Das Weihnachtswunder von Schneeberg - Dagmar Geisler - E-Book

Das Weihnachtswunder von Schneeberg E-Book

Dagmar Geisler

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Beschreibung

Weihnachts-Lesespaß für die ganze Familie Es schneit in Schneeberg – so sehr, dass der kleine Ort am Ende eines hübschen Tals langsam aber sicher völlig von der Außenwelt abgeschnitten wird. Und nicht nur das: Viel unerklärlicher ist, dass plötzlich das Geld verschwindet. Lotte hat es zuerst gemerkt, als sie ihr Sparschwein Frido köpfen wollte, und dann merken es auch die anderen Schneeberger: Keine Auszahlung am Geldautomaten mehr möglich, nicht ein einziger Cent in den Kassen der Geschäfte. Und das ausgerechnet jetzt! Lotte beschäftigt nur eine Frage: Wie kann sie Weihnachten retten?

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Seitenzahl: 145

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Dagmar Geisler

Das Weihnachtswunder von Schneeberg

Mit Bildern von Dagmar Geisler

Deutscher Taschenbuch Verlag

© 2013 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital - die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

eBook ISBN 978-3-423-42128-7 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-76086-7

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website

www.dtv.de/ebooks

Für meinen Sohn Jonassowie Manfred Mensch Mayer aus Pfaffenhofen und den»Hallertauer«, der mich zu dieser Geschichte inspiriert hat.

Es schneit in Schneeberg. Das ist ungewöhnlich. Sonst fallen hier in der Weihnachtszeit höchstens ein paar fadendünne Flöckchen, die sich sofort in grauen Niesel auflösen.

Lotte sitzt an ihrem Lieblingsplatz auf der Fensterbank und schaut zu, wie der Schnee die Stadt nach und nach in ein Winterparadies verwandelt. Viele Dinge haben schon glitzernde Mützen auf: die Zaunpfähle, die Straßenschilder, das Vordach der Sparkasse und die Leuchtbuchstaben der Kaffeebar.

Lotte malt mit dem Finger Männchen an die Scheibe. Hoffentlich bleibt der Schnee liegen, weiße Weihnachten wären einfach perfekt. Schließlich muss es dieses Mal ganz besonders schön werden. Das hat sie sich vorgenommen.

Lotte wohnt in einem alten Haus mitten in der Stadt und ihr Zimmer liegt im ersten Stock, direkt über dem Schaufenster von Kühlweins Wäscheladen. Von hier aus hat sie die ganze Hauptstraße im Blick. Sie sieht die weihnachtlich geschmückte Apotheke, die Metzgerei, das Rathaus, ein großes Stück vom Marktplatz und ganz hinten einen winzigen Zipfel von der künstlichen Schlittschuhbahn. Die Schlittschuhbahn ist zurzeit ein angesagter Treffpunkt. Seit sie aufgebaut wurde, versucht Lotte dort, eine perfekte Acht zu laufen. Bis jetzt hat es noch nicht geklappt.

Gerade tritt Herr Specht vor die Tür der Sparkasse. Er klappt den Kragen seines grauen Mantels hoch und huscht über die Straße. Herr Specht ist der Filialleiter und macht sich auf, um gegenüber in der Kaffeebar seinen täglichen Cappuccino zu bestellen. Es ist Punkt drei. Nach Herrn Specht kann man die Uhr stellen.

Frau Siebert steht mit rot gefrorener Nase hinter ihrem Glühweinstand und schaut ihm nach. Lotte kichert. Jedes Jahr versucht Betti Siebert, Herrn Specht mit ihrem pappsüßen Punsch zu ködern. Ein unverheirateter Bankdirektor ist für sie genauso toll wie ein Prinz auf einem weißen Pferd. Jetzt stampft er sich den Schnee von den Schuhen und verschwindet hinter den orangeroten Vorhängen des Kaffeeladens. Herr Specht weicht nie von seinen Gewohnheiten ab. Dabei hat bei so einem Wetter doch jeder Mensch Lust auf heißen Punsch mit Zimt oder wenigstens auf dampfende Maroni.

Lotte springt auf. Die paar Tage bis Weihnachten gehen bestimmt ruck, zuck vorbei. Höchste Zeit, sich um die Geschenke zu kümmern.

»Frido, jetzt bist du dran!«

Geschickt wie ein Äffchen klettert sie auf ihren Stuhl und von da auf den Schreibtisch. Frido, das Sparschwein, steht ganz oben im Regal und schaut mit seinen aufgemalten Schweinsaugen stur geradeaus.

Oma hat es getöpfert, und die ist der Meinung, dass zu einem echten Sparschwein auch ein echtes Schlachtfest gehört. Sie behauptet, die gekauften Dinger mit dem eingebauten Schloss sind nur was für Angsthasen.

Es ist gar nicht so einfach, das schwere Schwein heil nach unten zu bekommen. Vorsichtig hangelt sie mit dem Fuß nach dem Schreibtischstuhl. Wenn Frido jetzt runterfällt, gibt es kein Schlachtfest, sondern einen Unfall.

Aber endlich kniet sie auf dem Boden, tätschelt den breiten Schweinerücken zum allerletzten Mal und kneift die Augen zu. Sie muss kurzen Prozess machen, sonst überlegt sie es sich am Ende noch anders. Feierlich hebt sie einen dicken Kieselstein über den Kopf. Der Stein ist perfekt. Letzten Sommer hat sie ihn extra für diesen Moment aus dem Bach gefischt.

Langsam zählt sie bis drei. Hoffentlich reicht das Gesparte für alles, was sie sich ausgesucht hat.

Karlchen soll einen Zauberkasten bekommen, Mama die schöne Gürtelschließe aus Pachulkes Trödelladen und Felix…

Jetzt! Der Stein saust nach unten. Ein dumpfes Knacken und Frido zerplatzt in tausend Stücke. Lotte öffnet erst ein Auge, dann das andere. Was ist denn das? Entsetzt reißt sie alle beiden Augen auf.

Sie sieht Tonscherben und die uralten Knöpfe, die Oma als Glücksbringer in jedes Sparschwein tut, bevor sie es weggibt. Was sie nicht sieht, ist Geld. Nicht einen einzigen Cent. Dabei hat sie eine Ewigkeit gespart und gespart.

Ungläubig starrt Lotte auf Fridos klägliche Überreste. Und dann…

»Felix!«, knurrt sie. Mit einem Satz ist sie auf den Beinen. Ihr Bruder ist doch in letzter Zeit ständig klamm. Nie kommt er mit seinem Taschengeld aus, und dann fällt ihm nichts Besseres ein, als seine Schwester anzupumpen. Gestern hat er es wieder probiert und wollte sie überreden, das Sparschein mit ihr zusammen zu schlachten. Mit drei riesigen Schritten ist Lotte aus dem Zimmer.

»FELIX!«, schreit sie und bummert mit beiden Fäusten an seine Zimmertür. Die ist abgeschlossen. Wie immer. Allerdings stampft dahinter heute nicht die übliche Rockmusik. Ein heiserer Sänger winselt zur Gitarre.

»FELIX!«, brüllt sie noch einmal. Nichts rührt sich.

Als sie mit voller Wucht gegen die Tür tritt, stürzt Mama aus ihrem Nähzimmer und Karlchen kommt aus dem Klo gerannt. Seine Latzhose hängt noch in den Kniekehlen.

»Was ’n hier los?«, fragt Felix, der endlich auftaucht und dann auch nur die Nasenspitze durch die halb offene Tür steckt.

»Was los ist? Du hast Frido geplündert. Das ist los!«

»Du spinnst wohl!« Gelangweilt tippt Felix sich an die Stirn. Das bringt Lotte komplett auf die Palme. Ihre Stimme überschlägt sich fast.

»Jetzt mal langsam, damit ich auch mitkomme«, sagt Mama.

Lotte holt tief Luft und erzählt alles noch einmal in Zeitlupe.

»Ich sag’s doch, die spinnt komplett«, brummt Felix.

»Ich hab Beweise«, sagt Lotte. Mit einem Tritt stößt sie ihre Zimmertür auf. »Schaut euch das an!« Triumphierend zeigt sie auf die Scherben.

»Na und«, höhnt Felix. »Wahrscheinlich hattest du gar nichts drin in deinem Schwein. Alles schon vorher ausgegeben für diese idiotischen Mäusepostkarten.« Er zuckt mit den Schultern.

Lotte sieht rot. Das mit den Mäusekarten war in der zweiten Klasse. Seitdem sind Jahre vergangen.

»Du hast doch keine Ahnung!«, heult sie und dann laufen auch noch die Tränen. Peinlich! Genervt wischt sie mit dem Ärmel über die Augen.

»Armer Frido!«, sagt Karlchen und geht vor den Scherben in die Hocke.

»Ich hab ja nicht gewusst, dass er leer ist«, brüllt Lotte. Sie schaut Felix an, als wollte sie ihn am liebsten auch schlachten. Dann wandert ihr Blick zu Karlchen. Ihn hat sie mit ihrem Gebrüll ganz schön erschreckt.

»Ich kann nichts dafür«, sagt Felix und hebt lässig beide Arme über den Kopf.

»Und wer dann, bitte schön?«

»Ja, das ist eine gute Frage«, sagt Mama.

Felix macht so etwas nicht, behauptet Mama. Sie hat eine unerschütterlich gute Meinung von ihren Kindern. Sie glaubt, dass sich die Sache irgendwie aufklären wird, und bis dahin soll Felix seiner Schwester erst mal das Geld zurückgeben, das er ihr schuldet, damit sie ihre Geschenke kaufen kann. Felix hat heute zum ersten Mal Zeitungen ausgetragen und den Lohn gleich kassiert. Er mault und macht sehr widerwillig seinen Geldbeutel auf.

»Leer!«, ruft er. »Das gibt’s doch nicht.«

Mama seufzt. »Also gut, dann strecke ich dir erst mal was vor«, sagt sie zu Lotte. Sie will zurück an ihre Arbeit, weil sie ein Kleid näht, das bis Weihnachten fertig werden muss. Wenn sie es nicht rechtzeitig abliefert, bekommt sie auch kein Geld dafür. Trotzdem geht sie in die Küche, um ihre Geldbörse zu holen. Als sie nicht gleich zurückkommt, gehen die drei ihr nach.

Mama sitzt am Küchentisch und schüttelt den Kopf. Sie hat ihren kreischgrünen Lederrucksack umgestülpt und den Inhalt ausgekippt. Mit spitzen Fingern stochert sie darin herum. Eine Haarschleife, eine Bürste, alte verknautschte Busfahrkarten, der Autoschlüssel, Handcreme, Lippenstift und eine leere Dose Deospray, alles ist da, auch die Geldbörse aus rotem Lackleder. Als sie die ausschüttelt, flattern nur ein paar Kassenzettel heraus. In der vorderen Klappe, unter dem durchsichtigen Netz, steckt ein Foto. Felix, Lotte und Karlchen am Strand von Västergötland, darunter findet sich ein zerknautschter Parkschein mit einer Telefonnummer – sie hat keine Ahnung, zu wem die gehört –, die Visitenkarte ihrer Freundin Olga und eine alte Kinokarte für den Film »Tatsächlich Liebe«.

»Weg!«, sagt sie. »Alles! Sogar der Glückscent, den ich nie ausgebe.«

Felix sucht immer noch in seinem gähnend leeren Geldbeutel herum und Karlchen fasst voller Schreck in die Brusttasche seiner Latzhose. Er macht kugelrunde Augen und haucht: »Mein Fünfzigerl is auch weg!«

Mama springt hoch und rennt in die Rumpelkammer, sie klappt den Läufer um, hebelt eine Diele aus dem Fußboden und grapscht nach der Keksdose, die darunter versteckt war. Sie reißt den Deckel herunter und schreit entsetzt auf. Dann rast sie zurück in die Küche, öffnet den Gefrierschrank und stapelt eine Menge Spinatpäckchen auf die Arbeitsplatte. Erschöpft lässt sie sich auf einen Stuhl fallen.

»Auch weg! Sogar die fünfzig Euro, die ich in den Frost gelegt habe.« Sie grinst verlegen. »Ich dachte, dann halten sie sich vielleicht ein bisschen länger«, erklärt sie.

»Ist ja cool«, sagt Felix. »Jetzt kennen wir alle deine Geldverstecke.«

Mama macht eine abwehrende Handbewegung. »Einbrecher«, sagt sie. »Das muss ein Einbrecher gewesen sein.«

[email protected]

Liebe Fritzi,

hier ist was passiert. Unser ganzes Geld ist weg. Mama glaubt, es war ein Einbrecher. Aber kannst du dir einen Gangster vorstellen, der das ganze Kleingeld einzeln aus meinem Sparschwein pult und sogar das Fünfzigcentstück in Karlchens Hosentasche findet? Nee du, da ist irgendwas faul. Ich hatte Felix in Verdacht, aber Mamas Geld ist auch weg und so weit würde er nie gehen. Oder was meinst du? Apropos Felix. Rate mal, in wen er verknallt ist! Da kommst du nie drauf.

Mist, warum musstet ihr bloß so weit wegziehen? Ich vermisse dich wie die Seuche. Schneeberg ist ohne dich einfach zu leer.

Morgen mehr. Muss mich um Karlchen kümmern. Mama ist auf der Polizeiwache, den Diebstahl anzeigen.

Übrigens: ESSCHNEIT! Da staunst du, was?

See you Lotte.

Polizeihauptwachtmeister Lammer wischt sich mit seinem Taschentuch über die Stirn. »Sie sind heute schon die Dritte, die einen Diebstahl meldet. Wir werden der Sache nachgehen, aber Sie sehen ja…« Mit einer Handbewegung zeigt er auf die leeren Schreibtische in seinem Dienstzimmer. »…ich bin hier ganz allein und bei diesem Wetter…«

Er hat den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da hört man draußen ein lautes Krachen. Der Polizist schnaubt und erhebt sich schwerfällig. »Schon wieder so ein Wahnsinniger ohne Winterreifen«, brummt er, greift nach seiner Dienstmütze und lässt Lottes Mutter einfach stehen. In der Tür dreht er sich noch einmal um. »Kommen Sie morgen wieder vorbei, um das Protokoll zu unterschreiben«, sagt er, tippt kurz an den Schirm, dann ist er weg.

Frau Mohr beißt sich auf die Lippe. Irgendwoher muss sie Geld auftreiben. Der Kühlschrank zu Hause ist so gut wie leer. Sie muss einkaufen. Wenn es schon wieder Spinat gibt, tritt Karlchen in Hungerstreik.

Mit wenig Hoffnung stapft sie durch den Schnee zur Sparkasse. Sie glaubt nicht so recht, dass der Automat noch etwas ausspuckt, schließlich war das Konto neulich schon überzogen.

KEINE AUSZAHLUNG MÖGLICH!

»Ich hab’s ja gewusst«, murmelt sie und lässt die Glastür zum Schalterraum aufgleiten.

Herr Specht steht hinter dem Tresen und schaut ihr entgegen.

Frau Mohr lächelt und geht schnurstracks auf ihn zu. Ihr tannenbaumgrüner Rock schwingt bei jedem Schritt. In den Haaren glitzern Schneeflocken. Lottes Mutter sieht immer irgendwie anders aus als andere Leute.

»Herr Specht!« Sie stellt sich auf Zehenspitzen vor seinen Tresen und beugt sich zu ihm vor. »Ich habe ein klitzekleines Problem.«

Herr Specht tut sonst alles, um das »klitzekleine Problem« für Frau Mohr aus der Welt zu schaffen. Schließlich sorgt sie immer dafür, dass es sich nicht zu einem großen Problem auswächst. Aber heute zuckt er die Achseln, er fährt sich mit dem Zeigefinger unter den Hemdkragen, er kratzt sich am Kinn.

»Das hat gar nichts mit Ihnen zu tun«, stammelt er hilflos. »Es ist nur so…« Wieder räuspert er sich. »Es ist nur so…«

Frau Mohr schaut ihm interessiert in die Augen. Herr Specht dreht sich kurz um, als fühlte er sich beobachtet. Dann strafft er die Schultern.

»Im Moment kann ich da gar nichts machen.«

Es schneit immer noch. Draußen auf der Straße zieht Lottes Mutter ihren Schal über den Kopf. Sie beißt sich auf die Lippe und überlegt. Dann strafft sie die Schultern und tänzelt siegessicher davon.

»Schnapp!«, sagt sie dann. »Schnapp muss endlich das Kleid bezahlen.«

Frau Mohr ist Schneiderin. In den Sommerferien verkauft sie ihre Sachen auf Kunsthandwerkermärkten. »Zauberhafte Kleider für zauberhafte Frauen« heißt der Stand, den sie zusammen mit ihrer Freundin Olga betreibt. Die Kleider macht Lottes Mutter und Olga zaubert die passenden Hüte dazu.

Den Rest des Jahres kellnert sie in der »Goldenen Gans« und manchmal näht sie etwas für die Schneeberger.

Herr Schnapp, der Leiter des Supermarkts, hat bei ihr ein Hochzeitskleid für seine älteste Tochter machen lassen. Es ist ihr so gut gelungen, dass ein paar Fotos vom Brautpaar sogar in einer Modezeitschrift abgedruckt wurden. Es war ein Riesenerfolg. Trotzdem wartet sie schon seit Mai auf ihr Geld.

[email protected]

Liebe Fritzi,

blöd, dass du nicht hier bist. Es schneit immer noch. Und es ist jede Menge los! Mama hat uns heute in die »Goldene Gans« mitgenommen. Sie musste kellnern und wir durften da essen. Ich hatte Ente mit Knödeln, Karlchen Schinkennudeln und Felix »Böff Burginjong« oder so ähnlich. Leider hat Mama heute kein Trinkgeld gekriegt. Dabei hätten wir das so dringend gebraucht, weil unser ganzes Geld ja weg ist und die Polizei noch keine Zeit hatte, den Täter zu finden. Es waren nämlich nur zwei Gäste da. Der eine hatte einen Geschenkgutschein dabei, der andere hatte sein Geld vergessen und musste anschreiben. Der Mann mit dem Geschenkgutschein hätte noch was rausgekriegt, aber als der Josef die Kasse aufgemacht hat, war überhaupt kein Wechselgeld drin. Ist das nicht komisch? Josef hat behauptet, Fatima wäre schuld. Fatima ist seine Putzfrau. Aber ich wette, das war der gleiche Einbrecher wie bei uns.

Wie geht es bei dir in Neustadt? Schneit es da auch?

See you Lotte

Lotte klappt den Deckel des Laptops zu. Es ist ein ziemlich altmodisches Teil. Sie hat es von Papa bekommen, als er das letzte Mal zu Besuch war. Leider kommt er viel zu selten. Papa ist als Geologe in der ganzen Welt unterwegs. Zurzeit wohnt er mit seiner neuen Frau in Sydney. Das ist in Australien und ganz schön weit weg. Zu weit für jemanden, der seine Kinder in Schneeberg hat, findet Lotte. Sie greift in die Tasche und holt den schönen blauen Stein hervor, den hat Papa ihr auch mitgebracht. Der Stein ist rund und glatt und passt genau in die kleine Kuhle ihrer Handfläche. Wenn sie ihn unters Licht hält und ein bisschen hin und her kippelt, funkeln in seinem Innern rote und grüne Punkte. Aber das Beste ist die Farbe. Die erinnert an Papas Augen und an das Meer, an dem er jetzt wohnt. Die Postkarte aus Australien hängt über ihrem Bett und die große Welle, die darauf zu sehen ist, schimmert genauso türkisgrün und blau wie der Stein. Der wird immer wärmer, je länger sie ihn in der Hand hält.

Eigentlich müsste sie längst im Bett liegen, aber bei so viel Sorgen kann ja kein Mensch schlafen. Was soll bloß aus Weihnachten werden? Ohne Geld gibt es keinen Baum, kein Weihnachtsessen und keine Geschenke. Dann bleiben nur die Weihnachtslieder und das Krippenspiel in der Kirche, aber auch das ist blöd, wenn Fritzi nicht dabei ist und man keinen einzigen Cent hat, den man hinterher in den Klingelbeutel werfen kann. Da nützt es auch nichts, wenn man weiß, dass das Christuskind selbst arm wie eine Kirchenmaus war. Im Stall von Bethlehem gab es schließlich keine Ida Großkopf, die einem ständig unter die Nase reiben muss, wie viel Geld sie hat. Lotte drückt ihre Stirn gegen die kalte Scheibe. Obwohl es schon so spät ist, ist da draußen noch eine Menge los. Schon zweimal ist der Schneepflug durch die Fußgängerzone gefahren und jetzt versinken die Leute schon wieder bis zum Knöchel im weißen Glitzer. Frau Siebert hat ihren Glühweinstand längst geschlossen. Aber er sieht auch so schön aus, mit den bunten Lichtern und den Tannenzweigen und dem hölzernen Weihnachtsschlitten auf dem Dach.

In der Sparkasse brennt noch Licht und andauernd kommt jemand angestapft, um Geld am Automaten zu ziehen. Aber es scheint allen Leuten so zu gehen wie Mama. Irgendwie will der Apparat heute kein Geld rausrücken. Und jeder, der es versucht, reagiert auf seine Art.

Der junge Kellner aus der Kaffebar lässt seinen Kopf gegen den Automaten sinken und trommelt mit den Fäusten dagegen. Das nutzt natürlich gar nichts.

Frau Schnapp schiebt ihre Kreditkarte in den Schlitz und gibt die Geheimzahl ein. Dann starrt sie das Display so fassungslos an, dass man sofort erraten kann, was dort steht. Nämlich dasselbe wie bei allen anderen auch: KEINE AUSZAHLUNG MÖGLICH!

Frau Schnapp japst nach Luft und lässt den Mund einfach offen stehen. Dann gibt sie sich einen Ruck, schaut sich verstohlen um, ob jemand was gemerkt hat, reckt die Nase in die Luft und tut so, als ob sie ein ganzes Bündel Geldscheine erst zählen und dann einstecken würde.