Das Rätsel der Schamanin - Harald Meller - E-Book
SONDERANGEBOT

Das Rätsel der Schamanin E-Book

Harald Meller

0,0
21,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 21,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein 9000 Jahre altes Grab: eine Frau, ein Kind, die Todesumstände unbekannt. Von den Nazis entdeckt und für ihre Zwecke missbraucht, versank es in Vergessenheit. Ein Jahrhundert später macht sich ein Forscherteam daran, einen einzigartigen archäologischen Cold Case neu aufzurollen: den Fall der Schamanin von Bad Dürrenberg. Geleitet werden die Ermittlungen von einem der profiliertesten Archäologen Europas: Harald Meller, der die Himmelsscheibe von Nebra für die Öffentlichkeit rettete. Der Bestsellerautor Kai Michel ist hautnah dabei − und die Ergebnisse sind sensationell. Die Schamanin erweist sich als Schlüssel zu einer Zeit, in der sich das Schicksal der Menschheit entschied. Die Ermittlungen dringen vor zu den Wurzeln von Religion und Spiritualität und konfrontieren uns mit Fragen nach uns selbst und unserem Verhältnis zur Welt. Noch nie war Archäologie so aktuell und spannend wie im Fall dieser mächtigen und außergewöhnlichen Frau.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 477

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Harald Meller • Kai Michel

Das Rätsel der Schamanin

Eine archäologische Reise zu unseren Anfängen

 

 

 

Über dieses Buch

Ein 9000 Jahre altes Grab: eine Frau, ein Kind, die Todesumstände unbekannt. Von den Nazis entdeckt und für ihre Zwecke missbraucht, versank es in Vergessenheit. Ein Jahrhundert später macht sich ein Forscherteam daran, einen einzigartigen archäologischen Cold Case neu aufzurollen: den Fall der Schamanin von Bad Dürrenberg.

Geleitet werden die Ermittlungen von einem der profiliertesten Archäologen Europas: Harald Meller, der die Himmelsscheibe von Nebra für die Öffentlichkeit rettete. Der Bestsellerautor Kai Michel ist hautnah dabei − und die Ergebnisse sind sensationell.

Die Schamanin erweist sich als Schlüssel zu einer Zeit, in der sich das Schicksal der Menschheit entschied. Die Ermittlungen dringen vor zu den Wurzeln von Religion und Spiritualität und konfrontieren uns mit Fragen nach uns selbst und unserem Verhältnis zur Welt. Noch nie war Archäologie so aktuell und spannend wie im Fall dieser mächtigen und außergewöhnlichen Frau.

Vita

Harald Meller, geboren 1960 in Olching, ist Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, Museumsdirektor und Professor für Archäologie in Halle an der Saale. Unter erheblichem persönlichen Risiko war er an der Sicherstellung der Himmelsscheibe von Nebra aus Raubgräberkreisen beteiligt. Er gehört international zu den prominentesten Archäologen und Ausstellungsmachern und hat zahllose Radio- und TV-Auftritte von Terra X über Discovery Channel bis hin zu 1, 2 oder 3 absolviert.

 

Kai Michel, geboren 1967 in Hamburg, ist Historiker und Literaturwissenschaftler. Mit dem Anthropologen Carel van Schaik las er die Bibel als «Tagebuch der Menschheit» und legte mit «Die Wahrheit über Eva» eine preisgekrönte Analyse der Erfindung der sozialen Ungleichheit von Frauen und Männern vor. Der mit Harald Meller geschriebene Bestseller «Die Himmelsscheibe von Nebra» ist das erfolgreichste deutsche Archäologiebuch der letzten Jahre.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, November 2022

Copyright © 2022 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Karte und Zeitstrahl Peter Palm, Berlin (Vorarbeiten von Anna Swieder und Anne Gottstein, LDA Sachsen-Anhalt)

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung Anzinger und Rasp, München

Coverabbildung Schamanin von Bad Dürrenberg, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Karol Schauer, digitale Bearbeitung: Birte Janzen

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-01359-9

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Inhaltsübersicht

Vorsatz

Based on a True Story

1 Erster Verdacht

2 Weiblicher Ötzi?

3 Besuch bei einer alten Dame

4 Willkommen im Wunderland

5 Arierwahn

Im Bann der Geschichte

Verleumdet

Falsche Freunde

Die Pointen

6 Lourdes der Steinzeit?

7 Nachgegraben

8 Die Erfindung der Schamanen

Monster in Sibirien

Vernichtung der Vielfalt

Scharlatane – Verrückte – Ausbeuter

9 Decodiert

10 Ekstase in psychedelischen Zeiten

11 Fahndungsliste

12 Hirsch – Zahn – Kind

13 Fantastische Zeiten

14 Und dann spricht der Pilz

15 Das verschwundene Grab

16 Was wir glauben

17 Das Mysterium

18 Menschen und Nichtmenschen

19 Das Geheimnis der Trance

20 Es ist ein…

21 Höhlen, Gräber und Gebeine

22 Der Aufritt der Schamanen

23 Gerüstet für die Ewigkeit

24 Tote reden doch

25 Von allen guten Geistern verlassen

Der Tod der Schamanin

Dank

Literatur

Based on a True Story

1 Erster Verdacht

2 Weiblicher Ötzi?

3 Besuch bei einer alten Dame

4 Willkommen im Wunderland

5 Arierwahn

6 Lourdes der Steinzeit?

8 Die Erfindung der Schamanen

9 Decodiert

10 Ekstase in psychedelischen Zeiten

11 Fahndungsliste

12 Hirsch – Zahn – Kind

13 Fantastische Zeiten

14 Und dann spricht der Pilz

16 Was wir glauben

17 Das Mysterium

18 Menschen und Nichtmenschen

19 Das Geheimnis der Trance

20 Es ist ein…

21 Höhlen, Gräber und Gebeine

22 Der Aufritt der Schamanen

23 Gerüstet für die Ewigkeit

24 Tote reden doch

25 Von allen guten Geistern verlassen

Bildnachweis

Abbildungen im Text

Abbildungen in den Tafelteilen

Tafelteil 1

Tafelteil 2

Nachsatz

Based on a True Story

Wann macht man schon mal jemanden um 9000 Jahre jünger? Doch wir haben keine Wahl, soll nicht alles am Alter scheitern. Der Computer der Patientenaufnahme im Universitätsklinikum Halle akzeptiert das Geburtsjahr nicht. Wie oft wir es auch versuchen, das System weigert sich; ganz gleich, ob wir nun 7000 oder 6900 vor Christus eingeben. So genau wissen wir es nämlich nicht. Also müssen wir beim Alter schummeln: «Ihr Geburtstag ist der 4. Mai 1934.» Immerhin ist das der Tag, an dem unsere Patientin das Licht der Welt erblickte – wenn auch bereits zum zweiten Mal.

Es funktioniert. Der Computer fragt nach dem Vornamen. «Schamanin», antworten wir wie aus einem Munde. Nachname? «von Bad Dürrenberg». Wohnort? «Landesmuseum für Vorgeschichte, Richard-Wagner-Straße 9, 06114 Halle an der Saale.» Krankenversicherungsnummer? Wir schauen einander ratlos an. Zum Glück rettet uns der Direktor der Klinik für Radiologie, der Medizinprofessor Walter Wohlgemuth: «Im Fall einer so prominenten Frau drücken wir ein Auge zu. Es ist uns eine Ehre, die Schamanin von Bad Dürrenberg zu untersuchen. Auch ohne Krankenversicherungsnummer.»

Die anfänglichen Schwierigkeiten bügelt unsere Patientin mit immenser Geduld aus. Wo andere für verwackelte Bilder sorgen, weil sie nicht so lange still sitzen können, besticht sie mit Todesruhe. Per DVT, also digitaler Volumentomografie, wird heute der Kieferbereich untersucht. Die Radiologie-Assistentinnen geben ihr Bestes, den Schädel richtig zu platzieren und sicherzustellen, dass er nicht herabfällt. Normalerweise tragen die Patienten hier ihren Kopf fest auf dem Hals.

So fasziniert das medizinische Personal vom Erhaltungszustand des über 9000 Jahre alten Gebisses ist – «Solch gute Zähne haben nicht alle unsere Patienten» –, so ergriffen zeigen sich die Assistentinnen, als sie registrieren, dass die oberen Schneidezähne auf der Innenseite bis in die Zahnhöhlen hinein geöffnet sind: «Das muss höllisch wehgetan haben.»

Von den Untersuchungen am Uniklinikum erhoffen wir uns, mehr darüber zu erfahren, ob die Schamanin von Bad Dürrenberg Begabungen der besonderen Art besaß. Wir möchten wissen, ob sie Zugang zu Sphären hatte, die anderen verborgen blieben.

***

Ein über 9000 Jahre alter Fall – das nennt man wohl einen Cold Case. Viel kältere Fälle sind kaum denkbar. Und in wenigen war man so lange auf der falschen Spur. Als die Nazis an jenem besagten 4. Mai 1934 im Kurpark von Bad Dürrenberg auf das Grab stießen, waren sie sicher, einen alten weißen Mann entdeckt zu haben. Mittlerweile wissen wir: Es handelte sich um eine Frau, Anfang, Mitte dreißig. Und die neuen genetischen Untersuchungen verraten: Sie war nicht weiß. Ihre Hautfarbe war so dunkel, dass man sie, lebte sie heute, der Kategorie BIPoC, also Black, Indigenous, People of Colour zurechnen würde. Indigen war sie in jedem Fall: Sie ist einer der ältesten bisher gefundenen Menschen Sachsen-Anhalts. Selten hat man sich in einer Person so sehr getäuscht wie in dieser Frau.

Die Nazis glaubten, mit dem Grab den Beweis gefunden zu haben, dass die Arier nicht aus Indien oder Tibet stammten, sondern aus dem Herzen Deutschlands. Dass die Tote ein Kind, das nicht einmal ein Jahr alt geworden war, auf dem Schoß, vielleicht sogar in den Armen hielt, interessierte sie nicht im Geringsten. Ebenso wenig schenkten sie dem Reichtum der Beigaben Beachtung, dabei könnten diese jedem Harry-Potter-Roman zur Ehre gereichen, so eigentümlich sind sie. Die Nazis waren allein daran interessiert, das Grab zu einem zentralen Baustein ihrer wahnwitzigen Rassenideologie zu machen. Kein Wunder, dass es nach 1945 weitgehend in Vergessenheit geriet.

Erst seit einigen Jahren kursiert der Verdacht, dass diese Frau eine Schamanin gewesen sein könnte – eine mächtige Frau, die im engen Kontakt mit den Schicksalskräften stand. Dank glücklicher Umstände können wir diesem Verdacht heute auf den Grund gehen und uns an die Aufklärung des ebenso spektakulären wie geheimnisvollen Falls machen. Wir wollen herausfinden, wer diese Frau wirklich war und was es mit dem Kind an ihrer Seite auf sich hat.

Dazu hat ein interdisziplinäres Ermittlungsteam die Arbeit aufgenommen: Archäologen, die sich durch Tonnen an Gestein graben; Genetiker, die uraltes Erbgut entschlüsseln; Anthropologen, die Skeletten noch das letzte Geheimnis abringen; Mediziner, die modernste Diagnostik nutzen, und Materialspezialisten, die ihr kriminologisches Geschick beweisen. Der Aufwand lohnt sich: Schließlich geht es nicht nur um einen der bedeutendsten archäologischen Funde Europas. Dieser Cold Case eröffnet auch die Möglichkeit einer Archäologie unserer selbst.

***

Tatsächlich ist es schwer, einen archäologischen Fall zu finden, der uns persönlich mehr anginge. Die Schamanin von Bad Dürrenberg entstammt dem Mesolithikum, der auf das Ende der Eiszeit folgenden Mittelsteinzeit. Das mag spröde klingen, doch stellt diese Phase eine entscheidende Wegscheide der Menschheitsgeschichte dar. Es kündigte sich bereits das Neolithikum an, die Zeit, in der die Menschen begannen, ein neuartiges, nämlich sesshaftes Leben mit Ackerbau und Viehzucht zu führen. Wir können hautnah den Anfang jener komplexen Veränderungen beobachten, denen wir die moderne Welt verdanken – mit all ihren Wunderwerken, aber auch den unzähligen Problemen, die uns heute zusetzen und deren Tragweite wir noch nicht in Gänze erkannt haben.

Vielleicht mag die Gletschermumie des vor 5300 Jahren in den Alpen umgekommenen Ötzi spektakulärer erscheinen. Auch hat er der Wissenschaft ungemein wertvolle Erkenntnisse beschert. Doch stammt Ötzi bereits aus der Zeit, als die Menschen ihre ursprüngliche Lebensweise aufgegeben hatten. Ohne dass das despektierlich klingen soll: Die Welt eines neolithischen Alpenbauern ist für unser heutiges Alltagsleben von eher untergeordneter Bedeutung.

Auch die Schätze des Tutanchamun sind um Lichtjahre grandioser als die Funde aus Bad Dürrenberg. Der goldene Sarkophag ist eines der prachtvollsten Stücke der Archäologie. Trotzdem: So viel Wissen wir aus der Grabkammer im ägyptischen Tal der Könige gewinnen mögen, verrät uns deren Pomp vor allem etwas über das Leben der Herrscherelite im Alten Ägypten vor 3300 Jahren. Mit unseren persönlichen Sorgen hat dieser Pharao, so wunderbar er auch sein mag, nichts zu tun.

Anders verhält es sich mit dem Doppelgrab, das hoch über der Saale im heutigen Kurpark von Bad Dürrenberg unweit der für seine Zaubersprüche bekannten Stadt Merseburg liegt. Als reichste Bestattung ihrer Zeit in Mitteleuropa ist das Grab nicht nur archäologisch außergewöhnlich. Es geht uns alle an. Und zwar aus mindestens fünf Gründen:

Erstens: Es stammt aus jener Epoche, in der sich unser Schicksal entschied. Jene beiden, die dort in rot gefärbter Erde gebettet 9000 Jahre verbrachten, als lägen sie im Mutterbauch der Erde, gehören zu den Letzten, die in der Mitte Europas so lebten, wie es die Menschen die längste Zeit der Evolutionsgeschichte getan haben: jagend und sammelnd, hochmobil, in kleinen egalitären Gruppen. Die aus dieser ursprünglichen Lebensweise resultierenden psychologischen Anpassungen haben sich tief in unser aller Wesen eingeschrieben. Ohne die Kenntnis dieses Daseins können wir uns selbst nicht verstehen.

Zweitens: Der Umstand, dass es der schriftlosen Vorgeschichte an Quellen mangelt, um das Denken der Menschen zu verstehen und ihren Glauben zu rekonstruieren, verleiht dem Doppelgrab enorme Relevanz. Allein das Ensemble der Beigaben, die von der tiefen Verehrung der Verstorbenen zeugen, erweist sich als inspirierendes Rätselbild. Dessen Entschlüsselung gewährt uns Einsichten in die Anfänge von Religion, Spiritualität und die Wurzeln des Menschseins, die sonst kaum oder gar nicht zu gewinnen sind.

Drittens: Der Fall der Schamanin führt uns vor Augen, warum heute so viele Menschen über Resonanz- und Transzendenzverlust klagen und unter der Absurdität des Alltags leiden. Wie schrieb der Philosoph Albert Camus in Der Mythos des Sisyphos? Das Absurde des modernen Lebens entsteht aus «der Gegenüberstellung des Menschen, der fragt, und der Welt, die vernunftwidrig schweigt». Wir begeben uns in eine Zeit, in der die Welt den Menschen noch viel zu sagen hatte und niemand verzweifelt nach dem Sinn des Lebens suchte.

Viertens liefert das Grab Einblicke in das einstige Verhältnis der Geschlechter. Die Bestattung zeigt: Das bedeutendste bisher bekannte Begräbnis dieses Zeitalters in Mitteleuropa gehört einer Frau. Und das ist kein Einzelfall. Noch ist das Patriarchat nicht erfunden. Wir werden aber auch einige der Ursachen identifizieren, die das uralte Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen ins Wanken brachten.

Schließlich, fünftens, ermöglicht die Schamanin uns, in eine Welt zu reisen, die völlig anders geartet ist als die unsere. Sie konfrontiert uns mit Fragen, die sich heute angesichts der immer offensichtlicheren Grenzen eines technokratischen, auf Ausbeutung der Natur gegründeten Weltverständnisses mit großer Vehemenz stellen. Wir werden Pfaden folgen, die verlockend erscheinen, wenn es darum geht, doch noch einen Ausweg aus der Bredouille zu finden, in die wir uns selbst und die anderen Lebewesen auf diesem Planeten gebracht haben.

***

Doch Vorsicht, wir begeben uns auf heikles Terrain. Schon vor über 100 Jahren polterte der Ethnologe Arnold van Gennep, unter all den vagen Begriffen, mit denen sich die Religionswissenschaft herumschlagen müsste, sei «Schamanismus» der wohl gefährlichste. Noch heute herrscht alles andere als Einigkeit, was das überhaupt sein soll. Die einen mögen allenfalls in Hinsicht auf bestimmte Kulturen Sibiriens davon sprechen, und zwar im Fall jener, bei denen sich Schamanen durch den steten Schlag der Trommel in Trance versetzen, um ihre Seelen in die Sphären der Geister zu schicken, wo sie Hilfe und Heilung für die Gemeinschaft suchen. Für die anderen repräsentiert Schamanismus ein universelles Phänomen, das rund um den Globus zu finden ist. Sie halten ihn für die älteste Religion der Menschheit, womöglich sogar für eine verschüttete Quelle globaler Spiritualität.

Meister der Trance: Schamanen gelten als Mittler zwischen dem Reich der Menschen und dem Reich der Geister. Sie nehmen alle Gefahren auf sich, um ihrer Gemeinschaft zu helfen. Schamane der Nanaj aus dem Amur-Gebiet in Ostsibirien an der Grenze zu China (1896).

Deshalb möchten wir betonen, dass für uns die Frage, ob wir es vor 9000 Jahren im Herzen Deutschlands wirklich mit einer Schamanin zu tun haben, keinesfalls vorab entschieden ist. Das mag paradox klingen, wird doch diese mysteriöse Frau aus den Tiefen unserer Vorgeschichte seit einigen Jahren im Museum in Halle als «Schamanin von Bad Dürrenberg» präsentiert. Ein Etikettenschwindel?

Nein, dafür gibt es gute Gründe. Doch handelte es sich bisher, wie es so oft in der Archäologie der Fall ist, nur um eine begründete Hypothese. Da wir es aber mit solch einem spektakulären und aussagekräftigen Fall zu tun haben und die Wissenschaft mittlerweile über ganz neue Möglichkeiten verfügt, werden wir alles unternehmen, den Schamanismusverdacht zu erhärten – oder zu widerlegen. Vor allem ist in den letzten Jahren das allgemeine Bewusstsein gewachsen, dass wir unseren traditionellen Vorstellungen in vielen Bereichen nicht recht trauen sollten. Gerade wenn es um fremde Kulturen geht, haben wir es mit meist veralteten Begrifflichkeiten und Konzepten zu tun, die nicht selten kolonial kontaminiert sind. Auch unsere eigene Vergangenheit ist davon betroffen. Denn das Mesolithikum im Herzen Deutschlands, das von etwa 9600 bis 5500 vor Christus dauerte, ist uns viel fremder, als es heutige Stammeskulturen in Neuguinea oder dem Dschungel Südamerikas sein mögen.

Tatsächlich spricht in Sachen Schamanismus einiges dafür, dass es sich in nicht unbeträchtlichen Maßen um ein westliches Phantasma handelt. Das ist fatal. Denn wenn wir verstehen wollen, wo wir herkommen und wie diese Ursprünge unsere Gefühle, Sehnsüchte und Intuitionen geprägt haben, dürfen wir nicht möglichen Fantasieprodukten nachjagen, mögen sie noch so schillernd sein.

Das macht diese mesolithische Doppelbestattung so wichtig: Sie entstammt einer Zeit vor all dem, was man «Zivilisation» nennt. Alle späteren Überlieferungen sind kulturell verzerrt. Unser Cold Case verspricht Authentizität. Indem wir dem Schamanismusverdacht nachgehen, erkunden wir die Wurzeln menschlichen Seins. Das ist das Versprechen, das die Frau und das Kind von Bad Dürrenberg zu bieten haben: based on a true story.

***

Nun haben wir mit einem für schriftlose Kulturen typischen Problem zu kämpfen: Wir kennen keine Namen. Da wir nicht zur Datenbanknummer BDB001 greifen möchten, wie es etwa die Archäogenetiker tun, sehen wir vorerst keine andere Wahl, als bei Schamanin im Sinne eines Eigennamens zu bleiben. Und Schamanin hat ja schon der Computer der Patientenaufnahme im Uniklinikum Halle geschluckt. Ob sie eine war – wir werden keinen Aufwand scheuen, das herauszufinden.

Wir haben es mit alles anderem als einem Nischenthema zu tun. Es geht um unser aller Zukunft in einer postreligiösen Welt. Dass heute Schamanismus boomt, ist als ein aufschlussreiches Zeitphänomen zu werten. Wir kennen die Bilder von sibirischen oder mongolischen Schamanen in prächtigen Gewändern. Wir haben von den Jaguar-Schamanen des Amazonas gehört. Nicht wenige Menschen versichern sich des Beistands von Krafttieren oder haben Erfahrungen mit bewusstseinserweiternden Substanzen wie Ayahuasca oder psilocybinhaltigen Magic Mushrooms gemacht.

In Europa kehren die Menschen den traditionellen Religionen den Rücken. Viele suchen nach neuen Wegen, Resonanz der außeralltäglichen Art zu erfahren. Die einen finden ihr Glück in Seelenreisen, in der Kontaktaufnahme mit den Ahnen oder Schwitzhüttenritualen; andere entwickeln sich dank Meditation, Heilsteinen oder Mondritualen spirituell weiter. Manche driften auch völlig ab. Den meisten indes genügt schon die gelegentliche Möglichkeit, der allzu rationalen Alltagswelt zu entfliehen, sei es mit einem Fantasy-Roman auf dem Sofa, Serien à la Game of Thrones oder der Kostümplanung für die nächste Comic Con.

Längst muss man für all das nicht mehr in ferne Sphären reisen. Schamanismus hat auch hierzulande die esoterischen Zirkel verlassen und ist auf bestem Weg, einen festen Platz im Repertoire einer modernen Spiritualität zu erhalten, von der sich viele die Erkenntnis ihrer selbst und den Zugang zu neuen Energien erhoffen. Schamanismus gilt als Mittel der Selbstermächtigung. Schamanen gehören zu den Sehnsuchtsgestalten unserer Tage.

Für nicht wenige jedoch zählen sie zu den Schreckgespenstern. Es gibt Spinner und Scharlatane, die zweifelhaften, wenn nicht schlimmeren Rat erteilen. Verdächtig oft finden wir sie unter den Hohepriestern grassierender Verschwörungskulte. Wir erinnern uns alle an jenen «QAnon»-Schamanen, der mit Kojotenfell und Bisonhörnern als schrecklich obskure Ikone des gewaltsamen Sturms auf das amerikanische Kapitol in Washington 2021 durch die Weltpresse ging. Auch das sind Phänomene, die aus dem Wegfall jener kirchlichen Institutionen resultieren, die den Westen über viele Jahrhunderte fest im Griff hatten.

Dank des immer besseren Verständnisses unserer Evolutionsgeschichte wissen wir: Es handelt sich nicht einfach um unaufgeklärte Verirrungen oder tumben Aberglauben. Hier rumoren uralte, evolutionär erworbene Strukturen der menschlichen Psychologie, die mal mehr, mal weniger nach Befriedigung verlangen. Umso wichtiger ist es zu verstehen, was es damit auf sich hat. Schließlich tragen auch die Rationalsten unter uns dieses evolutionäre Erbe in sich. Erst dann können wir sinnvoll und auf zeitgemäße Weise damit umgehen oder zumindest gefährliche Auswüchse verhindern.

Nein, wir predigen hier keine neue Spiritualität, wir plädieren für die Archäologie als Medium der Selbsterkenntnis. Dass unsere Körper darunter leiden, dass sich ihre Evolution unter gänzlich anderen Bedingungen vollzog als jenen, die unsere moderne Welt bestimmen, ist längst Allgemeinwissen. Wir bewegen uns zu wenig, und unser prähistorisch verwurzelter Heißhunger auf Salziges und Fettiges macht uns das Leben im wahrsten Sinne des Wortes schwer. Die Fastfood-Industrie hat darauf ihr Megaimperium aufgebaut.

Dass Ähnliches für unsere Psychologie gilt, diese Erkenntnis etabliert sich dagegen nur langsam. Deshalb lassen wir uns viel zu leicht mit seelischem Fastfood abspeisen, liefern uns bereitwillig digitalen Megakonzernen aus oder verfallen einem bedrohlichen Hyperkonsum. Es ist an der Zeit, endlich unsere psychologischen Altlasten zu identifizieren und einen adäquaten Umgang mit ihnen zu entwickeln.

In die alte Welt der Jäger und Sammler führt nun mal kein Weg zurück. Aber wir müssen deren Lebensbedingungen kennen, weil diese unsere Psyche geformt haben. Und wir müssen die massiven Veränderungen der Daseinsbedingungen verstehen, die wir als Homo sapiens seither durchgemacht haben. Die archäologische Reise zu unseren Anfängen wird damit zu einem Mittel der Emanzipation.

***

Wissenschaften wie Primatologie und evolutionäre Anthropologie haben in den letzten Jahren ein immer überzeugenderes Bild der menschlichen Natur gezeichnet. Jedoch sind sie, wenn es um die tiefe menschliche Vorgeschichte geht, in der sich diese geformt hat, auf die Archäologie angewiesen. Denn nur die kann Beweise liefern, wie es wirklich gewesen ist. Das bürdet der Archäologie eine hohe Verantwortung auf. Sie muss alles daransetzen, möglichst genau die menschlichen Wurzeln zu rekonstruieren und nicht vorschnell Fantasieprodukten auf den Leim zu gehen. Das ist bisher viel zu oft passiert – und zwar alles andere als unabsichtlich.

Die Geschichte des Schamanismus im Allgemeinen wie der Schamanin von Bad Dürrenberg im Besonderen sind Paradebeispiele, wie die menschliche Vergangenheit aus ideologischen Gründen verfälscht und instrumentalisiert wurde. Die Vorgeschichtsforschung war wie auch die Ethnologie nur allzu oft an vorderster Front dabei, um die Ungerechtigkeiten der Welt zu zementieren.

Es ist diese doppelte Dimension, die unseren Fall einzigartig macht: Wir haben es nicht nur mit einem spektakulären archäologischen Fund zu tun, es handelt sich zugleich um einen eklatanten Missbrauchsfall. Das zieht sich wie ein zweiter roter Faden durch unser Buch: Immer wieder diente Wissenschaft dazu, Unterdrückung, Ausbeutung und Ausrottung zu legitimieren.

Deshalb betreiben wir eine doppelte Archäologie. Mehr als einmal müssen wir bedenklichen Zivilisationsschutt beiseiteräumen, um mit der eigentlichen archäologischen Arbeit zu beginnen. Zum Glück ist dieser Schutt ebenso spannend wie aktuell. Wir können erstmals rekonstruieren, wie das Grab von Bad Dürrenberg als Baustein der pseudowissenschaftlichen Untermauerung der rassistischen Vernichtungspolitik der Nazis herhalten sollte. Zugleich werden wir beobachten, wie der Kolonialismus das westliche Denken vergiftete und welche Leiden russischer Imperialismus in der Vergangenheit verursachte. Nicht zuletzt ergründen wir, warum sich der Westen an Trance und Schamanen berauscht. Neben der prähistorischen Archäologie betreiben wir also eine Archäologie der modernen Welt.

***

Umso mehr müssen wir aufpassen, dass wir – trotz bester Absichten – nicht selbst eine neue Vorgeschichte erfinden. Deshalb werden wir so transparent wie möglich den Gang der Forschung offenlegen und zeigen, wie archäologische Arbeit auf Hypothesen basiert, die durch neue Erkenntnisse bestätigt oder infrage gestellt und modifiziert werden. Wissenschaft ist ein Erkenntnisprozess, nicht das Verkünden ultimativer Wahrheiten.

Dabei konnten wir auf ein Netzwerk ebenso großartiger wie kritischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen vertrauen. Wir sind ihnen zutiefst zu Dank verpflichtet, erlaubten sie uns doch, hier erstmals über ihre neuen Forschungen zu berichten. Deshalb folgen wir einmal mehr dem Ratschlag C.W. Cerams, der im erfolgreichsten Archäologiebuch aller Zeiten Götter, Gräber und Gelehrte die Parole ausgab, nichts sei spannender, als die Leserinnen und Leser denselben Weg wie die Wissenschaft nehmen zu lassen.

Einer von uns beiden ist zwar als Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt auch Direktor jenes Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle, in dem die Schamanin von Bad Dürrenberg die Besucher verzaubert, und zeichnet damit verantwortlich für die neuen Ausgrabungen und die umfangreichen Nachuntersuchungen. Trotzdem werden wir in diesem Buch immer wieder Ermittlern oder Reportern gleich unterwegs sein, um mit allen Beteiligten die neuesten Forschungsergebnisse zu diskutieren. Wir werden Sie hautnah daran teilhaben lassen.

In den beiden Farbtafelteilen unseres Buchs präsentieren wir Ihnen unsere Heldin, das Grab, die Funde und die Welt, aus der sie stammt. Zur räumlichen und zeitlichen Orientierung finden Sie im vorderen Buchdeckel eine Überblickskarte und im hinteren zwei Zeitstrahle, die Sie über unsere tiefe Vergangenheit informieren.

***

Die mutmaßliche Schamanin zog alle in ihren Bann. Auch hielt sie uns mit immer neuen, höchst erstaunlichen Erkenntnissen auf Trab. Ganz so, als ob sie endlich ihr Rätsel gelöst wissen wollte. Nach 9000 Jahren ist das selbst für einen Cold Case höchste Zeit.

2Weiblicher Ötzi?

Wir selbst hatten bereits ein gutes Jahr, bevor Martin Porr sein Alpha-Déjà-vu hatte, ein Erweckungserlebnis. Damals, in Harald Mellers Direktorenzimmer des Landesamtes, dämmerte uns, dass sich das Rätsel der Schamanin erst jetzt so richtig enthüllte. Es war Anfang 2018, als die Archäogenetiker Wolfgang Haak und Johannes Krause zu Gast waren. Zu der Zeit arbeiteten sie noch am Max-Planck-Institut (MPI) für Menschheitsgeschichte in Jena, heute sind sie als Forschungsgruppenleiter und Direktor am MPI für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Auch Susanne Friederich, die für Ausgrabungen verantwortliche Abteilungsleiterin, der Datierungsspezialist Ralf Schwarz, der stellvertretende Landesarchäologe Alfred Reichenberger und die beiden Autoren dieses Buchs saßen rund um den Besprechungstisch. Zwischen den deckenhohen Bücherregalen hing Karol Schauers Porträt der Schamanin. Stoisch schaute sie über die munter diskutierende Runde hinweg auf die Dächer der Altstadt und Halles berühmten Roten Turm am Marktplatz.

Der rasante Fortschritt in der Analyse alter DNA hat die Archäologie in den letzten Jahren revolutioniert. Dass heute Erbgut von vor Jahrtausenden verstorbenen Menschen schnell und kostengünstig lesbar gemacht werden kann, kommt dem Entziffern einer unbekannten Schrift gleich. Seither stehen Genetiker und Archäologen im engen Austausch, um zentrale Forschungsfragen gemeinsam anzugehen. Nicht zuletzt, weil das Landesamt für Archäologie in Halle im Besitz jenes Stoffes ist, den die Genetiker so heiß begehren: gut erhaltene Knochen.

Das Gespräch kam auf eine gemeinsame Studie, die von der Genetikerin Maïté Rivollat und Wolfgang Haak geleitet wurde. Ihr Ziel, eine große Frage der Archäologie besser zu verstehen: Wie vollzog sich in Europa der Übergang vom Mesolithikum zum Neolithikum? Von den Jägern und Sammlern zu den ersten Bauern? Dank der Archäogenetik ist seit einigen Jahren bekannt, dass es Zuwanderer aus Anatolien waren, die Ackerbau und Viehzucht nach Europa brachten. Die große Frage lautet seither: Was geschah mit den hier seit Jahrzehntausenden lebenden Jägern und Sammlern? Wurden die von den Farmern verdrängt? Vertrieben? Hingemetzelt? Oder existierten sie in unterschiedlichen Landschaftsregionen nebeneinanderher und vermischten sich mit der Zeit?

«Unsere Auswahl steht», berichtete Wolfgang Haak. Die Analyse des Erbguts von insgesamt 101 Individuen, die sich über den fraglichen Zeitraum verteilten, sollte helfen, den fundamentalen Wandel der Lebensweise zu rekonstruieren. «Wir möchten auch eure Individuen aus dem Mesolithikum mit einbeziehen», fuhr Haak fort und wies mit dem Kopf zur Wand: «Auch die Dame da.» Alle folgten seinem Blick. Niemand bemerkte, dass die Schamanin auch nur mit der Wimper gezuckt hätte.

Wir waren elektrisiert. Was uns wohl ihr Genom verraten würde? Sicher wie sie aussah. Die Farbe der Haut, der Augen, der Haare. Auch gäbe es Antworten auf Fragen, wie die, ob sie Milch verdauen konnte. Vor allem würden wir erfahren, ob es sich um ihr Kind handelte. Ob es ein Mädchen war oder ein Junge… «Wir haben das Kind nicht für die Studie vorgesehen», dämpfte Johannes Krause die Begeisterung, «für unsere Fragestellung würde es kaum neue Hinweise liefern. Wir haben ja schon die Schamanin, die aus dem gleichen kulturellen Kontext stammt.»

Vor Jahren hatte Haak bereits mit Barbara Bramanti und Joachim Burger an der Universität Mainz versucht, das Verwandtschaftsverhältnis zu klären. Damals war es bei solchen Untersuchungen noch nicht möglich, die Kern-DNA, also das im Zellkern vorliegende Genom, zu verwenden. Stattdessen musste man mit der mitochondrialen DNA vorliebnehmen. Das ist jene, die in den Kraftwerken der Körperzellen, den Mitochondrien, in großen Mengen vorhanden ist, aber viel weniger aussagekräftig ist als das eigentliche Genom.

Damals stellte sich heraus, dass die Frau den Haplogruppen-Typus U4 besaß, was sie zu einem typischen Jäger-Sammler-Individuum machte. «Doch das Kind lieferte keine Ergebnisse. Die Knochenerhaltung war zu schlecht», erzählte Haak, «deshalb konnten wir nicht feststellen, ob die beiden verwandt waren oder nicht.» Als er die allgemeine Enttäuschung registrierte, wechselte er einen Blick mit Krause und nickte: «Wir können uns gerne ansehen, ob es sich nicht doch lohnen könnte, es noch einmal zu versuchen. Die Analysetechniken haben sich in den letzten Jahren unglaublich verbessert.»

Sofort schossen die Spekulationen ins Kraut: Könnte es nicht Spuren an den Beckenknochen der Schamanin geben, die auf eine Geburt hinweisen? Wenn es Mutter und Kind waren: War sie gestorben, weil Schwangerschaft und Stillen ihrem Körper die letzte Kraft geraubt hatten und sie der Entzündung im Kieferbereich nichts mehr entgegenzusetzen hatte? War ihr der Säugling in den Tod gefolgt, weil die Mutter ihn nicht mehr versorgen konnte? Jemand warf ein: Und was wäre, wenn das nicht ihr Kind ist? Ganz neue Fragen drängten sich auf: Woran ist es dann gestorben? Haben wir es mit einem Menschenopfer zu tun? Und überhaupt: Wer war die Hauptperson im Grab? Die Frau oder das Kind? Wer starb zuerst?

«Zu viel Hoffnung solltet ihr euch nicht machen», unterbrach Wolfgang Haak. «Wir haben vom Kind kein Pars petrosa, kein Felsenbein.» Das ist ein Schädelknochen, der das Innenohr umschließt. Als härtester Knochen des menschlichen Skeletts sorgt er für eine besonders gute Erhaltung des Erbmaterials. Der Schädel des Kindes aber war zerbrochen; den Ausgräbern werden die beiden Felsenbeine damals entgangen sein. Bei einem so kleinen Kind sind sie schließlich winzig.

Wir waren zumindest verhalten guter Hoffnung, dem Schicksal der beiden auf die Spur zu kommen: Hätte die Schamanin nicht das Zeug, zu einem weiblichen Ötzi zu werden? Die Runde beschloss, alles zu unternehmen, was möglich wäre. Wir versäumten es, noch einmal einen Blick auf das Porträt der Schamanin zu werfen. Ihr geheimnisvolles Lächeln hätte uns Warnung genug sein können.

***

Dann trat ein Glücksfall ein, der in uns den Verdacht keimen ließ, die Dame aus dem Mesolithikum ziehe die Strippen im Hintergrund: Bad Dürrenberg hatte sich für die Austragung der Landesgartenschau (LAGA) in Sachsen-Anhalt beworben und die Zusage erhalten. Die Stadt beschloss, den Kurpark als Herzstück der LAGA neu zu gestalten. Das brachte das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie ins Spiel und eröffnete die Option, nach der im Kurpark gelegenen Fundstelle der Schamanin zu suchen. Schließlich verrieten die Akten, dass das Grab 1934 innerhalb weniger Stunden ans Tageslicht geholt worden war. Wer weiß, was noch alles im Boden steckte? Tatsächlich fehlten den beiden Skeletten eine ganze Reihe Knochen.

Eine archäologische Intervention erschien mehr als gerechtfertigt: Wir haben es mit einem der ältesten bisher gefundenen Gräber in Sachsen-Anhalt zu tun, und die Hinweise auf seinen außergewöhnlichen Rang waren überdeutlich. Nachgrabungen an archäologischen Fundstellen, die im letzten oder vorletzten Jahrhundert entdeckt wurden, sind längst gang und gäbe. Der wissenschaftliche Fortschritt ermöglicht zahlreiche neue Erkenntnisse. Und in diesem Fall war das Unternehmen aufgrund der anstehenden Bauarbeiten mit relativ wenig Aufwand verbunden.

Unter der Leitung Susanne Friederichs nahm im Sommer 2019 der Ausgräber Andreas Siegl mit seinem Team die Arbeit auf. Parallel dazu machten sich der Archäologe Holger Dietl und der Anthropologe Jörg Orschiedt an die wissenschaftlichen Ermittlungen rund um die Schamanin, das Kind und die vielfältigen Grabbeigaben. Orschiedt hatte ja bereits in der Vergangenheit seine Bekanntschaft mit den 9000 Jahre alten Relikten gemacht.

Hatte sie uns gesucht und wir waren ihr nur zu willig gefolgt? In jedem Fall waren es der wissenschaftliche Fortschritt und ein gutes Stück Zufall, denen wir das Glück verdanken, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein, um die Gelegenheit zu ergreifen, dem Rätsel der Schamanin auf die Spur zu kommen. Wir sollten unserer Heldin eine erste Aufwartung machen.

3Besuch bei einer alten Dame

Seit 2004 beeindruckt sie das Museumspublikum. Gemeinsam mit den fragilen Knochen des Kindes und den Grabbeigaben liegt die mutmaßliche Schamanin in einer schneewittchenhaften Glasvitrine. Ihr Raum wird von einem Bildfries geschmückt, der einen Birkenwald an die Wand zaubert, wie er typisch für die Zeit nach der letzten Eiszeit war. Kinder entdecken die Schamanin sofort zwischen den Stämmen. Ebenso fallen ihnen gleich die Vögel auf, die unter der Vitrine davonfliegen, um die Seelen in die andere Welt zu tragen.

Als entschieden wurde, in Bad Dürrenberg nach noch vorhandenen Resten des Grabes zu suchen, war damit der Entschluss verbunden, auch die Skelette und die zahlreichen Grabbeigaben einer Neuuntersuchung zu unterziehen. Nun wurde aber der Glassarg nicht einfach ins Labor getragen, sondern vier Männer hoben mit Saughebern die gläserne Vitrinenhaube herab. Dann war Juraj Lipták gefragt, der Fotograf des Museums, dem wir viele der wunderbaren Bilder in diesem Buch verdanken. Er sollte ein letztes Foto aufnehmen, wie die Schamanin in der offenen Vitrine lag, inmitten der Beigaben, die knöchernen Fragmente des Kindes an ihrer Seite. Da die Raumhöhe nicht zu großzügig bemessen war, verwendete er von der Leiter herab ein extremes Weitwinkelobjektiv.

Anschließend entnahm der Anthropologe Jörg Orschiedt die einzelnen Stücke, der Archäologe Holger Dietl verpackte sie sorgsam und die Sammlungsmitarbeiterin Johanna Schwehn glich alles mit den Fundlisten ab und protokollierte jeden Schritt. Orschiedt begann mit dem geradezu ikonischen Gehörn eines Rehbocks. Ohne dieses Geweih wäre kaum die Vermutung aufgekommen, dass es sich um eine Schamanin handelte, die es auf dem Kopf getragen haben könnte. Dann ging es Zahn um Zahn weiter, sie stammten von Auerochsen oder Wisent (das lässt sich morphologisch nicht unterscheiden), von Wildschwein und Hirsch. Über fünfzig an der Zahl, viele durchlocht. Werkzeuge aus Stein und Knochen folgten; die winzigen Feuersteinschneiden, sogenannte Mikrolithen, verlangten größtes Fingerspitzengefühl. Sie waren einst in einem Kranichknochen wie in einer Büchse verstaut. Es folgten Reste von Reh und Fragmente von Biber, Igel und Kranich. Vorsicht war geboten bei den Panzerbruchstücken der Sumpfschildkröten und den Flussmuschel-Schalen. Man darf nicht vergessen, alles hatte 9000 Jahre in der Erde gelegen.

Doch das war nichts gegen das Skelett der Schamanin. Knochen um Knochen wurde behutsam entnommen. Die Wirbelsäule bereitete Schwierigkeiten – mit einem Plexiglasstab waren die einzelnen Wirbel fixiert. Zu guter Letzt: die fragilen Knochen des Kindes. «Manche waren kaum dicker als eine Eierschale», erinnert sich Holger Dietl. «Man traute sich kaum, sie anzufassen.»

***

Die drei waren, vermutlich ohne sich dessen bewusst zu sein, Teil eines durchaus schamanischen Rituals. Von den Jakuten, Burjaten und ähnlichen Kulturen Sibiriens wird berichtet, dass die Geister sich über jene hermachen, die sie als künftige Schamanen auserkoren haben. Dabei gehen sie wenig zimperlich vor: Sie töten ihre Favoriten, zerlegen sie in Einzelteile, kochen diese so lange, bis sich alles Fleisch löst. Dann fischen sie die Knochen aus dem Kessel, zählen sie genau, setzten sie wieder zusammen, verstärken manche von ihnen mit Eisen, bekleiden dieses Gerippe mit neuem Fleisch und erwecken es zu einem verwandelten, jetzt schamanischen Leben.

Im Prinzip geschah hier Ähnliches. Die Frau aus dem Dürrenberger Grab wurde in ihre Einzelteile zerlegt, um einer Verwandlung entgegenzugehen. Im Labor sollte jedes Stück auf das Genaueste inspiziert, manches von Spezialisten andernorts begutachtet werden. Doch ist das Ansinnen dieser Metamorphose ein umgekehrtes: Wir möchten sie zu keiner neuen Person zusammensetzen; wir möchten ihr ihre wahre Identität zurückgeben.

Die Annahme, dass Knochen zum Leben erweckt werden können, ist eine Vorstellung, die sich in vielen auf der Jagd basierenden Kulturen findet. Dort werden die Knochen der Beutetiere in der Wildnis ausgelegt, um deren Wiedergeburt zu ermöglichen. Da im animistischen Denken zwischen uns und den Tieren allenfalls ein Unterschied in der äußeren Erscheinung besteht, gilt das auch für Menschen. Sowohl in der Eiszeit wie auch in der Waldzeit des Mesolithikums war es gängige Praxis, die Toten nicht in der Erde zu versenken, sondern auf Plattformen den Vögeln darzubieten, sie dem Wasser zu übergeben, an entlegenen Orten zurückzulassen oder sie in die Bäume zu hängen. So konnten sie in den Kreislauf des Lebens zurückkehren. Gräber wie das von Bad Dürrenberg sind deshalb eine Besonderheit.

Wichtig ist auch, dass es nicht nur die Frau und das Kind birgt, sondern eine Vielzahl von Tieren, selbst wenn diese lediglich in Teilen vorhanden sind. Hier ist ein sozialer Kosmos der Erde übergeben worden – bis alles Fleisch verging. Es ist die Aufgabe der Archäologen, sie alle nicht nur aus der Tiefe der Zeit zu retten, sondern mittels modernster Forschungen wieder mit Fleisch zu versehen und damit zumindest ein Stück weit zum Leben zu erwecken. Aber dieses «Fleisch», der prähistorische Kontext, soll möglichst authentisch sein – und nicht aus der kulturellen Fast-Food-Industrie unserer Tage stammen. Oder schlimmer noch aus der Fabrik ideologischer Phantasmen.

***

Jörg Orschiedt erinnert sich an eine gewisse Ehrfurcht, welche die drei bei ihrer Arbeit erfasst hatte. Sie gingen «fokussiert wie Chirurgen» zu Werk. Da sich einst im Grab große Mengen rot gefärbter Erde fanden, hatten die Gestalter der Dauerausstellung entschieden, die Knochen auch in der Glasvitrine auf Rötel zu betten. Der Leiter der Restaurierungswerkstätten Christian-Heinrich Wunderlich fertigte die Rötelunterlage gemeinsam mit Studierenden der Kunsthochschule Burg Giebichenstein an. Deshalb lautete die Direktive bei der Entnahme: ja nicht das Rötelbett zerkratzen!

Rötel zieht sich als roter Faden durch die Menschheitsgeschichte: Roter Ocker, wie er auch bezeichnet wird, ist eine Mineralfarbe, die aus einem Gemisch aus Tonerde und Hämatit besteht. Letzterer auch als Blutstein, Eisenglanz, Specularit oder Roteisenstein bekannt, ist ein Eisenoxyd-Mineral. Schon vor über 200000 Jahren verwendeten Neandertaler Rötel. Der Homo sapiens färbte damit seit Urzeiten Muscheln, bemalte Körper und Höhlenwände. Selbst medizinisch wird er früh eingesetzt. Esoterische Kreise verehren Hämatit noch heute als Heilstein.

Vor allem aber findet sich roter Ocker in prähistorischen Gräbern. Die Assoziation mit Blut, Leben und Wiedergeburt wird sich damals schon aufgedrängt haben. In gewisser Weise entspringt das einer ähnlichen Logik wie dem schamanischen Wiedererweckungsritual: Symbolisch wird den Toten neues Blut beigegeben, um sie für das Leben in der anderen Welt zu präparieren. Die Schamanin war in ihrem Grab jedoch nicht nur in roten Ocker gebettet, sie hatte auch einen Hämatit mit Abriebspuren dabei und diverse Werkzeuge wiesen Spuren auf, die auf die Verarbeitung von Rötel schließen lassen.

***

Jörg Orschiedt erinnerte sich an seine erste Begegnung mit der Schamanin vor über zwanzig Jahren. «Mir war noch im Sinn, wie auffällig grazil diese Frau gewesen ist. Ihr Schädel dagegen ist durchaus markant.» An den Knochen finden sich im Vergleich zu anderen Jägern und Sammlern des Mesolithikums nur schwach ausgeprägte Muskelansätze. Sie ist also anders als ihre Zeitgenossen keine weiten Entfernungen gelaufen und hat auch keine schweren Lasten getragen. An den Gelenken fehlen die entsprechenden degenerativen Veränderungen. Für ihre Zeit ist das exzeptionell. In Sachen Körpergröße jedoch ist sie Mittelmaß. Mit rund 1,55 Meter liegt sie im Durchschnitt der Frauen des mitteleuropäischen Mesolithikums. Kurios, dass man sie im Nationalsozialismus für einen Mann hielt. «Alle anatomischen Merkmale des Skeletts sind eindeutig weiblich», sagt Orschiedt. Die Genetik hat das bestätigt.

Die C14-Datierung verortete sie in der Zeit um 7000 vor Christus, vielleicht auch einige Jahre jünger. Die Datierung der dem Grab mitgegebenen Rehknochen stimmt damit überein und stellt sicher, dass kein sogenannter Reservoire-Effekt das Ergebnis verfälscht. Hoher Fischkonsum lässt Knochen oft zu alt erscheinen. Damit gehört die Schamanin in die Klimastufe des späten Boreals, am Übergang zum frühen Atlantikum. Es war zwei bis drei Grad wärmer als heute und wohl etwas feuchter. Sie lebte in einer ausgesprochenen Gunstzeit.

«Ich staune immer wieder, wie gut ihr Skelett erhalten ist», sagt Orschiedt. Abgesehen von den Auffälligkeiten an Halswirbeln und Zähnen ist es in einem sehr guten Zustand. «Sie ist mit Anfang, Mitte 30 gestorben. Vielleicht auch etwas später.» Das ist ein durchaus normales Sterbealter für ihre Zeit, selbst wenn einzelne Individuen auch sehr viel älter wurden. Dank der Analyse der in ihren Knochen eingebundenen Stickstoff-Isotopen wissen wir, dass sie bestens ernährt war und viel Fleisch gegessen haben muss. Einige der Knochen fehlen. Auch das ist eine der Hoffnungen für die Nachgrabung, dass die Skelette der beiden zumindest teilweise vervollständigt werden können.

Auf dem leer geräumten, scheinbar unberührten Rötelbett wurde später die lebensgroße Fotografie Juraj Liptáks platziert, um den Besuchern in der Abwesenheit der Schamanin wenigstens einen Eindruck von dem zu geben, was zu Forschungszwecken entnommen war. An der Wand ihres Museumsgemachs prangt noch Karol Schauers Porträt, von hinten illuminiert. Geheimnisvoll ihr Blick unter der Maske aus Knochen und Zähnen, Federn und Gehörn, eine Seelengeleiterin, wie es keine zweite gibt.

4Willkommen im Wunderland

Erinnern wir uns an den antiquierten Begriff, den Mircea Eliade für Schamanen verwandte: «Psychopompos». So merkwürdig er klingen mag, so wichtig ist er, um zu verstehen, worum es in diesem Buch geht und warum alles mit allem verbunden ist. «Psychopompos» ist der Beiname des Gottes Hermes. Der war nicht nur Götterbote, er war der Verbindungsmann zwischen der Welt des Lebens und dem Reich des Todes. Ihm kam es zu, die Seelen der Verstorbenen in den Hades zu führen. Die Idee der Psychopompoi ist weit verbreitet: Jenseitsführer, Seelenbegleiter, Mittler zwischen den Welten gibt es zuhauf. Da ist Beatrice, die Dante in der Göttlichen Komödie durch Paradies und himmlische Sphären führt. Da ist Jesus, der die Seelen ins Himmelreich geleitet. Und natürlich das weiße Kaninchen, das Alice den Weg ins Wunderland weist – mittels des berühmtesten Kaninchenlochs der Literaturgeschichte.

Die Idee des Psychopompos beruht auf den Vorstellungen, dass neben der alltäglichen auch eine außeralltägliche Welt existiert und es den Seelen möglich ist, hin und her zu reisen und andere Seelen dabei zu begleiten. Wie Eliade ausführt, sind Schamaninnen (welchen Geschlechts auch immer) Grenzgänger, Mediatoren, Mittler, die zwischen der Welt des Fassbaren und des Unfassbaren pendeln. Die schamanischen Reisen gelingen dank besonderer Gaben und raffinierter Techniken, die es den Seelen erlauben, den Körper zu verlassen und das abenteuerliche Reich der Schatten und Geister zu betreten.

Und hier kommt die Archäologie ins Spiel. Auch wenn wir uns erstens nicht mit Schamanen auf eine Stufe stellen möchten und zweitens uns dazu auch nicht durch stundenlanges Trommeln oder bewusstseinserweiternde Substanzen in Trance versetzen müssen, sind Archäologen dennoch in der Lage, zu abenteuerlichen Reisen der anderen Art aufzubrechen. Auch sie sind Mittler zwischen den Zeiten – und durchaus Spezialisten für die menschliche Seele.

Tatsächlich ist das Ziel unserer Reise eine Welt, die für immer verschwunden ist und dennoch fortdauert – an verborgenen Orten ebenso wie in der Tiefe unseres Selbst. Wir erkunden eine andere Wirklichkeit, die neben der Alltagswelt besteht. Sie bestimmt unser Leben und ist doch nur den Kundigen zugängig. Reisen der Psychopompoi benötigen eine Schnittstelle, an der sich die Welten berühren, eine Schwelle, die den Übergang von der einen Sphäre in die andere ermöglicht. Archäologen halten es da mit Alices Kaninchen: Sie bevorzugen Löcher im Boden.

Unser Tor in die andere Welt liegt auf jenem Berg über der Saale und reicht keine zwei Meter tief in die Erde. Für uns soll die Erkundung eines geheimnisvollen Grabes, so das Versprechen des Buchs, eine Reise zu unseren Anfängen werden. Wir können dort viel lernen – auch über uns selbst.

***

Archäologie als Selbsterkenntnis? Klingen wir da nicht wie irgendwelche Möchtegern-Schamanen, die mit dubiosen Versprechen auf Kundenfang gehen? Doch die Antwort ist einfach: Nur die Archäologie hilft zu verstehen, warum sich das moderne Leben mitunter so seltsam anfühlt. Erst die Kenntnis unserer tiefen Vergangenheit liefert das nötige Wissen, wie wir Wege finden, die uns in eine menschengemäßere Welt führen könnten. Klingt noch immer nach Fantasterei?

Nun, zumindest gibt es einen überaus offensichtlichen Hinweis, dass etwas mit dem menschlichen Dasein nicht stimmt. Nämlich die unvorstellbare Flut an Schriften, die Fragen verhandeln wie «Was ist der Sinn des Lebens?», «Was ist der Mensch?» und «Wie soll ich leben?» Damit haben wir nicht nur die Ratgeberliteratur unserer Tage im Sinn. Über die mehr als 4000 Jahre hinweg, aus denen Schriftquellen uns menschliches Denken überliefern, ist die Suche nach dem richtigen Leben ein allgegenwärtiges Thema. Bereits in frühen Mythen, religiösen Texten und philosophischen Traktaten wird das durchexerziert. Und trotzdem existiert bis zum heutigen Tage kein allseits anerkanntes Patentrezept, wie ein befriedigendes Leben zu führen ist.