Das wird unsere Stadt - Patrizia Nanz - E-Book

Das wird unsere Stadt E-Book

Patrizia Nanz

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Beschreibung

Nur gemeinsam können Bevölkerung und Politik die Probleme des Landes lösen. Was wir alle dafür tun müssen? Die Expertise der Bürger:innen vor Ort ernst nehmen, Veränderung wagen und kommunale Politik als Grundlage eines neuen demokratischen Selbstverständnisses fördern. Patrizia Nanz, Charles Taylor und Madeleine Beaubien Taylor machen klar: Die Beteiligung von Bürger:innen muss endlich mehr sein als ein Feigenblatt der repräsentativen Demokratie. Denn erfolgreiche und innovative Projekte entstehen bottom-up, in einem Zusammenspiel unterschiedlicher Ideen und Kompetenzen, wie die Autor:innen in zahlreichen Beispielen erfolgreicher Beteiligungsprozesse darlegen.

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Patrizia Nanz Charles Taylor Madeleine Beaubien Taylor

Das wird unsere Stadt

Bürger:innen erneuern die Demokratie

Aus dem Englischen von Rita Seuß

Inhalt

Einleitung

1Die Neugestaltung lokaler Gemeinschaften

2Unterstützung für den Wiederaufbau politischer Gemeinschaften

3Beiträge zur demokratischen Erneuerung

Schluss

Dank

Anmerkungen

Einleitung

Die Überzeugung, dass unsere Demokratien schwierige Zeiten erleben, ist in westlichen Gesellschaften weit verbreitet. Zahlreiche Umfragen zeigen, dass das Vertrauen in die Demokratie als System schwindet. Insbesondere junge Menschen halten die Demokratie für eine schlechte Staatsform und eine autoritäre oder technokratische Regierung für eine bessere Alternative.1 Gleichzeitig führen politische Entwicklungen zu tiefen Spaltungen innerhalb der Bevölkerung demokratischer Gesellschaften. Das Brexit-Referendum im Vereinigten Königreich und Donald Trumps erfolgreicher Präsidentschaftswahlkampf, der die Sehnsucht nach einer verlorenen Vergangenheit, als Amerika »groß« war, beschworen hat, befeuerten xenophobe Aufrufe, »Fremde« auszugrenzen. Sie richteten sich an all jene, die selbst das Gefühl hatten, sozial abgehängt zu sein.

Die Erosion des Sozialstaats und die Verwerfungen des Wirtschaftssystems haben den Menschen vor Augen geführt, dass sie nicht nur in kapitalistischen Marktwirtschaften leben, sondern auch in kapitalistischen Gesellschaften, in denen das Wirtschaftsgeschehen von sozialen Interaktionen entkoppelt ist. Diese Entkoppelung war Ziel der neoliberalen Reformen der vergangenen Jahre. Tatsächlich wurden sowohl die demokratische Politik wie auch eine Vielzahl von Aspekten des Alltagslebens der betriebswirtschaftlichen Logik von Unternehmen und Banken unterworfen. Die Behauptung während und nach der Finanzkrise von 2008, bestimmte Banken seien »too big to fail«, zu groß, um sie pleitegehen zu lassen, und müssten deshalb um jeden Preis gerettet werden, sowie die Feststellung, zu den rigorosen Bailout-Deals für Griechenland und einige andere Staaten der Eurozone gebe es »keine Alternative«, haben diese Demokratien schwer beschädigt. Denn demokratische Politik muss ihrem Wesen nach immer alternative Wege aus der Krise anbieten.

Auch soziale Medien und digitale Kommunikationstechnologien allgemein haben zur Erosion der demokratischen Kultur in den vergangenen zehn Jahren wesentlich beigetragen. Die Digitalisierung verschafft einerseits den Bürger:innen einen einfachen und umfassenden Zugang zu Informationen und gibt ihnen das Gefühl, dass ihre Ansichten und ihr Handeln zählen. Initiativen wie www.govtrack.us und @YourRepsOnGuns in den Vereinigten Staaten, www.theyworkforyou.com im Vereinigten Königreich und www.openaustralia.org.au in Australien haben die Transparenz der politischen Entscheidungsfindung wesentlich erhöht und Gleichgesinnten geholfen, Netzwerke aufzubauen und Unterstützung zu mobilisieren. Andererseits vergrößern die weitgehend anonymen sozialen Netzwerke des Web 2.0 – und das entpolitisierte (oder, wie in Talkshows, pseudopolitisierte) Fernsehen – die Distanz zwischen den Bürger:innen und der politischen Sphäre. Diese Form des Medienkonsums verhindert kollektives Lernen und sinnvolle Beratschlagung (Deliberation), weil es vorrangig darum geht, Gesinnungsgenossen zu finden und in »Echokammern« abweichende Meinungen niederzubügeln. Auf diesem Nährboden gedeiht der digitale Populismus.

Zusammenfassend bedeutet das, dass liberale Demokratien vor zwei großen, eng miteinander verflochtenen Herausforderungen stehen: einem zunehmenden Verlust ihrer Fähigkeit, Probleme zu lösen, und einer wachsenden Kluft zwischen den politischen Eliten und der Bevölkerung. Demokratische Systeme scheitern bei der Gestaltung einer besseren Zukunft (man denke nur an die Umweltpolitik) nicht nur oft an der Macht von Lobbyverbänden und Konzernen (wie beispielsweise der Autoindustrie oder der Öllobby); oft wissen ihre gewählten Mandatsträger auch nicht, welche Strategien die richtigen sind, oder befürchten, durch unpopuläre Maßnahmen ihre Wählerschaft zu verlieren. Politiker:innen scheuen sich, Verantwortung zu übernehmen, weil sie unsicher sind, was die Menschen wollen oder zu akzeptieren bereit sind. Wer den Mut aufbringt, unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen, riskiert Gegenreaktionen in der Art der Gelbwesten in Frankreich. Diese Protestbewegung gegen umweltpolitische Reformen entstand aus dem (berechtigten) Eindruck, Präsident Emmanuel Macrons Plan einer Steuererhöhung für fossile Brennstoffe lasse außer Acht, wie abhängig einkommensschwache Haushalte in ländlichen Regionen von bezahlbarem Dieselkraftstoff sind. Schon bald gelang es rechtspopulistischen Politiker:innen wie Marine Le Pen, zumindest einen Teil der Empörung für ihre Zwecke zu kanalisieren.

Natürlich ist der Handlungsspielraum nationaler Regierungen durch die politische Globalisierung eingeengt. Aber auch globale Vereinbarungen legen ihnen Beschränkungen auf, wie das Pariser Klimaabkommen, das zur Bekämpfung des gefährlichen Klimawandels die Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten und eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes der globalen Wirtschaft vorsieht. Solche Transformationen in Richtung Nachhaltigkeit müssen aber nicht nur auf globaler Ebene umgesetzt werden; Politiker:innen müssen auch auf nationaler und vor allem lokaler Ebene Perspektiven einer nachhaltigen Lebensweise entwickeln und realisieren. Auf dieser lokalen Ebene muss demokratische Politik revitalisiert werden.

Viele Menschen sind überzeugt, dass unsere Systeme der repräsentativen Demokratie einer Reform bedürfen, die auch Veränderungen in der Struktur und Arbeitsweise politischer Parteien umfasst, die in diesen Systemen eine zentrale Rolle spielen; außerdem müsse die Macht des Geldes in diesen Systemen gebrochen werden. Andere plädieren für eine Reform der Öffentlichkeit. Diese ist heute wie nie zuvor in Echokammern zersplittert, die von den sozialen Medien geschaffen wurden und nicht miteinander kommunizieren. Es wird beispielsweise vorgeschlagen, öffentliche Plattformen als Alternative zu Facebook und anderen sozialen Medien einzuführen oder staatlich kontrollierte Plattformen zu schaffen, um der gezielten Verbreitung irreführender Information entgegenzusteuern.

Wir teilen die Auffassung, dass Veränderungen dieser Art notwendig sind, möchten diese Reformagenda aber gern ergänzen: Um verantwortungsvolles Regierungshandeln wiederherzustellen, müssen wir unserer Ansicht nach die Demokratie von unten her neu aufbauen. Nur wenn wir die Demokratie an der Basis stärken und neu beleben, gewinnen die Bürger:innen Klarheit darüber, welche Forderungen sie erheben wollen und welche Zukunft sie sich für ihre Kommune oder Region vorstellen. Nur dann können lokale Gemeinschaften den nötigen Druck auf ihre Repräsentanten in den politischen Entscheidungsgremien ausüben, um mutigere Strategien voranzubringen.

In diesem Buch skizzieren wir zunächst die Herausforderungen, vor die sich die lokalen Gemeinschaften und ihre Mitglieder gestellt sehen. Der Niedergang der Demokratie ist eng an die Erosion lokaler Gemeinschaften und Kommunen gekoppelt. Von der Deindustrialisierung zerrüttete Regionen, wie die Appalachen und der Rust Belt in den Vereinigten Staaten oder die Lausitz in den Bundesländern Brandenburg und Sachsen, werden oft zu Hochburgen eines fremdenfeindlichen Populismus.

Diese lokalen Gemeinschaften wiederaufzubauen, erfordert Formen des politischen Handelns, die neue solidarische Bindungen erschaffen und die Interessen und Ziele von Angehörigen der Gemeinschaft miteinander in Einklang bringen. Sie müssen auch kreative Kräfte freisetzen, um vielschichtige Probleme zu lösen und die kollektive Handlungsfähigkeit zu unterstützen. In Kapitel 2 betrachten wir zwei Formen solch politischen Handelns: erstens die Selbstorganisation auf kommunaler oder Stadtteilebene – auch, aber nicht nur, innerhalb der Grenzen kommunaler Verwaltung –, um einen Konsens über die Bedürfnisse und Ziele einer lokalen Gemeinschaft zu erreichen und deren Umsetzung zu fördern; und zweitens Formen der Bürgerbeteiligung, die von der Regierung initiiert werden, um gemeinsame Ziele mit Bürger:innen zu definieren, die meist kein offizielles Amt und keine Funktion auf irgendeiner Regierungsebene haben. Wir stellen erfolgreiche Beispiele des Community Organizing und der Bürgerbeteiligung vor, um besser zu verstehen, wie die Demokratie von unten her wiederaufgebaut werden kann. In Kapitel 3 kehren wir zu den Mechanismen zurück, die zusammen mit der Neugestaltung lokaler politischer Gemeinschaften helfen können, die Demokratie als politisches System wiederaufzubauen und zu erneuern.

Kapitel 1

Die Neugestaltung lokaler Gemeinschaften

Der Wiederaufbau unserer Demokratien muss von unten beginnen. Er erfordert eine Veränderung der Weise, wie lokale Gemeinschaften auf Probleme und Missstände reagieren. Wirksam zu reagieren heißt in der Praxis ungefähr Folgendes: Unterschiedliche Vertreter:innen örtlicher Vereine und Organisationen treffen sich, um zu überlegen, wie sie mit ihrer oftmals sich immer weiter verschlechternden Situation umgehen können – Handelskammern, Kirchen, Ortsverbände oder einfach Bürger:innen, die sich aktiv beteiligen möchten. Sie versuchen, einen Plan zu erarbeiten, etwa um neue Formen der Beschäftigung zu finden, wenn ältere oder traditionelle Arbeitsverhältnisse wegfallen.

Derzeit reagieren viele Städte und Regionen nicht wirksam auf neue Herausforderungen. Ein klassisches Beispiel sind westliche Staaten, die erkannt haben, dass sie im Kampf gegen die globale Erwärmung aus dem Kohleabbau aussteigen müssen, beispielsweise in den Appalachen der USA oder in der brandenburgischen und sächsischen Lausitz. Dasselbe Problem stellt sich in den ehemaligen Industrieregionen der USA und Frankreichs, wo sowohl die Konkurrenz sich industrialisierender Länder als auch die Automatisierung der Arbeitssysteme die heimische Industrie zerstört haben. Diese Regionen haben jahrzehntelang unter Deindustrialisierung, einer neoliberalen Fiskalpolitik und politischer Vernachlässigung so schwer gelitten, dass ihnen heute die Ressourcen fehlen, um den aktuellen und künftigen Herausforderungen wirksam begegnen zu können.

Diesen Kommunen mangelt es nicht nur an finanziellen Mitteln und politischem Einfluss, sondern auch an Ressourcen, die manchmal noch schwerer zu beschaffen sind, weil sie nicht einfach von einem Teil der Gesellschaft auf einen anderen übertragen werden können, wie es die deutsche Bundesregierung im Lausitzer Revier versucht, wenn sie gewaltige Geldsummen in die Region leitet. Die Ressourcen und Fähigkeiten, die wir meinen, gehören zum Sozialkapital und zur Kultur.

Die Kohle-, Stahl- und Fertigungsindustrie hat nicht nur die Qualifikation und das Einkommen großer Teile der Bevölkerung geprägt, sondern auch die Kultur der Region, beispielsweise die Vorstellung davon, was es heißt, ein Arbeiter zu sein oder für die Familie zu sorgen. Mit der Deindustrialisierung haben diese Gemeinschaften deshalb nicht zuletzt auch einen Teil ihres Selbstwertgefühls und ihrer Selbstachtung eingebüßt – als Individuen, aber auch als Kollektiv.

Im Zuge des wirtschaftlichen Niedergangs haben diese Gemeinschaften zusammen mit ihrem Selbstwertgefühl auch die Zuversicht verloren, politisch etwas bewirken zu können. Politiker:innen haben globalen Freihandel und neoliberale Arbeitsmarktreformen gepredigt und versprochen, deren Segnungen würden als Trickle-down-Effekt letztlich allen Haushalten zugutekommen. Doch in der Lausitz oder im amerikanischen Rust Belt dauert der Niedergang jetzt schon so lange, dass die Menschen das Vertrauen in das politische System verloren haben und sich zunehmend als wehrlose Opfer einer anonymen Maschinerie fühlen. Wer kann, wandert in die Städte ab, und diejenigen, die bleiben, ziehen sich ins Private zurück.

Im Ergebnis büßt die lokale Gemeinschaft ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation und zur Entwicklung zukunftsweisender neuer Ideen ein. Sie verliert auch die Fähigkeit, ihre Abgeordneten wirksam zu beeinflussen. Damit kommt ein verhängnisvoller, sich selbst verstärkender Kreislauf in Gang: Die politische Wirkungslosigkeit der Gemeinschaft verstärkt die bereits vorhandene Erosion des lokalen politischen Gemeinwesens. Mehr und mehr kommt den Wähler:innen grundsätzlich das Verständnis für die Mechanismen des Wandels abhanden. Sie wissen nicht mehr, wie sie ihr Schicksal kollektiv in die eigenen Hände nehmen und etwas bewirken können. Dieses Dilemma, das für die genannten Kohlereviere typisch ist, wird sich zunehmend auch andernorts zeigen. Etwa auch beim Erdöl, beispielsweise in der Erdölindustrie der kanadischen Region Alberta. Der Rest Kanadas steht Ölpipelines zunehmend ablehnend gegenüber, teils aus Angst vor den Folgen für die Umwelt im Falle eines Lecks, teils aber auch aus dem Bewusstsein heraus, dass wir von der CO2-intensiven Energie wegkommen müssen. Gleichzeitig verfallen immer mehr Industriestandorte, denen die Konkurrenz aus den Schwellen- und Entwicklungsländern und die Automatisierung vor allem durch die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz zusetzen. Die Erosion lokaler Gemeinschaften hat tief greifende Auswirkungen auf das politische System unserer Demokratien, denen wir uns nun zuwenden.

*

Was wir als schwindendes Verständnis der Wähler:innen für die Mechanismen des Wandels beschrieben haben, ist Teil einer umfassenden Abkoppelung unseres Systems der repräsentativen Demokratie von den Bedürfnissen und Bestrebungen der breiten Bevölkerung. Moderne Demokratien brauchen, anders als die antike griechische Polis, repräsentative Institutionen, um funktionieren zu können. Diese Institutionen komplett durch direkte Demokratie zu ersetzen, ist keine Option. Aber damit Demokratie wirklich funktioniert, muss es eine stabile Verbindung zwischen diesen Institutionen und den Zielen und Anliegen der Bürgerschaft geben. Diese Verbindung kann allerdings leider verschleißen oder sogar reißen. Dafür gibt es verschiedene Gründe.