Das Sissi-Feuerwerk - Jenna Theiss - E-Book
SONDERANGEBOT

Das Sissi-Feuerwerk E-Book

Jenna Theiss

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Piper ebooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Der zweite Fall für Chefinspektor Materna und Josi Konarek - mit vielen unerwarteten Wendungen und jeder Menge Bad Ischl- und Sissi-FeelingEigentlich wollte Chefinspektor Paul Materna mit Freundin Josi in Bad Ischl nur Urlaub machen. Da stürzt bei dem großen Open-Air-Spektakel »Sissis Feuerwerk« eine als Kaiserin Elisabeth kostümierte Artistin ab und wird schwer verletzt. Als es Hinweise gibt, dass hinter dem Sturz ein Anschlag steckt, übernimmt Materna die Ermittlungen. Leider findet sich nicht die geringste Spur eines Motivs. Bald darauf wird ein weiteres Mitglied des »Feuerwerk«-Teams ermordet aufgefunden und an Urlaub ist für Josi und Paul nicht mehr zu denken...»Was für eine tolle Krimi-Neuentdeckung!«, glimrende.de, 11.07.2018 über »Der Sissi-Mord«, Maternas und Konareks ersten Fall

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover & Impressum

Personen

Samstag, 15. Juli

Sonntag, 16. Juli

Montag, 17. Juli

Dienstag, 18. Juli

Mittwoch, 19. Juli

Donnerstag, 20. Juli

Freitag, 21. Juli

Samstag, 23. Juli

Drei Wochen später: Montag, 14. August

Donnerstag, 17. August

Kaisergeburtstag: Freitag, 18. August

Glossar

Zu guter Letzt – Danke

Sonntag, 16. Juli

10.45 Uhr

»Jetzt versteh ich, warum du so früh zum Zauner wolltest.« Kopfschüttelnd betrachtete Josi seine Mehlspeis-Bestellung. »Du willst nicht, dass die Antonella sieht, was du schon am Vormittag für Mengen an süßem Zeug verdrückst.«

Paul Materna zwinkerte ihr zu. Sie hatte ja recht. Ein bisserl üppig war das Ganze – eine Esterházyschnitte, ein Pariser Spitz und ein Punschkrapferl drängten sich auf einem kleinen Teller zusammen. Fast regte sich so etwas wie ein schlechtes Gewissen bei ihm. Schließlich wusste er, dass Josi sich beim Essen andauernd zurückhalten musste. Meinte sie wenigstens.

»Geh, was die Antonella denkt, ist mir wurscht. Aber du – sag einmal, bist du sicher, dass du wirklich keine Mehlspeis’ willst und nicht vielleicht einfach neidisch bist?«

Sie wurde rot wie so oft, wenn sie verlegen war. Wie ein kleines Mädchen sah sie dann aus. »Logisch bin ich neidisch. Ich könnte platzen vor Neid, wenn ich so eine Bohnenstange wie dich sehe, die dauernd Kalorienbomben in sich hineinstopft und dabei immer noch dünner wird. Aber bei mir ist das ja nicht so. Und du wirst mich nicht mehr mögen, geschweige denn lieben, wenn ich so rund bin, dass du mich durch die Gegend rollen kannst.«

Er musste lachen. »Ich werde es lieben, dich durch die Gegend zu rollen. So, und jetzt bestellen wir endlich ein Stückerl von deinem geliebten Zaunerstollen. Wenn du nämlich vor Neid platzt, müsste ich meinen Urlaub allein verbringen, und das wär fad.«

Jetzt lachte sie auch.

Von unter dem Tisch war ein dezentes »Wuff« zu vernehmen.

»Na bitte, der Poldi ist auch meiner Meinung. Also?«

»Überredet.«

Er winkte der Bedienung und gab die Bestellung auf.

»Schau einmal, wer da kommt – der Ronacher.« Er wies mit einer dezenten Kopfbewegung zum Eingang.

»Ah, der Graf Bobby«, stellte Josi fest.

Materna schmunzelte. Josi hatte den Adelstick des Anwalts gleich bei ihrer ersten Begegnung erkannt und ihm wegen seiner näselnden Sprechweise diesen Spitznamen gegeben. Damals hatte sie allerdings noch nicht gewusst, dass er nicht nur eine tragende Säule der Ischler Monarchisten-Ortsgruppe war, sondern auch fest davon überzeugt, selbst von kaiserlichem Geblüt zu sein.

Ronacher hatte sie entdeckt und strebte eilig auf ihren Tisch zu. »Ja, küss die Hand, gnä’ Frau, grüß Gott, Herr Materna. So eine Überraschung!«

Materna schmunzelte in sich hinein. Der platzt auch gleich, dachte er, und zwar vor Neugier. Ronachers Blick schweifte in rascher Abfolge zwischen Josi und ihm hin und her. Es schien ihm gerade zu dämmern, dass sie ein Paar waren. Und man konnte kaum übersehen, dass es ihn mächtig interessierte, ob das auch wirklich stimmte.

»Sind S’ länger in Ischl, gnä’ Frau?«, wandte sich Bobby-Ronacher in betont unverbindlichem Tonfall an Josi.

»Ich bin immer wieder mal für ein paar Wochen da. Ich vermiete mein Häuserl nur noch zwischendurch an Feriengäste.«

»Ah so, ja, g’scheit, sehr g’scheit …« Er nickte ein paarmal mit dem Kopf. »Es ist doch hoffentlich nichts passiert, weil Sie wieder in Ischl sind, Herr Chefinspektor?«, tastete Ronacher sich indessen weiter an des Rätsels Lösung heran.

Materna grinste in sich hinein. Ein bisserl komisch war er ja schon, der gute Graf Bobby. Aber irgendwie mochte er ihn. »Wollen Sie sich kurz zu uns setzen, Dr. Ronacher? Wir erwarten zwar noch jemanden, aber erst ein bisserl später.«

»Danke, gern.«

Josi deutete nach unten. »Mein Hund sitzt unter dem Tisch. Nur, dass Sie …« Sie unterbrach sich.

Ronacher bückte sich und schaute unter das Tischchen. »No, das ist ja ein Bild von einem Rauhaardackel«, näselte er. »Sehr herzig.«

»Mordfall gibt es keinen«, beantwortete Materna Ronachers Frage, nachdem der sich gesetzt hatte. »Aber passiert ist leider schon was. Eine Artistin ist gestern bei der Premiere von Feuerwerk abgestürzt.«

»No geh’n S’, das ist ja furchtbar! Ist sie tot?«

»Schwer verletzt«, sagte Josi. »Sie liegt im Krankenhaus. Was Genaues wissen wir noch nicht. Ich kenne sie aber, ihren Mann auch, und ich werde ihn nachher anrufen.«

»Sie kennen die Artistin?«

Josi nickte. »Wie ich nach Ischl gekommen bin, hab ich zufällig eine Kollegin von der Verunglückten kennengelernt«, erklärte sie. »Ich befasse mich grade mit Menschen, die außergewöhnliche körperliche Leistungen vollbringen, wie Hochalpinisten, Extremsportler oder eben Artisten. Daher hat mich die Arbeit am Hochseil und am Trapez ganz besonders interessiert.«

»Ah ja, stimmt, Sie sind ja Psychologin«, erinnerte sich Ronacher.

»Ja. Und Wissenschaftsjournalistin und Sachbuchautorin. Meine neue Bekannte, die Frau Schickler, hat es mir ermöglicht, dass ich bei den artistischen Proben dabei sein durfte. Ich hab sie und ihre Kollegin beobachtet, getestet und befragt und viel über ihre Motivation und ihre Strategien herausgefunden. Dabei hab ich die beiden recht gut kennengelernt.«

Materna wusste, dass die Sissi-Morde im vergangenen Jahr und die damit verbundene Beschäftigung mit der sportbesessenen Kaiserin Elisabeth Josi auf dieses Projekt gebracht hatten. Sehr gescheit, dass sie das für sich behielt. Es war besser, das Thema Elisabeth in Gegenwart von Ronacher zu vermeiden, wenn man sich keine endlosen Ergüsse über die Monarchie im Allgemeinen und die Habsburger im Besonderen anhören wollte.

Die Zaunerschnitte kam.

»Der Herr, bitte?«, fragte der Ober den neuen Gast.

Ronacher warf Materna, dann auch Josi einen fragenden Blick zu. »Ich möcht ja nicht stören …«

Materna sah kurz auf die Uhr. »Also, besonders pünktlich ist deine Freundin nicht, Josi«, stellte er fest. Dann nickte er Ronacher zu. »Passt schon.«

»Einen großen Schwarzen, bitte«, bestellte der Anwalt. Er seufzte theatralisch. »Wissen S’, gnä’ Frau, Herr Materna, meine politischen Freunde und ich – und viele andere Ischler auch – wir waren ja so froh, dass nach allem, was passiert ist, das Elisabeth-Musical vom Spielplan gestrichen worden ist. Aber jetzt diese Operette, dieses Sissi-Feuerwerk …« Alle Verachtung der Welt lag in seiner Stimme und seiner Mimik, als er diesen Titel aussprach. »Außerdem schreibt man Sisi mit einem s und nicht Sissi mit Doppel-s.«

Materna wusste das inzwischen. »Ja, die Kaiserin hat ihren Kosenamen mit einem s geschrieben. In der Operette ist halt an die Film-Sissi angeknüpft worden.« Auweh!, fuhr es ihm durch den Kopf. Jetzt hatte er unabsichtlich doch die Kaiserin erwähnt.

»No ja, eben – dieser Kitsch!«, schimpfte Ronacher.

»Ich versteh schon, was Sie meinen, Dr. Ronacher«, sagte Josi. »Ich hab mir auch nicht vorstellen können, dass das was werden kann, eine Fünfzigerjahre-Operette mit ein bisserl Sissi-Romantik und ein paar Zirkusnummern im Kaiserpark.«

Josi sprach ganz schnell weiter. »Aber das verrückte Experiment ist wirklich gelungen. Die Darsteller sind gut. Die Musik ist neu bearbeitet, sehr flott, ein bisserl jazzig arrangiert, die Dialoge sind witzig, und die Artistik-Show ist wirklich eindrucksvoll. Eine rundum gelungene Aufführung – wenn nicht dieses schlimme Unglück passiert wäre, natürlich.«

»Das mag schon sein«, raunzte Ronacher durch die Nase. »Aber ich fürchte, diese Operette ist auch wieder so ein Machwerk, in dem unsere Kaiserin diffamiert wird.«

Jetzt war unsere Kaiserin endgültig auf dem Tapet, das war Materna klar, und daran führte kein Weg mehr vorbei.

»Diffamiert?« Josi hatte gerade die Gabel mit einem Stückchen Zaunerstollen in den Mund schieben wollen, legte sie aber auf den Teller zurück. »Wieso denn diffamiert?«

»No ja, das Original soll doch eine Auflehnung gegen die sogenannte verlogene spießbürgerliche Welt sein, hab ich gelesen.« In Ronachers Gesicht zeigten sich ein paar hektische Flecken. »Und wenn das Stück für die Ischler Operettenfestspiele so umgeschrieben worden ist, dass die Kaiserin die Hauptrolle spielt, wird doch bestimmt auch wieder die kaiserliche Familie durch den Kakao …«

»Ihr Kaffee, bittschön.« Der Ober stellte den großen Schwarzen vor Ronacher hin.

»Danke«, sagte der zerstreut und schaute zuerst Josi, dann Paul Materna fragend an.

»Ich kann nicht viel dazu sagen.« Materna kämpfte gerade mit einem Stückchen Pariser Spitz, das sich nicht aufspießen lassen wollte und vom Teller zu hüpfen drohte. »Ich war bis gestern Abend im Dienst und bin erst gegen Ende der Premiere nach Ischl gekommen.«

»Es war auf gar keinen Fall diffamierend«, beschwichtigte Josi den Möchtegern-Habsburger.

»Ah – so? Meinen S’ nicht?« Ronacher wirkte nicht besonders überzeugt.

»Sonst hätte die Familie Habsburg es wohl kaum zugelassen, dass das Stück im Kaiserpark aufgeführt wird«, klinkte sich Materna nun doch ein.

»No ja, ich hab mich auch schon gefragt, warum Seine Kaiserliche Hoheit …« Er unterbrach sich.

Materna unterdrückte einigermaßen erfolgreich einen Heiterkeitsanfall.

»Es ist so«, fuhr Josi ungerührt fort. »Im Original geht es um die Geburtstagsfeier von einem Fabrikanten, auf der plötzlich sein verschollener Bruder, ein Zirkusdirektor, mit seiner Frau auftaucht. Die zwei mischen dann die ganze Gesellschaft ziemlich auf.«

»Ja, eben, ja eben.« Ronacher schubste mit einer kräftigen Kopfbewegung seinen widerspenstigen Haarschopf aus dem Gesicht. Die hektischen Flecken hatten sich inzwischen vermehrt.

»Die Geschichte ist insofern verändert, als es um den Geburtstag vom Kaiser geht.«

»No seh’n S’!«

Josi reagierte nicht auf den Einwurf. »Die junge Kaiserin hat zur Unterhaltung Zirkuskünstler eingeladen«, fuhr sie fort. »Und statt der Fabrikantentochter ist es in der Ischler Fassung sie selbst, die davon träumt, ihrem goldenen Käfig zu entfliehen, im Zirkus aufzutreten und mit den Artisten in die Welt zu ziehen.«

»No ja eben. So ein Blödsinn!«, fauchte Ronacher-Bobby.

»Und wie in der Original-Operette wird nichts draus. Die junge Elisabeth stellt sich ihrer Pflicht und fügt sich in ihre Rolle als Ehefrau und Kaiserin«, schloss Josi mit todernster Miene.

Materna hatte große Mühe, nicht laut herauszulachen. Da war Josi wirklich eine monarchistengerechte, wenn auch äußerst theatralische Formulierung gelungen.

»No ja, ich weiß net …« Ronacher war anscheinend immer noch nicht zufrieden. »Also, ich hab im Internet eine Besprechung von dieser Operette gefunden. Die war schon grauslich.«

»Grauslich?«, fragte Materna nach, bevor er sich dem Punschkrapferl zuwandte, dem finalen Stück Wonne auf seinem Teller.

»Da ist g’standen, Feuerwerk wär die erste Coming-out-Operette der Welt«, stieß Ronacher mit Todesverachtung hervor. »Womöglich behaupten s’ jetzt, unser Kaiser wär homosexuell g’wesen, wo es doch schon in diesem Musical g’heißen hat, er hätte sich bei einer … einer Professionellen mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt.« Er schnaubte durch die Nase wie ein aufgebrachtes Pferd. »Ich mein, ned dass ich was gegen Homosexuelle hätte«, fügte er schnell hinzu. »Aber unser Kaiser …«

»Niemand behauptet, Kaiser Franz Joseph wär homosexuell gewesen«, sagte Josi. »Ich hab irgendwo gelesen, dass der Komponist und der Librettist der Operette schwul gewesen sein sollen. Aber das spielt ja wohl keine Rolle, oder?«

»Ah – so! No, das ist was anderes.« Ronacher wirkte erleichtert. »Und was ist mit dem Pony?«

»Mit welchem Pony?«, fragte Materna.

»Ich hab mir das auf YouTube angeschaut. Da singt doch eine was von einem kleinen süßen Pony, das beinah wie ein Mensch ist. Das Pony spielt ein halb nackerter Tänzer mit Pferdemaske. Und nachher reitet die auch noch auf ihm. Das ist doch ekelhaft!«

Josi winkte mit einer kleinen Geste ab. »Da hat halt irgendein Regisseur das Stück mit gewissen Anspielungen interessant machen wollen. Aber doch nicht in Ischl, oder?«

»In Cottbus.«

»Na sehen S’, Dr. Ronacher. Das Pony in der Ischler Inszenierung ist übrigens ein richtiges Pony.«

»O je, das arme Viecherl«, raunzte Ronacher.

Josi sah so aus, als wollte sie etwas erwidern, aber da redete Ronacher schon weiter.

»Und überhaupt – was hat diese Zirkusg’schicht mit unserer Kaiserin zu tun?«

»Der Zirkus steht in der Operette für ein freies Leben ohne Zwänge«, antwortete Josi.

»Und, Dr. Ronacher, es ist doch bekannt, dass die Kaiserin Elisabeth unkonventionell gedacht hat«, ergänzte Materna. »Und jeder weiß, dass sie unter dem strengen Hofzeremoniell gelitten und Fernweh gehabt hat. Sie war ein … ein Freigeist.« Bei allem, was man sonst noch über die bis heute so beliebte Sissi hätte sagen können – das mit dem Freigeist stimmte.

»Und dass sie ein Faible für den Zirkus gehabt hat, ist auch verbrieft«, fügte Josi hinzu. »Sie hat als Kind und als junges Mädel verschiedene Zirkuskünste geübt und auch später noch die Kunstreiterei gepflegt.«

»Apropos Zirkus …« Materna schaute noch einmal auf die Uhr. »Es ist schon elf Uhr. Wo bleibt denn unser Gast?«

»Ja, komisch, die Antonella ist doch sonst …« Josi wurde durch ihr Handy unterbrochen. »Hallo«, sagte sie, hörte kurz zu und sprang so unvermittelt auf, dass der Poldi hochschreckte und unter dem Tisch hervorkam. »Bis gleich«, beendete sie das Gespräch.

»War sie das?«, fragte Materna.

Josi schüttelte den Kopf. »Nein, der Ben. Yvonne ist gestern noch operiert worden. Jetzt ist sie wach. Er fragt, ob wir sie besuchen wollen.«

»Jetzt gleich?«

Sie nickte.

»Ja dann …« Er stand auf. »Entschuldigen Sie uns bitte, Dr. Ronacher.«

Ronacher erhob sich und deutete eine Verbeugung an. »Selbstverständlich.«

Materna zog die Geldbörse aus der Gesäßtasche seiner Hose, winkte der Bedienung und bezahlte im Stehen.

»Auf Wiedersehen.« Josi lächelte dem Anwalt zu.

»Wiederschaun«, grüßte auch Materna.

»Küss die Hand, auf Wiederschaun.«

»Ist das nicht eine etwas ungewöhnliche Zeit für einen Krankenbesuch?«, fragte Materna, als sie Arm in Arm, den Dackel im Schlepptau, auf den Ausgang zusteuerten.

»Ben hat gesagt, die Yvonne möchte mich sehen.« Sie hielt einen Augenblick inne und streifte ihn mit einem unsicheren Blick. »Jetzt gleich. Und ich soll meinen Freund, den Polizisten, mitbringen.«

 

11.45 Uhr

Materna spürte, dass Josi seine Hand etwas fester drückte, seit sie das Salzkammergut Klinikum betreten hatten.

»Zum Glück riecht es hier nicht so arg nach Krankenhaus«, sagte sie. »Ich fühl mich immer unwohl in Kliniken. Alles ist so steril – und irgendwie unheimlich.«

»Wer mag schon Krankenhäuser? Aber ich finde, es sieht hier doch ganz freundlich aus.« Er deutete auf die Wände, an denen eindrucksvolle farbige Landschaftsfotos hingen.

Josi nickte, auch wenn sie nicht besonders überzeugt wirkte.

Als sie in den Gang einbogen, der zu Yvonnes Zimmer führte, kam ihnen ein grauhaariger Herr im Arztkittel entgegen.

»Professor Eisler!«, rief Josi, lief auf ihn zu und drückte ihm die Hand.

»Josi! Herr Materna! Grüß Gott – wie schön, Sie zu sehen! Sie wundern sich bestimmt, dass ich hier bin.«

»Grüß Gott, Herr Professor«, grüßte Materna zurück. »Wir freuen uns auch, Sie zu sehen. Aber warum sollten wir uns denn wundern?«

»Na ja, normalerweise hat man in meinem fortgeschrittenen Alter keine Sonntagsdienste mehr. Aber es ist heute Nacht um eine schwierige Operation im Bereich der Wirbelsäule gegangen, da hat man mich doch hinzugezogen.«

»Yvonne Benco?«, fragte Materna.

Eisler nickte. »Ach, Sie ermitteln in diesem Fall?«

»Ermitteln? Wie kommen Sie darauf, Herr Professor?«, fragte Materna verblüfft.

Auch Josi schaute Eisler aus weit aufgerissenen Augen an. »Aber es war doch ein Unfall? Ist sie denn nicht als Unfall eingeliefert worden?«

»Ja, schon. Natürlich. Aber wenn ich Sie sehe, Herr Materna, denke ich ganz automatisch an Ermittlungen.«

Materna lachte, aber er glaubte Eisler kein Wort.

»Liebe Josi, Herr Materna, ich bin ehrlich gesagt ziemlich müde«, fuhr der Professor fort. »Ich war die ganze Nacht in der Klinik. Ich hab gerade noch einmal nach der Patientin geschaut. Ich sollte jetzt nach Hause gehen und zwei, drei Stunden schlafen. Mögen Sie vielleicht gegen Abend auf einen Imbiss und ein Glas Wein bei mir vorbeikommen? Ich würde mich sehr freuen. Ich wohne jetzt in Altmünster, in einem kleinen, aber feinen Häuserl am See. Haben Sie Zeit und Lust?«

»Sehr gern«, sagten Materna und Josi wie aus einem Mund.

»Moment bitte.« Eisler öffnete ein paar Knöpfe seines Arztkittels, nahm eine Geldbörse aus der Hosentasche und zog daraus eine Visitenkarte hervor. Er überreichte sie Josi. »Passt es Ihnen so um halb acht?«

Beide nickten.

»Sehr schön, ich freue mich. Bis später also!« Eisler wandte sich zum Gehen. »Ach, noch etwas: Wenn Sie die Frau Benco besuchen, bitte nur kurz. Sie hat eine schwere Operation hinter sich, und ihr Zustand könnte besser sein.« Er hob noch einmal die Hand zum Gruß, dann ging er eilig den Gang hinunter zum Lift.

Josi klopfte leise an die Tür des Krankenzimmers, dann traten sie ein.

Materna fand, dass die junge Frau, die da sehr blass und sehr schmal in dem weißen Bettzeug lag, nichts mit der unwirklich anmutenden Gestalt zu tun hatte, die er gestern Abend auf der Tragbahre des Rotkreuz-Fahrzeugs gesehen hatte. Sie wirkte fast wie ein Kind – und sie war wohl auch noch sehr jung, Mitte zwanzig allerhöchstens. Das lange dunkle Haar lag wie ein Strahlenkranz um ihren Kopf auf dem Polster. Ihre braunen Augen waren glanzlos, aber sie lächelte, als sie ihren Besuch erblickte. Ihr Mann Ben saß an ihrem Bett und hielt ihre Hand. Er sah schlecht aus, hatte tiefe Ringe unter den Augen. Vermutlich hatte er kaum geschlafen.

Josi nahm Yvonnes andere Hand, die über einen langen Schlauch mit einer Infusionslösung verbunden war. »Wie geht es dir denn?«

»Geht schon.«

Die Stimme klang sehr schwach. Yvonne schloss kurz die Augen und öffnete sie dann wieder. Offenbar strengte sie alles sehr an. »Dein Freund, Josi?«

»Ja, das ist mein Freund Paul, Paul Materna.«

»Sie sind bei der Polizei, Herr Materna?«, fragte Ben.

»Ja, genau. Ich bin bei der Kripo. Hat Josi das erzählt?«

»Nein. Ich hab gesehen, dass Sie gestern mit zwei uniformierten Polizisten gekommen sind.«

Materna nickte.

»Das ist gut, dass Sie … Ich glaube …«, begann Yvonne, aber ihre Stimme erstarb mitten im Satz, und die Augen fielen ihr erneut zu.

»Sollen wir lieber gehen?«, wandte sich Josi an Ben. »Sie ist doch sehr erschöpft.«

»Bitte nicht!« Yvonne riss die Augen wieder auf. Sie atmete schwer. »Ich weiß nicht, was passiert ist. Aber etwas war komisch. Bitte kümmert euch …« Sie verstummte, offensichtlich am Ende ihrer Kraft.

»Versprochen«, hörte sich Materna sagen. »Wir kümmern uns drum.« Er wusste nicht genau, was Yvonne meinte, und wie er sich eigentlich – worum auch immer – kümmern wollte. Aber die junge Frau tat ihm leid. Außerdem wurde er das Gefühl nicht los, dass mit diesem Unfall etwas nicht stimmte.

Yvonne war nun wirklich eingeschlafen.

»Können wir kurz draußen reden?«, wandte sich Materna an Ben.

Der nickte, stand auf und warf noch einen Blick auf seine Frau, ehe sie das Zimmer verließen.

»Da vorn könnten wir uns hinsetzen.« Materna deutete auf eine Polstersitzgruppe am Ende des Ganges. »Oder möchten Sie lieber in die Cafeteria, Herr Benco?«

»Bitte sagen Sie Ben zu mir. Nein, ich bleib lieber in der Nähe. Ich muss sowieso bald los. Wir haben nachher eine Extraprobe wegen der Programmumstellung.«

»Da müssen Sie hin, obwohl es Ihrer Frau so schlecht geht?«, wunderte sich Materna.

»Klar.« Ben sah ihn an, als hätte er ihn gefragt, ob er an den Osterhasen glaubte.

Sie setzten sich.

»Sag, Ben – wie geht es ihr wirklich?«, fragte Josi.

»Es hat die Wirbelsäule erwischt. Die Operation war wohl kompliziert. Noch hat sie kein Gefühl in den Beinen und kann sie auch nicht bewegen.«

»O nein!« Josi schlug die Hand vor den Mund. Dann berührte sie sanft Bens Arm. »Der Professor Eisler wird ihr helfen – ganz bestimmt.«

»Hoffentlich! Er meint, so kurz nach der OP bedeutet das gar nichts. Es dauert einige Zeit, bis das Gefühl wieder zurückkommt.« Ben schaute Josi an, als könnte sie seine Hoffnung in Gewissheit verwandeln.

Mit kurzen, hektischen Bewegungen strich sie ihm über den Oberarm. Ihre Augen glänzten von zurückgehaltenen Tränen.

»Wir wünschen es Ihnen beiden von ganzem Herzen«, sagte Materna. Er räusperte sich. »Ihre Frau sagt, etwas sei komisch gewesen. Haben Sie eine Ahnung, was sie damit meint?«

»Nicht genau. Sie hat überhaupt keine Erinnerung an den Unfall.«

»Der Schock«, meinte Materna.

»Ja, wahrscheinlich.« Ben schaute eine Zeit lang ins Leere, dann schüttelte er langsam den Kopf. »Ich versteh das alles nicht. Ich weiß nur eins: Yvonne hat die Nummer wie im Schlaf beherrscht. Auch den Abfaller, also den Trick, bei dem sie verunglückt ist. Mit dem Kostüm hatte sie ebenfalls keine Probleme mehr.«

»Sie trägt ja diesen langen Tüllrock. Der hat ihr am Anfang ziemlich zu schaffen gemacht«, erklärte Josi. »Es ist in Wirklichkeit eine Art Hosenrock, der an den Beinen mit Gummibändern festgemacht wird. Auf diese Weise rutscht er ihr nicht über das Gesicht, wenn sie kopfüber am Trapez hängt.«

»Sie hat sich aber schnell daran gewöhnt.« Ben fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Dann sah er Materna direkt ins Gesicht. »Der Arzt, der im Publikum war und Erste Hilfe geleistet hat, hat gesagt, sie sei gefallen wie ein Sack. Wissen Sie, Herr Materna, kein Artist fällt wie ein Sack. Falltraining gehört zur Ausbildung. Ich war ja hinter der Bühne und hab das alles nicht sehen können, aber ich hab sie so komisch lachen hören. Das ist nicht ihre Art.«

»Das Lachen ist mir auch aufgefallen«, sagte Josi. »Ich hab es für eine Idee vom Regisseur gehalten.«

Materna sah Ben aufmerksam an. »Könnte das sein?«

Ben schüttelte den Kopf. »Eine Regieanweisung war das bestimmt nicht.«

»Nimmt Ihre Frau Medikamente?«

»Nein, gar keine.«

»Hat sie etwas getrunken, ich meine Alkohol? Ein bisserl gekifft vielleicht vor der Premiere, zur Beruhigung?«

»Natürlich nicht«, brause Ben auf.

»Es tut mir leid, Ben. Ich weiß, wie unangenehm solche Fragen sind. Aber wenn ich mir ein Bild machen soll, muss ich sie stellen.«

»Natürlich. Entschuldigen Sie, Herr Materna. Es ist nur …« Er schüttelte heftig den Kopf. »Ich versteh das alles nicht.«

Ich auch nicht, dachte Materna. Noch nicht. »Ich werde versuchen, der Sache nachzugehen. Nur – bitte versprechen Sie sich nicht allzu viel davon.«

»Aber Sie sind doch bei der Kripo!«

Materna zuckte die Schultern. »Schon, aber ich …« Bens verzweifelter Blick traf ihn nicht nur ins Herz, sondern auch mitten in seine Ermittlerseele. »Ich werde sehen, was ich tun kann.«

 

12.30 Uhr

Im Frühjahr hatte sie Alex überredet, den Gemüsegarten um ein kleines Gewächshaus zu erweitern. Jetzt war sie froh darüber. Bei dem vielen Regen im Frühsommer wären sonst alle Tomaten verfault. Andrea hatte sich schon immer gewünscht, eigenes Gemüse zu haben. Als das Baby unterwegs war, war ihr das noch wichtiger geworden. Jetzt lenkte sie der Garten ein wenig ab. Sie hatte ihn damals gleich angelegt, als sie nach ihrer Hochzeit mit Alex in das Haus am Ischler Stadtrand gezogen war. Der Garten tat ihr gut. Vielleicht war er das Einzige, was ihr im Moment wirklich guttat. Ihr Mann war zwar auch noch da, aber ob der ihr guttat, wusste sie nicht, schon gar nicht in letzter Zeit.

Sie legte ihre Ernte in das Körbchen, das sie über dem Arm trug, und ging zurück ins Haus. In der Küche war es still. Keine Musik, kein Radio. Sie ertrug keine Musik.

Andrea schnitt die Tomaten in Scheiben, danach die Champignons, die sie zum Waschen und Abtropfen in ein Sieb gelegt hatte. Dann knetete sie den vorbereiteten Pizzateig durch und rollte ihn aus.

Ein penetrantes Kratzgeräusch ließ sie zusammenschrecken. Der Hund bearbeitete wieder einmal mit den Pfoten die Küchentür, die gleich darauf aufflog. Der schwarze Dobermann stürmte in die Küche. Ihm folgte Sandy, unerträglich blond und solariumsgebräunt wie immer, vor allem aber unerträglich gut gelaunt wie immer. »Ah, Pizza!« Sie steckte schnuppernd die Nase in die Luft, obwohl es noch gar nichts zu riechen gab, und warf die weizengelbe Mähne in den Nacken. »Meine bitte mit Käse.«

»Ich habe keinen Käse, und das weißt du ganz genau.« Andrea nahm den eben ausgerollten Teig wieder zusammen und knetete ihn noch einmal durch, als hinge ihr Leben davon ab, kein einziges Molekül auf dem anderen zu lassen.

»Macht nichts, ich schon. Bin gleich wieder da!«

»Nimm den Hund mit«, rief Andrea ihr hinterher. »Du weißt, ich möchte es nicht, dass er in der Küche ist.«

Um ein Haar wäre Sandy an der Tür mit Alex zusammengestoßen.

»Hoppla!« Er hielt sie einen Moment mit beiden Händen an den Oberarmen fest. Der Moment dauerte deutlich länger, als es notwendig gewesen wäre.

Andrea hatte es gewusst. Sie hätte wetten können, Alex würde nicht lange auf sich warten lassen, wenn Sandy auftauchte. Die Art, wie er sie ansah, war ihr ebenso wenig entgangen wie sein ganzes Herumscharwenzeln um diese Person. Andrea war genervt, unendlich genervt von ihr und von dem albernen, gockelhaften Getue, das ihr Mann an den Tag legte, seit die sogenannte Untermieterin bei ihnen eingezogen war. Und der Hund, der immer noch sabbernd neben ihr stand, nervte sie erst recht.

Sandy hatte es nicht allzu eilig, sich von Alex loszumachen. Sie kicherte. »Bist du immer so stürmisch?«

Alex verschlang sie mit den Augen.

»Los komm, Nono«, sagte Sandy zu ihrem Hund. »Dein Typ ist hier nicht gefragt.« Sie verschwand nach draußen. Der Dobermann trottete hinter ihr her.

Andrea war dabei, die letzten Champignons auf der Pizza zu verteilen.

»Warum bist du denn so unfreundlich?«, fragte Alex. Er legte ihr die Hand auf die Schulter.

Sie wollte nicht, dass er sie berührte. Sie wollte nicht, dass irgendjemand sie berührte, aber zusammen mit dieser Frage wurde seine Berührung zu einer unerträglichen Attacke. Sie entzog sich der Hand, indem sie nach dem Pizzablech griff und sich bückte, um es in das Backrohr zu schieben.

»Unfreundlich«, wiederholte sie und stellte fest, dass ihre Stimme wie die eines Roboters klang. »Seit sie hier wohnt, hält sie sich an keine einzige Abmachung«, presste sie hervor.

»Bitte, Andrea, versuch einfach, dich mit Sandy zu vertragen. Sei froh, dass sie hier ist. Sie ist so ein positiver Mensch. Das viele Grübeln tut dir nicht gut, lass dich doch ein bisschen von ihrer guten Laune anstecken.«

Alex, hätte sie gern gesagt, Alex, vor ein paar Monaten hatte ich noch ein Kind, das Kind, das du lieben und dem du ein guter Vater sein wolltest, auch wenn es nicht deines war. Ich habe mein Kind verloren, und du willst, dass ich mich von der guten Laune dieser oberflächlichen Modepuppe anstecken lasse? Sie konnte es nicht sagen. Die Worte kamen ihr nicht über die Lippen. »Und das mit dem Hund … also das geht gar nicht«, brachte sie schließlich heraus.

»Sieh das doch nicht so eng. Ich meine, die Sandy hat den Nono gerettet …«

»Gerettet – einen reinrassigen Dobermann!« Andrea schob das Backrohr zu und regulierte die Temperatur nach.

»Ja klar, aus ganz schlechter Haltung«, sagte Alex. »Und … na ja, sie braucht ihn halt irgendwie.«

Sie braucht ihn, den Hund. Aha. Hatten sie nicht oft genug darüber gesprochen, dass es nicht fair gegenüber Tieren sei, sie zu brauchen, wozu auch immer? Dass es vom Brauchen zum Missbrauchen nur ein ganz kleiner Schritt war? Und was sie, seine Frau, brauchte, schien ihm völlig egal zu sein. Da war keine Wut in ihr, nur ein großes Erstaunen. Es war wie in einem dieser Träume, die einem unwirklich erscheinen, noch während man sie träumt. Sie spürte die innere Erstarrung, in der sie sich die meiste Zeit über befand. Wie einen festen harten Klumpen trug sie dieses grauschwarze Gefühl tagelang mit sich herum, ohne es wirklich zu empfinden. Jetzt aber breitete sich mit einem Mal eine abgrundtiefe Trauer in ihr aus. Von der Brust kroch sie in den Bauch, in den Kopf, in den ganzen Körper. Übermächtig geworden, entlud sie sich in einem Weinkrampf.

Als Alex’ Arme sie umfassten, wehrte sie sich nicht. Sie hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren.