Das Zehn-Minuten-Projekt - Chiara Gamberale - E-Book

Das Zehn-Minuten-Projekt E-Book

Chiara Gamberale

0,0
8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eigentlich dachte Chiara, ihr Leben sei perfekt. Sie lebt mit ihrer Jugendliebe in einem Landhaus vor den Toren Roms und schreibt eine erfolgreiche Kolumne für ein Magazin. Doch so gut bisher alles lief, so heftig wird ihr plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen: Ihr Mann verlässt sie für eine Jüngere und ihre Kolumne wird gestrichen. Plötzlich steht die Vierunddreißigjährige mit leeren Händen da, zumal sie sich jetzt auch das Landhaus nicht mehr leisten kann, in dem sie geboren wurde. Chiara fühlt sich wie ein Schiff ohne Kompass auf dem Ozean. Mit dem Ratschlag ihrer Therapeutin kann sie deshalb zunächst nur wenig anfangen: Sie soll den ganzen Dezember hindurch zehn Minuten täglich etwas Neues probieren, etwas Kleines, das bisher nie in Frage kam oder das sie sich nicht getraut hat. Chiara beginnt mit der Idee zu experimentieren. Sie trägt fuchsiafarbenen Nagellack auf, backt Pancakes mit Nutella, obwohl sie normalerweise schon an Spaghetti scheitert, hört sich für zehn Minuten die Sorgen ihrer Mutter an, läuft rückwärts durch die Straßen, stiehlt Lippenstift im Supermarkt, schaut sich auf Youporn Videos an, ruft bei der Telefonseelsorge an, verkleidet sich als Weihnachtsmann oder gibt einem wildfremden Menschen einen Kuss. Und das Überraschende geschieht: Chiara beginnt die Trennung zu verschmerzen und das Leben wieder mit neuen Augen zu sehen. Sie entdeckt Möglichkeiten, von denen sie sich nie hätte träumen lassen, befreit sich aus festgefahrenen Gewohnheiten und von ihrem alten, selbstbezogenen Ich. Während ihr Mann wieder reumütig zu ihr zurück will, lässt Chiara ihr früheres Leben hinter sich. Sie nimmt den achtzehnjährigen Waisenjungen Ato aus Eritrea als Adoptivsohn bei sich auf und macht mit ihm und ihrem schwulen sizilianischen Freund Giampiero etwas, das früher undenkbar gewesen wäre: gemeinsam und ausgelassen Weihnachten feiern.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für Yab,

für sämtliche Minuten

seiner Zukunft

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.berlinverlag.de

Deutsch von Valerie Schneider

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Bloomsbury Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2015

ISBN 978-3-8270-7773-8

Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel Per dieci minuti

bei Feltrinelli Editore, Mailand

© 2013 Giangiacomo Feltrinelli Editore Milano

Für die deutsche Ausgabe

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München / Berlin 2015

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Datenkonvertierung: Greiner & Reichel, Köln

Seit jeher hatte ich in ein und demselben Landhaus vor den Toren Roms gelebt, erst mit meinen Eltern, dann mit einer Reihe von Mitbewohnern und schließlich mit dem Mann, der später Mein Ehemann werden sollte. Seit zehn Jahren war ich verheiratet. Seit acht Jahren hatte ich in einer Wochenzeitschrift eine Kolumne, »Sonntagsessen«, für die ich jeweils sieben Tage lang, von Sonntag bis Sonntag, bei einer stinknormalen oder auch völlig skurrilen Familie zu Mittag aß, um von ihr zu erzählen.

In weniger als einem Jahr geschah dann Folgendes: Mein Ehemann bestand darauf, dass wir in die Stadt zogen, ging nach dem Umzug für ein Masterstudium nach Dublin und teilte mir einen Tag vor seiner geplanten Rückkehr am Telefon mit, dass er nicht zurückkommen würde. Aber ja, es gehe ihm gut und ich solle mir keine Sorgen machen, falls ich eine Weile nichts von ihm hörte, im Gegenteil, er habe ja gerade herausgefunden, wie viel besser es ihm ohne mich ging; kurz und gut, er müsse sich Urlaub nehmen, von seiner Arbeit und von unserer Ehe. Um nachzudenken. Allein. In Irland.

Der Herausgeber der Zeitschrift war weniger einfühlsam und ersetzte meine Kolumne, ohne mir ein Wort davon zu sagen, mit dem Liebeskummerkasten einer gewissen Tania Melodia, moralische Siegerin der letzten Staffel von Big Brother.

Mein Vater, meine Mutter, mein Bruder und meine Freunde, die unbeirrt auf ihrem Posten blieben, während in mir und um mich herum alles zusammenbrach, wechselten sich in der ersten Zeit damit ab, bei mir zu schlafen, mich ins Kino oder in den Park, zur Karaoke, ins Fußballstadion oder in den Urlaub zu schleppen, und ertrugen die ewig langen Telefongespräche mit mir. Doch natürlich besaßen sie noch ein eigenes Leben, dem sie sich völlig zu Recht wieder zuwandten, wenn sie auflegten. Die Einzige, die kein Leben mehr hatte, war ich. Stattdessen war da bloß eine zerfaserte und verletzte Masse, mit dem Verlust als einziger Achse, um die sie sich drehen konnte.

Als der erste unerträgliche Schmerz nachließ, blieb noch nicht mal er, um mir ein wenig Gesellschaft zu leisten. Wenn ich ins Bett ging, war meine einzige Hoffnung vor dem Einschlafen der Gedanke, nicht wieder aufzuwachen. Die eine große Liebe, die mir zustand, hatte ich gehabt. Die besten Romane, die ich schreiben konnte, hatte ich geschrieben – zumindest würde ich mein tiefstes Inneres nicht noch einmal in ein Buch legen können, wenn ich nichts mehr erlebte, das mich wirklich berührte. Und das Haus meiner Kindheit hatte ich hinter mir gelassen und mit ihm jegliche Aussicht auf etwas Gutes in meinem Leben.

»Wenn es nichts mehr zu schreiben gibt, nichts mehr zu erleben, keine Familie mehr, die mir jede Woche zumindest die Illusion schenkt, meine eigene zu sein, was soll ich dann noch auf dieser Welt?«, fragte ich jeden Montag meine Therapeutin, Dr. T.

Bis sie mir schließlich am Ende einer Sitzung in ihrer eindringlichen und leicht mystischen Art einen Vorschlag hinwarf: »Haben Sie Lust auf ein Spiel?«

»…«

»Machen Sie ab jetzt einen Monat lang zehn Minuten am Tag etwas, das Sie noch nie gemacht haben.«

»Und was?«

»Irgendwas. Hauptsache, Sie haben es in Ihren fünfunddreißig Jahren noch nie gemacht.«

»Fast sechsunddreißig.«

»Okay, fast sechsunddreißig. Machen Sie jedenfalls irgendetwas Neues.«

»Einen Monat lang.«

»Ja.«

»Zehn Minuten lang.«

»Ja.«

»Aber … Meinen Sie wirklich, das bringt etwas?«

»Das hängt von Ihnen ab. Spiele sind was für ernsthafte Leute. Wenn Sie sich entschließen, damit anzufangen, dürfen Sie keinen einzigen Tag auslassen.«

»Und dann?«

»Wie dann?«

»Was kann ich dabei am Ende gewinnen? Kriege ich dann mein Leben zurück?«

»Darüber sprechen wir in einem Monat, Chiara. Bis dahin spielen Sie. Und nicht vergessen: Sie müssen vollen Einsatz zeigen und dürfen nicht schummeln. Auf Wiedersehen!«

»Wiedersehen.«

Ich hatte nichts zu verlieren. Genau das war ja mein Problem. Und somit war das jetzt die Gelegenheit, es auszuprobieren.

Das Zehn-Minuten-Projekt.

Montag, 3. Dezember

Sonnenaufgang 7:20 – Sonnenuntergang 16:40

Pinkfarbener Nagellack

Die Praxis von Dr. T. befindet sich im Zentrum Roms, nicht weit von dem Haus entfernt, in das Mein Ehemann und ich zweieinhalb Monate vor seinem Anruf aus Dublin gezogen waren.

Zwischen der Praxis und unserer Wohnung liegt der Schönheitssalon Isla, geführt von Cristina und Tiziana, den einzigen Menschen, die mir sofort vertraut geworden sind in einer Stadt, die mir immer leicht feindselig erschienen und die, seit Mein Ehemann mich verlassen hat, zu einer konstanten Bedrohung geworden ist.

Mein ganzes bisheriges Leben hatte ich in Vicarello verbracht, einem winzigen Ort eine Stunde von Rom entfernt, der schläfrig und gelangweilt an seinem kleinen See liegt. Dort habe ich viel durchlebt: Traurigkeit, Glück, einen Pagenschnitt, lange Haare, kurze Haare, Masern, schmutzige Knie, die Albträume einer Zehnjährigen, die schlimmen Geheimnisse einer Fünfzehnjährigen, die Enttäuschungen einer Zwanzigjährigen und die Verwunderung einer Fünfundzwanzigjährigen. Sämtliche Dummheiten der Zehn-, Fünfzehn-, Zwanzig- und Fünfundzwanzigjährigen habe ich begangen, während um mich herum meine Mutter kochte, mein Vater aus dem Haus ging und wiederkam, mein Bruder geboren wurde, eine Katze herumlief, dann ein Hund und noch ein Hund, ein Mitbewohner, noch ein Mitbewohner und noch einer, ich mich verliebt habe, meine Liebe erwidert wurde und dann wieder nicht, ich verlassen wurde und dann wieder nicht, ich angeödet war, schlecht gelaunt, gewollt, verloren, ein Trottel, eine Ehefrau.

Dabei jedoch stets und ständig behütet:

Vor der brutalen Wirklichkeit, behauptete ich.

Vor der Verantwortung, richtig erwachsen zu werden oder zumindest so einigermaßen, behaupteten die anderen. Solange du nur durch einen Gemüsegarten musst, um zu deinem Elternhaus zu kommen, ist alles bloß eine Farce, verstehst du das nicht?

Fest steht jedenfalls, dass ich niemals von dort weggegangen wäre, wenn die Elektrik nicht völlig marode gewesen wäre und mein Haus in Vicarello nicht mit seinem ganzen Selbst nach einer Sanierung geschrien hätte. Doch die brauche Zeit, erklärten die Handwerker, viel Zeit.

Warum mieten wir dann nicht einfach für ein paar Jahre eine Wohnung in Rom, verkaufen irgendwann das Haus in Vicarello und leisten uns was in der Stadt?, hatte Mein Ehemann gefragt. Das heißt, wenn du endlich eingesehen hast, dass es sich dort viel besser lebt, nämlich weit weg von Mama und Papa statt nur einen Tomatenwurf entfernt und endlich mittendrin statt außen vor (und sei es nur, weil ich, statt mit dem Auto zwei Stunden zur Kanzlei und wieder zurück zu brauchen, zu Fuß zur Arbeit könnte und du, die keinen Führerschein hat, nicht mehr dein halbes Leben im Zug verbringen müsstest).

Okay, hatte ich gesagt.

Wenn ich Vicarello ohnehin verlassen und ins Exil musste, war mir ein Ort so recht wie der andere, Hauptsache, Mein Ehemann war bei mir.

Doch nach nicht einmal drei Monaten sollte er mich alleinlassen in diesem verfluchten Haus, diesem verfluchten Viertel, dieser verfluchten Stadt.

Aber dass der Schönheitssalon Isla tatsächlich eine Insel ist in diesem römischen Lärm, der einem so sinnlos erscheinen kann, wenn man nicht mehr weiß, wer man ist, und dass Cristina und Tiziana nichts von der eilfertigen Freundlichkeit, dem netten, aber unpersönlichen Gebaren haben, zu dem einen das Arbeiten in dieser Gegend zwingt, habe ich sofort gemerkt.

Tiziana sieht immer vergnügt aus, auch wenn sie gerade ernst ist, sie hat große Augen und ein Gesicht, das ständig in Bewegung ist, wodurch sie wie eine lustige Comicheldin wirkt. Doch ohne dass man es merkt und gerade weil man es nicht merkt, erinnert sie einen auch an die ernsten Dinge des Lebens, an das Paradox des menschlichen Wesens, an Gott.

Cristina ist die Besitzerin des Schönheitssalons, sie hüllt sich oft in langes Schweigen. Ihr Blick ist dunkeläugig und intelligent, sie liebt es zu lesen und auf Tauchgang zu gehen, im Meer wie in sich selbst.

Sie ist es, die mir aufmacht, als ich dort klingele, kaum dass ich die Praxis meiner Therapeutin verlassen habe.

»Kannst du mich einschieben?«, frage ich.

»Wie viel Zeit brauchst du denn?«

»Nur zehn Minuten.«

Der Vorwurf, den ich von Cristina und Tiziana ständig zu hören bekomme, ist, dass ich mich nie zu einer radikalen Körperenthaarung oder einer exotischen Massage durchringen kann, kurz, zu etwas, das einer Kosmetikerin eine Sternstunde verschaffen könnte, eine Befriedigung, die darüber hinausgeht, der Kundin zum gewerkschaftlich festgelegten Minimum an Ansehnlichkeit verholfen zu haben.

»Okay, komm rein«, sagt Cristina.

Sobald ich ihr das Zehn-Minuten-Spiel erklärt habe, fangen ihre Augen gefährlich an zu leuchten. Sie macht sich daran, in einer Schublade zu wühlen, und holt schließlich ihre Sammlung an Nagellackfläschchen hervor.

Ich bekomme es mit der Angst zu tun.

Sie wählt einen pinkfarbenen Nagellack aus. Mit Glitzer.

Meine Angst wächst. »Aber nicht die Hände!«

»Oh doch«, erwidert sie. »Hände und Füße. Vielleicht brauchen wir ein bisschen länger als zehn Minuten, aber das macht doch nichts, oder? Zieh dir die Schuhe aus und setz dich.«

Ich ziehe mir die Schuhe aus und setze mich.

Der einzige Nagellackfarbton, den ich jemals für mich in Erwägung gezogen habe, ist Schwarz, und auch das nur unter Vorbehalt:

Weil du Bücher schreibst und deshalb nicht für ein flatterhaftes Ding gehalten werden möchtest, das Geschichtchen erzählt, um sich selbst zu verstehen, sondern dich als strenge und engagierte Intellektuelle ausweisen willst, die ernsthaft und blass auszusehen hat, haben Cristina und Tiziana immer gesagt.

Weil leuchtende Farben der so beängstigenden Wirklichkeit scheinbar die Erlaubnis erteilen, einfach so weiterzumachen wie bisher, habe ich immer gesagt.

Weil dein Vater als erstgeborenes Kind gern einen Jungen gehabt hätte und du ihn nicht auf ganzer Linie enttäuschen willst, sagte Mein Ehemann immer.

Cristina fängt an, mir eine transparente Grundierung auf die Zehennägel zu pinseln.

»Und was soll das bringen, dieses Zehn-Minuten-Spiel?«, will sie wissen.

»Weiß nicht, das hat mir meine Therapeutin nicht gesagt. Ich glaube, es soll vor allem mein Gehirn beschäftigen, die Leere in mir ausfüllen und Ordnung in die Verwirrung bringen, die an die Stelle meines Lebens getreten ist.«

»Leere und Verwirrung sind immer noch besser als dein Exmann.« Cristina ist nie eine glühende Anhängerin meiner Ehe gewesen. »Schon als du zum ersten Mal hier warst, mit ihm per SMS gestritten hast und nicht erklären konntest, worüber eigentlich, war mir klar, dass es zwischen euch nicht mehr lange halten würde.«

Ich habe noch nicht den Mut gefunden, Cristina zu gestehen, dass Mein Ehemann seit drei Monaten eine Wiederannäherung probiert, auf seine Art.

Sagen wir mal so: Er ist endlich aus Dublin zurück.

In Wirklichkeit war er nur drei Wochen dort. Dann begann Siobhan, die Dolmetscherin, die er bei seinem Master kennengelernt hat, ihn zu langweilen. Also flog er nach New York, ließ sich eine Zeit lang sanft zwischen Leben und Sterben treiben und crushte den Sommer über in einem Jazz-Club Eis für die Mojitos, bis der September kam. Da war der Urlaub zu Ende, er mietete ein Zimmer bei einem Kollegen und verwandelte sich zurück in den brillantesten Anwalt seiner Kanzlei.

Ein paar Tage darauf erblickte er im Gericht die Tochter eines Angeklagten, den er verteidigte. Sie hatte lange Zöpfe, Angst in den Augen und presste eine Plüschgiraffe an sich, als sei die das einzige Wesen auf der Welt, das ihr Vertrauen verdiente und ihr noch Hoffnung gab. Sein Herz begann wie verrückt zu schlagen, Schweiß rann ihm über die Schläfen, dann wurde alles um ihn herum dunkel und er kam auf dem Boden wieder zu sich, während sein Mandant ihm die Beine hochhielt: Er hatte eine Panikattacke erlitten.

Dieses Mädchen hatte ihn plötzlich an jemanden erinnert.

Und dieser Jemand war seine Frau.

Wir lernten uns kennen, als wir beide achtzehn Jahre alt waren, Mein Ehemann und ich.

Unser Gymnasium nahm damals an einem Projekt des Kultusministeriums teil, das in den Schulen die Anwesenheit eines Psychologen testete. Einmal im Monat mussten die Lehrer in jeder Klasse mindestens einen Schüler bestimmen, der ihrer Meinung nach psychologische Hilfe brauchte.

Wir zwei gehörten zur ersten Gruppe, die ausgewählt wurde.

»Und, warum bist du dabei?«, fragte er mich.

»Weil ich finde, dass ich zu viel esse, meine Eltern und die Lehrer aber überzeugt sind, dass ich überhaupt nichts esse. Und du?«

»Weil meine Mutter sich in ihre Kartenlegerin verliebt und mich und meinen Vater verlassen hat.«

»Oh, das tut mir leid.«

»Mir nicht, es ist mir total egal.«

»Und warum wurdest du dann ausgewählt?«

»Weil meine Lehrer glauben, dass es mir nicht total egal ist. Jedenfalls hast du verdammt lange Zöpfe.«

»Und du hast gelbe Augen.«

Da war es schon um uns geschehen.

Wir sind miteinander gewachsen: So dachten alle, und so dachten auch wir.

Doch in Wahrheit wächst man nicht einfach so oder durch pure Zauberei miteinander. Man muss dabei im Gegenteil sehr achtsam bleiben. Wenn einer von beiden auch nur um einen halben Bewusstseinsgrad schneller wächst als der andere und der ihm das, statt ihn einzuholen, übel nimmt und wegrennt – zum Beispiel nach New York –, ist es ganz schön schwer, wieder zueinanderzufinden.

Bereits einige Monate vor dem Anruf aus Dublin hatte unsere Liebe aus Enttäuschungen und Missverständnissen bestanden, und nach seiner Rückkehr ging das Ganze von vorne los. Während Mein Ehemann seine Sachen in unserer Wohnung in Kartons packt, beteuert er dieser Tage, dass er sich noch nie so eng mit mir verbunden gefühlt hat, und ich habe keine Ahnung, ob ich das als Liebeserklärung oder Krankheitssymptom auffassen soll.

»Du weißt doch selbst, dass es nicht mehr so weitergehen konnte«, insistiert Cristina, während sie den pinkfarbenen Nagellack in die Hand nimmt.

Gott, ist der grausam, denke ich.

»Der ist wirklich schick«, sagt sie.

»Ja klar, ich weiß. Aber jetzt fühle ich mich total verloren.«

Sie beginnt mit der rechten großen Zehe.

Hilfe!

»Jetzt hör mal auf mit dem Gejammer. Du schreibst doch endlich an deinem neuen Roman, oder? Konzentrier dich einfach darauf!«

Zweite Zehe. Dann die dritte und die vierte.

»Du hast recht, Cri. Aber auch da läuft es nicht glatt. Ich bekomme die Geschichte nicht richtig in den Griff. Es geht darin um zwei Frauen, die im Supermarkt beobachten, was die jeweils andere einkauft, und sich gegenseitig um ihr Leben beneiden: Die eine ist Schauspielerin, eine Vagabundin mit unstetem Liebesleben, voller Leidenschaft, jedoch ohne inneren Frieden, die andere eine Familienmutter, die diesen Frieden gefunden zu haben scheint. Nur dass der sie erstickt, statt ihr Sicherheit zu geben.«

»Gefällt mir.«

Jetzt die kleine Zehe. Sieh sie dir an, diese winzige und zugleich so rosafarbene Zehe – pinkfarben, um genau zu sein.

Igitt.

»Die Sache ist die, dass ich momentan zwar genau weiß, was die Vagabundin denken und fühlen könnte, aber keine richtige Ausdrucksform für die Gefühle Ericas, der Familienmutter, finde. Mir kommt es so vor, als würde an den Stellen, die von ihr erzählen, ein wichtiges Schlüsselwort fehlen, um sich in sie hineinversetzen zu können.«

Und weiter geht’s mit dem linken Fuß.

»Was ist denn ihr Problem?«

»Es ist nicht wirklich ein Problem … Es ist mehr so ein Gefühl. Kennst du das? Wenn dein Leben zwar dein eigenes zu sein scheint, nur ohne dich selbst?«

Und dann mit der rechten Hand.

»Ja klar. Wenn man sich fühlt wie in einem Vakuum. So nenne ich das immer.«

In. Einem. Vakuum. In einem Vakuum!

Ich fühle regelrecht, wie mir die Luft ausgeht und mein Körper anfängt zu schweben, ganz allein, in einer Art Plastiktüte. Und außerhalb der Tüte der Rest der Welt.

Könnte es sein, dass Erica sich so fühlt? Wäre das möglich?

Und weiter geht’s mit der linken Hand.

Die ersten zehn Minuten sind vergangen.

Meine Nägel, zwanzig an der Zahl, leuchten pinkfarben und schämen sich dafür.

Sie gefallen mir nicht. Vielleicht aber auch doch. Sie sind so wenig meine eigenen, doch bin ich mir im Moment selbst so gleichgültig, dass sie mir fast schon wieder sympathisch sind.

Immerhin hat Erica, dank dieser zehn Minuten, nun ein Schlüsselwort, mit dem ich Zugang zu ihrem Inneren finde.

Manchmal kommt es mir in letzter Zeit so vor, als wäre ich, wie soll ich sagen: in einem Vakuum.

Ein schöner Ausdruck, der zu ihr passt. Perfekt für einen Roman, der im Supermarkt spielt.

Sicher, ich habe ihn Cristina zu verdanken, nicht dem Spiel. Aber ohne das Zehn-Minuten-Projekt wäre ich heute nicht hierhergekommen.

Tja.

Na ja.

Es lohnt sich vielleicht doch weiterzumachen.

Dienstag, 4. Dezember

Sonnenaufgang 7:21 – Sonnenuntergang 16:39

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!