Das Wagnis der Wikinger – Band 2 - Ole Åsli - E-Book

Das Wagnis der Wikinger – Band 2 E-Book

Ole Åsli

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Beschreibung

Ein episches Abenteuer in der rauen Welt der Wikinger – erleben Sie eine Geschichte von Freundschaft, Verrat und dem unbeugsamen Willen zur Freiheit, die Sie von der ersten bis zur letzten Seite in ihren Bann ziehen wird.

Klappentext: Der junge Wikingerkrieger Ulv erwacht gefesselt und schwer verletzt in der Wildnis. Hintergangen, geschlagen und dem Tod überlassen, bleibt ihm nur eine Wahl – überleben und Rache nehmen. Während er seine Verfolger jagt, entbrennt in Dyflin ein Kampf um Macht und Ehre. Verrat, Blut und Stahl bestimmen das Schicksal der Männer, die sich als Herren des Nordens sehen. Wird Ulv seinen Rächern entkommen – oder ist sein Schicksal bereits besiegelt?

"Das Wagnis der Wikinger" besticht durch seine historische Authentizität und tiefgründige Charakterentwicklung. Die Autoren Ole Åsli und Tony Bakkejord, gebürtige Norweger, erschaffen mit ihrer profunden Kenntnis der Wikingerzeit eine atmosphärisch dichte Welt voller packender Kampfszenen und erschütternder Wendungen. Jede Seite vermittelt das raue Leben im 9. Jahrhundert mit einer Intensität, die Sie hautnah miterleben lässt.

Tauchen Sie jetzt ein in dieses mitreißende Wikinger-Epos und sichern Sie sich Ihr Exemplar von "Das Wagnis der Wikinger" – Ihr Portal in eine Zeit, in der Mut und Loyalität über Leben und Tod entscheiden.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Band 2: Geächtete

Das Wagnis der Wikinger

 

 

EK-2 Militär

 

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Liebe Leser, liebe Leserinnen,

 

zunächst möchten wir uns herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Buch erworben haben. Wir sind ein Familienunternehmen aus Duisburg und jeder einzelne unserer Leser liegt uns am Herzen!

 

Mit unserem Verlag EK-2 Publishing möchten wir militärgeschichtliche und historische Themen sichtbarer machen und Leserinnen und Leser begeistern.

 

Vor allem aber möchten wir, dass jedes unserer Bücher Ihnen ein einzigartiges und erfreuliches Leseerlebnis bietet. Haben Sie Anmerkungen oder Kritik? Lassen Sie uns gerne wissen, was Ihnen besonders gefallen hat oder wo Sie sich Verbesserungen wünschen. Welche Bücher würden Sie gerne in unserem Katalog entdecken? Ihre Rückmeldung ist wertvoll für uns und unsere Autoren.

 

 

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Abbildung 1: Karte von Irland zur Zeit der Wikinger

 

Kapitel 1: Allein

Meath, Irland, Oktober 841

 

Ulv öffnete die Augen und schrie. Der heisere Aufschrei verwandelte sich in einen Hustenanfall. Seine Brust brannte, als wäre sie mit glühenden Kohlen bedeckt. Sein Mund und seine Kehle waren aufgerissen und kratzig. Dunkles, geronnenes Blut bedeckte seinen Oberkörper, mit helleren Flecken, wo noch immer frisches Blut aus den beiden Schnitten floss.

Ulv wollte seine Brust berühren, sich die Augen reiben. Aber er konnte nicht. Seine Hände waren hinter dem Baum gefesselt. Er musste sich darauf konzentrieren, irgendetwas anderes als Schmerz zu empfinden, und bewegte seine Finger und Zehen, um zu prüfen, ob sie noch funktionierten. Seine Handgelenke schmerzten, seine Arme waren taub. Seine Beine kribbelten und pochten. Ulv schloss die Augen, um besser sehen zu können.

Das Schiff, das über das Wasser in Richtung des Dorfes in Northumbria glitt. Der Geruch von Salzwasser und nassem Sand. Kjetil Korte, der ihn anschrie. Der alte Mann, der mit dem Messer in seinem Bauch starb. Die Wärme des klebrigen Blutes, das seine Hand bedeckte. Der Gestank von feuchter Erde und saurem Rauch in dem Keller, in dem Marcus mit großen Augen und voller Angst gesessen hatte. Der Zweikampf mit Kjetil. Die Reise, auf der zwei Berserker von Geir Galne starben, nachdem sie Magnus Trygg herausgefordert hatten. Der kalte Wind auf Orkneyar, wo er erneut gegen Kjetil gekämpft hatte und wo er versucht hatte, die Schwester von Marcus zu finden. Das Grauen auf der Spitze der Klippe, die er mit Vass erklommen hatte.

Er erinnerte sich an den Angriff auf Dyflin. Vass, bewaffnet mit einer Heugabel mit zwei Stacheln, und Ulv mit dem Bogen. Die Männer, gegen die er gekämpft hatte. Diejenigen, die er getötet hatte. Er sah sich selbst mit Vass innerhalb der Palisade und erinnerte sich an die Vereinbarung mit dem irischen Oberhaupt. Die Abmachung, die viele rettete und andere tötete. Aud, die Seherin, verlangte, dass die Iren Odin umarmten, um zu leben. Das Mädchen, das weinte und die Worte wiederholte, die Aud befahl, aber trotzdem starb. Der junge Mann mit der strengen Visage, der entkommen konnte. Er erinnerte sich an den Pfeil, den er auf den Iren gerichtet hatte, den er aber nie losschickte. An die Baumstämme auf dem Fluss, die sich bewegten, als er auf sie sprang. Er spürte die Wärme der Anerkennung, als er als Erster den Fluss überquerte. Die Angst, als Kjetil in Dyflin erschien.

Er erinnerte sich an den Anblick der gebrochenen Nase des Riesen. Die Freude, als Kjetil ihm sagte, dass Marcus dahintersteckte. Die Verzweiflung, als Flachnase verlangte, dass Ulv die Strafe für seinen Sklaven auf sich nehmen sollte.

Ulv hatte sich von Vass verabschiedet, Dyflin verlassen und war in die Wildnis hinausgegangen. Allein. Ein Ausgestoßener. Ein Geächteter. Und so sehr verängstigt.

Ulv riss die Augen weit auf. Die Männer, die ihn angegriffen hatten, als er schlief! Er versuchte, den Kopf zu heben und sich umzusehen. Es dauerte nicht lange, bis sich alles wieder bewegte. Er zwang seinen Kopf nach oben, aber das war zu viel. Zu früh. Sein Kopf fiel nach vorne, und seine Augen fielen zu.

 

***

 

Ulv öffnete seine Augen. Er sah sich die Zerstörung an. Auf die Kreaturen, die verzweifelt arbeiteten. Als ob sie nicht wüssten, dass es sinnlos war. Sie wimmelten sinnlos umher. Ulv fragte sich, ob sie vor Angst schrien. Ob sie vor Kummer heulten. Ob sie vor Schmerz stöhnten. Er fragte sich, ob jemand versuchte, wegzulaufen. Ob sich jemand versteckte? Wie viele waren getötet worden? Wie viele hatten Familienangehörige verloren?

Jemand lag in einer Blutlache. Sein Blut. Es floss wie ein träger Herbststrom seinen Oberschenkel hinunter, an der Seite seines Knies entlang und endete an seiner Wade. In dieser roten Lache sah er Gestalten. Drei junge Männer mit Pfeilen, die aus ihren Körpern ragten. Ein alter Mann mit einer klaffenden Wunde im Bauch und dunklen Augen. Ulv schüttelte den Kopf. Er versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen.

Es waren Ameisen. Ameisen, die sein Blut untersuchten. Ameisen wimmelten herum. Die meisten versammelten sich um seine Beine, die aus dem Ameisenhaufen ragten. Es gab keine Panik. Sie waren nicht machtlos. Sie hatten einen Sinn. Ein Ziel. Vielleicht gab es noch etwas, das getan werden konnte? Vielleicht war es noch nicht zu spät.

Ulv streckte seine Arme am Baumstamm hinter sich in die Höhe. Zum Glück befanden sich am unteren Ende des Baumes keine Äste. Es half auch, dass er seine Muskeln angespannt hatte, als sie ihn fesselten. Er schaffte es, seine Arme eine Handbreit weiter nach oben zu bringen. Dann noch eine. Aber dann blieben sie stehen. Obwohl er beweglich war, kam er nicht weiter. Er ruhte sich aus, denn er wusste, dass er nur diese eine Chance bekommen würde. Seine Energie schwand mit dem Blut, das aus dem roten Kreuz auf seiner Brust floss. Er plante seine nächsten Schritte. Er stellte sich die Schritte vor, um sich zu befreien. Es gab ihm Kraft, ein Ziel zu haben. Einen Sinn. Um seine Arme weiter nach oben zu bekommen, beugte er sich vor und schob sie den Stamm hinauf. Der raue Baumstamm schabte an seinen Armen. Er atmete. Ausruhen. Ein letztes Mal.

Ein paar tiefe Atemzüge. Er zog seine Beine aus dem Ameisenhaufen, drückte sich mit dem Rücken an den Baumstamm und hob seine Füße vor sich. Sein Magen zog sich zusammen, und bevor er die Beine ganz über den Kopf heben konnte, tropfte frisches Blut aus den Schnitten auf seiner Brust. Er schlang seine Knöchel um den Baum und drehte seinen Kopf zur Seite des Stammes. Dort hängend, atmete er einen Moment lang. Als er sein Gewicht mit den Füßen hielt, konnte er seine Arme und das Seil weiter nach oben ziehen. Indem er den Vorgang wiederholte, kletterte er jeweils ein paar Zentimeter den Baum hinauf.

Wieder und wieder schleppte er sich nach oben. Ihm war schwindelig, und es fühlte sich an, als würden seine Schultern aus den Gelenken springen. Ein bisschen höher. Einer seiner Füße berührte etwas. Einen Ast. Er stöhnte auf und hob seine Füße darüber. Ausruhen. Das Seil war jetzt hinter dem Baumstamm schlaff. Konnte er den Knoten mit den Fingern erreichen? Fast. Er bewegte seine Arme ein wenig weiter nach oben, griff nach dem Knoten und zwang sich, seine Form zu ertasten, bevor er begann, an einigen Teilen zu ziehen.

Die Welt geriet ins Wanken. Es gab keine Zeit mehr. Er zog an einer der Seilschlaufen. Sie gab nach. Verzweifelt zog er weiter. Der Knoten löste sich. Er fiel. Er schlug auf dem Boden auf und die Dunkelheit fand ihn.

 

***

 

Ulv wachte auf. Sein Mund war trocken wie Asche, und es schmerzte überall. Abgesehen von seiner Unterwäsche war er nackt. Eine Weile lag er einfach nur da und versuchte sich zu erinnern, was geschehen war. Die Spitze des Messers, das ihm über die Brust gezogen worden war. Die braunen Zahnstümpfe und der Mann, dem sie gehörten. Die Teile fügten sich zusammen. Die blutigen Schnitte auf seiner Brust schmerzten und waren steif, aber sie bluteten kaum noch. Er ahnte, dass sich das ändern würde, sobald er sich bewegte. Aber das spielte keine Rolle. Er musste aufstehen und sich bewegen. Vorsichtig setzte er sich auf und schaute sich um. Der Ameisenhaufen war ruiniert. Sein rechter Fuß steckte noch immer im Hügel, und die wütenden Arbeiterinnen kämpften, um den Eindringling zu verjagen. Ulv zog seinen Fuß heraus und bürstete die Insekten weg. Die Haut stach und brannte von unzähligen kleinen Wunden.

In der Nähe befand sich Moos, von dem der Vater sagte, dass es Verletzungen vor dem Eitern schützen würde. Er stand auf und löste das Stück Seil, das noch im Baum hing. Er löste die einzelnen Stränge, aus denen das Seil bestand. Nachdem er das Moos eingesammelt hatte, legte er es auf die Wunden und band sich die Schnüre um den Oberkörper, um es zu fixieren. Er war noch keine zwölf Schritte gegangen, als ihm klar wurde, dass das Moos nicht lange halten würde. Aber es war das Beste, was er tun konnte.

Ulv ging zu dem Bach, den er am Vortag gefunden hatte. Das Wasser war kalt und frisch, und er trank gierig. Die Sonne stand am höchsten, was bedeutete, dass eine halbe Nacht und ein halber Tag vergangen waren, seit die Schläger ihn überfallen hatten. Ulv hatte vor, sich zu rächen. Nie würde er das Gefühl vergessen, von Schlägen und Tritten geweckt zu werden. Von fünf Männern, die mit kühlem Lächeln und Waffen in der Hand über ihm gestanden hatten. Er würde sich rächen für die Angst, die er empfunden hatte, für die Schmerzen, die er erlitten hatte. Für die Schmerzen, die er immer noch empfand. Vor allem aber würde er sich für das Gefühl der Sicherheit rächen, dass sie ihm genommen hatten. Den letzten Rest an Sicherheit, den er allein in den Wäldern verspürt hatte.

Sie hatten auch seine Ausrüstung mitgenommen. Ohne sie würde er nicht überleben. Rache mag nicht das Wichtigste sein. Aber es sollte doch möglich sein, zwei Krähen mit einem Pfeil zu töten. Dann erinnerte er sich an den Bogen und die andere Ausrüstung, die er unter den Felsen geschoben hatte. Hatten die Schurken sie mitgenommen? Der Drang, herauszufinden, ob er noch eine Waffe besaß, wurde zum wichtigsten Bedürfnis, und er stand vom Bach auf. Das Schwindelgefühl kehrte in vollem Umfang zurück, als er sich aufrichtete, und er musste sich an einen Baum lehnen, um nicht hinzufallen. Er taumelte zurück zum Lagerplatz. Unterwegs sammelte er einige große Blätter von einer Moorpflanze auf.

Am Lagerfeuer ließ er sich auf die Knie sinken. Dabei fühlte er sich wie ein alter Mann, der bei jeder seiner Bewegungen darauf achtete, seine Schmerzen nicht zu verschlimmern. Als er sich bückte, sah er, dass der Bogen noch unter dem Felsen lag. Auch die Bogensehne, die Pfeilspitzen, die Federn der Krähe und die Axt waren noch da. Aber keine Kleidung und kein Essen. Das bedeutete, dass er das Wichtigste für die Durchführung des Plans hatte, aber nichts darüber hinaus. Der Weg nach vorne war klar.

Der größte Teil des Mooses hatte sich von seiner Brust gelöst. Er löste die Schnüre, sammelte neues Moos, legte die großen Blätter darüber und befestigte das Ganze wieder mit den Schnüren. Er sammelte das Wenige ein, was von seiner Ausrüstung übriggeblieben war, und folgte den Spuren der Räuber.

Braunzahn und seine Männer hatten keine Anstalten gemacht, ihre Spuren zu verwischen. Fußabdrücke im weichen Boden, abgeknicktes Heidekraut und abgebrochene Zweige machten es Ulv leicht, ihnen zu folgen. Am Nachmittag war die Suche beendet, und er hörte die Männer, bevor er sie sah. Schleichend näherte er sich ihrem Lager. Die Männer redeten und lachten. Ein Hund bellte. Dann eine laute Stimme und ein Bellen, das in ein Wimmern überging.

Plötzlich tauchte ein Mann auf, der die Arme voll mit Brennholz hatte. Er war nicht mehr als fünfzehn Schritte entfernt, und Ulv konnte nichts anderes tun, als stillzusitzen und zu hoffen, dass er nicht entdeckt wurde. Der Mann drehte sich um und kam geradewegs auf Ulv zu. Ulv nahm die Axt in die Hand und kauerte sich hin. Eine Konfrontation würde katastrophale Folgen haben. Selbst wenn es ihm gelänge, den Mann zu überwältigen, würden die anderen herbeistürmen, und alles wäre vorbei. Noch ein paar Schritte, und der Mann würde ihn definitiv sehen.

Dann blieb der Mann stehen und bückte sich vor einem Büschel. Er hob einen Stock auf und legte ihn oben auf den Arm voller Holzscheite. Er drehte sich um und ging zurück zum Lager. Ulv stieß einen Atemzug aus, von dem er nicht wusste, dass er ihn angehalten hatte. Sein Herz schlug wie wild. Er musste sich bereitmachen.

Ulv drehte sich um und schlich sich davon. Als er sicher war, dass die Männer ihn weder sehen noch hören konnten, ging er ein Stück weiter. Er fand einen Busch mit zwei geraden Ästen. Diese würden sich als Pfeilschäfte eignen. In der Nähe fand er zwei weitere. Diese waren nicht so gerade, aber er nahm sich nicht die Zeit, weiter zu suchen. Das Schwindelgefühl plagte ihn immer noch, und er wurde schon bei der kleinsten Anstrengung müde. Ohne Kleidung, Essen und Ruhe würde es nur noch schlimmer werden. Er musste es heute tun.

Nach seinem Plan brauchte er nur einen guten Pfeil. Die anderen drei waren kaum zu gebrauchen. Hätte er mehr Zeit gehabt, hätte er die krummen Schäfte begradigen können. Aber dann hätte er sie über einem Feuer erhitzen müssen. Dafür hatte er keine Zeit. Von einem Baum in der Nähe schabte er vorsichtig die Rinde auf einer Seite des Stammes ab und ritzte eine fischgrätenförmige Narbe in den Stamm, um das Harz ablaufen zu lassen. Er entfernte die Rinde an den Schäften und richtete, was er konnte, mit der Axt gerade. Er spitzte ein Ende an, damit die Pfeilspitzen eingepasst werden konnten. Es war nicht einfach, wenn er nur die Axt zur Hand hatte, aber zum Glück war sie scharf. Ulv bedankte sich bei dem Mann, dem die Axt einst gehört hatte, dafür, dass er sich so gut um das Werkzeug gekümmert hatte. Es konnte ihm sehr wohl das Leben retten.

Dann machte er eine Kerbe in das andere Ende der Pfeile, damit die Sehne hineinpasste. Das dauerte seine Zeit, und er musste einen Pfeil ein paar Mal schneiden, weil die Kerbe zu tief wurde. Schweißtropfen rannen ihm über die Stirn, als alle vier Schäfte am Ende eingekerbt waren. Er begann, die lose Unterrinde zu feinen Fäden zu verdrehen, mit denen er die Federn zusammenbinden und so dafür sorgen würde, dass die Pfeile nicht an der Kerbe aufsprangen. Das Formen der Federn mit nichts als einer Axt war eine mühsame und frustrierende Arbeit, aber schließlich hatte er ein Dutzend gekrümmte Führungsfedern. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn sie länger gewesen wären, aber er musste sich mit dem zufrieden geben, was er bekam. Der beste Pfeil wurde mit dem längsten Federsatz ausgestattet.

Eine längere Befiederung stabilisiert den Pfeil in der Luft besser, aber er verliert auch schneller an Geschwindigkeit.

Er konnte immer noch Vaters Stimme hören, die ihm die vielen Details des Handwerks erklärte. Auf kurze Distanz war eine lange Befiederung nicht von Nachteil.

Er befestigte die Federn an den Schäften mit dem Harz, das aus der Wunde im Baum lief. Dann zog er die gedrehten Fäden durch das Harz und band sie um den Pfeilschaft. Schließlich band er einige Fäden um den Schaft, wo die Kerbe aufhörte. Die Pfeile waren kein schöner Anblick, aber sie würden ihren Zweck erfüllen. Sie mussten genügen. Mit dem Besten war er sehr zufrieden. Er würde seine Aufgabe gut erfüllen. Ulv hoffte, dass er nicht sein Leben darauf verwetten musste, dass die anderen Pfeile genauso gut funktionieren würden.

Die Sonne stand tief am Himmel, als Ulv zurück zum Lager schlich. Einen Moment lang fragte er sich, was die Leute denken würden, wenn sie ihn sahen. Er musste ein seltsamer Anblick sein. Ohne Schuhe und bis zu den Hüften nackt und nur mit blutverschmierter Unterwäsche bekleidet. Sein Oberkörper war mit Moos und großen Blättern bedeckt, die von dünnen Seilfasern gehalten wurden, die quer über seinen Körper gespannt waren. Sein Gesicht, das blass sein musste, war mit Schlamm verschmiert. Sein Haar war nass und klebte an seinem Kopf. Schweiß rann ihm über die Wangen. In der einen Hand trug er einen Kurzbogen, in der anderen hielt er vier Pfeile. Eine Axt war in ein Stück Seil eingehakt, das als Gürtel diente. Er sah aus wie ein Wahnsinniger. Er fühlte sich wie ein Verrückter.

Das flackernde Licht des Feuers machte es leicht, das Lager zu finden. Selbst in der Ferne hörte er eine Stimme, bei der sich seine Nackenhaare sträubten. Braunzahn. Es war schwer zu atmen. Sein Körper war schwer, und es kostete ihn all seine Konzentration, sich unauffällig durch den Wald zu bewegen. Hinter einem großen Baum blieb er stehen. Von dort aus konnte er die Stimmen der Männer hören, die um ein Feuer saßen. Es waren vier von ihnen. Ulv suchte nach dem fünften Mann, während er gleichzeitig hoffte, dass er nicht noch mehr im Lager vorfinden würde. Hinter den Vieren erblickte er einen felsigen Hügel oder einige große Steine. Es gab auch einen dunkleren Bereich. Vielleicht ein Höhleneingang? Rechts vom Lagerfeuer stand ein alter Karren, links davon ein Zelt. Ulv stahl sich ein paar Schritte näher heran. Er musste es zu Ende bringen. Ihm ging langsam die Kraft aus.

 

Kapitel 2: Beute

 

Die Sonne ging gerade unter, als Vass durch das Tor im befestigten östlichen Teil von Dyflin schritt. Torgils hatte die Krieger versammelt, um die spärliche Beute nach dem Überfall zu verteilen. Die Iren neigten dazu, ihre Wertsachen in den Klöstern zu verstecken, während es dort, wo die Menschen lebten, nur wenig von Wert gab. Dyflin wurde aus strategischen Gründen eingenommen. Manche würden sagen, dass die Beute ebenso bedauerlich war wie die Ehre der Einnahme des Dorfes. Die eigentlichen Kämpfe waren gering. Abgesehen von dem Problem mit denjenigen, die sich in den Palisaden verschanzt hatten, war die Schlacht überschaubar gewesen. Vass und Ulv hatten das Problem gelöst, indem sie mit einem Messer an der Kehle des irischen Anführers eine Vereinbarung aushandelten. Vass hatte nicht erwartet, dafür belohnt zu werden. Torgils war nicht damit zufrieden, dass Vass und Ulv in seinem Namen verhandelt hatten.

Trotz der mageren Beute waren die Krieger in guter Stimmung. Die Anspannung und die Angst vor der Schlacht ließen nach, und sie spürten die wahre Freude, am Leben zu sein. Trotz der festlichen Stimmung in der Gruppe hielt sich Vass im Hintergrund. Viele der versammelten Männer kannte er nicht. Nachdem sie mit Ulv den alten Mann von Hoy erklommen hatten, wurden sie von Ragnar und seiner Dänenbande aufgegriffen. Deshalb hatten Vass und Ulv an dem Angriff auf Dyflin teilgenommen, während Geir Galne und die anderen Berserker den Fluss Boyne hinauf zum Kloster in Kells ruderten.

Auf jeden Fall musste man sich zuerst anstellen. Es dauerte lange, bis er an der Reihe war, aus dem Stapel der Wertsachen zu wählen. Torgils und die ihm anvertraute Leibgarde standen lachend zusammen und stießen mit Trinkhörnern und Silberbechern an und drehten allen anderen den Rücken zu. Als Veteranen unzähliger Schlachten waren sie alle mit Ringen und Schmuck geschmückt. Einigen von ihnen waren die Bäuche schwammig geworden, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie mehr Zeit damit verbracht hatten, ihre vergangenen Siege zu feiern, als sich auf den nächsten vorzubereiten. Einer von ihnen drehte sich um und begegnete seinem Blick. Vass wischte sich die Grimasse mit der Hand weg und richtete seinen Blick auf einen Mann, der am Rande der Gruppe stand – ein großer, schlanker Mann mit breiten Schultern. Olaf, Torgils' rechte Hand.

Olaf trat vor und verkündete, dass Torgils zuerst wählen würde, gefolgt von Ragnar. Dann zählte er mehrere Namen auf, die Vass nicht kannte. Die Männer um ihn herum warfen sich gegenseitig Seitenblicke zu und runzelten die Stirn. Es war nicht ungewöhnlich, dass sich Männer in solchen Zusammenhängen übergangen fühlten. Es wurde jedoch nichts laut gesagt, und bald darauf trat Torgils vor. Der massige Krieger hatte das Kettenhemd abgelegt, das er während des Angriffs am Vortag getragen hatte, und trug nun ein Waffenhemd und eine grüne Wollhose. In seinem Gürtel trug er ein Langmesser, das über seinem Bauch hing, aber kein Schwert. Wie viele seiner Männer trug auch er hohe Lederstiefel statt der üblichen Halbschuhe. Er ging geradewegs dorthin, wo einige Waffen an der Wand eines Gebäudes aufgereiht waren. Er nahm ein Schwert in die Hand und hielt es hoch. „Ich wähle dieses Schwert, eine Ulfberht-Klinge aus Sachsen. Das schärfste und stärkste Schwert, das ich je gesehen habe.“

Das Licht wurde von der Klinge reflektiert. Die Männer um Vass herum murmelten. Vass ging näher heran. Da er sich mehr als nur ein wenig für Waffen interessierte, wollte er sich das Schwert genauer ansehen. Noch bevor er den vorderen Teil der Menge erreichte, hatte sich Torgils wieder seiner Schar der Leibgarde angeschlossen. Vass änderte die Richtung und ging zu den übrigen Waffen, die an der Wand aufgereiht waren. Es gab nichts von anständiger Qualität. Hätte er dort die Mistgabel gefunden, die nur zwei Zacken hatte, hätte er sie genommen, als er an der Reihe war. Aber ein zerbrochenes Ackergerät war eines Platzes unter der Beute nicht würdig gewesen.

Einer nach dem anderen wurden namentlich genannte Krieger herausgerufen. Nach Ragnar bedienten sich auch viele von Torgils' eigenen Männern an ihrem Anteil an der Beute, und bald blieb nur noch wenig Wertvolles übrig. Nach einer Weile ergriff Olaf das Wort und ließ den Rest der Krieger nach vorne kommen. Der Pöbel. Vass machte sich nicht die Mühe, sich an die Spitze der Menge zu stellen. Er wollte gerade weggehen, als er einen Wetzstein bemerkte. Sein eigener war verschwunden, nachdem sie Sanday verlassen hatten, und er brauchte einen neuen.

„Das ist ein Eidsborger Wetzstein“, sagte ein graubärtiger Krieger, als Vass den Stein aufhob und untersuchte. „Das ist der beste Wetzstein, den man bekommen kann. Hätte ich ihn gesehen, hätte ich ihn selbst mitgenommen. Ich glaube, das ist der größte Schatz hier, außer dem Schwert.“

Das sagte mehr über die Beute als über den Wetzstein aus. Trotzdem lächelte Vass den Mann an und dankte ihm. Er zog sich aus der Menge zurück, spuckte auf den hellgrauen Stein und prüfte ihn an der Schneide seiner Axt. Nach ein paar Schlägen auf jeder Seite verstand er, wovon der alte Mann sprach. Der feinkörnige Stein ließ sich nicht schnell bearbeiten, aber die Schneide wurde definitiv schärfer. Er fand einen ruhigen Platz vor den Toren und setzte sich hin.

Vass hatte das Schärfen der Axt beendet und arbeitete gerade an seinem Schwert, als er ein Kind schreien hörte. Als er aufblickte, sah er, wie einer von Torgils' Kriegern eine Frau von einem verängstigten Jungen von vier oder fünf Wintern wegzog. Vass hatte ihn schon einmal gesehen. Ein Mann mit braunem Haar mit einem Pferdeschwanz und einem mit Silberringen geschmückten Bart zeigte eine graue Zahnreihe, als er den Jungen anknurrte.

Vass erhob sich und ließ sein Schwert und den Schleifstein los. „Lass sie gehen“, sagte er leise. Der Krieger blieb stehen und blickte in die Luft, bevor er sich dem lästigen Dänen zuwandte. Er zog die Frau näher heran und packte sie fest um die Taille.

„Was hast du gesagt?“ Der Mann hatte einen ungläubigen Gesichtsausdruck.

„Ich sagte, du sollst sie gehen lassen.“

„Mische dich nicht in die Angelegenheiten von Erwachsenen ein, Junge! Lauf weg, bevor ich dir eine Tracht Prügel verpasse, die du nicht so schnell vergessen wirst!“

„Oh, ich entschuldige mich, ich dachte, du kämpfst nur gegen Frauen und Kinder“, antwortete Vass mit einer Stimme, die er nicht ganz ruhig halten konnte.

„Du Mistkerl! Ich gebe dir noch eine letzte Chance … Verschwinde, bevor ich dich wie einen trockenen Zweig zerbreche!“

Eine Handvoll neugieriger Nordmänner versammelte sich um sie, angezogen von der Erwartung eines Kampfes.

„Komm schon, Gamling! Zeig mir, dass du es mit jemandem in deiner Größe aufnehmen kannst!“ Vass wollte, dass der Angreifer die Frau losließ und den ersten Schritt machte.

Die Augen des Kriegers weiteten sich. Er stieß die Frau weg und wandte sich mit geballten Fäusten gegen Vass. Dieser hoffte auf einen schnellen und unkontrollierten Angriff, aber sein Gegner tappte nicht in diese Falle. Vass wartete ab, als der erfahrene Kämpfer mit einem hinterhältigen Lächeln auf seinem Gesicht näherkam.

Fünf Schritte von Vass entfernt sprang er mit fliegenden Fäusten nach vorne. Ein schneller Schlag, gefolgt von einem rechten Haken, zwangen Vass, sich zu ducken und zwei Schritte zurückzuweichen. Aber der Krieger setzte mit einem weiteren Schlag nach. Diesmal setzte er sein ganzes Gewicht ein, und Vass war zu nah dran, um auszuweichen. Der Däne machte einen Schritt nach rechts, fing die Faust des Mannes mit der linken Hand ab und packte ihn mit der rechten an der Schulter. Der Krieger verlor das Gleichgewicht, und Vass zwang ihn in den Schlamm, indem er seinen Daumen in die weiche Stelle zwischen Daumen und Zeigefinger seines Gegners drückte und die Zeige- und Mittelfinger der anderen Hand zwischen Schulter und Brustmuskel presste.

„Lass die Frau und ihren Jungen in Ruhe“, zischte Vass, während er sich über seinen Gegner beugte.

„Mmmffffff!“ war die einzige Antwort.

„Ich kann dich nicht hören!“ Vass drückte fester zu und zwang seinem Opfer einen Strom unverständlicher Flüche und Grunzlaute ab.

„Du wirst dich von ihr fernhalten!“ sagte Vass und lockerte seinen Griff.

„Ja“, murmelte der Mann.

Unbeeindruckt verstärkte Vass den Griff wieder.

„Ja, ich werde wegbleiben! Lasst mich einfach gehen!“, schrie der im Dreck liegende Krieger.

Vass legte den Streit bei und ließ seinen Gegner im Schlamm stecken.

Die Gruppe der Schaulustigen trennte sich, als Vass zwischen ihnen hindurchging und geradeaus starrte. Er nahm sein Schwert und seinen Wetzstein und machte sich auf den Weg aus der Stadt. Vass musste seinen Kopf frei bekommen.

Außerhalb der Stadt saß Vass mit geschlossenen Augen und konzentrierte sich auf seinen Atem, bis sich sein Herzschlag verlangsamte und seine Hände aufhörten zu zittern.

Die Wikinger würden mit den Frauen machen, was sie wollten, und Vass konnte wenig dagegen tun. Das war aber nicht der Auslöser für diese Reaktion. Er hatte die Beherrschung verloren, und es war nur Glück, dass er den Krieger nicht geköpft hatte. Es war nicht einmal eine bewusste Entscheidung gewesen, seine Waffen zurückzulassen, als er ihm gegenüberstand. Vass stand auf und schüttelte den Kopf, um die letzten Reste der Emotionen, die in ihm aufgeflammt waren, loszuwerden. Es gelang ihm nicht ganz. Da war etwas mit dem Jungen und seiner Mutter.

 

Kapitel 3: Wein und Honig

 

Marcus wachte durch das Geräusch von Regen auf. Mit geschlossenen Augen lag er still und lauschte, versuchte, seinen Körper und sein Gehirn zu zwingen, zu gehorchen.

Er war Marcus, der Sohn von Gaius, dem Kaufmann aus Wucestre in Northumbria. Oder war er das? Gaius war tot, getötet von einem schmächtigen Wikingerjungen. Marcus war niemandes Sohn mehr. Er war allein. Wo war er? Er öffnete die Augen und schaute auf die Holzbretter. Bretter, dicht an dicht. Ein Dach. Links stießen die Bretter auf eine Wand aus Stein und Mörtel. Sein Blick folgte der Wand und fand eine Öffnung, durch die Licht einfiel. Ein Fenster mit Glas.

Wer kann sich Glasfenster leisten?

Ein undefinierbares Geräusch zu seiner Rechten ließ ihn sich umdrehen. Auf einem Tisch, eine Armlänge von seinem Bett entfernt, lag ein Mann, dem Lederriemen an die Hand- und Fußgelenke gebunden waren. Ein weiteres Band war über seine Stirn und ein breiteres über seinen Bauch gespannt. Abgesehen von einem Lendenschurz war der Mann nackt.

Marcus schaute an seinem Körper hinunter und stellte fest, dass er seine Hose behalten durfte. Ein grauer Wollmantel lag neben dem Bett. Er zog sich den Mantel über den Kopf und stand auf, um den Mann zu betrachten. Sein unglücklicher Gast hatte dunkles Haar und einen Bart, beide kurz geschnitten – ungleichmäßig. Ein blutiger Verband bedeckte seine breiten Schultern und seine Brust. Er atmete schwer, und seine Haut glänzte vor Schweiß.

Der Verwundete war Bjarn, der Wikinger, der auf der schicksalhaften Reise auf dem Schwarzwasser an Marcus' Seite gesessen hatte. Marcus war froh und überrascht, den Nordmann zu sehen, aber er bezweifelte, dass Bjarn überleben würde, wenn er keine Hilfe bekam.

Marcus schaute sich in dem kleinen Raum um. Das Bett, auf dem er gelegen hatte, stand an der Wand neben dem Fenster. Durch das nasse Glas konnte er eine grüne Wiese und dahinter einen Wald erkennen. Ihr Zimmer befand sich drei bis vier Mannslängen über dem Boden.

Er ging durch den Raum und versuchte, die Tür zu öffnen. Etwas an der Außenseite machte es unmöglich, sie aufzustoßen. Nachdem er ein paar Mal geklopft hatte, ohne eine Antwort zu erhalten, setzte er sich auf das Bett und versuchte, sich an die Ereignisse des Vortages zu erinnern.

Seine Schultern und Arme begannen zu schmerzen, als er merkte, dass er von morgens bis zum späten Abend gerudert war. Die Erinnerungen an den Angriff auf das Schiff kamen ihm in den Sinn, ebenso wie seine Flucht durch den Wald. Er hatte Kjetil Korte ins Gesicht getreten und hatte Sigurd Jarl geholfen, sich lange genug auf den Beinen zu halten, um zwei Iren zu töten, bis ein schwerer Speer sein Leben beendete. Marcus erinnerte sich, dass er kniete und zu einem alten Mann aufblickte, der zu ihm sprach. In Begleitung von einem Dutzend Iren war er bei starkem Regen durch die Nacht gewandert. Schließlich passierten sie die Tore dessen, was ihr Ziel gewesen war: die Abtei von Kells.

Er sah sich noch einmal im Raum um und versuchte festzustellen, ob er ein Gefangener oder ein Gast war. Er war nicht gefesselt und hatte keine Wache, zumindest nicht innerhalb des Raumes. Aber die Tür war vergittert, und er konnte nirgendwo hingehen. Bjarn war nicht mit der Gruppe durch den Wald gegangen und hätte den Weg nicht allein bewältigen können. Jemand musste ihn später getragen haben. Vielleicht hatten ihn die Nordmänner dort abgeliefert, um Hilfe zu holen? Oder hatten ihn die Iren gefunden und ihn am Leben gelassen?

Auf jeden Fall muss etwas gegen Bjarns Wunde und sein Fieber unternommen werden. In einem Kloster musste es doch Mönche geben, die sich mit solchen Dingen auskannten. Entschlossen, Hilfe zu holen, kehrte er zur Tür zurück. Er erwog, Hilfe zu rufen, dachte aber, dass es Bjarn verunsichern würde, wenn er zu erkennen gäbe, dass er die Situation nicht unter Kontrolle hatte. Falls der Nordmann überhaupt in der Lage war, es zu bemerken.

Er überlegte, was er noch rufen könnte, und lehnte Feuer, Essen und michrauslassen ab, bevor er sich für Wasser entschied. Unter den gegebenen Umständen war das eine natürliche Forderung. Wenn er Glück hatte, würde es jemand so interpretieren, dass ein echtes Feuer gelöscht werden musste. Zufrieden damit, dass seine Sprachkenntnisse wieder einmal nützlich sein würden, beschloss er, lateinische Worte zu verwenden, die Priester und Mönche oft verstanden.

'Aqua! Aqua!“, rief er, woraufhin er dreimal fest an die Tür klopfte. Er wich ein paar Schritte zurück und wartete. Augenblicke später hörte er draußen Schritte auf dem Steinboden. Ein Riegel wurde beiseitegeschoben, und ein Mann mittleren Alters in einer braunen Kutte öffnete die Tür. Der Mönch hatte eine hohe Stirn, und sein Kopf war von Ohr zu Ohr keilförmig rasiert, so dass der Hinterkopf unbehaart war.

Aqua“, wiederholte Marcus. Der Mönch nickte und schloss die Tür wieder. Nach einer Weile kam er mit zwei Krügen Wasser zurück. „Gratias“, sagte Markus. Der Mönch hob eine Augenbraue und erwiderte: „Gratias tibi ago“, wobei er die letzten beiden Worte betonte. Markus nickte und nahm die Lektion an.

Als der Mönch sich zum Gehen wandte, legte Marcus ihm die Hand auf die Schulter, um ihn aufzuhalten. Der Mönch blieb stehen, sah auf seine Hand hinunter und wischte sie weg, als würde er eine Fliege verjagen. „Ignosce“, sagte Markus, als er sich an das lateinische Wort für Entschuldigung erinnerte.

„Mihi. Ignosce mihi“, murmelte der Mönch.

Marcus nickte erneut. „Mihi“, wiederholte er. Er zeigte auf Bjarn, der verwundet und fiebrig auf dem Tisch lag, bevor er mit den Schultern zuckte und seine leeren Handflächen zeigte. Der Mönch antwortete, indem er auf Marcus' Brust deutete.

Marcus schüttelte den Kopf und sagte in seiner Muttersprache: „Ich weiß nichts über die Behandlung von Wunden“. Der Mönch streckte seinen Arm weiter aus, bis er mit seinem Zeigefinger auf Marcus' Brust stieß. Dann zeigte er nach oben, sagte „cum gratia dei“ und machte das Kreuzzeichen, bevor er zur Tür hinausging.

Marcus wurde die Verantwortung für die Behandlung von Bjarn selbst übertragen. Natürlich nur durch Gottes Gnade. Die Mönche glaubten, dass der Nordmann überleben würde, wenn Gott es so wollte. Andernfalls würde er sterben, ganz gleich, wie Marcus seine Wunden und sein Fieber behandelte. Offenbar waren die Worte von Matthäus, man solle seinen Gott nicht in Versuchung führen, unter den Iren nicht sehr bekannt, aber Marcus verstand, warum sie sich nicht anstrengen wollten, um marodierende Heiden am Leben zu erhalten.

An der Wand zwischen dem Fenster und der Tür hing ein langes, schmales Regal, auf dem mehrere Gegenstände standen: eine silberglänzende Wasserschale, ein kurzes Messer mit einem Schaft aus Knochen und sechs kleine Gläser, an deren Deckel jeweils ein Stück Stoff befestigt war. Zwei brennende Kerzen standen nebeneinander. Neben der Tür lag ein Stapel gewaschener und gefalteter Leinentücher.

Marcus nahm das Tuch von den Gläsern und untersuchte ihren Inhalt. Der verführerische Geruch von Honig aus dem ersten Glas erinnerte ihn daran, dass er schon lange nichts mehr gegessen hatte. Die letzte Mahlzeit, an die er sich erinnerte, war am vorherigen Nachmittag an Bord des Schiffes gewesen. Sie waren am Abend angegriffen worden, und er war fast die ganze Nacht unterwegs gewesen. Danach hatte er lange Zeit geschlafen. Er hoffte, dass in den anderen Krügen auch etwas Gutes war, und am besten irgendwo ein Brot.

Die nächsten beiden Gläser enthielten irgendeine Art von Kräuterumschlag. Einer war hellgrün, der andere gelb. Marcus erkannte den Geruch nicht, und sie passten zu dem Essen, das er sich vorzustellen begann. Im vierten Gefäß befand sich eine Flüssigkeit, die nach saurem Wein roch. Marcus kostete sie. Das Getränk war stark und schmeckte furchtbar.

Marcus war bereits über die irischen Essgewohnheiten verärgert, als er das fünfte Glas öffnete. Es war halb voll mit Larven. Weiße, nackte Larven, so lang wie seine Fingernägel. Er verschloss das Tuch wieder, um zu verhindern, dass die Larven herauskrabbelten. Das sechste Gefäß enthielt eine dicke Flüssigkeit, die einen klebrigen Belag bildete. Marcus vermutete, dass es sich um Tierfett handeln musste. Kräuter, Honig, starker Wein, tierische Fette und Larven. Das war keine Mahlzeit, sondern ein Heilmittel für Wunden.

Marcus bedauerte, dass er nicht gelernt hatte, wie man eine Wunde behandelt. Es gab verschiedene Ansätze, aber er wusste nicht, wie man den einen dem anderen vorzieht. Seine Mutter glaubte an das Ausspülen mit sauberem Wasser. Das schien vernünftig zu sein, aber sie erklärte ihm nie den Zweck. Einige der älteren Frauen bedeckten Wunden mit Schmalz, um die bösen Geister davon abzuhalten, durch die verletzte Haut in den Körper einzudringen. Natürlich sprach niemand über solche Praktiken, wenn ein Priester in der Nähe war. Es hieß, einige Kräuter verhinderten, dass Wunden eiterten, andere halfen gegen das Fieber. Aber Marcus wusste nicht, welches Kraut wogegen wirkte.

Honig beschleunigte die Wundheilung, war aber nicht hilfreich bei Fieber oder großen Eitermengen. Dung war unter solchen Umständen angeblich besser. Die Wunden konnten auch mit starkem Wein gereinigt werden. Mutter sagte einmal, dass zu viel Wein die Verletzung verschlimmerte. Die gängigste Anwendung von Wein war, so lange zu trinken, bis man den Schmerz nicht mehr spürte, aber Marcus erlaubte Bjarn nicht, den sauren Wein im Krug zu trinken. Er konnte sich den Zweck der Larven nicht erklären. Schließlich beschloss Marcus, mit dem zu beginnen, was er wusste. Oder zumindest mit dem, was er zu wissen glaubte.

Auf einem Tisch neben Bjarn standen ein Waschbecken und die Wasserkrüge, die der Mönch getragen hatte. Marcus goss Wasser in die Schüssel, als er einen gelben Klumpen auf dem Tisch liegen sah. Er hob ihn auf, befühlte ihn mit seinen Fingern und roch daran. Ein schwacher Duft von Lavendel. Es musste Seife sein. Die Nordmänner benutzten beim Waschen auch Seife. Das hatten die Mönche und die Heiden also gemeinsam. Marcus wusch sich Gesicht und Hände. Kleine Blutgerinnsel lösten sich auf und färbten das Wasser rosa. War er verletzt? Er tastete mit seinen Fingern, konnte aber keine Wunden finden. Vielleicht war es nicht sein Blut? Der Gedanke ließ ihn noch fester schrubben.

Als er mit der Reinigung fertig war, untersuchte er Bjarn und fand keine anderen Verletzungen als die, die sich unter dem braunen Verband befand. Er verstand nicht, warum der Nordmann gefesselt war, da er offensichtlich nicht fliehen oder jemanden verletzen konnte. Andererseits könnte er sich selbst verletzen, wenn er seinen Verband abreißen oder vom Tisch fallen würde. Marcus beschloss, dass es gut war, dass Bjarn ruhig lag, und machte keinen Versuch, die Fesseln zu lösen.

Er kümmerte sich um die Reinigung der Wunde. Mit dem Messer zerschnitt er den Verband, der Bjarns Brust bedeckte. Dann zog er das Tuch über die Wunde, bis er den Widerstand des Leinens spürte, das an getrocknetem Blut und Eiter festklebte. Er zog mit einer gleichmäßigen Bewegung weiter.

Bjarn wachte auf und schrie vor Schmerz auf. Sein Kopf drückte gegen den Verband über seiner Stirn, und die Muskeln in seinen Armen spannten sich gegen die Riemen, die unter dem Tisch befestigt waren. Er starrte Marcus an, der ruhig damit fortfuhr, den Verband zu lösen.

Marcus konnte nicht verstehen, was der Krieger sagte, aber er erkannte einige Worte, die er in anderen Zusammenhängen gehört hatte. Er ließ das befleckte Stück Stoff auf den Boden fallen und lächelte.

„Guten Morgen, Bjarn!“

Bjarns Gesichtsausdruck änderte sich mehrmals in kurzer Zeit, da die Reaktionen von Schmerz über Überraschung bis hin zu Erkennen reichten. Als er versuchte, aufzustehen, wurden seine Bewegungen erneut durch die Gurte verhindert. Mit einer frustrierten Grimasse blickte er nach oben auf seine Stirn.

Marcus war der Meinung, dass Bjarns Kopf keinen Schaden anrichten konnte, solange sein Körper gefesselt war. Er beugte sich vor, um das Lederband zu lockern, hielt aber inne und hob seine Handfläche als Zeichen, dass Bjarn warten sollte. Er nahm die silberne Schale aus dem Regal und begann, Wasser in einem gleichmäßigen, dünnen Strahl auf die Wunde zu gießen.

Bjarn zuckte vor Schmerz zurück. Mit zusammengebissenen Zähnen warf er den Kopf zurück. Seine Unterarme zitterten, aber er hielt den Atem an und sagte nichts. Marcus blieb stehen und sah sich das Ergebnis an. Blut und Wasser liefen an beiden Seiten des Tisches herunter, aber um die Wunde herum war immer noch zu viel geronnenes Blut, als dass er es richtig hätte sehen können. Er stellte die Silberschale zurück und holte den Wein und ein Tuch. Nachdem er das Tuch mit Wein getränkt hatte, wusch er die Gerinnsel um die Wunde herum ab. Etwas Wein fand seinen Weg in die Wunde, und diesmal konnte Bjarn nicht anders, als zu schreien. Marcus fuhr fort, die Wunde zu reinigen, während der Nordmann wortlos schrie.

Nach einer Weile war Marcus zufrieden und konnte die Wunde deutlich sehen. Sie lag direkt unter dem dünnen Knochen, der zwischen Brust und Schulter sitzt. Sein Vater hatte ihn Clavicula genannt, weil er im Lateinischen so hieß. Marcus und Julia hatten darum gewetteifert, wer die lateinischen Namen der meisten Knochen kannte, aber Marcus konnte nicht erkennen, wie ihm das jetzt helfen sollte. Es wäre besser gewesen, sie hätten gelernt, wie man Wunden behandelt.

Die Wunde war breit, aber nicht tiefer als die Länge eines Fingers, als ob sie von einem Pfeil mit breiter Spitze verursacht worden wäre. Marcus erinnerte sich an die Pfeilspitzen, die Ulv auf den Orkney-Inseln erbeutet hatte. Sie waren lang und schmal, um dicke Haut oder Rüstungen zu durchdringen. Die breiten Pfeilspitzen der Iren würden Tieren oder Menschen mit wenig Schutz mehr Schaden zufügen. Bjarns dickes Waffenhemd hatte verhindert, dass der Pfeil tief in seine Brust eindrang. Das hatte ihn wahrscheinlich gerettet, zumindest für eine Weile.

Nachdem er die Wunde mehrmals mit Wasser abgespült hatte, untersuchte Marcus sie genauer. Die Haut um die Wunde herum war rot, und in der Tiefe könnte sich noch mehr Eiter befinden. Marcus überlegte, ob er die Ränder zur Seite ziehen sollte, um die Wunde besser reinigen zu können, befürchtete aber, dass sie dadurch langsamer heilen würde. Er sammelte die blutverschmierten Lappen und die gebrauchten Verbände ein und legte sie vor die Tür. Dann wusch er sich erneut die Hände und ging zum Fenster, um nachzudenken.

Marcus hatte immer noch keine Ahnung, wie er die Kräuter oder den Honig verwenden sollte, und schon gar nicht die Larven. Er konnte nicht mit einer Behandlung experimentieren, von der er nichts wusste, wenn ein Fehler Bjarn töten könnte. Alles, was er wusste, war das, was seine Mutter ihm beigebracht hatte. Wunden müssen sauber gehalten werden, und er konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass sich noch Eiter in der Wunde befinden könnte.

Er kehrte an den Tisch zurück. Bjarn war eingeschlafen. Aus der Wunde blutete es etwas, und ein dünner Streifen Blut lief an der linken Seite seiner Brust hinunter. Marcus goss etwas Wasser aus der Silberschale in den Weinkrug und verdünnte den Wein. Dann zog er die Ränder der Wunde zur Seite und leerte die Flüssigkeit in die Wunde. Bjarn wachte erneut auf und brüllte vor Schmerz. Diesmal nahm Marcus einige grobe Worte wahr, die wahrscheinlich als unvorteilhafte Beschreibungen seiner selbst gedacht waren. So sei es. Er goss Wein auf ein sauberes Tuch, hängte es über seinen kleinen Finger und drückte es in die Wunde, um den Eiter, der sich dort angesammelt hatte, auszuschaben. Bjarn warf sich im Rahmen seiner begrenzten Bewegungsfreiheit hin und her. In dem Wortschwall, der ihm entgegengeschrien wurde, vernahm Marcus das Versprechen eines schmerzhaften Todes. Marcus spülte die Wunde noch einmal aus. Der Nordmann beruhigte sich, während Tränen auf den Tisch tropften.

Zufrieden mit der Reinigung der Wunde beschloss Marcus, sie mit einer Schicht Honig zu bedecken. Er hatte den nagenden Verdacht, dass der Grund für seine Vorliebe für Honig darin lag, dass er hungrig war. Er faltete ein Stück Stoff, bis es so breit wie seine Handfläche war, und legte es auf die Wunde. Da er kein geeignetes Kleidungsstück fand, das er um die Brust wickeln konnte, um es zu befestigen, schmierte er Tierfett auf den Rand des Tuches, damit es an der Haut klebte. Nachdem er die Reste von Blut und Tierfett von seinen Händen gewaschen hatte, legte er sich auf sein Bett. Bjarn war wach, zeigte aber kein Interesse daran, mit seinem Peiniger zu sprechen.

 

Kapitel 4: Rache

 

Braunzahn saß links vom Lagerfeuer. Ulv pirschte sich in einem Bogen nach rechts, so dass er nur noch dreißig Schritte von seiner Beute entfernt war. Die Männer sprachen, aber Ulv konnte kein Wort verstehen. Er kauerte sich hinter einen Busch und wartete. Braunzahn fuchtelte mit den Armen und zeigte seine verfaulten Zähne, denn offenbar erzählte er eine Geschichte, die er sehr unterhaltsam fand. Die Erinnerungen sprudelten in Ulv hoch. Er pirschte sich vor, einen Pfeil auf der Sehne und die anderen drei in der Hand, die den Bogen hielt. Er zielte auf die Mitte von Braunzahns Brust und schritt langsam voran. Der Bogen knarrte, als er die Sehne zog. Ein angenehmes Geräusch. Die Wut gab ihm zusätzliche Kraft, und Ulv zog die Sehne einen weiteren Zentimeter zurück. Der gute Pfeil. Er würde den bösartigen Mann mit den hässlichen Zähnen treffen, und er würde ihn hart treffen. Ulv erreichte den Karren. Bald würde er in den Kreis des flackernden Lichts eintreten. Es gab keinen Weg zurück. Seine Kraft musste reichen.

Braunzahns Augen fanden Ulv, als er weniger als zehn Schritte entfernt war. Sein Mund klaffte auf und seine Augen weiteten sich. Die Hände, die gestikulierten, um die Geschichte zum Leben zu erwecken, fielen neben ihm zu Boden. Schweiß tropfte ihm von der Stirn. Einen Moment, aber es war einer der klarsten in Ulvs Leben. Der Moment, in dem er Rache nahm. Braunzahns Gesicht veränderte sich. Das war das Stichwort, auf das Ulv gewartet hatte. Er musste sicherstellen, dass der Schurke wusste, wer vor ihm stand. Braunzahn würde wissen, wer ihn getötet hatte. Und er würde wissen, dass es ein fataler Fehler war, Ulv an einen Baum zu binden.

Ulv atmete aus und ließ seinen Pfeil fliegen. Das Geschoss bohrte sich in Braunzahns Magen, knapp unterhalb der Brust. Etwas tiefer als beabsichtigt, aber ein Treffer, der zu einem schmerzhaften Tod führen würde. Wenn auch nicht zu einem schnellen. Braunzahn stieß ein langes, leises Stöhnen aus.

Braunzahns Schergen setzten sich in Bewegung, aber Ulv war schneller. Der zweite Pfeil war eingelegt und zielte auf den nächstbesten der Räuber.

„Ich habe nicht den Wunsch, einen von euch zu töten. Braunzahn war ein übles Beispiel eines Mannes. Ich vermute, ihr seid nur Feiglinge, die ihm gefolgt sind, weil ihr euch nicht getraut habt, etwas anderes zu tun. Ihr dürft leben.“

Ulv merkte, dass er in einer Sprache sprach, die die Raufbolde wahrscheinlich nicht verstehen würden. Er musste es einfach halten. Er ließ sein Ziel zwischen den drei Männern hin und her wandern, während er sich nach seinen Habseligkeiten umsah.

Ein Gedanke traf ihn wie ein Blitz in den höchsten Baum: der fünfte Mann! Er hatte den letzten Mann vergessen. Ulv zwang sich, ruhig zu bleiben, während seine Augen nach dem unsichtbaren Feind suchten. Der Mann vor ihm verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Der Blick von einem der anderen flackerte. Ein leichtes Rascheln hinter ihm.

Ulv drehte sich um. Nicht einen Moment zu früh. Der fünfte Räuber kam mit erhobener Axt auf ihn zu. Ulv schwang den Bogen Richtung Mann herum und ließ den Pfeil los. Der Mann blieb stehen. Der Pfeil ragte aus seiner Brust und er machte einen unsicheren Schritt rückwärts, bevor er umfiel.

Ulv hatte den fünften Mann vergessen. Eine Erinnerung daran, dass er vorsichtig sein musste, und zwar schnell. Er drehte sich wieder um und legte Pfeil Nummer drei an. Einer der schlechten. Er hoffte, dass niemand einen genaueren Blick darauf werfen würde. Die drei Männer waren mit gezogenen Waffen nähergekommen. Aber nicht nahe genug.

„Weg!“, rief Ulv und zielte erneut mit dem Pfeil zwischen ihnen hin und her.

Die Männer sahen sich an. Ulv spannte die Bogensehne weiter und zielte auf den nächststehenden Mann. Mehrere Atemzüge lang standen sie still und starrten sich an. Dann trat der Mann einen Schritt zurück und ließ sein Messer auf den Boden fallen. Ulv richtete sein Ziel auf den nächsten Banditen.

Auch die beiden anderen Männer ließen ihre Waffen fallen. Mit einfachen Worten und dem Zeigen mit Pfeil und Bogen brachte Ulv einen von ihnen dazu, seine Ausrüstung einzusammeln und in einen Sack zu stecken. Ulv schaute sich die Fässer und Kisten an, die in dem unordentlichen Lager verstreut waren. Das Zelt war schmutzig, zerrissen und geflickt.

Der dunkle Bereich war keine Höhle, sondern ein Felsblock mit einer schrägen Wand, die als Dach über einem kleinen Raum diente. Darunter lag ein Hund, der wimmernd mit dem Kopf auf dem Boden lag. Traurige Augen blickten Ulv an. Er richtete seinen Pfeil auf den Mann, der seine Ausrüstung fertig gepackt hatte, und ließ ihn den Sack am Rande des Lagers abstellen. Am liebsten hätte Ulv auch die beiden gebrauchten Pfeile aufgehoben, aber seine Kräfte schwanden, und er wollte nicht riskieren, noch mehr Zeit in der Gesellschaft von drei Feinden zu verbringen. Mit dem Pfeil auf die Männer gerichtet, ging Ulv zurück in Richtung seiner Ausrüstung.

„Wenn ich einen von euch noch einmal sehe, seid ihr tot“, sagte Ulv und stellte den Sack neben seine Füße. Er nahm sich die Zeit, den drei Männern nacheinander in die Augen zu sehen, mit einem, wie er hoffte, drohenden Blick. Dann senkte er den Bogen, hielt ihn und die Pfeile in derselben Hand, warf sich den Sack über die Schulter und schlüpfte zwischen den Bäumen hindurch.

 

Kapitel 5: Ein violetter Tag

 

Es war ein violetter Tag für ihn. Geir Galne war nicht gut gelaunt. Er sollte sich nicht beklagen, die letzten Tage waren ganz gut gelaufen. Er hatte keine Krieger mehr verloren, seit Tryggr, oder 'Magnus Trygg', wie er sich jetzt nannte, vor vielen Sonnenaufgängen beweisen musste, dass er der Platzhirsch auf dem Schiff war. Es endete damit, dass Trygg zwei von Geirs Männern tötete. Die beiden Berserker hatten den Veteranen herausgefordert und verloren. Eine letzte, fatale Lektion.

Es war eine Erleichterung gewesen, Vass hier in Dyflin zu finden. Dieser Däne hatte etwas Besonderes an sich. Er war Odin näher als die meisten. Andererseits war Sigurd Jarl verschwunden. Wahrscheinlich saß er mit seinen Brüdern in Odins Halle, trank Met von Heidrun und aß das Fleisch des Schweins Særimne.

Geir saß auf einer Bank vor dem kleinen, runden Haus, das er im Dorf am schwarzen Teich, in der Sprache der Eingeborenen dubh linn genannt, sein Eigen nannte. Er schlüpfte in seine Schuhe und atmete tief ein. Es roch nach Meer, Abfall und Schlamm. Geir schloss die Augen. Faule Äpfel und altes Kraut waren die auffälligsten Gerüche. Es war gut, das aus der Welt zu schaffen. Eine Sache weniger, über die man nachdenken musste. Die Gedanken kreisten um die Frage, die in den letzten Tagen den größten Teil seiner ruhigen Zeit in Anspruch genommen hatte. Der Weg nach vorn.

Da Sigurd Jarl tot war, konnte Geir seine Berserker mitnehmen und weiterziehen. In Wirklichkeit waren sie alle Wolfsfelle, aber es schien, dass die Menschen heutzutage zu faul waren, die Dinge beim richtigen Namen zu nennen. Also nannte man sie Berserker, obwohl keiner von ihnen ein Bärenfell trug. Vielleicht sollte er anfangen, die anderen Krieger Bauern zu nennen? Nein, das war zu treffend. Kühe, vielleicht? Nein, das war zu offensichtlich. Aber er könnte anfangen, sie anzumuhen. Schließlich hatte er einen Ruf zu wahren. Geir schüttelte den Kopf. Er fand einen Strohhalm, brach ihn auf die richtige Länge und steckte ihn in den Mundwinkel.

Es war ein Tag, um eine Entscheidung zu treffen. Dafür sollte er seine ruhige Zeit nutzen und nicht, um über Namen zu grübeln. Es war auch kein Tag, um zurückzublicken, sondern ein Tag, um den Weg nach vorne zu wählen. Ein violetter Tag. Die Morgensonne wärmte sein Gesicht. Einige Hühner gackerten. Eine Axt hackte auf Holz. Nein, zwei Äxte, zwei Stämme. Schritte. Jemand näherte sich. Es bestand eine kleine Chance, dass dieser Jemand vorbeikommen würde. Ein Mann konnte durchaus hoffen. Die Schritte kamen näher. Schmatzende Schritte im Schlamm. Stiefel? Einer von Torgils' Männern? Die Schritte blieben stehen. Vielleicht einen Meter entfernt. Der Mann atmete ein. Als hätte er Angst, zu stören. Geir erlaubte dem Mann nicht, zuerst zu sprechen. Ich werde mit ihm reden.

„Was?“, fragte der Mann nach einem langen Moment des Schweigens.

Geir öffnete ein Auge, um den ungebetenen Besucher zu betrachten. Hatte er sich geirrt? Nein, es war einer von Torgils' Männern. Er trug ein schweres Waffenhemd und hohe Lederstiefel. Also nur langsam. Wie erwartet. Schalkhaftigkeit verbreitete sich hier schnell. Geir schloss wieder die Augen. Wie konnte jemand nur so langsam denken? Geir stellte sich ein wasserbetriebenes Rad vor, ähnlich dem, welches die Iren in ihren Mühlen verwendeten. Ein Rad, das sich kaum bewegte, angetrieben von einem kleinen Fluss oder einem Bach. So musste es im Kopf dieses Mannes sein. In den Köpfen der meisten Männer. Geir hatte nie Probleme mit seinem Rad, das zu langsam lief. Seines wurde von einem rauschenden Fluss angetrieben. Gelegentlich auch von einem Wasserfall. Das Problem war, dass es viele Räder in seinem Kopf gab, die nicht von demselben Fluss angetrieben wurden. Manchmal konnte das Rad, das mit seiner Sprache verbunden war, zu langsam sein, während sein Gedankenrad von einem Wasserfall angetrieben werden konnte. Oder das Rad, das mit seinem Gehör verbunden war, konnte ihm sagen, dass eine der sechs Hennen mit etwas unzufrieden war. Gackern, gackern, Gack-Gack-Gack. Offensichtlich mit etwas unzufrieden.

Der Besucher sagte etwas. „Ich werde mit Vass sprechen. Geh und kläffe einen anderen Baum an“, sagte Geir.

Der Mann blieb still. Um sieben, dachte Geir. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Der Mann drehte sich um und ging. Sechs. Nicht schlecht. Dieser Mann wusste, wie man Eindruck schindet! Schneller im Kopf als ein mittelgroßer Wetzstein. Sein Name war Svein. Oder war es Stein? Stein passte am besten. Von nun an Stein.

Geir schob den Strohhalm in den anderen Mundwinkel. Ein violetter Tag. Der Weg nach vorn. Er musste nach Süden gehen, wenn er eine Chance haben wollte, sie zu finden. Es hieß, dass Ragnar und die Dänen noch vor dem Winter weiterziehen würden. Gleichzeitig sagte etwas in ihm, dass die Zeit für eine Reise noch nicht reif war. Die Dänen waren nicht schlimmer als andere. Sie stanken, aber das taten die meisten. Jedenfalls nicht so sehr wie die Iren. Sie hatten nicht die Angewohnheit, sich zu waschen. Es sei denn, sie stolperten im Schlamm, nachdem sie zu viel Bier getrunken hatten. Der Laugar-Tag war für diese Wilden ein ganz normaler, stinkender Tag. Kein Wunder, dass die irischen Frauen die Neuankömmlinge bevorzugten. Sich einmal in der Woche zu waschen, war bei den Iren ein Fremdwort. Auch Kämme waren nicht üblich. Es war unbegreiflich, dass es auf dieser Insel noch Menschen gab.

Geir nahm einen tiefen Atemzug. Vor seinem inneren Auge hob er ein Messer auf und warf es in die Zukunft. Er folgte der Klinge. Irgendwo auf diesem Weg würde er nach Süden reisen. Nach Sevilla, vielleicht? Oder sogar noch weiter. Dort würde er sie finden. Aber wann? Im Herbst war es zu spät, um noch weit zu kommen.

Aber es war noch Zeit, vor dem Winter nach Horthaland zurückzukehren. Oder vielleicht nach Hedeby. Von dort aus fuhren oft Schiffe nach Süden. Er könnte seine Berserker dorthin bringen. Sie könnten im nächsten Frühjahr in Sevilla sein. Er könnte Ragnar fragen, wohin die Dänen segelten.

Oder er könnte in Dyflin bleiben und abwarten, was über den Winter passiert. Früher oder später würde es einen Nahkampf mit den Iren geben. Das war keineswegs sicher. Die Alternative – lange Tage mit wenig zu tun und zu viel Ruhe – war genauso schlimm. Es musste etwas geschehen. Dann würde es nur noch einen Fluss und ein Rad geben. Wenn er nichts anderes im Kopf hatte, konnte er Pilze essen. Das machte andere wild und blutdürstig, aber er wurde klar wie ein stilles Wasser. Pilze verlangsamten die meisten seiner Flüsse und Räder. Wenn sich nur noch ein Rad gleichzeitig drehte, konnte er die Rolle von Galne übernehmen. Während eines langen und mühsamen Winters konnte er sich jedoch darauf verlassen, dass die Pilze seinen Geist beruhigten. Er hatte gesehen, was mit denen geschah, die zu oft davon aßen.

Geir Galne stand auf. Es gab Hilfe für diejenigen, die sie suchten. Aud konnte in die Zukunft blicken. Es kam nicht jeden Tag vor, dass er etwas über sein eigenes Schicksal wissen wollte, aber heute war nicht jeder Tag. Heute war ein lila Tag.

 

***

 

Aud starrte auf die Runensteine, die über das Leinentuch verstreut waren. Es roch nach getrockneten Blumen und frischen Kräutern. Und nach etwas anderem. Etwas Übelriechendes, das Geir Unbehagen bereitete. Als ob man etwas nicht sehen wollte.

„Ich sehe einen Mann. Einen kleinen Mann.“ Aud drehte ein paar der Steine, als ob sie diese besser lesen wollte. „Er ist auch auf der Suche. Du musst ihm helfen, um dir selbst zu helfen.“

Geir öffnete seinen Mund, um zu fragen, wer der kleine Mann war und wen er suchte. Wofür er Hilfe brauchte. Aber er sprach die Worte nicht aus. Es schien keine gute Idee zu sein, die Volve zu stören, während sie die Zukunft las.

„Ich sehe mehr. Einen großen Bären. Einen kleinen Wolf. Und den Gott des Krieges. Sie alle sind ein Teil des Ganzen“, fuhr Aud fort.

Geir lenkte seinen Blick von den Runensteinen zu Aud, während er auf die Fortsetzung wartete. Lokes Bälle, sie musste ihm noch etwas geben?! Ein großer Bär und ein kleiner Wolf. Sollte er sich auf die Suche im Wald machen? Das war einfach …

Er hielt den Gedankenstrom an. Sein Blick wanderte wieder von der Volve zu den Runensteinen. Er zwang sich, sich zu entspannen und einen neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen.

„Das ist es, was ich sehe.“ Aud hob die Steine wieder auf. „Was deine zweite Frage angeht …“ Die Runensteine klirrten zwischen ihren zarten Händen. Wie die Zähne eines erfrorenen Mannes. Bevor die Steine wieder über die Leinwand rollten. Wie die Zähne eines ungehobelten Mannes. Wie die Zähne des Mannes, der ihm zuerst den Spitznamen Galne gegeben hatte. Der Verrückte. Offenbar sollte man einen Mann für eine solche Unverschämtheit nicht ohrfeigen. Jedenfalls nicht mit dem stumpfen Ende der Axt. Mit beiden Händen am Stiel. Während der Mann den Kopf zurücklegte, lachte und den Mund aufriss. Und das macht den Namen natürlich nicht weniger passend. Danach hatte der Mann nur noch Suppe und Brei gegessen.

„Hmm …“, sagte Aud, leise und heiser.

Es wurde still. Geir erschauderte. Er bedauerte, dass er die zweite Frage gestellt hatte, und öffnete den Mund, um die Volte zu stoppen. Zu spät.

„Sicher … Du bist sicher, wenn du dich unsicher fühlst. Du bist in Gefahr, wenn du dich sicher fühlst.“

Was? Wo? Geir hatte so viele Fragen, dass er nicht eine einzige formulieren konnte.

„Das ist es, was die Götter mir heute Abend zeigen. Niemand bekommt mehr, als er verdient.“ Aud sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Forderte ihn heraus. Ermutigte ihn, die Vorhersage in Frage zu stellen. Dass er die Götter herausforderte. Und sie. Geir wusste es besser. Er hinterfragte die Götter oft. Er hatte keine Angst, sie herauszufordern, und er war überzeugt, dass sie Männer schätzten, die sich nicht scheuten, ihre Meinung zu sagen. Die nordischen Götter waren nicht wie der weiße Christus, der gehorsame Lämmer wollte. Aber sie? Er war nicht so dumm, Auds Praktiken oder irgendetwas anderes an ihr in Frage zu stellen.

„Du kannst jetzt gehen, Galne“, sagte Aud.

Geir nickte und stand von der Bank auf. Die Räder in seinem Kopf drehten sich. Schnell. Er brauchte Zeit für sich selbst. Stille Zeit.

 

Kapitel 6: Bastard

 

Ulv sackte unter einer Fichte mit niedrigen, dichten Ästen zusammen. Er wusste, er hätte weitergehen sollen. Er hätte seine Spuren verwischen und prüfen sollen, ob ihm jemand folgte. Aber es war einfach nicht möglich. Seine Kräfte schwanden und der Schlaf holte ihn ein und träumte …

 

… Ulv lauschte an der Tür. Ungeduld zerrte an ihm wie ein Sturm an einem Busch. Er starrte in den Spalt. Es hatte keinen Sinn, die Tür zu öffnen, bevor der Mann am Tisch ihm nicht den Rücken zugekehrt hatte. Er saß mit Nadel und Faden da und flickte einen Mantel. Sein dunkles Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und sein kurzer, dunkler Bart wies unter den Mundwinkeln graue Stellen auf. Die dunklen, konzentrierten Augen glitzerten unter buschigen Augenbrauen. Das einzige Licht kam von dem kleinen Kamin in der Mitte des Raumes. Auf dem Tisch vor dem Mann lag das Messer. Dasjenige, das Ulv in die Finger bekommen musste. Ulv verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und starrte auf die arbeitenden Hände. Der Rest des Mannes war durch die schmale Öffnung nicht zu sehen. Runter, rein, drunter, zurück, hoch und durch. Die Nadel bewegte sich über den Stoff – gleichmäßig und sicher. Bald würde es Zeit sein, zu handeln; er konnte es spüren, seine Hand glitt zum Griff. Es musste an der Zeit sein. Die Nadel senkte sich wieder auf den Stoff, aber diesmal stach sie nicht durch. Sie glitt entlang des Stoffes und unter der letzten Masche hindurch. Die Hände ließen das Stück Stoff auf den Tisch sinken.