Das verruchte Spiel des Daniel MacKenzie - Jennifer Ashley - E-Book
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Das verruchte Spiel des Daniel MacKenzie E-Book

Jennifer Ashley

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Beschreibung

Skandale begleiten den gut aussehenden und reichen Daniel MacKenzie auf Schritt und Tritt. Überall liegen ihm die Frauen zu Füßen. Doch erst als er dem berühmten Medium Violet Bastien begegnet, fühlt er sich zu einer Frau wirklich hingezogen. Aber Violet wird von ihrer Vergangenheit verfolgt und muss heimlich das Land verlassen. Daniel macht sich auf die Suche nach ihr, um sie vor ihren Verfolgern zu beschützen.

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Inhalt

Titel

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Die Autorin

Die Romane von Jennifer Ashley bei LYX

Impressum

JENNIFER ASHLEY

Das verruchte Spiel des Daniel MacKenzie

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Susanne Kregeloh

Zu diesem Buch

Skandale begleiten den gutaussehenden und vermögenden Daniel MacKenzie auf Schritt und Tritt. Überall liegen ihm die Frauen zu Füßen. Doch erst als er der berühmten Spiritistin Violet Bastien begegnet, weiß er, was es bedeutet, sich wirklich zu einer Frau hingezogen zu fühlen. Auch wenn sie ganz offensichtlich eine Schwindlerin zu sein scheint, ist er völlig fasziniert von ihr. Was er aber nicht ahnt: Violet hat noch ein weiteres Geheimnis – ein tragisches Ereignis in ihrer Vergangenheit, welches nach wie vor ihr Leben überschattet. Und es ist der Grund dafür, dass sie keinem Menschen vertrauen und auch niemanden in ihr Herz lassen kann. Als Daniel sie küsst, schlägt sie ihm daher in einem Moment der Panik eine Vase gegen den Kopf und flieht. Nachdem er wieder zu sich kommt, versteht Daniel die Welt nicht mehr, hatte er doch auch bei ihr den Funken der Leidenschaft erkannt. Nur eines weiß er bestimmt: Er muss Violet finden und ihre Geheimnisse ergründen …

1

London, 1890

Er hat kein Ass.

Daniel MacKenzie hatte vier Achten auf der Hand und eine Stange Geld auf sein Blatt gesetzt.

Er fixierte Mortimer, der zehn Jahre älter war als er und ein Gesicht hatte wie ein Wiesel. Mortimer tat, als habe er von der jungen Kartengeberin am Kopf des Tisches soeben ein Ass bekommen und damit seinen Straight vollgemacht. Doch Daniel wusste es besser.

Sie spielten Poker in der Spielhölle The Nines, die in St. James lag. Poker war Fenton Mortimers bevorzugtes Kartenspiel, und die anderen teilnehmenden Gentlemen waren bereits aus der Runde ausgestiegen. Inzwischen hatte sich der ganze Club versammelt, um Zeuge des geistigen Wettstreits zu sein, der zwischen dem fünfundzwanzigjährigen Daniel MacKenzie und Mortimer, einem ausgebufften Spieler, entbrannte. Es hing so viel Zigarrenrauch in der Luft, dass jeder Schwindsüchtige, der es wagte, den Raum zu betreten, auf der Stelle tot umgefallen wäre.

Das Spiel der Wahl in diesem Etablissement war Whist, aber Mortimer hatte vor Kurzem das aus Amerika stammende Pokern eingeführt, das er während seines jahrelangen Aufenthalts dort erlernt hatte. Mortimer war gut darin, und er hatte Mayfairs Aristokraten rasch um Tausende von Pfund erleichtert. Nichtsdestotrotz forderten sie ihn immer wieder zu einer Partie auf, voller Ehrgeiz, das Spiel ebenfalls zu beherrschen. Elf Gentlemen waren es zu Beginn dieser Runde gewesen, doch einer nach dem anderen war aus dem Spiel ausgestiegen, bis nur noch Daniel und Mortimer übrig geblieben waren.

Daniel legte seine Karten verdeckt auf den Tisch, damit niemand der Umstehenden sein Blatt sehen und Mortimer einen Hinweis geben konnte. Er nahm noch einige Geldscheine und legte sie vor seinen Karten auf den Tisch. »Ich erhöhe auf zweihundert.«

Mortimers Gesichtsfarbe bekam einen leichten Grünstich, nichtsdestotrotz schob er einen Stapel Banknoten neben den von Daniel.

»Ich erhöhe noch einmal«, sagte Daniel, nahm weitere Geldscheine von seinem Stapel und fügte sie dem ohnehin schon beträchtlichen Einsatz hinzu. »Können Sie mithalten?«

»Kann ich.« Mortimer machte keine Anstalten, in seine Taschen zu greifen, um noch mehr Scheine oder Münzen herauszuholen, offensichtlich hoffte er darauf, es nicht tun zu müssen.

»Sicher?«

Mortimer musterte ihn aus schmalen Augen. »Was erlauben Sie sich, MacKenzie? Wenn Sie meine Ehre infrage stellen wollen, bin ich durchaus bereit, Ihnen darauf entsprechend zu antworten.«

Daniel verzichtete darauf, die Augen zu verdrehen. »Immer mit der Ruhe, Mann.« Er nahm die Zigarre aus dem Halter, der vor ihm auf dem Tisch stand, und sog Rauch in seinen Mund. »Ich glaube Ihnen ja. Was haben Sie auf der Hand?«

»Zuerst zeigen Sie Ihr Blatt.«

Daniel nahm seine Karten auf und schnippte sie mit einer lässigen Geste zu Mortimer hinüber. Vier Achten, ein Ass.

Die umstehenden Gentlemen ließen ein kollektives Aufstöhnen vernehmen, die Kartengeberin lächelte Daniel an, und Mortimer wurde kalkweiß im Gesicht.

»Verdammte Hölle. Ich dachte nicht, dass Sie es haben.« Mortimer deckte seine Karten auf – die Zehn, Bube, Dame, die Sieben und die Drei.

Daniel strich sein Geld ein und zwinkerte der Kartengeberin zu. Sie war wirklich sehr hübsch. »Für den Rest können Sie mir einen Schuldschein ausschreiben«, sagte er zu Mortimer.

Mortimer befeuchtete sich die Lippen. »Hören Sie …«

Er konnte nicht zahlen. Welcher Idiot setzte sein letztes Bargeld, wenn er ein Blatt ohne jede Gewinnchance auf der Hand hatte? Mortimer hätte schon mehrere Runden zuvor seine Niederlage akzeptieren und gehen sollen.

Doch Mortimer war von sich überzeugt und hielt sich für einen Experten im Bluffen. Er war überzeugt gewesen, dass er den naiven jungen Schotten, der heute Abend im Kilt hier hereinspaziert war, wie eine Weihnachtsgans ausnehmen würde.

Ein Mann mit harten Gesichtszügen, der in der Nähe der Tür stand, warf Mortimer einen grimmigen Blick zu. Daniel vermutete, dass er Mortimer das Bargeld für die Pokerpartien dieses Abends vorgestreckt hatte oder für jemanden arbeitete, der das getan hatte. Der Mann sah ganz und gar nicht erfreut darüber aus, dass Mortimer alles verloren hatte.

Daniel stand auf. »Vergessen Sie’s«, sagte er. »Behalten Sie, was Sie mir schulden – als Zeichen der Wertschätzung für einen unterhaltsamen Abend.«

Mortimer runzelte die Stirn. »Ich zahle meine Schulden, MacKenzie.«

Daniel schaute zu dem Knochenbrecher hinüber und senkte die Stimme. »Ich denke, Sie werden mehr als das zahlen, wenn Sie nicht schnell von hier verschwinden. Wie viel schulden Sie ihm?«

Mortimer sah ihn kalt an. »Das geht Sie nichts an.«

»Ich wünsche nicht mit anzusehen, wie einem Mann das Gesicht zerschlagen wird, nur weil ich Glück beim Kartenspiel hatte. Was schulden Sie ihm? Ich werde den Betrag für Sie auslegen, dann schulden Sie ihn mir.«

»Einem MacKenzie verpflichtet sein?« Mortimers Empörung war unübersehbar.

Nun, Daniel hatte es versucht. Er stopfte sich seinen Gewinn in die Taschen und nahm von der Kartengeberin seinen Mantel entgegen. Nachdem sie ihm hineingeholfen und ihm den Kragen gerichtet hatte, strich sie Daniel aufreizend über die Schultern.

Daniel zwinkerte ihr noch einmal zu. Er faltete eine der gewonnenen Banknoten zu einem schmalen Streifen, den er in den Ausschnitt ihres Kleides steckte. »Nun denn.« Er nahm seinen Hut von der Lady entgegen, die ihn jetzt noch einladender anlächelte. »Sie haben hoffentlich noch den Charonspfennig für die Fahrt über den Acheron bei sich, Mortimer. Gute Nacht.«

Er wandte sich zum Gehen – und sah sich von Mortimers Freunden umringt.

»Ich habe meine Meinung geändert«, erklärte Mortimer mit einem dünnen Lächeln. »Diese Gentlemen hier haben mich daran erinnert, dass ich etwas Wertvolles zum Handel anzubieten habe. Sagen wir für mindestens zweitausend.«

»Ach ja? Was haben Sie zu bieten? Ein Automobil?« Das war das Einzige, was momentan in Daniels Augen den Ärger wert war.

»Besser«, sagte Mortimer. »Eine Lady.«

Daniel unterdrückte ein Seufzen. »Ich habe keinen Bedarf an einer Kurtisane. Ich kann mir selbst eine Frau suchen.«

Und zwar ganz leicht. Daniel musste eine Frau nur ansehen, und sie kam zu ihm. Ein Teil seines Charmes beruhte auf seinem Reichtum, das wusste er; ein weiterer auf der Tatsache, dass er zu der berühmten MacKenzie-Familie gehörte und der Neffe eines Dukes war. Aber über die Beweggründe der Damen zerbrach sich Daniel nie den Kopf, er genoss einfach nur seinen Erfolg.

»Sie ist keine Kurtisane«, entgegnete Mortimer. »Sie ist etwas Besonderes. Sie werden es sehen.«

Vielleicht eine Schauspielerin. Sie würde eine mittelmäßige Darbietung eines Shakespeare’schen Monologs abliefern, und von Daniel würde man erwarten, dass er lächelnd verkündete, sie sei jeden Penny wert.

»Behalten Sie Ihr Geld«, sagte Daniel. »Geben Sie mir stattdessen ein Pferd oder Ihren besten Diener – ich bin da nicht sonderlich wählerisch.«

Mortimers Freunde rührten sich nicht von der Stelle. »Aber ich bestehe darauf«, sagte Mortimer.

Elf gegen einen. Falls sich Daniel nicht auf den Vorschlag einließ, würde er am Ende mit zerschundenen Fingerknöcheln dastehen. Doch gerade seine Hände wollte er keiner Verletzungsgefahr aussetzen, denn er hatte einige Feinarbeiten an seiner Maschine zu erledigen und musste dafür in der Lage sein, einen Schraubenzieher zu halten.

»Also gut«, gab er schließlich nach. »Aber ich werde die Ware prüfen, ehe ich sie als Zahlungsmittel akzeptiere.«

Mortimer war einverstanden. Er legte Daniel die Hand auf die Schulter, während er ihn aus dem Club führte, und Daniel verkniff es sich, die Hand abzuschütteln.

Als sie zu Mortimers Landauer gingen, bildeten seine Begleiter einen schützenden Ring um sie. Bevor sie vom The Nines wegfuhren, bemerkte Daniel, dass der Knochenbrecher ebenfalls die Spielhölle verlassen hatte und ihnen folgte.

Sie fuhren durch die nebelverhangene Stadt in ein respektables Viertel nördlich der Oxford Street. In der Nähe des Portman Square hielt Mortimer in einer Seitenstraße an.

Es zwar zwei Uhr morgens, und alles war still. Straße und Häuser lagen im Dunkeln. Hinter den Fenstern schliefen respektable Gentlemen, die früh am Morgen aufstehen würden, um sich zur Arbeit in die Stadt zu begeben.

Daniel stieg aus dem Landauer und schaute zu den dunklen Fenstern hinauf. »Sie wird schon schlafen. Lassen Sie uns die Sache auf morgen verschieben.«

»Unsinn«, erwiderte Mortimer. »Sie empfängt mich jederzeit, wann immer ich sie besuche.«

Er ging zu der schwarz lackierten Haustür und klopfte mit seinem Stock an. In einem Fenster über ihnen leuchtete Licht auf, der Vorhang wurde zur Seite geschoben. Mortimer schaute hinauf, machte eine ungeduldige Geste und klopfte erneut gegen die Tür.

Der Vorhang wurde fallen gelassen, und das Licht verlosch. Klopf, klopf, klopf machte Mortimers Stock. Daniel verschränkte die Arme vor der Brust und rang den Impuls nieder, Mortimer den Stock aus der Hand zu nehmen und ihn über dem Knie zu zerbrechen. »Wer wohnt hier?«

»Ich«, entgegnete Mortimer. »Ich meine, mir gehört das Haus. Meiner Familie, genauer gesagt. Wir haben es an Madame Bastien und ihre Tochter vermietet. Für einen kleinen Mietnachlass haben sie sich einverstanden erklärt, mich und meine Freunde zu unterhalten, wann immer ich es wünsche.«

»Und das schließt Besuche mitten in der Nacht ein?«

»Besonders mitten in der Nacht.« Mortimer lächelte – ein selbstzufriedener englischer Schnösel. Die Damen im Haus mussten Kurtisanen sein. Mortimer hatte die Miete reduziert und die Frauen dazu verpflichtet, ihre Gegenleistung in Naturalien zu erbringen.

Daniel wandte sich zum Landauer. »Das ist keine Zweitausend wert, Mortimer.«

»Geduld. Sie werden schon sehen.«

Mortimers Freunde waren inzwischen ebenfalls eingetroffen und versperrten Daniel den Rückweg zur Kutsche. Und auch der Knochenbrecher stand bereit, ein Stück die Straße hinunter, verborgen im Dunkel einer schmalen Gasse.

Die Tür wurde geöffnet. Ein Hausmädchen trat zur Seite und ließ den Strom der Gentlemen herein. Die betrunkeneren Herren der Gesellschaft wollten stehen bleiben, um zu sehen, welche Unterhaltung das Mädchen ihnen bieten könnte, doch Daniel baute sich an der Tür auf und sorgte dafür, dass sie nicht belästigt wurde. Die Herren schlenderten vorbei und vergaßen das Mädchen sofort.

Mortimer ging voran zu einer Flügeltür am Ende des Korridors und öffnete sie. Daniel erhaschte einen Blick auf hastige Bewegungen im Zimmer dahinter, doch als Mortimer ihn zu sich winkte, herrschte Stille im Raum.

Sie betraten ein Esszimmer. Eine gestreifte Tapete in Blau, Gold und dunklem Orange bedeckte die Wände, die Farben glänzten leicht im Schein eines Kaminfeuers. Ein gasbetriebener Kronleuchter hing dunkel von der Decke herab, der lange Tisch war leer bis auf einen dreiarmigen Kerzenständer. Eine junge Frau war gerade dabei, die Kerzen mit einem Streichholz anzuzünden.

Als die dritte Kerze brannte, blies sie das Streichholz aus und richtete sich auf. »Es tut mir sehr leid, dass Sie warten mussten, Gentlemen.« Sie sprach mit einem kaum wahrnehmbaren Akzent. »Ich fürchte, meine Mutter kann nicht herunterkommen. Sie werden mit mir vorliebnehmen müssen.«

Was immer Mortimer und die anderen Gentlemen darauf erwiderten, hörte Daniel nicht. Er hörte nichts mehr. Er sah auch nichts mehr, nichts bis auf die Frau, die am Tisch stand, das lange Streichholz in der Hand und im Gesicht das Lächeln eines Engels.

Sie war keine hinreißende Schönheit. Im Casino von Monte Carlo und im Moulin Rouge in Paris hatte er Frauen gesehen, die schöner und schlanker gewesen waren. Die Tänzerinnen zum Beispiel oder die jungen Ladys, die exotischen Schmetterlingen gleich in den Spielhöllen von St. James’s und Monaco herumschwirrten, um die Gentlemen zum Spielen zu animieren.

Das Gesicht dieser jungen Frau war ein wenig zu kantig, doch seine Konturen wurden von einer Flut dunkler Haare gemildert, die sie zu einem Pompadour hochgesteckt trug. Einzelne Locken hatten sich daraus gelöst und rahmten ihr Gesicht ein. Ihre Nase war ein wenig zu lang, der Mund ein wenig zu breit, Schultern und Arme ein wenig zu rund. Das Schönste an ihr waren die Augen. Sie gaben ihrem Gesicht Ebenmaß und schimmerten im Schein der Kerzen dunkelblau.

Es waren Augen, in die ein Mann eine ganze Nacht lang schauen konnte und in die er am Morgen beim Aufwachen blicken wollte. Er könnte ihre Augen über den Frühstückstisch und am Abend über den Dinnertisch hinweg betrachten, während er sich darauf freute, wieder die ganze Nacht lang hineinzuschauen.

Sie war keine Kurtisane. Kurtisanen begannen in dem Augenblick zu flirten, in dem ein Gentleman das Zimmer betrat. Sie gestikulierten anmutig mit den Fingern, deuteten an, dass ebendiese Finger ebenso anmutig seinen Körper streicheln könnten. Kurtisanen setzten sich in Szene, sie versprachen etwas, ohne ein Wort zu sagen, jede Bewegung und jeder Gesichtsausdruck diente der Betörung.

Diese Frau jedoch stand reglos da, ihre Körpersprache lud die Gentlemen ganz und gar nicht dazu ein, das Zimmer zu betreten, trotz ihrer einladenden Worte und ihres Lächelns. Und wenngleich ihre Bewegungen anmutig waren, als sie sich umwandte, um das Streichholz ins Feuer zu werfen, so waren sie es von Natur aus und keinesfalls einstudiert.

Sie trug ein schlichtes Kleid aus blauem Satin, das ihre Schultern freiließ, jedoch nicht weniger respektabel war als eines, das eine Dame in dieser Gegend zum Dinner oder an einem Abend im Theater tragen würde. Weder Bänder noch Juwelen schmückten das hochgesteckte Haar. Dieser ungekünstelte Stil weckte die Ahnung, die dunkle Haarfülle könnte sich lösen und über die Hände des glücklichen Gentleman fluten, der die Haarnadeln herausziehen durfte.

Die junge Frau wandte sich mit einer leichten Armbewegung an die schweigend dastehenden Männer. »Wenn Sie Platz nehmen, Gentlemen, können wir anfangen.«

Daniel konnte sich nicht rühren. Seine Füße schienen wie am Boden festgewachsen und gehorchten seinem Willen nicht. Sie wollten, dass er genau hier verharrte und die Frau anschaute.

Mortimer beugte sich zu Daniel. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, sie ist es wert?« Er räusperte sich. »Daniel MacKenzie, darf ich Ihnen Mademoiselle Bastien vorstellen? Violette ist ihr Taufname, französisch ausgesprochen. Mademoiselle, dies ist Daniel MacKenzie. Er ist der Sohn von Lord Cameron MacKenzie und der Neffe des Duke of Kilmorgan. Sie werden ihm eine interessante Vorstellung bieten, nicht wahr? Braves Mädchen.«

Als der Mann, der sich Daniel MacKenzie nannte, entschlossen um den Tisch herumging und vor Violet stehen blieb, stockte ihr der Atem. Mr MacKenzie tat nichts, als sie anzusehen und ihr die Hand zur Begrüßung hinzustrecken. Und doch begann in seiner Nähe jeder Zentimeter ihrer Haut zu prickeln, fiel ihr jeder Atemzug schwer.

Schotte, dachte Violet, als sie seinen blau-grün karierten Kilt unter der modischen schwarzen Jacke und der elfenbeinfarbenen Weste bemerkte. Reich, den edlen Materialen nach zu urteilen und der Art, wie perfekt die Jacke ihm um die breiten Schultern saß. Maßgeschneidert, und das nicht von einem preiswerten Schneider oder einem Lehrjungen. Ein Meister seines Faches hatte diese Kleider entworfen und genäht. Mr MacKenzie war an das Allerbeste gewöhnt.

Er überragte die meisten der anwesenden Gentlemen um wenigstens dreißig Zentimeter. Sein Gesicht wirkte hart, die Nase hätte bei jedem anderen Mann zu groß gewirkt, und seine Augen hatten etwas an sich, das Violet innehalten ließ. Sie konnte bei diesem Licht nicht entscheiden, welche Farbe sie hatten – haselnussbraun? dunkelbraun? –, doch sie nahmen sie sofort gefangen. Sie war so fasziniert, dass sie dastand und ihn anstarrte, statt die Hand zu ergreifen, die er ihr hinstreckte.

»Daniel MacKenzie, zu Ihren Diensten, Mademoiselle.«

Er grüßte sie mit einem leichten, charmanten Lächeln, sein Blick nahm sie gefangen, hielt sie dort, wo er sie haben wollte.

Ganz entschieden droht hier Gefahr.

Altes Entsetzen brach in Violet auf, doch sie drängte es zurück. Sie konnte es sich nicht erlauben, ausgerechnet jetzt zusammenzubrechen. Sie war hier, um Mortimer zu beschwichtigen, und sie hatte ihre Mutter, die fast einen hysterischen Anfall bekommen hatte, als Mortimer begonnen hatte, gegen die Tür zu schlagen, in der Sicherheit ihres Zimmers zurückgelassen. Violet, die eine Meute von mehreren Hundert aufgebrachten Männern und Frauen, die ihr Blut forderten, in den Griff bekommen konnte, würde doch ganz gewiss mit einem knappen Dutzend halb betrunkener Mayfair-Gentlemen zurechtkommen, die sie mitten in der Nacht heimsuchten.

Mr MacKenzie war nur ein weiterer von Mortimers hohlköpfigen Freunden. Doch in seinen Augen stieß sie auf eine Barriere, als sie es wagte, ihn direkt anzusehen. Dieser Mann gab nur wenigen Menschen seine Geheimnisse preis. Er war schwer zu durchschauen, das konnte ein Problem werden.

Mr MacKenzie wartete, streckte ihr seine behandschuhte Rechte hin. Endlich ergriff Violet sie, langsam und überlegt. »Ich bin erfreut, Sie kennenzulernen«, sagte sie förmlich in perfektem Englisch. Sie hatte vor langer Zeit herausgefunden, dass es die Illusion, sie sei durch und durch Französin, förderte, wenn sie ein makelloses Englisch sprach.

Daniel schloss seine große Hand um ihre und hob sie an seine Lippen. »Ich bin entzückt.«

Die rasche, heiße Berührung seines Mundes auf ihrem Handrücken entzündete einen Funken in Violet, der dem Aufflammen des Streichholzes Konkurrenz machte, das sie fortgeworfen hatte. Ihre Nerven spannten sich an wie Drähte und erzwangen den tiefen Atemzug, den sie nicht hatte machen wollen.

Das leise Seufzen klang sehr laut in ihren Ohren, aber Mortimers Kumpane machten viel Lärm, während sie ihre Mäntel ablegten und diskutierten, wo am Tisch sie sitzen wollten.

Daniel fixierte Violet über ihre Hand hinweg mit einem herausfordernden, kühnen Blick. Verrate mir, wer du bist, sagten seine Augen.

Eigentlich sollte Violet genau das von ihm denken. Was immer die Welt von den Fähigkeiten Violette Bastiens, Medium und Spiritistin, auch hielt, sie wusste, dass ihre wahre Gabe darin lag, in anderen Menschen zu lesen.

Wenn sie einen Menschen ansah, erkannte sie binnen weniger Augenblicke, was dieser Mensch liebte und was er hasste, was er von ganzem Herzen wollte und was er tun würde, um es zu bekommen. Jacobi hatte sie diese Kunst gelehrt, in schmerzlichen Lektionen in den Hintergassen von Paris. Sie war seine beste Schülerin gewesen.

Aber in Mr MacKenzie konnte sie nicht lesen. Er ließ niemanden hinter die Barriere blicken, die er aufgebaut hatte. Jedenfalls nicht so leicht. Aber wenn er es zuließ …

Wenn er es zuließ, würden sich Welten öffnen.

Violet riss ihre Hand zurück und wandte sich den Besuchern zu. »Bitte, Gentlemen«, sagte sie, darum bemüht, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen.

Sie ging zum Tisch. Als sie sich setzen wollte, legte Daniel MacKenzie die Hand auf die Rückenlehne ihres Stuhles. Violet zwang ihren Blick von ihm fort und nahm Platz, wobei sie die Wärme seines Körpers neben ihr zu ignorieren versuchte, seine geöffnete Jacke, die ihre Schulter streifte. Als Daniel ihren Stuhl mühelos an den Tisch schob, stockte ihr erneut der Atem. Seine Kraft war beunruhigend.

Zitternd legte Violet die Hände flach auf den Tisch und hoffte, die Berührung der kühlen Oberfläche würde sie beruhigen. Sie musste wirken, als sei sie aufs Äußerste konzentriert und ruhe ganz in sich, zuckersüß und bereit, zu helfen.

Innerlich war sie in Aufruhr. Ich hasse es, ich hasse es. Warum zum Teufel können sie uns nicht in Ruhe lassen?

Bittend schaute sie in die Runde. »Gentlemen, wenn Sie so freundlich wären, mir einen Moment der Vorbereitung zu gewähren?«

Die Herren gewährten ihn ihr ohne Widerspruch. Viele von ihnen waren bereits in diesem Haus gewesen, meist als Gäste Mortimers, aber einige waren allein wiedergekommen, um Violet und ihre Mutter zu konsultieren.

Mr MacKenzie setzte sich neben Violet und sah sie an. »Vorbereitung auf was?«

Einer der Freunde Mortimers, Mr Ellingham, antwortete ihm. »Den Kontakt zur anderen Seite aufzunehmen, worauf denn sonst?«

Daniel sah Violet unverwandt an. »Die andere Seite wovon? Des Zimmers?«

»Des Jenseits«, erklärte Mr Ellingham ungeduldig. »Sie ist Spiritistin, Mann. Wussten Sie das nicht? Madame und Mademoiselle Bastien sind die berühmtesten Spiritistinnen Londons.«

2

Die Enttäuschung in Daniels Augen schmerzte Violet. Sehr sogar. Sie wusste nicht, warum es ihr etwas bedeutete, was dieser junge Mann von ihr dachte, den sie heute Nacht zum ersten Mal gesehen hatte, aber es war so.

Viele Menschen glaubten nicht an Spiritismus und rümpften die Nase über das, was Violet und ihre Mutter taten. Sie glaubten nicht, dass ein erfahrenes Medium Kontakt zu jenen hinter dem Schleier aufnehmen konnte, um den Hinterbliebenen tröstende Botschaften ihrer verstorbenen Lieben zu überbringen.

Sei’s drum, hörte Violet ihre innere Stimme sagen. Du glaubst es doch auch nicht.

Violet wusste, dass sie niemals die kalte Berührung aus der anderen Welt fühlen oder in zitternde Ekstase fallen würde, wie es ihrer Mutter widerfuhr, wenn sie sich im Zustand der Trance befand. Violet hatte noch nie ein Gespenst oder einen Geist gesehen, noch nie hatte ein solches Geistwesen zu ihr gesprochen oder sie geschüttelt oder etwas jener nützlichen Dingen getan, die Geister tun konnten.

Aber sie war sehr, sehr gut darin, vorzugeben, dass sie diesen Kontakt aufnehmen konnte.

Dass Mr MacKenzie es nicht glaubte, sollte ihr egal sein. Jacobi hatte ihr eingebläut, niemals mit einem Skeptiker darüber zu diskutieren, sondern ihn zu ignorieren und sich jemand anderem zuwenden.

Violet musste Mr MacKenzie aus ihrem Bewusstsein ausblenden und sich auf die anderen Gentlemen konzentrieren, um ihm das Gefühl zu geben, aus diesem Kreis ausgeschlossen zu sein und nicht dazuzugehören. Sie musste ihn an seiner Skepsis zweifeln lassen.

Also warum wandte sich Violet nicht einfach mit einem arrogant-überlegenen kleinen Lächeln und einer Miene amüsierter Geringschätzung von ihm ab? Warum wollte sie ihn weiterhin ansehen, ihm erklären, dass sie das alles nur tat, um zu überleben, und ihn bitten, sie dafür nicht zu verachten?

Daniel stützte die Ellbogen auf den Tisch, der Stoff seiner eleganten Jacke spannte sich um seine Schultern. »Die andere Seite, eh? Das würde ich gern sehen.«

Mortimer sagte: »Dann nehmen Sie an einer Sitzung teil. Darum sagte ich, dass sie mehr wert ist als ein Automobil oder ein Pferd.«

Ein Automobil oder ein Pferd? Zorn stieg in Violet auf. Sie wünschte, sie verfügte tatsächlich über die Fähigkeiten, die zu haben sie vorgab, dann könnte sie Mortimer dazu verfluchen, den Rest seines Lebens als Kaninchen zu verbringen, oder wenigstens dazu, eine Enttäuschung für alle Frauen zu sein, die er mit in sein Bett nahm. Ein Pferd. Gott steh mir bei.

Die Herren hörten endlich auf zu reden und beobachteten schweigend, wie sich Violet vorbereitete. Diese Phase war bereits Teil der Vorstellung – wenn sie die Augen schloss und tief ein- und ausatmete, um ihre innere Ruhe zu finden, wenn ihr Busen sich hob und senkte und gegen den Stoff ihres Kleides drückte. Es lenkte die Kunden wunderbar ab.

Als Violet die Augen wieder öffnete, stellte sie jedoch fest, dass Mr MacKenzie nicht im Mindesten abgelenkt war. Statt wie die anderen Gentlemen den Blick auf ihren wogenden Busen gerichtet zu halten, lächelte Mr MacKenzie ihr direkt ins Gesicht.

Lass dich niemals von Skeptikern nervös machen, hatte Jacobi gepredigt. Biete ihnen trotz ihres Unglaubens ein Schauspiel. Sorg dafür, dass sie an ihren Zweifeln zweifeln.

Violet schaute sich in der Runde um und versuchte, Daniel zu ignorieren. »Alles ist still heute Nacht, der Schleier sehr dünn. Mr Ellingham, ich glaube, wir waren das letzte Mal sehr nah daran, Ihren Vater zu erreichen. Wollen wir es wieder versuchen?«

Ehe der eifrige Mr Ellingham – der herauszufinden versuchte, wo sein kürzlich verstorbener Vater zehntausend Pfund versteckt hatte – antworten konnte, mischte sich Mortimer ein. »Nehmen Sie für MacKenzie zu jemandem Kontakt auf. Er ist heute Abend mein Gast. Vielleicht zu seiner lieben alten Mutter.« Mortimers Augen glitzerten vor Feindseligkeit.

Violet entging nicht, wie Zorn in Daniel aufflammte. Das Aufflackern war nur kurz und sofort vorbei, aber Violet hatte es registriert. Was immer mit Mr MacKenzies Mutter geschehen war, sein Zorn darüber saß tief; die Verletzung, die damit einherging, war groß.

»Vielleicht wäre das nicht gut«, sagte Violet rasch.

Mr MacKenzies Maske saß wieder an ihrem Platz. »Aye, lassen Sie meine Mum in Frieden ruhen. Warum nehmen Sie nicht stattdessen Kontakt zu meinem Vater auf?« Er sah sie unschuldig an.

Zu durchsichtig. Violet schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln. »Wenn Sie wünschen, dass ich Kontakt zu Ihrem Vater aufnehme, Mr MacKenzie, dann schlage ich ein Telegramm vor, weil dieser Gentleman noch quicklebendig ist.«

Mr MacKenzie starrte sie einen Herzschlag lang an, dann begann er zu lachen. Es klang tief und echt, das Lachen eines Mannes, der es verstand, um der Freude willen zu lachen. »Sie haben recht, Mortimer. Sie hat tatsächlich den zweiten Blick.«

»Ich brauche keinen zweiten Blick, um die Zeitungen zu lesen«, erklärte Violet. »Der Name Ihres Vaters taucht auf vielen Seiten der Sportmagazine auf. Und falls er möchte, dass ich ihm sage, welches seiner Rennpferde in diesem Jahr das erfolgreichste sein wird, ist Seine Lordschaft herzlich eingeladen, uns Gesellschaft zu leisten.«

Daniel unterdrückte ein Kichern. »Ich fange an, Sie zu mögen, Mademoiselle.«

Ganz bewusst riss Violet die Augen weit auf. »Es freut mich, das zu hören, Mr MacKenzie. Wenn Sie heute Abend jedoch hergekommen sind, um über mich und meine Arbeit zu spotten, werde ich Sie bitten müssen, zu gehen. Oder draußen auf dem Flur zu warten.«

»Warum?« In seinen Augen saß ein schelmisches Funkeln. »Stört mein Spott die Geister?«

»Natürlich nicht. Jene auf der anderen Seite können sehr nachsichtig sein. Aber mich stört es.«

Entschuldigend hob er die Hände. »Vergeben Sie mir, Mädchen. Von jetzt an werde ich ein Ausbund an Artigkeit sein. Versprochen.«

Violet war nicht so naiv, ihm zu glauben, aber sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den anderen am Tisch zu. »Wollen wir herausfinden, welche Geister heute Nacht nahe sind?«

Bereitwillig stimmten die Männer zu. Ihnen gefiel, was ihnen geboten wurde.

»Dann muss ich, wie Sie wissen, um absolute Ruhe bitten.«

Violet schloss wieder die Augen, und glücklicherweise verstummten die Herren.

Violet atmete bedacht tief ein und aus. Sie ließ den Kopf auf die Brust sinken, dann legte sie ihn in den Nacken und wandte ihr Gesicht der Zimmerdecke zu. Sie hielt die Augen geschlossen, während ihr Atem schneller wurde, schneller, schneller.

Leise Laute kamen ihr über die Lippen. Sie bewegte den Kopf von einer Seite auf die andere, wobei sie darauf achtete, es nicht zu übertreiben. Zu heftige Bewegungen wirkten unecht. Nur eine Prise davon war weitaus Furcht einflößender: eine Frau im Griff von Mächten, die sie nicht beeinflussen konnte. Violet wusste auch, dass eine junge Frau, die stöhnte und keuchte und ihren Busen wogen ließ, jeden Gentleman dazu brachte, wie gebannt zu verharren.

Eine große warme Hand legte sich auf ihre, und Mr MacKenzie fragte ruhig: »Geht es Ihnen gut, Mädchen?«

Die Sorge, die in seinen Worten mitschwang, erschütterte Violet, und sie riss die Augen auf. Für einen Moment schnürten ihr die überhasteten Atemzüge die Kehle zu, und sie rang nach Luft.

Niemand hatte je so zu ihr gesprochen – nicht ihre Mutter, nicht Jacobi. Daniel MacKenzie, ein Fremder, ergriff voller Sorge ihre Hand und fragte nach ihrem Befinden, und das mit einer Fürsorge, die ihr noch nie zuvor zuteilgeworden war.

Es zerbrach sie fast. Vor einem Moment noch hatte sich Violet dafür gelobt, in der Lage zu sein, mit einem Zimmer voller angetrunkener Gentlemen zurechtzukommen. Jetzt spürte sie, wie ihre Fassade bröckelte, um die einsame und schwache Frau preiszugeben, die sie wirklich war – fast dreißig Jahre alt kümmerte sie sich um die kranke Mutter, schlug sich irgendwie durch und lebte von ihrer Fähigkeit, ihre Lügen zu verbergen.

Violet fand es leicht, eine Barriere zwischen sich und Mortimer und dessen Kumpanen aufrechtzuerhalten, aber sie erkannte, dass Mr MacKenzie mit einer einzigen Berührung jede Mauer niederreißen konnte, die sie um sich errichtet hatte.

Sie versuchte, zu Atem zu kommen, versuchte, die Fassade aufrechtzuerhalten, aber für einen Augenblick war sie nur eine verängstigte junge Frau, die wütend auf den Mann war, der sie bloßgestellt hatte.

Mr Ellingham, blind dafür, brach die Spannung. »Verdammt, MacKenzie. Wir bekommen nie einen Kontakt, wenn Sie die Trance des Mediums stören. Das weiß doch wohl jeder.«

Daniel sah Violet unverwandt an. »Sie sind sicher, es geht Ihnen gut, Liebes?«

Violet legte die Hände wieder auf den Tisch, presste sie fest darauf, um das Zittern zu unterdrücken. »Ja, es geht mir gut. Danke.«

»Sie sind ein Esel, MacKenzie«, schimpfte Mortimer wütend. »Jetzt werden wir wieder ganz von vorn anfangen müssen.«

»Nein, das werden wir nicht«, entgegnete Daniel, der immer noch Violet anschaute. »Wir werden gehen und Mademoiselle Bastien ihrer Nachtruhe überlassen.«

»Den Teufel werden wir tun«, sagte Mortimer und stand auf. »Wir werden nicht gehen. Nicht, bevor wir zufriedengestellt worden sind.«

Daniel warf Mortimer einen verächtlichen Blick zu. Er wusste verdammt genau, warum Mortimer nicht gehen wollte – draußen wartete immer noch dieser Knochenbrecher auf ihn. Mortimer würde heute Nacht nicht nach Hause gehen können, ohne Ärger zu bekommen.

Mortimer erwiderte Daniels Blick, und in seinen Augen mischten sich Wut und Angst. Warum dieser Idiot nicht das Angebot annahm, den Knochenbrecher auszuzahlen, begriff Daniel nicht. Anfangs hatte er noch Mitleid empfunden, aber zu erleben, wie Mortimer Mademoiselle Violette behandelte, hatte jede Spur von Mitgefühl ausgelöscht. Heute Nacht würde Mortimer der Verlierer sein.

Mortimer redete weiter. »Wenn MacKenzie zu zimperlich ist, um zu sehen, wie Mademoiselle Violette in Trance fällt, dann lasst uns das Ouija-Brett holen.«

Die anderen Gentlemen stimmten sofort zu. Noch bevor Daniel protestieren konnte, sprang Ellingham mit der ganzen Energie seiner zweiundzwanzig Jahre auf. Er schien sich in Mademoiselle Bastiens Esszimmer gut auszukennen, denn er ging direkt zum Sideboard, zog eine der unteren Schubladen auf und nahm ein Holzbrett und eine Planchette heraus, kam zurück und legte beides auf den Tisch.

Das Holzbrett war rechteckig, die Buchstaben des englischen Alphabets waren in die Oberfläche gebrannt – von A bis R in der ersten Reihe und von S bis Z in der zweiten. Unter diesen beiden Buchstabenreihen standen nebeneinander die Ziffern 1 bis 9 und die 0. In der oberen linken Ecke des Brettes standen die Worte Danke und Auf Wiedersehen. Es war ein sehr höfliches Stück Eichenholz.

Daniel hatte noch nie zuvor ein Ouija-Brett gesehen, hatte aber davon gehört. Es sollte so funktionieren, dass das Medium und seine Gäste die Hände auf die Planchette legten – ein meist ovales Stück poliertes Holz – und dem Geist eine Frage stellten. Die Planchette bewegte sich diensteifrig über die Buchstaben auf dem Ouija, um eine Antwort zu formulieren – was voraussetzte, dass der Geist der Sprache des Fragestellers mächtig war und in ausreichendem Maße das Buchstabieren beherrschte.

Daniel hatte seine eigene Theorie, weshalb sich die Planchette bewegte – die Fragestellenden selbst waren es, die sie in Bewegung versetzten, selbst wenn es ihnen nicht bewusst war. Die Gedanken, die sich im Kopf festsetzten, stimulierten die Muskeln von Armen und Fingern, ließen die Person die Planchette bewegen, um aus den Buchstaben jene Antworten zusammenzusetzen, die sie von dem Geist erhalten wollten. Es war erstaunlich, wozu das menschliche Gehirn den Körper veranlassen konnte.

Kaum hatte sich Ellingham wieder gesetzt, schossen eifrige Hände auf die Planchette zu. Mademoiselle Bastien wartete, bis auch Daniel seine Finger darauflegte, dann legte sie ihre Hand neben seine.

Daniel spürte die Wärme ihrer Finger durch seinen Handschuh. Ihre Hände gefielen ihm, sie waren nicht zu schmal, aber schlank und stark. Das Bild ihrer Finger, die sein Hemd aufknöpften, es ihm abstreiften und über seine Haut strichen, blitzte für einen Moment in ihm auf …

Daniel bewegte sich auf seinem Stuhl, ihm war plötzlich heiß, und er war hart.

»Sind Sie bereit, Mr MacKenzie?«, fragte Mademoiselle Bastien. Gott steh mir bei, dachte Daniel und hoffte, dass er nicht rot wurde.

»Für einen Neuling kann eine Séance recht beängstigend sein«, sprach sie weiter. In ihren dunkelblauen Augen tanzte ein Licht, das verriet, dass sie auf seine Herausforderung wartete und bereit war, sie anzunehmen.

Und ich bin verdammt bereit für deine. »Machen Sie weiter, Mädchen.«

Mademoiselle Violette tat einen weiteren dieser busenhebenden Atemzüge, bei deren Anblick ihm schwindelig wurde, und sagte: »Sehr gut. Geist, hast du eine Botschaft für einen der hier Anwesenden?«

Das Kerzenlicht ließ das polierte Holz des Brettes glänzen, die behandschuhten Hände der Gentlemen lagen auf der Planchette, und Mademoiselle Violettes bloße Finger wirkten inmitten dieses Meeres aus Männlichkeit sehr schlank und wunderschön.

Die Planchette war nicht sehr groß, sodass einige der Herren, Mortimer eingeschlossen, nicht die Hand darauflegen konnten. Mortimer schien das nicht zu stören, er lehnte sich zurück und beobachtete das Geschehen. Sein dunkler Blick heftete sich auf Violets Körper, sein wieselgleiches Gesicht verbarg keinen seiner lüsternen Gedanken.

Daniel spürte, wie die Planchette unter seinen Fingern einen leichten Ruck tat, dann begann sie sich zu bewegen. Aufgeregt holte Ellingham Luft.

Die Planchette verharrte, bewegte sich wieder und zog in die entgegengesetzte Richtung. Nach wenigen Sekunden wechselte sie diese erneut. Jede Hand versucht, sie dorthin zu schieben, wo der Gentleman sie haben will.

Daniel streckte die Finger und wartete ab, was Mademoiselle Violette tun würde.

Sie rief leise in die Dunkelheit: »Geist, hast du eine Botschaft für uns?«

Jeder Geist, der Mademoiselle Violette mit dieser sinnlichen Altstimme flehen hörte, würde hervorspringen und allem zustimmen, was sie wollte. Daniel rutschte auf seinem Stuhl hin und her, während er versuchte, seine aufkeimenden Fantasien zu verdrängen. Er war genauso lüstern und verkommen wie Mortimer.

Die Planchette erbebte, dann machte sie einen raschen, aber geschmeidigen Zug auf das Wort Ja.

Die um den Tisch sitzenden Gentlemen seufzten unisono. Es war schwer zu glauben, dass ebendiese Männer noch vor wenigen Stunden mit allen Wassern gewaschene Spieler gewesen waren, die um Geld gepokert hatten.

»Für wen ist die Botschaft?«, fragte Mademoiselle Violette ins Nichts.

Die Planchette fuhr suchend über den Buchstaben des Ouijas hin und her. Schließlich verharrte sie auf dem M.

»Mortimer?«, fragte einer der Herren.

Die Planchette raste förmlich über das Brett zu dem Wort Nein. Dann zog sie sich zurück auf ein unbeschriftetes Areal des Brettes, als wollte sie sich für ihr Ungestüm entschuldigen.

»Willst du uns weitere Buchstaben zeigen?«, fragte Mademoiselle.

Die Gentlemen beugten sich vor. Daniel hatte keinen Zweifel daran, dass alle mit einem M in ihrem Namen – ihn eingeschlossen – stumm beteten: Bitte, bitte, lass es mich sein.

Die Planchette fuhr langsam wieder über die Buchstaben und kam auf dem C zumStehen. Dann bewegte sie sich weiter zum K, dann zum E, zum N und zum Z.

»MacKenzie!«, rief Ellingham. Er riss die Hand von der Planchette, und sie stand still.

Natürlich hatte dieses Ding MacKenzie buchstabiert. Zumindest ein McKenz. Daniel warf einen Blick auf Mademoiselle Violette, die das Brett mit ernster Miene betrachtete.

Kleine Hexe. Seine Wertschätzung für sie wuchs weiter. Ihr war verdammt klar, dass er wusste, dass sie ein Scharlatan war, und sie würde an ihm jeden Trick demonstrieren, den sie kannte.

Jedenfalls glaubt sie das.

Violette fragte die Luft mit ihrer sanften Stimme: »Hast du eine Botschaft für Mr MacKenzie?«

Die Planchette antwortete mit Ja.

Mademoiselle Violette war sehr gut, aber Daniel war besser. »Wie lautet sie?«, fragte er.

Ellingham legte erneut die Hand auf die Planchette, die sich zu bewegen begann. Wieder und wieder fuhr sie über das Ouija, vor und zurück, glitt zu einem Buchstaben, schien innezuhalten, wanderte dann jedoch weiter. Daniel spürte, wie sie kaum wahrnehmbar, aber unablässig die Planchette lenkte, und er lenkte beständig gegen.

Mademoiselle saß absolut reglos da. Sollte die Unentschlossenheit des Geistes sie irritieren, so ließ sie es sich nicht anmerken.

Die Planchette blieb schließlich auf dem Buchstaben F stehen. »Jemand sollte mitschreiben«, sagte Ellingham aufgeregt.

Ein Gentleman zog pflichtgemäß ein kleines Notizbuch und einen Stift aus seiner Jackentasche und schrieb das F nieder.

Die Planchette bewegte sich wieder. Sie verharrte auf dem U, verweilte dort einen Moment, dann glitt sie unschuldig weiter zum C. Nach einer weiteren kurzen Pause machte sie eine rasche Bewegung auf den Buchstaben K zu.

Mademoiselle riss ihre Hand zurück, und die Planchette blieb sofort stehen. Im Zimmer waren Kichern und Glucksen zu hören.

»Nun«, sagte Violette und wandte sich Daniel zu. »Der Geist scheint heute Nacht zu Späßen aufgelegt zu sein.«

Ihre Augen schimmerten wie Kerzenschein in einer frostkalten Nacht. Sie sahen sich an, keiner war bereit, als Erster den Blick abzuwenden. Auf Mademoiselles Wangen zeigte sich ein helles Rosa, doch davon abgesehen saß sie da wie eine Marmorstatue.

Verdammt, sie war wunderschön, und sie war stur. Keine alberne Debütantin in ihrer ersten Saison, die darauf hoffte, den reichen Mr MacKenzie einzufangen, einen der begehrtesten Junggesellen Englands. Warum zum Teufel man jungen Frauen beibrachte, sie könnten einen Mann dazu bringen, sich unsterblich in sie zu verlieben, wenn sie vorgaben, schwach und zerbrechlich zu sein, war Daniel ein Rätsel. Diese vorgebliche Schwäche weckte in ihm stets den Wunsch, der Lady vorzuschlagen, anständig zu essen und Sport zu treiben, damit sie sich besser fühlte.

Diese junge Frau jedoch würde ihre Röcke raffen und fünf Meilen durch einen Sturm laufen, und hinterher würde sie sagen, dass der Wind heute ein wenig frischer gewesen sei als üblich. Im nächsten Atemzug würde sie dann jemandem wie Daniel sagen, er solle sich mitsamt seinem Geld zum Teufel scheren.

Mademoiselle Violettes Lippen öffneten sich, ihre schimmernde Feuchtigkeit war verlockend. Daniel wollte Mortimer und seine lästigen Kumpane in die Kälte hinausschicken, um Mademoiselle zu bitten, eine Vorstellung nur für ihn zu geben, bei der keiner dieser Müßiggänger sie beobachtete. Kein Mortimer, nur Daniel und seine entzückende Lady, ein von Kerzenlicht erhelltes Zimmer und Zeit.

»Genug von diesen Salonspielchen«, meldete sich Mortimer ärgerlich zu Wort. »Mademoiselle, ich sagte Ihnen, dass MacKenzie hergekommen ist, um die ganze Show zu sehen. Also bieten Sie sie ihm.«

Daniel musste sich von Violettes wunderschönen Augen losreißen, und dafür würde Mortimer bezahlen müssen. »Halten Sie den Mund«, sagte Daniel. »Sie hat für heute Nacht genug getan, und Sie schulden mir zweitausend Pfund.«

Mortimer erhob sich halb auf seinem Stuhl. »Ich habe für eine Show bezahlt, und dann will ich bei Gott auch eine geboten bekommen.«

Daniel sprang auf, bereit, Mortimer über den Tisch hinweg anzuspringen, aber Mademoiselle hob die Hände, ihre Stimme durchschnitt den bevorstehenden Sturm.

»Die Geister sind hier! Jetzt!«

Ein kalter Wind strich durch das Esszimmer, brachte mit einem Hauch die Kerzen zum Erlöschen. Das Zimmer lag in Dunkelheit. In der Mitte des Tisches, dort wo die Kerzen gebrannt hatten, erschien ein blasser, leuchtender Fleck und breitete sich aus.

Ehe sich Daniel wieder setzen konnte, wurde er von hinten hart an den Armen gepackt, und jemand sehr Starkes zerrte ihn mit sich zur Tür hinaus und in einen pechschwarzen Raum. Die Tür schlug zu, schnitt ihn vom Wind ab, von Mortimer und der bezaubernden Mademoiselle Violette.

3

Daniel entwand sich dem harten Griff und fuhr herum, holte mit der Faust aus. In der Dunkelheit traf sein Schlag einen Körper. Ein Mann stöhnte, unmittelbar darauf bekam Daniel den Gegenschlag ins Gesicht, ohne ihm ausweichen zu können.

Weitere Schläge prasselten auf ihn ein. Daniel wehrte sich. Seine Fausthiebe landeten auf einem Bauch, so hart wie eine Steinmauer, und einem eisenharten Kinn. Riesige Fäuste trafen ihn auf die Augen, ins Gesicht, gegen seine Brust. Schließlich traf Daniels Schlag den Solarplexus seines Gegners, und der Mann stöhnte wieder, stinkender Atem strich über Daniels Gesicht.

Daniel schob seinen Kontrahenten zur Seite und richtete sich auf. Er konnte verdammt noch mal nichts sehen, und gleich beim ersten Schritt stieß er gegen einen Tisch, die Gegenstände darauf klirrten und schepperten. Ein dumpfer Aufprall und Atemzüge so schwer wie das Schnaufen eines Pferdes verrieten Daniel zwar, wo sein Widersacher zu Boden gegangen war, doch es war ungewiss, wie lange er dort liegen bleiben würde.

Es war ein kurzer, aber brutaler Kampf gewesen, der Mann war fürchterlich stark. Daniel schüttelte seine rechte Hand. So viel dazu, sich die Hände nicht zu verletzen.

Er tat einen weiteren Schritt, diesmal stieß er gegen einen Stuhl. Auch gut. Er setzte sich und streifte sich die Handschuhe von den schmerzenden Fingern. »Wenn ich jetzt meinen Motor nicht mehr rechtzeitig fertig bekomme, werde ich Sie dafür verantwortlich machen«, sagte er und zog eine Schachtel Streichhölzer aus seiner Tasche.

»Ich will nur das Geld«, japste der am Boden liegende Mann zwischen zwei keuchenden Atemzügen.

»Sie sind dieser Kerl, der Mortimer heute Abend gefolgt ist, richtig? Wie viel schuldet er Ihnen?« Daniel riss ein Streichholz an seinem Stiefel an, und ein Funke erwachte zum Leben.

»Fünftausend.«

Daniel stieß ein kurzes Lachen aus. »Dieser Idiot. Und mir schuldet er zwei.«

»Ich werde es mir von ihm holen. Und von Ihnen. Sie haben ihm sein ganzes Geld abgenommen.«

»Nein, ich habe es anständig und ehrlich gewonnen. Was er Ihnen schuldet, ist eine Sache zwischen Ihnen beiden.«

Im Licht des Streichholzes sah Daniel einen Tisch neben sich, auf dem diverser Nippes und anderer überflüssiger Kram stand. Inmitten des Sammelsuriums ragte eine Sturmlaterne empor, und er öffnete den Deckel und hielt das Streichholz an den Docht.

Der Lichtschein fiel auf den Mann, der ausgestreckt am Boden lag. Sein Gesicht war hart und kantig, doch da es eine kränklich-grüne Farbe angenommen hatte und er eine Hand auf den Bauch presste, wirkte er ganz und gar nicht mehr einschüchternd.

»Ich kann nicht zurück, bevor ich es habe«, sagte der Mann, der noch immer um Atem rang. »Mein Leben hängt davon ab.« Er sprach mit dem Slang der Londoner Arbeiter.

»Man hat Sie für diesen Job angeheuert, richtig? Wie heißen Sie?«

»Simon. Matthew Simon.«

»Schön und biblisch. Es geht also darum, dass Sie mich umbringen oder zu Ihrem Auftraggeber zurückkehren und selbst umgebracht werden. Ist es so? Wir leben in grausamen Zeiten.«

»So sieht es aus«, entgegnete Mr Simon grimmig. »Tut mir ja auch leid, aber ich sehe wirklich keinen anderen Ausweg, Sir.«

Die Worte des Mannes klangen bedauernd, aber nicht entschuldigend. Er hatte einen Job zu erledigen, und er würde zu jedem Mittel greifen, um genau das zu tun.

»Ich sage Ihnen was, Mr Simon – warum arbeiten Sie nicht für mich? Ab sofort. Sie müssten nicht mit leeren Händen vor Ihren Auftraggeber treten und können damit aufhören, mich für Geld zu verprügeln. Ich werde Ihnen einen angemessenen Lohn zahlen.«

»Für Sie arbeiten?« Simon musterte Daniel lange und misstrauisch. »Was müsste ich tun?«

Daniel zuckte die Schultern. »Heben und tragen, das eine oder andere im Auge behalten, mir bei meinen Maschinen helfen, wenn ich Hilfe brauche. Was sagen Sie dazu? Wenn Sie mich noch einmal attackieren, werde ich mein Bestes geben, um dafür zu sorgen, dass Sie nach Hause kriechen werden, das garantiere ich Ihnen.«

Simon fiel das Atmen jetzt leichter, aber er machte keine Anstalten, sich von dem bunt gemusterten Teppich zu erheben. »Bis jetzt hat mich noch nie jemand zu Boden geschickt. Ich hab gedacht, das ginge gar nicht bei jemandem von meiner Größe.«

»Es ist ein Trick dabei.«

»Sie kennen sich aus mit Faustkämpfen.« Simon klang bewundernd. »Unfairen Kämpfen.«

»Ich wurde von Männern erzogen, die unfair kämpfen. Regeln sind etwas für höfliche Männer. Wie wär’s denn nun mit uns beiden, Mr Simon?«

Schweigen. Daniel konnte fast die Rädchen im Kopf des Mannes rotieren hören, während er seine Möglichkeiten erwog. Schließlich stieß er einen langen Seufzer aus. »Ich bin Ihr Mann.«

»Gut. Dann verraten Sie mir als Erstes, wie Sie ins Haus gekommen sind. Sie haben doch wohl nicht diesem armen kleinen Hausmädchen wehgetan, um sich Zutritt zu verschaffen, oder?«

»Nein, ich hab ihr nur ein bisschen Angst gemacht.«

»Hmmm. Ich denke, sie braucht eine Lohnerhöhung.«

Aus dem Esszimmer hörte Daniel aufgeregte Stimmen – Habt ihr das gesehen? Ellingham, es ist hinter Ihnen –, aber in diesem Zimmer war alles still.

Daniel betrachtete nachdenklich die Kerosinlampe, die inmitten des Nippes auf dem Tisch stand. Im Lampenschein sah er, dass wie im Zimmer nebenan ein Kronleuchter mit Gaslampen von der Decke hing und Gasleuchten die Wände zierten. Dennoch benutzten Mademoiselle Violette und ihre Mutter hier drinnen Kerosinlampen und im Esszimmer Kerzen. Wegen der Atmosphäre? Oder weil das Gas abgestellt worden war?

Simon setzte sich auf und atmete tief durch. »Sie haben einen ziemlich üblen Schlag drauf, Mr MacKenzie.«

»Sie wissen also, wer ich bin?«

»Jeder weiß, wer Sie sind. Ich und meine Kumpels wetten immer ein bisschen auf die Pferde von Ihrem Dad, Sir.«

»Klug von Ihnen.«

Daniel schaute sich im Zimmer um. Die Wandverkleidung war aus Holz und sehr viel älter als das Mobiliar. Er schätzte, dass das Haus im letzten Jahrhundert erbaut worden war. In jenen Tagen war es üblich gewesen, die Wände mit Holzpaneelen zu verkleiden und mit Stuck zu schmücken, was sehr viel geschmackvoller gewesen war als die bunten Tapeten, die man heutzutage in den Häusern sah.

Das Paneel war zudem sehr praktisch, weil man eine Menge dahinter verbergen konnte. Dieses Wohnzimmer lag auf der Frontseite des Hauses, das Esszimmer dahinter. Aber die Gesamtlänge beider Räume stimmte nicht mit der Länge des Korridors überein, der von der Eingangstür in den rückwärtigen Teil des Hauses führte. Daniel, der mit bloßem Augenmaß bis auf den Zentimeter genau Entfernungen abschätzen konnte, hatte das Missverhältnis sofort registriert.

Er stand auf und ging zu der Wand, die Wohn- und Esszimmer trennte. Es war kein leichtes Unterfangen, denn das Zimmer war vollgestellt mit Töpfen, in denen Palmen und Farne wuchsen, mit Tischen und Beistelltischchen; Teppiche und Brücken lagen neben- und aufeinander, und Krimskrams jeder Größe, Form und Farbe trug seinen Teil zum Chaos bei.

Die schmale Tür, die zum Esszimmer führte und durch die Simon ihn gezerrt hatte, war jetzt geschlossen. Daniel fuhr mit den Händen über die Wandverkleidung neben der Tür.

Seine Fingerspitzen ertasteten einen kleinen Riegel. Er löste ihn, und es öffnete sich ein Paneel, ungefähr einen Meter fünfzig hoch und fünfzig Zentimeter breit. Dahinter lag eine Nische, voll mit dünnen Seilen und Drähten, die über diverse Rollen liefen. Mit zwei Metallhebeln ein wenig unterhalb Daniels Augenhöhe ließen sich einige der Drähte regulieren, die übrigen verliefen, soweit Daniel es erkennen konnte, die Wand hinauf.

»Oh, du raffiniertes, raffiniertes Mädchen.«

»Was ist das?«, fragte Simon, der noch immer auf dem Boden saß, aber er klang nicht besonders interessiert.

»Das Geheimnis von Mademoiselle Bastiens Erfolg.«

Simon stöhnte erneut, und Daniel vermutete, dass sich der Mann mehr um seinen derzeitigen Zustand sorgte als darum, die Geheimnisse eines betrügerischen Mediums zu lüften.

Daniel beugte sich vor, um nach oben zu schauen, und wünschte sich, das Licht wäre besser. Wer auch immer diese Vorrichtung ersonnen hatte, er hatte sich das vorhandene System der Klingelzüge zunutze gemacht – die Seile und Drähte, die im ganzen Haus verliefen, sodass die Lady oben im Haus mühelos ein Hausmädchen aus den Tiefen der Dienstbotengefilde zu sich rufen konnte.

Das Klingelzugsystem war so ausgeklügelt angelegt, dass sogar ein bestimmter Diener in ein bestimmtes Zimmer gerufen werden konnte. In dem Haus, das Daniel in London besaß, hatte er sich gründlich mit einem solchen System beschäftigt, weil er dort luftbetätigte Sprechschläuche einbauen und verwenden wollte, um direkt mit seinem Personal zu sprechen – wenn er denn jemals dazu kommen würde, welches einzustellen.

Daniel schloss das Paneel und bahnte sich seinen Rückweg durch den überladenen Salon zur Tür, die zum Korridor führte. Hinter ihm kam Simon mühsam auf die Beine und folgte ihm, wobei er sich das geschundene Gesicht rieb. Daniel hatte Mitleid mit ihm und sagte ihm, er solle sich auf der Bank im Flur ausruhen, während er auf Entdeckungstour sei.

Das Hausmädchen war nirgendwo zu sehen. Leichtfüßig lief Daniel die Treppe hinauf, die nur von einem schwachen Lichtschein aus dem oberen Korridor beleuchtet wurde. Oben angekommen entdeckte er eine zweite brennende Kerosinlampe auf einem Tisch, der zwischen zwei Türen platziert war. Eine weitere Treppenflucht führte weiter hinauf, aber Daniel war sehr sicher, dass er das, was er suchte, auf diesem Gang finden würde.

Hinter der ersten Tür des Korridors lag ein dunkler leerer Raum. Kein Mobiliar, keine Menschen, nichts. Aber dieser Raum lag auch über dem Wohnzimmer. Das benachbarte Zimmer hingegen lag über dem Esszimmer, in dem Mademoiselle Bastien Hof hielt.

Daniel öffnete die Tür zum zweiten Zimmer. Auch hier gab es keine Teppiche, dafür einige Möbelstücke, die an die Wände geschoben worden waren. Zwei Kerosinlampen standen auf einem Tisch und warfen ihr Licht auf das Hausmädchen, das in der Mitte des Zimmers auf dem Boden kniete. Einige Dielenbretter waren entfernt worden, und das Mädchen schaute durch die Öffnung in den darunterliegenden Raum, ihre Hände steckten in der Öffnung und schienen etwas zu halten.

Sie war so sehr auf ihre Aufgabe konzentriert, dass sie Daniel erst wahrnahm, als er sich neben sie hockte.

Mit einem leisen Aufschrei ließ die Frau den Hebel los, auf dem ihre Hand gelegen hatte. Aus großen Augen starrte sie Daniel an. Unter sich hörte Daniel die Stimme Mr Ellinghams. »Was zum Teufel ist passiert? Wohin ist es verschwunden?«

Daniel schaute in die Bodenöffnung. Unter einer Reihe von Hebeln befand sich ein kleines eckiges Guckloch in der Decke des Esszimmers, genau über dem Kronleuchter – vermutlich war das einer der Gründe, warum das Gas nicht benutzt wurde. Der Kronleuchter schwankte auf unerklärliche Weise leicht hin und her, der unheimliche Wind und die Geräusche waren jedoch verschwunden.

»Oh, Sir«, wisperte das Mädchen mit blassem Gesicht. »Sie sollten nicht hier sein.«

»Das sollten Sie auch nicht. Gehen Sie zu Bett und überlassen Sie mir die weitere Inszenierung.«

Der Frau stand der Mund offen. Sie war um die dreißig, hübsch, mit dunklem Haar unter einer gestärkten weißen Haube. Ihr Akzent verriet, dass sie aus dem Süden Londons stammte. »Ihnen, Sir?«

Daniel schenkte ihr sein gewinnendstes Lächeln. »Sie müssen müde sein, Mädchen, nachdem Mortimer mitten in der Nacht mit seinen Freunden hier eingefallen ist. Gehen Sie hinauf und sorgen Sie dafür, dass Ihre Herrin es bequem hat, und dann gehen Sie schlafen. Ich werde hier für Sie weitermachen. Ich kenne mich im Bedienen von Apparaturen ein wenig aus.«

»Aber Sie können nicht … ich kann doch nicht …«

»Es ist alles in Ordnung, Liebes. Ihre Herrin hat mich hergeschickt. Lassen Sie mich einen Versuch wagen.«

Das Hausmädchen sah Daniel skeptisch an. »Das hat sie? Woher kennt Miss … ich meine, Mademoiselle Bastien Sie denn?«

»Oh, das tut nichts zur Sache.« Daniel zwinkerte dem Mädchen zu. »Aber ihre Geheimnisse sind bei mir sicher.«

Das Hausmädchen kam zu einer Entscheidung. Es sah in der Tat müde aus und brauchte dringend Schlaf, um sich zu erholen. »Nun, dann nur zu. Sie braucht dort unten ein wenig mehr Aufregung.«

Sie stand auf, schüttelte ihre Röcke aus und verließ das Zimmer. Daniel bemerkte, dass sie nur leichte Slipper trug, die auf den Holzdielen so gut wie keine Schrittgeräusche machten.

Nachdem das Mädchen die Tür hinter sich geschlossen hatte, legte sich Daniel bäuchlings auf den Boden und schaute durch das Guckloch ins Esszimmer hinunter.

Es lag in Dunkelheit, die jedoch von einem schwachen Licht vertrieben wurde, nachdem Mademoiselle Violette eine Kerze angezündet hatte. Der Schein fiel auf die Gesichter der Gentlemen, die mit offenen Mündern dasaßen, und umgab Mademoiselle Violettes blasses Gesicht und ihre dunklen Locken wie ein Heiligenschein.

Sie sprach in besänftigendem Ton, auch wenn sie ein wenig atemlos klang. »Mitunter gehen die Geister sehr plötzlich, genau wie es eben geschehen ist. Die andere Welt schließt sich, und die Verbindung ist unterbrochen.«

»Nicht ganz.« Ellingham zeigte auf den Kronleuchter, der wieder zu schwanken begonnen hatte, seine Glasfacetten klirrten leise.

Violet schaute zur Decke, der Kerzenschein schmeichelte ihrem außergewöhnlich anziehenden Gesicht.

Daniel hätte sie jetzt verraten und denen dort unten zurufen können, dass er entdeckt hatte, auf welche Weise sie alle hinters Licht geführt wurden. Doch das würde er niemals tun. Nicht, weil Mortimer ein Rüpel war, und auch nicht wegen Mademoiselles Verärgerung, die er ihr deutlich ansah. Und nicht wegen ihres flehenden Blickes, auch wenn dieser unter all diesem Zorn fast verloren ging.

Es war wegen ihrer Unverfrorenheit. Mitten in der Nacht saß Mademoiselle Violette allein in einem Zimmer voller Gentlemen, was für jede andere junge Frau den Ruin hätte bedeuten können, und beherrschte sie so gekonnt wie ein Meisterpianist sein Instrument.

Diese Junggesellen aus den besten Familien Londons, die jeden wie Luft behandelten, der nicht in das Schema ihrer äußerst rigiden Verhaltensregeln passte, saßen wie zahme Welpen da und ließen sich von Mademoiselle Violette zum Narren halten.

Sie sollte schadenfroh aussehen und sich in ihrer Macht aalen. Doch Mademoiselle schaute voller Besorgnis zur Decke, weil sie befürchtete, dass jemand vorhatte, ihre Darbietung zu beenden, möglicherweise für immer.

Die Verzweiflung, die sie zu verbergen versuchte, als sie zur Decke schaute – sie hatte begriffen, dass ihre Vertraute nicht mehr dort oben war –, entschied es.

Behutsam zog Daniel an einem anderen Hebel, und tief in der Wand des Esszimmers ertönte ein Klopfen.

Noch einmal zog er an demselben Hebel, was ein weiteres lautes Klopfen zur Folge hatte. Mademoiselle Violette musste einen Holzpflock oder Vergleichbares installiert haben, um damit gegen die Wand oder einen anderen Holzblock zu schlagen und dieses hohle Klopfen zu erzeugen.

Der Hebel ließ sich leicht bedienen, die kleinste Berührung genügte. Nach ein wenig Herumprobieren entdeckte Daniel, dass er den Rhythmus und die Lautstärke der Klopfgeräusche variieren konnte.

»Versucht er, eine Botschaft zu senden?«, fragte Ellingham.

Violette holte tief Luft und zwang sich, den Blick vom Kronleuchter abzuwenden. »Das tut er in der Tat. Still jetzt, während ich ihm zuhöre.«

Daniel fragte sich, wie viele der Burschen dort unten den Morse-Code kannten. Hatten sie je eine Telegrafiermaschine bedient? Oder waren Telegramme nur etwas, das sie ihren Lakaien diktierten, um es für sie abzusenden?

Daniel klopfte weiter … Ich bin der Geist von … Nein, anders.

Mortimer ist ein Arschloch.

Keiner dort unten verzog eine Miene, keiner der Gentlemen hatte eine Telegrafiermaschine je auch nur von Weitem gesehen. Sie warteten geduldig darauf, dass Mademoiselle ihnen sagte, was das Klopfen zu bedeuten hatte.

Violette bewahrte ihren gleichmütigen Gesichtsausdruck. Wunderbare Frau. »Die Geister sind unglücklich«, sagte sie mit heiserer Altstimme. »Sie wünschen, dass wir aufhören. Sie in Ruhe lassen.«

Daniel fuhr damit fort, Morsezeichen zu klopfen. Du bist wunderbar, weißt du das, Mädchen?

Röte breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie verstand Daniels Klopfzeichen genau, was bedeutete, dass sie den Morse-Code verstand. Interessant.

Wie ist aus einer feinen Lady eine Betrügerin geworden?

»Genug!«, sagte Violette und stand abrupt auf. »Böse Geister, zieht euch von diesem Ort zurück!«

Daniel hörte auf zu klopfen und brachte den Kronleuchter erneut zum Schwingen, hin und her, hin und her. Er probierte einen weiteren Hebel aus, der eine Wolke von winzigen Lichtpunkten aufleuchten ließ, die mit phosphoreszierender Farbe auf dünne Drähte gemalt waren. Diese Punkte wirbelten und tanzten wie Irrlichter umher. Ein weiterer Hebel ließ ein Stöhnen erklingen, vermutlich durch einen Blasebalg erzeugt oder durch einen Luftsack oder etwas Ähnliches.

Er fand auch den Hebel für die Vorrichtung, die den kalten Windzug hatte wehen lassen – der Hebel setzte nicht nur einfach den Apparat in Gang, auch die Stärke des Luftstoßes ließ sich regulieren. Wunderbar. Daniel musste diese Maschine, die raffinierter war als die anderen Vorrichtungen, unbedingt in die Hände bekommen. Er würde sie auseinandernehmen und herausfinden, wie sie funktionierte.

Der Windzug brachte auch diesmal die Kerzenflamme zum Erlöschen. Daniel betätigte die verschiedenen Hebel, bis das Zimmer unter ihm erfüllt war von Stöhnen und Klopfen, der Kronleuchter hin und her schwang, Irrlichter im Wind tanzten. Resigniert ließ sich Violette auf ihren Stuhl zurücksinken.

Ellingham und die anderen sahen mit großen Augen zu, wie die Geister außer Kontrolle gerieten. Als Daniel entschied, dass sie genug gesehen hätten, riss er alle Hebel zurück in ihre Ausgangsstellung.

Der Wind erstarb, die Irrlichter erloschen, die Geräusche verstummten, und der Kronleuchter kam leise ächzend zum Stillstand. Die Facetten klirrten leise ein letztes Mal, dann herrschte Stille.

Violette erhob sich, und ein weiteres Streichholz flackerte in ihrer Hand auf. »Nun …«

Ihre Worte gingen in begeistertem Applaus unter. Ellingham war aufgesprungen, sein Gesicht glühte, er klatschte begeistert in die behandschuhten Hände. »Mein Wort, Mademoiselle, Sie verfügen über eine wunderbare Gabe. Das habe ich schon immer gesagt.«

»Sie haben Ihnen nichts getan, nicht wahr, Mademoiselle?«, fragte einer der Herren mit ein wenig mehr Mitgefühl. »Geht es Ihnen gut?«

»Ich werde mich gleich wieder gefasst haben.« Violette zog ein Taschentuch hervor und betupfte sich behutsam die Stirn. Oh, sie war eine Meisterin. »Ich genieße einigen Schutz vor ihnen. Aber ich fürchte, Gentlemen, dass ich mich doch ein wenig erschöpft fühle.«

Die Gentlemen erhoben sich von ihren Plätzen, plötzlich sehr besorgt, und versicherten Mademoiselle Bastien, dass sie jetzt gehen würden, damit sie sich zur Ruhe begeben könnte, und betonten ihre Dankbarkeit. Und fragten, wann sie wiederkommen und ihre Freunde mitbringen könnten, die es auch sehen, auch glauben mussten.

Daniel beobachtete, wie Violette mit ihnen umging: Sie stand aufrecht da, hielt sich aber am Tisch fest, als wäre sie kaum noch dazu in der Lage. Sie ermutigte die Gentlemen, wiederzukommen – nach Absprache eines Termins, weil sie dann besser Kontakt zu den Geistern aufnehmen konnte. Violette entschuldigte sich für ihre Gabe, die so unbedeutend und klein sei – die ihrer Mutter sei sehr viel beeindruckender. Sie sei es wert, zu warten, bis es ihrer Mutter wieder besser ging.

Die Herren überschlugen sich darin, ihr zuzustimmen, nur Mortimer sagte kein Wort.

Daniel hörte die Herren auch darüber spekulieren, was wohl mit MacKenzie geschehen sei. Einer meinte, er habe MacKenzie aus dem Zimmer rennen sehen, als es mit den Geistern so richtig losgegangen war, ohne Zweifel voller Angst. Ah ja, jeder wusste doch, dass die Schotten Feiglinge waren.

Mortimer verließ als Letzter das Esszimmer. Er blieb an der Tür stehen. »Eine feine Vorstellung, Mademoiselle«, sagte er. »Ich werde Sie weiterempfehlen.«

Violette neigte den Kopf und brachte es zustande, gleichzeitig hochmütig und unterwürfig auszusehen. »Ich danke Ihnen, Sir.«

»Hmmm.« Mortimer stützte sich mit der Hand gegen den Türrahmen. »Nun, ich werde wiederkommen, Mademoiselle. Bei Tageslicht. Um mit Ihnen zu reden.«

»Ich freue mich auf Ihren Besuch«, entgegnete Violette.

Das tat sie nicht. Eher wollte sie eine Kröte verschlucken. Doch sie legte sich nur ihren leichten Schal um, während sie sprach, ihre Erschöpfung war nicht vorgetäuscht.

Einen Moment lang schaute Mortimer sie schweigend an, ehe er sich verbeugte und ihr eine gute Nacht wünschte. Daniel hörte, wie er mit den anderen das Haus verließ und die Tür hinter ihnen zufiel, ihre Stimmen waren von der Straße her zu hören. Keiner von ihnen erwähnte Simon, also hatte der sich wohl außer Sichtweite gehalten oder war vielleicht nach Hause gegangen, um seine Wunden zu versorgen.

Daniel blieb, wo er war, fasziniert vom System der Hebel und Flaschenzüge. Es gab weitere Hebel, die er noch nicht ausprobiert hatte. Einer ließ einen dumpfen Glockenschlag erklingen – man konnte sich gut vorstellen, dass Gevatter Tod höchstselbst diesem Schlag folgen würde. Ein weiterer Hebel …

Zwei Füße in weißen Lederstiefeln blieben vor seinem Gesicht stehen. Unter der Schnürung verbarg sich ein Paar zierlicher Fußgelenke. Angesichts seiner Lage hielt Daniel wohlweislich still, dennoch konnte er einen Blick auf die Beine erhaschen, die in diesen Stiefeln steckten. Spinnwebfeine schwarze Strümpfe schlossen sich fest um wohlgeformte Waden.

Er rollte sich auf den Rücken und legte die Hände hinter den Kopf. Aus dieser Position ließ er den Blick an ihrem Rock hinaufgleiten zu dem engen Mieder, das sich über ihrem Busen spannte. »Etwas Vortrefflicheres habe ich noch nie gesehen«, sagte er. »Das Hebelsystem, meine ich. Welcher Ingenieur hat es für Sie erdacht? Wer immer es war, ich will ihn kennenlernen.«

Mademoiselle Bastiens geübte Gesichtszüge blieben vollkommen ausdruckslos. »Ich war das«, sagte sie.

»Sie?« Vor Überraschung machte Daniel große Augen. Er zog die Hände hinter dem Kopf hervor und applaudierte ihr. »Brillant. Ich glaube, ich liebe Sie.«

4

Arrogant, selbstherrlich … dieser Adelsspross könnte den Untergang für Violet und ihre Mutter bedeuten, und er machte sich über sie lustig.

Mr MacKenzie hatte die Hände wieder unter den Kopf geschoben und lag lang ausgestreckt auf Violets Fußboden, entspannt und selbstzufrieden. Was hatte er vor? Sie entlarven? Die Zeitungen informieren? Die Polizei holen? Violet schlug das Herz bis zum Hals. Sie musste ihre Mutter wecken, zusammenpacken, was sie konnte, und fliehen.

Aber Mr MacKenzie lag nur still da, seine Augen funkelten im Lichtschein, sein attraktives Gesicht und sein athletischer Körper waren das Beste, was dieses Zimmer je geziert hatte.