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Redakteur Eich Perner und seine Mitarbeiter sehen sich seit dem Einzug der Amerikaner, Briten und Franzosen im August 1945 in Wien mit der Tatsache konfrontiert, dass die drei Westalliierten neben den Russen versuchen, in ihrer Besatzungszone eine starke, mediale Hegemonie zu errichten. In den ersten Jahren der "Kleinen Österreichischen Zeitung" scheint das größte Problem offensichtlich in der allgemeinen Papierknappheit zu liegen, auch wenn es in den ersten Ausgaben bloß um vier Seiten geht, die in den alten Maschinen gesetzt und gedruckt werden. Und wenn schließlich alles funktioniert, kann man nur hoffen, dass es keinen Stromausfall gibt. Größtes Problem aber ist die Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln. Das Land befindet sich in einer tiefen Krise und die bleibt nicht nur auf Österreich alleine beschränkt. Die Sowjets etwa versuchen vehement Europa zu schwächen. Die Erzählung dieser Zeitreise über jene kleine Zeitungsredaktion und ihre Redakteure spiegelt jedoch nicht nur die Berichterstattung aktueller Ereignisse im In- und Ausland wider sondern auch die Bemühungen einzelner um die Konstitution einer für alle Mitarbeiter längst fälligen Journalistengewerkschaft. Die Menschen sind politisch interessiert, sei es im Kaffeehaus, in dem sich die Redakteure gerne Denkanstöße von Ober Franz holen oder in der nahen Trafik. Die Ereignisse der letzten Jahrzehnte scheinen sich im Zeitraffer zu überschlagen und reichen von den Bemühungen um den Staatsvertrag über den Ungarnaufstand, die Kubakrise und dem Einmarsch der Russen in die Tschechoslowakei bis hin zum bekannten Waffendeal der siebziger Jahre, der weitreichende Folgen nach sich zieht.
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Seitenzahl: 311
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Norbert Johannes Prenner
Das ungeteilte Vertrauen
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Impressum neobooks
Die Aussicht
Man schrieb den 24. April 1947. Obwohl es kaum etwas zu essen gab und der Hunger nach Information eben so groß war wie der nach einer ordentlichen Mahlzeit, begnügte sich Erich an diesem Tage damit, sich an irgendeinem Kiosk anzustellen, um ein Exemplar der „Österreichischen Zeitung“ zu ergattern, die paradoxerweise zwar den Namen der wiedergewonnen Heimat trug, aber keine österreichische Zeitung war. In letzter Zeit war die Aufregung unter der Bevölkerung über die bevorstehende Rückkehr aller deutschen Kriegsgefangenen groß, da die Außenminister der Großen Vier nach langem Hin und Her übereingekommen waren, sämtliche in Russland zurückgehaltenen deutschen Gefangenen in ihre Heimat zurückkehren zu lassen, wonach alle hofften, dass ihre seit langem vermissten Familienangehörigen oder Freunde dabei sein könnten.
Erich erstand also für seine letzten Groschen ein Exemplar jenes Sprachrohres der Roten Armee, in dem Bewusstsein, dass diese Zeitung von einem in Moskau zusammengestellten und ausgebildeten Team von Offizieren redigiert worden war, und in der Hoffnung, dass diese Zeitung am neuesten Stand der Informationen war, obwohl das „Neue Österreich“ dieser Zeitung in der Lesergunst längst den Rang abgelaufen hatte. Mit der Zeitung unterm Arm begab er sich schnurstracks ins Café Bräunerhof und ließ zunächst einmal beim Ober einen kleinen Schwarzen anschreiben, denn als Redakteur war er dort ein gern gesehener Gast und aufgrund der Tatsache, dass er stets die neuesten Nachrichten mitbrachte, auch kreditwürdig. Um 15 Uhr würde er seine Frau am Stephansplatz treffen, so blieben noch ganze zwei Stunden bis dahin, und die gehörten ihm, ihm ganz alleine, in seiner Hoffnung, dass die Verantwortlichen dieser Welt den dringenden Appell Papst Pius des XII. zur Wahrung der Moral und der Einigkeit ernst nehmen mochten, um die Gegensätze, die sich auf politischem, sozialem, wirtschaftlichem und vor allem kulturellem Gebiet in den letzten Jahren entwickelt hatten, auf einen Nenner zu bringen.
Zustände, vor denen selbst die mutigsten Menschen in den letzten Jahren erschaudern mussten. Seit dem Einzug der Amerikaner, Briten und Franzosen im August 1945 hatten die drei Westalliierten vergeblich versucht, in ihrer Besatzungszone eine starke, mediale Hegemonie zu errichten, wobei sie neben ihren Zeitungen auch die Rundfunkstationen Rot-Weiß-Rot und Alpenland betrieben. Zusätzlich zur Österreichischen Zeitung der Russen fungierte der von Amerikanern gegründete Wiener Kurier als Sprachrohr britischer Vormundschaft. Das hatte man nun davon. Amüsiert über den Bericht vom Staatsbankett im Kreml, bei dem angeblich nichts von all´ den Spannungen bemerkt wurde, welches Stalin mit einem Trinkspruch eröffnet hatte, und bei dem Molotow ihn mit zwanzig Trinksprüchen wohl zu übertreffen gedachte, bestellte er ein Glas Wasser und war sich darüber im Klaren, dass die frommen Wünsche der Amerikaner nach einer raschen Lösung solche bleiben würden, und zwar für längere Zeit.
„Was meinen Sie, Herr Franz, wie lange werden uns die in Moskau noch an der Nase herumführen?“ fragte er den Ober. „Also, wenn Sie mich so fragen, Herr Doktor, dann kann ich nur eins sagen, ein Kompromiss wird´s werden, mehr dürfen wir nicht erwarten, Sie werden sehen! Aber - wenn ich die dummen Sprüch´ von den Engländern schon hör´, dass es keinen Grund gibt, dass Österreich nicht ein blühendes Land werden könnte, dann vergeht´s mir, wenn Sie wissen was ich meine!“ „Ja, natürlich“, entgegnete Erich nachdenklich, vergeblich in seinen Taschen nach einer Zigarette kramend. „Nehmen´s eine von mir, Herr Doktor, bitte! Sie sind ja Stammkunde g´wesn, immer schon, hoffentlich bleiben´s uns auch in Zukunft treu!“ Erich bedankte sich höflich und bat um Feuer. „Und noch was sag´ ich Ihnen.
Wenn die Russen nicht so arrogant und verstockt wären und nicht alles blockieren täten, dann hätt´ ma schon längst unsern Vertrag und a Ruh´ wär, finden´s nicht?“ „Sicher. Im Zeitschinden sind sie einmalig auf der Welt. Leider wird auch die Kluft zwischen den beiden Großen immer gewaltiger. Überall nur Krisen. Die griechische, die türkische und weiß der Teufel noch welche!“ „Wem sagen Sie das, Herr Doktor. Und dabei versichert man und uns täglich, dass weder die Russen, noch die Herren Amerikaner einen neuen Krieg wünschen.“ „Eben. Zwei Jahre dauert das Debakel um den sogenannten dauerhaften Frieden nun schon. Bis jetzt sind sie in ihren Verhandlungen über theoretisches Bla-Bla nicht hinausgekommen. Jetzt brauchen wir den Truman, der uns mitteilt, dass mit der Bergpredigt vor 2000 Jahren bereits alle Voraussetzungen für einen dauerhaften Völkerfrieden geschaffen worden sind!“ Beide lachten herzlich.
„Das ist wirklich ein guter Witz, Herr Doktor, nur glaub´ ich, wird das die gottlosen Russen einen Dreck kümmern, wenn Sie verstehen, was ich mein´.“ „Da haben Sie auch wieder Recht, Herr Franz. Wie ich immer sag´, der Russ hat noch was ganz Anderes vor, sonst täten die nicht so darauf drängen, dass die Amis hier möglichst bald wieder abziehen und gar ihnen das Territorium überlassen. Bei dem Gedanken fühl´ ich mich gar nicht wohl. Sie doch auch nicht, oder?“ „Na, das können´s glauben. Aber – nicht bös´ sein Herr Doktor, ich muss – dort drüben, Kundschaft!“ Erich wandte sich wieder seiner Zeitung zu. Zumindest brauchte er heute nicht vor 17 Uhr in der Redaktion sein. Er war in Sorge, dass das Papier für die Abendaus-gabe wieder nicht reichen würde. Der Volksstimme ging es da schon besser, die wurden von den Sowjets mit den Lieferungen bevorzugt behandelt. In der Regel ging es ohnehin bloß um vier Seiten, die in den alten Maschinen, mühsam zusammengeflickt, gesetzt und gedruckt wurden. Und wenn schließlich alles funktionierte, konnte man nur hoffen, dass es keinen Stromausfall gab. Wer von den Journalisten nicht das Glück hatte, für eine Besatzungsmacht zu schreiben, musste seine Artikel eben mit leerem Magen verfassen, und das Hungergefühl verstärkte sich nach Redaktionsschluss nur noch mehr, wenn es nicht vom Arbeitsstress verdrängt wurde.
Danach ging man nach Hause, in der Hoffnung, nicht vom großen Unbekannten überrascht zu werden, über dessen Untaten man zuvor lang und breit berichtet hatte. Dabei gehörte Erich noch zu den Glücklichen, einen Arbeitsplatz zu haben, auch wenn dabei ein Teil seines Lohnes nur in Naturalien abgegolten wurde, die mit Geld gar nicht zu bezahlen gewesen wären. Immerhin, man konnte genug Brot und Gemüse, zwar kaum Fleisch, jedoch Fett, Zucker, Milch- und Eipulver bekommen, und – es gab Zigaretten und Kaffee von den Amerikanern. Erich blickte über den Rand seiner Brille und sah s i e lange an. Sie war dunkelhaarig, schwarzes Kostüm, Mitte vierzig, schien groß und schlank und saß an einem kleinen Tisch am straßenseitigen Fenster. Sie blätterte offensichtlich bloß so zum Schein in einer Broschüre, ohne richtig darin zu lesen und rauchte. Aus dem Volksempfänger konnte man leise Straußwalzer hören. Erich schrieb ein paar Notizen auf den Zeitungsrand, die ihm für die bevorstehende Redaktionssitzung wichtig schienen, die Dame in Schwarz immer wieder beobachtend.
Mit der Aufnahme seiner journalistischen Arbeit und seiner Verantwortung gegenüber dem wieder erstandenen Österreich war auch bei ihm der Wunsch nach Absicherung der beruflichen Tätigkeit erwacht, denn schließlich träumte jeder von der Verbesserung seiner Arbeitsbedingungen, ja, träumte davon, irgendwie einen Ausweg aus den herrschenden chaotischen Verhältnissen zu finden. Einige Kollegen aus den Redaktionen der Arbeiter-Zeitung, des Kleinen Volksblattes, der Volksstimme und des Neuen Österreich hatten sich bereits vor zwei Jahren getroffen, um die Möglichkeiten zur Gründung einer alle politischen Gruppierungen umfassenden gewerkschaftlichen Organisation zu erkunden. Man hatte ein Komitee gegründet, das den Auftrag erhalten hatte, alle in Wien anwesenden demokratischen Vorkriegsjournalisten zusammenzutrommeln, um vorerst einmal mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund Fühlung aufzunehmen, mit dem Ziel, sich in eine überparteiliche Bewegung einzugliedern.
Doch obwohl Erich über seine eigene Situation in dieser Sache angestrengt nachdachte, warf er immer wieder prüfende Blicke in Richtung jener Dame am Fenster. Inzwischen war auch sein Kaffee kalt geworden. Die Dame in Schwarz rauchte eine Zigarette nach der anderen. Vier Herren in amerikanischen Uniformen hatten in der Zwischenzeit neben dem uralten, schwarzen Piano Platz genommen und tranken helles Bier aus schmalen, hohen Gläsern. Sie unterhielten sich dezent, nicht so unzivilisiert, wie die Russen neulich. Es war bereits viertel nach eins. Einigermaßen entspannt lehnte sich Erich an die mit grünem Kunstleder bespannte Lehne der Sitzbank und gähnte. Ober Franz stand unbeweglich an der Theke und warf ihm verständnisvolle Blicke zu. Dabei deutete er mit seinem Kopf in Richtung der Dame am Fenster. Erich nickte. Man hatte sich verstanden, was auch immer es hätte bedeuten sollen, als plötzlich Carl an Erichs Tisch trat, heller Staubmantel, Kragen hochgestellt, einen Packen Zeitungen unterm Arm.
„Hier versteckst du dich also, gut, dass ich dich gefunden habe! Es gibt Neuigkeiten, mein Lieber!“ „Was du nicht sagst. So setz dich doch endlich!“ forderte er Carl auf. „Du trinkst doch ein Bier mit mir, wenn ich dir erlaube, mich einzuladen, oder? Du schaust aus, als ob du bezahlen könntest!“ Sie lachten beide herzlich. „Herr Franz! Zwei Helle wenn ich bitten darf!“ rief Carl dem Ober zu. „Sehr wohl die Herren. Hamma was zu feiern oder was?“ „Also wo brennt´s?“ fragte Erich. Carl, der inzwischen seinen Mantel abgelegt und sich gesetzt hatte, begann:“ Also, hör´ zu.“ Er sprach aber nicht weiter, sondern drehte sich vorsichtig um in Richtung Dame am Fenster und fragte ganz leise:“ Wer ist die, bitte schön? Wieso sitzt du noch hier?“ „Also, ich bin ein treuer Ehemann, ja! Nur damit du´s weißt. Wer sie ist, weiß ich leider auch nicht. Ich habe bis jetzt nur festgestellt, dass sie hervorragend rauchen kann.“ Sie lachten laut. „Vage Auskünfte, Herr Doktor, sehr vage!
So, im Ernst, die Sache ist die: Es gibt da ein paar Gestrige, die von nichts gewusst haben wollen, wie die beiden Ex-Propagandisten aus dem Zwanzigsten. Du weißt, wen ich meine! Jetzt, wo die Amis da sind, sind sie gar nicht mehr so vorlaut wie damals. Dahin ist der Heldenmut, und vom Tausendjährigen Reich ist nix mehr übrig, so schaut´s aus! Sie wollen zu uns, in die Redaktion!“ „Nein, das gibt´s nicht!“ „Doch“ Dooch!“ „Das täte ihnen so passen! Haben die noch die alten Ausweise?“. „Das musst du die Leute aus dem Proponentenkomitee fragen. Jedenfalls haben beide die Fragen nach ihrer Mitgliedschaft mit „Nein“ angekreuzt. „Das sieht ihnen ähnlich. Wie lässt sich das mit ihrer viel gerühmten Ehre vereinen, frag´ ich mich, was, Carl?“ „Ja, jetzt sagen´s nix mehr, die Burschen. Erst stramm stehen, dann die Knie hängen lassen. Das sind mir die Richtigen. Der Ober brachte das Bier. „Bitte sehr, ein Krügerl für Herrn Doktor! Ein Krügerl für den Herrn Redakteur! Sehr zum Wohl´ die Herren!“ Sie prosteten sich zu und nahmen einen großen Schluck aus ihrem Glas.
„Immerhin“, sagte Carl, und leckte sich den Schaum vom silbergrauen Schnurrbärtchen, „hat der Kanzler höchstpersönlich gemeint, man wäre entschlossen alles dafür zu tun, dass die Presse in einer demokratischen Republik ihre Aufgabe ordentlich wahrhaben und erfüllen kann, und dass es zu den Pflichten eines österreichischen Journalisten gehört, den entschlossenen Kampf gegen die alten Nazis, gegen Großdeutsche und militärische Ideologien samt ihren Doktrinen im politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben zu führen.“ „Oh, welch später Wandel!“ ätzte Erich und trank von seinem Bier. „Genau! Man soll die Hoffnung nie aufgeben, sag´ich immer. Ist ja auch unser wichtigster Faktor in diesem Land, so wie wir dastehn.“
„Und das, Erich, kannst du denen morgen in der Sitzung mitteilen, dass erwartet wird, nur Mitglieder zuzulassen von denen erwartet werden kann, dass sie an diesem Kampf rückhaltlos teilnehmen, wenn sie brauchbare Mitglieder dieser Gesellschaft sein wollen!“ „Darauf trinken wir!“ lachte Erich und sie hoben die Gläser. Die Amerikaner hoben die Köpfe und schauten mit ernsten Mienen zu ihnen herüber. „Sind wir schon eine Versammlung, oder was?“ brummte Carl und zwinkerte Erich verschmitzt zu. „Hoffentlich fangen sie in den eigenen Reihen an.“ meine Erich nachdenklich. Carl nickte. „Geh´, Herr Franz, bringen Sie uns zwei Virginier? Und Zünder täten wir auch brauchen,“ orderte Carl. „Auf alle Fälle kommt es darauf an, wer im Vorstand ist, oder?“ fragte Erich. „Warum, es gibt doch Richtlinien, die erst beschlossen worden sind. Einer der wenigen Vereine mit Grundsätzen!“ stellte Carl klar. „Mit ehrenhaften, hoffentlich.“ Sie schwiegen eine Zeit lang. Der Ober brachte die Virginier auf einem silbernen Tablett. „Nobel, was?“ lachte Carl.
Nachdem sie die Zigarren angezündet und dichte Wolken in den Raum geblasen hatten, meinte Erich:“ Nein, kommt nicht in Frage. Es darf niemand aufgenommen werden, wer etwas zu verbergen hat. Das müssen wir durch-setzen. „Und? Was passiert mit den Privilegierten?“, fragte Carl? „Gibt es die?“ „Hast du eine Ahnung! Na schön, es mag Ausnahmefälle geben, wenn schwerwiegende Fälle vorliegen.“ „Mein ich ja, Erich!“ „Etwa dann, wenn außerordentliche Verdienste um die Befrei-ung unseres Landes vorliegen oder so?“ „Wirst schwer finden in diesen Kreisen, glaubst nicht?“ antwortete Carl amüsiert. „Ist ja egal. Denk´ zum Beispiel an die Eva Müller und an den Erwin Javorsky, die beiden Schmierfinken. Solchen Leuten darf man einfach keine Chance geben. Sie war Schriftführerin, er hat die Beiträge geliefert – fest steht auf alle Fälle, wer je in diesem Bereich tätig war, wer jemals für den Nationalsozialismus eingetreten ist oder seine Verlängerung gefordert hat, soll als Journalist in einem demokratischen Land nichts zu melden haben!“ „Dein Wort in Gottes Ohr. Prost, Erich“, lachte Carl und fügte hinzu, „aber eines kannst du glauben, die werden alle ordentlich unter die Lupe genommen, verlass´ dich drauf.
Erinnere dich, sie haben auch alle Polizisten entlassen, die im Naziarbeitseinsatz als Lohnempfänger verwendet worden sind. Warum soll´s bei den Journalisten anders sein, frag ich mich? Ich sage dir, du machst dir keine Vorstellungen, welche Phantasien so manche ‚Kollegen‘ entwickelt haben, um ihre publizistische Tätigkeit für das Nazi-Regime zu recht-fertigen, um eine Berufserlaubnis zu erhalten. Ich weiß das, weil es mir Paul erzählt hat. Unglaublich, sag´ ich dir“. Erich nickte verständnisvoll. Carl, der aus vollem Halse lachen musste, fuhr fort:“ Du kennst doch auch den Zeller, nein? Der soll sich vor dem Reichsverband der deutschen Presse nur deshalb auf seine vor 1938 geschriebenen pronazistischen Artikel berufen haben, um zusätzliche Gut-punkte für seine Beförderung zum Redakteur vorweisen zu können. Was sagt man dazu?“
„Manchen ist wirklich nichts zu blöd, um eine weiße Weste vorzutäuschen, in der Tat.“ „Warte, das Beste kommt noch, weil ihm der Untersuchungsausschuss nämlich diese Argumente abgenommen hat und – du wirst es nicht glauben, sie haben seinem Antrag um Aufnahme in die Gewerkschaft zugestimmt. Bummsti!“ Carl hatte mit der Faust auf den Tisch geschlagen. Erbost drehte sich ein älterer Herr mit Nickelbrille an dem kleinen runden Tisch hinter ihnen um und warf Carl strafende Blicke zu. „Ja, wenn das so auch geht?“ staunte Erich. „Natürlich, alles geht, wenn du einen guten Schmäh hast bei uns in Österreich, alles, Erich, alles!“ Carl zündete die erloschene Virginier abermals an. „Was die alles im Ausschuss zu hören kriegen, da stellt´s dir die Haare zu Berge, das kannst´ mir glauben. Ein Regimekonformer, im Reichsverbandsakt eindeutig registriert, mit Punkt und Komma, bestreitet seine NSDAP-Mitgliedschaft und hat echte Dokumente vorgelegt, die ihn als Widerstandskämpfer ausweisen. Den haben sie auch aufgenommen. Na, da sagst nix mehr, was?“
Erich schüttelte nur ungläubig den Kopf und schaute zum wiederholten Male auf seine Uhr. „Oder, der, der – dieser Wilfinger, genau“, fügte Carl hinzu, „ hat nach dem 11. März 38 nur mehr im braunen Hemd geschrieben. Der war weder Chef-redakteur noch sonst irgendwas Bedeutendes, das Würschtl, und trotzdem waren alle von seiner Gunst abhängig. Jud´ möcht´ ich bei dem nicht gewesen sein, ehrlich, auf die war er ganz besonders scharf, weil von denen alle was können haben und er keinem von ihnen das Wasser reichen konnte. So war das, hmm!“ „Ja, den kenn´ ich auch“, erwiderte Erich, „ der hat doch in dem Rekursverfahren damals den journalistischen ‚Goldfasan’ herauskehren wollen, dass er 1938 ‚getarnt’ agiert hätte. Nur hat er leider vergessen, wovor er sich mit seiner Tarnung hatte schützen wollen, und dann haben sie ihn abgelehnt.“ Die beiden brachen in schallendes Gelächter aus.
Im gleichen Augenblick vernahm man das Klirren zerschlagenen Porzellans aus der Küche. „Na alsdann, jetzt hamma´s!“ schimpfte Herr Franz und stürmte durch die Schwingtür in die Küche, um nach dem Rechten zu sehen. „Was ist denn das für eine Aufregung?“, empörte sich der ältere Herr am runden Tischchen, „hier kann man nicht einmal mehr in Ruhe seine Zeitung lesen!“ Indessen war die Unbekannte am Fenster aufgestanden. Sie schien wirklich hoch gewachsen, nicht nur wegen der Stöckelschuhe die sie trug, und sie war gertenschlank. Carl und Erich verrenkten sich beinahe die Hälse nach ihr. Sie schlüpfte in einen dunklen Pelz, in den ihr Herr Franz aufmerksam geholfen hatte, und trat grußlos aus dem Café auf die Straße. „Nicht schlecht, würd´ ich sagen, was, mein Lieber?“ Carl paffte an seiner Virginier. Erich dämpfte die seine im Aschenbecher aus. „Ich bin schon neugierig, was die in Moskau wieder ausverhandelt haben“, fuhr er fort, „der Marshall hat gesagt, dass die Verhandlungen über den Staatsvertrag restlos gescheitert sind.“
„Ich hab´ gehört, dass die UNO im September die Verhandlungen fortführen soll.“ „Bitte, jetzt haben wir April. Glaubst du, die bringen bis dahin mehr zusammen? Wenn du mich fragst, ich nicht. Der Karren ist doch total verfahren.“ „Außerdem wollen sich die alle in Genf treffen.“ „Als ob´s dort was anderes wär´, lächerlich!“, ärgerte sich Carl. „Der Molotow wird eine Kommission einsetzen, hört man.“ „Was für eine Kommission?“ fragte Carl. „Na, zur Beratung vom Vertrag eben“, antwortete Erich. „Ah ja. Is´ mir langsam auch Wurscht. Ich mein´, wir können ja eh nix ändern, oder?“ In der Zwischenzeit hatten die Amerikaner die x-te Runde Bier bestellt. „Ich glaub´, ich bin im falschen Land geboren worden, Erich“ seufzte Carl, und blickte traurig in sein leeres Glas, hob es hoch, drehte es um und ließ die letzten Tropfen auf den am Tisch liegenden Bierdeckel fallen. „Ich komm´ zu spät, Carl, wenn ich jetzt nicht geh´. Ich danke dir schön für die Einladung. Ruf mich am Abend in der Redaktion an, dann sag´ ich dir Bescheid wegen der Sitzung.“ „Nix zu danken, und – bleib sauber!“ rief dieser Erich nach.
Stephansplatz, 17 Uhr 10 Erich völlig außer Atem: „Maria, es tut mir Leid, ehrlich. Carl hat mich so lange aufgehalten.“ Sie umarmten sich innig und küssten sich leidenschaftlich. „Mach dir keine Gedanken, ich bin selber erst seit zwei Minuten hier. Die Franzi hat mir gesagt, wir könnten übers Wochenende ins Strandhotel am Wallersee fahren. Sie möchte´ uns gerne einladen, du .... mein Gott, hast du dich heute schon in den Spiegel gesehen, also ... wie du ausschaust – blass, Ringe unter den Augen! Heute wird aber geschlafen, hörst du? Du rührst mir die Schreibmaschine nicht mehr an vor morgen früh, verstan-den?“ „Ja, mein Schatz, alles mein Schatz. Nur, weiß deine Franzi überhaupt, ob es noch freie Zimmer gibt am Wallersee? Hast du eine Ahnung, was dort los ist in letzter Zeit! Lauter erholungsbedürftige Journalisten! Und denkst du an die verlausten Decken voriges Jahr?“ „Geh, sei nicht so zimperlich, Erich. So schlimm waren die auch nicht. Ein bisserl gekratzt haben sie halt. Das was alles. Aber vielleicht ist heuer schon wieder alles anders, besser.
Lassen wir uns einfach überraschen, und die Franzi ruft ohnehin vorher an, hat sie gesagt.“ „Vielleicht hast du Recht. Weißt du noch wie Carl damals in letzter Minute ein Lastauto organisiert hat, damit die Eröffnung des Hotels überhaupt stattfinden konnte.“ Ja, natürlich, das werd´ ich nie vergessen, und sie haben hervorragend gekocht. Ach, dieses himmlische Beuscherl mit Nockerl! Ein Gedicht! Meine Mutter hat immer gesagt, der Hunger ist ein guter Lehrmeister. Jetzt erst weiß ich wieder, was es heißt, sich satt essen zu können!“ „Satt essen, gute Idee. Was haben wir denn noch in unseren Kammern, mein Schatz?“ Maria wurde ernst und sagte: “Erich, ich kann nirgends Fleisch auftreiben! Heute früh war ich am Naschmarkt. Es gibt nur Kartoffeln und Bohnen. Ein paar Rüben vielleicht. Du, wenn du willst, ich mach dir eine Eierspeis´. Eier gibt´s genug, Gott sei Dank, bist du einverstanden damit?“ Etwas brummig stimmte er zu. „Na, vielleicht krieg´ ich im Mai was Anständiges zu essen.
Der Minister Sagmeister hat uns versprochen, dass nach der letzten missglückten Lieferung eine Besprechung der Ernährungsreferenten die schmale Fleischration zumindest für den Mai sichern soll. Das ist wirklich sehr edel von ihm, findest nicht auch?", spottete Erich. „Warum ziehen wir nicht auf´s Land? Draußen ist alles viel leichter. Mich friert, bitte lass uns gehen, ja?“, drängte seine Frau. „ Komm!“ sagte Erich, „so gut wie im letzten Jahr geht´s uns heuer nicht. Erinnerst du dich, Weihnachten im J u n i 1946?“ „Ja, die amtliche Lebensmittelzuteilung der Kollegen aus den Bundesländern für die unterernährten Wiener Journalisten“, lachte Maria. „Dieses Jahr gibt´s wahrscheinlich Steak“, sagte Erich. „Warum?“ fragte sie ungläubig, als sie in vom Graben in den Kohlmarkt einbogen. „Weil uns die Amis gesehen haben. Daraufhin haben sie gemeint, wer so unterernährt ist wie wir, kann sicher nur dummes Zeug zusammen schreiben. Also wäre es besser, wir schicken ihnen lieber was Ordentliches zu essen.“ Beide kicherten.
„Hast du unsere Kalorienkarte mit, oder ist die noch in der Einkaufstasche im Seitenfach?“ fragte Erich. „Wozu brauchst du die jetzt? Es hat doch bald alles zu.“ „Ach, ich dachte, ich krieg´ irgendwo noch einen Krautkopf her.“ „Aber das verträgst du ja gar nicht mit deinem empfindlichen Magen“, antwortete Maria. „Weiß ich selber. Ich kenne einen Portier bei uns, bei dem kann ich ihn gegen Zigaretten eintauschen. Wenn ich nichts zu Rauchen habe, fällt mir auch nichts zu Schreiben ein, verstehst du?“ Maria schüttelte verwundert den Kopf. „Fühl´ mal“, bat sie Erich, der seine Hand unter ihren Mantel auf ihren Bauch schob. „Spürst du was?“ „Ja, Hunger“, lachte er, während sie eng umschlungen über den Heldenplatz gingen. „Ich habe Angst, Erich. Ich weiß nicht, das ist keine Zeit ein Kind zu bekommen.“ „Ach, Liebling, es ist in Ordnung. Der Krieg ist vorbei, ich habe wieder Arbeit. Was soll passieren? Zu allen Zeiten haben die Menschen Kinder bekommen. Wir haben weiß Gott schlimmere Zeiten erlebt, etwa nicht?“ „Vielleicht hast du Recht“, flüsterte Maria.
In ihrer Wohnung, Nagler Gasse 12 angekommen, machte sich Maria sogleich in der bescheiden eingerichteten Küche zu schaffen. Erich vertauschte seinen grauen Anzug mit dem Morgenmantel und ließ sich in den Fauteuil fallen, um die Abendausgabe der Arbeiter-Zeitung durchzublättern. „Schatz, mit zwei oder drei Eiern?“ fragte Maria aus der Küche. „Besser drei“, antwortete Erich, „ und – gibt´s Salat?“ „Nein, tut mir Leid, heute nicht. Ein wenig ist noch vom Gurkensalat da, von gestern. Magst du den?“ „Ich bitte darum“, antwortete Erich. Maria servierte das Abendessen. „Setzt du dich nicht zu mir?“ „Ja, aber ich ess´ nichts mehr am Abend“. Du wirst noch verhungern, Liebes“, stellte Erich mit ernster Miene fest. „Hör´ dir das an“, fuhr er fort, „ Du hattest Recht, als du sagtest, der Hunger sei ein guter Lehrmeister. Hier steht, dass er uns Österreichern zum Bewusstsein gebracht hat, dass wir im eigenen Land nicht genügend Nahrungsmittel produzieren würden und dass es vom Außenhandel abhinge, ob wir uns satt essen können oder nicht.“
„Hm. Vor allem aber von denen, die die Lebensmittel derzeit hier verteilen“, flüsterte Maria. „Österreich ist also in hohem Maße daran interessiert, seinen Handel mit der Außenwelt auszubauen.“ „Außenwelt! Wie das klingt, als ob wir in einem Käfig säßen. In gewissem Sinne sitzen wir auch in einem, Erich, oder? Gut bewacht, von fremden Soldaten.“ „Ach, Maria, das wird nicht ewig dauern, glaube mir. Sobald wir den Staatsvertrag haben, ist die Angelegenheit für die erledigt, du wirst sehen.“ „Ja, mit einem Molotow muss man erst einmal verhandeln können.“ Sie blickte über Erichs Schulter. „Lies! In der Sitzung des Außenministerrates hatte Molotow den Vorschlag Marshalls, die österreichische Frage an die Generalversammlung der Vereinten Nationen zu überweisen, damit sie in der Frage der Reparationen Empfehlungen ausarbeite, als absolut unbegründet zurückgewiesen. Und so wird´s auch beim Staatsvertrag werden! Gute Nacht, Liebling, mir reicht´s für heute.“ „Und ich komme um eins.“
In der Redaktion
„Bitte etwas leiser!“ rief Carl, „wir können überhaupt nichts hören!“ Das Gemurmel im engen Sitzungszimmer verstummte. Alle lauschten gebannt der Stimme des Rundfunksprechers: „... die weiteren Verhandlungen im September dieses Jahres an die Generalversammlung der UNO zu überreichen. Marshall gab der Sowjetunion die Schuld an dem Scheitern der Verhandlungen über den Staatsvertrag, und zwar in erster Linie deswegen, weil Molotow sich weigerte, in der Frage des deutschen Eigentums in Österreich seine Ansicht auch nur im Geringsten zu ändern.“ „Na bitte, hab´ ich nicht gesagt, die Russen werden alles blockieren, was ihnen nicht in den Kram passt?“ rief Carl erzürnt. „Dreht doch endlich ab, wir kommen sonst gar nicht weiter“, forderte einer. „Noch nicht abdrehen, wartet noch“, rief Erich dazwischen, „... und nachdem Molotow erklärt hatte, dass lediglich die amerikanische Weigerung, die sowjetischen Abänderungsanträge zum Entwurf eines Viermächtepaktes in Erwägung ziehen .....“, fuhr der Sprecher fort, jedoch konnte man im allgemeinen Durcheinanderreden der Anwesenden nichts mehr verstehen.
„So, jetzt wissen wir alle, was uns erwartet, meine Herren“, sagte der Chefredakteur.“ „Na dann, Mahlzeit. Den Staatsvertrag können wir uns malen“, meinte Erich resigniert. Dr. Brock schlug mit dem Kaffeelöffel sanft an den Tassenrand und bat um Ruhe. „Darf ich Sie ersuchen, Platz zu nehmen, meine Herren. Wir haben noch viel vor heute Abend.“ Es begannen Sesselrücken und Papierrascheln. Alle hatten einen Sessel ergattert. In der Runde glimmte Zigarettenfeuer, dichte Rauchschwaden zogen unter den grünen Hängelampen des Konferenztisches ihre stummen Bahnen. Die Kaffeekanne kam nicht zur Ruhe. Plötzlich trat Stille ein im Sitzungszimmer. „Wie Sie wissen, hat sich die Salzburger Journalistengewerkschaft einstimmig gegen den Beitritt zu einer reinen Fachgewerkschaft ausgesprochen.“
Man vernahm deutliches Raunen und Räuspern im Zimmer. „Die Argumente der Salzburger Kollegen waren die, dass sie ihrer Über-zeugung nach nicht die für die Presse unbedingt notwendige Berufsvertretung darin sehen, die mit allem Nachdruck die Interessen der österreichischen Redakteure vertreten würden“, fuhr der Chefredakteur fort. „Und darf man auch erfahren, wieso nicht? fragte Dr. Brock. „Nun, weil sie der Auffassung sind, dass diese Sektion in der völlig unmöglichen Gemeinschaft mit Musikern, Bühnenangehörigen, Kettensprengern und was weiß ich noch immer die kleinste Gruppe darstellt, und daher als Minderheit gar nicht in der Lage wäre, mit dem nötigen Nachdruck unsere Interessen gegenüber allen Stellen zu vertreten.“ „Aber als standesmäßige Vertretung arbeitet die Sektion völlig unabhängig“, meinte Erich. Dem stimmten alle zu. „Immerhin hat man uns finanzielle Teilautonomie und völlige Selbständigkeit zugesichert“, entgegnete der Chefredakteur. „Also, warum dann nicht?“ fragte Dr. Brock erneut. „Sie haben es eben gehört. Man bezweifelt die Effizienz an der Vertretung der Interessen.
Aber, meine Herren, trotz dieser kleinen Niederlage sollten Sie nicht vergessen, dass dieses große Werk des Aufbaues nur gelingen kann, wenn alle Beteiligten positiv mitarbeiten. Wir müssen, koste es was es wolle, unsere Kraft auch weiterhin in den Dienst unserer schwergeprüften Heimat stellen. Ich hoffe, Sie sind sich darüber im Klaren, und bedenken Sie bitte eines, nur in einem gesunden Staat kann sich eine mächtige Presse entwickeln.“ Lautes Beifallsgeklatsche. „Nachdem uns die Vertreter der Siegermächte aufgefordert haben, die Presse-freiheit im Lande möglichst rasch wieder herzustellen, und sie alle von ihnen selbst verfügten Maßnahmen zur Einschränkung der Pressefreiheit wieder aufgehoben haben, können wir nur eines tun – nämlich arbeiten!“ Abermals lauter Beifall.
„Damit wir unsere Aufgabe jedoch zur Befriedigung aller erfüllen können, wurde der Rat der Alliierten, aber auch die österreichische Bundesregierung gebeten, dass alle Zeitungen der politischen Meinungspresse, und zwar unabhängig von ihrer Auflage, für die Dauer der Papierknappheit die gleiche Papiermenge zur Verfügung gestellt erhalten wird, und dadurch eine Erhöhung der Auflage erreicht werden kann.“ „Das geht wohl an die Adresse der Sowjets, die in ihrer Zone die Volksstimme bei der Papierzuteilung eindeutig bevorzugen, oder etwa nicht?“ raunte Carl Erich zu. „Ich weiß“, antwortete Erich, „es wird langsam Zeit für einen massiveren Vorstoß in Sachen Wettbewerbs- und Rechtsgleichheit! Die Herrschaften glauben, sich nicht an österreichische Gesetzte und unser Presserecht halten zu müssen.“ „Meine Herren, bitte“, ermahnte der Chefredakteur die beiden, „ es wird Sie ferner interessieren, dass Ihre Forderung auf eine 30%ige Gehaltserhöhung vom Verlegerverband akzeptiert worden ist!“ Bravo-Rufe.
„Sie könnten nun sagen, werte Kollegen, dass das Verhältnis zwischen der Sektionsführung und der Salzburger Landesführung unter den Gefrierpunkt abgesunken ist. Das würde ich auch so sehen. Aber – es gibt auch Positives zu berichten, nämlich dass wir erstmals Kontakte mit internationalen Journalistenorganisationen aufgenommen haben, und wir demnächst Mitglied der I J O sein werden. Na, was sagen Sie jetzt?“ Die Radakteure waren begeistert. „Jetzt müsste Sekt her“, rief einer. „Genau“, stimmten alle ein und Erich durchsuchte den Kühlschrank der kleinen Kaffeeküche nach Trinkbarem. Es fanden sich zwei Flaschen Weißwein und vier halbe Liter Bier. Immerhin, besser als gar nichts. Und so stieß man hoch motiviert auf die neuen Zeiten an. Nachdem man sich ausreichend zugeprostet hatte, bat der Chefredakteur noch einmal ums Wort. „Meine Herren, lassen Sie mich noch eines hinzufügen. Wir Österreicher sind Optimisten. Vielleicht ist dies das Geheimnis unseres Wesens. Ich denke, es hängt mit unserem Glauben an die Gerechtigkeit in der Welt zusammen. Wir glauben, dass Recht in der Weltpolitik auch Recht bleiben muss. Wir können nur hoffen, dass das österreichische Parlament jetzt endlich vor der ganzen Welt in demonstrativer Form neuerlich seinen Glauben an die Weltgerechtigkeit bezeugt und vielleicht auch für andere Nationen zum Prüfstein dafür wird, ob es sich weiter lohnt, für den Neuaufbau im Sinne der wahren Demokratie zu arbeiten.
Sehen Sie, was ich hier gesagt habe, als einen Trinkspruch für uns alle und lassen Sie uns noch einmal die Gläser heben. Prost!“ Die Gläser klirrten abermals. „Darf ich noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit bitten? Es gibt bereits einen Entwurf für den Kollektivvertrag. Allerdings dürfte der Termin für die Unterschrift erst im November feststehen. Wenn wir von der Salzburger Kritik daran einmal absehen wollen, dürfen wir uns darauf freuen, zum ersten Mal in der Geschichte unseres Berufsstandes auf so einen Vertrag zurückgreifen zu können. Carl, ich möchte dich bitten, wenn es so weit ist, mit den Verlegern und einem Kollegen diese Sache durch deine Unterschrift zu fixieren. Den genauen Termin gebe ich dir noch bekannt.“ „Oh, ich fühle mich tief geehrt“, antwortete Carl verschmitzt. „Es wird uns allerdings nicht erspart bleiben, dass wir mit einer ganzen Reihe von in- und ausländischen Presse- und Nachrichtendiensten und mit den Zeitungen unserer Besatzer getrennt verhandeln werden müssen.
Ich denke, wir werden wie bisher mit der „Welt am Abend“, mit der „Österreichischen Zeitung“, dem „Wiener Kurier“ und der „Weltpresse“ Kontakt aufnehmen. Ferner habe ich die Agenturen „International News Service“, den „Amerikanischen Nachrichtendienst“ und den „ACA-Pressedienst“ gedacht. Die APA wird den Vertrag sicher anerkennen, da kann nicht viel schief gehen, würde ich sagen. Und beim Rot-Weiß-Rot- Sender hat es ohnehin nie Schwierigkeiten gegeben. Überdies werden wir, und dafür sprechen mehrere Gründe, unsere Räumlichkeiten von der Werderthorgasse auf den Schubertring verlegen, schon einmal aus Platzgründen, aber es ist auch eine Frage des Angebotes, möchte ich hinzufügen, dass wir hier über wesentlich bessere Bedingungen verfügen werden. Nun, im Großen und Ganzen, das wär´s.“ Beifall. „Ach“, fügte Brock hinzu, „da wäre noch etwas. Leider ist es, wenn ich es zynisch sagen darf, kaum drei Jahre nach dem Ende des „Tausendjährigen Reiches“, zu einem weiteren Störfall nazistischer Agitationen gekommen, und zwar in Kärnten. Wie ich gehört habe, musste die Klagenfurter Staatsanwaltschaft gegen drei Kollegen vorgehen, die mit ihren Artikeln eine, wie soll ich das ausdrücken, gewissen Aneiferung zu verbotener nationalsozialistischer Betätigung bewirken wollten.
Den Angeklagten wurde zur Last gelegt, sich durch ihre Artikel mehrfach der Störung der öffentlichen Ruhe schuldig gemacht zu haben. Zwar konnte ihnen ein Verhalten im neonazistischen Sinne nicht nachgewiesen werden, aber immerhin wurden zwei bedingte und eine unbedingte Strafe über die Herrschaften verhängt. So was wirft wahrlich kein gutes Licht auf unseren Neuanfang. Ich kann nur an Sie alle appellieren, reduzieren Sie Ihre Arbeit auf die Disziplinierung des Sagbaren. Sie wissen, was ich meine“. „Ist dir von denen einer bekannt?“ fragte Dr. Brock. Erich, der sich bis dahin im Hintergrund gehalten hatte, verneinte. „Also ich kenn´ niemanden von den Unterkärntner Nachrichten, aber ich hab´ auch gehört, dass ihnen kein Verhalten im neonazistischen Sinn tatsächlich nachgewiesen werden konnte“, meinte Carl. „Immerhin ist der Vorfall ein guter Grund, für ein besseres Presserecht zu plädieren, denn die Gerichte gehen langsam dazu über, bei Verurteilungen wegen Pressedelikten unbedingte Freiheitsstrafen zu verhängen“, sagte der Chef-redakteur.“
„Ja, wenn du die Währungsreform bekrittelst, gehst´ ins Gefängnis!“ Carls Wortmeldung rief einen wahren Lachsturm hervor. „Also witzig finde ich das nicht“, meinte Kurt Gruber, „meine Frau hat mir schon prophezeit, dass sie in Zukunft alles vorher lesen möchte, was ich schreibe. Schließlich bin ich der Ernährer unserer Familie und kann es mir nicht leisten, im Gefängnis zu sitzen.“ Gelächter. Und so leerte man noch eine Zeit lang die schwach gefüllten Gläser, um sich schließlich gegen Mitternacht voneinander zu verabschieden. Bald danach trat jeder für sich den Heimweg an.
Die politische Lage
Am Schottentor ging es schon sehr früh lebendig zu. Wenige Minuten nach 8 Uhr begann sich der Strom aus den übrigen Bezirken über diesen Platz zu ergießen. Carl und Dr. Brock trafen einander zufällig auf dem Weg in die Redaktion. „Morgen, Wolfgang!“ rief Carl schon von weitem. „Servus, Herr Kollege! Ich bin noch völlig hin von gestern.“ „Habt ihr noch was Wichtiges besprochen?“, fragte Carl. „Nein, nicht wirklich. Aber wir waren noch bei mir, und dann – na, weißt eh. Bei der jetzigen Lage – ich sag´ dir, die Russen holen sich alles, was nicht niet- und nagelfest ist.“ „Ja, ich weiß es aus der APA- Meldung“, sagte Carl. „Das war ein Fehler, ihnen in Potsdam zu erlauben, sich hier bei uns nach Herzenslust bedienen zu können. Alles schleppen sie nach Hause, Maschinen, ganze Industrieanlagen, deren Wert nicht einmal annähernd angegeben wird.“ „Das Ganze ist ein Irrsinn. Die Amis haben auch nichts Besseres zu tun, als mit ihrer Bombe zu wacheln. Ich hab´ das Gefühl, dass die Gegensätze zwischen den beiden immer größer werden statt kleiner. Wenn ich in der Früh aufwach´, ich sag´ dir Wolfi, da überfällt mich ein Gefühl der Unsicherheit, des Pessimismus, ja, der Furcht, und ich beginne an der Möglichkeit des großen Weltfriedens zu zweifeln.“
„Mir geht´s da nicht anders, glaub´ mir. Mit der Haltung der Amerikaner, gegen jede Expansion des Sowjetregimes zu opponieren, machen sie sich bei denen keine Freunde. Man darf allerdings die innenpolitische Seite ihrer Politik nicht übersehen. Da haben viele den republikanischen Wahlsieg im November auf die scharfe antikommunistische Haltung der Republikaner und auf ihren Wahlschlager, die Demokraten wären prokommunistisch, zurückgeführt.“ „Ja, aber alles hat doch bisher darauf bloß abgezielt, den Republikanern den Wind aus den Segeln zu nehmen, das war aber auch schon der einzige Grund für die scharfen antikommunistischen Töne, wo jeder weiß, dass die Kummerln (Kommunisten) in Amerika eine nicht vorhandene Größe darstellen“, meinte Carl. „Da hast du auch wieder Recht“, antwortete Dr. Brock, „ die Standpunkte der Sowjets und der Amis sind ganz einfach nicht vereinbar. Vielleicht haben wir von den Sowjets mehr erhofft, als möglich schien.
Aber vielleicht gibt es noch Hoffnung, wer weiß? Wir liegen schließlich erst in der ersten Runde“, fügte er hinzu.“ „Kann sein, Wolfgang. Ich hoffe nur, dass unseren Kindern dieses Jammer einmal erspart bleibt, was wir hier ausbaden dürfen. Was haben sich die verdammten Faschisten heiser geschrien, haben die Fahnen geschwenkt und gejubelt. Und jetzt? Jetzt haben wir den Scherben auf. Das ganze Theater hat in einer sinnlosen Zerstörung geendet. Das einzig Sinnvolle, das uns noch bleibt, ist, uns für die Menschlichkeit und Gerechtigkeit einzusetzen, für eine Welt, die das Grauen des Krieges nicht mehr kennen soll, hab´ ich Recht?“ „Ach Carl“, seufzte Dr. Brock. Stillschweigend gingen sie eine Zeit lang nebeneinander her. „Mir machen die Kommunisten hierzulande genau so viel Angst wie die an der Wolga“, sagte Carl nach einer Weile. „Erinnerst du dich an den Konvoi bei der Demonstration? Wo haben die Kerle bloß das ganze Benzin her? Im Gegensatz zur Partei der Massen ist das die Partei des Benzins!“ Dr. Brock musste lachen.
„Dabei sind sie so freudlos vor sich hingetrottet. Beim Parlament haben sie sich schließlich nicht entblödet, aus der Demonstration einen Faschingszug, eine Maskerade zu machen, hast du davon gehört?“„Jajaja“, antwortete Brock abwesend und versuchte angestrengt, den Faden um seinen losen mittleren Mantelknopf fester zu schlingen, um ihn nicht zu verlieren. Schließlich meinte er: „Wir sitzen in einer tiefen Krise, und die wird sich sicher nicht nur auf Europa alleine beschränken. Die Sowjets versuchen Europa zu schwächen, das sieht doch jedes Kind. In Osteuropa haben sie ihre militärische Lage dazu missbraucht, um sich eine einseitige, für sie sichernde Politik zu verschaffen. Da können die Briten und die Amerikaner gar nichts machen, wenn sie diese Staaten vom übrigen Europa wegsperren, wirst sehen. Und den Amerikanern werfen sie vor, einen politischen Druck mit ihren Dollars auszuüben.“ „Ja, und in Ungarn lassen sie sich schon gar nicht in die Karten schauen“, setzte Carl hinzu, „und uns werfen die Herren Kommunisten vor, wir lassen uns von den Amerikanern kaufen. Ha! Dass ich nicht lach´! Selbst sind sie ja völlig autonom, was?“