Deadly Secret - The Murderer - Kitty Stone - E-Book
SONDERANGEBOT

Deadly Secret - The Murderer E-Book

Kitty Stone

0,0
4,49 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Er ist ein Mörder und sein Opfer war mein Vater. Das ist eine Tatsache. Ich weiß, dass es stimmt. Aber er ist auch der Einzige, dem ich je vertrauen konnte. Ich kann nicht glauben, was sie mir über ihn einreden wollen. Ich muss ihn sehen, wenn er aus dem Gefängnis kommt. Ich muss die Wahrheit erfahren. Dann kann ich mein unerträgliches Leben endlich beenden. Sie ist die Einzige, auf die es jemals ankam. Für das, was ich getan habe, steckten sie ein Kind in den Knast. Nun bin ich ein Mann, aber ich weiß nicht einmal, was das bedeutet. Ich kenne das Leben nur aus Büchern. Alles, was ich kenne, sind Gewalt und Schmerz. Alles, was ich weiß, ist, wie man sich wehrt und gewinnt. Ich darf mich ihr nicht nähern, wenn ich entlassen werde. Es ist mir verboten. Und es ist besser so. Denn als ich ihr das letzte Mal helfen wollte, habe ich jemanden getötet. ~~~~~~~~~~~~ Einzelband. Verboten-heiße Dark Romance. Düster und Grenzen überschreitend. Nach dem Dark & Deadly Motto der Autoren.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



THE MURDERER

KITTY STONE & MIKE STONE

 

Er ist ein Mörder und sein Opfer war mein Vater.

Das ist eine Tatsache. Ich weiß, dass es stimmt.

Aber er ist auch der Einzige, dem ich je vertrauen konnte.

Ich kann nicht glauben, was sie mir über ihn einreden wollen.

Ich muss ihn sehen, wenn er aus dem Gefängnis kommt.

Ich muss die Wahrheit erfahren.

Dann kann ich mein unerträgliches Leben endlich beenden.

 

Sie ist die Einzige, auf die es jemals ankam.

Für das, was ich getan habe, steckten sie ein Kind in den Knast.

Nun bin ich ein Mann, aber ich weiß nicht einmal, was das bedeutet.

Ich kenne das Leben nur aus Büchern.

Alles, was ich kenne, sind Gewalt und Schmerz.

Alles, was ich weiß, ist, wie man sich wehrt und gewinnt.

Ich darf mich ihr nicht nähern, wenn ich entlassen werde.

Es ist mir verboten.

Und es ist besser so.

Denn als ich ihr das letzte Mal helfen wollte, habe ich jemanden getötet.

 

~~~~~

 

Einzelband. Verboten-heiße Dark Romance. Düster und Grenzen überschreitend. Nach dem Dark & Deadly Motto der Autoren.

 

Deutsche Originalausgabe, 1. Auflage 2019

Folge uns auf

 

https://www.facebook.com/miklanie/

 

 

https://www.instagram.com/_darkstones_/

 

 

 

darkstones.de

 

 

 

Impressum:

Kitty Stone & Mike Stone

Breslauer Str. 11, 35274 Kirchhain

 

© Oktober 2019 Kitty Stone/Mike Stone

 

Alle Rechte vorbehalten!

Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der offiziellen Erlaubnis durch die Autoren.

Covergestaltung: Oliviaprodesign / Bilder: depositphotos.com

Falls du sicherstellen möchtest, dass du nichts mehr von uns verpasst:

 

Dann melde Dich für unseren Newsletter an

 

Übrigens, wer sich in unserem Newsletter anmeldet erhält eine Bonusszene aus Deadly Sin. Heiß, verrucht und absolut sündhaft. Erlebt Pater Cole, was er mit seinem Lämmchen auf dem Altar anstellt.

 

 

 

 

Warnung vor triggernden Erkenntnissen

Manche Geheimnisse bleiben besser ungelüftet

 

 

Dieses Buch ist die dritte Veröffentlichung in Dark & Deadly Reihe und ist wieder eine Dark Romance. Diesmal liegt allerdings eine ganz besondere Betonung auf ›Dark‹. Es wird hart, heftig, dunkel wie im Bärenarsch und dann noch ein wenig finsterer. Es wird stellenweise heiß und man mag auch mal eine Spur Humor finden, aber diesmal ist der Hintergrund wirklich krass.

 

Tabuthemen sind schon zu einem Markenzeichen dieser Reihe geworden und diesmal geht es in die Vollen. Wer jetzt allerdings erwartet, dass es dabei nur um heiße Dinge geht, ist auf dem Holzweg. Wir steigen in diesem Buch ziemlich schnell ziemlich tief und hart ein in Themenbereiche, die Vielen an die Nieren gehen werden. Und deswegen soll diese Warnung auch in klaren Worten darauf hinweisen, dass es Manchem bei weitem zu viel sein mag. Das ist keine Aussage zu Werbezwecken, sondern ein ernst gemeinter und absolut ehrlicher Hinweis.

 

Unsere Protagonisten haben nicht nur schreckliche Erfahrungen in ihrer Vergangenheit gemacht, sondern müssen diese nun auch aufarbeiten, bewältigen und sich mit den Konsequenzen auseinandersetzen. Sie haben nie Gerechtigkeit erfahren und mögen diese daher mehr als einmal in die eigenen Hände nehmen. Wir als Autoren sind nicht davor zurückgeschreckt, das auch stellenweise grafisch zu schildern. Noch weniger haben wir uns davon abbringen lassen, in die Gedanken- und Gefühlswelten einzutauchen. Missbrauch der schlimmsten Art ist ein Thema in diesem Buch und die Folgen davon führen zu unabsehbaren Verwicklungen. Der Silberstreif am Horizont soll in diesem Fall aber auch nicht unerwähnt bleiben - da es Romance ist, wird es auch ein Happy End geben. Ob das allerdings neben den Protagonisten auch jeder andere als uneingeschränkt und moralisch einwandfrei ›happy‹ empfindet, ist eines der Geheimnisse, die das Buch erst mit der Zeit preisgibt.

 

Wer es wagen will, sich in unsere Hände zu begeben, um auf eine solche Reise tief in düstere Gefilde zu gehen, in denen manchmal nur rückhaltlose Liebe als Rettungsanker zur Verfügung steht, ist herzlich eingeladen. Betreten auf eigene Verantwortung.

Alle Leser, die persönliche Missbrauchserfahrungen gemacht haben, werden allerdings eindringlich gebeten, erst ein anderes Buch der Reihe auszuwählen. JEDES andere Buch dieser Reihe eignet sich besser, um uns als Autoren und unseren Umgang mit krassen Themen in Verbindung mit heißer, rückhaltloser Liebe einmal kennenzulernen. Dieses Buch ist selbst für unsere Verhältnisse ziemlich kernig und man sagt uns nach, dass wir ziemlich realistische Szenarien spinnen können, die ganz schön reinhauen.

 

 

Erstes Kapitel

 

Eleanor

 

 

Der Schlag kommt nicht unerwartet und doch ist er nicht minder demütigend. Fest beiße ich die Zähne zusammen und schlängele mich durch die grölende Menge. Jedes Wochenende ist es dasselbe. Besoffene Männer, die mir an den Hintern und die Brüste grapschen, die mir auf den Arsch klatschen und dann, wenn ich viel Glück habe, ein paar Dollar als Trinkgeld zustecken.

»Ellie«, brüllt Pete von der Theke über den Lärm hinweg nach mir. »Beweg deinen Arsch hierher.«

Dass ich schon auf dem Weg zu ihm bin, ignoriert er. Zu sehr ist es für ihn Genugtuung mich anzuschreien und zu beleidigen. Auch das ist jedes Wochenende, wenn die Kneipe brechend voll ist, das Gleiche.

»Susan macht Pause, du musst ihre Tische übernehmen. Mach schneller, sonst zieh ich dir das vom Lohn ab.«

Auch das ändert sich nicht. Der Raum platzt aus allen Nähten, wir Kellnerinnen rennen von einem Tisch zum Nächsten und Susan darf verschnaufen. Ihr wird auch nichts vom Lohn abgezogen. Ganz sicher nicht. Die lutscht den Schwanz vom Chef. Wer das tut, bekommt nicht nur mehr Pausen, sondern auch einen Bonus oben drauf. Obwohl mir immer wieder gesagt wird, dass ich ein nutzloses Ding bin, habe ich kein einziges Mal darüber nachgedacht, dies auch zu tun.

»Verfickt noch einmal, träum nicht«, schnauzt mich Pete an und knallt die Getränke auf mein Tablett. »Tisch 3 wartet schon lang genug.«

Mit dem viel zu voll beladenen Brett schiebe ich mich zwischen den Tischen hindurch. Hände grapschen mir an den Hintern, meine nackten Schenkel, aber ich blende das alles aus. Ich beschwere mich nicht, denn ich brauche den Job und das Geld. Wenn ich hier nicht arbeite, muss ich woanders kellnern. Oder noch eine Putzstelle annehmen, um über die Runden zu kommen.

Ohne ein allzu großes Chaos anzurichten, stelle ich die Gläser auf dem Tisch ab und wehre mich nicht, als mich einer der Männer auf seinen Schoß zieht. Pete ist ein scheiß Chef. Er schreit und beleidigt und er mag es nicht, wenn man trödelt oder zu spät kommt. Was er aber noch weniger mag, ist, wenn in seiner Kneipe einer der Gäste etwas in seine Mädchen steckt.

Grapschen erlaubt, Fingern verboten. Nicht, bevor er seinen Schwanz in einer von uns hatte und der Meinung ist, dass das Mädchen nutzlos geworden ist. Das weiß ich und das wissen die Männer. Es ist Petes Laden und sein Gesetz.

Ich drücke meine Fingernägel in meine Handballen und heiße den Schmerz willkommen, während die Männer an meinen Brüsten herumdrücken, meine Schenkel streicheln und ich den harten Schwanz des Typen unter mir an meinem Hintern nur allzu deutlich spüre. Verschwommene Bilder eines kleinen Mädchens, das unter Schmerzen gelernt hat, dies auszuhalten, tauchen wie Lichtblitze hinter meiner Stirn auf und verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind, als Petes donnernde Stimme noch die Geräuschkulisse übertrumpft. »Derek, du Pisser, lass die Kleine los.«

»Hat sie dich immer noch nicht rangelassen?«, wiehert der stockbetrunkene Kerl, auf dessen Schoß ich gezwungenermaßen sitze. Es lacht niemand mit und der Lärm der Gespräche wird schlagartig leiser. Nur der Idiot, der mich auf seinen Schoß gezogen hat, braucht eine Weile, um es zu kapieren.

Pete stiert ihn an, die Fäuste geballt und die Adern auf seiner Stirn so deutlich abgezeichnet, dass man Angst haben muss, sie würden gleich platzen. Was sie nicht tun. Egal wie wütend er ist und wie sehr sie anschwellen und geradezu sichtbar pochen, sie platzen nie. Ich habe mich schon oft gewundert, dass sie seine sehr häufigen Wutausbrüche immer wieder aushalten.

»Ellie, beweg deinen nutzlosen Arsch da weg«, geifert Pete und stapft näher.

Ich warte ab, ob Derek die Zeichen der Zeit erkannt hat und mich gehen lässt. Nur kurz hält er noch fest, aber sein Blick auf Pete verrät ihm, dass sein Witz ganz schlecht angekommen ist. Vermutlich, weil es kein Witz war, sondern ein wunder Punkt für den Besitzer dieser dreckigen Spelunke.

Für einen Moment frei von grapschenden Händen husche ich aus dem Weg. Um ehrlich zu sein, würde es mir um keinen der beiden Penner leidtun. Sollen sie sich gegenseitig umbringen. Aber so große Todessehnsucht, dass ich dazwischen stehen wollte, habe ich dann doch nicht. So scheiße mein Leben auch sein mag, es gibt noch etwas für mich zu tun, bevor ich mir eine große Packung Schlaftabletten und eine Rasierklinge kaufen gehe.

»Verpiss dich aus meinem Laden«, knurrt Pete Derek an.

Es ist überdeutlich zu hören. Sogar die beschissene Jukebox legt eine dramatische Pause ein.

»Hey Pete, das war´n Witz, Mann.« Beschwichtigend hebt der Typ seine Hände, mit denen er mich eben noch betatschte. »Ich geb' auch 'ne Runde.«

Für einen langen Moment steht alles auf Messers Schneide. Buchstäblich, denn wie ich als eine von Wenigen weiß, hat Pete ein langes, bösartiges Messer am Rücken in seinem Gürtel stecken und wenn er sauer ist, fuchtelt er auch schon mal damit herum. In einer Prügelei könnte es durchaus sein, dass er es benutzt.

Aber Pete ist kein mutiger Mann, wenn sein Gegenüber keine kleine Frau ist. Derek mag besoffen sein, aber er ist einige Zentimeter größer als der Barmann und trotz seines Übergewichts hat er Kraft vom be- und entladen der Fracht auf seinem Truck. Petes Blick huscht über die Gesichter der Menge und ich stelle sicher, dass ich betreten und ausweichend zu Boden starre, als er bei mir ankommt. Ich bin nicht mutig genug ihn herauszufordern und damit die Sache zur Explosion zu bringen. Ich bin ein elender Feigling und eine absolute Versagerin.

Feige ist Pete auch. Denn er kneift und fängt an unecht und schon fast hysterisch zu lachen. So lange, bis auch die schwerfälligen Idioten um uns herum es kapiert haben und langsam einstimmen.

»Nur ein Witz, weiß ich doch«, schnarrt er noch immer angespannt Derek zu und klopft ihm auf die Schulter. »Ich wollte dir nur eine Lokalrunde für alle aus den Rippen schwitzen.«

»Ja, Lokalrunde«, stimmt Derek zu und scheint erleichtert.

Er weiß nicht, dass Pete ein Feigling ist. Und wenn er es ahnt, will er es nicht drauf ankommen lassen. Aber das muss mich auch nicht scheren, denn weil ich beteiligt war, erwartet mich jetzt sowieso mein nächster Arschtritt.

»Hast du nicht gehört, Ellie?«, schnauzt Pete. »Lokalrunde!«

Und so habe ich jetzt noch mehr zu tun, weil ich offenbar schuld an der ganzen Scheiße bin. Eilig drehe ich mich um und haste zur Bar, an der sich auch schon Katy eingefunden hat. Die Dritte im Bunde der Kellnerinnen befüllt bereits Schnapsgläser mit dem billigen Fusel, den Pete hier ausschenkt. Natürlich zum Preis von wesentlich besseren und damit auch teureren Getränken. Sie schenkt ein Glas nach dem anderen voll und verteilt es auf die Tabletts, die ich gleich zu allen Tischen bringen muss. Nur Susan steht mit verschränkten Armen vor der Bar und sieht dem Schauspiel zu.

»Wenn du ihn nicht bald ranlässt, dann wird er dich rausschmeißen«, stellt Susan selbstgefällig fest. Ich belade mich mit einem Tablett. Bevor ich jedoch zum ersten Tisch gehen kann, hält Susan mich am Arm fest. »Und wenn du ihn ranlassen solltest, kratz ich dir die Augen aus«, zischt sie mir noch zu und gräbt ihre langen Fingernägel in mein Fleisch. Dann stößt sie mich weg und ich muss aufpassen, dass mir der Inhalt der Gläser nicht überschwappt.

Mein Gang durch das Lokal wird mit Klatschen und Rufen begleitet. Nur Derek blickt mich kurz finster an, bevor auch er in das Gejohle einfällt. Schon klar, ich bin wieder für alles die alleinige Verantwortliche. Wie immer. Das ist die Geschichte meines Lebens …

 

Den Weg nach Hause, nach der Schicht in der Bar, kenne ich blind, denn ich bin ihn schon hunderte Male durch die Dunkelheit gegangen. Doch heute beschleicht mich ein mulmiges Gefühl und ich blicke immer wieder über meine Schulter zurück. Dabei ist in der Gasse niemand zu sehen und kein Geräusch zu hören. Wo ich mir sonst immer auf dem Rückweg Zeit gelassen habe, beeile ich mich nach Hause zu kommen.

Meine Schritte werden schneller und hallen leise von den Wänden wider. Ich trage nicht wie Susan High Heels, sondern flache Halbschuhe, damit mich am Ende eines Arbeitstages meine Füße nicht umbringen. Sie ist eh nur zum Anschauen in dieser Spelunke und für Petes Schwanz da. Katy und ich laufen uns die Hacken wund, um am Ende doch immer weniger Trinkgeld zu haben, als diese arrogante Schnepfe.

Das Leben ist so verdammt ungerecht. Was es mir auch gleich zeigt, als ich die Haustür zwar unbeschadet erreiche, aber mir direkt die nächste Scheiße ins Gesicht klatscht. Steve, mein Freund ist noch wach und ich weiß, in welcher Stimmung er dann ist.

»Püppi?«, ruft er durch die kleine Wohnung.

Wer soll es denn sonst sein? Das darf ich mir nur denken. So etwas auszusprechen, wenn er um die Uhrzeit noch auf ist, wäre, wie mit einem Schraubenzieher in der Steckdose herumzuhantieren. Du weißt nicht, wann dich der Stromschlag trifft, sondern nur, dass es passieren wird.

Außerdem weiß er, dass ich nach der Arbeit schweigsam bin, und denkt sich - wenn man bei seinem vermutlichen Zustand von Denken sprechen kann - nicht wirklich etwas dabei, wenn ich nicht antworte. Stattdessen höre ich seine schlurfenden Schritte. Bekifft und besoffen kommt er schwerfällig durch den kleinen Flur auf mich zu. Sein vormals weißes Muskelshirt ist bekleckert und seine dunkle Jogginghose sitzt ihm tief auf den Hüften. Die sonst zurückgegelten, braunen Haare hängen ihm wirr ins Gesicht. Seit er aus der Gang geflogen ist, weil er immer wieder in die Kasse gegriffen und Drogen hat mitgehen lassen, hängt er nur noch zu Hause rum und lässt sich gehen.

Als ich noch ein kleines Mädchen war, hätte ich mir nie ausgemalt, dass ich mit 23 Jahren schon am Ende sein würde. Bis zu dieser schrecklichen Nacht, in der alles von einem Moment auf den anderen unwiederbringlich verändert wurde, hatte ich Träume und sogar Ziele. Immer wieder wabern verschwommene Bilder meiner Vergangenheit durch meinen Kopf. Manchmal denke ich, dass ich mir alles nur eingebildet habe. Es kommt mir so unwirklich vor. Mit jedem Jahr das vergeht, weiß ich weniger, was eigentlich wirklich passiert ist und wer recht hat, was das angeht, was mir über meine Kindheit gesagt wurde. Ich bin mir einfach nicht mehr sicher, wer wirklich wem wehgetan hat. Und wie …

Aber das hier ist real. Steve, der grob meine Brust quetscht und dessen alkoholgetränkter Atem mir entgegenschlägt. Als er versucht, mich zu küssen, drehe ich den Kopf zur Seite und seine Lippen landen feucht schmatzend auf meiner Wange. Gut, dass er meinen angewiderten Gesichtsausdruck nicht sieht. Schlecht, dass er anscheinend in Stimmung ist und mich mit »Komm, sei'n braves Mädchen und blas mir einen«, nach unten auf die Knie drückt.

Ich habe gelernt das auszuhalten. Oder vielleicht konnte ich es schon immer. Mir ist, als hätte ich nie etwas anderes getan, wenn es um Männer geht. Auszublenden, wenn ich ihm die Hose runterziehe und seinen noch schlaffen Schwanz bearbeite, ist nicht so schwer. Wenn er meinen Kopf greift, damit ich ihn endlich in den Mund nehme, muss ich mich wenigstens nicht mehr überwinden. Dann liegt es nicht in meiner Hand.

Mein Glück ist, dass er in diesem Zustand nicht komplett hart ist. Mein Pech dagegen, dass er so noch länger braucht, bis er endlich abspritzt. Und dass er es witzig findet, mich ausgerechnet am Schluss, wenn sein Ding doch noch ein wenig dicker und härter wird, besonders hart zu sich zu ziehen. Sodass ich seinen Schwanz so tief im Hals habe, dass ich das Atmen vergessen kann. Bis er es irgendwann schafft, mir tief in die Kehle zu spritzen und mir dadurch zumindest den bitteren Geschmack erspart.

Danach darf ich kaum in Ruhe nach Luft schnappen, bevor ich wie eine billige Straßenhure meinen Lohn abzuliefern habe. Ich verstecke immer einen Großteil vor ihm und lüge über die Höhe meines mickrigen Gehalts. Sonst könnte ich nie die Miete zahlen, geschweige denn einkaufen. Steve würde alles für Alkohol und Drogen ausgeben und mir dann noch die Hölle heiß machen, weil der Kühlschrank leer ist. Ob er Skrupel hätte, mich einfach auf den Strich zu zwingen, wenn uns das Geld ausginge, wage ich auch schon lange zu bezweifeln.

Manchmal frage ich mich, wieso ich mich überhaupt noch gegen den Gedanken wehre. Es wird ja sowieso passieren. Vielleicht sollte ich einfach anfangen zu saufen und zu kiffen und aufhören zu denken. Das ist doch die Geschichte meines Lebens …

 

***

 

Das durchdringende Klingeln meines Handys lässt mich schlaftrunken die Augen aufschlagen. Ein kurzer, müder Blick auf den Wecker bestätigt mir, dass es gerade einmal sieben Uhr morgens ist. Das Gefühl, kaum Schlaf bekommen zu haben, ist also völlig richtig.

Steve grunzt und murrt neben mir. Schneller, als ich mich eigentlich dazu in der Lage fühle, schwinge ich die Beine aus dem Bett und eile ins Wohnzimmer. Wenn er nämlich aus dem Schlaf gerissen wird und verkatert ist, sorgt er dafür, dass ich auf jeden Fall mitleide.

»Ja?«, nuschele ich müde ins Telefon.

»Verdammt, Eleanor! Endlich!«, keift mir eine viel zu laute Stimme entgegen. »Warum hat das so lange gedauert?«

»Tante Julie, ich …«

»Du musst sofort für Marcus Sachen ins Krankenhaus bringen.«

»Oh Gott, was ist passiert?« So aufgewühlt, wie sich meine Tante am Telefon anhört, gehe ich vom Schlimmsten aus. Marcus, mein Onkel, ist stark übergewichtig und als sie mich nach dem Tod meines Vaters bei sich aufnahmen, wurde mir immer wieder gesagt, dass ich irgendwann daran schuld sei, wenn er einen Herzinfarkt bekommen würde. Dabei war ich als verängstigte Achtjährige, mit einem gehörigen Dachschaden, ruhig und in mich gekehrt. Was ich noch heute bin. Ruhig auf jeden Fall und wahrscheinlich noch viel kaputter.

»Er ist beim Zeitungholen zusammengesackt. Einfach so. Auf dem Bürgersteig«, heult meine Tante los. »Was meinst du, was die Nachbarn gegafft haben«, schiebt sie nicht mehr ganz so weinerlich nach.

Es scheint wohl doch nicht so arg schlimm um Onkel Marcus bestellt zu sein, wenn sie sich um die Nachbarn Gedanken machen kann.

»Gut«, seufze ich.

»Das ist nicht gut«, geifert sie direkt los.

»Ich meinte, dass ich gleich losgehe und ihm eine Tasche packe.«

»Ach so. Du weißt ja, wo der Schlüssel liegt.«

Obwohl es meine einzige noch lebende … noch verfügbare Verwandtschaft ist und ich bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr bei ihnen gelebt habe, haben sie mir nie so vertraut, dass ich einen eigenen Schlüssel gehabt hätte.

»Pack für ein paar Tage. Nimm den guten Pyjama. Der liegt in der untersten Schublade, ganz hinten links in der Kommode. Und die neuen Pantoffeln, die ich ihm zu Weihnachten geschenkt habe. Die sind noch in der Verpackung im Schrank. Oben auf dem Regalbrett. Blauer Karton«, instruiert sie mich. »Und das Aftershave, das noch fast voll ist.«

Schein ist offenbar alles, auch im Krankenhaus. Oder vielleicht ja gerade da?

»Mach ich, Tante Julie.«

»Und beeil dich!«

»Bis gleich«, wimmele ich sie ab. Duschen lasse ich mir nicht nehmen. Mein Onkel wird nicht sterben, wenn seine Tasche zehn Minuten später in der Klinik ankommt.

 

Eine halbe Stunde später hole ich die Reisetasche unter dem Ehebett hervor. Das kleine Haus ist wie immer sauber und meine Tante scheint sogar Zeit genug gehabt zu haben, den Frühstückstisch abzuräumen, bevor sie ins Krankenhaus gefahren ist. Warum sie dann nicht noch eine Tasche gepackt hat, ist mir schleierhaft.

Ich hole Unterwäsche, Socken, den guten Schlafanzug und die Toilettenartikel aus dem Bad. Natürlich vergesse ich auch nicht das teure Aftershave, das er jedes Jahr von meiner Tante zum Geburtstag geschenkt bekommt. Ich hasse den Geruch. Denn er erinnert mich an die Feiertage, zu denen er es benutzt hat und die für mich als Kind noch schlimmer waren, als das normale Zusammenleben mit den beiden.

Noch einmal gehe ich alles in der Tasche durch, als mir die blöden Hausschuhe einfallen. Im Schrank, oben auf dem Regal. Drei Kartons stehen dort. Verdammt, welche Farbe hatte sie mir noch genannt? Eigentlich egal. Sie werden nichts versteckt haben, was mich schocken könnte. Im Leben dieser untadeligen Musterbürger gibt es nichts Unanständiges.

Auf den Zehenspitzen stehend, zerre ich den ersten Karton hervor. Er ist braun und eigentlich zu leicht. Ich hebe nur kurz den Deckel an, um mich zu vergewissern, dass die Hausschuhe nicht leichter sind als ich annehme. Aber es sind nur Zettel und Briefe. Vielleicht Liebesbotschaften, die sich die beiden in jungen Jahren …

Okay, der Gedanke ist so absurd, dass ich schnauben muss. Das ist unmöglich. Vor allem meine Tante war niemals wirklich jung im Kopf. Zur Bestätigung dessen, was ich mir eigentlich nicht bestätigen muss, lasse ich nur kurz den Blick über die Worte auf dem obersten Umschlag wandern, bevor ich die Kiste wieder wegstelle und vergesse.

Oder jedenfalls war das der Plan, bevor sie mir aus den plötzlich heftig zitternden Händen fällt und ich vor Tränen, die mir in die Augen schießen, nichts mehr sehen kann. Selbst das Atmen ist auf einmal eine unlösbare Aufgabe.

Der Name, der da als Empfänger auf dem obersten Brief steht, ist meiner. Eleanor Baxter, das bin ich. Und ich kenne natürlich den Namen des Absenders. Auch wenn ich das Gefühl habe, man wollte mich fast schon zwingen, ihn zu vergessen.

Nur … wie sollte ich den Jungen vergessen, der meinen Vater getötet hat? Obwohl ich noch ein kleines Mädchen war und er mir … Nein! Ich kriege wieder Kopfschmerzen, wenn ich versuche, über die Geschehnisse von damals nachzudenken. Und darüber, wer genau was getan hat. An jenem Tag und … in den Jahren davor.

Aber es hilft ja nichts!

Er hat mir geschrieben!

Er hat mich nicht vergessen!

Oh Gott, ich kriege keine Luft mehr! Ich muss hier raus. Die Box mit den Briefen werde ich mitnehmen! Ich muss sie einfach lesen. Alle …

 

 

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Daniel

 

 

Der Schlag kommt nicht unerwartet, dennoch kriege ich die Arme nicht rechtzeitig dazwischen. Die Faust trifft mein Kinn seitlich und für einen halben Herzschlag wird mir komisch. Ich dränge die Schwärze zurück. In meinen Ohren klingelt es leise, aber mir bleibt keine Zeit, den Kopf zu schütteln. Der nächste Angriff folgt bereits.

»Danny-Boy, du Pfeife«, höhnt es von der Seite. »Träumst du?«

»Fick dich!«, zische ich und blocke die nächsten zwei Schläge ab. »Und nenn mich nicht so, Wichser.«

»Ich nenne dich, wie ich verfickt noch mal will«, lautet die Antwort. »Noch bist du nicht frei. Und wenn du das hier versaust, sorge ich dafür, dass du noch mal fünfzehn Jahre sitzt.«

Ich sollte es besser wissen. Es ist eine leere Drohung und soll mich nur provozieren. Genauso wie die Art, auf die er mich angesprochen hat. Aber warum zum Fick sollte ich mich zurückhalten? Es ist ja nicht so, als müsste ich mit Problemen rechnen, wenn ich es nicht tue.

Als ich die Deckung fallen lasse, schaltet mein Gegner schnell. Er hat ein gewisses Talent, das muss ich ihm lassen. Vielleicht wird er einmal so gut, wie ich es bin. Mag sein, dass er das Zeug dazu hat. Aber jetzt noch nicht.

Ich weiche der Faust, die meinen Kopf von der Seite treffen sollte, gerade genug aus, um eine direkte Berührung zu verhindern. Sobald sie meine Nase passiert hat, drehe ich mich in die entgegengesetzte Richtung und hole exakt so viel Schwung, wie ich brauche. Mit dem Ellenbogen finde ich die besonders empfindlichen, kurzen Rippen meines Gegners genau da vor, wo ich sie erwarte. Er hat keine große Lücke in seiner Deckung gelassen, aber ein Schwinger exponiert einen immer ein wenig.

Der Treffer treibt ihm den Atem aus den Lungen und lässt ihn nach Luft schnappen. Genug Ablenkung für mich, mit der Linken vorzuführen, wie man einen Schwinger richtig ausführt. Und zwar schön von schräg oben direkt gegen seinen Kiefer, als er instinktiv den Kopf zu mir dreht. Ohne Rücksicht darauf, ob ich ihm die Knochen zertrümmere oder es ihn Zähne kostet. Das ist eben Berufsrisiko, wenn man mit mir ein Tänzchen wagt.

Dem lauten Krachen, als meine Faust den jungen Kerl in der Fresse trifft, folgt das dumpfe Dröhnen, als sein Körper auf dem Boden aufschlägt. Ihm ist sicher auch schwarz vor Augen geworden, aber er hat noch keine Übung darin, das zurückzudrängen. Ich gebe ihm noch einen Tritt in die Seite mit, damit er beim Kotzen genug hat, worüber er nachdenken und woraus er Lehren ziehen kann.

»So besser?«, schnappe ich und sehe den Fettsack am Rand der Trainingsfläche an. Er zuckt nur ganz leicht, als ich ihm vor die Füße spucke. Wäre ich nicht gerade beim Training, hätte ich mir dafür vermutlich eine Tracht Prügel mit dem Schlagstock eingefangen. Er ist einer von dieser Sorte, wie ich sehr genau weiß.

»Fuck, du sollst ihn nicht umbringen, du Pisser!«, schnauzt der schlampig uniformierte Wärter, den selbst ich nur als Big Eddie kenne, mich an.

Aber ich sehe es in seinen Augen funkeln. Er steht auf Gewalt. Nicht nur darauf, zuzuschlagen. Ich schätze, er ist ein waschechter Sadist. Was das eigentlich genau bedeutet, habe ich in langen Stunden in der Knast-Bibliothek gelernt. Und bei ihm sieht man richtig, wie es ihn antörnt, wenn er zusieht.

»Wer kotzt, ist noch am Leben«, gebe ich zurück. Passend dazu fängt der Junge namens Paco an zu würgen. Offenbar hat er die akute Atemnot, die ihm meine Treffer beschert haben, erst jetzt überwunden.

»Hab ich das nicht mal zu dir gesagt?«, wundert sich Eddie.

Ich nicke nur, aber denke mir dazu meinen Teil. Es waren die ersten Worte, die ich von ihm jemals gehört habe, doch sie waren nicht an mich gerichtet. Er sagte es zu einem anderen Wärter, nachdem er mich zusammen mit anderen so heftig verprügelt hatte, dass ich mit gebrochenen Rippen und einer schweren Gehirnerschütterung gleich am Tag meiner Einweisung schon in den Krankenbereich kam. Und dort blieb ich für eine ganze Weile.

»Scheiße, Dan«, sagt der ebenso fette, wie erstaunlich starke Mann ungewöhnlich ernst. »Ich hab dich zu einem richtig harten Hund gemacht. Ich glaube, ich werde dich echt vermissen.«

»Fuck, wirst du jetzt sentimental?«, rutscht es mir raus.

»Willst du deine letzten Tage im Krankenzimmer verbringen, du kleiner Schwanzlutscher?«, fährt er auf. Aber die Drohung ist leer, denn ich habe noch einen Kampf zu bestreiten und er hat auf meinen Sieg gewettet. Hoch gewettet.

»Dann lass den Scheiß«, nehme ich mir heraus zu warnen. »Ich verdanke dir nix außer der Wut, mit der ich den Dreck hier überlebt hab. Und zwar, weil ich dich hasse, du Arsch.«

Paco hinter mir schnappt nach Luft, obwohl er eigentlich mit der Kotzerei noch nicht ganz fertig ist. Aber er ist nicht taub und so redet keiner mit Big Eddie. Der jedoch grinst mich nur irre an und ich weiß, dass er mir alle Knochen brechen würde, wenn ich nicht den Kampf vor mir hätte. Allerdings weiß ich noch etwas - ihm geht auch einer ab bei meinen Worten.

Hier und da mag er einen schwachen Moment haben, in dem er sich als mein Ersatzvater sehen will. In Wahrheit ist er jedoch viel lieber der gefürchtete, gehasste und dadurch überlegene Foltermeister. Das hilft ihm dabei, seinen vermutlich winzigen Schwanz zu vergessen. Oder was auch immer dafür verantwortlich ist, dass er zu so einem gewaltigen Scheißhaufen geworden ist. Falls er nicht so geboren wurde, heißt das …

»Du kannst mich hassen, so viel du willst«, belehrt er mich selbstgefällig. »Ohne mich wärst du hier schon lange draufgegangen. Was warst du für ein kleiner Lutscher, als du eingefahren bist … Die hätten dich innerhalb einer Woche totgefickt.«

Tief durchatmen, ermahne ich mich und kann trotzdem nicht vermeiden, dass ich mich kerzengerade aufrichte und anspanne. Eddie behält mich genau im Auge und ist sofort bereit, einen Angriff abzuwehren. Aber er genießt es auch, einen übelst wunden Punkt getroffen zu haben. Und damit diesen verbalen Schlagabtausch für sich zu entscheiden.

›Ich war vierzehn Jahre alt, du Missgeburt!‹, möchte ich ihm ins Gesicht schleudern, während ich seine dicke, breite, schon ein Dutzend mal gebrochene Säufernase endgültig so tief in seine Fresse treibe, dass sein sadistisches Schweinegehirn dadurch direkt Luft ziehen kann.

Ich war ein verficktes Kind, als ich eingefahren bin! Und trotzdem habe ich zwei Wärter so gut erwischt, dass sie fast so lange krankgeschrieben waren, wie ich auf der Krankenstation zubringen musste, als sechs Mann über mich hergefallen sind. Und das war keine verfickte Freundschaftsgeste, um mich zu schützen. Das war ein angeordneter Racheakt. Weil ich es gewagt habe, die Hand gegen einen zu erheben, der überraschend einflussreiche Freunde hatte. Und nicht nur zu erheben, erschlagen habe ich den perversen Wichser.

»Willst du was dazu sagen?«, fordert Eddie mich heraus.

Ich starre ihn nur an und halte die Fresse. Meine Zähne tun weh, so fest beiße ich sie zusammen. Meine geballten Fäuste sind ziemlich sicher schneeweiß vor Anspannung. Aber ich halte mein Maul, denn wenn ich jetzt was sage, scheißt er auf den Wettverlust und schlägt mich tot. Das kann ich nicht passieren lassen. Nicht so kurz vor meiner Entlassung.

»Hast also doch am Ende was gelernt von mir, hm?«, provoziert er mich weiter. »Aber ich bin froh, dass du ein paar Eier behalten hast, sonst würde ich übermorgen eine Menge Geld verlieren.«

Tief durchatmend lasse ich ihn reden und zwinge mich, die Anspannung loszulassen.

»Aber du vergisst besser nie, dass ich einer der wenigen Freunde bin, die du hast, Danny-Boy. So gern ich dich habe, wenn du es übertreibst, endet meine Gutmütigkeit. Dann sorge ich dafür, dass du dein Leben im Knast verbringst und dabei im Rollstuhl sitzt. Mit einem Loch unten drin, damit jeder deinen Arsch ficken kann.« Er redet sich selbst in Stimmung, fängt sich jedoch, bevor er die Drohung in die Tat umsetzt. »Geh duschen und nimm den Versager da mit. Ich will eure Fressen eine Weile nicht sehen. Heute Nachmittag trainiert ihr weiter.«

 

Ich bin schon fast fertig damit, mich anzuziehen, als Paco langsam aus dem Duschraum schlurft und sich die Haare trockenrubbelt. Ich habe keine Angst vor ihm, aber ich bin seit fast genau fünfzehn Jahren im Knast und habe auf die harte Tour gelernt, keine Mitgefangenen aus den Augen zu lassen. Vor allem dann nicht, wenn sie kapiert haben, dass sie in der direkten Auseinandersetzung keine Chance gegen mich haben. Das lässt einige Leute sehr kreativ werden, wenn es darum geht, einen umzubringen oder etwas heimzuzahlen.

Seine Körpersprache beruhigt mich ein wenig. Er ist angeschlagen, aber nicht auf eine Konfrontation aus. Allerdings will er wohl unbedingt etwas loswerden und ich sehe wenig Hoffnung, ihn davon abhalten zu können.

»Spucks schon aus«, brumme ich daher. Umso schneller habe ich es hinter mir.

»Du bist loco«, meint er und starrt mich an, als müsste ich darauf jetzt schockiert reagieren.

Stattdessen sehe ich ihn einfach nur an. Ohne mit der Wimper zu zucken oder die Miene zu verziehen. Falls er mir nur Offensichtliches mitteilen will, sehe ich keinen Grund, noch etwas zu sagen.

»Stimmt es, was man sagt?«, schiebt er hinterher, weil er offenbar wirklich ein Idiot ist.

Ich zucke nur mit den Schultern, denn man sagt viel und ich gebe da eher wenig drauf.

»Du hast schon als Junge einen umgebracht und außerdem …«

»Vorsicht, Spic«, unterbreche ich ihn scharf. »Wenn du deine Latinonase behalten willst, hältst du besser die Fresse.«

Ich hatte ihn schon mit dem abfälligen Wort für hispanische Insassen. Ich weiß nicht einmal, was es bedeutet, aber die Latinos verstehen es und wenn die rassistischen Glatzköpfe von der Arischen Bruderschaft es benutzen, kommt es regelmäßig zu Schlägereien. Also ist es eine handfeste Beleidigung und genau das soll ihm auch zu denken geben. Ich kann es nicht ausstehen, wenn sich einer mit meiner Vergangenheit beschäftigt.

»Du würdest nicht deine Entlassung riskieren«, spekuliert er, nachdem er eine Weile nachgedacht hat.

»Ich dachte, du hättest kapiert, dass ich loco bin, Hombre«, schnaube ich. »Willst du unbedingt herausfinden, wie verrückt?«

»Ich will wissen, was dich zum Gewinner macht«, erwidert er. »Ich will deinen Platz einnehmen.«

Ich lache laut auf, aber es liegt kein Humor darin. »Willst du nicht, du Spinner.« Er weiß nicht einmal, was er sich da erträumt. Und das muss ich nicht erst auf andere Bereiche ausdehnen. Er will der Käfig-Champion der Knastkämpfer werden? Niemand, der weiß, was da vor sich geht, will das. Ich wollte das nie und will es auch jetzt nicht. Aber mich hat keiner gefragt. Es gehen immer zwei in den Käfig rein und nur einer geht wieder raus. Solange der andere noch gehen kann, bleibt die Tür zu. Und ich gehe lieber, als getragen zu werden.

»Aber ich schätze, du wirst keine Wahl haben«, füge ich noch hinzu, als er ansetzt, etwas zu antworten. »Big Eddie hat dich im Auge und wenn ich nicht mehr da bin, wird er dich mit all seiner Aufmerksamkeit bedenken, bis du dir wünschst, tot zu sein. Und dann noch ein wenig mehr.«

»Ist es nicht besser, sich wehren zu können und auszuteilen, statt einzustecken?«

»Ach, und du glaubst, das kannst du?«, lache ich höhnisch. »Na dann …«

Als ich aufstehe, will er mich am Arm festhalten. Ich weiß nicht, was der Idiot eigentlich von mir will. Mexikanisches Macho-Getue? Ehrenkodex-Geschiss? Oder einfach nur ein simpler Dachschaden.

»Fass mich an und deine Hand ist gebrochen«, knurre ich. Ich hab's langsam dicke«.

»Du hast Cojones, Gringo. Harte Eier«, murmelt er und ist gerade so schlau genug, seine Wichsgriffel nicht an mich zu legen. »Aber dir fehlt Corazón - Seele.«

Ich hole tief Luft, drehe mich ein wenig und lasse sie entweichen. Was weiß der Penner schon. Bevor er es auch nur kapiert, zuckt meine Faust schon auf sein Gesicht zu und ich genieße den Klang seiner Nase, die unter dem Treffer knackt.

»Wenn du nicht lernst, anderen nicht auf den Sack zu gehen, wirst du deine Zeit hier nicht überleben«, gebe ich ihm als Rat mit. Ich hoffe er kapiert, dass ich damit vor allem mich und meinen Sack meine. Offenbar versteht er subtil nicht.

 

Den Rest der Zeit bis zum nächsten Training habe ich meine Ruhe. Das ist schon ewig so geregelt, wenn ein Kampf bevorsteht. Big Eddie sorgt dafür, dass ich mich vorbereiten kann. Die Kämpfe mögen nur eine kleine, billige Kopie irgendwelcher Großereignisse sein, aber es geht um echte Kohle. Von der ich natürlich nichts als ein Taschengeld sehe.

Ich weiß, dass sie illegal sind. Nicht nur, weil dabei immer wieder Kämpfer sterben, denn Regeln gibt es keine. Aber es passt auch einfach nicht zu behördlich genehmigten Events, dass sie in den Kellerräumen stattfinden und immer wieder Gäste dabei sind, die so gar nicht in eine Strafvollzugsanstalt passen wollen. Oder dass die Kämpfer üblicherweise nicht aus der gleichen Anstalt kommen, wenn nicht sogar einer von ihnen gar kein Knacki ist.

Eine Rolle spielt das nicht wirklich, denn im Knast geht vieles vor, was nicht legal ist. Und bei wem wollte ich mich auch beschweren. Ich bin ein Mörder und verurteilter Sexualstraftäter. Ich werde für den Rest meines Lebens immer den Kürzeren ziehen, wenn Aussage gegen Aussage steht. Und ich hab's kapiert. Ich habe schon lange aufgehört, an Gerechtigkeit zu glauben. Die gibt’s für einen wie mich sowieso nicht. Recht hat, wer Geld oder Einfluss hat. Oder die richtigen Leute kennt, die dann Geld und Macht haben.

Ja, in dem Fall muss man nicht einmal mehr am Leben sein, um sich zu rächen. Das habe ich am eigenen Leib erfahren. Für das Leben, das ich genommen habe, wurde mir alles genommen. Selbst … Ugh, wenn ich anfange darüber nachzudenken, gehe ich die Wände hoch. Also lasse ich das besser.

Guter Vorsatz, aber natürlich habe ich keine Minute später die beiden Bilder in der Hand. Die Einzigen, die ich von ihr habe. Die Erinnerungen sind längst verblasst und verschwommen geworden. Kein Wunder nach fünfzehn Jahren. Und auch die Bilder sind nicht mehr neu. So gut ich auch auf sie aufpasse, jedes Hervorholen aus dem Versteck lässt sie leiden.

Wie lange ist es jetzt her, dass sie mir zuletzt geschrieben hat? Vier oder fünf Jahre, denke ich. Das neuere der beiden Bilder ist nur unwesentlich älter. Und die Frau darauf … kenne ich nicht. Ich weiß nicht einmal, wie gut ich das Mädchen kannte, das sie einmal war.

Scheiße, ich kann ihr nicht verdenken, dass sie es aufgegeben hat. Ich bin mir verdammt sicher, dass keiner meiner Briefe sie je erreicht hat. Man hat mir überdeutlich gesagt, dass ich es mir schenken kann, ihr zu schreiben. Zu ihrem Schutz, dass ich nicht lache …

Ich sehe sie noch vor mir im Zeugenstand sitzen, das arme, kleine, verängstigte Ding. Alle redeten auf sie ein und versuchten sie zu überzeugen, dass ihre Erinnerungen nicht stimmen. Dass ich ihr wehgetan habe und sie nicht versuchen soll mich zu schützen. Ich sehe ihre Tränen und ihre Verzweiflung und wie sie zu mir blickt.

Und ich … Ich war ein dummer, kleiner Teenager. Ich habe meinem verfickten Verteidiger vertraut. Der sollte doch auf meiner Seite sein. ›Wenn du ihr helfen willst, schau sie nicht an‹, hatte er mir geraten. ›Ermutige sie nicht. Überlass es den Experten, ihr Trauma zu behandeln. Und vertrau auf das Rechtssystem, dass du eine faire Verhandlung haben wirst.‹

Fick dich, Rechtsverdreher! Ich hätte ihm und den anderen niemals glauben oder vertrauen dürfen. Sie haben alle gelogen und ihr Lügen in den Kopf gepresst, bis sie nicht mehr wusste, was wahr und was unwahr ist.

Trotzdem hat sie mir schließlich geschrieben. Und ich habe ihr geantwortet, auch wenn sie es nie erfahren hat. Jetzt kann ich nur hoffen, dass es ihr irgendwie gut geht. Ob ich sie jemals wiedersehen werde … weiß der Geier.

 

Nachdem ich mich genug in Selbstmitleid gesuhlt habe, reiße ich mich irgendwann wieder zusammen und vergesse die ganze Gefühlsduselei. Dass ich mir jemals die Schwäche gestatten kann, einfach mal loszuheulen, wage ich zu bezweifeln. Ob ich nun auf freien Fuß komme oder mir irgendwer wieder einen Knüppel zwischen die Beine zimmert - ein freier Mann werde ich nie sein.

Wie wahr das ist, beweist mir Big Eddie beim nachmittäglichen Training, ohne dass er es überhaupt bemerken würde. Da Paco ein paar geprellte Rippen hat und wenig Lerneffekt darin läge, sie ihm auch noch zu brechen, hat er mir einen Ersatz organisiert. Und der sieht beeindruckend aus, wie er vor Mordlust schäumt. Wenn ich es zulasse, wird der Brecher von einem Schwarzen mich in der Mitte durchreißen, das stellt er von vorneherein klar.

Warum? Weil er ein Neuzugang ist und Eddie ihm was geflüstert hat. Nicht neu im Knast, nur neu hier. Und jetzt kriegt er eine Gelegenheit, es einem miesen Kinderficker so richtig zu besorgen. So motiviert man Mitarbeiter, schätze ich.

Dieselbe Nummer zieht der fette Schließer und Kampforganisator auch am nächsten Tag ab, denn mein Gegner im nächtlichen Kampf könnte der Zwillingsbruder meines letzten Sparringspartners sein. Und der Ausgang unterscheidet sich auch nicht sonderlich.

Es ist nun einmal so, dass ich jedes Mal, wenn mich einer anpackt, mit der Möglichkeit rechne, dass ich es nicht überleben werde. Und das seit anderthalb Jahrzehnten. Also ist es mir im Moment der Auseinandersetzung ehrlich gesagt … egal, ob ich es überlebe. Ich will nur nicht stillhalten, denn in mir ist etwas, das aus Gründen, die ich nicht kapiere, krampfhaft am Leben festhält.

Deswegen bin ich so gut geworden, wie ich werden konnte. Ich bin kein Riese und kein Muskelberg, aber ich habe Kniffe, Griffe und Techniken aus mehr Kampfstilen gelernt, als ich aufzählen könnte. Und die wende ich an. Käfigkämpfe sind Freestyle und Prügeleien sowieso. Sie unterscheiden sich im Grunde nur in der Anzahl von Teilnehmern. Für mich sind sie alle eigentlich gleich. Und so trainiere ich auch.

Dem Dummkopf, der sich bis zur Weißglut gegen mich hat aufhetzen lassen, bevor er in den Trainingsring gestiegen ist, muss ich den Kiefer brechen, bevor er liegen bleibt. Harte Arbeit bei so einem Eisenschädel. Aber er ist viel zu langsam, um mich zu kriegen, wenn ich aufmerksam bleibe. Und ich bin immer aufmerksam.

Meinem Gegner im Ring komme ich nicht ganz so schnell bei, denn er ist zwar auch ein Idiot, aber einer mit viel Kampferfahrung. Wütend ist er aber trotzdem. Big Eddie hat ihm auch was gesteckt und im Grunde macht er es mir damit sogar leichter. Vielleicht war das sein Plan, vielleicht hofft er auch insgeheim, dass es mich erwischt, bevor ich seinem Zugriff entzogen werde. Ich werde ihn sicher nicht fragen.

Eine echte Chance hatte auch mein Gegner im hoffentlich letzten Kampf meiner Gladiatorenkarriere nicht wirklich. Und zwar, weil er in den Ring stieg und darüber nachgedacht hat, was er tut, wenn er wieder raus marschiert. Ein Fehler, den ich nicht begehe. Ich denke über gar nichts nach, was über die nächsten Aktionen meines Gegners hinausgeht. Und ich nehme fest in Kauf, dass es mich erwischen mag. Ich werde mich nicht zurückhalten und mit meinen Kräften haushalten muss ich auch nicht. Für mich gibt es schließlich keine Siegesfeiern und auch keine Nutten oder von mir aus auch Freundinnen, zu denen ich zurückkehren würde, um mir feierlich einen blasen zu lassen.

Ich weiß am Ende nicht, ob ich dem riesigen Schwarzen den Schädel angebrochen oder aufgebrochen habe. Ich blute aus ein paar Wunden, wo er mich erwischen konnte und mein Schädel dröhnt, weil ich seinen gewaltigen Fuß einmal dagegen bekam. Aber ich stehe und er liegt. Vielleicht für immer. Oder er endet als sabbernder Idiot in einem Krankenhausbett.

Mir ist es scheißegal. Ich habe gewonnen und überlebt. Und das ist … vielleicht mein Problem. Denn nun werde ich wirklich in wenigen Tagen entlassen und ich habe keine verfickte Ahnung, was ich dann tun soll. Ich weiß nichts von der Welt da draußen, ich darf mit niemandem, den ich je kannte, Kontakt aufnehmen, weil ich praktisch niemanden kenne, der nicht mit meinem Fall vor so vielen Jahren zu tun hatte. Und all diesen Leuten darf ich mich nicht einmal auf Sichtweite nähern. Frei sein werde ich nicht einmal auf dem Papier, denn ich bin ein registrierter Sexualstraftäter und werde es auch immer bleiben.

Vielleicht nehme ich deswegen die Visitenkarte an, die ein Anzugträger Big Eddie nach dem Kampf zugesteckt hat und die er mir weiterreicht. Falls ich mal einen Job suchen sollte … Tja, ich kann mir denken, was das für ein Job wäre. Wenn ich eine Wahl haben sollte, will ich das auf keinen Fall. Aber ich denke nicht, dass ich jemals sowas wie eine Wahl haben werde.

Scheiß Leben. Es wäre einfacher gewesen, sich umbringen zu lassen …

 

Drittes Kapitel

 

Eleanor

 

 

Ich habe alle Briefe gelesen. Jeden Einzelnen von ihnen. Immer und immer wieder. Ich habe meine Tante und meinen Onkel nie leiden können. Sie haben mir all die Jahre das Leben schwer gemacht und mich nur allzu deutlich spüren lassen, dass ich mitschuldig am Mord meines Vaters - dem Bruder von Onkel Marcus - bin. Ich habe es immer klaglos über mich ergehen lassen.

Aber jetzt hasse ich sie dafür, dass sie mir die Briefe vorenthalten haben; dass ich mit den Lügen aufgewachsen bin; dass sie mir das Gefühl gegeben haben, ein Nichtsnutz zu sein und nichts Besseres verdient zu haben.

Den wichtigsten Brief habe ich in meiner Gesäßtasche. Während des Wartens greife ich immer wieder nach hinten und vergewissere mich, dass er noch da ist. Dabei brauche ich ihn gar nicht, denn das Datum und die Uhrzeit darin haben sich fest in mein Gedächtnis eingebrannt. Wenn diese Informationen nicht mehr korrekt sein sollten, stehe ich allerdings etwas verloren da. Dann muss ich notgedrungen in den nächsten Bus zurück in die Stadt steigen. Weg von … ihm. Obwohl ich nichts mehr will, als ihn endlich wiederzusehen.

Meine Nervosität ist kaum noch unter Kontrolle zu bekommen. Mir schwirren so viele Fragen in meinem Kopf herum. Ob ich ihn erkennen werde, spielt dabei die geringste Rolle. Obwohl in keinem seiner Briefe ein einziges Wort davon stand, dass er mir die Schuld gibt oder von mir enttäuscht ist, weiß ich nicht, wie er auf mich reagieren wird.

Fünfzehn Jahre wurde mir eingeredet, dass er es war, der mir wehgetan hat. Dass bei ihm alle Sicherungen durchknallten, als mein Vater ihn von mir wegholen wollte. Nur noch ganz vage sind die Bilder der damaligen Gerichtsverhandlung und noch undeutlicher sind die Erinnerungen an das, was davor passiert ist.

Verdammt, ich war noch ein kleines Mädchen, dem wehgetan wurde. Aber seitdem kämpfen die Gefühle in mir. Auch wenn die Erinnerung schwach ist, kann ich noch ganz vage die Emotionen spüren, die es ausgelöst hat, als er verurteilt wurde. Er, bei dem ich mich immer sicher gefühlt habe. Er, den ich nicht verlieren wollte.

Ich habe ihm geschrieben. Ihn gefragt, ob sie recht haben. Ihm unzählige Briefe zukommen lassen. Weil ich nie eine Antwort von ihm erhielt, sind immer mehr Zweifel aufgekommen. Lag ich mit meiner Erinnerung doch falsch? Habe ich als kleines Mädchen die Dinge verdreht und verdrängt, damit ich mich nicht damit auseinandersetzen muss? So jedenfalls wurde es mir nicht nur ständig von Marcus und Julie eingetrichtert, sondern auch von der Psychologin, die mich wegen meines Traumas behandelte.

Und nun stehe ich an der Bushaltestelle, die sich gegenüber dem Gefängnis befindet, und warte darauf, dass er entlassen wird. Denn die Briefe von ihm erzählen genau die Geschichte, von der alle anderen sagen, dass sie nicht stimmt. Nur meine kindlichen Erinnerungen, die angeblich falsch sein sollen, stimmen ihm zu. Aber die Zweifel sind mir immer geblieben.

Die Psychotante hat gute Arbeit geleistet, mir einzureden, dass er mich manipuliert hat, damit unser beider Aussagen übereinstimmen, wenn er erwischt wird. Die Worte des Polizisten von damals erschienen so logisch, auch wenn sie nicht zu dem passten, was ich zu wissen glaubte. Und ein Richter kann sich doch nicht irren, oder? Ganz zu schweigen von meiner Familie, die immer behauptet hat, nur mein Bestes zu wollen.

Deswegen bin ich jetzt hier. Ich will es wissen. Ich will ihm in die Augen sehen und herausfinden, wer die Wahrheit gesagt und wer gelogen hat. Ich brauche Gewissheit, denn die hat mir all die Jahre gefehlt. Immer war da noch dieser winzige Funke Hoffnung, dass ich doch nicht völlig allein auf dieser Welt sein mag. Auch wenn er mir nie geantwortet hat, kann ein Teil von mir nicht von dieser Idee ablassen. Nur das hat mich abgehalten, meinem beschissenen Leben ein Ende zu setzen.

Ich lasse meinen Blick über den riesigen Komplex gleiten, der hinter meterhohem Maschendrahtzaun mit Stacheldraht liegt. Hohe Wachtürme stehen in regelmäßigem Abstand am Zaun entlang. Gut zu erkennen sind die Männer mit ihren Gewehren und die Videokameras, die das gesamte Gelände zusätzlich überwachen. Ein beklemmendes Gefühl überkommt mich und schnürt mir die Kehle zu. Die Zufahrt ist doppelt gesichert und nur durch Schleusen zu betreten oder zu verlassen.

Als sich am Haupteingang des Gebäudes etwas tut, starre ich wie gebannt dort hin. Meine Hände fangen an zu zittern und mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Zittrig atme ich ein und aus, versuche mich zu beruhigen und die schweißnassen Hände an meiner Jeans abzuwischen.

Ein Mann tritt heraus und wird von einem Wärter zur ersten Tür gebracht. Der extrem fettleibige, schlampig wirkende Uniformierte klopft einem sichtlich jüngeren und viel schmaleren Mann auf die Schulter und gibt ein Handzeichen. Während sich oben auf dem Zaun das Blinklicht dreht, hört man deutlich eine Sirene, dann öffnet sich die Tür zur Schleuse.

Nervös kaue ich mir auf der Lippe herum und beobachte, wie der Mann durch den Gang weiter zum Ausgang geht. Nur noch diese einzelne, drahtbespannte Tür trennt ihn von der Außenwelt. Ist er es? Ich weiß es nicht. Ich habe nur das Bild des vierzehnjährigen Jungen in meinem Kopf; kenne keine neueren Fotos von ihm; weiß nicht, wie er heute - fünfzehn Jahre später - aussieht.

Es könnte auch jemand anderes sein, der entlassen wird. Ich war zwar eine Stunde vor der angegebenen Uhrzeit da, aber es ist jetzt fast eine Stunde über die Zeit. Mit einem Summen, das selbst auf die Distanz noch deutlich zu hören ist, öffnet sich die letzte Tür und der junge Mann tritt hinaus. Seine Jeans ist verwaschen und sein schwarzes Shirt einfach und schmucklos. In der Hand hält er einen einzigen, kleinen Stoffbeutel.

Er ist groß und schlank. Irgendwie hatte ich das Bild eines muskelbepackten Riesen im Kopf, der aus diesem Gefängnis heraustreten würde. Stattdessen wirkt er drahtig und scheint zwar deutlich größer zu sein als ich, aber dabei kein Gigant. Dennoch umgibt ihn eine Aura der Bedrohlichkeit, die nicht nur von seinem ernsten Gesicht ausgeht. Das schreckt mich jedoch nicht. Im Gegenteil, ich fühle mich zu ihm auf eine Weise hingezogen, die ich ganz und gar nicht erwartet habe. Er muss der Richtige sein, sonst wäre da nicht so ein vages Gefühl von Vertrautheit und Zuneigung in mir.

---ENDE DER LESEPROBE---