wie die Verbreitung der Völkerstämme zu ermitteln, die diese Gegenstände erzeugt haben.

Alle diese Methoden sind bei der Erarbeitung des vorliegenden Textes benutzt worden. Manche Vorgeschichtsforscher haben sich zusätzlich auch der Technik der vergleichenden Ethnologie bedient, welche Beispiele aus der Welt später lebender Völker zur Illustration vermuteter Aspekte ausgestorbener Kulturen heranzieht. Ich hege gewisse Zweifel an der Legitimität dieser Methode und beschränke mich deshalb auf ein Minimum solcher Beispiele. Trotzdem möchte ich aber Forscher wie Morgan und Thomson verteidigen, die sich dieser Technik gern und oft bedient haben. Denn der gegen sie erhobene Einwand, daß die zeitliche Distanz solche Vergleiche irrelevant mache, scheint mir unzulässig zu sein, weil Zeit ein relativer Faktor ist. Setze ich die Ereignisse der Erdgeschichte auf eine zeitgetreue Skala, so nimmt die gesamte menschliche Geschichte, einschließlich jenes vorgeschichtlichen Kapitels, mit dem ich mich hier befasse, einen verschwindend kleinen Raum am obersten Ende der Skala ein. Die Gemeinsamkeiten, die uns mit dem Vorzeitmenschen verbinden, sind unvergleichlich viel größer als die Unterschiede, die uns von ihm trennen. Und die Unterschiede, die ihn wiederum von seinen biologischen Vorfahren trennen, sind unvergleichlich viel größer als die Gemeinsamkeiten, die ihn mit ihnen verbinden. Also sind Analogien zwischen dem homo sapiens der Vorzeit und dem der Gegenwart weitaus berechtigter als zwischen Mensch und Tier. Akzeptieren wir die dubiosen Rückschlüsse von tierischem auf menschliches Benehmen, die der bürgerlichen Verhaltensforschung ihre gegenwärtige Popularität verschafft haben, so müssen wir der vergleichenden Ethnologie, die sehr viel sorgfältiger vorgeht, ein ähnliches Recht einräumen.

In meiner Methode, aus archäologischen Daten soziologische Schlüsse zu ziehen, schließe ich mich der Arbeitsweise meines Lehrers Vere Gordon Childe an, die er 1951 in seinem Werk Social Evolution (deutsch 1968) ausgiebig beschrieben hat. Aber ich will hier noch einmal betonen, was ich am Anfang dieser Einführung bereits habe anklingen lassen: Mir geht es nicht darum, den zahllosen Textbüchern der Vorgeschichtsforschung ein weiteres Exemplar hinzuzufügen, sondern um die Veränderung der Gesellschaft, in der ich lebe.

Was Das Kapital für die Arbeiterbewegung getan hat, soll Das Patriarchat der Frauenbewegung liefern: eine historische Perspektive, eine wissenschaftliche Orientierung, eine Waffe im täglichen Kampf. Wie Marx und Engels die Möglichkeiten einer klassenlosen Gesellschaft der Zukunft erst dadurch glaubhaft machen konnten, daß sie alles verfügbare Material über die klassenlosen Gesellschaften der Vergangenheit zusammentrugen, so hoffe ich, daß die Zusammenstellung nahezu allen Materials, das heute über die matristischen Gesellschaftsordnungen der Vorgeschichte besteht, zur Klärung der Frage beitragen mag, wie denn eine nichtpatriarchalische Gesellschaftsordnung der Zukunft nun eigentlich aussehen mag.

Daß sie auf völlig anderer ökonomischer Ebene als ihre Vorgängerinnen aufgebaut werden muß, versteht sich von selbst. Denn während die vorpatriarchalischen Kulturen fast ausnahmslos Subsistenzgesellschaften waren, kann sich eine nachpatriarchalische Gesellschaftsordnung nur auf einer hochindustrialisierten Planwirtschaft aufbauen. Erst die Vergesellschaftung der Produktionsmittel erlaubt die Freisetzung der industriellen Produktivkräfte, und erst diese erlaubt die Freisetzung der schöpferischen Kräfte des Individuums. So wie der Besitzanspruch des einen Geschlechts über das andere erst mit dem Besitzanspruch des einen Individuums auf die Produkte der Arbeit des anderen begann, so können Eifersucht und sexuelle Ausbeutung erst dann beseitigt werden, wenn der Gedanke an die Rechtmäßigkeit des Privatbesitzes in seinen Grundfesten erschüttert ist. Worte wie »mein Mann«, »meine Frau«, »meine Geliebte«, die fast jeder benutzt, ohne sich des Besitzanspruchs gewahr zu sein, der aus ihnen spricht, enthüllen den verhängnisvollen Einfluß, den die Geschichte des Privateigentums auf unser sexuelles Denken ausgeübt hat.

Da das Buch Jahrzehnte vor den Anfängen der heutigen Emanzipationsbewegung der Frau begonnen wurde, unterscheidet es sich maßgeblich in Methodik und Thematik von den Werken, die aus dieser Bewegung hervorgegangen sind, so zum Beispiel von Betty Friedans Der Weiblichkeitswahn und Kate Milletts Sexus und Herrschaft, aber es dient emphatisch den gleichen Zielen und ordnet sich ihren Forderungen unter. Der Unterschied liegt vor allem darin, daß Women’s Lib sich mit Recht der dringendsten Frage der Gegenwart, der Befreiung vom Patriarchat, gewidmet hat, während es mir darauf ankam, historisch zu dokumentieren, wie das Patriarchat zustande kam und wie es überhaupt möglich wurde, alle bis dahin herrschenden Systeme der gesellschaftlichen und sexuellen Gleichberechtigung so »erfolgreich« zu zerschlagen. Während Women’s Lib sich vor allem mit dem Unrecht befaßt, das der Mann heute der Frau antut, befasse ich mich in den Kapiteln 1, 2 und 8 vor allem mit der Gerechtigkeit, welche die Frau dem Manne erwies, als sie der wichtigere Sozialpartner war. Während Women’s Lib die Schwächen der Gesellschaftsform aufzeigt, in der Frauen von Männern beherrscht werden, beabsichtige ich, die Stärke jener Gesellschaftsordnung unter Beweis zu stellen, in der es der Frau durchaus möglich gewesen wäre, den Mann zu beherrschen; nur tat sie es nicht, und da liegt des Pudels Kern.

Der bemerkenswerteste Aspekt dieser Phase der Sozialentwicklung ist natürlich die Tatsache, daß nicht nur manche Laien, sondern auch die meisten »Gebildeten« meinen, eine solche Phase habe es nie gegeben, da es sie nie gegeben haben könne. Dieses Buch ist deshalb vor allem als aide-mémoire gemeint, als eine Gedächtnisstütze für all jene, die entweder vergessen oder verdrängt haben, wie es damals war. Da der patriarchalische Imperialismus sich nicht nur der Gehirne der Männer, sondern auch der der Frauen bemächtigt hat, ist es vielleicht der deprimierendste und beschämendste Aspekt einer solchen Untersuchung, daß man dabei auf Frauen stößt, die so korrumpiert worden sind, daß sie allen Ernstes verkünden, es sei »natürlich«, daß der Mann die Frau beherrsche: es sei »immer so gewesen«. Einer solchen Ignoranz das Handwerk zu legen, ist das Ziel dieses Buches.

Wieso stellt sich nun ausgerechnet ein Mann ein solches Ziel? Weil die Frau nicht das Unmögliche von sich selber fordern kann: das vieltausendjährige Reich des Mannes über den Haufen zu werfen, ohne eine alternative Form der Gesellschaftsordnung anbieten zu können. Erst wenn sie im Besitz aller verfügbaren Informationen über die matristischen Gesellschaftssysteme der Vergangenheit ist, kann die Frau hoffen, ihren adäquaten Beitrag zur Verbesserung der Gesellschaft zu leisten. Gerade hierüber gab es bisher, dank der halb bewußten, halb unbewußten Unterschlagungsmethoden männlicher Ethnologen und Vorgeschichtsforscher, aber so gut wie keine veröffentlichten Informationen.

Zweitens benötigt die Befreiungsbewegung der Frau präzises Informationsmaterial über die Strategie und Taktik, mit der es dem Patriarchat gelang, die ihr vorausgegangenen matristischen Gesellschaften zu zerschlagen. Denn wenn diese Methoden einst praktikabel waren, um eine der besten Gesellschaftsordnungen zu zerstören, die es je in der Geschichte der Menschheit gegeben hat, dann sind sie möglicherweise auch heute noch von Nutzen, um eines der schlechtesten Sozialsysteme der Menschheitsgeschichte zu beseitigen. Mit der Strategie, Taktik und Logistik der Machtergreifung des Patriarchats befassen sich die Kapitel 3 bis 7 dieses Buches. Auch dies mit gutem Grunde. Denn aus allem Informationsmaterial, das ich aus den Quellen der Vergangenheit herausfiltern konnte, geht eines mit unausweichlicher Klarheit hervor: kein Geschlecht kann sich von der Tyrannei des anderen befreien, ohne dieses gleichzeitig mitzubefreien.

Wieso schreibe ich also als Mann eine solche Fibel, die der Frau die Instrumente zum Sturz meines eigenen Geschlechts liefert? Weil ich kein anderes Mittel zur Befreiung des Mannes kenne. Der entsetzliche »Kampf der Geschlechter«, den das Patriarchat als »naturgegeben« und »unabänderlich« betrachtet, wird entweder mit der Zerstörung der Menschheit oder mit dem Verzicht auf diesen Kampf enden: mit dem Verzicht auf die Geschlechtlichkeit überhaupt.

Ebensowenig, wie die Geschichte mit dem Triumph einer Klasse über die andere enden kann, kann sie mit dem Triumph des einen Geschlechts über das andere enden. Entweder befreien wir uns von der Tyrannei der Klassen und damit gleichzeitig von der der Geschlechter oder wir fallen zurück in die tierische Vergangenheit, aus der wir gekommen sind. Der klassenlosen Gesellschaft der Zukunft entspricht die geschlechtslose Zukunft unserer Spezies. Die eine ist nicht ohne die andere erzielbar.

Mit dieser Perspektive – so weit gespannt, daß nur wenige Leser bereit sein werden, mir dahin zu folgen – befaßt sich das letzte Kapitel des Buches: der Befreiung der Menschheit von der Geschlechtlichkeit als solcher. Aber fern, wie sie dem Auge des Laien auch scheinen mag, der Sexualanthropologe kann sich ihr nicht entziehen. Alles, was wir über die gesetzmäßige Entwicklung der menschlichen Geschlechtlichkeit wissen, deutet auf diesen Brennpunkt hin.

London, Edinburgh, Cambridge, Ottawa,

Paris, Frankfurt, Scharten 1933 bis 1973. Psychologisches Institut der Universität Salzburg 1974 bis 1975

Ernest Borneman

I Der Ursprung

Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts.

Friedrich Engels

1

In drei Stellen des Alten Testamentes, sowohl in der hebräischen Urfassung wie in der syrischen Übersetzung und der griechischen Septuaginta, taucht ein obskures Wort aus der awestischen Sprache, einem frühpersischen Idiom, auf: pairidae̅za, »Paradies«, der Name des verschollenen Ortes, wo der Mensch glücklich war.

Der Mythos von dem verlorenen Glück und dem verschollenen Land ist nicht auf hebräische, persische, syrische und griechische Quellen beschränkt, sondern ist Teil eines regionalen Mythenblocks, der sich von den Küsten des Mittelmeeres bis ins Herz Vorderasiens erstreckt. Die bedeutendsten Mythologen, Sprachwissenschaftler und Religionsforscher unserer Zeit sind heute darüber einig, daß der »Garten Eden« weder im Zweistromland, wie man im neunzehnten Jahrhundert meinte, noch überhaupt an irgendeinem spezifischen Ort lag, sondern eine bestimmte Form des Zusammenlebens beschreibt, die einst in dieser ganzen Region existiert haben mag.

Die Sumerer sprechen von einem Land, in dem der Mensch vor den Zeiten der Sintflut wunschlos und zufrieden gelebt habe. Gilgamesch, der babylonische Held, fand diese glückliche Welt im Laufe seiner Wanderungen, verlor aber die magische Blume, die dort wuchs, und konnte deshalb nie seinen Weg zurückfinden. Die Juden verbanden ihren Glauben an das Kommen des Messias mit der Hoffnung, daß er die Tugenden zurückbringen werde, die der Mensch in jener verschollenen Zeit besessen hatte. Sicherlich ist es kein Zufall, daß Karl Marx, Erbe einer langen Tradition rabbinischen Wissens, seine Geschichtsphilosophie auf dem Gedanken aufbaute, der Mensch müsse eines Tages die Tugenden jener vergangenen Zeit wiedererlangen: von der klassenlosen Gesellschaft der Vorgeschichte zur klassenlosen Gesellschaft der Zukunft.

Was waren nun die Tugenden jener verschollenen Welt? Das Seltsame an den Mythen vom Goldenen Zeitalter ist, daß sie sich nicht mit einem Schlaraffenland, einem Land des Reichtums und des Überflusses beschäftigen, was doch bei der großen Armut der Völker des Altertums zu erwarten gewesen wäre, sondern eher mit einer Welt der Genügsamkeit: zeitlos, beständig, gleichmütig, bedürfnisfrei, anspruchslos und bescheiden, aber auch rücksichtsvoll und würdig; eine Welt ohne Eigenart, aber auch ohne Eigenwilligkeit; ohne Individualität, aber auch ohne Einzelgängerei; eine Existenz frei von Eigentum, aber auch von Habgier und Diebstahl: »Die Menschen waren damals friedlich und sahen alles mit dem gleichen Auge an.«

Die Tugenden, die uns aus diesen Mythen ansprechen, sind also nicht die der Persönlichkeit, denn diese gab es noch nicht, weil die gegenseitige Abhängigkeit so groß war, daß niemand den Gedanken der persönlichen Selbständigkeit fassen konnte. Es war eine Gesellschaft von Ebenbürtigen, aber auch von so engen Blutsverwandten, daß sich das Ich noch nicht völlig vom Du spalten konnte; eine Welt frei von Stand, Rang und Kaste, aber auch frei von Strebsamkeit; eine Welt ohne Leidenschaft, aber auch ohne Einsamkeit; ohne Abweichung, aber auch ohne Alleinsein; ohne Sehnsucht, aber auch ohne Ehrgeiz; ohne Selbstsucht, aber auch ohne Geltungsdrang.

Es gab keine Anmaßung, aber auch keine Unterwürfigkeit; keine Überhebung, aber auch keine Untertänigkeit; keinen Dünkel, aber auch keinen Knechtsinn; keinen Hochmut, aber auch keine Liebedienerei; keine Willkür, aber auch keine Willfährigkeit. Die Tugenden waren Freundschaft, Verläßlichkeit, Aufrichtigkeit, Offenheit, aber auch diese nur in dem Sinne, daß sich niemand der Möglichkeit einer Alternative bewußt war. Es war keine glückliche Welt, denn auch Glück versteht sich nur als Antithese zum Unglück, und Unglück war noch nicht ins Bewußtsein dieser weithin undifferenzierten Communitas eingedrungen. Deshalb gab es weder Macht noch Machtanspruch, weder Ordnung noch Unterordnung, weder Befehl noch Gehorsam.

Es war eine ungeteilte Welt, frei von Armen und Reichen, Gläubigern und Schuldnern, Ausbeutern und Ausgebeuteten. Es war die Insel der Seligen, frei von Geiz, aber auch von Verschwendung. Es war das Hyperboräerland, frei von Geben und Nehmen. Es war der Garten der Hesperiden, frei von Neid, aber auch frei von allem, was Grund zum Neid geben konnte.

Wenn dies eine rückwärts projizierte Utopie war, wie manche Forscher meinen, dann war es schon eine sehr seltsame Utopie: ein Wunschtraum, der in keiner Weise den Wünschen der Menschen des Altertums entsprach. War es aber kein Wunschtraum, dann war es wahrscheinlich eine Erinnerung, der man sich trotz ihres negativen Gehalts nicht entziehen konnte, eine Erinnerung von so zwingender Beharrlichkeit, daß sie noch Tausende von Jahren später einen großen Teil der Mythologie dieses ganzen Erdteils beherrschte. Was lag ihr zugrunde und wodurch wurde sie schließlich verdrängt?

Zugrunde lag ihr das freie, fast sorglose Leben der alten Wildbeuter. In der letzten Interstadialperiode zwischen den Eiszeiten Würm I und Würm II erstreckte sich eine gewaltige Fläche offenen fruchtbaren Landes mit gemäßigter Temperatur von der Ägäis bis zum Hindukusch. Beeren-, fruchte-, pilz- und kleintiersammelnde Frauen mit ihren primitiv jagenden Männern durchschweiften dieses weit offene Land, frei und unbehindert. Wenn ihre Nahrung knapp wurde, zogen sie einfach weiter. Die Welt schien ihnen unbegrenzt und unermeßlich fruchtbar.

Dann kam die Katastrophe. In sechs Stadien, die wir noch heute nachzeichnen können, begann die letzte Phase der Eiszeit und danach eine völlig neue Welt:

Die Temperatur stieg. Das fruchtbare Strauch- und Waldgebiet mit gemäßigtem Klima spaltete sich in Wüsten und Tundren auf der einen Seite, Urwälder und Dschungel auf der anderen. Zwischen Wüsten und Tundren wucherten grüne Oasen und dschungelartige Uferbette. In diesen Grünbecken begannen sich die überlebenden Tierarten zu konzentrieren, so daß auch die Menschen gezwungen waren, ihre Jagd- und Sammelgründe hierhin zu verlegen. Aber hier konnte man nicht mehr unbegrenzt weiterwandern, wenn das Revier abgegrast war, denn diese Reviere waren trotz ihrer Fruchtbarkeit begrenzt. So lernten die einstigen Nomaden, Pflanzen zu kultivieren, statt sie einzusammeln, und Tiere zu züchten, statt sie zu jagen.

Die seßhaft gewordenen Nomaden versammelten sich in größeren Gruppen zur leichteren Zusammenarbeit bei Ackerbau und Viehzucht. So entstand das Dorf. Wuchs die Dorfbevölkerung zu sehr für den verfügbaren Boden an, so gründete sie eine Kolonie in dem nächsten noch urbaren Revier. Auf diese Weise verbreitete sich die Landwirtschaft über Vorderasien, Südosteuropa und den ganzen Mittelmeerraum.

In den großen alluvialen Flußtälern Ägyptens und Mesopotamiens entwickelten sich die ersten Städte. Sie waren nicht nur größer als die Dörfer, sondern besaßen auch eine andere Ökonomie: den Handel. Sie tauschten ihre Überschüsse gegen Metalle und andere Materialien aus, die sie zwar benötigten, aber nicht im eigenen Revier besaßen. Dadurch wurden sie in gewisser Weise von ihrer Umgebung abhängig, die ländliche Umgebung aber noch mehr von der Stadt. Die Autarkie, die Selbständigkeit der ursprünglichen Nomaden und Feldbauern, die bis dahin auch die Freiheit der Dörfer gewährleistet hatte, war nun ein für allemal dahin.

Die Metalle begannen den Handel zu dominieren – Gold und Silber für Schmuckgegenstände, vor allem aber Kupfer, Zinn und Eisen für Werkzeuge und Waffen. Die Inseln, die den Metallhandel beherrschten, vor allem Kreta und die Kykladen, in geringerem Maße aber auch Zypern, die Heimat des Kupfers, wurden zu den führenden Kulturzentren in der Ägäis. Ihre Beziehungen zu den Handelsstädten am Nil, Euphrat und Tigris gaben ihnen eine Welterfahrung, eine kulturelle Überlegenheit, die das ägäische Festland erst Jahrtausende später aufholte.

Gleichzeitig aber begann die Abhängigkeit von der Ware, jene ans Süchtige grenzende Unselbständigkeit des Menschen, die ihn lieber auf seine Freiheit verzichten ließ als auf die Krücken der Zivilisation. Es bildete sich eine Klassengesellschaft, in welcher der Unterdrückte sich oft lieber unterdrücken ließ, als die Hoffnung aufzugeben, eines Tages selbst in die Reihen der Unterdrücker aufzurücken. Dies war das Patriarchat.

Parallel zu dieser ökonomischen Entwicklung und sozusagen als ihr sexueller Überbau vollzog sich eine stufenweise Veränderung der menschlichen Paarungssitten, die vor allem durch eine graduelle Verschärfung des Inzestverbots gekennzeichnet wurde.

Aus den Mythen der Ägäis und ihres vorderasiatischen Hinterlandes läßt sich als Gemeinnenner der Erinnerungen an das verlorene Paradies der Vorzeit eine ganz bestimmte, von den späteren Wunschträumen der Menschheit sofort unterscheidbare Form des Geschlechtslebens rekonstruieren: eine noch nicht völlig genitalisierte, noch nicht auf die Dominanz der Geschlechtsteile ausgerichtete Sexualität; eine amorphe, alles Warme, Lebendige, Pulsierende umfassende Zärtlichkeit, ein friedliches Streicheln und Kosen, das völlig im Gegensatz zum späteren Kampf der Geschlechter steht; eine Blutsbrüderschaft und Blutsschwesterschaft, die wir, da wir sie nie erfahren haben, kaum beschreiben können und die offenbar schon den Griechen nicht mehr verständlich war.

Die Erinnerung, wenn es eine ist, knüpft sich offenbar einerseits an das Gefühl völliger Geborgenheit in einer Gemeinschaft, die den Durchbruch zum Bewußtsein der Individualität, des Andersseins, des Separatseins und damit des Alleinseins noch nicht vollzogen hatte; andererseits können wir eine Sexualität spüren, die noch nicht auf die Polarität der Geschlechter fixiert ist, sondern den anderen Menschen, unabhängig von seinem Geschlecht, als wärmendes, tröstendes Geschöpf sucht. Die Beziehung ähnelte offensichtlich mehr der zwischen Mutter und Kind als der heutigen zwischen Mann und Frau, und dies aus dem simplen Grunde, daß die Barriere des Ödipuskomplexes noch nicht existierte. Die Kausalverbindung zwischen Paarung und Befruchtung war noch nicht bewußt geworden. Das Kind kannte zwar seine Mutter, nicht aber seinen Vater, und konnte folglich auch nicht auf ihn eifersüchtig sein. Es war also eine Sexualität, die nicht im Koitus zu enden brauchte, sondern sich schon am Körperkontakt, am Händehalten, am Umarmen und Umarmtwerden, am Brustkontakt und Brustsaugen befriedigte; eine Sexualität vor allem, die nicht auf die Ausschließlichkeit des Verhältnisses zweier Menschen ausgerichtet war und deshalb auch nicht die Gemeinschaft mit allen anderen von sich wies.

2

Was die Bibel als Sündenfall beschreibt, war die menschliche Entdeckung des eigenen Ichs als etwas von der Gemeinschaft Unterschiedenes. Mit dem Bewußtsein des Ichs beginnt die Inzestschranke, und mit der Inzestschranke beginnt das Denken in menschlichen Klassen. Denn die Vorstellung, daß es jemanden gebe, mit dem man sich nicht paaren dürfe, setzt ein hohes Maß von Ich-Bewußtsein voraus: Tiere kennen kein Inzesttabu. Wer sich nur mit A, nicht aber mit B paaren will, teilt die Menschheit in zwei Klassen ein: die obere, die attraktiv ist, und die untere, die tabuiert wird. Damit sind die Grundlagen der menschlichen Hierarchie, aber auch der gegenseitigen Ausbeutung gelegt.

Der Prägnanz halber habe ich das hier in ahistorischer Form beschrieben. In Wahrheit verlief die Chronologie in umgekehrter Richtung: Durch Arbeitsteilung und Aneignung der ersten Überschüsse erfolgte die Spaltung der Urgesellschaft in Klassen, und erst die Klassenspaltung führte zu jener Spaltung der Psyche, von der die bürgerliche Psychologie annimmt, sie stelle das Kennzeichen des Menschen im Gegensatz zum Tier dar und qualifiziere ihn erst durch die Entwicklung des Bewußtseins zum »Kulturträger«.

Das ist unhistorisch gedacht, denn bei den Wildbeutern gab es weder eine »Kultur« noch einen Unterschied der Klassen und deshalb auch keine Ausbeutung des einen Geschlechts durch das andere. Das war der Grund ihrer Wunschlosigkeit, aber auch ihrer Zufriedenheit. Mit der Inzestschranke beginnt der menschliche Fortschritt, gleichzeitig aber auch die Unzufriedenheit und die stetig wachsende Anzahl der Wünsche. Das menschliche Wissen wächst wie ein Apfel: Je größer er wird, desto größer wird auch die Zahl seiner Berührungspunkte mit dem Unbekannten. Ähnlich steht es mit den Wünschen, die die Klassengesellschaft erzeugt: je größer die Leistung der Produktionsmittel, desto weiter hinkt sie hinter der Erfüllung der Wünsche zurück. Das liegt nicht an der Natur der menschlichen Wünsche, sondern an der der Klassen.

3

Wenn wir die Menschheitsgeschichte nicht auf dem absurden Zufall aufbauen wollen, daß die erste Frau, die sich irgendwo auf der Welt durch irgendeine Mutation aus ihren tierischen Vorfahren herausgebildet hat, durch einen ebenso großen Zufall auf den ersten Mann stößt, der sich ebenfalls – und das auch noch ausgerechnet zur gleichen Zeit – durch eine Mutation aus einem anderen Primatenstamm entwickelt hat, so müssen wir annehmen, daß die ersten Menschen, die sich irgendwo gebildet haben, durch Inzucht entstanden sind. Ob und wie lange die Praktik der Paarung zwischen Mutter und Sohn, Vater und Tochter, Bruder und Schwester andauerte, weiß niemand. Aber daß unsere Evolution als Gattung so begonnen hat, steht außer Zweifel.

Wie und weshalb die Paarungsverbote zwischen Geschwistern und zwischen Eltern und Kindern entstanden sind, weiß ebenfalls niemand. Aber daß sie durch eine bestimmte Entwicklung gefördert worden sind, steht außer Zweifel. Irgendwann hat sich jede der verschiedenen Urhorden, die zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Teilen der Erde entstanden sind, gespalten, weil keine wild lebende Horde, weder eine tierische noch eine menschliche, sich ernähren kann, wenn sie ein bestimmtes Größenmaß überschreitet. Zwischen den gespaltenen Horden müssen sich dann die sexuellen Beziehungen so eingespielt haben, daß man es vorzog, sich den Partner in der anderen Horde zu suchen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Inzucht gefährdet die Horde, weil sie zu groß wird, um sich ernähren zu können. Das Inzuchtverbot dagegen erschwert die Paarung und hält die Horde dadurch klein und lebensfähig. Gleichzeitig lernt der Mensch durch exogame Paarung neue Gegenden kennen, muß feindliche Tiere auf dem Wege dorthin abwehren, neue Nahrungsmittel finden, sich nach Spuren und Sternen orientieren. Das schärft seine Intelligenz und stärkt seine Unabhängigkeit.

Lewis Henry Morgan (1818 bis 1881), der amerikanische Rechtswissenschaftler, der durch seine Tätigkeit für einen amerikanischen Indianerstamm zum Ethnologen und durch seine Entdeckung des klassifikatorischen Verwandtschaftssystems zum Vater der Sexualanthropologie wurde, meint, daß die Einschränkung der Paarungsfreiheit zuerst zu einem Tabu des Geschlechtsverkehrs außerhalb der eigenen Generation geführt habe: Man durfte also mit allen Gleichaltrigen, einschließlich der eigenen Geschwister, nicht aber mit der Generation der Eltern oder Kinder, also auch nicht mit den eigenen Eltern und den eigenen Kindern verkehren.

Als nächstes erfolgte der Ausschluß aller Mitglieder der eigenen Sippe, womit die Blutsverwandten der Mutter gemeint waren, denn daß man auch mit dem Vater blutsverwandt war, hatte man noch nicht entdeckt. Es gab nun also zwei Kategorien von Inzestverboten: eins, das sich in Altersbegriffen bewegte, und ein anderes, das mit Abstammungskategorien operierte. Auf die »Blutsverwandtschaftsehe«, das lockere Zusammenleben von leiblichen und kollateralen Schwestern mit ihren Brüdern, folgte also durch weitere Einengung des Blutsverwandtschaftsbegriffes eine »Ehe« solcher Schwestern mit Männern, die nicht untereinander verwandt waren.

Als die Monogamie schließlich in der Region südlich der Donau auftaucht, war sie noch so frei, daß wir nach heutigen Maßstäben kaum von Ehe sprechen können. Zwar lebte ein einziger Mann eine Zeitlang mit einer einzigen Frau zusammen, aber beide lebten mit anderen solchen Paaren in großen Gemeinschaftshütten, in denen die Kinder aller Paare gemeinschaftlich versorgt wurden und einander auch als Geschwister betrachteten. Die Frau hatte in diesem Stadium noch weitgehende Rechte über ihren Körper und nahm sich Liebhaber oder wechselte ihren »Ehepartner«, sooft sie wollte. Sie konnte dies tun, weil der Mann zu dieser Zeit den vom Rinde gezogenen Pflug noch nicht entdeckt hatte, die Frau dagegen die Felder mit einem eigens von ihr erfundenen Instrument, der Hacke, bebaute und dadurch den größten Teil der Nahrung erzeugte. Der jagende, fischende, fallenstellende Mann war ihr wegen seines geringen Beitrags zur Nahrungsbeschaffung so verpflichtet, daß er sich nicht gut gegen ihre sexuelle Freiheit wehren konnte.

In der Geschichte jener Regionen, mit denen wir uns in diesem Buch befassen, Griechenland, Rom und ihren Hinterländern, war die Monogamie, die lebenslängliche Einehe mit strikter Verpflichtung der Frau zur außerehelichen Enthaltsamkeit, also eine historische Schöpfung des Mannes, die seiner Machtergreifung sexuelle Geltung verleihen sollte. Eine Einehe mit Verpflichtung des Mannes, keine außerehelichen Verhältnisse zu betreiben, hat es in der Geschichte beider Regionen bis zum Mittelalter nicht gegeben.

Der Grund, weshalb bis zu dieser Zeit nur der Mann, nie aber die Frau für die Einehe eingetreten war, ist bereits im Vorwort erwähnt worden: Nur so konnte er hoffen, daß die Kinder seiner Frau auch seine Kinder seien. Die Frau dagegen wußte stets, welches Kind das ihre war und hatte deshalb keinen Grund, den ausschließlichen Besitz des Ehepartners zu fordern. Wenn Frauen sich in späteren Zeiten zu Fürsprechern der restriktiven Monogamie gemacht haben, so taten sie es entweder, weil sie vom Manne ernährt werden wollten, also ihre Versorgung höher bewerteten als ihr Recht und ihre Freiheit, oder weil sie, ohne es zu wissen, gegen ihre eigenen Interessen verstoßen hatten. Beides geschah um so häufiger, je mehr die Erinnerung an die matristischen Verhältnisse in Vergessenheit geriet, denn es ist schwer, dem Patriarchat zu widerstehen, wenn man sich nicht einmal mehr der Möglichkeit des Matriarchats bewußt ist. Andererseits stellt die ganze Geschichte Griechenlands und Roms ein einziges überwältigendes Zeugnis der negativen Auswirkungen des Patriarchats dar: Wo dem Drängen des Mannes nach einer Eheform mit Verpflichtung der weiblichen »Treue« stattgegeben wurde, hat dies stets der Frau geschadet.

4

Morgans Vorstellung, daß wir etwas über die Paarungssitten vergangener Kulturen aus dem Vokabular entnehmen können, mit dem sie ihre Verwandten bezeichneten, baute sich auf der Entdeckung auf, daß es sowohl in nichteuropäischen Kulturen der Gegenwart wie auch in den europäischen Kulturen der Vorzeit völlig andere Methoden der Verwandtschaftsbezeichnung gibt als die, mit denen wir vertraut sind und die wir deshalb als selbstverständlich betrachten. Während wir beispielsweise von der Position des Individuums ausgehen, sind sich andere Systeme, vor allem diejenigen, die bisher noch nicht durch das Stadium der Monogamie gegangen sind, der Eigenständigkeit des Individuums noch nicht bewußt und denken deshalb in Kategorien von Personen, nicht in Begriffen der einzelnen Persönlichkeit. So werden nicht nur die eigenen Brüder, sondern auch die Söhne der Brüder des Vaters als Brüder bezeichnet; nicht nur die eigene Mutter, sondern auch deren Schwestern werden als »Mutter« angesprochen.

Morgan nannte dieses System »klassifikatorisch« im Gegensatz zu unserem, das er als »beschreibend« oder »deskriptiv« bezeichnete, wobei der Ausdruck »klassifikatorisch« insofern irreführend ist, als er den Eindruck vermittelt, es handle sich bei diesem System um eine Einteilung der Menschen in »Klassen«. Genau das tut das klassifikatorische System aber nicht, denn es stammt aus einer Zeit vor der Herausbildung der Klassengesellschaft. Was es wirklich widerspiegelt, ist die Sippengesellschaft. Während das westliche, das deskriptive System die Aussonderung des Individuums aus seiner natürlichen Gemeinschaft, der Sippe, und die Verpflanzung in eine unnatürliche Gruppe, die Klasse, ausdrückt, beschreibt das archaische, das klassifikatorische System das vorindividualistische Denken in Gruppen von Blutsverwandten. Das deskriptive System legt also die Beziehung zwischen Ich und Du fest, das klassifikatorische System die zwischen Wir und Ihr.

Morgan ging nun von der richtigen Beobachtung aus, daß die Sprache sich langsamer ändert als die Sitten, so daß wir aus dem Sprachgebrauch derjenigen Kulturen, bei denen sich ein klassifikatorisches System der Verwandtschaftsbezeichnungen erhalten hat, folgern können, wie diese Gesellschaften sich einst gepaart haben. Bei Morgan heißt das: welche »Eheformen« sie früher gehabt haben, zum Beispiel »Gruppenehen«, bei denen alle Brüder der einen Sippe mit allen Schwestern der anderen Sippe »verheiratet« waren. Aber erstens sind die Begriffe »Heirat« und »Ehe«, die aus der monogamen Zeit stammen, nicht übertragbar in eine vormonogame oder nichtmonogame Gesellschaftsordnung, und zweitens ging Morgan einen Schritt zu weit, als er aus den Paarungstabus, die sich zweifellos im Sprachgebrauch widerspiegeln, die Folgerung zog, daß all das, was nicht verboten war, auch praktiziert wurde und daß alles, was praktiziert wurde, den Status einer eheartigen Institution hatte. Beide Folgerungen sind falsch, aber das bedeutet nicht, wie die Mehrzahl der bürgerlichen Ethnologen unserer Zeit vorgibt, daß die Verwandtschaftsbezeichnungen überhaupt keine Schlüsse über die Sexualsitten zuließen oder gar, wie Lévi-Strauss meint, daß die Verwandtschaftsterminologie nur metaphorischen Charakter hat.

5

Wir haben hier vielleicht den Punkt erreicht, an dem wir uns die grundsätzliche Frage stellen sollten, wieso denn der Mensch, dessen anatomisches System große Promiskuität ermöglicht, nicht nur in der Alten Welt, sondern auch in fast allen anderen Kulturen ein einschränkendes Paarungssystem angestrebt hat. Die Erklärung, daß Inzest notwendigerweise eugenisch schädlich sein müsse, wird keinen Tierzüchter, geschweige denn den Humanbiologen überzeugen. Auch die Hypothese, daß alle Formen der Paarungsbegrenzung nur Vorfahren der Einehe seien und der Versorgung des ehelichen Nachwuchses dienen, ist nicht stichhaltig. Jede Gesellschaft kann ihre Kinder versorgen, ohne wissen zu müssen, welches Kind welchen Vater hat. Der wirkliche Zweck der Monogamie ist also nicht die Versorgung des Kindes, sondern die Vererbung des väterlichen Privatbesitzes.

Man erkennt die Dinge manchmal am deutlichsten, wenn man erst einmal definiert, was sie nicht sind. So ist die bedeutungsvollste Negation der Ehe zweifellos der Ehebruch. Als das Konzept des Ehebruchs zuerst in der Geschichte der westlichen Welt auftauchte, bedeutete es aber etwas ganz anderes als heute, nämlich eine Form des Diebstahls. Die Gattin, die sich mit einem anderen Manne paarte, konnte von ihm geschwängert werden. Merkte der Gatte das nicht, so zog er einen Bastard heran, der ihn beerbte, das heißt: bestahl. Denn erben durfte nach patriarchalischem Usus nur der leibliche Sohn. Die Paarungsbeschränkung verfolgt also zwei Zwecke. Erstens zwingt sie den Menschen aus der Isolierung der inzestuösen Sippe hinaus in die weite Welt. Er muß seinen Partner anderswo suchen, und diese Suche führt zur Weltoffenheit, zur Berührung der Kulturen, zum Fortschritt. Zweitens führt die Herausbildung des Eigentums über den Umweg des Erbrechts zur erzwungenen »Treue« der Frau. Erst die Erfindung der chemischen Antikonzeptionsmittel befreit sie in begrenztem Maße von dieser erzwungenen Karenz. Darin liegt aber noch keine Legitimierung der Paarungsfreiheit; eine solche Legitimierung kann erst dann erfolgen, wenn Paarung und Vermehrung grundsätzlich getrennt werden. Mit dieser Frage befaßt sich der letzte Teil unseres Buches.

IIDie Mütter der Alten Welt

Die erste Teilung der Arbeit ist die von Mann und Weib zur Kindererzeugung.

Karl Marx

 

Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche.

Friedrich Engels

1

Die Alte Welt im weitesten Sinne des Wortes umfaßt ganz Asien, Afrika und Europa. Aber das ist ein irreales Konzept, denn die Einwohner dieser alten Welt kannten kaum ihre nächsten Nachbarn, geschweige denn die Bewohner anderer Erdteile. In meinem Gebrauch des Wortes beschränke ich mich deshalb auf jene »Wiege der Kultur«, die sich von der Donau, dem Schwarzen Meer und dem Kaukasus südlich bis zum Mittelmeer und dem Persischen Golf erstreckt. Dabei konzentriere ich mich auf eine noch engere Region: das östliche Mittelmeer, seine Inseln und sein Hinterland. Dies ist die Heimat des sogenannten Matriarchats oder Mutterrechts, eines zweifelhaft benannten Systems der gesellschaftlichen Organisation, das sich vor allem in den folgenden zwei Aspekten von dem heute fast überall in der Welt verbreiteten Vaterrecht oder Patriarchat unterscheidet:

Es führt die Abstammung des Menschen ausschließlich auf seine Mutter zurück und verfolgt alle Verwandtschaftsgrade in mütterlicher Linie. Dies nennt man matrilineare Deszendenz. Unser gegenwärtiges System ist dagegen bilinear: Wir leiten unsere Abstammung sowohl von unserem Vater wie von unserer Mutter ab; in den Standesämtern werden beide Zweige der Familie geführt. An der Tatsache, daß wir unsere Nachnamen meist von unserem Vater, nur selten von unserer Mutter übernehmen. erkennen wir, daß unser System früher patrilinear gewesen ist und auch heute noch sein Schwergewicht von der väterlichen Seite bezieht.

Das Matriarchat war matrilokal. Das heißt: Der Mann siedelte sich im Hause oder bei der Sippe seiner Frau an. Verglichen hiermit ist unser System neolokal. Das heißt: Sobald sich das junge Paar eine eigene Wohnung leisten kann, zieht es von den Eltern oder Schwiegereltern fort und gründet einen neuen Haushalt. Aus verschiedenen Kennzeichen können wir aber entnehmen, daß unser System seinerzeit patrilokal gewesen ist. Das heißt: Das neuvermählte Paar zog früher in den Haushalt der Großfamilie des Gatten und seines Vaters, wie es noch heute bei manchen Bauern üblich ist. Die Frage der Maritalresidenz, des Ortes, wo man sich ansiedelt, wenn man heiratet, ist von weitaus größerer Bedeutung, als es scheinen mag.

2

Als C.W. Ceram 1949 sein populärwissenschaftliches Buch Götter, Gräber und Gelehrte veröffentlichte, galt das dritte vorchristliche Jahrtausend als die fernste Zeit, aus der Spuren zivilisierter Menschen überliefert worden waren. Mit jeder neuen Entdeckung, jedem neuen Fund, jeder verbesserten Datierung sind die Geschehnisse der Ur- und Vorzeit seitdem weiter in die Vergangenheit zurückzuverfolgen. Man könnte es in epigrammatischer Form so ausdrücken, daß jedes Jahr unserer eigenen Geschichte uns um einige Jahrtausende weiter in die Geschichte der Vorzeit zurückführt. Die Evolutionswissenschaftler glauben jetzt, daß die Abspaltung des Menschen von seinen tierischen Vorfahren vor nicht weniger als fünf Millionen Jahren stattgefunden hat. Erste Spuren menschlicher Werkzeuge liegen in unserer Region rund 800000 bis 600000