Schleier der Welten - Brennendes Ascheherz (Band 2) - Ella C. Schenk - E-Book

Schleier der Welten - Brennendes Ascheherz (Band 2) E-Book

Ella C. Schenk

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Beschreibung

*Ein magisches Gefängnis des Grauens. Eine Stadt der Toten. Verräter, die sich aus den Schatten erheben. Und eine Liebe, die gegen das Schicksal kämpft.* Lucys Bestimmung könnte herausfordernder nicht sein: Sie soll die Ur-Maya stürzen, um die Schleier der Welten gnädig zu stimmen. Nur dann wird die Magie in die Welt der Maya zurückkehren und die Flüche werden von den Königstädten weichen. Unsicher, wem sie in diesem Kampf tatsächlich vertrauen kann, fällt es ihr schwer, neue Bündnisse zu schließen. Zudem scheint ihr die Ur-Maya Estella stets einen Schritt voraus zu sein. Weitere dunkle Geheimnisse kommen ans Licht, die Lucy vor schier unmögliche Herausforderungen stellen. Vor allem, als sie erfährt, was es mit den Unruhen unter dem Totenberg und der fremdartigen Magie im Gefängnis Tranváraz auf sich hat. Und inmitten dieser katastrophalen Enthüllungen begeht ausgerechnet ihre große Liebe einen folgenschweren Fehler, der sie mehr kosten könnte als ihr Herz. Der zweite Band einer magischen und sagenumwobenen Reihe von Ella C. Schenk...

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Was bisher geschah ...
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Epilog
Danksagung

Ella C. Schenk

 

SCHLEIER DER WELTEN

Brennendes Ascheherz

(Band 2)

 

 

 

Dieser Artikel ist auch als Taschenbuch und Hörbuch erschienen.

SCHLEIER DER WELTEN: Brennendes Ascheherz

 

 

Copyright

© 2024 VAJONA Verlag

Alle Rechte vorbehalten.

[email protected]

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags

wiedergegeben werden.

 

Lektorat: Sandy Brandt

Korrektorat: Madeleine Seifert und Susann Chemnitzer

Umschlaggestaltung: Julia Gröchel,

unter Verwendung von 123rf

Satz: VAJONA Verlag, Oelsnitz

 

VAJONA Verlag

Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3

08606 Oelsnitz

Für all die mutigen und freundlichen Menschen, die mit ihrer Herzlichkeit und Empathie Hoffnung schenken. Danke für euer Sein und hört bitte niemals damit auf.

Was bisher geschah ...

Lucy – halb Mensch, halb Maya – wurde aufgrund ihres Erbes zweier übernatürlicher Blutlinien aus ihrer Heimat London in das Königreich der Maya gebracht. Da es in der Vergangenheit der Maya zu blutigen Auseinandersetzungen wegen der sogenannten Mischlinge – Erben mit mehr als einer Blutlinie – kam, soll Lucy mit dem mächtigen Bluterben des Feuervolkes verheiratet werden, um den Frieden zu wahren: Deanel, dessen Kraft seinesgleichen sucht und der Lucy schon seit Jahren heimlich beobachtet. Ebenso hat der Rat der Sieben, in welchem Deanels Mutter Estella vorsitzt, Lucy im Auge behalten und eine Intrige gesponnen, um das Schwinden ihrer eigenen Existenz zu verhindern. Denn vor vielen Jahrhunderten haben die drei Ur-Schwestern Estella, Le Frey und Sibilla einen Fluch ausgelöst, der nun das Königreich mit Strafen heimsucht und beinahe dem gesamten Mayavolk deren Magie raubt. Kaum jemand weiß davon. Für dieses Vergehen haben die Schleier der Welten sie mit dem schleichenden Tod bestraft, wie auch ihre Zwillingsbrüder Enzo, Lexus und Sola.

Vor zweiundzwanzig Jahren jedoch übermittelten die Schleier der Welten dem Tzolkien – Estellas Ritualbuch – eine Chance, dieses Vergehen zu beheben. Ein Mensch, mit allen drei Blutlinien der Völker soll geboren werden, um die restliche Magie der Ur-Geschwister zu entnehmen, und diese anschließend auf das Volk zu übertragen.

Dieser Mensch ist Lucy. Ebenso würden die Flüche, die auf den Städten lasten, verschwinden. Aber auch die Essenz der Ur-Geschwister selbst solle damit ausgelöscht werden, was Estella, Sola und Sibilla verhindern wollen. Zudem haben sie sich in den Kopf gesetzt, mit einer uralten Formel Lucys erwachte Magie auf sich zu übertragen und ihr Schwinden damit zu stoppen.

Deanel wie auch sein Bruder Anaphel beschließen, ihre herrische Mutter aufzuhalten und Lucy und die Welt der Maya zu retten. Um Estella zu täuschen, gibt Deanel vor, Lucy zu hassen und seiner gehässigen Verlobten Romina nachzutrauern, die vor einem halben Jahr spurlos verschwunden ist. Schon lange bestand zwischen den beiden eine eisige Kälte, weshalb Deanel einst begann, Lucy in London zu beobachten, sich sogar mit ihr zu treffen und sich in sie zu verlieben. Doch diese Erinnerungen und Gefühle wurden Lucy von Madame Le Frey genommen. Sie, wie auch der Bluterbe des Sonnenreichs Kilian, haben die Fähigkeit, Erinnerungen zu entwenden. Man wollte Lucy schützen. Doch als sie einsahen, dass Deanel kein Feind war, gaben sie ihr die sieben Erinnerungen zurück.

Melissandre, Lucys beste Freundin und Zwillingsschwester von Kilian, konnte sich in den korrupten Rat der Sieben einschleusen, um diesen auszuspionieren. Damit will sie das Erbe ihres Vaters fortführen, welcher vor Jahren Estellas Plan zu vereiteln versuchte, indem er Kontakt zu den überlebenden Mischlingen mit zwei Blutlinien in London herstellte. Denn nicht alle dieser Mischlinge konnte der Jäger und Bluterbe des Totenreichs – Ethan – vernichten. Seitdem sinnen sie nach Rache und Lucy soll mit ihnen zusammenarbeiten.

Die Ur-Geschwister des Sonnenvolkes Lexus und Le Frey wissen nichts von den Plänen ihrer Geschwister, gar von Lucys drei Malen. Es gilt, sie auf ihre Seite zu ziehen.

Die Kräfte in Lucys Sonnenmalen werden immer stärker. Es ist ihr nicht nur möglich, die Essenz der Kräuter in sich aufzunehmen, sondern auch fremde Mayamagie. Inmitten schwindelerregender Gefühle für den aufbrausenden Deanel, dem Zurechtlegen von Plänen, um Estella zu stürzen, und des Wahrens des Geheimnisses über ihr Wissen der drei Blutlinien, müssen sie auch noch den seltsamen Unruhen in der Totenstadt Zsumara nachgehen. Etwas scheint sich dort zusammenzubrauen – etwas Gefährliches, Mächtiges, Allzerstörendes …

Prolog

 

Königreich Rívera

 

Tod und Wiedergeburt sind nur Schwellen auf dem Weg in die Ewigkeit – ein Tanz durch die Spirale des Werdens und Vergehens.

Wähle deine Schritte weise und bedacht.

Nichts bleibt ungesehen, gar ungesühnt.

Hinter den Schleiern wartet ein ewiges Gedächtnis – immer bereit, dein Schicksal mit zu formen.

Du hast es selbst in der Hand.

Immerzu, mein Kind.

 

 

 

Ein zartes Lichtspiel dringt mit dem zögerlichen Öffnen der Tür in mein Gemach und vertreibt die dämmrige Düsternis der sich anbahnenden Stunde der Nacht.

Mein Atem brennt wie Eis in meiner Lunge. Hustend setze ich mich auf, reibe mir über die Augen. Türkisfarbene Tränen sammeln sich auf meinen faltigen Fingerkuppen, doch selbst diese Farbe verblasst allmählich – so wie ich.

Die Tür fällt leise ins Schloss. Mit ihr verstummen die Kinderstimmen im Flur, die mir die Geheimnisse meines Volkes flüstern. Mein bevorzugtes Zwielicht kehrt zurück und legt sich über Lexus’ ebenso immer schwächer werdenden Körper.

»Wie geht es dir, Schwester?« Mein Zwilling setzt sich zu mir an den Bettrand und umrahmt meine eingefallene Wange mit einer Präzision, bei der man ihm seine Erblindung kaum anmerkt. Schon von Beginn an konnte er gut mit dem Fluch leben, den wir Schwestern über uns Ur-Geschwister gebracht haben. Und von Anfang an hat er mir diesen abscheulichen Fehler verziehen.

»Fragst du um meinet- oder deinetwillen?« Wenn ich vergehe, nehme ich ihn mit in den ewigen Tod. Natürlich weiß er das.

Lexus schmunzelt schwach. »Da sind wir nun, hmm? Beide unsterblich und mit einer Magie in uns, die Welten erschuf. Und dennoch rufen die Schleier uns nach Hause in ihren Schoß, aus dem wir einst entsprangen.«

»Poetisch bis zum Schluss«, spotte ich milde, werde sodann ernst. »Es ist gut, dass diese Quelle der Macht in uns nun versiegt. Die Ewigkeit tat uns nicht gut, machte keine besseren Maya aus uns. Die Fehler, die ich jedoch begangen habe, waren schwerwiegend.«

»Die wir alle begangen haben, Le Frey.« Mein Zwilling schiebt sich mit seiner freien Hand die verdunkelte Hornbrille zurecht, die so gerne über seine spitze Nase nach unten rutscht. Heute hat sie dieselbe Farbe wie seine beige Tweedjacke.

»Du und deine Brüder, ihr leidet schon so lange wegen uns Schwestern. Auch das nahezu magielose Volk, die Menschen, deren Seelen wir uns nicht mehr in dem Ausmaß annehmen können wie vorgesehen. Und sieh, wohin uns der Wunsch nach Macht geführt hat. Die Menschheit ist auf Abwegen. Unsere Schöpfung ist die Illusion, hinter der so viel Weisheit auf sie warten würde. Doch sie hören sie nicht, wenngleich ihre Seele nach Erlösung schreit.«

Er nickt knapp.

Lexus hat mir diesen Fehler verziehen, doch verstehen kann er ihn bis heute nicht. »Hättet ihr Schwestern uns damals miteinbezogen, hätten wir eine andere Lösung gefunden. Gemeinsam hätten wir die Mischlinge mit den zwei Blutlinien aufgehalten – friedlich.«

Lexus lässt meine Wange los, kratzt sich kurz an seinem Rauschebart. Sofort vermisse ich seine beschützende Wärme.

»Estella, Sibilla und Sola führen etwas im Schilde, Lexus. Die Kinder haben erneut gesehen, wie sie sich vor und nach dem Fest zu Kilians Unsterblichkeit getroffen haben. Von der jahrelangen Abneigung war keine Spur zu sehen. Was, wenn sie nicht in die Schleier übergehen, ohne Chaos zu hinterlassen, obgleich ihre Söhne dafür sühnen müssten, wenn sie das Bluterbe antreten? Ich habe es so im Gefühl …« »Auch mir haben die Kleinen das zugetragen, weshalb ich heute Morgen absichtlich in ihr Geschwistertreffen geplatzt bin. Es war sonnenklar, dass ich unerwünscht war. Sofort haben sie das Thema gewechselt.«

»Mich lassen sie sowieso außen vor und meiden mich. Meine Schwestern sind mir die letzten Jahrzehnte fremd geworden. So wie es Sola und Enzo schon immer waren.«

Lexus verlagert sein Gewicht und überschlägt seine Beine. Die Farbe der Cordhose ist ähnlich meiner Haut – totenfahl. »Sola war auch schon immer ein Eigenbrötler.« Er schüttelt den Kopf. »Aber Enzos scharfe Zunge und Verstand vermisse ich«, sagt er. »Ich frage mich, wo er seit zweiundzwanzig Jahren ist.«

Ein eisiger Schauer läuft mein Rückgrat entlang. »Und ich frage mich, warum er seinem Reich so sang- und klanglos den Rücken gekehrt hat. Es muss etwas mit Estella vorgefallen sein.«

»Wahrscheinlich war er ihrer herrischen Ader überdrüssig. Ich würde es ihm nicht verübeln.«

Ich lache. »Ganz ehrlich? Ich auch nicht. Aber da ist noch sein Volk, welches er immer geliebt hat und schwor, es zu beschützen.« Zitternd hebe ich meine linke Hand und lege sie auf Lexus’ Schulter. »Es tut mir leid, dass du meinetwegen sterben musst. Du und Enzo habt es nicht verdient.«

Kurz bebt seine Unterlippe, dann legt er seine Stirn nachdenklich in Falten. »Ich werde Enzo finden, Le Frey. Ich werde nicht in die Schleier gehen, ohne meinen Bruder zuvor noch gesehen zu haben. Und wenn ich Estella selbst in die Enge treiben muss. Sie weiß mehr, als sie preisgibt – immer schon.«

Ein Ruck geht durch mich. »Welche Made hat dein Gehirn befallen, dass du denkst, du könntest gegen sie wettern? Die Magie war ihr schon immer holder als uns allen. Und sie ist es noch, auch wenn sie ebenso schwächer wird.«

Lexus verneint kopfschüttelnd. »Ich feiger Hund hätte schon früher nachhaken sollen. Wer weiß, was mit Enzo passiert ist? Vielleicht hält sie ihn gefangen wie ein in die Enge getriebenes Tier? Wir haben keine Seele mehr, Le Frey. Wir werden nicht wiedergeboren, um unsere einstig verfehlten Taten wieder gut zu machen. Wenn wir etwas tun wollen, dann jetzt.«

Jedes Wort ist wie ein kaltblütiger Tritt auf mein mit Scham gespicktes Herz. Ich setze mich aufrechter, will ihm das im ersten Moment ausreden. Stattdessen schlucke ich die mutlosen Worte hinunter, besinne mich mit einer Klarheit, die mir doch schon lange abhandengekommen ist. Es stimmt, wir haben kaum noch Zeit. Soll ich die wenige, die mir bleibt, erneut damit verbringen, die Augen zu verschließen?

»Du hast recht.«

Verwundert zieht er seine buschigen Brauen in die Höhe. »Oha.«

»Ja, oha. Auch ich habe zu lange zugesehen, Estella und ihren ominösen Rat der Sieben toleriert.« Ich hole so tief Luft, dass mein mir bereits bekanntes Rasseln die angespannte Stille zwischen uns zerschneidet.

Lexus greift nach meiner Hand, drückt zu. »Was schlägst du vor?«

Die Worte formen sich so rasant in mir, als hätten sie schon lange darauf gewartet, gesprochen zu werden. Doch da war diese Schuld, diese zerfressende Dunkelheit in mir, die mich lähmte.

Damit ist jetzt Schluss.

Ich schiele zum Fenster, wenngleich der samtige, schwere Stoff den Blick nach draußen verwehrt. »Wir werden Kilian in alles einweihen. Es wird Zeit, ihm die Wahrheit über den Werdegang des Fluchs zu offenbaren. Dass nicht die Schleier ihn über uns gebracht haben, sondern Estella, Sibilla und ich. Zudem muss er auf Lucy achtgeben. Gewiss behandelt Estella sie wegen ihrer zwei Blutlinien nicht gut. Deanel vertraue ich ebenso wenig mit seinem sprunghaften Gemüt.«

»Deanel ist ein guter Junge, den Liebeskummer plagt. Im Herzen ist er rein.«

»Du schätzt ihn, ich weiß. Der Erbe jedoch hat eine Verantwortung zu tragen und er hat sie mit Füßen getreten, sich ihr zuvor stets entzogen. Lucy sollte ihn nicht aufgrund ihrer Herkunft heiraten. Es ist nicht fair, dass diese zwei Blutlinien in ihr fließen. Sie hat schon so viel Schlechtes erlebt in ihrem kurzen Leben. Ich habe mir mehr für sie erhofft.« »Was geschehen ist, können wir nicht ändern. Das, was vor uns liegt, hoffentlich sehr wohl. Wir sollten Kilian heimholen. Sowieso finde ich es nicht gut, dass er so viel Zeit im Totenreich verbringt.«

»Es ist nicht unklug, dies als angehender Herrscher zu tun.«

»In diesen unheilvollen Zeiten schon.«

»Er weiß von keiner möglichen Bedrohung. Wir selbst erahnen sie nur.«

»Wir werden dem auf den Grund gehen«, bestimmt mein Zwilling. »Er wird alles erfahren. Auch, dass Estella sich immer öfter mit Sibilla und Sola trifft.« Lexus steht auf, streift seine Tweedjacke glatt. »Ich lasse dir Tee und Früchte bringen.«

Schon dreht er mir den Rücken zu, da hauche ich seinen Namen.

Fragend blickt er über seine Schulter zu mir.

»Hast du Angst vor dem Vergehen?«

»Ja«, antwortet er erst ein paar Herzschläge später. Zielsicher geht er zur Tür, öffnet sie und verschwindet ohne weitere Worte in den Flur.

Ich sinke zurück in die butterweichen Kissen, die sich an meine hervorstehenden Wirbelkörper schmiegen. Mein Körper versagt, meine Kräfte sind nahezu erloschen. Mein Kopf ist schwer von der Bürde meines eigenen Verrats. Doch mein Wille ist klar wie ein wolkenloser Sommerhimmel. Nicht Rache ist mein Bestreben, sondern eine Gerechtigkeit, für die ich schon viel früher hätte einstehen sollen. Ich schiebe die schwitzige Decke von mir, stehe auf und trotte zum Fenster.

Obwohl es schmerzt, ziehe ich die Vorhänge zurück, betrachte diese majestätische Stadt, die ich einst mit Lexus schuf. Meine Symbole an den Handgelenken lodern auf.

Zeit, dafür zu kämpfen.

Zeit, die Wahrheit zu sprechen.

Zeit, mich daran zu erinnern, wer ich einst war: eine Königin der Gerechtigkeit.

 

 

 

 

 

TEIL 1

 

 

 

Pfad der

Vergeltung

Kapitel 1

Eradaz

 

»Hände hoch! Achte auf deine Abwehr! Geh in die Knie! Du lahme Schnecke, du!«

Das bin ich wohl.

Rose befördert mich mit einem Tritt auf den Hintern. Meine improvisierte Waffe – ein Übungsstock – fällt mir aus den Händen, rollt polternd gegen eine der mit Rosen umwundenen Säulen des blubbernden Beckens vor meinem und Deanels Zimmer.

Das habe ich jetzt davon, dass ich sie bat, mich härter zu trainieren. Bin ich wohl selbst schuld.

Mein Hintern sticht leicht.

Autsch.

»Weißt du, was du jetzt in einem echten Kampf wärst, Lucy?« Sie drückt mir die runde Spitze ihres Holzstabes auf die Brust.

»Ich traue mich kaum, nachzufragen.«

»Mausetot!« Rose reicht mir augenrollend ihre Hand, zieht mich hoch. Kurz knicke ich ein. Zuvor habe ich mir ein wenig den rechten Knöchel verstaucht und der Schmerz schießt bis in meine Hüfte.

»Mist. Du sagtest doch, es ist vorhin nichts passiert. War ich zu grob? Verdammt, das tut mir leid.«

»Alles gut. Das wird gleich wieder.« Die Zähne zusammenbeißend bemühe ich mich um ein Lächeln.

Kopfschüttelnd streicht sich Rose die verklebten, dunklen Strähnen aus dem Gesicht. Ich tue dies ebenso, doch verheddere ich mich einen Moment lang in meinem braunen Zopf. »Verflucht.«

»Langsam, Lucy, du …« »Für langsam haben wir aber keine Zeit.« Haare brechen ab, die abgerissenen Spitzen sammeln sich auf meinem schwarzen Shirt und den gleichfarbigen Leggins. Mein bereits angespanntes Nervenkostüm vibriert noch mehr. »Morgen findet das Treffen mit Levrias statt und mir graut davor, ihm von den rachsüchtigen Mischlingen erzählen zu müssen. Deanel kann nicht einschätzen, wie er diese Information aufnimmt. Er sinnt nach Rache. Die Mischlinge ebenso.« Ich atme gegen die Enge in meinem Hals an. »Aber Levrias und Enzo werden nicht riskieren, dass sie sich einmischen, wo wir selbst doch akribisch darauf achten müssen, nicht aufzufallen, um herauszufinden, was Estella mit Sola und Sibilla plant. Vor allem in Zsumara.«

Rose knirscht mit den Zähnen. »Er muss Ruhe bewahren. Solange du dich nicht mit diesen Mischlingsanführern Prida und Holland getroffen hast, werden die sowieso nichts unternehmen.«

»Levrias ist nicht gerade der entspannte, abwartende Typ, Rose. Deshalb: Ich muss trainieren, muss meine Magie in den Griff kriegen, muss …«

»Fürs Erste musst du mal Luft holen. Klebe kein Pflaster auf die Haut, wo noch nicht mal eine Wunde ist«, unterbricht meine Freundin mich, schnappt sich das Ende ihres grauen Shirts und wischt sich über das Gesicht. Ihre weißen Dehnungsstreifen am Bauch heben sich von der gebräunten Haut ab. Sie sieht meinen Blick, doch es macht ihr nichts aus – nicht mehr. Heute kann sie dazu stehen, dass sie mal stämmiger war.

Ich puste eine Handvoll Luft aus, reibe mir die Augen. Sie hat ja recht. »Tut mir leid. Das war etwas drüber. Aber dass wir auch noch immer nicht wissen, was im Totenreich vor sich geht, beunruhigt mich sehr. So viel ist ungewiss. Das macht mich fertig.«

Rose legt den Übungsstock auf den Boden und greift nach meinen Fingern. Wir fädeln sie ineinander. »Warten wir mal ab, was Aph uns erzählt, wenn er aus Zsumara zurückkommt. Vielleicht konnte auch Kil endlich was rausfinden.«

Ich schlucke angestrengt.

Kil, der sich nach Rívera begibt. Anaphel ist lediglich der Überbringer der Lüge für Ethan und wird vorgeben, dass Le Frey aufgrund ihres immer schwächer werdenden Zustandes nach ihm verlange. Aph hat sich zuvor sicherheitshalber auch in den Sonnenpalast aufgemacht und die Ur-Maya besucht, um diese Unwahrheit noch zu untermauern. Kil wird jedoch Madame Le Frey und Lexus von meinen drei Blutlinien und Estellas weitreichendem Komplott berichten. Er ist ihnen mehr verbunden als Aph. Ihm werden sie glauben. Und Mel schwor, dass die Ur-Maya des Sonnenvolkes von alldem nichts wissen. Also entschied ich, sie einzuweihen, auch wenn diese Mischlingsanführer Holland und Prida dagegen sind. Aber sie kennen Madame Le Frey nicht so gut wie ich. Sie wird uns nicht verraten. Im Gegenteil. Lexus und sie würden starke Verbündete gegen Estella, Sola und Sibilla sein, sollte es zu einem Kampf kommen – was niemand mehr ausschließt. Es war dumm, sie nicht vorher zu informieren.

»Hoffentlich.« Ich ziehe meine Hände zurück. »Und hoffentlich wird Ethan nicht misstrauisch. Es ist klar, dass er mit unseren Feinden zusammenarbeitet.«

In mir zieht sich alles zusammen, kaum, dass seine sturmgrauen Augen in meinem Geiste aufblitzen. Dieser Verräter hat mich ein halbes Jahr in London ausspioniert. Hat mir zuallererst eine Freundschaft vorgespielt, um mich anschließend zu drangsalieren. Bah! Vermutlich hatte Estella selbst ihm das befohlen.

Rose atmet gepresst aus. »Und Mel muss bald mal zusehen, dass sie dir sagt, wann du dich mit diesen Mischlingsanführern treffen sollst. Zuvor wäre es gut, wenn dein Feuermal zur Gänze erwachen würde.«

Ein dezent irres Lachen entfährt mir. »Nichts leichter als das.« Ich spähe auf meine Sonnenmale an den Handgelenken hinab. Sie schimmern weißlich. Anschließend linse ich auf meinen rechten Oberarm, der heute Morgen flüchtig golden funkelte. Wenige Tage ist der Kampf in der Kathedrale her, wo sich Konturen des Feuermals auf meiner Haut gebildet hatten. Seltsamerweise ist das Mal unvollständig. Aber wie lange noch? Und was wird Estella tun, wenn es sich vollends manifestiert? Wird sie weiterhin auf eine Hochzeit mit Deanel drängen? Bisher hat sie sich diesbezüglich zurückgehalten und mich nur einmal ihren Besprechungsraum aufsuchen lassen, um es stirnrunzelnd zu begutachten.

Meine Mundwinkel zucken. Dabei ist nichts hiervon witzig. »Vor Wochen war es mein größter Wunsch gewesen, dass es nie auftaucht. Jetzt hoffe ich, dass es schnellstmöglich passiert. Je eher meine drei Male erwachen, desto zügiger kann ich den Ur-Maya ihre Magie entziehen und dem magielosen Volk seine Kräfte wieder zurückgeben. Ausgesprochen klingt das einfach so absurd.« Denn wie ich das bewerkstelligen soll, sei dahingestellt. Eine bittersüße Befriedigung der Hoffnung bleibt wie immer aus.

»Ebenso werden die Flüche von den Königsstädten weichen. Vergiss das nicht.«

»Als könnte ich …« Ich ziehe meine rechte Braue hoch.

»Ja, ja, schon gut. Und ich verstehe dich. Vor Wochen wussten wir nichts davon, dass die Ur-Schwestern selbst den Fluch über uns brachten. Die Schleier sich daraufhin von uns abwandten und du Hunderte Jahre später mit drei Blutlinien geboren wirst, um diesen Fehler wieder zu beheben.« Sie stockt. »Ja. All das klingt wirklich abartig.«

Nun krampft mein Magen. So recht kann ich mich mit meinem Schicksal noch immer nicht anfreunden. Aber es hilft nichts.

Wieder denke ich an Kil. Wie es ihm wohl nach Mels Geständnis geht? Mit diesen Plänen, die sie bereits mit ihrem Vater vor Jahren gemeinsam geschmiedet hat. Pläne, bei welchen Kil außen vor gelassen wurde. Ob er ausgerastet ist?

Nicht nur wegen des Verrats. Auch weil Mel den einstigen Platz ihres Vaters im Rat der Sieben eingenommen hat, nachdem sie mich mit einer Illusion überhaupt erst in diese Kathedrale gelockt hat, damit mein Feuermal sich regt. Mit Erfolg. Ich hoffe, Aph gibt uns auch hierüber Bescheid.

Wo bleibt er überhaupt so lange? Er sollte schon längst zurück sein, verdammt.

»Was machen wir nun wegen Mel, Lucy?«

»Warten, bis sie sich meldet. Sie hat ausdrücklich gesagt, dass sie auf mich zukommt.« Seit Tagen habe ich nichts von ihr gehört. Sorgenvolle Wellen rauschen durch mich. Sie spielt mit dem Feuer inmitten eines Schlangennestes.

Rose’ bekümmerter Blick macht es nicht besser.

Beruhige dich, Lucy. »Estella ahnt bestimmt nicht, dass Mel auf unserer Seite ist und sie ausspioniert. Dafür hatte sie ihre Rolle jahrelang perfektioniert. Ebenso ihr Vater zuvor. Vermutlich trifft sie sich heimlich mit den Mischlingsanführern oder hat vom Rat erste Aufträge erhalten.«

»Hoffentlich.« Wieder fährt Rose sich über die schweißnasse Stirn.

Ich schlurfe zum Beckenrand, hebe meinen Übungsstock auf. Die Oberfläche des brausenden Wassers funkelt wie azurblaue Tautropfen. Die Schonhaltung vergessend, knicke ich leicht ein.

Rose zischt hinter meinem Rücken. »Ich frag Mary-Lou mal, ob sie eine Salbe gegen Verstauchungen hat.«

»Die Heilerin des Feuervolkes heißt Mary-Ann«, korrigiere ich sie und drehe mich vorsichtig um. »Heute Morgen hatte sie leichtes Bauchziehen. Ihr Kind kann jederzeit auf die Welt kommen. Lassen wir sie in Ruhe.«

»Eine Salbe wird sie ja wohl noch aushändigen können.« Scharfe Worte, die eigentlich so gar nicht zu Rose passen. Doch die Sorgen schlagen sich auf ihr sonst so besonnenes Gemüt nieder.

Meine Freundin deutet auf meine Handgelenke. »Wie läuft dein magisches Training mit Deanel?« Sie legt ihren Übungsstock ab, hebt die Arme über den Kopf, dehnt ihren Oberkörper von rechts nach links.

»Gut. Aber nicht gut genug.« Ich schicke die weiß glitzernde Kraft von meinen Sonnensymbolen durch meinen Körper, lege sie wie einen Schutzwall um mich. Die einzige Form von Magie, die ich nach außen tragen kann, ohne zuvor eine Fremde in mich aufgenommen zu haben.

»Nicht gut genug?« Rose tritt neben mich, tippt mit ihrem Zeigefinger gegen diese Wand von Magie. Es zischt leicht und sie nimmt sofort Abstand. Ich fühle lediglich ein zartes Kitzeln an dieser Stelle.

»Gestern konntest du das noch nicht.«

»Deanel hat die halbe Nacht mit mir trainiert. Einmal konnte ich sogar seine Magie abwehren.« Sein stolzer Blick kommt mir in den Sinn. Mein Bauch zieht natürlich prompt in alle Richtungen. Rose’ schelmisches Lachen macht es nicht gerade besser, meine tosenden Gefühle in Ordnung zu bringen. So gut wie möglich konzentriere ich mich wieder auf meine Sonnenmale, lasse die Magie anschwellen, dehne sie aus.

Rose sieht in Richtung Terrasse, wo die lauernden Schatten der Nacht mit jeder verstreichenden Minute aufdringlicher in den Raum kriechen.

Gleich muss ich zu dem Essen mit Estella. Meine Brust wird eng, die Magie verpufft in Windeseile. »Danke für das Training, Rose. Ich sollte mich fertigmachen.«

Mit einem halben – wohl gemerkt aufgesetzten – Lächeln, wende ich mich ab. Sie hält mich an meinem Shirt zurück. »Was sie wohl von dir will?«

»Bestimmt nur sehen, wie es mit meinem Feuermal aussieht.«

Bevor ihre Sorgen die meinen vermehren, ziehe ich sie in eine kurze Umarmung und verschwinde anschließend in mein Zimmer. Ich muss mich frisch machen.

 

 

Unruhig trommle ich mit den Fingern auf den seidigen roten Stoff meines Rockes. Seit ich weiß, dass diese Klamotten Romina gehören, juckt die Kleidung besonders fies.

Eine Verlegenheit packt mich, die ich nicht gebrauchen kann.

Unsicherheit, die völlig fehl am Platz ist, da Deanel mir nie einen Grund gegeben hat, an mir zu zweifeln. Trotzdem ist da eine Eifersucht, die ich einfach nicht unterdrücken kann, obwohl ich weiß, dass er seine einstige Verlobte nicht mehr liebt und er sich einfach nichts dabei gedacht hat, mir ihre Klamotten zu geben. Warum auch? Anfangs hatte keiner geahnt, dass wir so starke Gefühle füreinander entwickeln würden.

Laut ausatmend blicke ich zu dem Glas mit den restlichen drei Erinnerungen neben der Arnika-Heilsalbe auf dem Nachtkästchen, die bereits ihr Bestes tut. Rose hat sie mir zuvor von Mary-Ann gebracht. Die letzten Nächte haben Deanel und ich mit meiner Magie trainiert, sodass keine Zeit war, die Erinnerungen mit ihm anzusehen. Müde fahre ich mir durch das offene, dunkle Haar. Gleichzeitig schießt ein heißes Kribbeln meine Wirbelsäule entlang.

Deanel hat seine Magie in mich geleitet, die ich mit großer Willensanstrengung wohldosiert wieder an ihn zurückschicken konnte. Dieses lustvolle Inferno, als sich unsere Kräfte bei Kils Seelenübergabe vereinten, blieb aus. Dennoch knistert die Luft zwischen uns wie ein Gewitter – vor allem, wenn unsere Magie sich kreuzt.

Ich starre auf das leere Bett, welches Deanel die letzten Tage nicht benutzt hat. Stattdessen haftet sein Geruch nach süßen und leicht verbrannten Äpfeln an meiner Bettwäsche. Mein Herzschlag beschleunigt sich, ich presse die Knie aneinander. Deanel kümmert sich im Moment um die Nevemias-Babys in den Bergen. Sowieso wurde er nicht zu diesem Dinner eingeladen.

Ein schüchternes Klopfen ertönt.

Sofort springe ich hoch. Bevor ich die Tür öffne, fahre ich mit der Hand über das Medaillon, das Deanel mir zum Schutz geschenkt hat.

Ich bin immer nur einen Gedanken von dir entfernt.

Obwohl ich es auf Teufel komm raus nicht vor Estella verwenden würde, schenkt es mir einen Hauch von Sicherheit.

Das Klopfen wird lauter. »Madame Lucy?«, höre ich erstickt.

Flugs eile ich zur Tür, öffne sie. Die junge Dienstmagd knickst so schnell, dass sich ein paar blonde Strähnen aus dem grauen Haartuch lösen. Hastig wischt sie sich diese aus den leuchtend grünen Augen.

»Ich soll Euch in den Speiseraum bringen.« Ihr selbstsicherer Tonfall steht im Kontrast zu ihrem nervösen Lächeln. Als ob ich ihr was tun würde, Herrmaya noch mal.

Sie linst in den Raum. Erkenntnis flutet mich. Sie hat nicht Angst vor mir, sondern vor Deanel. Besser gesagt – vor der Rolle des herrischen und verrückten Prinzen, die er spielt, damit Estella ihn nicht als die Bedrohung sieht, die er als stärkster Bluterbe sehr wohl ist. Ein wenig tut mir das Mädchen leid. Die letzten Tage war das Personal recht freundlich zu mir gewesen. Vor allem diese Dienstmagd. Ich schenke ihr ein beruhigendes Lächeln. Sie verzieht jedoch die Lippen, weicht erschrocken zurück und starrt einen Moment auf meinen rechten Oberarm. Dass das Mal Konturen aufweist, hat sich schneller herumgesprochen, als dass man stille Post sagen kann.

Ich räuspere mich. »Natürlich. Lass uns gehen.« Bevor die Tür ins Schloss fällt, schreitet sie schon wortlos voran in eine sternenlose Nacht. Ich folge ihr.

 

 

Kapitel 2

 

 

»Da ist sie ja.« Estellas greisenhafte Gesichtshälfte runzelt sich wie eine Dörrpflaume. Die andere dagegen erstrahlt in einem völlig unnatürlichen jugendlichen Glanz. Das ist so bizarr. Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen. Ein gruseliger Schauer läuft meinen Rücken entlang.

»Hier bin ich, ja.«

Ihr durch und durch grimmiger Blick wandert von meinem rechten Oberarm zu meinen Handgelenken. »Nimm Platz.« Die Bewahrerin der Schleier deutet auf den mit braunem Samt bezogenen Sessel ihr gegenüber an dem länglichen, reich gedeckten Tisch. Verschiedenste Salate, gefüllte Brotkörbe und Käseplatten stehen zum Verzehr bereit.

Das Dienstmädchen neben mir knickst und verschwindet anschließend. Fast beneide ich sie. Tief einatmend setze ich mich und weiche Prutus’ lüsternem Blick aus. Der Rock spannt an meiner Taille und das weiße langärmelige Shirt verdeckt meine üppigen Brüste nicht, auf die er garantiert stiert. Tut er ja immer. Dreckskerl! Deanel hat nicht mal den Hauch einer Ähnlichkeit mit seinem Vater.

Dennoch werde ich mich in keine weiten Lumpen hüllen. Ich balle die Hände unter dem Tisch zu Fäusten. Das hoch lodernde Feuer im Kamin spiegelt sich in den goldenen Kelchen wider, die ebenso auf dem Tisch verteilt stehen. Sie hüllen den Raum und die herrschaftliche Statur von Estellas Geliebtem in ein weiches Orange. Doch nichts an diesem Maya ist weich. Prutus wirkt immerzu wie ein gefährliches Raubtier, kurz davor, einen mit Haut, Haaren und Knochen zu verschlingen. Ich räuspere mich. »Für wen sind die restlichen drei Gedecke?« Mit dem Kinn deute ich zu den weiteren ovalen Tellern. Estella wird mir wohl kaum die restlichen Mitglieder ihres geheimnisvollen Rates vorstellen. Braucht sie auch nicht. Deanel hat mir bereits erzählt, wer sie sind. Aber das weiß diese Schnepfe nicht.

»Wirst du schon sehen, Butterblume.« Prutus antwortet derart kratzig, dass Estella ihm einen warnenden Blick zuwirft. Erst als sie hüstelt, sieht er zu der Weinkaraffe und schenkt sich ein. Die beerige Flüssigkeit hat dieselbe Farbe wie sein Hemd.

»Der Tzolkien hat mir eine Nachricht der Schleier zukommen lassen, Liebes. Und die gilt es zu verkünden«, sagt Estella.

Ich fasse so hart an die Tischunterkante, dass meine Fingerknöchel garantiert weiß hervortreten. Seit sie und ihre Schwestern den Fluch über die Welt der Maya gebracht haben, haben die Schleier ihr lediglich mehr eine weitere Nachricht zukommen lassen: Jene, die besagt, dass es mir möglich sein wird, mit meinen drei erwachten Malen dem Volk seine Magie wieder zurückzugeben und die Königsstädte von den Flüchen zu befreien, welche sie heimsuchen. Seitdem haben die Schleier nicht einmal mehr über den Tzolkien mit ihr korrespondiert. Wie ich ihre scheinheiligen Ausreden hasse, die sie benutzt, um ihren Willen zu bekommen. Wie ich ihre Lügen verabscheue und ihre vermaledeite, egoistische Selbstliebe. Sie könnte ihr Volk retten, doch schaut sie nur auf sich. Sola und Sibilla ebenso. Sie wollen meine Magie, um selbst zu überleben.

Ich werde euch aufhalten.

Estella legt den Kopf schief. »Du bist etwas blass um die Nase, Kind. Trink vom Wein. Ich habe ihn vorkosten lassen.« Estella prostet mir zu, doch ich verharre angespannt in meinem Sessel und rühre mich nicht. Ich kann mich noch gut an unser erstes gemeinsames Essen erinnern, wo man versucht hatte, mich zu vergiften. Einen Moment lang spähe ich auf den Boden, zu der Stelle, wo Aph diesem Maya Henry daraufhin ein Messer in den Rücken gebohrt hatte. Zittrig atme ich aus. »I-ich habe keinen Durst. D-danke.«

Doppeltes Stottern. Super.

Estella zuckt mit den Schultern, Prutus lächelt amüsiert.

Die Tür hinter mir schwingt auf und der kalte Lufthauch umfängt mich.

Ich drehe mich in schwindelerregender Geschwindigkeit um.

»Estella, Prutus.« Baron schlendert leise pfeifend durch den Raum, nimmt direkt neben Estella und gegenüber Prutus Platz. Die letzten Tage haben wir ihn kaum zu Gesicht bekommen. Seit sein Sohn Anaphel sich über die Behandlung der arbeitenden Mischlinge in Eradaz bei Estella beschwert hatte, nimmt Baron sich der Situation an. Trotz Estellas Anordnung, nichts zu unternehmen, scheucht er einen groben Aufseher nach dem anderen von den Feldern, um welche sich die Mischlinge kümmern müssen. Die dicke Luft zwischen ihm und Estella ist nahezu greifbar.

Meine Sonnenmale kribbeln plötzlich warnend.

Hinter meinem Rücken lacht jemand durchtrieben auf, die Tür fällt mit einem lauten Knall ins Schloss. Automatisch ziehe ich den Kopf ein – kurz. Dann sehe ich über meine Schulter. O Maya.

Er ist es wirklich.

In seinen sonst so freudlosen, dunklen Augen tanzt Vergnügen. Ungalant setzt Hector sich neben Prutus, lässt mich ebenso wie dieser Hüne nicht aus den Augen. Doch lieber liefere ich mir mit meinem glatzköpfigen Ex-Mitschüler ein Starrduell als mit Deanels Vater.

Hectors Abscheu mir gegenüber ist unmissverständlich. Je länger wir uns mit Blicken erdolchen, desto mehr verzieht er seinen Mund.

Estella lacht glockenhell. »Hector wird seinen Vater, den Direktor von Tranváraz, heute beim Dinner ersetzen. Ihr zwei kennt euch, nicht?«

Blöde Frage. Das weiß sie doch.

»Leider«, antworte ich. Hector schnauft wie ein Stier. Ich ignoriere diesen Tölpel, drücke mein Rückgrat durch. »Warum hätte der Direktor des Gefängnisses heute hier sein sollen? Ist er ebenso an meinem Feuermal interessiert?«

Hector lehnt sich näher zu mir. »Werde mal nicht albern. Meinem Alten bist du so was von scheißegal.«

Ihn ignorierend warte ich auf Estellas Antwort. Sie bleibt aus. Stattdessen schenkt sie Hector einen herablassenden Blick erster Klasse. Frech lacht er leise.

Und ich wünschte mir, Kil hätte ihm nicht die Erinnerung genommen, wie ich ihm vor nahezu einer Woche einen Dolch in die Seite rammte, als er mich fast dabei erwischt hätte, wie ich Estellas wandernden Kerker gefunden habe. Die letzten Tage wagte ich es nicht, mich erneut auf die Suche nach ihm zu machen. Denn Estella hat das Feuerreich nicht mal für ein paar Minuten verlassen.

»Du bist so ein Arschloch«, rutscht es mir raus und Hectors Wangen färben sich puterrot. Meine ebenso. Das hätte ich nicht sagen sollen. Auch wenn es stimmt.

»Dass du so anmaßend sein kannst, Kind.« Estella schüttelt den Kopf.

Hector greift nach einem Käsebällchen, dreht es zwischen seinen Fingern und überlegt wohl, ob er es mir in den Rachen stopfen soll. Gerade als er den Mund aufmacht, verdichtet sich die Luft rechts von mir zu einem wirbelnden, grauen Gemisch.

Der Geschmack von geschmolzenem Schnee liegt mir mit einem Mal im Mund und all meine Sinne warnen mich.

Nein, nein, nein. Nicht er. Bitte. Nicht. Er.

Ich presse mich an die Stuhllehne. Ethan schnalzt mit der Zunge, noch ehe er sich vollständig neben mir materialisiert.

Nicht nur dieser Geschmack von Eis schlägt mir auf den Magen, sondern auch diese stumpfen Augen, die ich so zu verabscheuen gelernt habe. Und sie mich. Ethan – der Jäger, der einst unzählige Mischlinge auf brutalste Weise abgeschlachtet hat. Er verachtet meine Spezies vermutlich noch mehr als Hector. Und das will was heißen. Mein Innerstes zieht sich zusammen vor lauter Unbehagen.

»Lucy, meine Teuerste.« Seelenruhig richtet er sich den Aufschlag seiner schwarzen Tunika, nickt anschließend Estella zu. Ich sage kein Wort, blicke nur mit zusammengepressten Lippen zu ihm auf.

»Ethan, mein geschätzter Neffe. Wie schön, dass du es einrichten konntest.«

»Entschuldige die Verspätung, Estella, meine liebe Tante. Ich hatte noch ein anregendes Gespräch mit Kilian und Anaphel. Wirklich reizend, dass uns in letzter Zeit so häufig wichtiger Besuch beehrt.« Ein schneller Seitenblick zu mir. Innerlich brodle ich vor Nervosität, aber ich bemühe mich um eine ausdruckslose Miene. Schweiß bildet sich an meinen Handflächen. Ethan nimmt Platz, schenkt mir und sich Wein ein. Ich bedanke mich nicht.

Estella langt nach einer aufgeschnittenen, roten Frucht vor sich. »Nun sind wir vollzählig. Bevor wir mit dem Festessen beginnen, möchte ich noch die Nachricht mit euch teilen, die mir der Tzolkien erfreulicherweise zukommen ließ.« Sie kaut ihr Essen ohne Eile.

Welche Unwahrheit wird sie uns wieder auftischen? Es muss etwas Wichtiges sein, wenn sie zu diesem Dinner mit solchen Gästen ruft.

Endlich schluckt sie, legt mehrmals eine lavendelfarbene Locke zurecht, die aus ihrem Haarknoten entschlüpft ist.

»Lucys Feuermal mag noch nicht zur Gänze erwacht sein, doch es ist klar, dass es sehr bald so weit sein wird. Die Magie pulsiert wie Trommelschläge in meinen Ohren.« Sie schüttelt sich durch und mein Unbehagen wächst. »Wärst du so gut, Hase, und siehst mal nach?« Mit halb gesenkten Lidern linst sie zu Prutus.

Nicht doch! Ich kringle so fest die Zehen ein, dass es wehtut. Doch dagegen aufzubegehren hat keinen Sinn, verdammt. Gleich wird er die Magie an meinem Mal versuchen zu erschnüffeln.

Grauenhaft lächelnd kommt er ohne Umschweife auf mich zu. Ich weiß, was gleich geschehen wird, und will nicht, dass er mich mehr berührt als notwendig. Bevor er also harsch an meinen Klamotten reißt, stehe ich auf und schiebe einen Teil meines weißen Shirts über meine rechte Schulter. Hector würgt, Ethans Mund öffnet sich ein wenig. Wie ich das hier hasse. Prutus bleibt direkt neben mir stehen. »Hast du es so eilig, dich vor mir auszuziehen?«

»Bringen wir es doch einfach hinter uns, okay?«

Grinsend fasst Prutus mit der linken Hand an meinen Nacken, die rechte schnappt sich meinen Unterarm. Keinen Herzschlag später drückt er seine knollige Nase auf die Haut des freigelegten Oberarms. Mein Mal hämmert prompt wie verrückt. Dieses Pochen zieht bis zu meinem Hinterkopf. Und zwar so stark wie noch nie. O nein. Wenn es schon erwachen sollte, dann bitte nicht hier vor meinen Feinden. Denn werde ich diese Magie kontrollieren können? Nicht, dass ich bis auf Baron hier alle begraben wollen würde, aber lieber wäre es mir, Deanel wäre in dieser Situation bei mir. Er beruhigt mich, schenkt mir Vertrauen, welches mir in letzter Zeit zu oft abhandenkommt.

»Kurz davor«, murmelt der Hüne an meiner empfindlichen Haut und lässt nur langsam von mir ab. Ich beiße mir in die Innenseiten meiner Wangen und das Pochen wird leidlicher.

Prutus pustet mir eine lose Strähne hinter das Ohr. Sofort rücke ich mit dem Kopf zurück.

»Das bestätigt die Überbringung der Schleier.« Estella sagt dies so eisig, dass ihre Stimme wie Nägel über meine Haut fahren. Sofort eilt ihr Geliebter wieder zurück auf seinen Platz. So ein folgsames Hündchen aber auch.

Mein Atem geht stoßweise. »D-die wäre?«

»Dass der Hochzeit zwischen dir und Deanel nichts mehr im Wege steht. Ich werde heute noch mit der Planung beginnen. Und es ist nicht von Bedeutung, dass dein Mal noch nicht zur Vollständigkeit ausgefüllt ist.«

Mein Herzschlag verdreifacht sich vor Freude und wilde Nachtfalter fliegen in meinem Bauch umher. Fast grinse ich, bis mir einfällt, dass das nicht die Reaktion ist, die man von mir erwartet. Offiziell hasse ich Deanel. Und er mich.

Ich spanne mich an, zwinge mich zu einem bitterlichen Schluchzen. »Nein. Das Mal muss sich nicht zur Gänze entwickeln! Ich werde ihn nicht heiraten. Er … er …« Einen Moment lang schlage ich mir die Hände auf das Gesicht, fahre mir anschließend fahrig durch das Haar. Dabei fegt reinstes Entzücken durch meine Adern. Anschließend knalle ich derart meine Fäuste auf den Tisch, dass Gläser wackeln.

Niemand erschrickt. Stattdessen lachen alle.

Estellas Gekicher perlt jedoch über alle anderen hinweg. Das begeisterte Gefühl in meinem Bauch reißt ab wie versiegende, ausdörrende Flüsse.

»Du wirst dich schon noch an die Launen meines Sohnes gewöhnen, Kind. Außerdem steht die Entscheidung mit dieser Nachricht im Tzolkien bereits fest. Die Schleier spüren deine Kraft der zwei Male und wollen das Volk vor dir und deiner unberechenbaren Magie schützen. Deanel als stärkster Bluterbe wird das können.«

Ethans kalte Aura drängt auffällig gegen meinen erhitzten Körper. Ich meide ihn, starre nur Estella in Grund und Boden.

Wenn Lügen ein Wettbewerb wäre, wäre Estella Olympiasiegerin. Ich unterdrücke das giftige Lachen, welches sich meine Kehle emporarbeitet. Ahnt denn niemand etwas von diesen Märchen, welche sie immer zu ihren Gunsten auslegt? Ach was, alle in diesem Raum wissen ja vermutlich sowieso Bescheid – ich eingeschlossen. Nur darf ich es mir nicht anmerken lassen.

Unbeherrscht kralle ich mich am roten Tischläufer fest. »Ich habe Angst vor ihm.«

»Er ist doch nur ein wenig aufbrausend. Das wird schon, Kind.«

Immerzu Kind, Kind, Kind. Als wäre sie meine Mutter und könnte über mein Leben bestimmen.

Schon hole ich Luft, um zu protestieren, da hebt sie warnend die Hand.

»Du wirst hier in Eradaz an Deanels Seite leben und als Prinzessin Pflichten nachkommen, die auch mein Sohn sodann wieder in Angriff nehmen muss. Das Volk wird lernen, dich zu respektieren. Du bleibst hier so lange unter Beobachtung, bis dein sterblicher Leib zerfällt. Du wirst keine Kinder zeugen, die ebenso diese zwei Blutlinien in sich tragen würden. Für einen Fortbestand unserer Linie werden Deanel Mätressen zur Verfügung stehen. Diese Lösung wird alle hier lebenden Maya, wie auch jene im Toten- und Sonnenreich zufrieden stimmen. Das ist dein Schicksal. Finde dich damit ab.« Mir weicht das Blut aus den Wangen. Einen Augenblick lang wird mir schwummrig, obwohl ich doch weiß, dass es nie zu all dem kommen wird. Doch allein der Gedanke, dass Deanel …

Bittere Magensäure sammelt sich in meiner Speiseröhre.

Ethan schnalzt mit der Zunge. »Du bist erbleicht, Lucy, meine Teuerste. Nimm doch wieder Platz, gut?«

Ich tue nichts dergleichen. Stattdessen taxieren Estella und ich uns mit feindseligen Blicken.

»Es ist entschieden. Und jetzt setz dich.« Die unterschwellige Drohung in ihren Worten entgeht niemandem. Baron holt auffällig laut Luft. Hector rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Prutus’ Grinsen wird breiter, Ethan bleibt die Ruhe selbst.

Und mein Geduldsfaden reißt. Ich habe diese ganzen Lügen so satt. Dass man glaubt, mit mir umspringen zu können, wie es einem beliebt. Das Beben in meinen Händen verstecke ich nicht. Meine Sonnensymbole leuchten auf.

»Süß«, grummelt Hector, während Ethan dreist nach meinen Fingern greift. Vor Überraschung schlage ich nach seiner Hand, erwische aber lediglich mein Weinglas. Der Inhalt ergießt sich auf meinen Rock. Ich stolpere zurück, lande keuchend im Sessel.

Da stelle ich mich ja wieder großartig an.

Prutus und Hector grunzen vor Vergnügen.

Estella klopft mit dem Löffel harsch gegen ihren Kelch. Der Wandteppich zu meiner Linken wird zur Seite geschoben und zwei Bedienstete stürmen in den Raum, verneigen sich. Ein Geruch von gebratenem Gemüse weht durch den Spalt des Wandbehangs zu uns. »Was können wir für Euch tun?«

Baron wedelt mit den Händen in meine Richtung. »Es wurde Wein verschüttet. Kümmert euch darum.« Er sieht ihnen nicht mal in die Augen. Sofort eilen sie neben mich, wechseln Ethans Geschirr, welches rote Spritzer abbekommen hat. Meines lassen sie stehen, wenngleich ich es ebenso bekleckert habe.

»Nun denn. Es ist alles gesagt. Lasst uns essen.« Estella langt nach einer Brotscheibe, unterhält sich seelenruhig mit Prutus. Als sie meinen hasserfüllten Blick spürt, sieht sie zu mir, blinzelt mehrmals. »Ah, ja. Da Melissandre bei der Seelenübergabe ihres Bruders Kilian unpässlich war, werden wir diese Feier in zwei Tagen nachholen.«

Ich spanne mich an.

Estella fährt fort: »Schließlich ist Melissandre eine direkte Nachfahrin von Lexus, weshalb die Ur-Maya und Bluterben dieser Übergabe aus Respekt beiwohnen werden. Du wirst mit in die Sonnenstadt reisen, wo Hector sich um dich kümmern wird. Zuletzt hast du die Magie der Schleier ja nicht gut vertragen und das Ritual gestört.« Sie grinst diebisch. »Und da ihr doch alte Schulkollegen seid, dachte ich mir, ihr könntet in Erinnerungen schwelgen.«

So. Ein. Miststück. »Das muss er nicht«, werfe ich ein, doch niemand nimmt von meinem Aufbegehren Notiz.

Hector spielt mit dem Speisemesser. Eine Drohung? Vermutlich.

Das aufgetürmte Essen auf dem Tisch vor mir schlägt mir nun äußerst unangenehm auf den Magen. Mehr noch als die Gäste.

»Ich möchte gern gehen.«

Sie alle laben sich an dem Käse, den seltsamen roten Früchten, welche die Mischlinge für sie ernten.

»Ich möchte gern gehen«, wiederhole ich schärfer. Erst als ich ein gepresstes Bitte hinterherwerfe, nickt Estella, ohne mich anzusehen.

Sofort stürme ich aus dem Raum, die Treppen der Außenterrasse hoch, welche die Stockwerke verbinden. Die Nacht ist vollends über Eradaz hereingebrochen. Die wenigen Fackeln erhellen nur spärlich meine nächsten Schritte. Trotzdem werde ich nicht langsamer. Ich muss mich für Hector wappnen, muss meine Selbstverteidigung, an meiner Magie üben. Muss … fürs Erste Luft holen, erinnere ich mich an Rose’ Worte von vorhin.

Ich trete über meine und Deanels Zimmerschwelle, hoffe, dass er wieder von den Nevemiasbergen zurückgekehrt ist. Doch das mit Kerzenlicht erhellte Zimmer ist leer. Etwas Weißes sticht mir auf dem Boden ins Auge – ein zusammengefalteter Zettel.

Stirnrunzelnd hebe ich ihn auf und falte ihn auseinander.

Da steht nichts. Kopfschüttelnd wende ich den Zettel, fahre mit dem Daumen über den Rand. Meine Sonnensymbole leuchten auf und ein feines weißliches Glitzern huscht über das Papier, verbindet sich mit dem Leuchten meiner Handgelenke. Einen Herzschlag später erkenne ich Mels krakelige Handschrift.

Blut rauscht wild durch meine Adern. Sie hat eine Illusion über die Nachricht gelegt. Dass so was möglich ist, wusste ich nicht.

 

In vier Tagen findet das Fest der Tausend Gesichter in Caliemar statt. Sei dort und trage eine schwarz-weiße Maske.

Prida und Holland werden dich finden. Sie wollen allein mit dir sprechen.

Ich wurde ohne Probleme im Rat aufgenommen, doch Hector folgt mir nahezu auf Schritt und Tritt. Auch haben dich die Angestellten im Auge.

Die nächsten Tage schickt Estella mich unter den Totenberg.

Pass auf dich auf

 

Mel

 

Verblüfft halte ich den zerknüllten Rand des Zettels in die Flamme. Die Nachricht zerbröselt zu Asche.

Es dauert, bis meine Gedanken die mit Sorgen gespickte Leere in mir durchbrechen und ich wieder zurück auf dem Boden der Tatsachen lande.

Sie und ich werden beobachtet.

Mel wird in dieser Position dennoch treffsicher in Erfahrung bringen, was in Zsumara vor sich geht. Das ist gut. Und trotzdem legt sich eine eiserne Hand um mein Herz. Mehrmals fahre ich mir über das Gesicht.

Morgen treffen wir uns mit Levrias.

Übermorgen findet Mels Seelenübergabe statt.

In vier Tagen ist also dieses Fest in Caliemar, von dem ich noch nie gehört habe. Bis dahin brauche ich eine Maske und eine Ausrede, um dort hinzugelangen.

O Maya. Höllische Kopfschmerzen bahnen sich an. Wen wundert’s? Mich nicht. Der pulsierende Schmerz drückt bereits gegen meine Schläfen. Sogleich reibe ich sie, lasse mich in das Bett zurückfallen.

Meine kreisenden Gedanken beruhigen sich nicht. Stattdessen werden sie drängender und mit ihnen kommt diese verfluchte Angst vor meinem sicherlich bevorstehenden Versagen.

Ich fahre hoch, greife nach dem Glas mit den Erinnerungen und drücke es an mich.

Ich brauche ihn – brauche Deanel gerade mehr denn je.

Maya, lass mich mit einer weiteren Erinnerung wenigstens vorübergehend all das vergessen, bevor dieses furchtbare Gewicht auf meiner Brust mich noch erstickt.

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 3

 

 

Helle, sonderbar wirbelnde Lichter ersetzen die menschengroßen Wachsfiguren, zwischen denen ich mit Deanel hindurch schlendere. Gekünstelte, blumige und herbe Noten von zahlreichen Parfums der Touristen haften in meiner Nase. Eine sinnesüberreizende Mischung.

Aber mehr noch spüre ich Deanels raue Fingerkuppen auf meinem Handrücken, als wir Madame Tussaud’s verlassen. Eine flüchtige hinreißende Liebkosung, die ich nicht loslassen möchte. Hartnäckig kämpfe ich gegen den schwindenden Halbschlaf an. Doch die orangefarbenen Strahlen der Morgensonne sind beharrlich. Die Erinnerung entgleitet mir mit jedem weiteren Atemzug.

Sein verschmitztes Lächeln verblasst, ebenso das goldene Funkeln in seinen haselnussbraunen Augen. Mein Herz schlägt wie Schmetterlingsflügel, wechselt sich ab mit einer Beklemmung, die dieses Museum zumeist mit sich bringt.

Die Matratze bewegt sich.

Schnurstracks öffne ich die Augen.

Deanel liegt völlig bekleidet neben mir. Den Kopf hat er auf einer Hand abgestützt und ein kleines Rinnsal Blut tropft von seiner Schläfe auf das Kissen. Sofort fahre ich mit dem Oberkörper hoch, sehe ihn mir genauer an. Sein Hals ist über und über mit Dreck und wenig Blut verschmiert. Ein Duftgemisch aus Heu und etwas Metallischem umhüllt ihn.

»Was ist passiert?« Huch, klingt meine Stimme schrill.

»Freche, tollwütige kleine Nevemias-Babys sind passiert.« Er streckt die Hand nach einer meiner Strähnen aus und zwirbelt sie um seinen Zeigefinger. »Der erste Ausflug eines Nevemias-Babys, und der Kleine ist auf der Stelle abgestürzt. Zum Glück ist ihm nicht viel geschehen.«

»Maya sei Dank.« Erleichtert schnappe ich nach Luft. »Aber kann dir denn niemand mit den Kleinen helfen?« Sanft schlinge ich meine Finger um sein Handgelenk, kreise mit dem Daumen darüber. Wenigstens werden seine Wunden gleich verheilen.

»Sie tolerieren niemanden außer mich und Lev. Das weißt du doch.« Sein intensiver Blick streicht über mein weites Schlafshirt, dann späht er zum Nachttisch. Kaum merklich öffnet er den Mund, seine Augen blitzen auf.

»Bevor du fragst – wir waren in Madame Tussaud’s. Sehr klischeebeladen, mein Lieber.« Meine Stimme stockt einen Moment lang und meine Brust zieht schmerzhaft.

»Es war aber deine Idee«, wispert er verhalten und lässt meine Haarsträhne los.

Sofort ziehe ich auch meine Finger zurück, verknote die Hände vor meiner Brust. Diese Antwort überrascht mich. »So eine Verabredung würde ich nie vorschlagen.«

»Hast du aber.« Da ist nichts als die Wahrheit in seiner Stimme. Und trotzdem verneine ich kopfschüttelnd. Das kann nicht sein. Ich habe diesen Besuch bestimmt nicht empfohlen. Es grenzt ja schon an ein Wunder, dass ich überhaupt mit ihm dort hin bin.

Er rückt näher. »Ich habe mich an diesem Tag in einem Starbucks zu dir gesetzt und wir sind ins Gespräch gekommen. Du hast mir erzählt, dass deine Mutter Madame Tussaud’s geliebt hat. Deshalb wolltest du dorthin.«

»Genau deshalb will ich dort aber niemals hin.« Nicht nach ihrem Tod jedenfalls. Die lauernden eisigen Finger des Vermissens greifen unbarmherzig nach mir, drücken in die offene Wunde meines Herzens. Sie ist noch lange nicht verheilt.

Er mustert mich eindringlich und ich seufze auf.

»Habe ich dir in anderen Erinnerungen bereits von ihr erzählt?«, frage ich. Leise, gehauchte Worte.

Deanel setzt sich im Schneidersitz mir gegenüber, legt seine Hände auf meine Oberschenkel und streicht beruhigend an ihnen entlang. Die dünne Decke auf meinen Beinen lässt mich diese Berührung nicht weniger heftig fühlen. »Das hast du.«

Ein Kloß in meinem Hals wird größer. »Mit Kil habe ich erst nach Jahren das erste Mal über Mum gesprochen. Jahre, Deanel. Wie kann es sein, dass ich dir bereits sofort vertraute? Vor allem, da sie mir die Erinnerungen an dich stets nahmen?«

Sanft entknotet er meine Hände, legt sie behutsam in meinen Schoß. »Weil das hier«, er streicht mit seinem rechten Handrücken über den Ansatz meiner linken Brust, »schon damals fühlte, dass das zwischen uns wahrhaftig ist. Gestohlene Erinnerungen hin oder her. Dein Herz, dein Körper hat mich nie vergessen. So, wie ich dich nie vergessen konnte, Lucy.«

Jegliche Stellen, die er berührt, surren wie ein sanftes Sommergewitter und verdrängen diese Schatten der Trauer.

Deanel neigt den Kopf zur Seite, sein dunkles längeres Haar fällt ihm in sein schmutzbehaftetes Gesicht. Er streicht es nicht zurück, lässt seine Hand auf meiner Brust. Diese besinnliche Zärtlichkeit reicht aus, dass ich mich automatisch näher an ihn lehne, die Wunden auf den hohen Wangenknochen küssen möchte und …

Die Augen zusammenkneifend, rutsche ich ein wenig zurück. Mums Gesicht taucht erneut in meinem Geiste auf – gesund, lachend, mit Prida und Holland im Arm. Schon schlägt der Verrat zu. Fast krümme ich mich. Wie soll ich diese Achterbahnfahrt der Emotionen jemals aufarbeiten, wenn ständig neue dazukommen? Bald bricht mein Gerüst des Vertrauens komplett zusammen. Und das meiner geistigen Gesundheit gleich mit.

Deanels Bewegungen verharren. Er sagt nichts, gibt mir Zeit, mich zu sammeln. »Du hast deine Mutter geliebt. Sie plötzlich mit ganz anderen Augen zu sehen, tut weh und es dauert, bis man das auch nur im Ansatz verstehen kann. Gib dir diese Zeit.«

Als könnte er in mein Innerstes schauen und wissen, was in mir vorgeht. Wie kann er mich bereits so gut kennen?

Mein Herz wird schwer vor Zuneigung für diesen Mann. Ich schlage die Lider auf, stemme mich hoch und streife mit meinen Lippen hauchzart über seine. Die Decke gleitet zur Seite. »Du«, ich küsse seinen rechten Mundwinkel, dann den linken, »schenkst mir Ruhe und Vertrauen. Dafür möchte ich dir danken, Deanel.«

Mich wieder zurückzuziehen, lässt er nicht zu. Stattdessen hebt er mich auf seinen Schoß. Seine Hände gleiten unter mein Shirt, streichen Wirbel für Wirbel mein Rückgrat auf und ab.

Seufzend schmiege ich meinen Kopf an seine Halsmulde und schließe die Beine um sein starkes Kreuz.

»Und du schenkst mir alles, Lucy. Alles, was ich je brauchen und begehren werde.« Er schluckt hörbar, sein Atem geht unregelmäßig, während er mit seinen Lippen über meine Schläfe streift. »Du glaubst an mich, obwohl ich es selbst nicht tue.«

Ein sanftes Beben durchfährt mich. Deanel ebenso.

»Du akzeptierst mich so, wie ich bin«, fährt er fort. Fast ertrinke ich an diesen wundervollen Worten, die mich so leicht wie eine Feder fühlen lassen. Als wären wir zusammen unbesiegbar und die tonnenschwere Verantwortung auf meinen Schultern gar nicht da.

»Du gibst mir das Gefühl, ich sein zu können – mit all meinen vielen Fehlern und enormen Macken.« Ein tiefes, dunkles Lachen dringt an meine Ohren. Ich beiße mir auf die Unterlippe und dränge mich enger an ihn. Brauche mehr, mehr, mehr.

»Du akzeptierst mich, wie andere es nie taten.« Unfassbar vorsichtig teilt er mein offenes Haar mit seinen Fingern. »Dafür werde ich dir ewig danken, dich und mein Herz auf ewig beschützen. Denn weißt du?« Er verstummt, also rücke ich mit dem Kopf zurück und versinke in diesem entwaffnenden Blick. »W-weiß ich, was?«

»Mein Herz gehört ganz und gar dir.«

Dieser Satz verfängt sich in meiner Brust. Irgendwo zwischen meinem Herzen und Magen vereint er sich mit meiner tosenden Liebe für diesen Mann und lässt sie anschwellen. O Maya. Wie weit denn noch? Er raubt mir doch jetzt schon jeglichen Atem. »D-das ist das Romantischste, was je jemand zu mir gesagt hat. Deanel …«, auch wenn es mir unfassbar schwerfällt, ringe ich mich zu den Worten durch, die er nicht nur verdient hat, sondern die ich auch im Innersten so fühle. Verdränge die Angst eines weiteren Verrats. Er wird mich nicht hintergehen. »Du trägst meines in deinen Händen. Ich vertraue dir mehr als mir selbst.«

Deanels Augen werden feucht, die Zuneigung und Hingabe in ihnen fegt meine restlichen Bedenken völlig zur Seite. Es war richtig, das zu sagen. Vorsichtig verschränke ich meine Hände hinter seinem Nacken. Keine Ahnung, wer sich als Erstes bewegt hat, aber unsere Münder finden einander.

Wir küssen uns, als wäre es das erste Mal. Scheu erkunden wir unsere Lippen, Zungen, anschließend jeden Winkel unserer Gesichter. Wir halten, wiegen uns, ohne die Zärtlichkeiten zu unterbrechen, ohne weiterzugehen. Gesten voller Süße – so zart und fein und doch derart intensiv, dass sie intimer kaum sein könnten. Jede vorsichtige Berührung seinerseits an meinem Körper gleicht einer Huldigung.

Er wird mich nicht verletzen. Nicht er, nicht Deanel. Nicht der Mann, der so sehr mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen hat, aber die meinen immer zu vertreiben versucht.

»In deiner Verletzlichkeit liegt etwas unfassbar Starkes, Deanel. Vergiss das nie«, murmle ich an seinen Lippen und stupse anschließend mit meiner Nase gegen seine. Kurz ist er wie erstarrt, dann beehren diese verdammten Grübchen die Welt, die meinen Herzschlag auf das Dreifache beschleunigen. Dieses Feuer zwischen uns verzehrt mich bereits jetzt. Und warum, zum Kuckuck, sollte ich mich dem nicht hingeben? Nichtwissend, was die Zukunft für mich, uns, bereithält. So viel ist ungewiss, aber unsere Gefühle füreinander sind es nicht.

Ja. Die Zukunft … um die wir uns kümmern müssen, da es sonst keine Gelegenheit geben wird, das zwischen uns weiter zu erforschen. Die aufkeimende Lust verpufft und die harte Realität schlägt zu. Ich seufze auf.

»Mel hat mir endlich eine Nachricht zukommen lassen. Sie hat einen Zettel unter unseren Türspalt geschoben. Er war mit einer Illusion belegt, sodass ich den Inhalt nur nach Einsatz meiner Sonnenmagie lesen konnte.« Ein Teil von mir hasst mich, dass ich das jetzt anspreche. Aber es muss sein. Diese Verantwortung geht vor. Steht über uns.

Alles an ihm spannt sich derart an, dass es mich nicht wundern würde, wenn Muskeln reißen. »Wo ist dieser Zettel jetzt?«

»Ich habe ihn verbrannt.«

»Was stand in der Nachricht?« Eine unnatürliche Wärme strahlt von ihm ab. Der entzückende Zauber von vorhin ist verflogen. Natürlich ist er das.

Ich rutsche von seinem Schoß. »Die Mischlingsanführer wollen mich beim Fest der Tausend Gesichter sprechen. Ich solle eine schwarz-weiße Maske tragen. Sie würden mich finden. Und dass Mel die Tage nach Zsumara geschickt wird. Sie wird hoffentlich rausfinden, was dort unter der Totenstadt vor sich geht.«

Deanel nickt verbissen. Fast kann ich seine Sorgen sehen, die sich in seinem Kopf winden. Er sieht aus, als würde er eine schwierige Gleichung lösen müssen.

»Was ist das für ein Fest, Deanel? Ist es sicher dort?«

»Eines zu Ehren einer unserer Vorfahren. Besser gesagt, eine Mahnung, dass wir uns nicht den Schatten hingeben sollen, wie dieser es einst tat. Feiernde aus allen Völkern werden dort sein. Die Masken erinnern an diesen menschlichen Vorfahren. Denn er selbst hat ständig welche getragen. Und tatsächlich wird es eine gute Möglichkeit sein, im Getümmel der zahlreichen Feiernden unterzutauchen, um zu reden. Die Masken werden uns zusätzlich einen Vorteil verschaffen. Es sollte also sicher sein, ja.« Seine Schultern zieht er höher.

»Trotzdem scheinst du nicht begeistert.«

Sein Lachen klingt blechern. »Wie könnte ich? Ich kenne diese Mischlinge nicht. Mich auf Melissandres Wort zu verlassen, dass sie dir nichts tun werden, beruhigt mich nicht nach all ihren Lügen.« Seine Augen lodern kurz golden auf. »Aber es wird uns nichts anderes übrig bleiben. Verflucht noch mal.«

»Wir können ihr vertrauen, Deanel.«

»Will ich ihr auch geraten haben.«

Etwas vorwurfsvoll lege ich den Kopf schief. »Estella und die anderen Ur-Maya werden auch dort sein, nicht?«

»Natürlich. Wir Bluterben ebenso. Dem Fest wird in Caliemar ein hoher Stellenwert zugesprochen. So wird sich niemand wundern, wenn du mit Rose dort auftauchst. Kil, Aph und ich werden Mutter, Sola und Sibilla im Auge haben, damit du dich mit diesen Mischlingsanführern treffen kannst. Und ich besorge uns Masken.«

Unwillkommene, raue Schauer laufen durch meinen Körper wie tosende Wellen. »Ebenso Ethan und Hector. Sie beide waren heute übrigens bei dem Dinner …«

Schon legt er seine Arme beschützend um meine Taille. »Erzähl mir davon.«

»Mel wird in morgen ihre Seele gegen die Unsterblichkeit tauschen. Ich soll ebenso nach Rívera reisen, ohne an der Zeremonie teilzunehmen. Hector wird sich meiner in der Zwischenzeit annehmen.«

Deanels Griff wird mit einem Mal kurz schmerzhaft, Rauch steigt von seinen Schultern auf. Neben mir splittert Holz und ein kleines Feuer zieht über das Bücherregal hinweg, welches mittig im Raum steht. Erschrocken löse ich mich von ihm und springe aus dem Bett.

»Verdammt. Tut mir leid.« Deanels Mal am rechten Oberarm lodert auf und eine goldene Druckwelle flutet den Raum, dämmt das Feuer ein. »Aber was soll das? Hector? Der dich vor Kurzem noch angegriffen hat?« Prompt schleudert er ein Kissen gegen die Wand, anschließend ist er von einem Moment auf den anderen an meiner Seite, zieht mich an sich. »Das werde ich nicht zulassen.«

»Und doch wirst du das müssen«, antworte ich verzögert, noch immer leicht irritiert von seinem Gefühlsausbruch, obwohl mich das nicht wundern sollte. Alles an Deanel ist unfassbar intensiv. Nichts an diesem Maya ist leicht handzuhaben – weder seine Gefühle noch seine Magie oder sein Verhalten. Selbst wenn er seine Kraft nicht anwendet, verströmt er eine Energie, die so stark ist, als hätte sie ein Eigenleben. Er fühlt, liebt, kämpft mit jeder einzelnen seiner Zellen. So ist er nun mal. Kurz stelle ich mich auf die Zehenspitzen, küsse seine Wange. »Mit diesem Hohlkopf werde ich schon zurechtkommen. Estella braucht mich schließlich lebend. Er wird mich nicht umbringen.«

Deanel schnauft. »Was nicht heißt, dass er dir nicht wehtun wird.«

»Ich kann mich verteidigen, okay? Rose trainiert mich gut. Außerdem kannst du dich nicht deswegen beschweren. Offiziell hasst du mich, schon vergessen?« »Und inoffiziell würde ich alles für dich tun.« Knurrende, kehlige Worte, die mit unterschwelligen Drohungen gespickt sind, die nicht mir gelten. »Wenn Hector dir auch nur ein Haar krümmt, reiße ich ihm dennoch die Kehle raus. Muss ja keiner erfahren.«

»Sein Vater ist der Direktor von Tranváraz und im Rat der Sieben. Sie werden es erfahren, Deanel. Beruhige dich jetzt bitte.«

»Schon gut, verdammt.« Er lässt mich los, fährt sich aber weiterhin unbeherrscht durch das Haar. Noch immer steigt ab und an Rauch von seinem angespannten Körper auf. »Mutter hat mich vorhin zu sich rufen lassen, aber ich musste zuerst nach dir sehen. Vermutlich will sie mir von Melissandres Seelenkuss erzählen.«

Ich beiße mir auf die Unterlippe, tappe von einem Fuß auf den anderen. »Nicht nur.«

»Ach.« Mit hochgezogenen Augenbrauen hält er mit seinen fahrigen Bewegungen inne. »Kommt jetzt noch ’ne bombastische Überraschung?«

»Sozusagen.« Ich streiche an seinen Händen auf und ab. »Estella will nicht warten, bis mein Feuermal sich zur Gänze entwickelt. Unsere Heirat wird alsbald stattfinden. Der Tzolkien würde es so wollen, so redet sie sich raus.«

Auf einmal lächelt er derart breit, wie ich es noch nie gesehen habe. Diese Geste trifft mich unvorbereitet und mein Herz macht einen heftigen Stolperer.

»Das«, geschwind hebt er mich hoch und wirbelt mich umher, »ist eine fantastische Nachricht.« Mit verschleiertem Blick stellt er mich wieder auf die Füße. Maya, meine Knie wackeln. Irgendwie bin ich gerade wortlos vor Erstaunen.

»Das ist es doch? Oder, Lucy? Ich meine, wenn alles vorbei ist, können wir uns auch wieder …«

Ich lege meinen Zeigefinger auf seine Lippen. »Es ist fantastisch. Alles gut, Deanel. Du weißt, wie sehr ich dich will.«

»Ja, aber für immer? Überleg dir das noch mal.« Sein freches Zwinkern geht mir bis ins Mark. Leicht schubse ich ihn, weiche seinem Blick aus. »Brauche ich nicht, du Schuft.«