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Michaela kehrt an den Ort zurück, an dem sie zur Steinträgerin wurde. Zehn Jahre sind seitdem vergangen, und mittlerweile hat sie mit ihrem Traummann Paul zwei wundervolle Kinder. Doch als Paul einer schweren Sucht verfällt, ausgelöst durch ein rätselhaftes weißes Pulver, kann er auf die Unterstützung seiner Familie und seines treuen Freundes Peter zählen.
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Seitenzahl: 296
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Kapitel 1
Die Schatten der Vergangenheit
Kapitel 2
Dennis
Kapitel 3
Das Geheimnis der Kette
Kapitel 4
Besuch am Portal
Kapitel 5
Das weiße Pulver
Kapitel 6
Ein Mantel für Paul
Kapitel 7
Die Gefahr des Pulvers
Kapitel 8
Wie wirkt das Pulver?
Kapitel 9
Die Sucht beginnt
Kapitel 10
Starke Unruhe
Kapitel 11
Wie können wir Paul helfen?
Kapitel 12
Paul macht sich ein Pulverbunker
Kapitel 13
Frau Griffel liegt im Sterben
Kapitel 14
Frau Griffel ist gestorben
Kapitel 15
Das Bunker
Kapitel 15
Endlich darf Auguste zum Altenheim
Kapitel 16
Der Ausflug
Kapitel 17
»Ich brauche das Pulver«
Kapitel 18
Augustes Blut soll helfen?
Kapitel 19
Bekommt Emily auch Besuch von Dennis?
Kapitel 20
Die neue Regel
Kapitel 21
Der Deal
Kapitel 22
Frau Friedel und das Altenheim
Kapitel 23
Papa, der Vampir
Kapitel 24
Die Besichtigung
Kapitel 25
Wie streckt man Drogen?
Kapitel 26
Wie wirkt das Blut von Auguste?
Kapitel 27
Auguste spendet ihr Blut
Kapitel 28
Gibt es noch ein drittes Bunker?
Kapitel 29
Der Einzug von Frau Friedel
Kapitel 30
Paul verabschiedet sich von Frau Griffel
Kapitel 31
Mein erster Arbeitstag
Kapitel 32
Der Notfall
Kapitel 33
Bin ich gestorben?
Kapitel 34
Augustes Rettungsaktion
Kapitel 35
Ist Paul Tod?
Kapitel 36
Emily hat eine Idee
Kapitel 37
Peter und Auguste haben einen Plan
Kapitel 38
Das EEG Ergebnis
Kapitel 39
Emily meine Retterin
Kapitel 40
Wieder mal am Portal
Kapitel 41
Wo ist das letzte Bunker?
Kapitel 42
Plan A
Kapitel 43
Plan B
Kapitel 44
Endlich ein Erfolg
Kapitel 45
Wir helfen dir!
Kapitel 46
Was ist dein Wunsch?
Kapitel 47
Wirkt das Blut und das Pulver wirklich?
Kapitel 48
Mein Wunsch
Nun stand ich also wieder vor dem Altenheim – jenem Ort, der mein Leben vor etwa zehn Jahren völlig auf den Kopf gestellt hatte. Ich blickte nach oben, dorthin, wo ich früher gearbeitet hatte. Ganz oben, dort, wo sich jede Nacht ein Portal öffnete. Aus diesem Portal kamen die Geister verstorbener Kinder, die bei einem Brand ums Leben gekommen waren.
Unbewusst fasste ich an meinen Hals und spürte die Kette, die mir damals das Leben gerettet hatte. Seitdem hatte ich sie nie abgelegt – außer während meiner beiden Schwangerschaften mit unseren wunderbaren Töchtern.
Leichter Regen begann einzusetzen, und ich beeilte mich, ins Gebäude zu gelangen. Zielstrebig ging ich in Richtung Büro des Heimleiters, doch unterwegs begegnete mir Anna.
»Hey, wie geht’s dir?« fragte sie mich freundlich.
»Gut,« antwortete ich knapp.
Anna liebte es, mir von den Kindern zu erzählen, die aus dem Portal kamen. Sie wusste, wie eng ich mit Dennis, einem kleinen Geisterjungen, verbunden war. Er besuchte mich oft in meinen Träumen. Wir verabschiedeten uns, und Anna verschwand im Aufzug.
Schließlich stand ich vor der Tür der Heimleitung und klopfte an. Kurz darauf ertönte eine Stimme: »Herein!« Langsam öffnete ich die Tür.
Hinter einem großen Schreibtisch mit einem modernen Computer saß er: Paul, mein Traummann. Nachdem Herr Bergwald vor einiger Zeit in den Ruhestand gegangen war, hatte Paul dessen Position als Heimleiter übernommen – auf Wunsch seines Vaters Edward, der das Altenheim vor vielen Jahren gekauft hatte.
»Aber Paul, mach keinen Mist!« hatte Edward gewarnt, als er ihm die Schlüssel überreichte.
Paul sah auf, lächelte und sagte: »Hey, Sweetheart. Ich bin gleich fertig.«
Während er ein paar Einträge im Computer vornahm, beobachtete ich ihn still. Mein Herz schlug schneller. Nach all den Jahren liebte ich diesen Mann noch genauso wie am ersten Tag.
Paul schloss schließlich seinen Computer und zog sich seine Jacke an. »Warst du schon in der Konditorei und hast den Kuchen für Gusti bestellt?« fragte ich.
Unsere älteste Tochter, Auguste – oder einfach »Gusti« – würde am kommenden Samstag ihren 10. Geburtstag feiern.
Paul kam auf mich zu, sah mir tief in die Augen, küsste mich sanft auf den Mund und sagte: »Ja, das habe ich heute Vormittag erledigt.«
Gemeinsam verließen wir sein Büro. Auf dem Weg nach draußen verabschiedete sich Paul noch von Erna, die seit etwa drei Jahren an der Rezeption arbeitete. »Schönen Feierabend!« wünschte sie uns freundlich, während wir Hand in Hand die Einrichtung verließen.
Draußen zündete sich Paul eine Zigarette an. »Findest du nicht auch, dass Gusti in letzter Zeit ein bisschen komisch ist?« fragte er plötzlich.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ach, Paul. Das Kind wird am Samstag 10 Jahre alt. Da darf man doch ein bisschen komisch sein, oder?«
Paul wirkte nachdenklich. »Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Aber sie spricht manchmal von Dennis. Du weißt schon, deinem Geisterkind.«
Ich runzelte die Stirn. »Vielleicht habe ich mal etwas von ihm erzählt?«
Paul ließ das Thema fallen, und wir stiegen ins Auto. Auf dem Heimweg genoss ich die vertraute Ruhe zwischen uns.
Unser neues Zuhause – ein weitläufiges Anwesen in Büdingen – war beeindruckend. Paul fuhr mich direkt zur Haustür, während er den Wagen in die große Garage brachte. Diese Garage war wie ein kleines Museum: Paul, ganz der Autoliebhaber, hatte dort eine Sammlung teurer Fahrzeuge untergebracht, genau wie sein Vater.
Ich ging in die Küche, wo unsere Haushälterin Hanna beschäftigt war.
»Hallo, Mrs. Jeschke,« begrüßte sie mich freundlich. Ich lächelte zurück.
»Ich habe schon das Mittagessen vorbereitet. In zehn Minuten können Sie mit Ihrem Mann und Ihren Kindern essen kommen.«
»Sind die Kinder oben?« fragte ich und sah Hanna fragend an. Sie nickte. Nachdem ich sichergestellt hatte, dass sie keine Hilfe mehr benötigte, machte ich mich auf den Weg nach oben.
Schon auf der Treppe hörte ich das laute Lachen meiner beiden Mäuse. Ich öffnete die Tür und sah, wie sie mit ihren Puppen spielten. Emily bemerkte mich als Erste.
»Mama!« rief sie begeistert, sprang auf und lief mir entgegen. Sie schlang die Arme um mich, und ich drückte sie liebevoll an mich. Kurz darauf entdeckte mich auch Auguste. Sie stand ebenfalls auf und kam zu mir gelaufen.
»Wie war euer Vormittag? Gab es etwas Besonderes in der Schule oder im Kindergarten?« fragte ich die beiden.
Beide schüttelten synchron den Kopf.
»Na dann, kommt! Lasst uns runtergehen. Papa ist auch da, und Hanna hat leckeres Essen gekocht.«
Während wir die Treppe hinuntergingen, kam Auguste dicht an mich heran. Sie zupfte leicht an meinem Ärmel und flüsterte leise:
»Darf Dennis auch zu meinem Geburtstag kommen?«
Verwundert blieb ich kurz stehen und sah sie an. »Dennis? Woher kennst du ihn denn?« fragte ich irritiert.
Auguste beugte sich dicht zu meinem Ohr. »Mama, du weißt doch, dass er ein Geisterkind ist,« flüsterte sie geheimnisvoll.
Ihre dunkelbraunen Augen blickten mich direkt an. Für einen Moment war ich sprachlos.
»Darüber sprechen wir später,« antwortete ich schließlich und überlegte, wie sie von Dennis wissen konnte.
Ich sprach eigentlich nie mit den Kindern über das, was ich damals erlebt hatte, oder über die Bedeutung der Kette, die ich immer trug. Hatte ich einmal etwas vor ihr erwähnt, als Paul und ich darüber gesprochen hatten? Vielleicht war Auguste damals im Raum gewesen und hatte mitgehört.
Wir gingen in die Küche, wo der Tisch bereits liebevoll gedeckt war. Paul wartete schon dort, und die beiden Mädchen begrüßten ihn voller Freude. Sie erzählten ihm, was sie an diesem Tag erlebt hatten, während wir uns setzten und zu Mittag aßen.
Nach dem Essen beschlossen wir, spazieren zu gehen. Emily saß auf Pauls Schultern und lachte vergnügt, während ich neben Auguste lief und ihre kleine Hand hielt.
»Mama?« Auguste blieb abrupt stehen und sah mich ernst an.
»Ja?« fragte ich und blickte sie aufmerksam an.
»Mama, darf Dennis zu meinem Geburtstag kommen?« Wieder schaute sie mich mit ihren großen braunen Augen an, die Pauls so ähnlich waren.
Ich war sprachlos. »Woher kennst du Dennis denn?« fragte ich schließlich.
»Ich träume jede Nacht von ihm. Er hat mir gesagt, dass ich mehr über ihn erfahren werde, wenn ich zehn bin.«
Ihr Geständnis ließ mich erschaudern. Besuchte Dennis sie tatsächlich in ihren Träumen? Was erzählte er ihr? Ich hatte doch immer gehofft, dass meine Kinder eine unbeschwerte Kindheit haben würden – fern von den Geheimnissen, die ich seit Jahren mit mir trug.
Wusste Auguste etwa, dass die Kette, die ich trug, kein Geschenk von ihrem Vater war, sondern dass ich ohne sie nicht leben konnte? Ahnte sie, dass es das Portal im Altenheim wirklich gab?
»Und, Mama? Darf er?« fragte sie erneut, diesmal mit Ungeduld in ihrer Stimme.
»Ich muss das erst mit deinem Papa besprechen,« antwortete ich vorsichtig.
Auguste verdrehte die Augen – eine Angewohnheit, die sie ganz eindeutig von Paul geerbt hatte.
Am Abend aßen wir alle zusammen zu Abend, danach spielten wir noch ein paar Familienspiele. Wir lachten viel und genossen die gemeinsame Zeit. Gegen neun Uhr sagte Paul schließlich:
»Okay, ihr Mäuse. Jetzt geht ihr duschen, und danach kommen Mama und ich nochmal hoch.«
»Ein Spiel noch, bitte!« rief Emily und schaute uns flehend an.
»Wenn ihr fertig seid mit dem Duschen, können wir noch ein Spiel spielen,« antwortete ich.
Das genügte ihnen, und die beiden rannten lachend in ihre Badezimmer. Ich sah ihnen nach, dann spürte ich Pauls Hand, die sanft über meinen Rücken strich.
»Was ist los mit dir?« fragte er leise.
Ich seufzte. »Ich hoffe, Dennis besucht mich in den nächsten Nächten mal wieder. Ich muss ihn wegen Auguste fragen.«
Paul beugte sich zu mir, gab mir einen Kuss auf die Stirn und sagte beruhigend: »Das wird er. Ganz bestimmt.«
Sein Vertrauen gab mir ein wenig Trost, und ich lächelte ihn dankbar an. Kurz darauf kam Auguste als Erste frisch geduscht und im Schlafanzug wieder zu uns. Sie deutete auf ein Brettspiel.
»Das will ich spielen,« verkündete sie. Paul nickte und begann, das Spiel aufzubauen. Währenddessen kam auch Emily ins Wohnzimmer, setzte sich auf ihren Stuhl und wartete geduldig.
Doch ich konnte mich nicht konzentrieren – meine Gedanken kreisten ständig um Dennis und Auguste. Was hatte er ihr erzählt? Wie viel wusste sie wirklich?
»Mama, du bist dran!« rief Emily und riss mich aus meinen Gedanken. Ich versuchte, mich auf das Spiel zu fokussieren, doch Paul gewann schließlich.
Nach dem Spiel gab mir Auguste einen Gute-Nacht-Kuss. Bevor sie wegging, flüsterte sie: »Morgen sagst du mir aber, ob Dennis kommen darf, okay?«
Ich sah ihr nachdenklich in die Augen und nickte schließlich. Zufrieden lief sie mit Emily die Treppe hoch. Paul folgte ihnen – die Geräusche ihrer Schritte auf der Treppe klangen wie eine ganze Kuhherde, die ins Obergeschoss galoppierte.
Ich musste lachen bei diesem Gedanken. Dann fasste ich unwillkürlich an die Kette um meinen Hals – die Kette, die mich davor bewahrte zu altern. Noch immer sah ich aus wie mit 19 Jahren.
Bislang war das kein Problem gewesen, aber ich fragte mich, wie es in weiteren zehn Jahren aussehen würde. Was würden die Leute denken? Und was, wenn Paul noch älter wurde? Würde ich ihn genauso lieben wie heute?
Ich verlor mich in meinen Gedanken, als Paul plötzlich ins Wohnzimmer kam, sichtlich erschöpft. Er ließ sich schwer neben mir auf die Couch fallen.
»Tomorrow it’s your turn,« murmelte er grinsend.
Ich lachte. »Du kannst das aber so gut.«
»Forget it! Tomorrow it’s your turn!« erwiderte er und zog mich näher zu sich.
Ich betrachtete ihn, und mein Herz wurde warm. Ich liebte diesen Mann – selbst jetzt, wo er zehn Jahre älter geworden war. Aber was wäre in zehn weiteren Jahren? Würde meine Liebe so stark bleiben wie heute?
»Ich gehe jetzt auch schlafen,« sagte ich zu Paul und beugte mich vor, um ihm einen Kuss zu geben.
»Ich komme auch gleich nach,« antwortete er. »Ich will nur noch kurz die Bewerbungen für den neuen Fahrdienst durchsehen.«
Ich nickte verständnisvoll und verließ das Wohnzimmer. Auf dem Weg nach oben warf ich einen kurzen Blick in Augustes Zimmer. Sie schlief bereits tief und fest, mit einem zufriedenen Lächeln auf ihrem Gesicht. Der Anblick ließ mein Herz warm werden.
Auch an Emilys Zimmer hielt ich kurz inne. Die Tür stand einen Spalt offen, und ich sah, wie sie auf ihrem Bett saß und mit ihrer Lieblingspuppe Anna spielte. Sie summte dabei eine kleine Melodie, die sie wohl aus dem Kindergarten mitgebracht hatte.
Ich lächelte bei dem Anblick, sagte aber nichts, um sie nicht zu stören. Stattdessen ging ich ins Badezimmer und machte mich für die Nacht fertig.
Es dauerte nicht lange, und ich schlief ein. Doch plötzlich fuhr ich erschrocken aus dem Schlaf hoch. Mein Herz pochte wild, als ich mich umblickte. An der Tür bemerkte ich, wie ein weißer Nebel langsam unter dem Türspalt hindurchdrang.
»Dennis, bist du das?«, fragte ich leise, doch keine Antwort kam. Die Tür öffnete sich langsam mit einem leisen Knarren, und eine kleine Gestalt schlich herein. Mein Atem stockte. War es Dennis? Oder war es ein anderes Geisterkind?
Ich wollte mich bewegen, aber ich war wie gelähmt. Plötzlich donnerte ein lauter Knall durch das Zimmer. Mein Körper zuckte zusammen, und ich war hellwach. Mein Blick huschte zur Tür.
Dort stand Paul, ein verschmitztes Grinsen auf den Lippen. »Oh, sorry! Hab ich dich geweckt?« Seine Stimme klang unbeschwert. Ich ließ die Schultern sinken, enttäuscht und frustriert. Ohne ein Wort zu sagen, schüttelte ich den Kopf und drehte mich zur Seite.
Während ich die Augen schloss, flüsterte ich in Gedanken: »Bitte, Dennis, komm vorbei.«
Während ich noch tief schlief, stand Paul früh auf, weckte die Mädchen und brachte sie in die Schule und den Kindergarten. Als ich schließlich aufwachte, war es still im Haus. Enttäuscht, dass Dennis nicht erschienen war, zog ich meine Hausschuhe an und ging ins Badezimmer.
Unter der heißen Dusche ließ ich den Wasserdampf meine Gedanken klären. Doch als ich mich abtrocknete, fiel mein Blick auf den beschlagenen Spiegel. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich sah, wie langsam Buchstabe für Buchstabe darauf erschien:
»Ich komme dich bald besuchen und werde dir alles erklären. Dennis.«
Mein Atem stockte. War Dennis jetzt hier? »Dennis? Bist du da?« fragte ich leise und sah mich hektisch im Raum um. Doch niemand antwortete, und ich war allein.
Nachdem ich mich angezogen hatte, ging ich in die Küche, wo Hanna gerade ihren Kaffee trank. »Möchten Sie einen Tee?« fragte sie.
Ich nickte und setzte mich. »Haben Sie nicht gut geschlafen?« fragte sie besorgt.
»Nein, nicht wirklich.« Ich nahm dankbar den Tee entgegen, fügte Milch und Zucker hinzu und begann langsam zu trinken. »Ich hätte eigentlich noch länger schlafen können, aber ich habe Frau Friedel versprochen, sie heute beim Einkaufen zu begleiten.«
»Das erklärt, warum Sie so müde aussehen,« meinte Hanna mit einem aufmunternden Lächeln, während sie anfing, den Tisch abzuräumen.
Kurz darauf machte ich mich auf den Weg zu Frau Friedel. Sie begrüßte mich freundlich an der Tür, ihre Einkaufstasche in der Hand.
»Wie geht es den Kleinen?« fragte sie.
»Gut, danke,« antwortete ich, während ich ihr die Tür zum Auto aufhielt.
»Und dir? Du siehst blass aus,« fügte sie hinzu, als wir einstiegen.
»Ach, ich habe einfach schlecht geschlafen,« sagte ich ausweichend, und wir fuhren los.
Zuerst brachte ich sie zum Lebensmittelladen, wo sie ihren Wocheneinkauf machte. »Ich warte hier im Auto,« sagte ich und lehnte mich im Sitz zurück. Ehe ich mich versah, war ich eingeschlafen.
Als ich aufwachte, war der Parkplatz wie ausgestorben. Nur eine einzelne Gestalt stand in der Ferne am Eingang des Ladens. Ich stieg aus und ging langsam darauf zu.
»Michaela,« hörte ich plötzlich eine vertraute Stimme rufen. Es war Dennis. Bevor ich reagieren konnte, hatte der kleine Junge mich umarmt. Seine Berührung war eisig kalt, und sein Gesicht wirkte blass wie der Mond.
»Wie geht es dir?« fragte ich vorsichtig, während ich ihn ansah.
»Toten geht es immer gut,« antwortete er mit einem Lächeln, das schnell einem ernsten Blick wich.
»Du wolltest, dass ich komme, um dir wegen Auguste zu erzählen.«
Ich nickte. »Stimmt es, dass du sie in der Nacht besuchst?«
Dennis zögerte kurz. »Gusti … Gusti stand plötzlich vor mir. Ich weiß nicht, warum. Ich habe sie nicht gerufen, und ich habe ihr diesen Traum auch nicht geschickt. Könnte es sein, dass du ihr von mir erzählt hast?«
Ich überlegte, konnte mich aber nicht erinnern, ihr jemals von Dennis erzählt zu haben.
»Die Geisterkinder und ich haben darüber gesprochen, wie wir dir helfen können, diese Kette loszuwerden, ohne dass du alterst. Doch kurz nach diesem Treffen erschien Auguste bei mir.«
»Glaubst du, sie hat etwas damit zu tun?« fragte ich mit gemischten Gefühlen.
»Das könnte sein,« sagte Dennis nachdenklich.
Ich atmete tief ein. »Was soll ich tun?«
»Sag ihr, dass ich zu ihrem Geburtstag komme,« antwortete er schließlich. »Wir werden sehen, was dann passiert.«
Ich nickte langsam, während Dennis verschwand und der Parkplatz sich wieder mit Autos und Menschen füllte.
Zurück zuhause sah ich im Spiegel mein Gesicht an. Sollte ich wirklich versuchen, ohne die Kette zu leben? Als ich sie abnahm, spürte ich, wie meine Energie schwand. Mein Haar wurde grau und fiel aus, meine Haut schrumpfte. Doch bevor ich weiter nachdenken konnte, hörte ich einen erschrockenen Schrei.
Emily stand in der Tür, ihre Augen weit vor Angst.
Ich zog die Kette hastig wieder um, spürte, wie meine Jugend zurückkehrte, und lief zu Emily, die weinend in ihr Zimmer geflüchtet war.
»Emily,« sagte ich sanft, als ich sie fand, in eine Decke gehüllt auf ihrem Bett.
»Mama, da war eine alte Frau im Schlafzimmer,« schluchzte sie.
Ich umarmte sie fest. »Die Frau ist weg, mein Schatz,« sagte ich, ohne zu wissen, wie ich ihr die Wahrheit erklären sollte.
Später am Tag, bei einem Spaziergang mit Auguste, blickte sie mich plötzlich ernst an.
»Mama, stimmt das mit der Kette?« fragte sie direkt.
Ich setzte mich mit ihr auf eine Bank und erzählte ihr die ganze Geschichte. Ihr erwachsener Blick und ihr Verständnis überwältigten mich. »Wir sind eine Familie, Mama. Ich helfe dir,« sagte sie schließlich und hielt meine Hand.
Zurück zuhause, umarmte Auguste Paul und verkündete: »Mama hat mir alles erzählt!«
Verwundert sah Paul mich an.
»Das Leben schreibt manchmal seine eigenen Geschichten,« antwortete ich nur, während wir zusammen ins Haus liefen.
Die Nacht hüllte das Haus in tiefe Stille. Nachdem beide Mädchen im Bett lagen und Paul sich auch ins Wohnzimmer zurückgezogen hatte, saß ich noch eine Weile auf der Bettkante. Gedanken kreisten in meinem Kopf, doch ich ließ mir nichts anmerken. Paul kam, legte sich ins Bett und warf mir einen fragenden Blick zu.
»Hast du heute Nacht noch etwas vor?« fragte er mit leiser Stimme.
Ich nickte langsam und lächelte sanft. »Ich gehe Anna besuchen.«
Paul runzelte kurz die Stirn, bevor sein Blick weich wurde. »Bleib aber nicht zu lange,« sagte er, bevor er mich zu sich zog, mir einen zärtlichen Kuss gab und mir beruhigend über die Stirn strich.
»Ich werde vorsichtig sein,« versicherte ich ihm leise.
Er drehte sich zur Seite, zog die Decke höher und war bald in einen tiefen Schlaf gesunken.
Leise griff ich nach meinem Handy und stellte den Wecker auf halb zwei. Der Gedanke an mein Vorhaben erfüllte mich gleichermaßen mit Aufregung und Nervosität. Ich wusste, dass das, was ich Anna erzählen wollte, nicht leicht sein würde, aber ich musste jemanden haben, der mir zuhört und hilft, alles zu sortieren.
Ich legte mich schließlich ins Bett, blieb jedoch in meiner Tageskleidung. Die Wärme des Kopfkissens und die vertrauten Geräusche von Pauls ruhigem Atem ließen mich schließlich in einen leichten Schlaf gleiten.
Um halb zwei wurde ich vom Wecker aus dem Schlaf gerissen. Erschrocken saß ich kerzengerade im Bett. Sofort stellte ich den Wecker aus, damit Paul weiter schlafen konnte.
Leise schlich ich ins Badezimmer, wo ich zunächst auf die Toilette ging. Danach wusch ich mir schnell das Gesicht und machte mich dann leise auf den Weg nach draußen zu meinem Auto. In der Garage bemerkte ich, dass Paul mein Auto zugeparkt hatte. Also entschloss ich mich, sein Auto zu nehmen. Ich ging erneut ins Haus und holte den Schlüssel für das andere Auto. Dann stieg ich ein und fuhr los. Ich freute mich, endlich die vielen Geisterkinder wiederzutreffen. Außerdem freute ich mich auf Frau Griffel. Sie war mittlerweile bettlägerig und wohnte in dem Zimmer, in dem früher Frau Wilmer gewohnt hatte. In diesem Zimmer entstand jede Nacht das Portal, aus dem die Kinder herauskamen.
Als ich ankam, schrieb ich Anna, dass ich da wäre. Ich lief zur Haustür und wartete. Es dauerte nicht lange, und Anna kam vorbei. »Hey, schön, dass du da bist«, teilte sie mir mit und nahm mich in den Arm. Ich mochte Anna sehr gerne. Wir waren sehr gute Freunde geworden, nachdem ich herausgefunden hatte, dass sie ebenfalls von dem Portal wusste. Gemeinsam gingen wir die Treppe nach oben. Oben angekommen fragte mich Anna: »Willst du einen Tee?« Ich nickte und ging mit ihr ins Dienstzimmer. Nachdem sie mir den Tee gegeben hatte, unterhielten wir uns darüber, warum ich heute zum Portal wollte.
Dann war es soweit. Anna erzählte mir gerade, dass sie ihr erstes Enkelkind bekommen hatte, als ich eine Glocke laut schlagen hörte. Sofort fühlte ich mich in die Zeit zurückversetzt, als ich diesen Glockenschlag jedes Mal hörte, wenn ich Nachtdienst hatte. Als der zweite Glockenschlag ertönte, fragte Anna: »Wollen wir uns auf den Weg zu Frau Griffel machen?« Ich nickte. Sofort liefen wir Richtung Altbau, in dem sich das Zimmer von Frau Griffel befand. Ich sah an die Wand. Dort waren die vielen Kinderhände zu sehen, die immer entstanden, wenn sich das Portal öffnete. Von vielen Händen wusste ich, wem sie gehörten, da ich viele von ihnen begleitet hatte.
Anna klopfte an die Tür von Frau Griffel. Als wir hineingingen, sah ich, wie sich auf dem Boden das Portal öffnete. Im Zimmer war es sehr kalt, und ich war froh, dass ich meine Jacke mitgenommen hatte. Ich ging zuerst zu Frau Griffel und begrüßte sie. Frau Griffel lächelte mich an. Ich hatte sie immer wieder besucht, und zwischendurch holten wir sie auch zu uns zum Essen. Mittlerweile war sie nach einem schweren Schlaganfall so geschwächt, dass sie nur noch für wenige Stunden aufstehen konnte. Durch den Schlaganfall hatte sie auch eine starke Aphasie, was bedeutete, dass sie sich verbal nicht mehr gut äußern konnte. Ich nahm ihre Hand und strich ihr über den Arm.
»Soll ich schon mal die Schokolade für die Kleinen rausholen?«, fragte ich. Frau Griffel nickte. Jede Nacht hatte sie für die Geisterkinder eine Schokolade verteilt. Während ich aus der Kommode eine Schokolade holte, hörte ich plötzlich jemanden rufen: »Michaela.« Ich sah mich um. Es waren Dennis und noch ein paar andere Geisterkinder, die ich in den letzten Jahren, in denen ich noch dort gearbeitet hatte, kennengelernt hatte. Auch einige Geisterkinder waren da, die ich noch nicht kannte. Nachdem wir uns alle sehr herzlich begrüßt hatten, ging Anna mit einem Teil von ihnen nach draußen, um mit ihnen Fußball zu spielen. Dennis blieb mit mir drinnen, und wir setzten uns auf die Couch, die hinter einem großen Tisch stand. Ich sah ihn an. »Was habt ihr wegen dem Stein besprochen?«
»Wir haben überlegt, ob es eine Möglichkeit gibt …«
»Aber warum hat Gusti dann von euch geträumt?«
»Vielleicht liegt es daran, dass sie dein Kind ist?«
»Aber … was soll das heißen?«
»Das soll heißen, dass sie dein Blut trägt. War Gusti jemals krank?« Ich überlegte. Nein, Gusti hatte keine Kinderkrankheiten gehabt, auch wenn alle im Kindergarten etwas hatten. Lag es daran, dass sie mein Blut hatte, was ich hatte, wenn ich die Kette trug? Ich überlegte. Vielleicht sollte ich mal mit ihr zum Kinderarzt gehen, um ihr Blut kontrollieren zu lassen. »Ich habe ein Geschenk für Gusti.« Dennis riss mich aus meinen Gedanken. Er zeigte mir eine Kette, in der ein kleiner Stein war. Sie sah genauso aus wie mein Stein. »Was hat das zu bedeuten?« Fragend sah ich Dennis an. »Du wirst es noch erfahren. Ich werde ihr das Geschenk in der Nacht geben, in der sie 10 Jahre alt wird.« Ich nickte Dennis zu und sah dann zu Frau Griffel. Sie hatte alles mitbekommen und nickte mir zustimmend zu. Dann ging die Tür auf. Anna kam ganz außer Atem hinein. »Die sind einfach zu gut. Zehn Tore haben die mir ins Tor geschossen.« Ich musste lachen. Ein kleiner Geisterjunge, der neben Anna stand, sagte: »Du bist der beste Torwart.« Anna grinste. Dann hörten wir die Glocke und ich sah, wie sich das Portal wieder verkleinerte und die kleinen Geisterjungen auf einmal als Blitze verschwanden. Ich fasste mir an den Stein, denn ich hoffte, dass dieser mir auch etwas zu der ganzen Sache sagen könnte, aber es geschah nichts.
Nachdem es im Zimmer von Frau Griffel wieder etwas wärmer geworden war, verabschiedete ich mich von ihr. Sie schloss ihre Augen, und es dauerte nicht lange, bis sie eingeschlafen war. Ich trank noch schnell meinen Tee zusammen mit Anna aus, dann begann Anna mit ihrem Kontrollgang, und ich verabschiedete mich und fuhr mit dem Aufzug nach unten.
Unten angekommen ging ich zur Haustür, die mittlerweile schon geöffnet war. Ich sah, wie ein paar Lieferanten Richtung Küche gingen. Ich ging zu meinem Auto und fuhr nach Hause.
Bevor mich jemand sehen konnte, schlich ich ins Schlafzimmer, zog mich um und legte mich neben Paul, um noch ein bisschen zu schlafen.
Während ich noch tief und fest schlief, stand Paul auf, versorgte die Mädchen, brachte Emily in den Kindergarten und Auguste anschließend zur Schule. Die Schule war etwas weiter weg und eine Privatschule.
Nachdem Emily sich verabschiedet hatte, fuhr Paul mit Auguste weiter. »Papa?«
»Yes, my dear?«
»If you could help Mom so that she no longer needs the stone, would you do it?« Paul sah Auguste tief in die Augen. »Ja, ich würde alles dafür tun, damit Mama nicht mehr diesen Stein braucht.« Zufrieden verabschiedete sich Auguste von Paul und stieg aus dem Auto.
Paul fuhr zum Altenheim. Dort ging er zunächst in sein Büro. Dann rief er bei Erna an und erkundigte sich, ob es etwas Neues gab. Erna teilte ihm mit, dass es keine Neuigkeiten gab.
Kurz darauf machte er seinen täglichen Rundgang durch das ganze Haus. Genauso wie sein Vorgänger erkundigte er sich, ob es auf den Wohnbereichen etwas Besonderes gab.
Als er den Wohnbereich 5 erreichte, teilte ihm Josi, die Fachkraft, mit, dass alles in Ordnung sei, aber Frau Griffel gefragt hätte, ob er mal zu ihr kommen könne. Paul nickte und ging in den Altbau.
Dort sah er sich die Wand an. Immer noch konnte er es nicht fassen, dass dort nachts diese Handabdrücke waren, die Kinder hinterlassen hatten, die damals auf der onkologischen Station lagen. Jetzt war alles weiß, und man konnte nichts mehr sehen.
Kurz darauf klopfte er an die Tür von Frau Griffel. Als Frau Griffel sah, dass es Paul war, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie deutete ihm, sich zu setzen. Dann nahm sie seine Hand. »Paulchen…« Erschrocken sah er sich um, doch niemand war ins Zimmer gekommen. Paul sah zu Frau Griffel. Sie lächelte ihn an. »Paulchen, ich bin es, Frau Griffel.« Verwundert sah Paul sie an. »Paulchen, es gibt Dinge, die werden wir nie verstehen, so auch, dass ich mit dir in Gedanken sprechen kann.«
»Aber wie? Wie funktioniert das?«
»Laura, ein kleines Geistermädchen, war bei mir und hat mir von einem weißen Pulver erzählt, das viele Dinge bewirken kann. Unter anderem auch das hier.«
»Und sie nehmen das Pulver?«
»Laura hat mir das Pulver gestern gegeben. Und ich wollte es bei einem Menschen ausprobieren, der mir sehr ans Herz gewachsen ist. Ich wollte dir sagen, dass ich sehr froh bin, dich zu haben.«
Paul wurde es warm ums Herz. Auch er mochte Frau Griffel sehr. Dass er nun noch einmal mit ihr sprechen konnte, war etwas Wunderbares für ihn.
»Paul…« Plötzlich wurde die Stimme von Frau Griffel etwas ernster. »Paul, das Pulver kann sehr viel. Vielleicht kann es auch dafür sorgen, dass Michaela nicht mehr diesen Stein benötigt.«
»Meinst du wirklich?«
»Vielleicht. Ich werde heute Nacht noch einmal mit Laura sprechen und sie fragen, ob das möglich ist.« Paul sah Frau Griffel dankbar an.
Anschließend blieb Paul noch etwas bei Frau Griffel sitzen, bis Josi die Tür herein kam und Frau Griffel das Mittagessen brachte. Frau Griffel verabschiedete sich von Paul und ließ seine Hand los. Paul verließ den Wohnbereich und ging in sein Büro. Nachdem er seinen Computer hochgefahren hatte, fing er an zu arbeiten.
Mittlerweile war es schon kurz nach 14 Uhr und ich hatte ausgeschlafen. Hanna hatte Emily und Auguste abgeholt und war mit ihnen ausgegangen, damit ich etwas Zeit hatte, alles für den morgigen Geburtstag von Auguste vorzubereiten. Ich packte die Geschenke ein und schmückte schon einmal den kleinen Saal, in dem Auguste am nächsten Tag ihren Geburtstag feiern wollte.
Dabei überlegte ich: Wenn ich ihr sagen würde, dass Dennis kommen darf, er dann aber nicht kommt, weil er ja ein Geist ist, würde sie dann nicht sehr enttäuscht sein? Ich war gerade dabei, das letzte Geschenk einzupacken, als ich ein Auto auf den Hof fahren hörte. Schnell legte ich alles zur Seite und sah nach draußen. Ich sah, wie mein Vater aus dem Auto stieg. Schnell ging ich auf ihn zu und umarmte ihn. »Wie geht es dir, Micha?«
»Och, soweit gut.« Wir gingen gemeinsam ins Haus und ich gab ihm einen Kaffee. Mein Vater bedankte sich und trank einen Schluck. »Der ist echt gut.« Anschließend half mir mein Vater weiter beim Schmücken. Dabei unterhielten wir uns viel und zwischendurch mussten wir immer wieder laut lachen.
Nachdem wir die letzten Sachen hingestellt hatten, schloss ich die Tür ab und ging mit meinem Vater nach oben in die Küche. Es dauerte nicht lange, da kam Hanna mit Emily und Auguste die Tür herein. Als sie ihren Opa sahen, fielen sie ihm direkt in die Arme.
Während wir mit meinem Vater ein Spiel spielten, saß Paul vor seinem Computer und dachte nach. Was war das wohl für ein Pulver, das solche Wirkungen hatte? Paul suchte im Internet nach Informationen über weißes Pulver und dessen Wirkungen. Immer noch konnte er die Sache mit Frau Griffel nicht glauben. Nachdem er im Internet nichts darüber gefunden hatte, ging er noch einmal nach oben zu Frau Griffel. Er klopfte an und betrat anschließend das Zimmer. Frau Griffel schien zu schlafen. Paul überlegte. Würde es auch gehen, wenn sie schlief? Langsam fasste er Frau Griffel am Arm. Er sah sie an, doch sie zeigte keine Regung.
Paul wollte schon seine Hand wegziehen, als er Frau Griffel sprechen hörte. »Paulchen, was hast du? Warum weckst du eine so alte Frau wie mich?«
»Ich … ich … ich kann es einfach nicht fassen, dass es wirklich funktioniert.« Frau Griffel öffnete ihre Augen. »Doch, Paulchen, es funktioniert. Und vielleicht finden wir etwas, das auch Michaela hilft.« Paul sah Frau Griffel tief in ihre Augen. »Das wird schon, mein Junge. Und jetzt geh zu deiner Familie. Morgen hat doch Auguste Geburtstag. Nimmst du ihr eine Schokolade mit?«
Paul nickte und nahm sich eine Schokolade aus der Kommode. Dann verabschiedete er sich von Frau Griffel und verließ ihr Zimmer. Paul ging in sein Büro, holte seine Jacke und verabschiedete sich von Erna, bevor er zu seinem Auto ging.
Als wir Paul hörten, wie er in die Garage fuhr, rannten die beiden Mädels nach draußen, um ihn zu begrüßen. Kurz darauf kam Paul mit beiden Mädels die Tür herein. Mein Vater begrüßte Paul, und Hanna fragte, ob wir einen Tee trinken wollten. Wir gingen alle in die Küche, wo Hanna uns einen Tee servierte. Ich merkte, dass Paul etwas abwesend schien. Mein Vater ging nach dem Tee mit den Kindern nach oben, da diese ihm ihre neuen Bilder zeigen wollten, die sie gemalt hatten.
Nachdem Hanna nach draußen gegangen war, war ich mit Paul alleine in der Küche. »Paul, was ist los mit dir?«
»Nichts.«
»Paul, ich merke doch, dass etwas ist.«
»Ich war heute bei Frau Griffel, aber ich weiß nicht, wie ich es dir erzählen soll, denn es klingt einfach unglaublich.«
Ich nahm Paul in die Arme und sah ihm tief in die Augen. »Paul, das, was wir beide zusammen erlebt haben und auch noch erleben werden, ist das nicht auch unglaublich? Und wenn du die Sache mit der Kette nicht wüsstest und ich sie dir erzählen würde, würdest du mir das dann glauben?« Paul schüttelte den Kopf. Er fasste meine Kette an. »Aber ich bin sehr froh, dass du die Kette hast und dass du so bei mir sein kannst.«
Dann fing er an, mir von der Sache mit Frau Griffel zu erzählen. Ja, er hatte recht. Es klang ziemlich merkwürdig, aber war das andere nicht auch alles sehr seltsam? »Frau Griffel will heute Nacht nochmal diese Laura fragen, was sie noch von diesem Pulver weiß.«
»Meinst du, ich könnte auch mal mit Frau Griffel sprechen? Mir fehlen ihre Gespräche sehr.«
»Mir auch. Und es tat heute richtig gut, mal wieder mit ihr zu sprechen.«
Der restliche Tag verging wie im Flug. Am Abend ging ich zusammen mit Paul duschen. Er war so männlich geworden. Und ich? Ich war immer noch 19 Jahre. Ich sah ihn an. »Meinst du, ich könnte mit dem Pulver älter werden?«
»Ich weiß es nicht. Wenn nicht, ich werde dich lieben, egal wie alt ich bin.«
»Ich dich auch, aber irgendwann werden die Nachbarn über uns sprechen.« Paul nahm mich in den Arm und drückte mich fest an sich. Kurz darauf gingen wir ins Bett, und es dauerte nicht lange, bis wir beide einschliefen.
Es war drei Uhr, als im Altenheim die Glocke für das Portal anfing zu schlagen. Anna hatte gerade ihren Rundgang beendet, als der dritte Glockenschlag ertönte. Sofort lief sie Richtung Altbau, um zu Frau Griffel ins Zimmer zu gehen. Sie klopfte an die Tür und trat ein. Das Portal war geöffnet, und Anna sah bei Frau Griffel ein kleines Mädchen, das etwa sieben Jahre alt war und an ihrem Bett saß. Sie hielt ihre Hand und sah Frau Griffel an, die zwischendurch immer wieder lächelte.
»Spielen wir jetzt Fußball?«
Erschrocken drehte sich Anna um. Hinter ihr standen Sebastian, Felix und Alina. Alle drei waren ebenfalls Geisterkinder, die damals nach dem Brand auf der Onkologischen Station gestorben waren.
Anna nickte und ging mit den Kindern nach draußen, um dort Fußball zu spielen. Zwischendurch musste sie Frau Pfeiffer zur Toilette bringen. Anschließend kam sie wieder zurück und stellte sich wieder ins Tor. Kurz bevor das Portal sich wieder schloss, teilte Anna mit, dass sie eine kleine Pause bräuchte. Sie ging ins Zimmer und ließ sich auf die Couch fallen. Laura saß immer noch bei Frau Griffel. Als Anna den ersten Glockenschlag hörte, kam Laura zu ihr und überreichte ihr einen alten Mantel.
»Kannst du den Paul geben? Frau Griffel wird ihm alles erklären.«
Anna sah Laura verwundert an, nickte und nahm den Mantel in die Hand. Nachdem das Portal wieder zugegangen war, legte sie Frau Griffel noch auf die andere Seite und zeigte ihr den Mantel. »Wissen Sie, was damit ist?« Frau Griffel nickte mit dem Kopf und schloss ihre Augen.