Kaiserjagd - Jenna Theiss - E-Book
SONDERANGEBOT

Kaiserjagd E-Book

Jenna Theiss

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Darsteller des Kaiser Franz Joseph wird während der Dreharbeiten zu einem Film über Sissis Lieblingstochter Marie Valerie mit einem Jagdgewehr erschossen. Chefinspektor Materna ermittelt. »Kaiserjagd« ist der dritte Salzkammergut-Krimi um Chefinspektor Paul Materna und die Psychologin und Journalistin Josi Konarek. »Aber eins sag ich Ihnen, Materna: Wenn S' weiterhin dauernd irgendwelche Zeuginnen abknutschen, können S' demnächst auf der Kreuzung den Verkehr regeln.« Ein toter Kaiser unter dem Kaiserdenkmal in Bad Ischl. Es ist der Schauspieler Wolfgang Jarisch, Darsteller der Kaiser Franz Joseph in dem hier gedrehten Film über Sissis Lieblingstochter Marie Valerie. Chefinspektor Materna hat drei Mitglieder des Filmteams in Verdacht, die alle in Beziehung zu Frauenliebling Jarisch standen. Während Maternas Freundin Josi wieder einmal auf Umwegen mitten in die Ermittlungen gerät, führt eine neue Spur den Chefinspektor in eine ganz andere Richtung. »Die Geschichte ist spannend, mit viel Humor erzählt und liest sich mit Vergnügen.. Es sind garantierend unterhaltsame Lesestunden« (Leserstimme auf NetGalley) »Sehr gut zu lesender Regio-Krimi mit viel "schmäh" und Urlaubsfeeling und ein "Muss" für alle Sisi. Fans!« (Leserstimme auf NetGalley) »Herrlich finde ich den Ausflug nach Bad Ischl, den Besuch beim Zauner und den locker-leichten Schreibstil, der die Seiten verfliegen lässt.« (Leserstimme auf NetGalley)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mehr über unsere Autoren und Bücher: www.piper.de

Wenn Ihnen dieser Krimi gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Kaiserjagd« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.

© Piper Verlag GmbH, München 2020

Redaktion: Franz Leipold

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Scripta Literaturagentur (München)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Cover & Impressum

PERSONEN

Maternas Team im LKA Oberösterreich

Polizisten auf der Polizeiinspektion Bad Ischl

Personen rund um das Mordopfer

Personen aus dem Filmteam

Personen im weiteren Umfeld des Films

Weitere Personen

Außerdem

Freitag, 24. Mai

6.30 Uhr

7.45 Uhr

8.10 Uhr

8.40 Uhr

9.10 Uhr

10.00 Uhr

11.00 Uhr

11.45 Uhr

12.00 Uhr

13.00 Uhr – Berlin

14.15 Uhr

15.20 Uhr

16.00 Uhr

16.20 Uhr

17.20 Uhr

19.20 Uhr – Linz

Samstag, 25. Mai

8.10 Uhr

9.30 Uhr

11.00 Uhr

11.20 Uhr

12.50 Uhr

13.20 Uhr

13.30 Uhr

14.30 Uhr

15.30 Uhr

18.30 Uhr

19.00 Uhr

19.30 Uhr

20.00 Uhr

Sonntag, 26. Mai

1.45 Uhr

8.45 Uhr

10.20 Uhr

11.00 Uhr

13.30 Uhr

14.30 Uhr

14.50 Uhr

16.00 Uhr

16.30 Uhr

16.50 Uhr

19.00 Uhr

Montag, 27. Mai

8.10 Uhr

10.40 Uhr

12.20 Uhr

14.00 Uhr

14.30 Uhr

16.45 Uhr

17.40 Uhr

17.45 Uhr

18.35 Uhr

18.50 Uhr

19.40 Uhr

21.30 Uhr

Dienstag, 28. Mai

8.00 Uhr

8.30 Uhr

9.30 Uhr

11.10 Uhr

12.20 Uhr

13.20 Uhr

13.40 Uhr

13.45 Uhr

14.00 Uhr

14.20 Uhr

16.00 Uhr

16.30 Uhr

19.10 Uhr

20.00 Uhr

21.10 Uhr

21.45 Uhr

23.10 Uhr

Mittwoch, 29. Mai

8.15 Uhr

11.30 Uhr

14.25 Uhr

14.35 Uhr

16.10 Uhr

16.20 Uhr

17.20 Uhr

19.00 Uhr

20.20 Uhr

Donnerstag, 30. Mai

8.15 Uhr

10.30 Uhr

10.40 Uhr

11.00 Uhr

11.15 Uhr

11.50 Uhr

12.30 Uhr

17.30 Uhr

Freitag, 31. Mai

8.00 Uhr

13.50 Uhr

14.00 Uhr

15.00 Uhr

17.00 Uhr

Glossar

Zu guter Letzt – Danke

PERSONEN

Chefinspektor Paul Materna – Leiter des Ermittlungsbereichs Leib und Leben beim Landeskriminalamt Oberösterreich/Linz

Josephine »Josi« Konarek – Maternas Freundin; Psychologin/Wissenschaftsjournalistin, lebt in Berlin und Bad Ischl

Maternas Team im LKA Oberösterreich

Kontrollinspektor Cornelius »Conni« Laubenbacher – Maternas engster Mitarbeiter

Kontrollinspektor Christian Obermayer – dienstältester Mitarbeiter von Chefinspektor Materna und sein Stellvertreter

Abteilungsinspektor Mike Geringer – Kriminaltechniker, Chef der Tatortgruppe, Spurensicherung und Erkennungsdienst

Abteilungsinspektorin Martina »Tina« Kubitsch – überwiegend für Recherchen von der Dienststelle aus zuständig

Bezirksinspektor Lukas Markert – Greenhorn des Teams

Oberst Herbert Patzak – Leiter des LKA Oberösterreich

Polizisten auf der Polizeiinspektion Bad Ischl

Gruppeninspektor Hubert »Hubsi« Heininger

Abteilungsinspektor Harald Maurer

Gruppeninspektor Herbert Klanek

Bezirksinspektor Bernd Laimer

Revierinspektor Florian »Flo« Unterberger

Personen rund um das Mordopfer

Wolfgang Jarisch – das Mordopfer; renommierter Theater- und Filmschauspieler, spielte im Film über Erzherzogin Marie Valerie den Kaiser Franz Joseph

Leonie Thoma, geb. Schneider – junge Lebensgefährtin von Jarisch und seine Biografin

Andreas »Andi« Thoma – geschiedener Mann von Leonie Thoma

Gitta Jarisch – geschiedene Frau von Wolfgang Jarisch; ehemalige Primaballerina

Michael Jarisch – Sohn von Wolfgang Jarisch aus der Ehe mit Gitta; Student

Personen aus dem Filmteam

Valentina Greding – Darstellerin der jungen Erzherzogin Marie Valerie; kennt Josi und Materna bereits vom vorigen Jahr

Katharina Greding – Mutter von Valentina; spielt Kaiserin Elisabeth, die »Sissi«

Laura Greding – Katharinas Mutter und Valentinas Großmutter; ehemalige Schauspielerin, lebt für gewöhnlich auf Elba

Rüdiger Baum – Darsteller des Verlobten von Marie Valerie, Franz Salvator von Österreich-Toskana

Sarah Amberg – Darstellerin der Marie Louise von Wallersee

Clarissa Auerbach, »die Gräfin« – Spezialistin für höfische Etikette und Beraterin bei den Dreharbeiten; stammt aus altem Kärntner Adel

Julius Storz – springt als neuer Darsteller des Franz Joseph für den ermordeten Wolfgang Jarisch ein

Felix Reich – Regisseur des Films

Gerhard Braun – Waffenmeister

Personen im weiteren Umfeld des Films

Dr. Rainer Horvath – Katharina Gredings Psychiater

Mona Horvath – Mutter von Rainer Horvath

Tanja Moll – Klatschmagazinjournalistin bei der Boulevardzeitschrift »Weekly«

Bernie Wondraschek – Fotoreporter

Weitere Personen

Isabel Materna – Maternas erwachsene Tochter; Schmuckdesignerin, lebt in Tirol, zurzeit auf Urlaub in Ischl

Kerstin Meinhard – Touristin und Sissi-Fan; findet beim Joggen den toten Franz Joseph-Darsteller

Rosi Heininger – Haushälterin bei Wolfgang Jarisch und Leonie Thoma und Ehefrau des Polizisten Hubert Heininger

Dr. Eugen Ronacher – Rechtsanwalt; überzeugter Monarchist

Dr. Rudolf »Rudi« Lechner – Freund von Materna; Rechtsanwalt

Prof. Dr. Peter Eisler – Primar und Chefchirurg am Salzkammergut Klinikum Bad Ischl

Außerdem

Dr. Karl Wagner – praktischer Arzt

Dr. Fuchs – Notar in Bad Ischl

Ina Stadler – Rezeptionistin im Hotel Goldener Ochs

Oliver Eberhartinger – Angestellter im Hotel Schiff

Prof. Dr. Klaus Konarek – Josis geschiedener Mann; Professor für Neurologie und Psychiatrie in Wien

Juliane Bayer – Maternas geschiedene Frau; Schauspielerin

Mag. Dr. Simon Holzner – Direktor des Gymnasiums Gmunden

Alois Hirnböck – ein Zeuge

Freitag, 24. Mai

6.30 Uhr

Sie spürte, wie sich die Härchen auf ihren nackten Oberarmen aufstellten. Die Musik trieb wohlig-warme Schauer über ihren Rücken und überzog ihre Gliedmaßen mit einer Gänsehaut.

Kerstin Meinhard war bestimmt der einzige Mensch auf der Welt, der die Lieder aus dem Musical Elisabeth beim Joggen hörte. Ideal war der Rhythmus der Songs für diesen Zweck nicht, aber das Lauftempo ließ sich durchaus anpassen, wenn man sich etwas Mühe gab. Und Kerstin gab sich Mühe, denn sie wollte diese Musik hören, immer und überall.

Der Maiwind streichelte ihre Haut – und die Klänge ihre Seele. Sie sog die klare Luft des Morgens tief in die Lungen. Nur jetzt, zu dieser Zeit, da der Frühling allmählich in den Sommer überging, verströmte der Wald diesen unverwechselbar würzigen Duft – und das auch nur ganz früh am Tag.

Unglaublich, dachte sie, während sie mit federnden Schritten den Weg entlanglief, unglaublich – ich bin hier. Ich bin wirklich hier, auf den Spuren der Kaiserin! Genau wie der Elisabeth-Waldweg, den sie gestern genommen hatte, stand auch die heutige Jogging-Strecke ganz im Zeichen der Erinnerung an das Kaiserpaar. Der Weg führte von Bad Ischl am Kaiser-Jagdstandbild vorbei nach Lauffen. Bestimmt war einst die echte Sisi hier gelegentlich entlanggeritten. Sisi – so musste es nämlich richtig heißen, nicht Sissi, wie die meisten Leute sagten. Darauf legte Kerstin als begeisterter Fan der Kaiserin großen Wert.

Die Musik, unzählige Male gehört und doch immer noch von magischer Wirkung, ließ die Läuferin wie auf Wolken schweben. Leise, soweit es die Bewegung erlaubte, summte sie das Lied der jungen Kaiserin Elisabeth mit. Ich gehör nur mir … Im letzten Drittel des Liedes schraubte sich die Melodie stetig nach oben. Schließlich war eine derartige Höhe erreicht, dass Kerstin, völlig außer Atem, passen musste.

Lachend blieb sie stehen, um ein paar Dehnübungen zu machen. Sie atmete tief aus, nahm eine weite Schrittstellung ein, beugte das rechte Bein, das vorne stand, so weit es ging, streckte das linke durch und achtete darauf, dass die Ferse fest am Boden blieb, während sie mit dem Rumpf federnde Bewegungen nach vorne vollführte.

Unvermutet kam ihr ein Auto in flottem Tempo entgegen. Erschrocken sprang sie ein Stück zur Seite. Nicht nur, dass die Dreckschleuder die Waldluft verpestete, noch dazu wirbelte sie eine ordentliche Staubwolke hoch. Kerstin warf einen wütenden Blick auf das Fahrzeug und starrte ihm mit gerunzelter Stirn hinterher. Sie schüttelte sich wie ein nasser Hund. Dann lief sie weiter.

Der iPod hatte zu einer neuen Nummer aus Elisabeth gewechselt. Ohne stehen zu bleiben, drückte Kerstin zweimal auf Zurück. In dem angewählten Stück Der letzte Tanz ging es um die erste Begegnung der jungen Sisi mit einem, der ab da ihr ständiger Begleiter sein würde – dem Tod. Der harte Rhythmus der Nummer passte hervorragend zu Kerstins leicht verärgerter Stimmung. Sie holte sich neue Energie aus dem rockigen Beat des Songs. Erstaunlich – sie musste das Lauftempo gar nicht ändern.

Kerstin mochte das Lied, und vor allem mochte sie den Interpreten, einen jungen Ungarn. Wie er mit seiner Stimme die Spannung zwischen Bedrohung und Erotik hielt, war einfach fantastisch. Sie besaß einen DVD-Mitschnitt der Inszenierung, aus der diese Aufnahmen stammten, und hatte ihn schon mehrmals angesehen. Wenn der Tod so aussah wie der Kerl, der ihn spielte, wäre sie genau wie Elisabeth versucht, sich von ihm verführen zu lassen! Sie sah ihn vor sich: blond, gut gebaut, mit blitzenden blauen Augen, die seine Partnerin unter seinen Willen zwingen konnten – und die zugleich eine unendliche Zärtlichkeit verströmten. Sie seufzte genüsslich. Die gute Laune war zurück.

Rechts vor ihr tauchte das Kaiser-Jagdstandbild auf. Kerstin verlangsamte das Tempo, ging vom Laufen zum Gehen über und schaute nach oben zu dem in Bronze gegossenen Kaiser Franz Joseph auf seinem Felsen. Bekleidet mit Lederhose, Jägerjoppe und Jägerhut, stand er da, auf einen langen Stab gestützt; sein Blick war auf einen erlegten Hirsch am Fuß des Felsens gerichtet.

Kerstins Blick folgte dem des Kaisers. Vor dem Denkmal lag ein Mann – ein zweiter Franz Joseph! Ruckartig blieb sie stehen. Sie schlug die Hand vor den Mund. Der Mann trug zwar keine Jägerkleidung, sondern einen schwarzen Trainingsanzug, aber der Haarkranz um die Halbglatze war weiß, genau wie der des Kaisers auf so vielen Bildern. Sein Gesicht zierte der unverwechselbare Franz-Joseph-Backenbart.

Kerstin näherte sich vorsichtig. Die wilden Schläge ihres Herzens konnte sie bis in den Hals spüren. Das Kaiser-Ebenbild lag auf der rechten Körperseite. Die Augen waren weit geöffnet. Sie starrten ins Leere. Der Mann war tot.

Wie ohne ihr Zutun kam ein Schrei aus ihrer Kehle. Dann rannte sie los, den Weg zurück Richtung Ischl. »Der letzte Tanz …«, sang der Tod in ihr Ohr, »… gehört allein nur mir.«

7.45 Uhr

Chefinspektor Paul Materna rekelte sich auf dem Beifahrersitz des Dienstwagens und gähnte kräftig.

»Na, nicht ausgeschlafen, Chef?«, fragte Conni und zog einen Mundwinkel nach oben.

»Geht so. Sehr lange hätte ich ja eh nicht mehr schlafen können. Hab halt keine Zeit für einen Kaffee gehabt.« Schmunzelnd musterte Materna seinen bewährten Mitarbeiter. Wie meistens standen Connis Haare wirr vom Kopf ab. »Bei dir merkt man’s natürlich nicht, wenn du so plötzlich aus dem Schlaf gerissen wirst. Schaust ja immer aus, als wärst du grade aus dem Bett gefallen.«

»Pfff…«, schnaufte Conny und trat das Gaspedal weiter durch, obwohl der Tacho bereits auf 125 zeigte und auf der Salzkammergut-Bundesstraße nur 100 km/h erlaubt waren.

»Und wenn du mich schon als Chef titulieren musst – als dein Chef sag ich dir, dass du nicht so rasen sollst.«

»Wenn wir doch aber zum Tatort müssen …«

»Die Ischler Kollegen sind doch längst da. Glaubst vielleicht, die Leich’ rennt uns davon, wenn wir ein paar Minuten später kommen?«

Conni grinste und drosselte das Tempo, wenn auch halbherzig. »Das wär wenigstens einmal was Neues.«

Materna gähnte noch einmal. »Weiß man eigentlich schon was Näheres über den Toten …« Er brach ab, als sich im selben Moment sein Handy bemerkbar machte. Am Klingelton erkannte er, dass der Anruf von seiner Tochter kam. Er vergewisserte sich, dass sein Telefon nicht mit der Freisprechanlage des Dienstwagens synchronisiert war. »Isabel«, flüsterte er Conni zu, während er auf die Anrufannahme tippte und das Handy ans Ohr hielt.

»Hallo, Papa!«

Materna lächelte, als er ihre Stimme hörte. »Isi! Ich muss …«

»Ja, weiß schon, musst gleich ins Büro. Ich wollte dich nur fragen, ob ich übers Wochenende zu dir kommen kann.«

Ein kleiner Schreck fuhr ihm durch die Glieder. Ein spontaner Besuch seiner Tochter bedeutete selten etwas Gutes. »Ist etwas passiert? Bist du krank?«

»Nein, ich bin gesund. Naja – ein Problem hab ich schon. Und ich wollte halt mit dir reden.«

»Was Schlimmes?«

»Ein Problem halt. Bist du am Abend zu Hause?«

Lieber Himmel – würde er am Abend zu Hause in Linz sein können? Bisher hatte er keine Ahnung, was mit diesem neuen Fall in Ischl auf ihn zukommen mochte. »Ja«, sagte er entschlossen. »Ich denke, so um sieben kann ich daheim sein. Hast ja einen Schlüssel, falls du früher da bist als ich. Ich bin grad unterwegs nach Ischl. Wir haben da einen Toten …«

»Verstehe«, sagte Isabel. »Soll ich …«

»Nein, mein Schatz. Du sollst nicht in Tirol bleiben. Setz dich in den Zug oder ins Auto, wie du magst. Ich bin um sieben herum daheim. Spätestens um acht. Versprochen.«

»Danke, Papa.«

»Bis heute Abend also. Gute Fahrt, Isi«, beendete er das Gespräch, steckte das Telefon ein und seufzte.

»Ist was passiert?« Connis Stimme klang besorgt.

Materna lächelte. Kontrollinspektor Cornelius Laubenbacher war nicht nur sein engster Mitarbeiter. Er war mittlerweile auch ein echter Freund. Conni wusste um das innige Verhältnis zwischen ihm und seiner erwachsenen Tochter. »Ich hoffe nicht. Die Isi kommt übers Wochenende nach Linz. Sie möchte über irgendwas mit mir reden.« Er machte eine kleine Pause und schaute durch das Fenster auf die vorbeiflitzende Landschaft. Natürlich waren sie schon wieder viel zu schnell, aber das war im Augenblick sein kleinstes Problem. »Vielleicht ist der Fall ja einigermaßen klar, und du könntest eventuell am Wochenende allein … oder mit der Tina … oder mit dem Christian …« Er brach ab, als er Connis zweifelnden Blick bemerkte, auch wenn er ihn nur von der Seite sehen konnte. »Ich möchte auf jeden Fall am Abend heim nach Linz fahren«, ergänzte er. »Wenn dann noch was zu tun ist …«

»… übernehm ich das, klar. In Ischl magst nicht bleiben und der Isabel sagen, dass sie hierherkommen soll?«

»Nein. Die Josi ist noch in Berlin.«

»Ist schon blöd, dass die dauernd zwischen Berlin und Bad Ischl hin- und herpendelt, oder? Also, wenn das meine Freundin wär …«

»Ist sie aber nicht«, entgegnete Materna scharf, doch gleich darauf schlug er wieder einen freundlicheren Ton an. »Das ist schon in Ordnung. Nach Linz würde sie eh nicht ziehen, wo sie doch so ein hübsches Häuserl in Ischl hat. Aber so ganz aussöhnen mit Ischl, dass sie ständig hierbleiben tät’, kann sich die Josi halt nicht. Dazu ist zu viel passiert.«

Conni nickte. »Ich weiß. Ach so, ja, zu deiner Frage vorhin: Die Ischler Kollegen haben von der Inspektion aus beim Bereitschaftsdienst angerufen, nachdem eine Touristin den Leichenfund gemeldet hat. Da waren sie aber noch nicht am Tatort, also haben die auch nicht viel gewusst. Nur, was die Frau gesagt hat.«

»Aha. Und was hat sie gesagt?«

»Sie hat gesagt, der Kaiser Franz Joseph liegt tot vor dem Kaiser-Jagdstandbild.«

8.10 Uhr

Leonies erster Blick fiel auf den Wecker. Schon acht Uhr durch! Sie fuhr im Bett hoch. Verflixt – verschlafen! Warum hatte das vermaledeite Ding nicht geläutet? Hatte sie im Halbschlaf den Aus-Knopf gedrückt oder war die Batterie zu schwach? Egal. Sie musste Wolfgang wenigstens noch kurz sehen!

Rasch sprang sie aus dem Bett und lief auf nackten Füßen ins Bad. »Es gibt etwas, was ich mit dir besprechen muss«, hatte er am Abend gesagt. »Morgen, ja? Aber jetzt muss ich noch Text lernen und dann will ich ins Bett.« Gegen halb acht hatte er vom Nordic Walking zurück sein wollen. Drehbeginn war für ihn heute erst um neun. Sie hätten also noch Zeit gehabt, gemeinsam zu frühstücken und miteinander zu reden, bevor der Fahrer ihn um halb neun abholen würde. Die Chance war nun vertan. Leonie seufzte.

Nach einer schnellen Morgentoilette schlüpfte sie in Jeans und T-Shirt. Das lange dunkelblonde Haar fasste sie mit einem Gummiband zusammen. Dann lief sie die Stiege hinunter ins Erdgeschoss.

Bestimmt saß er inzwischen an dem ausladenden Esstisch beim Kaffee. Er frühstückte meistens dort – fast immer allein, da er für gewöhnlich sehr früh in der Maske sein musste und sie nicht wecken wollte. Manchmal war es ihr fast peinlich, dass sie mit ihren 34 Jahren morgens nicht aus dem Bett kam, wo doch er, der mehr als drei Jahrzehnte Ältere, fast täglich schon vor Drehbeginn Sport trieb. Wolfgang war fit, weil er in seinem Beruf fit sein musste. Als sie ihm einmal gestanden hatte, sie habe angesichts seiner sportlichen Aktivitäten in aller Frühe – und ihrer eigenen Morgenmuffeligkeit – ein schlechtes Gewissen, hatte er nur gelacht. »Du arbeitest schließlich oft bis tief in die Nacht hinein«, hatte er gesagt. »Das ist schon in Ordnung.«

Es wunderte sie ein bisschen, dass sie ihn nicht im Esszimmer vorfand. Aber vielleicht hatte es ihn ja bei dem schönen Wetter nach draußen gezogen, auf seine Lieblingsveranda? Er liebte jeden Winkel seines Traumschlosses, konnte gar nicht aufhören, das immer wieder zu betonen, seit es ihm gelungen war, dieses geschichtsträchtige, ganz und gar aus Holz gebaute Haus zu erwerben. Auch die Innenräume waren fast durchwegs mit Holz gestaltet, die Vertäfelungen, Böden, Treppen, die Möbel. Alles war im Stil des Fin de Siècle gehalten. Es war Wolfgang wichtig, alles so zu erhalten, wie es war.

»Wolfgang?«, rief sie. Keine Antwort. Die Veranda mit ihrem kunstvoll geschnitzten Geländer war ebenso menschenleer wie das Esszimmer.

Leonie schaute in die Bibliothek, ins Herrenzimmer, in den Salon; zuletzt lief sie in den Garten. Keine Spur von Wolfgang. Ein unangenehmer Druck legte sich auf ihre Brust. Er hatte gestern Abend etwas verstört gewirkt. War etwas mit ihm nicht in Ordnung? Worüber hatte er mit ihr heute früh sprechen wollen?

Mit ihren langen Beinen immer zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte sie die elegante Holztreppe wieder nach oben.

»Wolfgang?« Sie öffnete jede Tür zu jedem einzelnen Raum, sogar die zu ihrem eigenen Arbeitszimmer. Nichts.

Also zurück nach unten, in die Küche. Dort würde sie feststellen können, ob er gefrühstückt oder sich wenigstens einen Kaffee gemacht hatte. Ihr Puls raste.

Die Küche wirkte unberührt. Die Kaffeemaschine war kalt. Nirgendwo stand benutztes Geschirr herum, auch der Geschirrspüler war leer. Leonies Hände zitterten, als sie die Klappe der Maschine schloss.

Wahrscheinlich war Wolfgang angerufen worden, dass er doch früher am Drehort sein sollte, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Wahrscheinlich hatte der Fahrer der Produktionsfirma ihn so früh abgeholt, dass keine Zeit für einen Kaffee geblieben war. Beim Drehen eines Films wurde doch ständig umdisponiert. Sie kannte das. Aber dass er ihr nicht wenigstens eine Nachricht hinterlassen hatte, war eigenartig. Während der Dreharbeiten konnte sie ihn nicht anrufen und …

Es läutete.

Leonie ging zur Haustür und öffnete sie.

Draußen stand der Fahrer der Filmgesellschaft.

»Guten Morgen, Frau Thoma«, sagte er. »Ich möchte den Herrn Jarisch abholen.«

8.40 Uhr

»Servus, Kaiser!«, stöhnte Materna beim Anblick des Kaiser-Jagdstandbilds mit dem doppelten Franz Joseph. In seiner Funktion als Leiter der Abteilung Leib und Leben des Landeskriminalamts Oberösterreich hatte er schon viele Tote gesehen, Opfer von Mord und Totschlag in den unterschiedlichsten Umgebungen und Zuständen. Aber der Anblick dieses Kaisers zu Füßen des Kaisers wirkte so skurril, dass er sogar den routinierten Chefinspektor aus der Fassung brachte.

»Servus, Kaiser – das kannst laut sagen.« Conni fuhr sich mit einer Hand durch die Strubbelhaare.

Gruppeninspektor Herbert Klanek von der Ischler Polizei hatte sich zu den beiden Kriminalbeamten gesellt. Er machte eine Kopfbewegung in Richtung des Toten. »Ihr habt ihn ja wahrscheinlich schon erkannt, oder?«

»Auf den zweiten Blick, ja«, bestätigte Materna. »Der Franz-Joseph-Bart und die Halbglatze haben mich zuerst irritiert. Das ist doch der berühmte Wolfgang Jarisch, oder?«

»Ich kenn den auch«, sagte Conni schnell. »Nicht, dass du wieder Kulturbremse zu mir sagst, Paul. Ich hab ihn schon im Kino gesehen, und in einer Fernsehserie spielt er auch mit.«

»Ja, vor allem ist er … war er auf allen großen Bühnen der ganzen Welt zu Hause. Na Mahlzeit – wieder einmal ein prominentes Opfer, ein sehr prominentes sogar.« Materna seufzte. Er wusste nur zu gut, was das bei Oberst Patzak auslösen würde. Der Leiter des Landeskriminalamtes geriet jedes Mal in höchste Aufregung, wenn es um eine bekannte Persönlichkeit ging. Verständlich war es ja. Die Presse bedrängte die Polizei in solchen Fällen auf oft schon unerträgliche Weise. Auch das enorme Interesse der Öffentlichkeit übte einen gewaltigen Druck auf die ermittelnden Beamten und den LKA-Chef aus.

Beim Anblick des toten Schauspielers war Materna sofort klar geworden, dass er die Idee, den Fall übers Wochenende seinen Mitarbeitern anzuvertrauen, abhaken konnte. Dabei wäre es ihm so wichtig gewesen, Zeit für seine Tochter zu haben. Verdammt!

»Drehen s’ in Ischl wieder einmal einen Sissi-Film?«, erkundigte sich Conni.

Klanek schüttelte leicht den Kopf. »Nicht ganz. Diesmal geht es um Marie Valerie, die Lieblingstochter von der Kaiserin. Aber die Sissi spielt auch mit.«

»Aha.« Materna nickte. »Und – wissen wir schon was?«

»Der Doktor hat schon draufg’schaut. Da kommt er grad.«

Mit schwungvollen Schritten bewegte sich der grauhaarige Arzt auf die drei Männer zu.

»Guten Morgen, Dr. Wagner.« Materna kannte den freundlichen alten Herrn von früheren Fällen in Bad Ischl.

»Grüß Sie Gott, Herr Materna! Herr Laubenbacher! Wieder kein schöner Anlass, aus dem wir uns treffen.«

»Stimmt.« Maternas Blick glitt über den Toten. »Können Sie schon was sagen?«

»Auf den Mann ist zweimal geschossen worden. Einmal haben wir einen Durchschuss von hinten im unteren Lungenbereich, da ist das Projektil vorn wieder ausgetreten. Der zweite Schuss hat ihn direkt ins Herz getroffen. Er ist noch nicht lange tot, zwei, drei Stunden vielleicht.«

Materna und Conni traten näher.

»Genauer untersucht hab ich ihn übrigens noch nicht«, erklärte Dr. Wagner. »Ich weiß ja, dass Sie und der Herr … der Herr von der Spurensicherung immer froh sind, wenn die Leiche nicht zu viel bewegt worden ist, bevor er sie angeschaut und fotografiert hat.«

»Danke, Herr Doktor. Der Herr Geringer, unser Chefkriminaltechniker, wird das zu schätzen wissen«, bestätige Materna.

»Ach so – der kleine Zweig, der neben dem Toten liegt, ist bei der oberflächlichen Untersuchung heruntergefallen.«

»Er ist auf dem Toten gelegen?«

»Ja – ungefähr so.« Dr. Wagner hob den kleinen Tannenzweig auf und legte ihn auf die Schulter des getöteten Schauspielers.

»Sag einmal, Conni, weißt du, was es bedeutet, wenn man einen Zweig auf einen Toten legt?«, wandte sich Materna an seinen Kollegen.

Conni schüttelte stumm den Kopf.

In diesem Moment näherte sich Klanek. »Und du Herbert, weißt du vielleicht, was für eine Bedeutung es hat, wenn ein Zweig auf einem Toten liegt?«, fragte Materna auch ihn.

»Ich weiß nur, dass Jäger dem erlegten Wild einen Zweig auf das linke Schulterblatt legen, wenn sie sich aus irgendeinem Grund entfernen müssen. Sie nennen das Inbesitznahmebruch.«

»Na servus«, brummte Materna. »Da hat anscheinend jemand richtig Jagd auf den Jarisch gemacht.«

»Eine Kaiserjagd …«, sinnierte Conni. »Schau, Paul, der Mike und seine Leute sind da.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den Weg, wo gerade ein Bus hielt.

Florian Unterberger, der jüngste der Ischler Polizisten, hielt das Absperrband hoch, mit dem er und die anderen Kollegen von der örtlichen Polizei den Fundort der Leiche abgegrenzt hatten. Vier Männer und zwei Frauen in weißen Ganzkörper-Anzügen schlüpften mit ihren Köfferchen und Geräten einer nach dem anderen unter der Absperrung hindurch. Sie machten sich sofort an die Arbeit.

Mike Geringer, Leiter der Tatortgruppe und ebenfalls ganz in Weiß, betrat den Tatort als Letzter. Er begrüßte den Arzt und die Kollegen. »Ihr wart’s aber schnell«, stellte er mit Blick auf Materna und Conni fest.

Materna zuckte mit den Schultern. »Kein Wunder, beim Conni seiner Fahrweise!«

Mike grinste. »Also, ich muss dann …« sagte er. Er wandte sich dem Toten zu, fotografierte ihn von allen Seiten und fasste in die Taschen seines Trainingsanzugs.

»Ausweis? Telefon? Schlüssel?«, fragte Materna.

Mike schüttelte den Kopf. »Nichts. Nur ein Taschentuch.«

»Also, i weiß ganz genau …«, ertönte eine wohlbekannte Stimme hinter ihnen.

Der Chefinspektor drehte sich um. Der Heininger Hubsi schaute ihn an und nickte wissend mit dem Kopf.

»Servus, Heininger«, begrüßte Materna das Original der Ischler Polizeiinspektion. Wie er an den Distinktionen seiner Uniform erkennen konnte, war der ewige Revierinspektor inzwischen zum Gruppeninspektor befördert worden. »Was weißt denn ganz genau? – Du, wart einmal …«

Heininger stand so, dass der Weg nach Ischl in seinem Rücken lag. Materna reckte den Hals ein wenig und schaute an dem Ischler Polizisten vorbei.

Beim Anblick der beiden Personen, die sich dort gerade näherten, musste der Chefinspektor einerseits mit dem Lachen, andererseits aber auch mit aufsteigendem Ärger kämpfen. Die Frau, eine blondierte Endvierzigerin in einem weinroten Kostüm, stakste auf enorm hohen Stöckelschuhen, ebenfalls in Weinrot, die Waldstraße entlang und fuchtelte mit beiden Armen in der Luft herum. Der Mann hatte eine Nikon mit aufgesetztem Blitzgerät umgehängt; er umklammerte seine Kamera, als hätte er Angst, jemand könnte sie ihm jeden Moment entreißen.

Materna kannte die beiden. Es waren die Klatschreporterin Tanja Moll und der Fotograf Bernie Wondraschek vom Boulevardmagazin Weekly. Die hatten ihm gerade noch gefehlt.

Energisch stellte sich Florian den Journalisten in den Weg, als diese sich anschickten, unter dem Absperrband hindurchzuschlüpfen.

Da war Materna auch schon bei ihnen.

Blitzartig fasste Tanja Moll in ihre Schultertasche.

Materna war sofort klar, was sie da tat. Er hatte bereits das kleine Ansteckmikrofon an ihrem Revers bemerkt. In der Tasche befand sich offensichtlich ein Aufnahmegerät, das sie soeben eingeschaltet hatte.

»Herr Chefinspektor – guten Morgen!«, redete sie gleich drauflos. »Es ist doch richtig, dass Wolfgang Jarisch tot ist? War es Mord? Was können Sie uns dazu sagen?«

Müßig zu fragen, woher die beiden das nun wieder hatten. Auch wenn sie wahrscheinlich wegen des Films in Ischl waren, hatten sie garantiert den Polizeifunk abgehört.

»Ich kann und werde Ihnen gar nichts sagen«, antwortete Materna beherrscht.

»Aber die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information!« Tanja Molls Stimme hatte sich um ein paar Nuancen hochgeschraubt, ihre Augen blitzten kampfeslustig.

Wondraschek zückte die Kamera.

»Die Öffentlichkeit hat vor allem ein Recht darauf, dass die Polizei ihre Arbeit erledigt. Und die lassen Sie uns jetzt bitte machen.« Mit einem schnellen Blick vergewisserte sich Materna, dass die Journalisten von hier aus den Toten nicht sehen konnten. »Fotografiert wird auch nicht«, sagte er trotzdem zu Wondraschek. »Und jetzt gehen Sie bitte.«

»Aber …«

»Auskünfte erteilt zu gegebener Zeit unsere Pressestelle.« Materna bedachte die beiden mit einem scharfen Blick.

Das wirkte. Sie verzogen sich.

Der Chefinspektor sah ihnen kurz nach. Er wollte einigermaßen sicher sein, dass sie sich auch wirklich entfernten. Dann ging er zurück zu Dr. Wagner, der soeben seine Untersuchung an dem Toten beendete.

»Getötet hat ihn der Schuss ins Herz. Der Tod dürfte, wie gesagt, vor zwei bis drei Stunden eingetreten sein.« Der Arzt packte Fieberthermometer, Augentropfen, Taschenlampe und ein paar weitere Utensilien in seine Tasche. »Genaueres werden Ihnen die Gerichtsmediziner sagen.«

»Danke, Herr Doktor.« Materna nickte dem Arzt zu. »Und – wie schaut’s aus?«, wandte er sich an den Kriminaltechniker.

»Sicher ist, dass der Mann auf dem Weg erschossen worden ist.Die Blutspuren wirst ja auch schon gesehen haben, Paul.«

Materna nickte.

»Er dürfte zuerst angeschossen und ein Stück weiter vorne tödlich getroffen worden sein«, fuhr Mike fort. »Wir haben ein Haar gefunden, das vom Täter stammen könnte, und weiteres Material, das uns Fremd-DNA liefern könnte. Ansonsten sieht es schlecht aus mit Spuren, weil es sehr trocken ist; außerdem müssen hier in letzter Zeit ziemlich viele Leute herumgetrampelt sein.«

»Genau.« Heininger hatte die Bemerkung aufgeschnappt. »Erst gestern war eine Reisegruppe im Rahmen der Sissi-Tours an allen Orten unterwegs, die irgendwas mit dem Kaiserpaar zu tun haben.«

Mike seufzte. »Genauso schaut’s aus. Dort hinten ist eine passende Stelle, an der sich der Schütze versteckt haben könnte.« Er deutete auf dichtes Buschwerk im Abstand von etwa drei Metern zum Denkmal. »Es gibt Fußabdrücke, wenn auch sehr undeutliche. Aber etliche Zweige wurden geknickt. Patronenhülsen haben wir nicht gefunden, die hat der Täter wahrscheinlich mitgenommen. Auch das Projektil, das aus dem Körper ausgetreten sein muss, ist entfernt worden. Die Schüsse sind auf jeden Fall aus einer Langwaffe abgegeben worden, vermutlich aus einem Jagdgewehr.«

»Der Täter hat das Opfer also erschossen und es dann zum Jagdstandbild gezerrt«, stellte Materna fest.

Mike deutete auf den Boden. »Hier sind die Schleifspuren recht deutlich. Schaut so aus, als hätte er dafür eine Plastikplane verwendet. Und dort, hinter dem Denkmal, war ein Paar Nordic-Walking-Stöcke versteckt. Vermutlich ist …«

»Wolfgang!« Ein gellender Schrei unterbrach Mikes Ausführungen.

Die Köpfe der drei Männer fuhren herum. Von der Lauffener Seite her war eine noch junge Frau mit langem Pferdeschwanz in das abgesperrte Gebiet eingedrungen. Klanek versuchte gerade, sie davon abzuhalten, auf den Toten loszustürzen. Wie ein gefangenes Tier kämpfte sie gegen den Griff des Polizisten.

Mit ein paar schnellen Schritten näherte sich Materna den beiden. Er packte die Tobende an den Oberarmen und hielt sie fest. Mit einer Kopfbewegung bedeutete er Klanek, dass er loslassen konnte.

Die Frau strampelte und trat nach ihm.

Materna hielt sie weiter fest, sagte nichts, tat nichts. Er wartete. Allmählich wurden die Abwehrbewegungen weniger. Sie versiegten. Das Wüten ging in ein trockenes, tränenloses Schluchzen über. Er lockerte seinen Griff, nahm sie in die Arme und strich ihr sacht über den Rücken.

Irgendwann ließ das krampfartige Schluchzen ein wenig nach.

»Ich bin Chefinspektor Paul Materna. Und wer sind Sie?«, fragte er, ohne die Frau loszulassen. Er strich ihr ununterbrochen weiter über den Rücken.

Sie starrte ihn aus großen Augen an. Auf einmal krümmte sich ihr Körper zusammen. Sie zitterte.

Wie Josi, dachte Materna. Josi reagierte auf Aufregung auch immer mit einer Art Schüttelfrost. »Ganz ruhig. Sagen Sie mir, wer Sie sind und wo Sie wohnen?«

Keine Antwort. Starren. Heftiges Zittern.

»I weiß des.« Der Heininger war herangekommen. »Des is die Frau Thoma, die … die Grafologin vom Jarisch. Sie wohnt in der Villa Blumenthal.«

Materna schaute irritiert von Heininger zu der Frau, die er immer noch sanft festhielt. »Sie wohnen wirklich in der Villa Blumenthal?« Josi hatte ihm von dem ungewöhnlichen Haus mitten im Wald erzählt. Er kannte Fotos, hatte es schon immer einmal besichtigen wollen. Dass dort wirklich jemand wohnen könnte, war ihm bisher gar nicht in den Sinn gekommen.

Ein fast unmerkliches Nicken von Leonie Thoma schien ihm die Aussage zu bestätigen.

»Und Sie sind Grafologin?«

Kopfschütteln.

»Die halt die Lebensgeschichte vom Herrn Jarisch aufschreibt. Für ein Buch«, erklärte der Heininger.

»Ach so – Biografin.«

Keine Reaktion.

Dr. Wagner war herangekommen. »Herr Materna, ich glaube, wir sollten die junge Dame heimbringen und medizinisch versorgen. Sie steht unter Schock. Also, wenn Sie mich hier nicht mehr brauchen …«

»Natürlich. Sollen wir Sie fahren?«

Dr. Wagner schüttelte den Kopf. »Danke, das ist nicht notwendig.«

»Aber vielleicht ist es gut, wenn ein Beamter Sie begleitet?«

Der Arzt nickte. »Ja, das wäre hilfreich. Ich hol schnell meinen Wagen. Sie müssten mich bitte nur durchlassen. Er steht auf der anderen Seite.«

»Natürlich.« Materna gab die Anweisung, die Absperrung vorübergehend zu öffnen. Ein paar Minuten später hielt ein Mercedes direkt neben ihm, und der Arzt stieg aus.

Materna deutete mit einer Kopfbewegung auf Florian Unterberger, der neben ihm stand. »Wenn’s also recht ist, Herr Doktor, fährt der Kollege mit. Das ist der Herr Unterberger.«

Dr. Wagner nickte lächelnd. »Den Florian kenn ich, seit er ein kleiner Bub war. Servus, Flo.«

»Grüß Gott, Herr Doktor.«

Gemeinsam halfen sie der immer noch wortlos vor sich hin starrenden Frau auf den Rücksitz des Autos. Florian setzte sich neben sie.

»Auf Wiedersehen, Herr Materna. Ich ruf Sie an«, versprach Dr. Wagner.

Materna nickte und winkte dem Wagen des Arztes kurz nach.

»Paul?«, sagte Conni plötzlich neben ihm.

»Ja?«

»Du solltest das nicht tun, ich mein, das mit der Umarmung … weißt schon.«

Materna nickte. »Ja, ich weiß. Aber so hat sie sich doch wenigstens ein bisserl beruhigt, nicht?«

Conni seufzte.

9.10 Uhr

»Mist!« Tanja Moll stand in Strümpfen vor dem Verlags-BMW und hielt ihre Pumps hoch. Der linke Absatz war abgebrochen.

Bernie Wondraschek zuckte die Schultern. »Geh, jammer ned rum – das hat sich jetzt doch wirklich gelohnt. Außerdem hättest doch im Auto auf mich warten können, wie ich es dir gesagt habe. Dass wir keine Auskunft kriegen, erst recht kein Interview, war doch eh klar. Oder meinst, die Kieberei wird auf einmal auskunftsfreudig, nur weil wir von der anderen Seite kommen? Dein Outfit ist halt wirklich nicht sonderlich geeignet für den Wald.«

»Kann ich doch nicht wissen, dass wir im Wald landen, wenn wir Schauspieler interviewen wollen!«, fauchte Tanja Moll. Sie öffnete die Tür des Autos auf der Beifahrerseite, stieg ein und betrachtete mit zusammengezogenen Brauen den Schuh und den abgebrochenen Absatz. »600 Euro im Eimer!«

Bernie legte seine Kamera auf den Rücksitz und stieg ebenfalls ein. »Jedenfalls haben wir eine Superstory. Dafür kann man schon mal einen abgebrochenen Absatz in Kauf nehmen, oder?« Er startete den Wagen und stieg aufs Gas.

»Schon klar. Sind ja nicht deine Schuhe.« Tanja blies heftig Luft durch die Nase aus. Im Grunde hatte Bernie recht. Der Ärger wegen des kaputten Schuhs stand wirklich in keinem Verhältnis zu der Geschichte, die sie jetzt im Sack hatten. Trotzdem – sie waren der Wahnsinn gewesen, die Schuhe!

»Wir haben ein Riesenglück gehabt, dass wir die Streifenwagen gesehen haben und dass sich die Deppen von der Polizei dann über Funk gleich so deutlich über die G’schicht’ ausgelassen haben«, setzte der Fotoreporter fort. »Die Story ist der Hammer! Und die Bilder sind super.«

Tanja drehte sich um und angelte die Nikon zu sich heran.

»Pass auf!«, zischte er.

Sie wusste, dass er es nicht leiden konnte, wenn jemand anderes sein Schmuckstück anfasste. »Ich tu ihr schon nix«, sagte sie und begann, auf dem Display die Bilder durchzuklicken. Die Fotos waren wirklich klasse. »Super!«

»Des kannst laut sagen«, bestätigte Bernie. »Schließlich sind wir keine Tageszeitung, und dass wir die ersten am Tatort waren, nutzt uns ned viel. Spätestens heut Mittag haben eh alle die Infos. Aber die Fotos vom Herrn Chefinspektor in inniger Umarmung mit einer jungen Frau, die ganz aus dem Häusl ist vor lauter Trauer um den ermordeten Superstar – die haben nur wir.« Ein breites Grinsen überzog sein Gesicht. »Wetten, dass die hübsche Lady was mit dem Jarisch gehabt hat? Echt der Wahnsinn!«

10.00 Uhr

Als Materna und Conni auf der Ischler Polizeiinspektion in Roith eintrafen, hatte Abteilungsinspektor Harald Maurer bereits mit der Frau gesprochen, die den Leichenfund gemeldet hatte. Kerstin Meinhard war noch da. Sie war nach dem schockierenden Erlebnis sehr verstört gewesen und hatte das Angebot der Polizisten, mit einem Kriseninterventionsteam zu reden, angenommen. Materna sprach kurz mit ihr. Da sie immer noch verwirrt wirkte und im Moment offensichtlich nichts weiter zur Lösung des Falles beitragen konnte, entließ er sie. Sie würde ohnehin noch zwei Wochen in Ischl bleiben.

Jetzt stand erst einmal die Befragung der Filmleute an. Diese hatten die Außenaufnahmen im Kaiserpark abgebrochen. Sie erwarteten die Polizisten im Hotel Royal.

Auf der Fahrt zum Hotel rief Dr. Wagner an. »Herr Materna, ich hab der Frau Thoma ein Beruhigungsmittel gegeben. Ihr junger Kollege, der Florian, hat sich bereit erklärt, bei ihr zu bleiben, bis die Haushälterin da ist. Er hat sie verständigt. Sie kommt gleich.«

»Vielen Dank, Herr Doktor. Sehr gut, dass es jemand gibt, der sich um die Frau Thoma kümmern kann. Meinen Sie, ich kann heute noch mit ihr reden?«

»Am Nachmittag, würd ich meinen. Sie schläft jetzt.«

»Geh wui!«, ließ sich Conni vernehmen, als sie ein paar Minuten später das vornehme Hotel Royal betraten. »Edel, das muss man schon sagen!« Ein zweites bewunderndes »Geh wui!« entschlüpfte ihm unmittelbar darauf beim Anblick einer bildhübschen hochgewachsenen Mittzwanzigerin mit hüftlangen dunklen Haaren, die direkt auf sie zukam.

»Frau Greding!«, rief Materna überrascht. Er hatte die Schauspielerin letzten Sommer in Ischl kennengelernt.

»Grüß Gott, Herr Materna. Herr …«

»Kontrollinspektor Laubenbacher«, stellte Materna seinen Kollegen vor.

»Grüß Gott, Herr Laubenbacher. Valentina Greding.«

Connis Gesichtshaut verfärbte sich ins Rötliche. »Ah, dann sind Sie ja … Ich hab Sie jetzt gar nicht erkannt. Aber ich kenne Sie. Also, ich mein, ich hab Sie gesehen. Bei der Operette im Kaiserpark als Sissi.«

»Genau. Voriges Jahr war ich die Sissi, jetzt bin ich ihre Tochter, die Marie Valerie. Und die Sissi spielt diesmal meine Mutter. Aber sagen S’, Herr Materna, das ist ja eine furchtbare Geschichte. Wir sind alle ganz schockiert. Der Wolfgang Jarisch ist wirklich erschossen worden?«

»Ja, leider.« Materna beschloss, die Befragung gleich mit Valentina Greding zu beginnen. Er deutete auf eine Sitzgruppe. »Setzen wir uns?«

»Gern.«

»Schaust du bitte, dass du den Hotelmanager auftreibst, Conni?«, wandte er sich an seinen Mitarbeiter. »Wir brauchen einen Raum, wo wir in Ruhe mit den Leuten reden können.«

»Hm.« Besonders begeistert schien Conni nicht zu sein, dass er weggeschickt wurde. Er zuckte bedauernd die Schultern und schenkte der Schauspielerin noch ein warmes Lächeln. Dann machte er kehrt und bewegte sich auf den Empfang zu.

»Also, Frau Greding …«, begann Materna.

»Valentina, bitte. Ich mein, die Josi und ich kennen uns ganz gut, da wär’s doch komisch, gar so förmlich zu sein. Ist sie da?«

»Sie ist noch in Berlin. Ich hoffe, sie kommt bald.« Er merkte, dass ihm ein Seufzer entglitten war. Josi fehlte ihm. Sehr. Aber das war nicht der einzige Grund für den Seufzer. Immer wieder kannte Josi bestimmte Personen gut, die in Fälle verwickelt waren, an denen er arbeitete – oder sie war sogar mit ihnen befreundet. Auf diese Weise geriet sie mitten in die Ermittlungen, was sie schon mehrmals in gefährliche Situationen gebracht hatte. »Valentina, ist Ihnen irgendetwas aufgefallen?«, kam er schnell zur Sache. »War der Herr Jarisch in letzter Zeit anders als sonst? Haben Sie irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt?«

Sie betrachtete ein paar Augenblicke lang ihre feingliedrigen Hände. »Nein, er war wie immer«, sagte sie schließlich. »Ein Fels in der Brandung, diszipliniert, konzentriert. Allerdings waren wir immer nur bei der Arbeit zusammen. Privat kenne ich ihn so gut wie gar nicht, und es gab auch keine Gelegenheit, ihn näher kennenzulernen. Sie werden es sicher schon gehört haben, dass er eine Villa in Ischl gekauft hat. Er ist nach dem Dreh immer gleich verschwunden und jedes Mal knapp, aber pünktlich zur Arbeit gekommen. Wolfgang Jarisch ist … war ein sehr disziplinierter Künstler.«

»Und ein Schauspieler von Weltruf«, ergänzte Materna.

»Oh ja. Es war eine Ehre, mit ihm zu arbeiten.«

»Hat es Spannungen im Team gegeben, Eifersüchteleien vielleicht?«

Valentina zuckte die Achseln. »Irgendwelche Spannungen gibt es beim Drehen immer. Und der Wolfgang Jarisch war halt … ich meine, er war ein Frauentyp, auch wenn er nicht mehr der Jüngste war.«

Der Chefinspektor nickte. Jarisch hatte wirklich verdammt gut ausgesehen – zumindest bis man ihn mit der eigenartigen Bart- und Haartracht des Kaisers verunstaltet hatte. Die 66 Jahre hätte man ihm nie im Leben angesehen. Er hatte die ausdrucksstärksten Augen, die man sich vorstellen konnte. Und er war einer von den Männern, die mit den Jahren immer noch mehr an Persönlichkeit und Ausstrahlung dazugewinnen. »Gibt es Damen im Team, mit denen Herr Jarisch eine Affäre gehabt hat?«

»Das glaub ich eigentlich nicht, auch wenn vielleicht …« Erschrocken brach Valentina ab.

»Wenn vielleicht – was?« Materna sah sie aufmerksam an.

»… wenn vielleicht die eine oder andere ein Auge auf ihn geworfen hat.« Sie biss sich auf die Lippen.

Materna hatte das Anzeichen von Nervosität bemerkt. Vermutlich war es der Schauspielerin unangenehm, auf diese Weise über Kolleginnen zu reden. »Bitte seien Sie ganz offen«, bat er. »Bedenken Sie, es geht um Mord. Also – hat sich eine der Damen besonders um den Herrn Jarisch bemüht?«

»Sarah Amberg eventuell. Sie war viel um ihn rum, aber mehr kann ich dazu nicht sagen. Die Sarah spielt die Marie Luise von Wallersee. Soweit ich weiß, ist ihre Rolle abgedreht.« Valentina schaute kurz ins Leere. »Ich glaub, auch die Gräfin war interessiert an ihm«, sagte sie dann.

»Die Gräfin?«

»Ja, Clarissa Gräfin von Auerbach. Oder korrekt: Frau Clarissa Auerbach. Sie stammt aus einer Kärntner Adelsfamilie und arbeitet bei diesem Film als Beraterin für höfische Etikette.«

»Danke, Valentina. Wir werden ohnehin mit allen reden. Wir müssen feststellen, wer sich zur fraglichen Zeit wo aufgehalten hat. Und der Form halber muss ich auch Ihnen die Frage stellen: Wo waren Sie heute in der Früh zwischen 5.00 und 7.00 Uhr?«

»Um fünf hab ich mir das Frühstück aufs Zimmer bringen lassen, danach war ich in der Maske.«

»So früh?«

»Wenn wir Außenaufnahmen haben, müssen die Schauspieler, die in den ersten Szenen dran sind, sehr zeitig in der Maske sein.«

Materna nickte und grinste verstohlen in sich hinein. Seine geschiedene Frau Juliane war auch Schauspielerin. Womöglich war das der Grund, warum sie nie in einem Film mitgewirkt und immer nur Theater gespielt hatte. Sie hasste es, früh aufstehen zu müssen. »Und die Maskenbildner arbeiten wo?«, erkundigte er sich.

»Immer am jeweiligen Drehort in einem Zelt. Heute war das der Kaiserpark. Gestern sind Jagdszenen gedreht worden, in Rettenbach, glaube ich. Da war ich nicht dabei.«

»Wer außer Ihnen war heute um diese Zeit am Drehort?«

»Nicola Schwarz. Sie spielt die Gisela, meine ältere Schwester. Und der Rüdiger Baum. Der wäre eigentlich erst um halb sieben dran gewesen. Er ist aber schon um sechs in der Maske rumgestanden.«

Materna registrierte, dass sie ganz kurz die Augen verdreht hatte. Vermutlich war ihr der herumstehende Kollege auf die Nerven gegangen.

»Rüdiger Baum ist mein Partner«, erklärte Valentina, die seinen fragenden Blick anscheinend bemerkt hatte. »Er spielt meinen Verlobten und späteren Ehemann, Franz Salvator von Toskana.«

Materna schrieb die Namen in sein abgegriffenes Notizbuch, das er nach wie vor allen elektronischen Geräten vorzog. »Und Ihre Mutter spielt die Kaiserin?«

Valentina nickte. »Ja. Ich komme aus einer Schauspielerfamilie.«

»Ach – dann ist Ihre Mutter Katharina Greding?« Materna kannte den Namen, hatte ihn aber bisher nicht mit Valentina in Verbindung gebracht.

»Ja, genau. Mein Bruder Alexander ist auch Schauspieler und Sänger, so wie ich.«

»Ihre Mutter musste aber nicht so früh in der Maske sein?«

»Nein, das Kaiserpaar war heute später dran.« Valentina fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich meine, meine Mutter und Wolfgang wären heute später dran gewesen.«

»Vielen Dank, Valentina.« Materna klappte sein Notizbuch zu. Lächelnd schaute er sie an. »Das ist sicher interessant, Mutter und Tochter in einem Film … wie damals in den Sissi-Filmen Magda und Romy Schneider.«

»Ja«, sagte Valentina und sah zu Boden.

11.00 Uhr

Der Regisseur Felix Reich rannte in dem Zimmer, das die Hoteldirektion für die Befragungen zur Verfügung gestellt hatte, auf und ab. »Das ist eine Katastrophe, meine Herren! Eine echte Katastrophe! Wenigstens haben wir noch nicht allzu viele Szenen mit Jarisch gedreht. Bei einigen kann man auch den neuen Darsteller reinschneiden, aber trotzdem …«

Materna warf Conni einen Blick zu. Die Trauer um den Schauspieler schien bei dem Regisseur nicht sehr ausgeprägt zu sein, zumindest nicht im Vergleich zu dem Ärger über den entstandenen Schaden für den Film. In jedem Fall war der Tod dieses wichtigen Darstellers wohl kaum im Interesse von Felix Reich. »Haben Sie schon Ersatz für Herrn Jarisch im Auge?«

Reich blieb abrupt stehen. »Ersatz! Ersatz!«, blaffte er. »Es gibt keinen Ersatz für einen Wolfgang Jarisch! Wissen Sie, wie viele Preise der Mann gewonnen hat?«

Materna wusste es. Er hatte inzwischen schnell über Jarisch sowie über Katharina Greding im Internet nachgelesen. Zu Wort kam er allerdings nicht.

»Der ganze Film ist … ach, was!« Reich schüttelte heftig den Kopf. Der Blick, den er den beiden Polizisten zuwarf, wirkte fast mitleidig über so viel Unverständnis. »Der Jarisch war ein Weltstar«, versuchte er es dann doch mit einer Erklärung. »Und der Film, den wir hier drehen, das ist keine billige Unterhaltungsschnulze. Er verlangt Schauspieler von Format. Die Geschichte von Marie Valerie ist komplex und psychologisch hochinteressant, besonders die Beziehung zwischen der Kaiserin und ihrer Lieblingstochter. Elisabeth hat Valerie die Einzige genannt und schließlich ja auch dafür gesorgt, dass sie die Kaiservilla geerbt hat. Ischl war für Valerie sehr wichtig. Sie hat in Ischl geheiratet …«

Conni hatte die Hände verschränkt und drehte die Daumen umeinander. Ein für ihn typisches Verhalten, wenn er ungeduldig wurde.

Materna dagegen ließ die Leute gerne einfach reden. Er wusste, dass sie auf diese Weise oft mehr verrieten, als wenn man sie direkt befragte. Aber Conni hatte recht. Sie hatten jede Menge Einvernahmen vor sich und mussten ökonomisch vorgehen. »Ja, ich habe darüber gelesen«, unterbrach er höflich, aber bestimmt die Ausführungen des Regisseurs. »Ischl ist aber nicht der einzige Drehort, oder?«

»Nein, nur der erste. Als Nächstes drehen wir auf Schloss Lichtegg in Wels, dann in Wien natürlich, und schließlich auf Schloss Wallsee an der Donau, also an allen Orten, an denen Marie Valerie gelebt hat. Für einige Kindheitsszenen werden wir auch nach Ungarn gehen. Valerie hat ja, vor allem in ihren jungen Jahren, sehr viel Zeit dort verbracht, sodass man sie das ungarische Kind nannte.«

»Ah – ja. Herr Reich, Sie können uns doch bestimmt sagen, ob während der vergangenen Tage irgendetwas an Wolfgang Jarisch oder um Herrn Jarisch herum auffällig war«, lenkte Materna das Gespräch wieder in die gewünschte Bahn.

»Auffällig? Hm … Der Wolfgang war recht euphorisch wegen dieser Villa. Er war ganz selig, dass er sie erwerben konnte.«

»Irgendwelche Feindschaften, Streitigkeiten, Eifersucht, heftige Liebesgeschichten im Team?«

»Nicht mehr als üblich. Wissen Sie, Herr … ähm …«

»Materna.«

»… Herr Materna, wenn es wegen jedem Streit oder wegen jeder heißen Affäre Mord und Totschlag gäbe, dann hätten wir so gut wie keine Schauspieler mehr. Wolfgang Jarisch hatte garantiert Neider, ganz sicher auch irgendwelche Bettgeschichten, aber …« Reich unterbrach, als sein Handy die Kennmelodie aus dem Film Der rosarote Panther zu dudeln begann. Er zog es aus der Tasche, hielt es ans Ohr und hörte kurz zu. »Ja, dann sollen sie sie schicken. Alle drei! Wir machen morgen ein Schnellcasting. Um acht. Danke.«

Mit einer fahrigen Bewegung steckte der Regisseur das Telefon zurück in die Tasche. »Meine Sekretärin«, erklärte er den Polizisten. »Es geht um die Neubesetzung.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und einen weiteren, sehr genervt wirkenden auf die Polizisten. »Entschuldigen Sie, aber …«

»Herr Reich, wir werden Sie nicht mehr lange aufhalten«, sagte Materna. »Wir brauchen jedoch eine Liste mit allen, die am Film beteiligt sind, also Schauspieler, aber auch Kameraleute, Requisiteure, Assistenten, Maskenbildner und so weiter. Mit Heimatadresse, Anschrift in Bad Ischl, sofern sie nicht hier im Hotel wohnen, und dazu die Autonummern von allen, die mit dem eigenen Wagen angereist sind.«

»Meine Sekretärin, die Frau Winkler, wird Ihnen alles geben. Sie ist oben. Wir haben ein Zimmer in meiner Suite als Büro eingerichtet. Fragen Sie nach der Kristall-Suite.«

Conni verdrehte leicht die Augen. Es war ihm anzusehen, dass er überlegte, wie viel eine Unterkunft, die Kristall-Suite hieß, wohl pro Nacht kosten würde.

Materna nickte. »Gut. Vielen Dank. Eine Frage noch: Ich gehe davon aus, dass in einem Film, in dem der Kaiser Franz Joseph eine Rolle spielt, Gewehre benötigt werden. Um welche Art von Waffen handelt es sich dabei?«

»Wenn Sie wissen wollen, ob wir Spielzeuggewehre verwenden – natürlich nicht! Die Waffen sind echt. Sie sind alt, viele davon sehr wertvoll. Zum Beispiel haben wir einige Ischler Büchsen, wie sie der Kaiser für die Jagd bevorzugt hat. Geschossen wird in den Jagdszenen natürlich mit Platzpatronen.«

»Das heißt, man könnte mit diesen Gewehren auch scharf schießen?«, erkundigte sich Conni.

»Ja.«

»Können Sie uns bitte sagen, wo die Waffen zu finden sind, und dafür sorgen, dass unsere Leute Zutritt zu ihnen haben?«

»Die Gewehre befinden sich in einem besonders gesicherten Lkw, mit dem sie zum jeweiligen Drehort gebracht werden. Unser Waffenmeister, Herr Braun, wird Ihnen weiterhelfen. Ich gebe Ihnen noch schnell seine Handynummer, aber dann muss ich wirklich …« Reich seufzte leise und diktierte die Nummer des Waffenmeisters. Sowohl Materna als auch Conni speicherten sie in ihr Handy.

Erneut machte sich Der Rosarote Panther bemerkbar.

»Na bravo!«, schimpfte der Regisseur. Mit verdrehten Augen nahm er den Anruf an. Ein, zwei Minuten lang hörte er schweigend zu. Er begann, wieder auf und ab zu rennen. »Katharina, ich hab deine Faxen satt!«, schrie er plötzlich in das Telefon. »Jetzt tu bitte nicht so, als würdest du entsetzlich um Wolfgang trauern. Selbstverständlich kannst du morgen arbeiten! Basta!« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und steckte das Handy weg. »Schauspieler!«, stöhnte er. »Oder noch schlimmer: Schauspielerinnen!«

Materna war hellhörig geworden, ließ sich das aber nicht anmerken. »Frau Greding geht es nicht gut?«

»Ach was, alles nur Theater. Wenn Sie mich fragen: Die hat den Jarisch nicht leiden können. Jetzt demonstriert sie mal wieder, was für ein sensibles Seelchen sie doch hat, liegt in ihrem Zimmer herum und pflegt ihre Depressionen.«

»War es beim Drehen nicht schwierig, wenn die Frau Greding den Herrn Jarisch nicht leiden konnte? Immerhin haben sie im Film ein Paar spielen müssen.«

Ein leichtes Grinsen huschte über das Gesicht des Regisseurs. »Das passt ganz gut. Die echte Kaiserin hat sich ja auch nicht allzu viel aus ihrer besseren Hälfte gemacht.«

Materna nickte. Durch die Sissi-Morde vor zwei Jahren war er mit der Geschichte der Habsburger Monarchie und dem Charakter der Kaiserin Elisabeth ganz gut vertraut. »Sie wollen morgen weiterdrehen?«

»Heute noch! Wir ziehen eine Szene ohne den Kaiser vor. Morgen casten wir den Ersatz für Jarisch. Jetzt müssen wir schauen, wie wir im Zeitrahmen bleiben. Die nächste Location ist schon gebucht. Es wäre eine totale Katastrophe, wenn diese Sache jetzt alles über den Haufen schmeißt.« An Reichs Schläfen traten die Adern hervor. Er schnappte nach Luft.

Materna zog eine Visitenkarte aus der Tasche und händigte sie dem Regisseur aus. »Vielen Dank, Herr Reich, das war’s für heute«, verabschiedete er sich. Gefolgt von Conni verließ er eilig den Raum. Er musste mit Katharina Greding sprechen. Jetzt gleich.

11.45 Uhr

Das Erste, was Leonie wahrnahm, war ein süßlicher Duft. Langsam öffnete sie die Augen. Der Duft entströmte einer Tasse, die mit einer dampfenden Flüssigkeit gefüllt war. Jemand hatte sie auf ein kleines Tischchen neben dem Sofa gestellt. Sie schlug die Wolldecke zurück, in die sie eingehüllt war, und setzte sich auf.

Im selben Moment wurde die Tür geöffnet.

»Rosi!«, rief Leonie, als ihre Haushaltshilfe leise und vorsichtig das Zimmer betrat. »Ich hab gar nicht gewusst, dass Sie heute kommen wollten. Ich muss eingeschlafen sein. Wie spät ist es denn?«

Rosi warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Dreiviertel zwölf.«

»Warum schlafe ich denn am helllichten Tag? Stellen Sie sich vor – ich hab geträumt, der Wolfgang, also der Herr Jarisch, liegt zu Füßen des Kaisers wie ein erschossener Hirsch. So was Irres!« Leonie schüttelte heftig den Kopf.

»Jessasmarandjosef«, stieß die Rosi hervor. »Sie haben’s vergessen …«

»Vergessen? Was?« Leonie richtete sich auf. Eine unbestimmte, nicht greifbare Angst kroch durch ihren Körper.

Ende der Leseprobe