Dave, der Rebell - Glenn Stirling - E-Book

Dave, der Rebell E-Book

Glenn Stirling

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Beschreibung

Der heimatlose Tramp David Callaghan will sich seinen Dank für eine große, selbstlose und mutige Tat im Washington der siebziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts abholen. Doch ehe sich seine Pläne verwirklichen lassen, wird sein Gönner ermordet. Verdachtsmomente gegen eine ganz bestimmte Person werden von dem Kreis der Upper Ten verschleiert. Stattdessen wird David Callaghan verdächtigt und in einem durchschaubaren Theaterprozess zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Callaghan zieht als eine Nummer unter vielen unschuldig in das Zwangsarbeitslager ein. Alle seine Gedanken wegen dieser Schmach sind auf Flucht und Rache ausgerichtet.
Seine Flucht ist eine wahre Odyssee, seine Rache soll zu einem großen Gericht werden, mündet jedoch in der Erkenntnis, dass der Mensch Erbarmen haben solle mit jenen, die ihm übelwollten. Er hat Erbarmen mit Sarah Baker, die bereit ist, in Demut zu sühnen.

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Glenn Stirling

 

 

Dave, der Rebell

 

 

 

 

Western

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Steve Mayer mit einem Motiv von Hugo Kastner, 2022 

Korrektorat: Antje Ippensen 

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

14. Kapitel 

15. Kapitel 

16. Kapitel 

17. Kapitel 

18. Kapitel 

19. Kapitel 

20. Kapitel 

21. Kapitel 

22. Kapitel 

23. Kapitel 

24. Kapitel 

25. Kapitel 

26. Kapitel 

27. Kapitel 

28. Kapitel 

29. Kapitel 

30. Kapitel 

31. Kapitel 

32. Kapitel 

33. Kapitel 

34. Kapitel 

35. Kapitel 

36. Kapitel 

37. Kapitel 

38. Kapitel 

39. Kapitel 

40. Kapitel 

41. Kapitel 

42. Kapitel 

43. Kapitel 

44. Kapitel 

45. Kapitel 

46. Kapitel 

 

Das Buch

 

 

Der heimatlose Tramp David Callaghan will sich seinen Dank für eine große, selbstlose und mutige Tat im Washington der siebziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts abholen. Doch ehe sich seine Pläne verwirklichen lassen, wird sein Gönner ermordet. Verdachtsmomente gegen eine ganz bestimmte Person werden von dem Kreis der Upper Ten verschleiert. Stattdessen wird David Callaghan verdächtigt und in einem durchschaubaren Theaterprozess zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Callaghan zieht als eine Nummer unter vielen unschuldig in das Zwangsarbeitslager ein. Alle seine Gedanken wegen dieser Schmach sind auf Flucht und Rache ausgerichtet.

Seine Flucht ist eine wahre Odyssee, seine Rache soll zu einem großen Gericht werden, mündet jedoch in der Erkenntnis, dass der Mensch Erbarmen haben solle mit jenen, die ihm übelwollten. Er hat Erbarmen mit Sarah Baker, die bereit ist, in Demut zu sühnen.

 

 

***

 

 

1. Kapitel

 

Es war Abend, als er die Hauptstadt am Potomac erreichte. Das Pflaster der Straßen glänzte vom Regen, und über den Dächern lag leichter Nebeldunst. Da David Callaghan von Süden her in die Stadt kam, war das, was er jetzt sah, kein strahlendes Washington mit seinen Prunkbauten. Hier in der Südvorstadt gab es nur Fischerhütten, verrußte Räuchereien und Hühnerfutterfabriken. Der Geruch, der davon ausging, beleidigte Davids Nase.

Mürrisch stapfte er weiter, wich einem Betrunkenen aus, der seinen letzten Halt am Pfahl einer Laterne zu finden suchte, und starrte durch die Scheiben eines Speisehauses. Drinnen saßen Männer und Frauen an runden Tischen. Der gemütliche Schein flackernder Öllampen tauchte den Raum in mildes Licht. Da die Leute dort an den Tischen aßen, spürte auch er wieder seinen Hunger.

Er kramte in seinen Taschen herum, schien aber gar nicht enttäuscht zu sein, kein Geldstück zu finden. Seit Tagen war das schon so.

Er fror. Die feuchte Witterung bekam ihm nicht. Seine Augen brannten vor Müdigkeit und Erschöpfung.

Er zuckte zusammen, als er Hufschlag hörte, und trat vom Fenster weg in den Schatten. Dann erst spähte er die im Lampenschein glänzende Straße entlang. Es dauerte aber noch eine ganze Zeit, ehe der Reiter sichtbar wurde. Als David erkannte, wer es war, drückte er sich nur noch fester an die Wand.

Der Blauuniformierte trieb sein hochbeiniges Pferd dicht am Gehsteig entlang. Als Mann und Tier in den Schein der Karbidlampe gerieten, sah David das bärtige Gesicht des Konstablers, bemerkte dessen suchenden Blick und erkannte die langläufige Armeepistole am Gürtel. Scheppernd rasselte der Säbel, während das rhythmische Tapptapp der Hufe von den Häuserwänden widerhallte.

Der Konstabler ritt an David vorbei, ohne ihn zu bemerken. Nur sein Pferd warf unwillig den Kopf hoch, trippelte erschrocken, ging aber dann ruhig weiter. Der Reiter kümmerte sich gar nicht darum.

Als der Hufschlag verklungen war, stieß sich David von der Wand ab und ging langsam weiter. Bald lagen die Fischerhütten und Fischmehlfabriken hinter ihm. Er überquerte die Schiffbrücke auf dem Anacostia River, blieb lange auf ihrer Mitte stehen und ließ sich den Regen ins Gesicht wehen. Drüben auf der anderen Seite blitzten Hunderte von Lichtern, drüben am anderen Ufer lag sein Ziel.

Er tastete über seine Jackentasche, hörte das Knittern des Briefumschlages. Seufzend ließ er das Geländer los und stapfte weiter. Der Regen rann über die Krempe seines verwitterten Armeehutes, blieb in Perlen auf den Schultern der abgewetzten Lederjacke hängen, um dann wie flüssiges Silber in dünnen Fäden über geflickte Hosen bis zu geborstenen Stiefeln hinunterzurinnen. Stiefeln? Das waren sie einmal. Jetzt besaßen nur noch die Schäfte ihre alte Form. Die Sohlen hatte David mit dünnen Lederriemen ans Oberleder gebunden. Wasser patschte zwischen seinen Zehen. Jedes Gefühl hatten diese misshandelten Füße auf der langen Wanderung verloren. Doch sie gaben die Kälte an den übrigen Körper weiter.

Als er auf der anderen Seite des Anacostia stand, kam ihm jemand entgegen. David trat ihm in den Weg. Im Schein einer entfernten Laterne konnte er sehen, dass es ein alter Mann war. den er da traf.

»Ich suche die Pennsylvania Avenue«, sagte David unsicher. Er bemühte sich, ein sauberes Englisch zu sprechen.

Der Alte hörte trotzdem heraus, woher er kam. »Ah, ein Rebell, eh? Verdammt, ihr seid also noch immer da? Und dabei dachte ich, Grant hätte euch alle wieder zurückgetrieben in euer Paradies, wie?«

In David war eine tiefe Gleichgültigkeit. Das Gerede des Alten empörte ihn nicht, es konnte ihn nicht erregen. Er war einfach zu müde.

»Die Pennsylvania Avenue, wo ist sie?«, fragte er leise. In seiner Stimme schwang Ungeduld mit, als könne er nicht mehr lange warten, als habe er es eilig, zu seinem Ziel zu kommen.

Verwundert blickte der Alte in das bleiche Gesicht des jungen Menschen. »Hast du auch schon mitgekämpft? Haben sie auch solche jungen Burschen wie dich vor unsere Kanonen geworfen, heh?«

David gab ihm keine Antwort. Was sollte er auch antworten? Ihm lag nichts daran, mitten auf einer Straße in Washington – dazu bei Regen – diesem alten Patrioten zu erzählen, welche Schlachten er auf Seiten der Konföderierten erlebt und ertragen hatte. Das alles hatte er von sich gestoßen, wie Plunder abgetan. Es belastete ihn nicht, einer verlorenen Armee angehört zu haben. Er machte sich auch keine Gedanken über die politische Zukunft des Südens. Nein, er nicht, denn dazu dachte er nach alldem, was er erlebt hatte, viel zu egoistisch.

Missmutig wollte er den Alten stehenlassen und einfach weitergehen, aber der Alte packte ihn am Arm. »Du siehst verhungert aus, Sohn! Und …« Er blickte auf Davids Schuhe. »… und einen Weg hast du auch hinter dir. Willst du etwas essen, bevor ich dir die Pennsylvania Avenue zeige?«

Essen! Schon dieses Wort weckte in ihm die Illusion an das Gebrutzel saftiger Steaks, an den Geruch schmorender Zwiebeln, heißen Fettes und garen Fleisches.

Er leckte sich über die Lippen. Der Speichel rann ihm unter der Zunge zusammen. Essen!

»Scheinst es sehr nötig zu haben, mein Sohn«, bemerkte der Alte. »Komm, Junge, du sollst nicht hungern. Weißt du, ich hatte auch einen Burschen …« Er brach jäh ab und blickte zu Boden.

Erst jetzt gewann David etwas Interesse. »Fredericksburg?«, fragte er.

»Nein, er fiel bei Bull Run«, erwiderte der Alte, ohne David anzusehen. »Es sollen viele dort gefallen sein. Warst du dabei?«

»Ja, ich war dabei«, antwortete er, aber es lag keine Betonung in seinen Worten.

Der Alte hob den Kopf. Regenperlen hingen in seinem zerzausten Schnurrbart, glitzerten auf seiner zerfurchten Haut. »War es schlimm?«

David erinnerte sich nicht mehr so genau an Bull Run, den ersten großen Sieg über die Nordstaaten-Armee. Damals – wie lange lag das schon zurück? – Ja, damals hatten sie noch genügend Waffen, gute Kleidung und immer einen gefüllten Magen. David konnte sich nicht erinnern, dass es sehr schlimm gewesen war. Doch als er das Gesicht des Alten sah, die Trauer in den glänzenden Augen, da wollte er ihm nicht sagen, dass die Gegner wie Hasen gelaufen waren.

»Es war hart, und sie haben sich wie die Löwen gewehrt.«

Der Alte lächelte. Er seufzte, als fiele eine Last von ihm ab. »Nun komm, Sohn, du sollst essen!«

Der Gedanke, etwas in den Magen zu bekommen, machte das Vorhaben, sein Ziel so rasch wie möglich zu erreichen, zur Nebensache.

Sie gingen nebeneinander, der Alte und der junge Mann. David überragte seinen neuen Bekannten um mehr als Haupteslänge. Doch nicht er, sondern der Alte hatte den festeren Schritt. Bei David war es ein Schlurfen und Schieben, untermalt vom Patschen des Wassers in den Stiefeln.

Sie erreichten einige Handels und Lagerhäuser, blieben weiter auf der dunstigen Uferstraße und bogen später in eine schmale Gasse ein. Ein penetranter Geruch von Tran und ranzigem Fett schwängerte die Luft. In den Eingängen der Häuser standen im trüben Licht der Öllampen junge und auch ältere Mädchen. Irgendwo spielte jemand auf einer Geige. David kannte die Melodie, und er summte sie leise mit.

Eine der Frauen im Flur rief ihnen etwas zu, doch der Alte knurrte sie giftig an. David grinste nur, denn dieses Milieu war ihm nicht unbekannt. Aber es sagte ihm nichts, vielleicht kannte er es zu gut.

Das Haus des Alten lag an einer Querstraße. Auch die war nicht viel breiter als jene Gasse. Am Eingang des Holzhauses hingen zwei flackernde Öllampen, die einen milchigen Schein auf die zerstoßene, abgeblätterte Tür warfen.

Der Alte drückte die rostige Klinke nieder und stieß die Tür auf. »Nun komm, Sohn!«, murmelte er und ging voraus.

Durch einen Raum, in dem es nach Kartoffeln und Spülwasser roch, tapsten sie zu einer Tür. Der Alte stieß sie auf. Greller Lichtschein blendete David. So sah er zunächst nur die beiden Karbidlampen auf dem Tisch, die Strohblumen dazwischen, nicht aber die beiden Frauen.

Er spürte, wie ihn der Alte am Ärmel fasste und daran zog. »Komm herein. Es ist kein Palast, mein Haus, aber schön warm ist es drin.«

Verlegen blieb David in der Tür stehen. Das Wasser rann in kleinen Bächen aus seinen Stiefeln und bildete eine Lache um ihn herum. Er sah es, und es machte ihn noch befangener. Als er an sich hinunterblickte, wurde ihm auch sein verwahrlostes Aussehen bewusst.

Keiner sprach. Als David den Kopf hob, sah er die Frau, die ihn kühl, fast beleidigend und skeptisch musterte. Die dunklen Augen in einem faltigen gelblichen Gesicht sahen David feindlich an.

»Wir haben sicher noch einen Happen für ihn zu futtern, Muttchen? Er ist ein Texaner, und der Bursche stirbt fast vor Hunger, das siehst du doch, Muttchen!«

David sah, wie der welke Mund der Frau sich öffnete. Er sah die gelben Zähne, und dann hörte er, was sie sagte. »Er ist ein Rebell? Einer von denen, die unseren Bob …«

Der Alte hob abwehrend die Hände. »Muttchen, so darfst du nicht reden! Dieser Junge musste genauso seine Pflicht tun wie Bob und …«

»Ich füttere keine Rebellen!«, zischte die Frau und erhob sich.

David sah, wie sie sich auf einen Stock stützte und hinkend auf den Ofen zuging.

»Aber, Mummie! Du kannst ihn doch nicht einfach abweisen!«, sagte eine helle Stimme.

David sah nach rechts hin und bemerkte erst jetzt das Mädchen.

»Du mit deinen siebzehn Jahren kannst mir nicht sagen, was ich darf und was nicht, Mariella!«, tadelte die Mutter.

Sie stritten weiter. Der Alte mischte sich ein, aber David hörte nicht, was sie sagten. Er sah nur Mariella.

Sein Blick streifte ihr ebenholzfarbiges Haar, das im Lichtschein seidig glänzte, wanderte weiter über das ebenmäßige, schmale Gesicht mit den großen dunklen Augen, dem volllippigen Mund, in dem zwei Reihen herrlicher Zähne wie Perlen schimmerten. Weiter betrachtete David die Figur Mariellas. Jetzt, im Eifer des Streites, hoben und senkten sich die gereiften Brüste. Da Mariella über dem blauen Samtkleid ein schwarzes Mieder trug, wurde ihre vollendete Figur noch mehr hervorgehoben, die breiten Hüften, die enge Taille.

Ein fremder Hauch ging von dieser Erscheinung aus. David dachte zuerst an Mexikanerinnen, die er von seiner Heimat her kannte, doch das war es nicht. Auch der Name Mariella erschien ihm merkwürdig. Noch nie hatte er ihn gehört. Und gleichzeitig wusste er, dass er ihn nie wieder vergessen würde. Nie mehr!

Die plötzlich eintretende Stille riss David aus seinen Betrachtungen. Er spürte, wie sie ihn alle ansahen.

»Setz dich, Sohn!«, sagte der Alte und rückte ihm einen Stuhl hin. Gehorsam nahm David Platz.

Die Frau humpelte an ihm vorbei und verschwand in der Küche.

»Sie meint es nicht so«, flüsterte der Alte. Er betrachtete seinen Findling sehr aufmerksam und fragte: »Wie heißt du eigentlich, Sohn?«

David war schon wieder in Gedanken versunken, spürte eine aufkommende Müdigkeit, die er nicht mehr lange würde unterdrücken können, und starrte den Alten ziemlich entgeistert an, denn er hatte den Sinn der Frage gar nicht erfasst.

»Wie du heißt?«, wiederholte der Alte.

»David Callaghan«, murmelte David leise.

Trotzdem verstanden sie ihn. »Ein schöner Name, David Callaghan«, meinte das Mädchen Mariella.

Der Klang ihrer hellen Stimme schreckte David aus seinem Halbschlaf auf. Er blickte zu Mariella hinüber und sah das Lächeln um ihren roten Mund.

Der Alte stand auf und ging in die Küche, wo seine Frau mit Geschirr und Töpfen hantierte. Die Tür klappte hinter ihm zu.

Sie saßen sich gegenüber, aber sie schwiegen. Fasziniert starrte David in dieses dunkle Augenpaar. Vorstellungen wurden in ihm wach, doch er war einfach zu müde, um sie ganz auszudenken.

»Wie lange haben Sie schon nichts gegessen?«, fragte das Mädchen.

Er zögerte mit der Antwort. Fragte sie ihn aus Mitleid? Konnte er das Glitzern ihrer dunklen Augen anders deuten?

Es wurde ihm erspart, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, denn der Alte erschien mit zwei Schüsseln. »Nun wirst du gleich ordentlich futtern können, Sohn!«

Es waren aufgewärmte Bohnen mit Fischstücken. Ein derartiges Gericht hatte David noch nie gegessen. Doch es schmeckte ihm so gut, dass er sich ein Leben lang daran erinnern sollte.

In der zweiten Schüssel dampfte würzige Soße. Sie war süß und aus Reibekuchen hergestellt. Der Alte goss sie über Bohnen und Fisch hinweg, sodass sie wie eine dicke braune Decke den Berg in der Schüssel überzog.

David wusste nicht, dass diese Schüssel voll Bohnen und Fisch eigentlich am nächsten Tag einer dreiköpfigen Familie als Mittagessen vorbestimmt war. Mit einem Heißhunger aß er binnen kürzester Zeit die Schüssel leer, trank dazu drei Tassen Tee und streckte sich nach diesem ominösen Mahl behäbig auf dem Stuhl.

Die Welt hatte wieder ein rosiges Gesicht bekommen. Er fror nicht mehr, hatte etwas im Magen. Doch nun kroch eine bleierne Müdigkeit in ihm hoch, die ihm Mühe machte, die Augen aufzuhalten. Sehnsüchtig blickte er auf das abgewetzte, zerfranste Sofa in der Ecke.

Wortlos erhob sich Mariella und kam nach kurzer Zeit mit zwei Decken wieder.

Auch der Alte begriff wohl, dass er mit David nicht mehr viel reden konnte, und sagte väterlich: »Nun leg dich hin. Morgen früh kannst du dann immer noch in die Pennsylvania Avenue gehen. Hast du dort Freunde?«

»Nein, eigentlich nicht«, erwiderte David. »Es ist mehr eine Bekanntschaft, und ich habe auch einen Brief, den ich dort abgeben soll. Ich kenne die Leute nicht weiter.«

David empfand es wohltuend, dass ihn der Alte nicht nach der genauen Adresse fragte, sondern es dabei beließ.

Mariella wartete, bis David seine Stiefel heruntergezogen hatte. Sie sah, wie schmutzig seine zerschundenen Füße waren, und ging in die Küche, um ihm eine Schüssel Wasser zu holen. Ohne ein Wort stellte sie ihm die Schüssel hin, legte ein Handtuch daneben und nickte ihm freundlich zu.

Vater und Tochter wünschten ihm gute Nacht und gingen hinaus. Er war wieder allein wie all die Wochen, seit er die Heimat verließ. Jetzt mochte er nicht nachdenken oder gar Zukunftspläne schmieden. Es kostete ihn Überwindung, seine Füße zu waschen.

Als er damit fertig war, zog er sich die Lederjacke herunter, legte sich auf das Sofa und schlief augenblicklich ein. Die Decken lagen noch schön gefaltet auf dem Hocker. Die Karbidlampe ging nach einer Stunde allmählich aus.

 

 

2. Kapitel

 

Mit dem Morgen wichen die Wolken. Über der Stadt am Potomac strahlte eine wärmende Sonne, ließ die Dächer gülden glänzen und erfüllte die Menschen zwischen den Häusern mit guter Laune. Es war ein herrlicher Morgen, den David Callaghan verschlief. Dabei gab sich Mariellas Mutter die größte Mühe, ihn durch lautes Geschirrklappern zu wecken. Wie tot lag er auf dem Sofa und schien den Schlaf von vorhergegangenen Nächten seiner Wanderung mit einem Male nachzuholen.

Doch dann, als die Strahlen der Sonne bis zu den Fenstern des Eckhauses gelangten, als sie durch die kleinen Scheiben in Davids Gesicht schienen, da wurde er munter.

Er rieb sich die Augen, brauchte fast fünf Minuten, ehe er begriff, wo er sich befand und wie er hierhergekommen war. Er streckte sich noch einmal wohlig aus, gähnte herzhaft und stand auf.

Mit einiger Mühe gelang es ihm, die Stiefel über die verquollenen Füße zu ziehen. Und noch mehr Anstrengung kostete es ihn, die vom Regen steifen Riemen um Sohle und Oberleder straffer zu binden.

Nachdenklich sah er sich um, entdeckte auf dem Ofen eine Pfanne mit warmem Wasser. Mit grober Seife rieb er sich die Bartstoppeln ein und begann dann mit seinem Rasiermesser schlecht und recht abzukratzen, was sich abkratzen ließ. Dieses Messer war alt, hatte einige stumpfe Stellen und machte das Rasieren zur Qual. Immerhin half es, Davids Aussehen ein wenig manierlicher zu machen.

Mariella überraschte ihn bei dieser Prozedur.

»Hallo! Guten Morgen, Mr. Callaghan!«, rief sie.

Er drehte sich überrascht herum. Fast hätte er sich noch geschnitten. »Guten Morgen, Miss Mariella!«, grüßte er und lächelte. Die erkaltende Seife spannte sich über seine Haut wie eine zähe Masse.

Mariella trug heute ein rotes Cottonkleid, das ihren dunklen Teint noch mehr hervorhob. David verschlang sie förmlich mit seinen Blicken.

Sie spürte, was er dachte, und sagte: »Bitte, starren Sie mich nicht so an, Mr. Callaghan. Wenn wir auch in dieser Straße wohnen …« Sie vermied es, ihn anzusehen, und fuhr leiser fort: »Ich bin keine von denen!«

Er musterte sie überrascht, weil er überhaupt nicht an diese Umstände gedacht hatte. Aber wortkarg, wie er war, schwieg er. Sie deutete das falsch und sagte angriffslustig: »Mein Vater ist Laternenwärter, und diese Wohnung gehört der Stadt. Wir konnten nicht wählen, wo wir …«

»Miss Mariella, warum sagen Sie mir das alles?«, unterbrach er sie. »Warum reden Sie von solchen Dingen?«

Sie blickte ihn verwundert an. Begriff er denn nicht, wie sie dieses Milieu hasste, wie sehr sie die Frauen verachtete, die in dieser Straße Wand an Wand mit ihr wohnten?

Nein, er begriff nicht. Für ihn gab es hier keinen Schmutz, keinen Trangestank oder den Geruch aufdringlichen Parfüms. Für ihn war diese Straße eine Avenue des Lichts, eine Allee zum Schloss, in dem ein Engel residierte. Es war durchaus kein Zufall, dass dieser Engel Mariella aufs Haar glich.

Davids Eltern lebten nicht mehr. Seine Mutter starb bei Dorothys Geburt. Der Vater fiel bei Atlanta. Was aus Dorothy geworden war, hatte er nie erfahren. Niemand konnte ihm bei seiner Heimkehr aus dem Kriege sagen, wo sie geblieben war. Irgendwer hatte sie, den Säugling, angenommen. Das Einzige, was er von ihr wusste, war ihr Name.

David besaß niemanden auf dieser Welt. Dabei sehnte er sich nach etwas Liebe, mütterlicher Liebe. So sah er auch Mariella. Sie war ihm nur im Unterbewusstsein die begehrenswerte Frau, die eben erblühte Knospe. In seinen Gedanken sah er in ihr eine Freundin, eine liebende Frau, die ihn umsorgen könnte, wie gestern Abend mit dem warmen Wasser. Oder wie jetzt, da sie ihm Brot, dampfenden Kaffee und Speck auf den Tisch stellte.

»Mein Vater ist jetzt im Hafen. Er arbeitet dort etwas nebenbei und flickt Netze«, erzählte sie ihm, während sie emsig hantierte. »Meine Mutter probiert nebenan einer … einer Frau das Kleid an, das sie im Lohn geschneidert hat. Aber wenn es Ihnen Freude macht, leiste ich Ihnen etwas Gesellschaft. Ich esse aber nichts mit, denn wir haben schon vor einer Stunde gefrühstückt.« Als er aß, beobachtete sie ihn. Er kaute langsam, sorgfältig, als bedaure er es, einen Bissen hinunterschlucken zu müssen. Beim Trinken machte er kleine Schlucke, leckte sich danach stets über die Lippen und genoss jede Sekunde dieses Mahls.

»Wie alt sind Sie, Mr. Callaghan?«, fragte sie ungeniert.

Er sah zu ihr auf. Mechanisch antwortete er: »Vierundzwanzig, Miss Mariella.«

Sie lachte. »Wie Sie meinen Namen aussprechen. Zu komisch. Sie sind Texaner?«

Er nickte. »Ja, aus Abilene. Mein Vater war früher dort Capataz auf einer Ranch.«

»Capataz? Was ist das?«

»Ein Vormann. Er führt die Mannschaft an«, erklärte er und biss ins Brot. Während er kaute, ließ sie ihn in Ruhe, doch dann fragte sie weiter: »Und was machen Sie?«

»Nichts«, antwortete er lakonisch.

»Aber Sie haben doch sicher …«

»Ich habe etwas gelernt, wenn es das ist, was Sie wissen wollen. Und ich … Ach, reden wir nicht davon, nicht jetzt.«

Sie bemerkte einen Zug an ihm, der gar nicht zu ihm passte. Da war eine Reife, ein Wissen um die Dinge, die in seltsamem Kontrast zu seiner Jugend standen. Auf eine andere Art erschien er ihr naiv. Das deutete sie mehr aus dem weiblichen Instinkt heraus, denn definieren konnte sie nicht, was das war. Deshalb ahnte sie gar nicht, wie gut sie ihn einschätzte.

»Ich soll Ihnen noch etwas sagen, bevor Sie gehen, Mr. Callaghan: Wenn Sie wollen, können Sie heute Abend bei uns vorbeikommen. Vater hat noch ein Paar Schuhe. Vielleicht …« Sie unterbrach sich und senkte den Blick. Es war ihr peinlich, auf seine Armut hinzuweisen.

Doch er dachte realistisch. »Ich komme gern vorbei, und wenn er die Schuhe wirklich übrighat, könnte ich sie sehr gut gebrauchen.«

Sie sah ihn an, wollte etwas sagen, brachte aber nichts heraus. Da erhob er sich, streckte ihr seine massige Hand hin und sagte: »Vielen Dank für das Frühstück, für die Nacht und die Mahlzeit gestern. Ich werde mich bei Ihren Eltern noch bedanken. Wir sehen uns heute Abend wieder, Miss Mariella. Da werde …«

»Sagen Sie bitte nicht Miss Mariella. Sagen Sie entweder Miss Duncan oder nur Mariella!«, bat sie ihn.

Er machte eine tiefe Verbeugung, wie sie Mariella noch nie bei einem der hiesigen Männer gesehen hatte. Mit weitausholender Bewegung schwang er seinen Hut und stülpte ihn sich dann auf. Als er ging, sah sie, dass er O-Beine hatte.

Er glich einem Strolch, einem Tramp, aber etwas war in seinem Auftreten, das ihr großartig vorkam. Sie konnte ihn sich gut auf einem wilden Pferd vorstellen, wie er seinen Hut schwang wie eben. Und in ihrer Phantasie malte sie sich aus, wie er unten im heißen Süden die Sklaven beaufsichtigt hatte. Ob sie auch von ihm ausgepeitscht worden waren, wie man es den Südstaatlern nachsagte?

Sie nahm sich fest vor, ihn heute Abend danach zu fragen.

 

 

3. Kapitel

 

Das Haus der Bakers in der Pennsylvania Avenue gehörte zu den Prunkbauten, die das Washington kurz nach dem Bürgerkrieg kennzeichneten. Von diesem Washington sprach man, wenn von der strahlenden Hauptstadt am Potomac die Rede war, nicht aber von den Armenvierteln südlich des Anacostia Rivers oder an den Kais von Washington Channel.

Wer die Pennsylvania Avenue nach Nordwesten entlangsah, konnte die Kuppel des Kapitols erkennen. Der noch nicht fertiggestellte Neubau der Kongressbibliothek ragte etwas ins Bakersche Grundstück hinein. Aber die Pappeln, Buchen und Magnolienbäume des Baker-Parks verdeckten die Gerüste um die Baustelle. So hingen wie eh und je die weiten Äste der Bäume über die weiße Mauer hinaus, die den Park und die Rasenflächen der Baker-Villa umgab.

Von der Straße aus war die Villa nur zu sehen, wenn man sich an das schmiedeeiserne Tor stellte und durch das Gitter den langen Pflasterweg entlangblickte. Auf einer Erhebung stand der weiße Klotz eines Prunkbaues, umgeben von sorgsam geschnittenen Buchsbaumhecken und ausladenden Wacholderbüschen. Auf dem Dach der Villa wehte seit dem Bestehen des Hauses ständig die Flagge der Vereinigten Staaten. Über den Säulen des Portals stand in goldenen Lettern: ORA ET LABORA.

Das Tor war verschlossen. Doch rechts hing ein Zugseil für die Glocke. David betätigte es, und über ihm erklang das Gebimmel des Glöckchens.

Gespannt blickte er den Pflasterweg entlang und wartete darauf, dass jemand käme. Es kam auch jemand. Ein herkulischer Schwarzer in goldbesetzter Livree näherte sich würdigen Schrittes. Die Miene des Mannes, dessen Eltern vielleicht noch im afrikanischen Busch gelebt hatten, war derartig versnobt, herablassend und blasiert, dass es David in den Fingern juckte. Er mochte Schwarze nicht sonderlich, obgleich er sie keineswegs hasste oder verachtete. Niemand im Süden hatte das getan, bevor dieser Krieg zu Ende war.

Was ihn jetzt aufbrachte, war die Erinnerung an die blasierten Haussklaven auf den großen Ranches und Farmen. Für diese Burschen zählten nur die Herren. Alle anderen waren weißes Pack.

Der Blick, mit dem ihn der livrierte Diener musterte, drückte unmissverständlich aus, welcher Kategorie Mensch David – nach Meinung dieses Schwarzen – angehörte.

»Was willst du?«, fragte der Schwarze mit kellertiefer Bassstimme.

»Ich habe einen Brief für Mr. John Canfield Baker. Für ihn persönlich, verstehst du?«

»Gib her!«, knurrte der Riese.

David zog das zerknitterte Kuvert aus der Tasche, aber nicht, um es dem Schwarzen zu geben. »Ich gebe es ihm selbst. Mach auf hier!«

Der Schwarze runzelte die Brauen, blickte mit aller Verachtung, deren er fähig war, auf den zerlumpten Weißen herab, rümpfte die Nase, als ginge von David ein Pestilenzgestank aus, und brummte dann: »Mr. John Canfield Baker ist nicht für jedermann zu sprechen.« Nach dieser Erklärung drehte er sich würdevoll um und wollte gehen. Ziemlich unvermittelt blieb er wieder stehen, machte kehrt und kam zum Tor zurück.

Als sei ihm noch etwas eingefallen, beugte er sich zu David hinab und fragte leise: »Wer bist du?«

»David Callaghan.«

Sein Name war ein ›Sesam öffne dich‹ im wahren Sinne des Wortes. Die strenge Mimik des Schwarzen verwandelte sich in ein devotes Grinsen. »Verzeihen Sie, Mr. Callaghan, ich konnte nicht wissen, dass Sie … Ich werde sofort öffnen. Mr. Baker erwartet Sie seit Wochen.«

Er schloss hastig auf, öffnete das Tor so weit, als würde eine Kutsche des Weges kommen, und verbeugte sich knapp, als David an ihm vorbeischlurfte.

Trotz aller gespielter Freundlichkeit ließ der Schwarze den Gast durchaus seine Missbilligung anmerken, wie wenig Besucher dieser Art in einen derartigen Besitz gehörten.

David störte sich nicht daran. Als der Schwarze vor ihm ging, stapfte er auf zerschlissenen Schuhen hinter ihm her, stieg die Stufen zum Portal hinauf und ließ sich vom Diener die Tür aufdrücken.

Kühle Luft schlug ihm entgegen. Es roch dazu nach feuchtem Tabak, und David erinnerte sich, dass man auch in Texas die Motten in den Teppichen mit Tabakblättern bekämpft.

Der Schwarze bat David, er möchte sich etwas gedulden. Während der schwarze Riese hinter einer Doppeltür verschwand, betrachtete David gelangweilt die majestätisch dreinblickenden Gesichter der Porträts, die an den Wänden des Foyers hingen. Irgendwo schlug eine Uhr. David erschrak und blickte sich um. Die Stille beunruhigte ihn. Jedes Geräusch wirkte hier laut und auffallend. So wie eben die Uhr.

Plötzlich knarrte eine Tür. Lautlos kam der Schwarze über die Teppiche. Er deutete eine Verbeugung an und murmelte: »Mr. John Canfield Baker lässt bitten!« Gleichzeitig warf er einen missbilligenden Blick auf Davids schmutzige Schuhe.

David folgte dem Riesen durch die Doppeltür, gelangte dort in eine Bibliothek und von da aus in Bakers Arbeitszimmer.

Zwischen schweren Möbeln saß an einem gewaltigen Schreibtisch Mr. John Canfield Baker. Ein mächtiger Mann mit blassem Gesicht und buschigen Augenbrauen, unter denen zwei wasserhelle Augen auf David blickten. Baker mochte wohl an die fünfzig Jahre alt sein, aber er wirkte jünger, da er keinen Bart trug.

Langsam kam er hinter seinem Schreibtisch hervor, lächelte und streckte David die Hand hin.

David schlug ein und drückte sie fest.

»Du siehst schlecht aus, Dave«, stellte Baker fest. In seiner Stimme schwang eine offensichtliche Zuneigung mit. Betroffen blickte der schwarze Lakai auf das seltsame Paar.

»Du kannst gehen, Sam«, befahl Baker barsch.

Sam verbeugte sich und verschwand.

»Setz dich, Dave!«, sagte Baker, als Sam die Tür hinter sich geschlossen hatte.

David sah sich scheu nach dem plüschbezogenen Sessel um, setzte sich sehr zögernd und nur auf die äußerste Kante, als könne er mit seinen fleckigen Hosen den Stuhlbezug beschmutzen.

Baker ließ sich ebenfalls nieder und lehnte sich lächelnd zurück. »Ich freue mich, dass du gekommen bist, Dave«, erklärte er leise. »Und ich glaube, du bist gern gekommen, stimmt’s?«

David sah in die hellen Augen, musterte die hohe Stirn und stellte fest, dass Baker sehr gealtert war, seit er damals … Ja, damals! Die Vergangenheit stand vor ihm auf. Da waren die Bilder, die er zu gern verwischt hätte, an die er sich nur mit Widerwillen erinnerte, doch jetzt waren sie einfach nicht zu bannen.

Bakers Anblick beschwor alles wieder herauf.

Wie war es doch? Der Sumpf bei Brennersville, die Mücken, der flammendrote Abendhimmel, ferner Geschützdonner und im Sumpf das Brüllen verwundeter Soldaten. Krieg, Inferno, Wahnsinn und Schmutz. Abgrundtiefer Schmutz.

Zwischen hohem Schilf lag Baker. Seine Majorsuniform war zerrissen, sein rechter Oberschenkel blutete. Es sah schlimm aus, als David Callaghan ihn fand. Aber der blutjunge Gefreite aus Texas blickte nicht mit Hass auf den verwundeten Gegner. Er lud ihn sich aufs Pferd und schleppte ihn bis zum nächsten Verbandsplatz mit. Und dieser Verbandsplatz war bereits von Ersatztruppen besetzt. Um den Schwerverletzten zu retten, ging der texanische Gefreite das Risiko ein, in Gefangenschaft zu geraten. Er wurde gefangengenommen. Aber als Lohn seiner guten Tat tauschte man ihn einen Monat später aus. Damit begann der Krieg für David Callaghan von neuem.

Jetzt erinnerte er sich nur daran, wie er den Major der Artillerie Baker fand. Und er dachte an die Worte des Verletzten: »Sollte es dir einmal schlecht ergehen, Kamerad, dann wende dich an Patrick McIntosh. Er wird dir weiterhelfen. Patrick ist mein Freund, und man hat ihn zum Militär-Gouverneur von Westtexas vorgesehen.«

Damals schienen das Phrasen zu sein, denn noch war der Krieg nicht entschieden. Aber er wurde entschieden. Mit Shermans Truppen kam jener Patrick McIntosh von Georgia aus nach Texas. Und er wurde Militär-Gouverneur, wie es seine Oberkommandierenden seit Jahren im Voraus geplant hatten. Mit ihm begann für Westtexas eine schlimme Zeit, eine Zeit des Hungers, der bitteren Not.

Es dauerte Monate, ehe sich David Callaghan aufraffte, um bei Patrick McIntosh vorzusprechen. Wie Erwarten wurde er dort freundlich aufgenommen. McIntosh schrieb einen Brief und setzte David Callaghan in Marsch.

Der Ire McIntosh bot David Geld für die Reise an. Doch in David war noch so viel Stolz, dass er dieses Geld ablehnte. Denn McIntosh gab es nicht aus der eigenen Tasche. Er gab es aus dem Guthaben derer, die er enteignet und vertrieben hatte. Und dieses Geld wollte David nicht.

Er wollte Arbeit für einen gerechten Lohn. Nichts mehr. In Texas gab es weder Arbeit noch genügend Lohn. Vielleicht konnte John Canfield Baker helfen; vielleicht hatte er Arbeit für einen jungen Südstaatler, dessen Heimat aus verbrannter Erde bestand und der niemanden mehr auf dieser Welt besaß, den er liebte.

Etwas unsicher kramte er in seiner Jacke, zog den Brief heraus und reichte ihn zu Baker hinüber.

Baker lächelte noch immer. Irgendwie fand er das verträumte, versonnene Gesicht dieses jungen Burschen sympathisch. Es störte ihn wenig, dass David seine Frage nicht beantwortet hatte. Er spürte, dass David von Hemmungen behindert wurde. Wie er glaubte, lag das am Reichtum, der überall in diesem Haus zu bemerken war.

Tatsächlich wäre David am liebsten wieder gegangen. Er fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Selten war er sich so klein vorgekommen wie jetzt. Damals im Sumpf, da hatte er dergleichen nicht empfunden. Aber jetzt war alles anders. Jetzt saß dort drüben ein Mann, der zu den Reichen dieses Landes zählte. Und dessen Macht stand in einem veränderten Verhältnis zu der, die ein Major Baker einst hatte.

»Dave, hast du den Brief gelesen?«, fragte Baker jetzt.

»Nein, er war doch im Kuvert«, entgegnete David.

»Weißt du auch nicht, was drinsteht?«

David schüttelte den Kopf. Woher sollte er es wissen!? Als ihm McIntosh den Brief durch einen Schreiber aushändigen ließ, hätte das sein Todesurteil sein können; er hätte den Brief auch dann nicht geöffnet.

»Es steht da, dass du zwar ein sehr renitenter, stolzer Bursche bist, aber ansonsten nicht weiter gefährlich werden kannst. Dein Vater war Capataz auf einer Ranch? Stimmt das?«

David nickte nur.

»Du hättest keinerlei patriotische Hasskomplexe«, meinte Baker.

David verstand nicht. Er traute sich nicht zu fragen, was Hasskomplexe sind. Vermutlich wieder so ein Schlagwort der Yankees.

»Was kannst du, Dave? Mein Freund Pat schreibt hier, dass du ein guter Reiter bist, gut schießen kannst und zuletzt auf einer Ranch gearbeitet hättest? Ist das richtig?«

Wieder nickte David.

»Du hast lange gebraucht, Dave«, stellte Baker fest. »Der Brief, den McIntosh an mich schrieb, kam schon vor Wochen.« Er lachte ziemlich unvermittelt und sah David durchdringend an. »Dave, merkst du nicht, wie ich dich hochnehme?«

David wusste nicht, was Baker meinte. Er sah nur immer wieder das schmächtige Gesicht des Mannes vor sich und konnte die Vorstellung nicht verwischen, es sei ein blutverschmiertes Gesicht mit brennenden Augen. Das Gesicht, das er damals im Sumpf erblickte.

Baker erriet die Gedanken des jungen Menschen nicht. Aber er sah ihm die Verwirrung an, die ihn befangen machte. Dabei kam ihm auch die Idee, zuerst für das leibliche Wohl seines Gastes zu sorgen.

»Dave, ich glaube, wir reden hier dummes Zeug. Es ist eine Schande, dass ich noch nicht daran dachte. Sicher willst du ein Bad nehmen und dich umziehen. Danach werden wir zusammen frühstücken und …«

David konnte den Worten Bakers nicht folgen. Ein Bad nehmen? Wo sollte er das tun? In dem schmutzigen Anacostia River? Und umziehen! Er besaß keine Kleidung zum Wechseln.

»Komm, mein Junge, komm mit!«

Sie gingen hinaus. Dort wartete ein völlig veränderter Sam. Ein Sam, der sich wie eine Blindschleiche am Boden wand, als ihm Baker in die Augen sah. »Du machst ein Bad für Mr. Callaghan, legst ihm Sachen zurecht, die er nachher anziehen kann. Überlege dir, welche ihm passen könnten. Und schließlich sagst du in der Küche Bescheid, dass ein Frühstück mit Bordeaux hergerichtet wird.«

»Ein großes Frühstück?«, fragte Sam ungläubig. Seine Knopfaugen wurden immer größer, als Baker nickte. Als hätte er noch immer nicht richtig gehört, fragte er: »Für Sie und … und Mr. Callaghan?«

»Natürlich! Was gibt’s da noch zu fragen? Beeile dich, Sam!«

Kopfschüttelnd zog Sam davon. Da setzte sich doch sein Herr, ein als Colonel verabschiedeter Offizier, ein schwerreicher Mann dazu, dieser Gesellschaft eines Tramps aus – ja, eines Tramps. Anders konnte Sam den Gast nicht bezeichnen. Ein heruntergekommener Rebell aus dem Süden, wo die Schwarzen früher mit glühenden Stangen zur Arbeit getrieben wurden, wie es auch in Onkel Toms Hütte zu lesen war. Oh, wie er sie hasste, diese großspurigen Texaner, diese eingebildeten Affen. Dabei stanken sie auf drei Meilen gegen den Wind nach Rindvieh, wie dieser widerwärtige Tramp hier.

Sam war wohlerzogen. Seine Stellung im Hause der Bakers war mehr als ein Job. Das wusste Sam zu gut. Deshalb begnügte er sich damit, die Nase zu rümpfen, als er David die Benutzung einer Badewanne erklärte, die Kübel mit heißem und kaltem Wasser hinstellte und darauf wartete, bis sich David auszog, damit er die schmutzigen Sachen wegschaffen konnte.

David hatte keine Minderwertigkeitskomplexe. Die hatte er als Soldat restlos verloren. Lediglich seine schmutzigen Füße machten ihn befangen. Er konnte dem Schwarzen nicht gut erklären, dass er sie erst gestern Abend noch gewaschen hatte. Die zerfledderten Schuhe waren ja innen so verdreckt.

Sam nahm die Kleidung mit Fingerspitzen auf. Dann ging er wie ein Pfau hinaus.

Die nächsten sechzig Minuten gab sich David einem Traum hin. Noch nie hatte er es genossen, in einer Badewanne zu sitzen. Jetzt, da er diesem Genuss huldigte, wusste er, wie schön das sein konnte. Er planschte und spielte. Wie ein Junge tollte er im Wasser herum, spritzte an die getäfelten Wände, tauchte unter und gab sich diesem Bad genussvoll hin.

Sam klopfte mahnend an die Tür, als er es gar zu laut trieb. Betroffen mäßigte David seine Planscherei. Schließlich stieg er aus der Wanne, trocknete sich ab und betrachtete amüsiert die Schmutzränder an der Wanne. Gutgelaunt zog er sich die Sachen an, die Sam für ihn bereitgelegt hatte. Sie passten ihm einigermaßen. Sehr anspruchsvoll war er nicht.

Neben der Wanne befand sich ein Wandspiegel. Unter ihm stand ein Schränkchen, auf dem allerlei Flaschen und Puderdosen aufgereiht waren.

Interessiert öffnete David die Kapsel einer dieser Flaschen, roch daran, und als er den Geruch wunderbar fand, goss er sich etwas von dem Inhalt übers Haar.

Er schnupperte belustigt, öffnete noch eine andere Flasche und prüfte den Duft. Diesmal roch es nach Rosenblüte. Auch davon rieb er sich einige Tropfen ins Haar.

Er öffnete eine Porzellanschale, auf der in Goldbuchstaben stand: Elixier de beauté. Einen Duft konnte er nicht feststellen. Vielleicht war seine Nase auch durch das Parfüm irritiert. Um zu ergründen, was es sein könnte, leckte er daran. Es schmeckte nach Fett, und er spie angewidert aus.

Mehr Freude bereitete ihm eine Flasche mit Haarwasser. Sie war durch ein Schildchen in englischer Sprache etikettiert. Dem Rosen- und Veilchenduft wurde jetzt noch Birkenwasser hinzugefügt.

Nach dieser Prozedur kämmte sich David, zog einen schnurgeraden Scheitel und betrachtete sehr zufrieden sein Werk.

Als er das Badezimmer verließ, strömte er einen Duft aus wie ein wandelnder Parfümladen.

---ENDE DER LESEPROBE---