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Jelara, die zukünftige Königin, ist eine Mahnung des Schicksals: Geboren, um nach den blutigen Kriegen der Königreiche Frieden zu bringen, entfesselt sie mit zunehmender Gewalt der Menschen ihre nicht zu kontrollierende Kraft. Doch diese zieht oft auch Unschuldige in Mitleidenschaft. Die vierundzwanzigjährige Thronanwärterin verabscheut, was sie ist, und wird gnadenlos von fanatischen Jägern verfolgt, die nur eines im Sinn haben: ihren Tod, bevor sie bei ihrer Krönung Unsterblichkeit erlangt. Um sie zu beschützen, stellt ihr Vater ihr einen Prinzen aus dem benachbarten Königreich Bloodhall als Leibwächter zur Seite. Während dieser den Schein der Loyalität wahrt, verfolgt er insgeheim eine Prophezeiung, die Jelara endgültig zu Fall bringen soll. Sein Auftrag führt ihn in die tiefsten Abgründe der Hölle . Und was er aus dieser Finsternis mitbringt, versetzt selbst das Schicksal in Angst und Schrecken …
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Seitenzahl: 648
Veröffentlichungsjahr: 2025
Ella C. Schenk
Deadly Queen
Deadly Queen
© 2025 VAJONA Verlag GmbH
Lektorat: Sandy Brandt
Korrektorat: Dejana Fulurija und Susann Chemnitzer
Umschlaggestaltung: Stefanie Saw
Satz: VAJONA Verlag GmbH, Oelsnitz
VAJONA Verlag GmbH
Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3
08606 Oelsnitz
Teil der SCHÖCHE Verlagsgruppe GmbH
Mutig zu sein, bedeutet nicht, dass man keine Angst verspürt. Sondern, dass man trotz dieser Angst für seine Träume kämpft. Also tut genau das!
Hinweis
Deadly Queen ist ein Dark Fantasyroman und für reifere Leser*innen (18+) gedacht. Einige Szenen könnten Unbehagen auslösen. Dazu gehören der Tod von nahestehenden Personen, psychische und physische Gewalt, Drogenkonsum, häusliche Gewalt, Erpressung, toxische Beziehungen, Verlust des Lebenswillens, Mord, Suizidversuche, sexuelle Nötigung, Machtmissbrauch, Folter und absichtliche Selbstverletzung.
»Jeder Versuch die Deadly Queen zu töten und jede weitere kriegerische Handlung der Menschen beschleunigen nur die unkontrollierten Ausbrüche ihrer Macht. So lange, bis sie vollends die Apokalypse über uns lostreten wird, da sie sich nicht beherrschen kann. Die Menschen weigern sich, das endgültige Ende anzuerkennen, welches sie verkörpert. Ebenso wie wir. Deshalb bist du hier, Prinz Whiz, um dieses Schicksal abzuwenden, bevor sie am Tage ihrer Krönung ihre Unsterblichkeit erlangt. Erfülle deine Aufgabe zu unser aller Wohl. Wenn du versagst, werden wir untergehen.«
Ach was!
»Genug«, befehle ich. »Ich weiß, was auf dem Spiel steht, verfickt noch mal.«
Diese ständige Predigt geht mir dermaßen auf den Sack. Ich kenne sie besser als meinen eigenen Namen.
Diese verfluchten Worte, diese verfluchte Hohepriesterin mit ihrer bescheuerten Prophezeiung, dieses dumme Schicksal, das mich schon so lange verfolgt.
Ich verenge genervt die Lider. Elain verzieht daraufhin ihre roten Lippen. Nach einem kleinen Starrduell, welches ich natürlich gewinne, tritt sie endlich ein Stück von mir zurück, faltet ihre blassen Hände zum Gebet und senkt murmelnd den Kopf. Innerlich seufze ich. Ich hasse es, wie sie mich ständig ansieht – als wäre ich eine Mischung aus einem wandelnden Vorteil und einem schmackhaften Kuchen, den sie nicht essen sollte, weil ich ihr nicht bekommen werde. Ich bin weder ein charmanter Mann, noch einer, der sich lange an eine einzige Frau bindet.
Das weiß sie.
Desinteressiert wende ich den Blick ab, schaue wieder zu meinem Endgegner, in der Form eines dunklen Weihers. Kurz fröstelt es mich und ich ziehe die Schultern hoch.
Im Gegensatz zu dieser wollüstigen Hohepriesterin ist der Weiher eine andere Nummer.
Die Berghöhle unter dieser Insel birgt eine eigene, unnatürliche Art der Kälte. Von dem seltsamen Weiher mal abgesehen, den es schon gab, seit die ersten Menschen hier auf der Erde wandelten.
Dabei wissen wir nicht einmal, wozu er noch fähig ist, außer dass er ein Tor zur Hölle sein soll.
Ein erneuter Schauer läuft meinen Rücken hinab. Und scheiße verdammt, es könnte der Letzte sein. Jedenfalls in dieser Welt.
Der Tod wird mich heute holen. Aber ich sollte, nein werde, wieder auferstehen. Die Frage ist nur, was ich geben muss und was genau die sieben Pforten der Hölle von mir verlangen, um das zu bewerkstelligen.
Niemand weiß es.
Nicht einmal diese zerlumpten Ritualbücher der Priesterschaft, die Elain anführt. Selbst in ihrer Vision konnte sie nur einen Hauch dessen erfassen, was mich erwarten wird. Nämlich, dass ich als toter Mann in dieses magische Wasser eintauchen müsste und in der Hölle eine Waffe auf mich warten würde, mit der ich die Deadly Queen aufhalten könnte, ohne dass das Schicksal uns für ihren Tod bestrafen und das ganze Universum zerstören würde.
Mühsam unterdrücke ich den Drang, mir Daumen und Zeigefinger auf den Nasenrücken zu pressen, und frage mich gleichzeitig, ob mein Mut mit Dummheit gleichzusetzen ist.
Wahrscheinlich.
Elains Gebet verstummt. Sie hustet künstlich und scharrt mit den Sandalen über den Boden.
Dieser Laut fährt wie Klingen über meine Haut. Mich fröstelt es jetzt am ganzen Leib. Nicht nur wegen dieses Geräusches. Diese abnormale Eiseskälte des Berges dringt bis in meine Knochen. Aber ich verstehe die Unruhe des Gesteins und des Weihers. Wir verraten das Schicksal. Selbst das kleinste Staubkorn hier fühlt das. Wetten?
Ich balle meine Hände zu Fäusten.
Zuweilen lässt das Schicksal uns gewähren. Vermutlich will es sehen, wie weit ich komme.
Elain hört nicht auf zu zappeln. Ihre Nervenenden sind genauso zerrissen wie meine. Der Druck in mir wächst an, also öffne ich meine Handflächen. Goldene Schlieren vereinigen sich mit den ersten, dunklen Ausläufern des Weihers vor mir, die an der Oberfläche wabern.
Ein promptes, vorwurfsvolles Räuspern hallt durch die Berghöhle. Schon wieder. Es ist das achte Mal, seit wir hier unten sind.
Elain ignorierend, gehe ich auf das Mysterium zu, in das ich gleich eintauchen werde.
Sie folgt mir.
Was auch sonst.
»Vorsicht, Whiz«, flüstert sie und greift nach meinem Unterarm. Sofort kribbelt es auf meiner Haut und ich schüttle sie ab.
Das Wasser des Weihers ist von tiefen Schatten durchzogen, die sich wie dunkle, ölige Gemälde auf der Oberfläche abzeichnen. Ab und zu tauchen bunte Fäden auf, um gleich darauf wieder in diesem Gemisch zu versinken. Wunderschön. Aber auch seltsam. Was hat es damit nur auf sich?
Eine Schweißperle rinnt über meine spröden Lippen, die schon lange nicht mehr zu einem Lächeln fähig sind. Warum auch? Wenn ich versage und die Tore der Todsünden nicht durchschreite, war es das für mich.
Für uns alle.
Ein leises Knurren entfährt mir. Wie immer, wenn ich etwas als Bedrohung empfinde.
Und ja. Ich knurre oft.
»Na, na, na«, schimpft Elain und rückt wieder auf. Ihr Duft von viel zu reifen Kirschen umhüllt mich. Das Bittere zieht mich an, nicht die Süße. Ich knurre lauter, was sie aber nicht zu interessieren scheint. »Das genügt, Elain. Ich muss mich vorbereiten.«
Ich blicke zu der rothaarigen Frau, die mich stets herausfordert. Ihre gleichfarbigen Augen blitzen auf. Sie lächelt siegessicher.
Soll sie.
Ich kenne den Handel zwischen ihr und meinem Vater. Aber ich werde ihre Pläne durchkreuzen, sobald meine Mission erfüllt ist. Sie wird niemals meine Frau werden. Unser Volk braucht keine weitere korrupte Führungsperson. Wie Vater, der diese blutigen Schicksalskriege vor Jahrzehnten begonnen hat, wodurch eine Deadly Queen überhaupt in unsere Zeit geboren wurde.
Elain stimmt einen hohen Gesang an. Rauchschwaden locken mich näher zum Weiher. Ich folge ihnen die paar Schritte, bis meine nackten Zehen das Wasser berühren.
»Du kannst es abwenden. Das Schicksal wird dich gewähren lassen. Es sieht, dass wir uns bemühen. Die Kriege sind Vergangenheit.« Etwas raschelt. Prompt reicht mir Elain einen mit goldenen Ornamenten verzierten Dolch aus ihrem seidigen braunen Mantel. Sofort schneide ich mir in die Handfläche. Das Blut tropft in den Weiher, der aufschäumt und sich dann wieder beruhigt.
»Tu es. Ich warte hier auf dich«, sagt sie.
»Übertreib mal nicht. Das könnte dauern.«
Elain schnurrt wie eine Katze. Meine ständige Ablehnung reizt sie nur noch mehr. Als ihre Finger wieder nach mir greifen wollen, ramme ich mir den Dolch in die Brust.
Danke für den Ansporn.
Die Qual durchfährt mich intensiv. Sie pulsiert heftig und ich stürze wie in Zeitlupe nach vorn. Der Schmerz zerreißt mich von innen und gurgelnde Laute quellen aus meiner Kehle hervor, vermischt mit meinem Blut. Jeder Atemzug in Richtung des Weihers gleicht einer Hetzjagd.
Verfickt noch mal. Der Tod tut mehr weh, als ich dachte.
Trotzdem heiße ich ihn willkommen.
Denn ich werde mein Königreich, Bloodhall, retten. Koste es, was es wolle.
Ich schlage auf die Wasseroberfläche auf. Es fühlt sich an, als würde ich eine Eisschicht durchbrechen. Seltsamerweise verschwindet der Schmerz.
Farben schimmern in meinem Geist und ich sinke erschlafft nach unten. Der Dolch gleitet aus meiner Brust. Gut, dass noch einer an meinem Gürtel baumelt. Gewiss werde ich ihn noch benötigen.
Ich sinke wie ein Stein hinab. Und mit jedem Meter wird mein Herzschlag langsamer, die Gedanken träger und der Schmerz in der Brust kehrt zurück.
Soll ich jetzt einfach so ersaufen? So lausig wollte ich nicht abtreten.
Einen Augenblick später reißt mich etwas von hier fort.
Hände? Klauen? Seile?
Ich kann es nicht sagen. Noch ehe ich einen weiteren Gedanken fassen kann, kippt die Welt und ich lande auf allen vieren auf einer sturmumtosten Klippe. Der verhärtete Sand schneidet in meine Hände und durch die Lederhose in die Knie. Die Wunde am Brustkorb ist verschlossen, die Kälte weg. Aber mir ist schwindelig. Scheiße. Wo bin ich?
Ein blutroter Mond scheint auf mich und das aufbrausende Meer zu meiner Rechten hinab. Frauenkörper mit Flossen treiben über die Wasseroberfläche und rufen nach mir.
Whiz, Whiz, Whiz.
Kopfschüttelnd und heftig atmend widerstehe ich dem lockenden Ruf. Ich kenne Sirenen. Ich darf nicht hinhören, gar mich ihnen hingeben.
Immer wieder reibe ich mir die nun makellose Brust, dann die Schläfen.
Okay. So weit, so gut.
Jedenfalls bin ich nicht ertrunken.
Whiz: 1.
Schicksal: 0.
Ich verschaffe mir einen Überblick. Da verschwimmt die Sicht, und die Klippe bebt. Sofort sammle ich meine Magie um mich, bereit zuzuschlagen. Wenngleich ich niemanden sehe außer diesem Meer, steinigen, scharfkantigen Hügeln und diesem blutigen Mond mit dem grau-schwarzen Himmel. Keinen Wimpernschlag später erscheint direkt vor mir ein Tor aus ineinandergreifenden Knochen.
»Fuck!« Ich weiche zurück und lasse automatisch meine goldene Magie auf das Tor los. Es saugt sie auf.
Beruhige dich.
Heftig schluckend grabe ich meine Finger in die Handballen, um meine Magie nicht wieder sinnlos auszusenden.
Ist das der Zugang zum ersten Tor der Hölle? Dieses Knochengerüst? Der rote Mond leuchtet heller. Zugleich rinnen Blutstropfen die Knochen hinunter.
Sehr einladend, ja.
Ein Gackern wie das von einer alten Hexe übertönt den Gesang der Sirenen, und ich bin kurz davor, mir die Ohren zuzuhalten.
Da schwingt das Tor auf. Nur wenig lilafarbenes Sternenlicht erhellt dort hohe Türme, weitere Klippen und fliegende Häuser. Geflügelte, orangefarbene Wesen schlagen mit ihren ledrigen Flügeln aus und umkreisen diese schwebenden Behausungen. Die Tiere spucken Feuer.
Meine Kehle wird staubtrocken.
Sind hier etwa Drachen in der Hölle?
Die Sicht vor mir verschwimmt erneut und das Tor löst sich an den Enden auf.
Dann mal los.
Eilig trete ich hindurch und lande auf einem weiteren Felsvorsprung. Diesmal graben sich meine Zehen in roten, etwas zu heißen, aber weichen Sand. Das Tor hinter mir verschwindet, der Gesang der Meereswesen und die gackernde Hexe verstummen.
Ich puste eine Handvoll Luft aus und sehe wachsam um mich. Die fliegenden Tiere haben mich noch nicht entdeckt, und es gibt keine Straßen zu den Häusern.
Vorsichtig tappe ich nach vorn an den Felsrand. Unter mir ist nichts als eine dämmerige Leere, die, verdammt noch mal, ewig erscheint.
Mein Magen zieht in alle Richtungen.
Wirkt ein bisschen aussichtslos hier. Ich blicke wieder auf, fahre mir mit Daumen und Zeigefinger über mein bärtiges Kinn. Vielleicht könnte ich einen Drachen zu mir locken, aufspringen, um …
Ein Schwall pechschwarzer Magie kommt inmitten zweier Häuser direkt auf mich zu – besser gesagt Schatten, die sich zu einer männlichen Form bilden. Rasch ziehe ich den kleinen Dolch, weiche zurück und beuge die Knie in eine Kampfposition. Meine goldene Magie hebe ich an, um meinen Gegner, wenn nötig, zu vierteilen.
Das fängt ja gut an.
Noch bevor sich dieser Schatten vollends zu einer Gestalt manifestiert, lacht dieser. Er klingt menschlich und überheblich. »Ich habe bereits auf dich gewartet, Sonnenprinz. Willkommen in der Hölle.« Sein rauer Bariton geht mir durch Mark und Bein. Ich hebe den Dolch höher an.
»Und mit Verlaub – weg mit dem Spielzeug von Waffe und mindere deine Magie. Sonst haben wir ein Problem.«
Und das, was sich mit diesen Worten nun endgültig vor mir erhebt, lässt mich fast in die Hose pissen. Nicht gerade königlich für einen Prinzen, das weiß ich selbst.
Silver Princess
Der liebliche Klang eines fernen Windspiels durchzieht die spätsommerliche Nacht und vermischt sich mit den geflüsterten, schmutzigen Geheimnissen der Bewohner unter mir.
Kurz knicke ich ein, verliere das Gleichgewicht, dann stehe ich wieder fest auf dem Geländer meines goldenen Balkons, auf dem ich auf und ab tanze.
Wie ich diese Farbe hasse. Gold hier, Gold da. Dabei ist bei Weitem nicht alles Gold, was glänzt.
Geübter als ich es sein sollte, balanciere ich weiter und nehme den Anblick der prächtigen, mit spitzen Türmen umsäumten Stadt in mich auf. Friedlich liegt das Königreich da, erleuchtet von Fackeln, die flackerndes Licht in die dunklen Gassen unter mir werfen.
O Schicksal, ich könnte mich in diesen schlängelnden Feuerzungen verlieren. Sie bringen die Stadt so schön zum Funkeln. Ich dagegen bin ein ungeliebter Schatten, den niemand in seiner Nähe haben will.
Seufzend recke ich das Kinn und ignoriere den Stich in meiner Brust.
Der Vollmond steht hoch am Himmel.
Ein Klappern von Pferdehufe auf dem Kopfsteinpflaster hallt durch die Straßen und die Tiere wiehern viel zu inbrünstig für diese späte Zeit. Was in Schicksals Namen ist da unten los? Irritiert sehe ich hinab. So spät sollten sie nicht mehr durch die Stadt galoppieren.
Schnaubend rolle ich mit den Augen. Vieles sollte in diesem Königreich nicht passieren und tut es dennoch.
Ein südlicher, nach Salz duftender Wind kommt auf und aus der Ferne ist das leise Rauschen der weißen Wellen zu hören, die sich an den Ufermauern brechen. Eine schwarze Strähne verfängt sich in meinen Augen. Ich puste sie weg.
Ein »Hu, hu« erklingt rechts von mir. Neben mir auf der Balustrade sitzt plötzlich Ravva, Großvaters Eule, die mit ihren Augen gerne über das Reich wacht, nein richtet. Sie ist eine anmaßende, kaum zufriedenstellende kleine Lady. Als würde sie meine Gedanken lesen, dreht sie ihren Kopf zu mir.
Der Schalk in ihren Augen weicht prompt einem anderen Gefühl, welches ich noch mehr hasse, wie die Farbe Gold.
Ich wende den Blick ab, denn ihr Mitleid schmerzt mehr, als ich zugeben will. Und ich habe die Nase gestrichen voll von dieser Empfindung.
Einfach deswegen, weil ich damit nicht umgehen kann.
Ich streiche über die Narbe an meiner rechten Augenbraue, zucke kurz zusammen und verdränge die Erinnerungen, die aufleben wollen.
Schnell denke ich an morgen. Obwohl, das beruhigt mein Gemüt auch nicht.
Warum ausgerechnet dieser Prinz aus Bloodhall anreisen soll, um für mich den Leibwächter zu spielen, ist mir ein Rätsel.
Sollen doch neue Wachmänner von Vaters Goldstiefelarmee wieder auf mich achtgeben. Diese Speichellecker können genauso verhindern, dass ich versehentlich mit meiner Magie jemanden in den ewigen Schlaf schicke, wenn man erneut versucht, mich zu töten. Eine geschickte Schwerthand könnte den goldenen Schlieren, die der Prinz angeblich heraufbeschwört, sicher standhalten.
Blödsinn, Jel. Keiner der Soldaten konnte dich bisher gut beschützen. Das weißt du.
Kann sein, liebe Gedankenstimme. Trotzdem verstehe ich nicht, warum ausgerechnet der Prinz es tun muss. Unsere Königreiche können sich bekanntlich nicht ausstehen.
Oder ist das Ganze ein weiteres Friedensangebot nach den Schicksalskriegen, die sein Vater heraufbeschworen hat und durch die ich überhaupt geboren wurde?
Vielleicht auch eine wackelige Geste der Hoffnung? Ein Zeichen des Vertrauens, weil nur unsere und die königliche Blutlinie Bloodhalls Magie in sich tragen? Wollen sie so versuchen, das Schicksal gnädig zu stimmen, das sie einst so verärgerten?
Alles Unsinn. Sein Reich verachtet mich mehr als mein eigenes Volk. Versöhnung hin oder her. Und ich wurde doch bereits geboren! Mit dieser schrecklichen Magie des Todes und der endgültigen Vernichtung, die sich laut der Hohepriesterin ab dem Tag meines Geburtstags in zwei Monaten verstärken soll. An diesem Tag soll ich angeblich auch noch unsterblich werden. Wütend balle ich die Hände zu Fäusten. Das ist das Letzte, was ich will – unsterblich zu sein und gleichzeitig meine Magie noch weniger im Griff zu haben. Werde ich an meinem Geburtstag, an dem ich auch offiziell gekrönt werde, gleich das ganze Universum vernichten?
Fragen über Fragen, die mir einen Brechreiz bescheren. Meine Fingerspitzen kribbeln. Ich hebe die Hände an. Die silbrigen Perlen bleiben an meinen Fingerkuppen hängen – vorerst.
Tief durchatmend, betrachte ich das gestrickte Armband an meinem linken Handgelenk. Ein Geschenk meiner Schwestern Kairah und Petrah, als wir noch klein waren und uns nicht hassten. Kopfschüttelnd verdränge ich auch diese Erinnerungen.
Ich habe es wirklich drauf, mich in einem tristen Gedankenstrudel zu verlieren. Nicht drauf habe ich es, Lösungen zu finden, diese Magie in mir loszuwerden.
Meine Gedanken sind ein grauenhafter Ort, nicht wahr?
Ravva fliegt davon. Eine weiße Feder schwebt hinab und landet auf dem knorrigen Stuhl in der Ecke meines Balkons. Seufzend springe ich vom Geländer, greife nach der Stricknadel, die dort liegt, und stecke sie zusammen mit einem Dolch in den Gürtel an meinem Oberschenkel. Der dunkle Rock gleitet wieder über meine Beine, die Stiefel schnüre ich fester. Dann greife ich in die Manteltasche für meine Tarnung des Abends und ziehe sie unter den gehäkelten Eulen hervor. Die Maske erinnert mich nur zu gut daran, was ich bin – ein Monster, eine schwarze Seele, die verborgen bleiben muss. Vor allem, weil ich mich in die Höhle des Löwen wage: in die Tunnel der Jäger. Ein Ort ohne Reue und Mitgefühl, an dem mein Tod nur allzu oft geplant wird.
Narren.
Ich ziehe das Band der samtigen Maske über meiner Nasenpartie fest. Niemand darf mich erkennen.
Schließlich bin ich die Deadly Queen.
O Schicksal, wie ich diesen Namen verabscheue, den diese Schreckschraube von Hohepriesterin mir verpasst hat unmittelbar nach meiner Geburt, als sie in einer Vision sah, was ich bin.
Mir auf die Unterlippe beißend, betrete ich mein Zimmer, stakse über Kleider und zahlreiche Schundromane hinweg.
Murrend öffne ich die Schublade meines Nachtschränkchens und greife nach der kleinen Phiole. Bevor ich es mir anders überlege, trinke ich widerwillig die graue, magische Flüssigkeit, die Großvater mir zubereitet hat, um mein Aussehen zu verändern. Sie riecht wie immer nach Käsefüßen.
Aber was soll’s.
Mit angehaltenem Atem betrachte ich mich in dem ovalen Spiegel rechts von mir. Meine Pupillen sind nicht mehr schwarz wie sonst, sondern dunkelblau. Meine roten Lippen verlieren an Farbe und werden dünner und blasser. Die Sommersprossen auf meiner Nase sind verschwunden. Ich weiß es, auch wenn sie von meiner Tarnmaske bedeckt sind. Nur die Narbe über dem rechten Auge bleibt. Das tut sie ja immer.
Schnell wende ich den Blick von ihr ab. Ich will jetzt nicht an Vaters Gewaltausbrüche denken.
Ein stummer Befehl genügt und meine schwarzen Flügel breiten sich aus. Die dunklen Federn fegen Staubfussel, und den ein oder anderen Roman durch das Zimmer. Niesend positioniere ich mich wieder auf dem Geländer. Mit einem letzten Blick auf die funkelnden Lichter der Stadt stürze ich mich nach unten und bete dabei, dass die Wetterhexe heute eine bessere Antwort für mich bereithält. Auch brauchen die Kinder wieder Geld und ihre Medizin, was ich ihnen selbstredend zukommen lassen werde.
Und niemand darf mich dabei erwischen.
Ich stürze vom Himmel herab und lande sicher auf beiden Beinen im weißen Sand. Meine Augen tränen aufgrund der unerträglichen Helligkeit. Mit einem Schwung klappe ich meine Flügel ein und lasse sie verschwinden. Meine Wirbelsäule kribbelt und ich taumle kurz zurück. Das Gewicht der eingeklappten Flügel lässt mich immer kurz schwanken, ehe sie sich in Luft auflösen. Ich fächere mir mit den Händen Luft zu.
Die Hitze, die stets von dem Strand ausgeht, versiegt nicht mal nachts. Dennoch ziehe ich die Kapuze meines Mantels tief ins Gesicht. Mein Herzschlag beschleunigt sich und ich bleibe wachsam, sehe mich genau um, bevor ich losgehe. Die Schönheit dieser Szenerie entgeht mir dabei nicht – das sanfte Rauschen der Fluten, der Gesang der Sirenen auf den Klippen und das funkelnde, perlmuttfarbene Weiß des Meeres, welches durch die zahlreichen gleichfarbigen Algen entsteht. Schön, aber auch gefährlich. Denn dieser Abschnitt des Königreichs gehört den Gefallenen, den Abhängigen, die sich an den Drogen vom Markt laben und deren Illusionen verfallen.
Je näher ich dem Markt komme, desto lautere Schreie hallen mir entgegen. Meine Magie rumort in meinen Adern, weil sie spürt, dass andere Kräfte zugegen sind. Das kommt normalerweise nur in meiner Familie vor. Doch hier ist alles anders.
Hier hausen dunkle magische Flüche und Wesen, vor denen selbst der König, mein Vater, und seine verfluchte goldene Armee Respekt haben. Der einzige Grund, weshalb sie den Handelsmarkt nicht schließen. Angeblich existiert er seit Anbeginn der Zeit und niemand meiner Vorfahren hat es je gewagt, ihn zu betreten.
Da bin ich definitiv anderer Meinung.
Immer schneller nähere ich mich den mit Ledertüchern umspannten hohen Mauern. Nicht nur wegen der Medizin, die ich brauche, auch weil sich inmitten des Marktes der Zugang zu den Tunneln befindet. Jedenfalls einer davon. Aber es ist der Einzige, von dem ich gehört habe und den ich immer wieder benutze.
Ich betrete die unheilvolle Schwelle und werde sofort von einer innerlichen Unruhe erfüllt. Ein Krächzen und ein Flehen dringen an meine Ohren, jedoch nie laut genug, um Sätze zu erkennen, nur Fetzen. Überall tummeln sich seltsame Kreaturen, die keinen Menschen, sondern Fabelfiguren ähneln. Vor allem hier im ersten Bezirk und am Rande des Marktes. Aber ich muss zum Kern vordringen, zu den schlimmsten Gestalten: den Hexen.
Meine Finger zucken immer wieder zu dem Dolch und der Stricknadel an meinem Oberschenkel, besonders wenn diese entstellten Elfen mit funkelnden Augen und schimmernden Flügeln Angebote flüstern, und mir mit ihren langen Nägeln zu nahekommen. Schweiß sammelt sich in meinem Nacken, als mir eine mit ihren Flügeln über das Kinn streicht. »Du siehst aus, als könntest du etwas Spaß in deinen Träumen gebrauchen, Liebes. Ich verkaufe dir meine Tinktur zum halben Preis, wenn du mir eine deiner Haarlocken gibst, die du unter deiner Kapuze versteckst«, reizt mich eine Elfe mit blonden Zöpfen. Die Frisur ist lieblich. Wäre da nur nicht das Blut auf ihrem Leinenkleid, welches sie als kleines Monster enttarnt.
»Verschwinde.«
Da sie hartnäckig weiter vor meinem Gesicht herumschwirrt, zeige ich Zähne und lasse nur einen Bruchteil meiner Magie um mich herum frei, ohne etwas zu bewirken. Auf einer meiner Fingerspitzen bildet sich ein kleiner silberner Tropfen, den ich schnell wegwische, bevor sie ihn sieht. Aber sie spürt die Schwere, die Bedrohung, die ihre Instinkte aufschreien lässt, und stürzt davon.
Gut so. Da hier alle mehr oder weniger kleine Zauber wirken können, wird meine kurze magische Drohung hoffentlich nicht hinterfragt. Schließlich habe ich mich zurückgehalten und könnte, weiß das Schicksal was für ein abartiges Geschöpf hier unten sein. Dass aber die zukünftige Deadly Queen hier herumspaziert, davon gehen sie niemals aus. Wie der Großteil des Volkes glauben auch diese Wesen hier, dass ich mich stets in meinem Palast verkrieche.
Falsch gedacht.
Der Duft von exotischen Gewürzen und von viel zu betörendem Nektar erwartet mich in der nächsten Gasse. Verkäufer, teils Hirsch, teils Mann, bieten ihre Waren an, jedoch lehne ich erneut ab. Auch sie sind alle mit Giften und Drogen getränkt.
Ich trete in die folgende Abzweigung, mit den magischen Artefakten und den fleischfressenden, mannshohen Pflanzen. Sie umwinden poröse Knochen und Skelette, die an den Verkaufsständen hängen. Vermutlich waren es einst Menschen, die hierhergelockt wurden. Flott gehe ich weiter und ignoriere die Rufe der vermummten Verkäufer. Ihre kindlichen, unnatürlichen Stimmen tun mir in den Ohren weh.
Dann überschreite ich die nächste Schwelle – jene, die mir kurz den Atem raubt. Die Schwelle, die in den Hexenzirkel führt.
Eine absolute, grauenhafte Ruhe empfängt mich. Ich spanne mich an. Noch sehe ich niemanden. Mehrmals schluckend schreite ich die saubere Gasse entlang, die immerzu nach Pfingstrosen riecht. Der Sand ist makellos eben. Die an den Steinwänden angebrachten Flammenhalter spenden nur wenig Licht und Wärme. Vor dem größten und spitzesten Zelt bleibe ich stehen. Ich verzichte darauf, an diesem vorbeizusehen, wo sich der Friedhof und die Mausoleen der Hexen befinden. Einer der barbarischsten Orte im ganzen Königreich, so sagt man. Die Menschen, die dorthin verschleppt werden, höre man nachts um den Tod flehen.
Den Kloß in meiner Kehle ignoriere ich.
Ohne anzuklopfen, betrete ich das Zelt. »Morgana«, rufe ich und finde die Wetterhexe bei ihrem Werk mit ihren selbstgebastelten Puppen und Runen. Ich vermeide es, tief einzuatmen. Die zum Trocknen aufgehängte Menschenhaut vor dem Kamin stinkt wie die Pest.
Bah.
Die alte Hexe sieht von ihrem Schreibtisch in der rechten Ecke hoch. Ihr Nacken knirscht. »Du bist früh dran, Vögelchen.«
»Ich habe noch etwas vor.«
Morgana steht wortlos auf und schleppt sich über abgenagte Fingerknochen und wirre Haarbüschel zu ihrem Glasschrank am anderen Ende des Zeltes. Leise gackernd greift sie in den Schrank mit den zwei gelben Schlangen und fasst nach der Medizin, die ich brauche.
Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um einen Blick auf das schlagende Herz zu erhaschen, das die Schlangen immer wieder liebkosen. Manchmal glaube ich sogar, es schreien zu hören. Gruselig ist gar kein Ausdruck dafür, oder? Was es mit dem Organ auf sich hat? Die Hexe besitzt es, seit ich das erste Mal hier war.
»Erzähl mir ein Geheimnis, das sonst niemand kennt«, schnarrt sie und steht so schnell vor mir, dass uns nur mehr eine Handbreit trennt.
Das war zu erwarten. Die Hexe sieht aus wie eine hundertjährige Zwetschge, ist aber so schnell wie ein junges Wiesel. Ich zucke nicht einmal mit der Wimper. Hier darf ich keine Schwäche zeigen, wenn ich nicht in ihren Katakomben hinter dem Friedhof enden will. Nicht, dass sie mich wirklich festhalten könnte, aber trotzdem.
»Na los. Je schmutziger, desto wirkungsvoller ist die nächste Tinktur, Vögelchen.«
Mit verengten Lidern lege ich den Kopf schief. »Mein kleiner Finger juckt manchmal, wenn ich pinkle.«
Die ledrigen Falten in ihrem Gesicht werden noch tiefer – sie lächelt. Die Lichtreflexionen ihrer bunten Kugel inmitten des Zeltes reflektieren sich an der Schärfe ihrer spitzen Zähne. Sie sind genauso grau wie ihr langes, zotteliges Haar. Kurz schnappt sie nach mir.
Amateurin.
Auch meine Mundwinkel zucken. Denn ich bin das schlimmere Monster hier. Aber ich lasse sie in dem Glauben, dass ich nur eine gewöhnliche, kleine Handelshexe aus dem Untergrund bin.
Das Gekicher verstummt, sie kommt noch näher. Ihr verrotteter Atem steigt mir in die Nase. Sie riecht nach nasser Fäulnis.
Man sagt, sie könne die Pest selbst vom Himmel regnen lassen, sofern sie dem Markt hier entkommen würde. Doch zum Glück sind sie und die anderen Kreaturen durch einen Schutzzauber eingesperrt. Wer dies bewerkstelligt hat, weiß niemand.
Ich widerstehe dem Drang, meine Nase zu rümpfen, gar zurückzuweichen.
»Und jetzt etwas, das mich wirklich interessiert, Vögelchen. Dann erzähle ich dir vielleicht, was mir meine Hexenfreunde über ein Gift erzählt haben, das einem endgültig die Magie raubt. Das willst du doch so unbedingt wissen, oder?«
Und wie ich das will, denn mein Geburtstag steht bald vor der Tür. Und bis jetzt haben Großvater und ich noch nicht herausgefunden, wie man den tödlichen Zauber in mir aufhalten oder wenigstens abschwächen kann.
Ich räuspere mich. Hitze schießt mir in die Wangen. »Ich habe ein Muttermal in der Form einer Sonne auf meinem rechten Brustansatz. Es hat noch kein Mann je gesehen.«
Weil mich prinzipiell noch kein Mann nackt gesehen hat, gar geküsst.
Das behalte ich aber für mich. »Was ist das für ein Gift?« Meine Stimme zittert vor Nervosität, was die Hexe zappeln lässt vor perverser Freude. Morgana wirft den Kopf in den Nacken und schüttelt sich durch. Ihr mausgraues Haar schwingt umher. Es wirkt immer so, als würde sie meine Worte in sich aufsaugen und diese sie erregen. Ich verziehe die Lippen.
Morgana beruhigt sich wieder und streckt mir das gewünschte Heilmittel entgegen, was nicht mal Großvater zu brauen vermag.
»Zuerst die nächste Bezahlung, Vögelchen. Dann kriegst du deine Antwort.«
Sofort stecke ich die Tinktur ein.
Morgana ergreift meine Hand und rammt ihren scharfen Fingernagel in die Innenfläche, was ich zulasse. Sie nimmt das Blut in ihrem langen Fingernagel auf. Die zweite Art der Bezahlung. Schnell ziehe ich die Hand zurück. Ich hasse das. Aber es muss sein.
»Es gibt kein Gift, was einem die Magie raubt. Magie ist ein Geschenk des Schicksals. Man kann sie einem nicht nehmen.«
Ich fluche los. »Du dreiste …«
Sie hebt die Hand, unterbricht mich mit einem Schnippen. »Ich höre mich weiter um, versprochen.« Dann zwinkert sie. »Und ein kleiner Rat, Vögelchen.«
Nun hebe ich die Hand. »Na sag schon, bevor ich endgültig die Geduld verliere und eine deiner gruseligen Puppen zertrete.«
Wut fegt durch meine Venen. Großvater und ich haben schon alle Bibliotheken in Aurrummar abgeklappert und nichts gefunden. Wenn das so weitergeht, muss ich in Elains einbrechen.
Unbeeindruckt von meiner Drohung, legt sie den Kopf schief. »Pass heute auf in den Tunneln. Der Jäger ist vor Ort. Und wir wissen ja, wie sehr er … unseresgleichen verabscheut.«
Fast verschlucke ich mich an meinem eigenen Speichel. Der Jäger, der magisch begabte Wesen hasst und sie nur zu gern jagt.
In dem winzigen Zelt hallen ihre Worte wider wie ein Echo. Besser gesagt, eine Warnung. Und ich erkenne eine, wenn man sie mir zuträgt.
Murrend neige ich mein Haupt. »Danke für diese Information. Ich werde mich von ihm fernhalten.« Zügig gehe ich zum Ausgang.
»Das solltest du. Und doch wirst du es nicht …«
Verwirrt wirble ich herum.
»… können«, schließt sie diesen Satz. »Verschwinde jetzt. Und ich freue mich auf dein nächstes Geheimnis. Ich weiß, du hast so, so viele. Ich schmecke sie. Schmecke, schmecke, schmecke sie, wie dein kochendes Blut.« Ihre Schlangen zischen und werden so unruhig, dass der Glasschrank bebt. Rasch verschwinde ich nach draußen und reibe mir kurz die Schläfen unter der Maske. Ich hasse diese Viecher. Aber nicht deswegen breiten sich zunehmend Kopfschmerzen aus. Sondern wegen des Jägers, der sich seit gut einem halben Jahr als Anführer der Untergrundtunnel aufspielt. Glaubt man den Gerüchten, ist er der zurzeit skrupelloseste und gefährlichste Rebell in unserem Königreich. Seine Anhänger scharen sich um ihn, seit er mit seinem engsten Kreis eine Legion von Vaters Goldstiefelarmee ausgelöscht hat. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen drehe ich mich erneut dem Zelteingang zu. »Du irrst dich, alte Schachtel. Der Bastard kriegt mich nie in die Finger.«
Ihr Gackern dröhnt verächtlich bis in meine Brust, die sich schnell hebt und senkt. Ich hebe den Mittelfinger. Und wenn sie das nächste Mal keine befriedigende Antwort auf die Frage nach einem Gift hat, ramme ich ihn ihr in den Hals. Ich kann ja sonst niemanden fragen, der sich mit schwarzer Magie auskennt.
Nach drei weiteren von koboldartigen Kreaturen wimmelnden Gassen finde ich mich endlich vor der verfallenen Treppe wieder, die in die Untergrundtunnel führt.
Ich mache den ersten Schritt, da …
»Geh zur Seite, Schlampe!«
Ich werde unsanft weggestoßen und pralle mit der rechten Schulter gegen das spitze Gestein des Torbogens. Der Stich geht bis zu meinen Fingern.
Sofort springe ich herum. »Mach das nie wieder, du Arschloch!« Meine Worte sind schneller als mein Verstand.
Der massige Mann, der bereits die erste Stufe erklommen hat, dreht sich um und zieht blitzschnell einen kleinen Dolch unter seinem schwarzen Umhang hervor. Seine mattgrauen Augen blitzen auf. »So dreckige Worte aus diesem hübschen Mund, ja? Dieser Ort da unten ist nichts für vorlaute Frauen wie dich.« Er leckt sich über die Lippen und ich hebe das Kinn. Was für ein Wichser.
»Allein mit diesen Hüften könntest du da unten Ärger bekommen.« Seine freie Hand gräbt sich blitzschnell in meinen Hintern, schneller als ich Luft holen kann. Ich will sie wegschlagen, als er mir die Dolchklinge bedrohlich an den Hals hält, ohne die Haut zu durchdringen.
Ich erstarre. Ein bitterer Geschmack steigt mir in die Kehle, doch ich behalte meine hochmütige Miene bei. So eine Sorte von Mann braucht nicht zu denken, dass er mich in die Knie zwingen kann.
Um ihn weiter zu provozieren, hebe ich die Augenbrauen. »Ach? Es tut mir leid, wenn ich auf dich unbeholfen wirke, aber das bin ich gewiss nicht. Hinreißendes Becken hin oder her.« Ich bewege meinen Kopf einen winzigen Millimeter, und sofort rinnt mir warmes Blut in den Ausschnitt. Der Mann legt den Kopf schief, sodass ihm die schmutzigen roten Haare noch tiefer ins Gesicht fallen. Seine Pupillen weiten sich und er leckt sich wieder über die Lippen. Innerlich verkrampfe ich mich vor Ekel.
Das erregt ihn!
Schon knetet er meinen Hintern fester.
Schnaubend weiche ich so abrupt zurück, dass mein Hinterkopf gegen die Wand schlägt. Ein reißender Schmerz schießt meine Wirbelsäule entlang. Völlig egal. Schmerz zu zeigen, ist eine Schwäche, die ich längst abgelegt habe.
Aber ich ertrage es nicht, als Objekt degradiert zu werden, nur weil ich Brüste habe! Was für ein Mistkerl. Ich hole Luft, um ihn zu beschimpfen, da liegt die Waffe schon wieder an meinem Hals.
Meine Güte!
»Vielleicht sollte ich einen Kuss des Glücks von dir erzwingen?«, flüstert er, und zwei weitere ankommende Männer in dunklen Lumpen fallen in sein hohles Gelächter mit ein. Wutentbrannt werfe ich ihnen allen einen zornigen Blick zu, den sie gnadenlos erwidern. Als sie ihre Laternen höher heben, um mich und diesen widerlichen Kerl eingehender zu betrachten, reicht es mir. Seine Berührungen, genauso wie diese lüsternen Blicke, brennen wie Säure auf meiner Haut.
Ich könnte ihn mit meiner Magie sofort quälen und dann töten. Aber alle würden es bemerken, wenn ich jemanden umbringe. Und sie würden mich nur noch mehr für ein Monster halten, das ich nie sein wollte.
Aber die andere Art meiner Magie, die geheime, von der nur Großvater und meine Schwestern wissen, setze ich trotzdem ein. Lächelnd öffne ich die Lippen einen Spaltbreit. Mein Rückgrat kribbelt sofort und meine Nackenhaare stellen sich auf. Ein Lichtregen explodiert hinter meinen Augen und das Sirenengift breitet sich bis in meine Iriden aus.
»Es wäre mir eine Ehre«, säusele ich, während ich versuche, seinen glasigen Blick einzufangen. Und ich weiß, in dem Moment verschwindet das verzauberte Blau meiner Pupillen und er versinkt in der Schwärze, die sich wie ein giftiges Spinnennetz durch seine Gefäße ausbreitet. Sein Wille und die Arroganz zerbröckeln. Speichel läuft aus seinem Mundwinkel, er lässt den Dolch von meinem Hals fallen, der klirrend auf den Boden trifft. Als sein gerötetes Gesicht näherkommt, blinzle ich mehrmals und befreie ihn von meiner Sirenengabe, die mir schon oft das Leben gerettet hat. Leider kann ich sie nur auf eine Person konzentriert anwenden. Verwirrt runzelt der rothaarige Hüne die Stirn. Bevor er einen weiteren Gedanken fassen kann, ducke ich mich, ergattere seinen Dolch und drehe mich um ihn herum. Ich bin schnell. Deshalb überrascht es mich nicht, dass nicht nur er, sondern auch die Schaulustigen um uns herum nach Luft schnappen, als ich nun die Waffe von hinten an seinen Hals lege. Eine unerwünschte Aufmerksamkeit, die ich rasch beenden werde. Die Männer mit den Laternen fliehen die Treppen hinab.
Feiglinge.
Weitere ankommende, vermummte Gestalten halten Abstand. Ich stelle mich auf meine Zehenspitzen.
»Es wäre mir eine Ehre …«, flüstere ich und nehme die Worte von vorhin wieder auf. »Dir meinen Dolch in deinen dummen Schädel zu rammen, solltest du mich oder andere Frauen noch einmal ungewollt belästigen. Verstanden?« Mit dieser Drohung verpasse ich ihm an seinem rechten Unterarm eine Wunde. Brüllend dreht er sich um, doch ich habe die Waffe bereits fallen gelassen, und verschwinde hinab in die Tunnel.
Die beklemmende Enge der düsteren unterirdischen Wege lastet schwer auf meinen Schultern. Die Rechte pocht übrigens immer noch.
Dank diesem elendigen Mistkerl.
Flüchtig schaue ich zurück. Zuerst hatte ich Sorge, er würde mich verfolgen. Aber er hat wohl noch genügend intakte Gehirnzellen, die ihm das ausgeredet haben. Denn ich bin keineswegs wehrlos. Trotzdem habe ich keine Lust, ihm wieder zu begegnen. Eine Sensation für heute Abend reicht und ich will schleunigst zu den Mädchen. Staub rieselt von der Decke. Mit jeder Kutsche, die über diese Tunnel durch die Gassen des Königreichs fährt, rumpelt der Stein ein wenig mehr. Der Geruch von abgestandener Luft, Rauch und Schweiß ist derart präsent, dass ich versuche, durch den Mund zu atmen. Das Licht spärlicher Fackeln wirft unheimliche Schatten an die Wände. Jeder meiner Schritte hallt in den Gängen wider und erzeugt ein unangenehmes Echo. Es mischt sich mit dem Keuchen der wenigen Gestalten, die sich durch die Gänge wagen. Heute werden mir nicht viele begegnen. Schon gar nicht, wenn der Jäger sich offiziell zeigt. Gerüchten zufolge gibt es dann immer einen Kampf in der Arena.
Ein kalter, aber euch neugieriger Schauer läuft über meinen angespannten Körper. Wie so ein Mann kämpft? Bestimmt ohne Gnade.
An den kahlen Wänden befinden sich mehrere Zugänge zu primitiven Behausungen, provisorischen Unterkünften, die kaum Privatsphäre bieten. Aber allemal besser, als in den Kerkern des Königs.
Ein männlicher Schrei ertönt, gefolgt von Jubelrufen. Automatisch bleibe ich stehen. Die Kämpfe haben begonnen und ich komme ihnen immer näher.
Flink ziehe ich Kapuze und Maske noch tiefer ins Gesicht und gehe weiter.
Mein Herz klopft wie wild in meiner Brust, als ich an Glori und Lia denke, die seit Monaten hier ausharren müssen – meinetwegen. Die Angst um sie liegt wie eine eisige Kralle um meine Kehle. Es war dumm von mir gewesen, diese verwahrlosten, ausgesetzten Kinder aus der Gosse ausgerechnet mit in den Palast zu nehmen. Mitleid ist ein Nachteil, den ich nicht unterdrücken kann, obwohl ich das Gefühl so hasse, wenn es mir gilt.
Und jetzt müssen sie leiden, weil Vater sie in meinem Zimmer gefunden hat. Es blieb kaum Zeit, die kranken Mädchen wegzubringen. Er wollte sie töten lassen – wie alles, was mir etwas bedeutet.
So wie ich ihm Mutter genommen habe, die ihm alles bedeutet hat.
Als hätte ich gewollt, dass sie bei meiner Geburt stirbt, verdammt.
Meine Haut glüht vor Hitze.
Ich bleibe vor der verwitterten, grünen Holztür stehen. Dreimal klopfe ich, versuche mich zu sammeln.
Niemand öffnet.
Ich klopfe heftiger, immer wieder, aber es kommt keine Antwort. Warum wackelt die Tür heute so? Zweifel beschleichen mich, während ich meinen Blick über den schäbigen Gang gleiten lasse. Dann passiert es – ein Quietschen, die Tür öffnet sich langsam. Erleichtert betrete ich die dürftige Behausung, bereit, meine kleinen Mädchen in die Arme zu schließen. Sie sind schneller. Vier viel zu schwache Ärmchen schlingen sich um meinen Bauch. Ich seufze auf. Glori und Lia sind hier und in Sicherheit vor ihm. Jedenfalls werden Vater und seine Goldstiefel sie hier unten nicht finden.
»Na, ihr beiden?«
Jelara, Jelara, Jelara.
Sie flüstern meinen Namen.
Ich sinke vor ihnen auf die Knie, um sie mir genauer anzusehen. Gloris blonde Haare kleben an ihrem abgemagerten Gesicht. Ihre blauen Augen liegen tief in den Höhlen. Mein Blick verschwimmt, doch ich zwinge mich zu einem Lächeln. Lia steht erhaben neben mir und strahlt mich neckisch an, versucht, meine aufkeimenden Sorgen zu mindern. Es klappt nicht und ich schlucke mehrmals. Ihre Nase ist spitzer geworden, die Lippen spröde und blass. Ein starker Kontrast zu ihrem dunklen Haar. Sie will etwas sagen, hustet aber gequält und röchelt leise. Sofort klopfe ich ihr auf den Rücken und schaue wütend zu der gebeugten alten Frau, die auf einem der beiden Strohballen zu meiner Rechten sitzt und mich intensiv ansieht.
»Haben sie genug zu essen bekommen?«, frage ich sie, obwohl ich weiß, dass sie alles tut, um ihnen zu helfen.
Ächzend steht Holla auf und krallt die Finger in ihre fleckige Schürze. »Das haben sie. Aber …«, setzt sie an.
»Aber was …?«
Die Alte streicht sich die grauen Strähnen aus dem faltigen Gesicht. »Ich bin ausgeraubt worden – vorgestern auf dem Fischmarkt. Ich konnte lediglich trockenes Brot und Käse für sie kaufen. Den Rest des Geldes musste ich für die Unterkunft abgeben. Der Jäger hat die Zinsen für die Höhlen erhöht.«
Ich schließe die Augenlider, reiße mich zusammen, um nicht laut zu fluchen. Dann greife ich in meine Manteltasche und reiche der Alten sieben Silberlinge. Die müden Augen meiner ehemaligen Amme und Großvaters einstigen Geliebten werden für einen Moment glasig. Holla war meine Vertraute, an manchen Tagen wie eine Ersatzgroßmutter gewesen, bis Vater noch verrückter wurde und sie verjagte.
Ich greife wieder in meine Manteltasche und ziehe nun eine königliche Goldmünze heraus. »Das ist für dich, als Dank für deine Mühe und für ein besseres Schloss.« Ich werfe einen Blick auf die wackelige Tür. »Geh und hol bitte weitere Vorräte. Ich bleibe hier und kümmere mich derweil um die beiden, gut?«
Eine einzelne Träne rinnt über ihre verwitterte, vernarbte Wange. Für einen Moment wende ich den Blick ab, denn auch diese Grausamkeit trägt die Handschrift meines Vaters. Frauen zu schlagen, hat dieser Mistkerl drauf.
Der Hass lodert heiß in mir auf, erlischt aber mit dem Kinderlachen. Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder den Kleinen zu, die in meinem Herzen einen unermesslich großen Platz eingenommen haben. Und auf die ein Kopfgeld gigantischen Ausmaßes ausgesetzt ist. Dank mir.
»Sie müssen hier weg«, flüstere ich Holla zu und sie nickt. Wir wissen es beide. Hier werden sie nicht gesund.
»Wie lange noch?«, will die Alte wissen und geht zur Tür.
»Großvater verhandelt bereits mit einem Kurier. Wenn alles gut geht, könnt ihr in drei Wochen mit dem Schiff nach Merlione segeln. Am Tag des Lichterfestes.«
»Ich bete Tag und Nacht, dass wir von hier wegkommen«, flüstert Holla.
»Ich auch.« Meine Zunge ist schwer von der Verantwortung, die drei sicher ins Königreich Merlione zu bringen. Auch ist es besser, wenn sie so weit wie möglich von mir weg sind. Wenn es wahr ist, was die Hohepriesterin predigt, und sich meine Kraft bei meiner Krönung verdoppelt … Kopfschüttelnd zwinge ich mich zur Konzentration. »Die gefälschten Pässe sind das größte Problem. Auch dein Name steht auf der roten Liste des Königs.«
Holla nickt, wendet den Blick ab und eilt nach draußen. Trotzdem höre ich ihr Schniefen. Mein Herz krampft. Für einen Moment dringen der Lärm und das Kampfgebrüll der Männer lauter denn je in diese kleine Kammer. Doch Lia und Glori zucken im Gegensatz zu mir nicht zusammen. Nach zwei Monaten haben sie sich an die Geräusche gewöhnt.
Wie absolut schrecklich.
»Auf den Straßen von Aurrummar war es nach Mamas Rauswurf auch nicht viel besser«, sagt Lia und setzt sich auf die gelbe Plüschdecke, die ich vor Wochen hierher geschmuggelt habe. Glori tut es ihr gleich und greift nach einem der Kinderbücher, das auf der Kommode mit der Laterne liegt. »Mach dir keine Sorgen um uns, Jelara. Wir halten das aus.«
Mir stockt vor Verzweiflung der Atem. Genauso wie meine Antwort, die sich in meiner Kehle verfängt. Vor allem, wenn sie solche Dinge sagen. In diesen jungen Jahren. Das ist nicht fair. Die Mutter der Mädchen hat die beiden, nach dem Verlust ihrer Arbeit in einer Schneiderei, einfach ausgesetzt. Hätte ich sie damals bei meinen Streifzügen nicht gefunden, wären sie bestimmt tot.
Glori legt das Buch wieder zurück und fängt an, Lias schwarzen Zopf neu zu flechten. Die beiden sind erst acht und zehn Jahre alt. O verfluchtes Schicksal. Sie sollten nicht so krank sein und nicht in diesem Loch leben.
Ich gehe zu den beiden und flechte an Gloris Stelle weiter. Dabei betrachte ich ihre Kleidung. »Warum hat dein Hemd einen Riss?«
Sie zuckt mit den Schultern, greift nach der Holztruhe hinter sich und zieht sich Großvaters alte Felldecke über. »Ich … ich habe neulich vergessen abzuschließen und ein Junge wollte in unser Zimmer.«
Meine Finger erstarren und Lia keucht. Meine Magie knistert durch meine Adern. Ich kann fast spüren, wie das Silber in meinen Augen das Blau verdrängt.
»Wir konnten ihn vertreiben. Seitdem kontrollieren wir doppelt, ob die Tür abgeschlossen ist.«
»Ab sofort dreifach und vierfach, verstanden?«
Sie nicken. Lia steigt die Röte in den Nacken, Glori weicht meinem Blick aus. Seufzend ziehe ich den Zopf fest und setze mich im Schneidersitz zwischen die beiden. »Wann wart ihr das letzte Mal im Atrium?«
»Vor zwei Tagen«, antwortet Glori und schmiegt sich an mich. Ich streichle ihr ein paar Mal über den Kopf.
»Wie lange wart ihr dort?«
»Eine Stunde. Mehr hat Holla sich nicht getraut, uns den anderen Leuten hier auszusetzen.«
Ich umarme die beiden. »Sie hatte recht.« Und doch war es zu wenig.
Das Atrium ist der einzige steinerne Platz mit einem Glasdach, durch das Sonnenlicht in den Untergrund fällt. Ich habe versucht, den Platz von außen zu finden, bin fast über das ganze Königreich geflogen, aber ich habe das Dach aus Glas nicht gefunden. Als wäre es magisch verdeckt.
Die Kleinen sind bleich wie der Mond. Sie brauchen Sonne. Frische Luft. Hoffnung auf ein besseres Leben. Großvater und ich müssen es schaffen, die drei aus der Königsstadt zu bringen.
»Ich habe eure Medizin.« Ich ziehe die Tinktur heraus. Glori träufelt sich sofort etwas auf ihr Auge und Lia trinkt einen kleinen Schluck. Sie atmet tief ein, ohne zu husten. Morgana mag ein Miststück sein, aber sie braut die stärksten Tinkturen.
Glori steckt die noch halb volle Tinktur in ihre Hosentasche. Lia verschränkt die Hände vor ihrem rosa Kleid. Ihre Unterarme sind voller Farbe. Ich blicke zu der Ecke mit den Farbpaletten, Puzzles und weiteren Büchern. Anschließend greife ich nach den zwei kleinen, gehäkelten Eulen in meiner Manteltasche. »Holt eure Stricknadeln und Wolle. Ich zeige euch, wie man diese Tiere strickt.«
Keinen Atemzug später hüpfen sie auf. Ihr echtes Lachen ist gerade der wohltuendste Klang auf dieser verfluchten Welt.
Schweren Herzens schlüpfe ich aus der Kammer, die Kapuze über den Kopf gezogen. Je mehr Zeit ich mit den Kleinen verbringe, desto schwieriger fällt es mir, sie zu verlassen. Einen Moment lehne ich mich an die grüne Tür und schließe die Lider. Trotz der schönen Stunden mit den Mädchen, ihrer Medikamenteneinnahme und dem Essen und Trinken, das Holla besorgen konnte, zieht es in meiner Herzgegend. Ich würde sie am liebsten einpacken und mitnehmen. Aber wenn Vater sie findet, wäre das ihr Untergang. Also nein. Ich werde dafür sorgen, dass sie in das friedliche Königreich Merlione flüchten können.
Ein lautes, animalisches Brüllen hallt durch die verlassenen Gänge und lässt mich zusammenzucken. Meine Magie erwacht plötzlich, und Asche rieselt von meinen Fingerkuppen. Sie haftet am Boden. »Scheiße.« Ich trete darauf, verwische sie, bevor der magische Verfall sich ausbreiten kann. Sofort balle ich meine Hände zu Fäusten, schaue mich nervös um und versuche mich zu beruhigen.
Ich linse zur steinernen Decke. Keine Blitze durchbrechen sie.
Es ist nichts passiert, Jel.
Jetzt. Ja. Doch die Vergangenheit spricht eine andere Sprache.
Alle scheinen in dieser Kampfarena zu sein. Das Johlen und Stöhnen wird lauter. Jubel ertönt und immer wieder wird ein Name gerufen: »Coup. Coup. Coup.«
Ich krümme die Zehen und wende mich zunächst nach rechts zum Ausgang, entscheide mich dann aber … nach links zu gehen.
Was ziemlich dumm ist.
Ich sollte das nicht tun.
Ganz und gar nicht sollte ich das.
Aber ich treffe nun mal gerne, sehr schlechte Entscheidungen. Vor allem, wenn ich daran denke, dass mich zu Hause wieder diese Leere in meinem Zimmer erwartet.
Mit jedem Schritt in Richtung Kampfarena häufen sich die Vorwürfe in meinem Kopf. Je näher ich komme, desto mehr entsteht aber auch ein unbekanntes, völlig neues Kribbeln auf meiner Haut. Mein Magen verkrampft sich – auf eine gute Weise. Ich drücke meine rechte Hand auf ihn und gehe weiter, obwohl ich es definitiv nicht sollte.
Und doch treibt mich dieses nervtötende Kribbeln an, flotter zu gehen. Ist es der Rausch der Gefahr? Der Rausch der Blödheit? Vermutlich Letzteres.
Die Neugierigen sind es, die als Erstes über den Tellerrand purzeln. Wie gut, dass ich Flügel habe.
Ich husche weiter den etwas breiten Gang entlang. Weitere Meter vorbei an den Badestuben mit den zumindest lauwarmen Quellen.
Vor einem ovalen Durchgang bleibe ich stehen. Zwei angebrachte Fackelhalter flammen auf.
Dann rase ich hindurch. Hinein in die brüllende Masse meiner Feinde und fühle mich dabei einfach nur herrlich frei.
Ich gluckse leise.
Ein diffuses Licht von weiteren, nun vereinzelt stehenden Fackeln und Laternen erhellt den runden Raum, wirft tanzende Schatten auf die kahlen Wände und verstärkt das Gefühl der absoluten Rauheit in dieser Arena. Die Luft riecht nach Schweiß, Blut, Erwartung und einer Brutalität, die nicht mir gilt.
Wie erfrischend anders.
Ein Schauer läuft mir über den Rücken, als ich den gierigen Blicken der Menschen hier unten ausweiche und mich an den steinigen Durchgang lehne. Unebene Stufen führen zu einem Platz in der Mitte, der mit einem Seil abgesperrt ist. Ringsum sind alle Flächen besetzt. Mehrere Silberstücke wechseln den Besitzer, und ein Mann in orangefarbener Tunika notiert die Einsätze der Zuschauer auf Pergament.
Uh, wie gern würde ich eine Wette platzieren. Das habe ich noch nie gemacht. Aber so leichtsinnig bin ich nicht. Wenngleich mein Blut vor Aufregung köchelt. Meine Handinnenflächen sind schon ganz nass.
Plötzlich geht ein Raunen durch die Menge und es wird still. Ich wage kaum, zu atmen. Der Wettmann rollt das Pergament zusammen, stellt sich auf einen Steinblock und reckt das Kinn. »Letzte Runde. Die Finalisten des vorherigen Monats kämpfen nicht nur um Ehre und Macht, sondern …«, er lächelt teuflisch und derart breit, dass seine gelben Zähne hervorblitzen, »um dreihundert Silberlinge.« Ich keuche wie die anderen. Das ist eine beträchtliche Summe. Damit könnte ich mir ein Gasthaus im Fischereihafen kaufen.
Das wird ein harter Kampf.
Ich flüchte ein Stück zur Seite in den Halbschatten. Ich muss den Wettkampf sehen, ohne gesehen zu werden.
Der Jäger wird schließlich auch hier sein. Umsonst hätte mich die Wetterhexe nicht gewarnt.
Schweiß benetzt meine Oberlippe.
Reiß dich zusammen! Du bist hier nicht die einzige Maskierte! Und auch nicht die einzige Frau!
Diese Gedanken sind richtig, ja. Aber mein Puls rast trotzdem. Denn ich bin die, die alle tot sehen wollen. Diese Leute hier kümmern sich nicht um die Folgen eines Angriffs auf mich. Kümmern sich nicht darum, dass meine Magie dann nicht nur sie, sondern auch Unschuldige in einen ewigen Schlaf versetzen wird.
Der Mann in der orangefarbenen Tunika streicht sich über den gezwirbelten Schnurrbart und stößt einen schrillen Pfiff aus. Hälse recken sich, die Menge teilt sich. Ein dunkelhaariger Mann tritt aus einem schmalen Gang rechts von ihm.
Das seltsame Kribbeln von vorhin wird zu einem heißen Schauer vom Scheitel bis zum Rücken. Die Hitze sammelt sich schlussendlich in meinen Wangen und ich verfluche mich für meine Prüderie. Der Mann, den sie Coup nennen, schreitet wie ein König zum Ring. Die Arroganz tropft ihm fast aus den Poren. Sein Blick ist kühl und durchdringend, während er die Menschen um sich herum mit einer Mischung aus Überlegenheit und Desinteresse betrachtet. Die hochgezogene Augenbraue macht ihn nicht unbedingt sympathischer.
Na. Aber. Hallo.
Die Luft um ihn herum knistert regelrecht. Mein Blick fällt von seinem markanten Kinn auf die Narben, die auf seinem muskulösen, gebräunten Oberkörper schimmern. Da es sich heute um eine Art Finale handelt, muss er sich die Verletzungen in einem der vorherigen Kämpfe zugezogen haben. Ich wette, er kämpft wie ein Tier. Jedenfalls sieht er so aus.
Mein Mund wird ganz trocken, je länger ich ihn anstarre.
Kurz bevor er unter dem Seil durchschlüpft, bindet er sich die braunen, schulterlangen Haare zurück.
Hoch erhobenen Hauptes stellt er sich in die Mitte des Rings und drückt großspurig sein Rückgrat durch.
Auch wette ich, dass dicke Muskeln seinen Rücken zieren – ebenso weiter unten, auf den Oberschenkeln …
Lächelnd beiße ich mir auf die Unterlippe. Allein dieser Anblick war es wert, sich hierhergeschlichen zu haben.
Immer wieder reckt die Menge die rechte Faust in die Höhe. Sie rufen unfassbar laut seinen Namen. Er zuckt nicht einmal mit der Wimper, geschweige denn mit dem Mundwinkel. Da ist sich aber jemand seiner Position sehr sicher.
Ein rotfarbenes Haupt erregt meine Aufmerksamkeit. Sofort spanne ich mich an. Diesen Typ kenne ich doch. Das ist der Idiot, der mich am Tunneleingang belästigt hat. Der, der nun ebenfalls in den Ring steigt – mit einem bandagierten Arm. Dank mir.
Ups.
Knurrend dehnt er den Nacken, die Hände, zuckt dann aber zusammen, als er mit der Schulter des verletzten Arms rollt.
Auweia. Wollte er deswegen zuvor einen Kuss des Glücks von mir? Offensichtlich habe ich ihm nur Pech gebracht. Blöd gelaufen, Arschloch.
Ich lache auf, kann es mir nicht verkneifen.
Sein Blick schweift über die Menge. Ich ziehe den Kopf ein. Trotzdem bleibt er direkt auf mir hängen.
Mein Grinsen verrutscht.
»River, River, River«, schreit die Menge nun. River, der rothaarige Hüne, blinzelt irritiert. Wie unter einem Bann kann er seinen Blick nicht von mir abwenden. Sein Kiefer spannt sich sichtlich an, wie auch die Adern an seinem Hals.
O Schicksal, ich sollte es nicht tun … Und doch winke ich ihm zum Gruß und beende unser Tauziehen mit einer hohnvollen Verbeugung. River reißt die Augen auf, und ich könnte schwören, dass ich ihn bis hierher fluchen höre.
In mir, jedoch, breitet sich eine närrische Genugtuung aus.
Hör auf, ihn zu provozieren, Jel!
Dieser River schlägt sich ein paar Mal auf die rot behaarte Brust und zeigt dann mit dem Zeigefinger anklagend auf mich.
Eine Warnung?
Ein Versprechen?
Der kann mich mal.
Ich reagiere, wie ich immer einer Herausforderung begegne: frech und ein bisschen unangemessen.
Die vielen Blicke ignorierend, hebe ich als Antwort den Mittelfinger. Mit hochrotem Kopf will er schon den ersten Schritt auf mich zu machen, da hält sein Gegner ihn zurück. »Nicht so schnell, Kumpel. Wir haben hier noch was zu erledigen.«
Sein tiefer, rauer Bariton fesselt sofort meine Aufmerksamkeit. Dieser Coup spricht mit einer kräftigen und zugleich warmen Stimme, die direkt in meinem Innersten vibriert und meine Hormone in Wallung bringt.
Großartig.
Mein Herzschlag verdoppelt sich und ich halte kurz den Atem an. Ein Schauer läuft mir über den Rücken und prickelt auf meiner Haut.
Unvermittelt reißt sich River knurrend von ihm los und holt aus. Ich schrecke hoch und dieser Coup wirbelt umher.
Der Kampf beginnt, ohne dass es einen offiziellen Startschuss gibt. Mit roher, brutaler Kraft stoßen die Männer aufeinander. Faust auf Faust, Schlag auf Schlag prallen auf ihre nackten Oberkörper. Mir ist, als würden die Feuerzungen höher schlängeln und der Rauch in dieser Arena dichter werden. Die Leute jubeln.
River versucht, Coups Verteidigung mit raschen Angriffen zu durchbrechen. Doch der steckt die Schläge weg und kontert mit vernichtender Wucht – sprich, seine Fäuste regnen nun auf den rothaarigen Idioten nieder. Seine Bewegungen sind so schnell und kraftvoll, dass ich ihnen kaum folgen kann. Mir steht der Mund offen.
Die Menge johlt vor Begeisterung immer lauter. River kann den Schlägen nicht gänzlich ausweichen, aber bleibt standhaft und geht wieder auf Angriff über. Verbissen wirbeln die beiden Kämpfer durch den Ring.
Coup geht in Deckung, tritt aus und erwischt River damit in der Magengegend. Er brüllt auf. Coup nutzt seine Nachlässigkeit, und schlägt ihm derart präzise ins Gesicht, dass mir ist, ich könne Knochen brechen hören. Auf jeden Fall spritzt das Blut aus Rivers aufgeplatzter Lippe und definitiv gebrochener Nase, so schief wie die steht.
Ich juble los.
River schwankt, geht zu Boden und fällt auf die Knie.
Ich klatsche wie besessen. Er sieht wieder direkt zu mir, dann schreit er den Männern in seiner unmittelbaren Umgebung etwas zu. Wahrscheinlich singt er gerade Fluchhymnen auf meine Person. Dieser Coup hat nicht mal eine kleine Schramme davongetragen, obwohl er ebenso Schläge einstecken musste. Seltsam. Ich will es nicht, aber es imponiert mir.
Ein triumphierendes Lächeln ziert sein vom Schweiß glänzendes Gesicht. Na wenigstens ist er ins Schwitzen gekommen. Schnaubend schüttle ich den Kopf und will mich abwenden, da nun der beste Zeitpunkt scheint, zu gehen. Da bemerke ich etwas Befremdliches und zugleich magisch Vertrautes – schwarze Schlieren, die von Coups in die Luft gereckter Hand aufsteigen und in der Decke verschwinden.
Einfach so.
Was …?
Ich blinzle mehrmals. Habe ich mir das eingebildet? Nein. Denn meine eigene Magie erwacht, kribbelt auf meinen Fingerspitzen, tanzt durch meine Adern. Ebenso die aufkommende Panik, die meinen Brustkorb einengt. Hektisch schaue ich ins Publikum. Haben die das nicht gemerkt? Mir bricht der Schweiß aus. Dieser Mann hat Magie angewandt! Und das sollte nicht möglich sein, es sei denn … er ist königlicher Abstammung. Aschekörner sammeln sich in meinen Handflächen und die Gabe meiner Sirene drängt gegen meine Augäpfel. Der Druck ist fast beängstigend und schmerzt in meinem Kopf.
All diese Menschen sind meine Feinde.
Aber dieser Mann hier könnte mir wirklich gefährlich werden. Erkennt seine Magie die meine ebenso?
Noch bevor ich den ersten Schritt mache, fühle ich ihn: Seinen Blick, der sich in meine Seele zu bohren scheint. Meine Beine sind Verräter. Denn ich bewege mich nicht, sondern starre zurück, verenge sogar die Lider.
Er lächelt nur. Ich schlucke häufiger, zwinge mich, zum Ausgang zu flüchten, bevor was auch immer geschieht. Mehrmals balle ich dabei die Hände zu Fäusten. Wer ist dieser Mann? Er muss aus Bloodhall stammen. Ein Bastard von König Templin sein.
»Auf den Jäger! Der Gewinn gehört Euch.« Mein Blut schießt mir vor Schock in den Kopf, dann rasend schnell hinab in meine Zehen, sodass ich schwanke.
Stützend mit einer Hand auf dem steinigen Durchgang, blicke ich über meine Schulter. Coups Hand ist immer noch erhoben. Nein, die des Jägers. Dem Anführer hier unten. Um Himmels willen!
Er starrt mich immer noch an und Schicksal bewahre, meine Magie jault auf, warnt mich.
Aber ich versinke in diesen Augen, irgendetwas zieht mich an.
Dann zwinkert mir dieser Typ zu. Und in dem Moment habe ich tatsächlich Sorge, dass er weiß, wer ich bin.
In der Arena bricht die Hölle los. Beschimpfungen über verlorene Wetten verschmelzen zu einem undurchdringlichen Durcheinander. Sollen sie streiten. Ich muss zusehen, dass ich Land gewinne.
Ein Stoß bringt mich aus dem Gleichgewicht. Mein Kopf schlägt mit einer Wucht gegen den Felsen, genau auf meine Narbe. Ein stechender Schmerz durchzuckt meinen ganzen Körper und ich stöhne auf.
»Das ist sie! Ihretwegen hat River verloren. Unser Geld ist weg, wegen dieser Schlampe!«, höre ich eine fremde Stimme wüten. Absoluter Zorn durchdringt seine Worte. Jemand bohrt seine Finger in meine Schultern. Ich pfeife meine Magie zurück, um keine magische Katastrophe auszulösen, tänzle herum und schlage die fremden Finger von mir weg. In dem Moment, wo ich ihn treten will, durchdringt mich ein noch schlimmerer Schmerz an meiner Schläfe. Ein blendend helles Licht explodiert in meinem Inneren und alles um mich herum wird schwarz.
Träge erwache ich aus einer bescheuerten Benommenheit und öffne die schweren Lider. Ein goldener Schein von Fackeln blendet mich für einen Moment, doch als meine Sinne sich klären, sehe ich meine Umgebung klarer. Ich liege auf dem Boden in einer Steinhöhle, deren Wände von Schlingpflanzen und Schimmel bedeckt sind. Der dumpfe Geruch von Erde und Verwesung liegt in der Luft.
Verdammt und zugenäht.
Meine Kehle verengt sich und mein Brustkorb schnürt sich zu – wie jedes Mal, wenn ich mich in die Enge getrieben fühle und meine Magie nicht zur Verteidigung nutzen kann, ohne hier alle in den ewigen Schlaf zu schicken und mich zu verraten. Wie spät ist es? Großvaters Zauber hält nicht ewig, und ich will nicht, dass sie merken, wer hier unten sein Unwesen treibt: Ihre Deadly Queen, die sie hassen.
Ich betaste vorsichtig die Stelle meiner stechenden Kopfwunde. Wenig Blut sickert aus der Wunde an meiner Schläfe und benetzt meine Fingerkuppen. Mein Puls pocht bis in die Ohren. Man hat mir die Maske abgenommen.
Und ich weiß, dass meine Angreifer alle noch da sind. Sie grunzen, keuchen und lachen. Außerdem nehme ich das Plätschern und das Geräusch von Würfeln, die auf Holz fallen, wahr. Langsam drehe ich mich ein wenig zur Seite. Drei Männer sehen prompt zu mir.
Meine Magie schickt ein warnendes Stechen durch mich.
»Na, ausgeschlafen, Mäuschen?« Der Dünne mit dem blonden Zopf erhebt sich von der Sitzecke. Seine Würfel lässt er einfach auf den geknüpften Teppich fallen. Er wankt ein wenig. Sie haben getrunken. Waffen erblicke ich keine.
Narren.
Die Männer grunzen erneut.
»Falls du dich fragst, warum du hier bist …« Der Blonde kniet vor mir nieder und neigt den Kopf. Der Geruch von abgestandenem Kräuterbier schlägt mir entgegen. »Der Boss hat uns befohlen, dich zu fangen, Mäuschen. Deinetwegen hat er den Kampf verloren.«
Als ob. Den hätte er auch mit acht gesunden Armen nicht gewonnen. Aber gut. Ich stöhne absichtlich verzweifelt los, wiege mich hin und her und fasse dabei unter meinen Mantel. Der Rock ist hochgerutscht. Bedacht greife ich um die Stricknadel und fahre mit dem Daumen über das von mir geschliffene, spitze Ende. Wenigstens wirkt der Zauber noch und sie erkennen mich nicht. Sonst würde er mich nicht Mäuschen nennen.
»Es tut mir leid. Das wollte ich nicht«, jammere ich und schniefe, gespielt unterwürfig.
Und ja. Dieser Laut ist mir furchtbar peinlich.
Aber ich will nicht, dass sie die Bedrohung sehen, die vor ihnen liegt und ihnen gleich den Arsch aufreißen wird. Sie sind gewiss auf der Hut, weil ich River verletzt habe. Oder sie wiegen sich einfach in Sicherheit, weil sie in der Überzahl sind. Die beiden anderen Männer lachen weiterhin hohl und nehmen einen großen Schluck aus ihrem Becher. Also Letzteres.
Die Flüssigkeit tropft aus ihren Mundwinkeln in ihre Bärte, so hastig trinken sie. Ihre beigen Hemden sind schon voller Flecken.
Bäh.
