Das Vermächtnis - Matthew López - E-Book

Das Vermächtnis E-Book

Matthew López

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Beschreibung

New York in Zeiten der ausgehenden Obama-Ära: Eric Glass und Toby Darling kosten das urbane Leben in vollen Zügen aus. Doch ihre Beziehung droht zu zerbrechen, als Toby den jungen Schauspieler Adam kennenlernt. Gleichzeitig freundet Eric sich mit dem älteren Walter an und wird mit dem schmerzhaften Vermächtnis einer ganzen Generation konfrontiert: Während die Jungen längst schon wieder ein ausschweifendes Leben sexueller Freiheit feiern, können die Älteren das Trauma der AIDS-Krise nicht ablegen. Wie sie sich lieben, wie sie sich streiten und auch wieder versöhnen müssen in einem Amerika, dem Trump als Präsident droht − davon erzählt Matthew López mit sprachlicher Zartheit und großer erzählerischer Wucht in seinem mehrfach preisgekrönten Gesellschaftsdrama.

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Seitenzahl: 331

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Matthew López

Das Vermächtnis

Inspiriert von dem Roman Howards End von E. M. Forster

Herausgegeben von Oliver Franke und Stefanie von Lieven

 

Aus dem amerikanischen Englisch von Hannes Becker

 

Biografie

 

 

Matthew López, geboren in Panama City/Florida, studierte Theater- und Performancekunst an der University of Southern Florida. Für sein Debütstück The Whipping Man wurde López mehrfach ausgezeichnet. Seine Arbeiten wurden am McCarter Theatre, The New Group, Penumbra Theatre Company, Ars Nova und The Lark Play Development Center entwickelt und aufgeführt. Für sein 300 Seiten umspannendes Opus Magnum Das Vermächtnis, welches am Young Vic in London von Stephen Daldry uraufgeführt wurde, gewann er u.a. den Drama Desk Award und den Tony Award in der Kategorie »Bestes Stück«. López arbeitete als Staff-Writer für die erfolgreiche HBO-Serie The Newsroom von Aaron Sorkin. Im Jahr 2023 führte López erstmals Regie: Red, White & Royal Blue, nach dem Roman von Casey McQuiston, stand mehrere Wochen lang auf Platz 1 bei Amazon Prime.

 

Weitere Informationen zu Matthew López:

Instagram @matthewmichaellopez

 

www.fischer-theater.de

Impressum

 

 

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

© 2018, 2019 Matthew López

Abdruck mit Genehmigung von Creative Artists Agency, New York, im Auftrag des Autors

Alle Anfragen für Aufführungsrechte und Nebenrechte im deutschsprachigen Gebiet sind zu richten an:

S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt am Main.

Alle übrigen Anfragen bitte an Creative Artists Agency (attn. Kevin Lin), 405 Lexington Avenue, 19th Floor, New York, NY 10174, USA.

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2024 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt am Main

Verborgenes aus Konstantinos Kavafis: Das Gesamtwerk. Aus dem Griechischen übersetzt und herausgegeben von Robert Elsie.

Fischer Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Main 1999, S. 194.

Bei dem Beitrag von Ewald Palmetshofer handelt es sich um eine aktualisierte Fassung des Erstabdrucks in: Jahrbuch der Zeitschrift Theater heute 2021.

Covergestaltung: Sanaz HazeghNejad ∙ sanaz.eu

ISBN 978-3-10-492284-3

 

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Inhalt

[Vorwort]

[Widmung]

[Personenverzeichnis]

[Motto]

Teil Eins

Prolog

Akt Eins

Szene Eins

Szene Zwei

Szene Drei

Szene Vier

Szene Fünf

Akt Zwei

Szene Eins

Szene Zwei

Szene Drei

Szene Vier

Akt Drei

Szene Eins

Szene Zwei

Szene Drei

Szene Vier

Szene Fünf

Teil Zwei

Prolog

Akt Eins

Szene Eins

Szene Zwei

Szene Drei

Szene Vier

Szene Fünf

Akt Zwei

Szene Eins

Szene Zwei

Szene Drei

Szene Vier

Akt Drei

Szene Eins

Szene Zwei

Szene Drei

Szene Vier

Epilog

1. Erics Haus

Freiheit und Schmerz

Erstaufführungsdaten

[Young Vic, London]

[Noël Coward Theatre, London]

[Ethel Barrymore Theatre, New York]

[Residenztheater des Bayerischen Staatsschauspiels, München]

Weitere Theaterstücke von Matthew López

Lust auf noch mehr Drama?

JUNGER MANN 2 Leo begriff die einfache, aber mächtige Verbindung, die entstand, wenn ein schwuler Mann zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts direkt zu einem jungen schwulen Mann am Anfang des einundzwanzigsten sprach.

Ich habe lange keinen so bewegenden Text wie das Theaterstück Das Vermächtnis von Matthew López gelesen. Die Perspektive, die er aufmacht, und die Themen, die er dabei abhandelt – das ist ziemlich aufregend und beeindruckend und eigentlich so etwas wie eine Enzyklopädie schwulen Lebens der letzten 50 Jahre. Von E.M. Forster, Autor des schwulen Klassikers Maurice (geschrieben 1913, veröffentlicht 1971) und eben auch von Howards End (1910), dem Roman, der die Plotstruktur für Das Vermächtnis liefert, bis hin zu Chemsex-Partys auf Fire Island. Die Szenen sind ebenso dramatisch wie unterhaltend als Text für die Bühne zusammenmontiert: im Ton bitchy, clever und sexuell, der Sound von Großstadtschwulen, die sich nichts vormachen und gleichzeitig ihr Leben in vollen Zügen genießen. Es gelingt nicht oft, dass schwules Erleben und schwule Geschichte – die oft auf niedliche Coming-out-Storys reduziert werden, wenn sie nicht immer noch Stoff für Skandale liefern müssen (oder wenigstens Tragik) – so treffsicher und umfassend dargestellt werden. Das Ergreifende des Textes hat auch damit zu tun, dass der Text selber eine Antwort auf die Frage ist, die er stellt. Die Frage lautet: Wie kann existierendes schwules Wissen an die nächste Generation heranwachsender Schwuler weitergegeben werden?

Gesellschaftliche Minderheiten kommen in den Institutionen des Mainstreams meistens gar nicht oder nur am Rande vor und sind deshalb auf das Vorhandensein ihrer eigenen Institutionen angewiesen. Aber auch hier gibt es Unterschiede. Anders als ethnische oder religiöse Minderheiten haben sexuelle Minderheiten traditionell keine Familien oder Gemeinden, die Erfahrung und kulturelles Wissen von einer Generation an die nächste weitervermitteln. Vielleicht wissen sie nicht einmal voneinander – oder kennen nicht mehr voneinander als ihre dickpics, über Apps wie Grindr und Scruff, die vor allem ein sexuelles Netzwerk anbieten. Die digitale Community trägt jeder mit sich in der Hosentasche herum. Ihr Nutzen ist effektiv, aber auch reduziert. In der analogen Welt gilt immer noch: Jeder schwule Junge wächst erst mal, immer wieder, ganz alleine auf. Bei wem holen sich schwule Jugendliche dann Rat, wenn Familie, Schule, Kirche bei dieser Aufgabe versagen? Wie tritt eine neue Generation von schwulen Männern mit älteren Generationen in Verbindung? Wie können sie von ihnen lernen, wie sie Sex haben, ihre Form von Liebe und ihre Art Freundschaften zu führen? Das Bewegende an Das Vermächtnis ist, wie sehr der Text auf dieser Notwendigkeit von Austausch zwischen verschiedenen Generationen schwuler Männer insistiert. Alles andere wäre ein nicht wiedergutzumachender Verlust.

Die Ethik einer solchen generationsübergreifenden Sozialität und ihr Archiv an Erfahrung gewinnen ihre Dringlichkeit vor dem Hintergrund der schwulen Geschichte der letzten 40 Jahre. In den 1980er und 1990er Jahren wurde in der westlichen Welt eine ganze Generation schwuler Männer, nur die berühmtesten von ihnen – Freddie Mercury, Robert Mapplethorpe, Rock Hudson – sind noch im kulturellen Gedächtnis präsent, durch AIDS ausgelöscht. Das individuelle und kollektive Trauma von AIDS führte zu einem jahrzehntelangen Schweigen. Erst in den letzten Jahren begannen Filme wie 120 BPM aus Frankreich (2017), die britische Fernsehserie It’s A Sin (2021) oder die US-Serie Fellow Travelers (2023) die Geschichte von HIV und AIDS einem jüngeren Publikum zu Bewusstsein zu bringen. Das Vermächtnis ist auch Teil dieser neuen Historisierung von HIV und AIDS.

Aber es gibt noch andere Hürden beim Aufbau eines kollektiven schwulen Gedächtnisses. Schwule selbst sind nicht immer großzügig, wenn es um das Verhältnis zu Männern geht, die schon vor ihnen da waren. Was man selber als älter werdender schwuler Mann deutlich merkt: »These boys don’t need my wisdom« (Jeremy Atherton Lin. Gay Bar: Why We Went Out, 2021, 246). Anders als in ödipal-heterosexuellen Beziehungen unter Männern müssen junge Schwule nicht warten oder darum kämpfen, dass die (phallische) Macht an sie weitergereicht wird. Der Fetisch – oder zumindest der kleinste gemeinsame Nenner – der Community liegt schon bei ihnen: Ihre Jugend begründet ihre Arroganz. Diesen Punkt könnte man eigentlich ganz undramatisch betrachten: Eine sexuelle Subkultur bildet sich um das Sexuelle herum, und damit eben auch um die Körpernormen, von denen es geformt wird. Wobei auch hier die Tatsache, dass Sexualität eine Geschichte hat, für Bewegung sorgt: In der Gegenwart gibt es »post-AIDS« auf einmal eine ganze Generation von (überlebenden) schwulen Daddys, für die die Party noch nicht vorbei ist. Im Text ist diese vor allem durch die Figur Henry präsent. Dass bei den Daddys noch etwas zu holen ist, auch im Darkroom, hat sich auch bei jungen Schwulen herumgesprochen. Das ödipale Verhältnis kehrt als sexuelle Inszenierung zwischen Daddy und Boy zurück.

Kein schwuler Mann sollte auf Sex reduziert werden, aber die zentrale Bedeutung von Sex für schwule Kulturen sollte auch nicht heruntergespielt werden. Der US-amerikanische Queertheoretiker Tim Dean spekulierte in seinem Buch Unlimited Intimacy (2009) darüber, wie ausgerechnet das HI-Virus einen Kontakt zwischen schwulen Männern unterschiedlicher Generationen herstellt, »ein bitteres Vermächtnis«, so greift López diese Idee in seinem Stück auf (242). In den Barebacking-Subkulturen der 1990er und 2000er beobachtete Dean, wie die damals mindestens riskante, wenn nicht tödliche, Weitergabe des HI-Virus nicht nur phobisch besetzt war, sondern – paradoxerweise – für einige auch begehrenswert erschien. Dean nimmt diese Phantasie, von der sich aufdrängt, sie als pathologisch zu bezeichnen, ernst und stellt sie in einen Zusammenhang mit früheren schwulen Subkulturen seit den 1970ern. Sich bewusst mit dem HI-Virus infizieren zu lassen, oder eben durch ungeschützten Sex zumindest das Risiko dafür einzugehen, war zum einen eine Fortsetzung einer radikal transgressiven Sexualität, die oft mit Formen der Selbstaufgabe verbunden war, und wie sie schwule Männer seit den 1970er Jahren entwickelt hatten. Diese Kontinuität war aber nicht nur ideell, sondern gewann durch die Infizierung mit dem Virus selbst eine materielle Realität: HIV-Positive waren durch das Virus tatsächlich mit schwulen Männern vergangener Generationen verbunden. In einer sexuellen Sprache von »Breeding« und »Gift-Sharing« kam diese Bindung durch sexuell übertragbare Krankheiten zum Ausdruck.

Inzwischen kann auch die Subkultur des Barebacking als eine Episode der Vergangenheit betrachtet werden, denn vor gut 15 Jahren hat sich die Lage wiederum gewandelt. Seitdem ist bekannt, dass die Kombi-Therapie zur Behandlung von HIV so effizient ist, dass die Viruslast von Infizierten in Behandlung unter die Nachweisgrenze sinkt und damit auch kondomloser Sex mit HIV-Positiven safe ist. Kurz darauf wurde ein Baustein der HIV-Therapie, Truvada, als Medikament gegen HIV für den Markt freigegeben. Die tägliche Einnahme einer Pille kann nun vorbeugend gegen HIV schützen. Die neue sexuelle Revolution, die dadurch ausgelöst worden ist, wurde in ihrer Tragweite bisher kaum zur Kenntnis genommen. Schwule Männer leben heute in einer komplett anderen Welt. Das Vermächtnis erzählt auch davon, wie sehr schwule Subjektivität und schwule Communities von medizinischen Entwicklungen abhängig sind. In Testo Junkie (dt. 2016) hat Paul B. Preciado diese Bedingung von Subjektivität den »pharmakopornographischen« Komplex genannt. Sexuelle Subjektivitäten der Gegenwart verdanken sich einer Verschränkung von Diskursen über Gender, neuen Kommunikationsmedien wie Smartphones und den Ergebnissen pharmakologischer Forschung. Nicht nur Schwule oder Trans befinden sich in dieser Lage, alle müssen in diesem Sinne als biopolitische Subjekte verstanden werden, deren Begehren von Hormonen, Viagra, der Allgegenwart von Pornographie und der Art und Weise, wie wir über Gender und Sexualität sprechen, gerahmt ist.

Sexualität selbst kann zum Anlass generationsübergreifender Kontakte werden. Sie ist somit auch ein Schauplatz von Geschichte, genauso wie die öffentlichen Orte, Bars und Sexclubs, an denen Sex stattfindet. Doch diese Orte haben auch ihre Grenzen. Welche Folgen eine andere Sexualität für ein Leben hat, wie man ein ganzes Leben drumherum gestaltet, das lernt man nicht unbedingt auf der Sexparty. Neben der Weitergabe von Wissen durch sexuelle Kulturen setzt Das Vermächtnis noch auf eine andere Kulturtechnik zur Bildung schwuler Communities und schwuler Geschichte: die Literatur, das Schreiben.

Die Stimmen toter Autoren – E.M. Forster, aber auch Konstantinos Kavafis, James Baldwin und Walt Whitman – bevölkern den Text genauso wie die Geister der an AIDS verstorbenen Männer in dem Haus in Upstate New York, das in den 1980ern als AIDS-Hospiz diente und dem Anwesen mit dem Namen »Howards End« aus Forsters Roman nachgebildet ist. Literatur wird zum Bestandteil von Erinnerungsarbeit und zum Medium der Weitergabe von Wissen. Der Text Das Vermächtnis präsentiert sich am Ende selbstreflexiv als Teil dieses Programms, wenn sich Leo als Autor eines Textes zu erkennen gibt, der den Titel Das Vermächtnis trägt, den Text, den wir in den Händen halten und in dem ein schwuler Mann vom Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem schwulen Mann zu Beginn des 21. Jahrhunderts spricht.

Peter Rehberg

Dr. Peter Rehberg hat an der New York University am Department of Germanic Languages and Literatures promoviert und an mehreren Universitäten und Instituten in den USA und Deutschland gelehrt und geforscht. Er hat drei Romane veröffentlicht und schreibt regelmäßig für deutsche Medien wie der Freitag, Zeit Online, Texte zur Kunst, Merkur, sissy und Siegessäule. In seiner akademischen Arbeit konzentriert er sich auf Queer Theory, Pornografie, Popkultur und queere visuelle Kultur. Von 2018 bis 2022 arbeitete er als Archiv- und Sammlungsleiter am Schwulen Museum, Berlin. Seit Herbst 2022 ist er DAAD-Professor am Department of Asian, East European and German Studies an der University of Cincinnati. Zuletzt erschienen ist von ihm Hipster Porn: Queer Masculinities and Affective Sexualities in the Fanzine Butt (Routledge 2022).

Für Brandon

FIGUREN

E.M. FORSTER (»MORGAN«)

ERIC GLASS

TOBY DARLING

WALTER POOLE

ADAM MCDOWELL

HENRY WILCOX

LEO

MARGARET

 

JUNGER MANN 1

JUNGER MANN 2

JUNGER MANN 3

JUNGER MANN 4

JUNGER MANN 5

JUNGER MANN 6

JUNGER MANN 7

JUNGER MANN 8

JUNGER MANN 9

JUNGER MANN 10

TRISTAN

JASPER

JASON 1

JASON 2

CHARLES WILCOX

PAUL WILCOX

MANN

JUNGER HENRY

JUNGER WALTER

TUCKER

TOBYS AGENT

DEALER

KLINIKMITARBEITER

PFÖRTNER 1

PFÖRTNER 2

HENRYS ASSISTENT

TOBYS AGENTS ASSISTENT

ANDERER AGENT

Hinweis des Übersetzers:

Die Inszenierung von Stephen Daldry arbeitete mit Mehrfachbesetzungen und folgt damit dem Stücktext, der nahelegt, dass einzelne Schauspieler verschiedene Rollen spielen. Nähere Informationen siehe Erstaufführungsdaten ab Seite 307.

Für die Wiederaufnahme der Inszenierung in New York wurde der Stücktext vom Autor überarbeitet. Die überarbeitete Stückfassung bildet die Grundlage für die vorliegende Übersetzung.

Verborgenes

 

Aus alldem, was ich tat und sagte,

Möge keiner versuchen herauszufinden, wer ich war.

Ein Hindernis war da,

Das meine Taten und meinen Lebensstil gewandelt.

Ein Hindernis war da,

Das mich oft abhielt zu sprechen.

Meine unscheinbaren Taten,

Meine deutlich verschleierten Schriften,

Aus ihnen allein wird man mich verstehen.

Aber vielleicht lohnt sich solche Anstrengung

Und Mühe nicht, mich ausfindig zu machen.

Später – in einer vollkommeneren Gesellschaft –

Wird ein anderer, beschaffen genau wie ich,

Sich frei offenbaren und handeln.

 

Konstantinos Kavafis (1908)

Übersetzt von Robert Elsie

Teil Eins

Prolog

Eine Handvoll junger Männer, sie sitzen herum und schreiben. Einige in Notizbücher, einige auf Laptops, einige wenige auf Schreibmaschinen. Zur Seite, mit Abstand zur Gruppe, sitzt ein junger Mann, alleine. Wir nennen ihn Junger Mann 1.

JUNGER MANN 1 Er hat eine Geschichte zu erzählen – sie schlägt Krach in ihm, sie will raus. Aber wie soll er beginnen? Er schlägt seinen Lieblingsroman auf, hofft, dass der vertraute erste Satz ihn inspirieren wird. Und einmal mehr findet er sich durch das Lesen jener Worte in der freundlichen und bestärkenden Anwesenheit ihres Autors wieder.

Ein älterer Mann tritt auf. Es ist E.M. Forster. Wir, wie alle seine Vertrauten, nennen ihn Morgan.

MORGAN Ich hoffe, ich störe euch nicht.

JUNGER MANN 2 Aber nein!

JUNGER MANN 6 Komm zu uns!

JUNGER MANN 5 Du störst uns überhaupt nicht.

JUNGER MANN 7 Ein bisschen Ablenkung kann uns nicht schaden.

MORGAN Wie geht die Arbeit voran?

JUNGER MANN 2 Es läuft furchtbar.

JUNGER MANN 3 Ich hasse alles, was ich heute geschrieben habe.

JUNGER MANN 4 Ich bin ein totaler Betrüger.

JUNGER MANN 5 Vor mir haben andere das schon so viel besser gesagt als ich.

JUNGER MANN 6 Ich habe nichts Eigenes zu sagen.

JUNGER MANN 7 Ich bin nichts als ein Epigone.

JUNGER MANN 8 Meine Figuren machen nicht, was ich von ihnen will.

JUNGER MANN 9 Ich schreibe seit sieben Stunden denselben Satz.

JUNGER MANN 10 Scheiße, ich glaube, ich bin ein Genie.

MORGANzum Jungen Mann 1 Warum schreibst du nicht?

JUNGER MANN 1 Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Da dachte ich, vielleicht les ich ein bisschen und schau, wie andere ihre Geschichten anfangen.

MORGAN Du bist auf das wertvollste Werkzeug des Schriftstellers gestoßen: Prokrastination.

Worum geht es in deiner Geschichte?

JUNGER MANN 1 Um mich. Meine Freunde. Die Männer, die ich geliebt habe. Und die, die ich verloren habe.

MORGAN Du meine Güte. Freundschaft, Liebe, Verlust. Das geht doch schon mal gut los.

JUNGER MANN 1 Aber das ist ja das Problem, es geht überhaupt nicht los! Meine Ideen wollen nicht zu Worten werden.

MORGAN Ja, ich verstehe. Alle deine Ideen sind in den Startlöchern, sie sind bereit, sie wollen losrennen. Doch damit das Rennen beginnen kann, müssen sie alle durch ein Schlüsselloch schlüpfen.

JUNGER MANN 1 Ich hab mir eins von deinen Büchern geholt –

MORGAN Welches denn? Ah, Howards End.

JUNGER MANN 1 »Man kann eigentlich ebenso gut mit Helens Briefen an ihre Schwester beginnen.« Gott, was für ein großartiger erster Satz! Einfach so rausgehauen, als wär’s eigentlich egal, wie man anfängt.

MORGAN Vielleicht ist es das auch.

JUNGER MANN 1 Das Buch lässt mich einfach nicht los.

MORGAN Sag mir: Was an meinem Roman spricht dich an? Was findest du dort auf seinen Seiten?

JUNGER MANN 2 Orientierung?

JUNGER MANN 8 Mitgefühl.

JUNGER MANN 4 Weisheit.

JUNGER MANN 5 Ich liebe seine Menschlichkeit.

JUNGER MANN 7 Seine Ehrlichkeit.

JUNGER MANN 1 Er tröstet mich.

JUNGER MANN 10 Mich nicht. Ich meine, es ist ein tolles Buch, versteht mich nicht falsch. Die Verfilmung ist … auch gut. Aber, ich meine, die Welt ist heute doch ganz anders. Ich kann mich überhaupt nicht damit identifizieren.

JUNGER MANN 9 Es ist hundert Jahre alt.

JUNGER MANN 7 Die Welt hat sich so sehr verändert.

JUNGER MANN 3 Unser Leben ist nicht mehr so wie die Menschen in deinem Buch.

MORGAN Stimmt das denn? Herzen lieben doch noch immer, oder nicht? Und brechen. Hoffnung, Angst, Eifersucht, Verlangen. Euer Leben mag anders sein. Aber die Gefühle sind ganz sicher dieselben. Verändert haben sich nur der Schauplatz, der Kontext, die Kostüme. Doch das sind Einzelheiten.

JUNGER MANN 1 Einzelheiten habe ich genug. Was ich nicht habe, ist ein Anfang.

MORGAN Warum ist das eine Geschichte, die du erzählen musst?

JUNGER MANN 1 Um sie zu verstehen. Um mich zu verstehen.

MORGAN Das ist eine Geschichte, die ich gerne hören würde.

JUNGER MANN 1 Hilfst du mir dabei, meine Geschichte zu erzählen? Unsere Geschichte?

JUNGER MANN 7 Wer wir sind.

JUNGER MANN 6 Wie wir hierhergekommen sind.

JUNGER MANN 4 Und was wir einander bedeuten.

MORGAN Es wäre mir ein Vergnügen.

Nun, fürs Erste: Mit wem fängt deine Geschichte an?

JUNGER MANN 1 Toby.

MORGAN Man kann eigentlich ebenso gut mit Tobys … was?

JUNGER MANN 1 Voicemails.

MORGAN Man kann eigentlich ebenso gut mit Tobys Voicemails –

JUNGER MANN 1 – an seinen Freund beginnen.

Akt Eins

Sommer 2015 − Sommer 2016

Szene Eins

1. Eine Party in den Hamptons

Junger Mann 10 wird zu Toby Darling.

JUNGER MANN 1Piep!

TOBY Du wirst sterben, wenn ich dir sage, was du verpasst. Ruf mich an.

JUNGER MANN 1 Toby, nach einem Martini. Piep!

TOBY Wo bist du? Du kannst unmöglich schon schlafen. Du verpasst die aller-exquisiteste Party aller Zeiten, ich fasse es nicht! Ruf an, wenn du das hier kriegst. Gott, wie ich die Hamptons liebe!

JUNGER MANN 1 Toby, nach noch einem Martini. Piep!

TOBY Okay. Also. Erstens, das Haus ist hinreißend. Eine Saltbox, aber in modern, so ein geschmeidiges Ding komplett aus Glas und Beton mit einem riesigen Infinity-Pool, bis hinaus zum Meer. Und die Einrichtung ist so stilvoll, du würdest sterben.

JUNGER MANN 1 Und der Besitzer, Henry Wilcox?

TOBY Ah, Henry Wilcox! Du hattest recht: Henry Wilcox ist echt irgendwie ein Traummann. Ich will er sein, wenn ich groß bin. Er trägt den allerschicksten Anzug, und den hat sein Schneider in der Upper West Side ihm geschneidert, so einer, der bei Savile Row gelernt hat. Und als ich ihn dann um den Kontakt zu dem Typen bitte, sagt Henry:

JUNGER MANN 1 »Ach, Toby, der ist völlig jenseits deiner Preisklasse.«

TOBY Was echt das Verpimmelste ist, was man jemandem sagen kann, aber aus dem Mund von Henry Wilcox, also, ich war einfach hin und weg. Ach, und wir haben heute Football gespielt. Richtig mit Umwerfen, nicht nur mit Ballkontakt. Kannst du dir vorstellen, dass ich Football spiele?

DIE JUNGS Nein!

TOBY Na gut, habe ich auch nicht. Aber ich hätte gekonnt, wenn ich gewollt hätte, und darum geht’s.

JUNGER MANN 1 Und Henrys Lebensgefährte Walter Poole?

TOBY Ah, Walter! Wie beschreibe ich Walter? Walter hat so einen irgendwie, ich weiß nicht, wie ich sagen soll, echt geisterhaften Flair. Wie ein Tüllvorhang vor einem offenen Fenster. Wie Valium. Ich liebe ihn.

Ach du Scheiße, Meryl Streep ist hier. Eric, diese Party ist absurd. Ruf mich an.

JUNGER MANN 1 Toby, nach fünf Martini. Piep!

TOBY Walter hat gerade gesagt, ich kann das ganze Wochenende bleiben! Pack ein paar Sachen, nimm ein paar Unterhosen für mich mit und bewege sofort deinen Arsch hierher, gleich morgen mit der ersten Bahn. Du wirst es lieben!

JUNGER MANN 1 New York City ist ein darwinistischer Großversuch. Jeden Sommer schwappen Wellen von College-Absolventen an ihre Küsten und beginnen den Kampf um Anerkennung und Erfolg.

JUNGER MANN 5 Sie sind jung, ehrgeizig, intelligent und getrieben –

JUNGER MANN 8 Hilft auch, wenn sie hübsch sind.

JUNGER MANN 6 – jeder Einzelne überzeugt, dass er die Talente und Fähigkeiten hat, um in der Stadt nicht nur zu überleben –

JUNGER MANN 2 – sondern zu blühen.

JUNGER MANN 1 Toby Darling und sein Freund … Eric Glass waren zwei solche Kämpfer.

 Junger Mann 9 wird zu Eric Glass.

MORGAN Schauen wir sie uns mal an.

Gut. Also … keiner von beiden war mehr allzu jung –

TOBY He!

MORGAN – und weder besonders geistreich –

ERIC Wie bitte?

MORGAN – noch erfolgreich.

TOBY Äh, hallo?!

MORGAN Beide hatten keinen roten Heller. Und doch waren sie, ganz, ohne dass sie dafür etwas hatten tun müssen, die glücklichen Bewohner einer riesigen Fünfzimmerwohnung mit zwei Bädern und einer Terrasse mit Parkblick im vierzehnten Stock eines eleganten Vorkriegsbaus in der Upper West Side in Manhattan.

Eric Glass war gerade dabei, ein paar Sachen zu packen, da kam Toby in die Wohnung –

JUNGER MANN 1 Verkatert und elend.

2. Erics und Tobys Wohnung

ERIC Toby? Ich wollte gerade los zur Penn Station.

TOBY Hast du meine Nachricht nicht bekommen?

ERIC Kommt drauf an, welche von den zwei Dutzend.

TOBY Die von ganz früh heute Morgen.

ERIC Nein, die hab ich wohl / nicht –

JUNGER MANN 1Piep!

JUNGER MANN 2 He, ich bin’s.

JUNGER MANN 3 Es ist früh.

JUNGER MANN 4 So gegen sechs, oder so?

JUNGER MANN 5 Pass auf, Planänderung.

JUNGER MANN 6 Ich komme mit der ersten Bahn zurück.

JUNGER MANN 7 Und bitte lösche alle Nachrichten von gestern Abend.

JUNGER MANN 8 Ich wünschte, ich wäre nie hierhergekommen.

ERIC Was ist passiert?

TOBY Ich schäme mich so. Ich kann mich da nie wieder blicken lassen. Ich kann nie wieder die Wohnung verlassen.

ERIC Sag es einfach, Baby.

TOBY Ich musste mich – übergeben.

ERIC Ach. Das ist nicht so schlimm. In der Bahn?

TOBY Auf der Party.

ERIC Ah. Und … das heißt … auf den Rasen / oder –?

TOBY Auf ihre Couch.

ERIC Oh.

TOBY Und ihre Hündin. Die auf Meryl Streeps Schoß saß.

Ich schäme mich zutiefst. Alec Baldwin und Mariska Hargitay haben mich dabei gesehen, wie ich DIE ÜBERRAGENDSTE UND GEFEIERTSTE SCHAUSPIELERIN ALLER ZEITEN vollgekotzt habe!

ERIC Na ja, immerhin war es nicht Glenda Jackson.

TOBY Du hast Sophies Entscheidung gesehen! Ich schäme mich so.

ERIC Ach, Toby. Was ist denn dann passiert?

TOBY Meryl Streep ist einfach sitzen geblieben, Erbrochenes bedeckte sie. Die Hündin, sie … o mein Gott, die Hündin hat …

ERIC Sag einfach –

TOBY Sie hat angefangen, es ihr vom Gesicht zu lecken.

Lachst du?

ERIC Nicht über dich.

TOBYGott sei Dank war Walter da und hat so getan, als ob so was in East Hampton ständig passiert. Er half der beliebtesten Schauspielerin der Welt aus dem Zimmer. Dann brachte er mir ein Ginger Ale und half mir hinauf in mein Zimmer. Gegen fünf Uhr war ich wach, habe ein Uber gerufen und war noch vor Sonnenaufgang am Bahnhof.

ERIC Du bist gegangen, ohne dich zu verabschieden?

TOBY Hätte ich noch zum Frühstück bleiben sollen, oder was!

ERIC Ach, Toby …

Eric holt sein Handy heraus.

TOBY Was machst du da?

ERIC Ich rufe / Walter an.

TOBY Nein, bitte!

ERIC Wir können nicht einfach nichts sagen.

TOBY Doch, das können wir! Ich schwöre, in einer Woche haben sie uns vergessen.

ERIC Ich will nicht, dass sie uns vergessen. Ich mag Henry und Walter.

TOBY Lass es einfach, bitte.

Eric steckt widerwillig sein Handy weg.

O Gott, ich bin so was von am Ende.

ERIC Du hast schon überall in der Stadt gekotzt und dich doch immer wieder blicken lassen.

TOBY Ja, aber noch nie in den Hamptons. Alle auf der Party waren so locker und entspannt, als ob sie dazugehörten.

ERIC Weil sie dazugehörten. Vielleicht haben wir eines Tages das Geld und gehören auch dazu. Oder vielleicht sind wir einfach nicht wie sie und gehören woanders dazu.

TOBY Wir müssen sein wie sie! Du hast das Haus nicht gesehen, Eric.

Dann, wirklich niedergeschlagen.

Ohh-ch. Du hast das Haus nicht gesehen. Es tut mir so leid, dass ich uns unseren Strandausflug ruiniert habe.

ERIC Den Plan gab es genau eine Minute lang. Ich hatte kaum Zeit, irgendwas abzusagen. Genau gesagt, wollte ich heute eine Runde durchs Whitney drehen. Dann vielleicht noch ins Film Forum. Magst du mit?

TOBY Ich bin so was von verkatert, Baby. Ich will nur noch einschlafen und erst wieder aufwachen, wenn ich die Vierzig hinter mir habe.

ERIC Ach, Toby.

Geh schlafen. Ich bin nachher wieder da und koch dir was.

TOBY Ruf mich an, wenn du zum Kino losgehst. Vielleicht bin ich ja wieder fit.

MORGAN Was macht Eric jetzt?

JUNGER MANN 1 Ich glaube, er ruft Walter trotzdem an.

MORGAN Und wer ist Walter?

JUNGER MANN 1 Du.

 Morgan wird zu Walter Poole.

WALTER Ja?

ERIC Hallo, Walter? Eric Glass hier.

WALTER Na hallo, Eric Glass. Ich hab mich schon gefragt, ob ich heute von dir hören würde.

ERIC Ja. Hör mal, wegen gestern Abend, Toby fühlt sich einfach furchtbar.

WALTER Angesichts der Menge von Martini, die Toby hatte, wundert mich das nicht.

ERIC Hör mal, bist du sicher, dass es nichts gibt, was wir tun könnten? Ich kann einen Scheck / schicken oder vielleicht rufe ich –

WALTER Schlag es dir aus dem Kopf, das kannst du tun.

ERIC Ja, also … ich versuch’s.

WALTER Und jetzt entschuldige mich bitte, hier kommen gerade die Leute von der Reinigung. Ohne jeden Zusammenhang mit den Ereignissen von gestern Abend, keine Sorge. Freut mich sehr, dass du angerufen hast, Eric.

Walter legt auf, wird wieder zu Morgan.

MORGAN Eric Glass liebte Menschen. Regelmäßig öffnete er sein Heim für alte Freunde und neue Bekannte.

JUNGER MANN 1 Er kochte ausgefeilte Menüs für all die faszinierenden Menschen, die er im Laufe der Jahre angesammelt hatte, hörte ihren Geschichten zu –

MORGAN – erzählte selbst aber nur selten seine.

JUNGER MANN 1 Allen, die neu in seine Umlaufbahn eintraten, gab er sofort das Gefühl, zur Familie zu gehören.

MORGAN Er teilte seine Leidenschaften, er teilte seine Bücher – selbst wenn er wusste, dass sie nicht zurückkommen würden.

JUNGER MANN 1 Und so kam es, dass Eric Glass am Freitag, dem 9. Oktober 2015, sein Heim für seine Freunde öffnete, um seinen dreiunddreißigsten Geburtstag zu feiern. Er servierte das Essen, schenkte Wein ein und spielte ihnen ein Musikstück vor, das er seit kurzem im Ohr hatte.

Ende von Szene Eins.

Szene Zwei

9. Oktober 2015. Erics dreiunddreißigster Geburtstag

1. Erics und Tobys Wohnung

Eric und Toby mit einer Gruppe von vier anderen jungen Männern. Es läuft Ravels Streichquartett F-Dur.

ERIC Toby und ich haben heute im Strand eine Gruppe von der Juilliard gehört, die haben das Stück gespielt.

TRISTAN Von wem ist das?

ERIC Ravel.

JASON 2 Ich kenne Ravel gar nicht so richtig. Was hat er noch gemacht?

JASON 1 Was meinst du mit »gemacht«, Baby?

ERIC »Boléro«.

JASON 2 Was ist das noch mal?

Eric muss »Boléro« vorsingen.

Ach so! Torvill und Dean. Das ist von ihm?

ERIC Ja.

TRISTAN Es ist wirklich zauberhaft.

ERIC Ja, oder?

JASON 2 Ich glaube, ich kenne das aus einem Film.

JASPER Ja genau, ich auch. Abbitte vielleicht?

JASON 2 Oder Der englische Patient? Irgendwas mit Englisch.

JASON 1 Es klingt wie die Ewok-Musik am Ende von Rückkehr der Jedi-Ritter.

JASON 2Aye que niedlich die kleinen Ewoks!

ERIC Achtung, ich springe vor zum zweiten Satz.

Er springt im Stück nach vorne.

Ist das nicht schön? Ich liebe das Zupfen.

TOBY Eric steht auf Hardcore-Zupfen.

TRISTAN Es klingt wie das Prickeln in einem Glas Champagner.

ERIC Ja, das höre ich.

JASON 2 Oder eine Hummel, die über eine Wiese saust.

ERIC Ja, das höre ich auch. So, und jetzt schau ich mal nach dem Essen.

JUNGER MANN 1 Entschuldigung.

ERIC He Baby, machst du noch einen Wein auf?

TOBY Unbedingt.

JUNGER MANN 1 Entschuldigung?

TRISTAN Was gibt’s denn? Das riecht wirklich gut.

ERIC Ich hab entschieden, an meinem Geburtstag, da lasse ich es krachen, und dann hab ich uns bei Dickson’s eine ganz wunderbare Lammkeule geholt.

Junger Mann 1 kommt herein, er hat eine Tüte aus dem Strand Bookstore in der Hand.

JUNGER MANN 1 Entschuldigung. Tut mir echt leid, dass ich euch bei eurer Party störe. Erinnert ihr euch an mich?

ERIC Nein.

JUNGER MANN 1 Ich hab vorhin im Buchladen neben dir gesessen. Erinnerst du dich an mich?

ERIC Tut mir leid …

JUNGER MANN 1 Als sie die Musik gespielt haben? Zu Toby. Erinnerst du dich an mich?

TOBY Ja doch, der Schnuckel, der uns gefragt hat, was für ein Stück sie da spielen.

JUNGER MANN 1 Ja.

JASON 2 Es ist Ravel.

ERIC Und jetzt bist du hier.

JUNGER MANN 1 Ja.

TOBY Warum bist du hier?

JUNGER MANN 1 Wegen meiner Tüte.

TOBY Die Tüte, die du in der Hand hast?

JUNGER MANN 1 Nein, die Tüte da drüben.

Er zeigt auf den Boden, wo eine andere Tüte aus dem Strand liegt.

Ich glaube, du hast meine Tüte mitgenommen.

TOBY Was?

JUNGER MANN 1 Aus Versehen. Wir hatten beide unsere Tüten auf dem Boden stehen, und, als du gegangen bist, hast du, glaube ich, eventuell meine mitgenommen. Aus Versehen.

ERIC O mein Gott, es tut uns so leid. Toby, hört das denn nie auf!

JASON 1 »Das«? Das heißt, er hat das schon einmal gemacht?

ERIC Ständig! Er raubt andauernd anderen Leuten ihre Sachen. Ihre Schals, ihre Handschuhe, ihre Schirme.

JASPER Ihre Jungfräulichkeit.

ERIC Baby, jetzt mal ohne Scheiß, aus dir wird noch ein richtiger Kleptomane.

TOBY Das habe ich gar nicht gemerkt.

ERIC Das tut uns so leid.

JUNGER MANN 1 Du bist Toby Darling, oder? Zu Eric. Der das Buch Loved Boy geschrieben hat?

Die folgenden vier Absätze werden gleichzeitig gesprochen:

JASPER Wow, es ist passiert.

TRISTAN Toby, man hat dich erkannt.

JASON 1 Wie cool ist das denn.

JASON 2 Du bist berühmt!

TOBY Bist du deswegen hier? Du hast mein Buch gelesen, es hat dein Leben verändert, du hast mich im Buchladen gesehen, und dann bist du mir nach Hause gefolgt, weil du ein Autogramm wolltest, und hast dir dafür irgendeine Story von irgendwelchen vertauschten Tüten ausgedacht?

JUNGER MANN 1 Ehrlich gesagt, hattest du deinen Geldbeutel in der Tüte.

Die Jungs sterben vor Lachen.

Und …

Er nimmt sechs Exemplare desselben Buchs aus der Tüte.

JASON 1 Ist das dein Buch, Toby?

JASPER Du hast sechsmal dein eigenes Buch gekauft?

TRISTAN Ach, Toby, du machst mich fertig.

TOBY Ja, lacht ihr nur, Jungs. Falls ihr es wissen wollt, ich habe den Damen im achten Stock versprochen, dass ich ihnen signierte Exemplare für ihren Buchclub gebe.

ERIC Hast du Tobys Buch gelesen?

JUNGER MANN 1 Nein, aber ich hab davon –

JASON 2 Okay und welche Bücher hast du dir geholt?

Jason 2 nimmt sich die Tüte von Junger Mann 1.

JUNGER MANN 1 Ach, ich –

JASON 2 Eine Kavafis-Sammlung.

ERIC Uuh, in welcher Übersetzung?

JASON 1 Mendelsohn.

Die folgenden zwei Absätze werden gleichzeitig gesprochen:

ERIC So was von gut.

JASON 1 Die wollte ich mir auch schon holen.

JASON 2Giovanni’s Room. Call Me by Your Name. The Swimming-Pool Library.

JASON 1 Ich rieche ein Thema.

TOBY Wenn du dir schon lauter schwule Bücher kaufst, warum dann nicht meins?

TRISTAN Weil du schon alle Exemplare gekauft hattest, die im Laden waren, Toby.

JASON 2 Du solltest einen Film draus machen, Toby.

JASON 1 Ja! Es wäre toll als Film!

TOBY Ehrlich gesagt – Zu Eric. Soll ich’s ihnen sagen?

ERIC Das sind deine guten Nachrichten, Baby.

JASON 1 Wow, er macht einen Film draus!

TOBY Nein, aber – ich habe einen Stückauftrag bekommen, und jetzt mache ich ein Stück daraus!

Stille. Dann –

JASON 2 Ein Musical?

TOBY Nein, richtiges Theater.

ERIC Na ja …

JASON 2 Kommt Musik darin vor?

TOBY Ich weiß nicht, ich habe es noch nicht geschrieben.

JASON 1 Ich kann es mir total gut als Stück vorstellen, Toby.

TOBY Danke.

TRISTAN Toby, das ist toll. Glückwunsch.

JASPER Genau Toby, sehr gut.

TOBY Danke. Ich freue mich sehr.

ERIC Das Stück wird der Wahnsinn.

JASON 2 Solange du nicht vergisst, Musik reinzutun.

TOBYzu Junger Mann 1 Willst du ein Exemplar haben?

JUNGER MANN 1 Ich kann mir selbst / eins –

TOBY Würdest du es lesen oder einfach irgendwo ins Regal stellen?

JUNGER MANN 1 Nein, ich würde es lesen.

TOBY Dann gehört das Buch jetzt dir.

JUNGER MANN 1 Danke. Jetzt lass ich euch besser mit eurer Party weitermachen.

Die Jungs protestieren.

Die folgenden zwei Absätze werden gleichzeitig gesprochen:

ERIC Nein, bleib doch.

JASON 2 Eric hat Geburtstag!

JUNGER MANN 1 Alles Gute zum Geburtstag.

ERIC Danke. Hast du Hunger? Ich habe richtig viel Essen gemacht.

JUNGER MANN 1 Ach, das kann ich nicht –

TRISTAN Eric ist ein wahnsinnig toller Koch.

ERIC Oder einen Wein vielleicht? Wir haben uns gerade das Stück angehört, das sie im Strand gespielt haben.

JUNGER MANN 1 O mein Gott, das hat mir so sehr gefallen.

ERIC Ja, mir auch. Wunderschön, oder?

JUNGER MANN 1 Ja. Es … es ist so sehnsuchtsvoll.

ERIC Ja, stimmt! Das ist das perfekte Wort dafür. Ich finde, es geht um Trauer.

JUNGER MANN 1 Ah interessant.

ERIC Findest du nicht?

JUNGER MANN 1 Ich finde … ich finde, vielleicht geht es um unerwiderte Liebe.

ERIC Wirklich? Inwiefern?

JUNGER MANN 1 Es ist romantisch, aber auf eine Art, die sich unerlöst anfühlt.

JASON 2 Komisch, das ist gar nicht, was ich höre.

JUNGER MANN 1 Vielleicht irre ich mich.

ERIC Lass dich von denen nicht ärgern.

JUNGER MANN 1 Okay. Also, im ersten Satz, da werden die Phrasen legato gespielt, heben sich und senken sich, wie Atemzüge – nein – wie Seufzer. Da stelle ich mir eine Person vor, die sich Fotos von einer Person anschaut, die sie vor langer Zeit geliebt hat. Der zweite Satz fängt dann mit Zupfen, nicht mit Streichen an. Ganz sommerlich und frisch. Da muss ich an einen Schmetterling denken, der über eine Wiese flattert.

JASON 2 Ich hab gesagt eine Hummel.

JUNGER MANN 1 Aber dann kehrt, in der Mitte des zweiten Satzes, die Traurigkeit wieder, als ob unser Protagonist das Objekt seines Verlangens plötzlich leibhaftig erblickte. Das schmerzhafte, sehnsuchtsvolle Gefühl, wenn man jemanden so sehr will, ihn aber niemals haben kann. Der letzte Satz ist dann wie ein wütendes Feuer, das die Person ganz und gar verschlingt. Lebendig verbrannt vor Verlangen.

TOBY Wütendes Feuer? Das hast du alles von einmal Hören? In einem Buchladen?

JUNGER MANN 1 So funktioniert halt mein Gehirn.

ERIC Du trinkst gar nichts von deinem Wein.

JUNGER MANN 1 Ach, ich trinke eigentlich / gar keinen –

ERIC Willst du was anderes?

TOBY Vielleicht was Stärkeres?

JUNGER MANN 1 Ach, nein / ich –

ERIC Ich kann dir einen Cocktail machen.

TOBY Eric macht einen meanen Manhattan.

JASON 2 Uuh, ich will einen Manhattan!

TRISTAN O ja, ich auch.

TOBY Eric, du hast einen Auftrag bekommen, und jetzt machst du Manhattans.

ERIC Ja! Kommt sofort!

TRISTAN Du wirst auf allen vieren nach Hause gehen, das schwör ich dir.

TOBY Na dann erzähl uns mal von dir, mein Kleiner.

JASON 1 Gehst du aufs College?

JASON 2 Wie alt bist du?

TRISTAN Wo kommst du her?

JASPER Hast du einen Freund?

 Alle schauen auf Junger Mann 1.

JUNGER MANN 1 Ich glaube, ich geh jetzt besser.

 Riesenprotest der Jungs.

ERIC O nein, bleib doch noch. Bitte.

Es gibt richtig viel Essen, jede Menge guten Wein.

JUNGER MANN 1 Nein, ich geh besser. Aber danke.

ERIC Kommst du denn wieder? Da du ja jetzt weißt, wo wir wohnen?

JUNGER MANN 1 Danke. Ich … danke.

Junger Mann 1 nimmt seine Tüte, geht ab. Eric sieht seine Freunde an.

ERIC Ihr seid alle richtig schlimm.

Die folgenden zwei Absätze werden gleichzeitig gesprochen:

TRISTAN Mich brauchst du nicht anzusehen.

JASPER Wir haben uns doch nur für ihn interessiert.

ERIC Hättet ihr nicht einfach dafür sorgen können, dass er sich ein kleines bisschen wohlfühlt? Habt ihr gehört, was er über das Musikstück gesagt hat? Und so einen vertreiben wir.

TOBY Dann such ihn doch auf Facebook.

ERIC Ja! Gute Idee, Toby. Wie war sein Name?

 Alle sehen einander ratlos an.

TOBY Wer will einen Manhattan?

2. Zwischenspiel Eric

MORGAN Eric Glass war niemand, der viele Geheimnisse hatte. Doch etwas gab es, das er vor allen geheim hielt, sogar vor Toby.

ERIC Was war das?

MORGAN Eric Glass glaubte nicht, dass er jemand Besonderes war. Er war weniger geistreich als seine Freunde und hatte weniger erreicht als sie. Er hielt sich selbst – in jeder Hinsicht – für so gewöhnlich, dass es weh tat. Indes er bei anderen ihre Furchtlosigkeit bewunderte, war er, was das eigene Leben anging, vorsichtig.

ERIC Eric hatte den ersten Job angenommen, der ihm nach dem College angeboten worden war, von seinem Freund Jasper, dessen scharfer Verstand ihm schon an ihren ersten gemeinsamen Tagen als Kommilitonen in Yale aufgefallen war.

JASPER Jasper hatte mit einundzwanzig seine erste Firma gegründet, er ist Social-Justice-Unternehmer. Eric war sein erster Angestellter.

ERIC Er lernte Tristan ein Jahr nach dem College kennen. Sie gingen auf drei Dates –

JUNGER MANN 6 – und entschieden dann, dass sie beste Freunde waren. Tristan ist Arzt.

ERIC Er arbeitet in der Notaufnahme des NYU Medical Center.

Eric lernte Jason 2004 kennen, als sie beide Freiwillige im Wahlkampf von John Kerry waren.

JUNGER MANN 8 Die Wahl haben wir verloren, aber die Freundschaft ist geblieben. Jason ist Grundschullehrer.

JUNGER MANN 2 Ja! Und sein Freund –

JUNGER MANN 8 Nein, sein Partner –

JUNGER MANN 2 Sein Partner, der / Stephen –

JUNGER MANN 8 – der auch Jason heißt –

JUNGER MANN 2 Okay, sein Partner, der auch Jason heißt, ist / Menschenrechts- –

JUNGER MANN 8 – Biologielehrer an der Highschool!

JUNGER MANN 2 Ja, na gut. Aber – sie sind nicht nur Partner –

Junger Mann 2 holt zwei Eheringe aus der Tasche. Junger Mann 2 steckt einen Ring an den Finger von Junger Mann 8.

Sie sind verheiratet.

MORGAN Miteinander?

JUNGER MANN 2 Aber ja.

JUNGER MANN 8 Ich will ich will ich will ich will ich will!

 Junger Mann 2 und Junger Mann 8 küssen sich.

MORGAN Seid ihr alle verheiratet?

TRISTAN Bring mir einen Mann, der was wert ist, und ich heirate den Mistkerl.

MORGAN Und Jasper?

JASPER Jasper ist kein Mann für die Ehe.

MORGAN Warum nicht?

JUNGER MANN 6 Jasper datet junge Typen.

JUNGER MANN 4 Frisch-vom-College-jung?

JASPER Jasper mag keine komplizierten Männer.

MORGAN Sind Eric und Toby verheiratet?

JUNGER MANN 1 Noch nicht.

JUNGER MANN 3 Ich habe eine Frage:

MORGAN Ja?

JUNGER MANN 3 Wie kann sich Eric so eine schöne Wohnung leisten?

JUNGER MANN 7 Ja, das hab ich mich auch schon gefragt.

MORGAN Um zu verstehen, wer Eric Glass ist, muss man zunächst verstehen, was es mit der Wohnung seiner Familie in der Upper West Side auf sich hat.

JUNGER MANN 1 Erics Großvater, Nathan, war Veteran der 10. Panzerdivision, die an der Befreiung von Dachau beteiligt gewesen war. Seine Großmutter, Miriam, war aus Deutschland geflüchtet.

MORGAN Im Herbst 1947 unterschrieben sie den Mietvertrag für eine Wohnung mit Mietpreisbindung auf der West End Avenue. Das war zu einer Zeit, als Familien aus der Mittelschicht sich solche Wohnungen noch leisten konnten.

ERIC Diese Wohnung wurde der erste Ort auf der Welt, an dem sich Erics Großmutter sicher fühlte. Sie hat hier in dieser Wohnung ihre Kinder großgezogen. Sie ist bei jeder Wahl in die öffentliche Schule um die Ecke wählen gegangen. Sie hat im Wohnzimmer dieser Wohnung den Tod John F. Kennedys, den Rücktritt Richard Nixons und die Wahl Barack Obamas geschaut. Es war hier in dieser Wohnung, dass Miriam Glass zur Amerikanerin wurde.

JUNGER MANN 1