Dealbreaker - Avery Flynn - E-Book

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Avery Flynn

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Beschreibung

Er hat für alles einen Plan. Doch sie durchkreuzt jeden einzelnen.

Unternehmensberater Tyler Jacobson organisiert sein Leben akribisch. Er hasst Überraschungen und geht nie ohne einen Plan in eine Verhandlung. Daher findet er seine neue Nachbarin auch höchst irritierend, denn Everly Ribinski ist das genaue Gegenteil von ihm: quirlig, spontan und absolut chaotisch. Sie treibt ihn in den Wahnsinn und fasziniert ihn gleichzeitig wie niemand zuvor. Daher hält er sich lieber von ihr fern. Als er jedoch herausfindet, dass Everly die Einzige ist, die ihm zu einem wichtigen Business-Deal verhelfen kann, muss er seine Taktik ändern: Nun braucht er ganz dringend einen Plan, wie er die hübsche Galeriebesitzerin für sich einnehmen kann ...

"Unterhaltsam, humorvoll, sexy und einfach fabelhaft!" Guilty Pleasures Book Reviews

Band 3 der charmanten und prickelnden HARBOR-CITY-Serie von Bestseller-Autorin Avery Flynn

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Seitenzahl: 410

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Avery Flynn bei LYX

Impressum

Avery Flynn

Dealbreaker

Roman

Ins Deutsche übertragen von Hans Link

Zu diesem Buch

Unternehmensberater Tyler Jacobson führt ein geordnetes Leben, er hasst Überraschungen, und Spontaneität ist ihm ein Graus. Nie geht er ohne einen Plan in seine Geschäftsverhandlungen, und auch sein Privatleben folgt klaren Vorgaben. Daher findet er seine quirlige – wenn auch zugegeben sehr attraktive – neue Nachbarin äußerst irritierend. Everly Ribinski lebt nach ihren eigenen Regeln und hält Tyler mit ihren spontanen Aktionen auf Trab. Sie ist laut, liebt Streitgespräche und fällt ihm gehörig auf die Nerven. Es ist ihm total egal, dass sie ihn für einen Pedanten hält und ihm aus dem Weg geht. Auf gar keinen Fall schlägt sein Herz schneller, wenn sie mal wieder nicht einer Meinung sind, und natürlich würde er niemals absichtlich ihren Weg kreuzen, um einen Blick auf sie zu erhaschen. Nie würde er zugeben, wie lebendig er sich in ihrer Gegenwart fühlt. Doch dann ändern sich die Regeln, denn Tyler findet heraus, dass Everly die Einzige ist, die ihm zu einem wichtigen Business-Deal verhelfen kann, und nun braucht er ganz dringend einen Plan, wie er die hübsche Galeriebesitzerin für sich einnehmen kann …

1. Kapitel

Von Jetlag geplagt und so müde, dass sich alles vor seinen Augen drehte, blieb Tyler Jacobson in dem schmalen Flur seines Mietshauses gerade noch rechtzeitig stehen, um nicht von einem knapp drei Meter hohen Kistenstapel zerquetscht zu werden.

So wird also alles enden. Er würde sterben, indem er von einem Stapel Kisten überfahren wurde, die sich direkt auf ihn zubewegten, scheinbar ganz aus eigener Kraft. Immerhin war es ein ziemlich einzigartiger Tod, obwohl tot sein seinen Plänen, die Weltherrschaft zu übernehmen, wirklich in die Quere kommen würde.

»Hey, hier kommt wer!«, rief er scherzhaft einen Satz aus einem seiner Lieblingsfilme, und zwar mit einem waschechten Proletenakzent. Seine übliche Aussprache war viel kultivierter, dank des halben Jahres Sprechunterricht vor seinem Collegeabschluss damals, in dem er seinen Banausenslang losgeworden war.

Der Kistenstapel hielt inne und neigte sich leicht nach vorn, gefolgt von dem gedämpften Klacken einer Sackkarre, die auf den mit Teppich ausgelegten Boden abgesenkt wurde. Aber es erschien niemand. Okay, die Kisten fuhren also doch nicht von selbst. Ihm gehörte das Gebäude, und obwohl er sich nicht als Hausmeister betätigte, wusste er, dass es darin nicht spukte, selbst wenn er der Typ Mensch gewesen wäre, der an solchen Schwachsinn glaubte – was er nicht war. Er mochte sich weder so anhören oder so aussehen noch sich so benehmen, doch seine Kindheit und Jugend am anderen Ende des Hafens, fernab des Glamours und des Geldes von Harbor City, hatten ihn geprägt, und er hatte definitiv einen skeptischen Blick auf die Welt.

»Tut mir leid, hab Sie nicht gesehen«, erklang eine körperlose Frauenstimme hinter den Kisten.

»Das überrascht mich nicht.«

Die Frau brauchte Unterstützung. Bei Gelegenheiten wie dieser wünschte er, das Haus hätte einen Portier, der dabei behilflich war, Kisten zu transportieren. Er musste wirklich über eine Sanierung nachdenken, damit er Platz für eine kleine Eingangshalle schaffen konnte. Als sie keine Anstalten machte, um die Kisten herumzugehen, konnte er seine Neugier nicht zurückhalten. »Verstecken Sie sich etwa dahinten?«

Eine Frau spähte um die Kisten herum. Eine hübsche Frau. Moment. Eine zauberhafte Frau – mit großen, ausdrucksvollen Augen, die zu riesig für ihr Gesicht waren, und Haaren, die ein Mann im Bett um die Hand schlingen konnte.

Sie kniff ihre klugen braunen Augen zusammen und musterte ihn von ihrer ziemlich beeindruckenden Höhe aus flugs von Kopf bis Fuß, schätzte die Situation mühelos ab, was ihm, auch ohne dass sie ein Wort zu sagen brauchte, verriet, dass hinter dem Aussehen dieser Frau mehr steckte. Alles an ihr schien dermaßen perfekt – das glatte Haar, ihr Make-up und ihre langen Beine, die in sexy Designer-Jeans steckten –, dass alles an ihr nach Zurückhaltung schrie. Na ja, zumindest fast.

»Warum sollte ich mich denn verstecken?«, fragte sie, und ihr starker Riverside-Akzent widersprach ihrer Attitüde der Unnahbarkeit vollkommen. »Sie machen mir keine Angst.«

Tyler hatte das Gefühl, dass ihr nichts so schnell Angst machte. Das gefiel ihm. Und an ihrem Akzent konnte er erkennen, dass sie aus der Arbeiterklasse stammte so wie er, obwohl er sein Bestes tat, das zu verbergen. Die Geschworenen berieten sich noch immer darüber, wie er dazu stand.

Er streckte die Hand aus. »Tyler Jacobson.«

»Everly Ribinski«, stellte sie sich vor und schüttelte ihm die Hand, schnell nach oben, nach unten und loslassen. Ihre Pupillen hatten sich für einen kaum merklichen Moment geweitet, als ihre Hände sich berührt hatten, allerdings hatte sie sich schnell wieder gefangen. Das konnte beiderseitige Anziehung sein, vielleicht aber auch bloß Überraschung darüber, dass er nicht versuchte, den Augenblick in die Länge zu ziehen. Diesbezüglich berieten sich die Geschworenen ebenfalls noch. Er stellte sich vor, dass eine so schöne Frau wie sie oft unerwünscht von Männern angefasst wurde, wenn strikte Geschäftsmäßigkeit angesagt sein sollte. Sein Magen zog sich kurz zusammen bei dem Gedanken, dass irgendein Mann sie sexuell belästigen könnte, doch sie erwiderte seinen Blick mit derartigem Selbstbewusstsein, dass solche Kandidaten vermutlich eine Abfuhr bekamen, wenn sie es versucht hatten. Er grinste bei der Vorstellung, wie sie einen Mann in seine Schranken verwies.

Und dann begriff er, dass er im Flur stand und sie daran hinderte, ihren Umzug fortzusetzen, und sie wie ein Idiot angrinste. Als sie die Brauen hochzog, schüttelte er den Kopf. Reiß dich zusammen, Jacobson.

Er versuchte, seine Benommenheit abzuschütteln. Zauberhafte Frauen waren nichts Neues für ihn. Sie mochten ihn. Er mochte sie. Passt. Doch aus irgendeinem Grund ließ Everly sein ziemlich fixes Denken fast zum Stillstand kommen. Er gab die Schuld der Tatsache, dass er den Nachtflug von Budapest genommen hatte und sowohl ein schreiendes Baby als auch ein Sitznachbar mit Logorrhoe an Bord gewesen waren.

»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte sie, als er sich nicht von der Stelle rührte. »Aba ich muss diese Sachen hier in meine Wohnung schaffen.«

Dieses sexy A am Schluss von »Aber« war das Einzige, was als verrückter Kitzel in seinem vernebelten Gehirn hängen blieb.

»Sie beziehen 3B.« Natürlich wählte sein Verstand genau diesen Moment aus, um wieder zu funktionieren. Die Galeristin, die die Gewerbeeinheit im Erdgeschoss des Hauses hatte. »Ich wohne in 2B, aber keine Sorge. Es macht mir nichts aus, unter Ihnen zu sein.«

Scheiße, was hast du da gerade gesagt, Jacobson?

Eigentlich hatte er ausdrücken wollen, dass er, obwohl ihm das Haus gehörte, sich nicht über die anderen erhob, was sein von Schlafmangel gepeinigtes Hirn irgendwie verdreht hatte. Doch sie wusste nicht, dass er der Hausbesitzer war, und jetzt würde sie, wenn er die Sache klarstellte, vermutlich denken, er habe es nur gesagt, um einfließen zu lassen, dass ihm das Gebäude gehörte. Unhöflich bleiben oder jämmerlich wirken? Beide Optionen ließen ihn wie das Arschloch aussehen, als das er sich gerade gezeigt hatte.

Er erinnerte sich daran, dass er sein Gehirn und seine Kommunikationskompetenz benutzt hatte, um binnen weniger Jahre Millionen von Dollar zu scheffeln. Komm schon, Jacobson, lass dir etwas einfallen, das weder anzüglich noch prahlerisch ist. Etwas Hilfreiches. Und dann mach, dass du hier wegkommst, solange sie dich noch lässt.

In seinem Gehirn ratterte es, denn was auch immer er als Nächstes sagte, es war potenziell lebensbedrohlich in dem Minenfeld, das er gerade erschaffen hatte.

»Ich kann Sie mit einem Stimmtrainer bekannt machen; er hilft Leuten, ihren Slang loszuwerden.« Okay, nicht gerade das beste Gesprächsthema, unmittelbar nachdem er jemanden kennengelernt hatte, aber es ging als hilfreich durch.

Sie stemmte eine Hand in ihre runde Hüfte und kniff die Augen zusammen. »Slang?«

»Ja.« Er nickte und begriff zu spät, in was für einen Schlamassel ihn sein Jetlag gerade hineingezogen hatte.

»Und was ist daran auszusetzen, wie ich spreche?«, fragte Everly mit harter Stimme. Keine sexy verwaschene Endung diesmal, jedes Wort kam klar und scharf wie aus der Pistole geschossen.

Er glaubte, das schwache Klingeln einer Glocke zu hören, bevor ein Boxkampf in seinem Unterbewusstsein begann, und sein Blick huschte auf der Suche nach irgendeiner Möglichkeit umher, seine Wohnung schnell zu erreichen. Er schuldete Everly eine Entschuldigung, klar, doch er hatte Angst, dass er sich noch tiefer hineinreiten würde, so sehr litt er an seinem Jetlag, so dermaßen indisponiert war er. »Ähm. Nichts?«

Tyler konnte jeden durchschauen, seine Schwächen binnen weniger Sekunden erkennen und sie zu seinem eigenen Vorteil nutzen. So hatte er seine Consulting-Firma zu einer Institution in Harbor City gemacht, die dafür stand, Geschäfte erfolgreich abzuwickeln. Teils Trainer, teils Drill-Offizier, teils Machiavelli, hatte er, was immer notwendig war, auf den Tisch gebracht, um aus einem erfolgreichen Unternehmen ein Imperium zu machen. Doch zum zweiten Mal an diesem Tag lag er komplett daneben. Als dieser Schock sich in seinem Magen ausbreitete und ihm ganz flau davon wurde, hatte er keine andere Wahl, als ihr ein schwaches entschuldigendes Lächeln zu schenken, das er bei seinem Freund Frankie allzu oft gesehen hatte und das die Damen stets betörte und Frankie aus heiklen Situationen befreite. Hoffentlich war er nicht so eingerostet, wie er sich fühlte, wenn es darum ging, durch eine Charmeoffensive aus einer verzwickten Situation wieder herauszukommen.

Sie schürzte ihre kirschroten Lippen und kniff ihre Augen zusammen, als sie seinen Kurswechsel bemerkte. Diese Frau war viel zu clever, und sie wollte nichts davon wissen. Sie nickte, als denke sie tatsächlich darüber nach, was er gesagt hatte. »Aber ich sollte meine Aussprache ändern?«

Minenfeld. Minenfeld. »Vergessen Sie, was ich gesagt habe.« Wirklich, es wäre ein Segen, wenn sie einfach nur Nachbarn wären. Verdammt, sie durfte auf keinen Fall erfahren, dass das Haus ihm gehörte, nachdem er sich wie ein Arschloch aufgeführt hatte. Vielen Dank, Last-Minute-Nachtflug von Budapest.

Normalerweise war Tyler in jeder Situation derjenige, der die Lage analysierte und nach den besten Winkelzügen suchte. Aber als er Kalkül in ihrem Blick aufblitzen sah, während ihre Züge gelassen blieben, war er beeindruckt von ihrem strategischen Denken. Sie schien abzuwägen, ob sie lächeln sollte. Er sah winzige Fältchen in ihren Augenwinkeln. Doch so wie er sich die Sache aus ihrer Perspektive vorstellte, würde sie, wenn sie kokett antwortete, damit rechnen, einen Nachbarn zu bekommen, der sie ständig in die Enge trieb, weil er mehr Aufmerksamkeit wollte. Ihre Mundwinkel zogen sich nach unten. Sie konnte ihren Ärger darüber ausdrücken, dass er ihr im Weg stand, dass er sie beleidigt hatte, allerdings würden sie unter einem Dach leben, daher war das unnötiger Stress, vor allem wegen ihres Geschäftes im Erdgeschoss. Schließlich schien sie sich für eine distanzierte, aber freundliche Haltung zu entscheiden, die jedwede Chancen seinerseits zunichtemachte, ihr zu helfen oder sich weiter mit ihr zu unterhalten. Verdammt. Sie war gut.

»Okay«, sagte sie mit einem Lächeln, das beinahe echt aussah, wenn auch ein klein wenig sauer, dann wartete sie ab und sah ihn an. »Tyler?«

»Ja?«, fragte er, steckte die Hände in seine Hosentaschen und schenkte ihr ein weiteres Lächeln, von dem er hoffte, dass es charmant war.

»Könnten Sie ein Stückchen zur Seite gehen?« Ihr Ton war neckend. »Ich will Sie nicht überrollen.«

»Oh«, murmelte er und sprang wie der Blitz zur Wand, um ihr aus dem Weg zu gehen. »Tut mir leid.«

Sie nickte nur, verschwand hinter dem Kistenstapel auf der Sackkarre und ging an ihm vorbei durch den Hausflur. Okay, diese Begegnung war Schrott gewesen, aber trotz Jetlag fand er es verdammt gut, ihrem herzförmigen Hintern zuzusehen. Wie er sich bewegte, wenn sie ging.

Achtundvierzig Stunden später öffnete Everly die letzte Umzugskiste. Die Miete ihrer neuen Wohnung war unverschämt hoch – nichts Neues für Harbor City –, aber sie hatte die Pendelei satt. Die Black Heart Gallery befand sich im selben Haus im Erdgeschoss. Seit sie haufenweise Stunden auf den Versuch verwandt hatte, die Galerie in Schwarz zu streichen, damit die Räume nicht wie das Pflegeheim von Nunni aussahen, wusste sie, dass der Katzensprung bis zu ihrem Zuhause die Mehrkosten wert war.

Es war nervig gewesen, all ihre Sachen aus ihrer alten kleinen Wohnung herzuschaffen, doch jetzt war sie fertig. Das musste gefeiert werden. Sie schickte schnell eine Textnachricht an ihre Freundin Kiki und lud sie auf einen Drink ein, dann ging sie in den Hausflur, um die Kartons zur Papiertonne zu bringen. Sie schaffte es genau zwei Schritte weit, bevor sie Rauchgeruch wahrnahm.

Sie lief zur Treppe. Es war kein dichter schwarzer Rauch wie von einem Autoreifenfeuer, aber trotzdem schwebte ein grauer Nebel in den zweiten Stock, zusammen mit dem Geruch von etwas Verkohltem, sodass sie ihr Telefon aus ihrer Gesäßtasche riss, während sie keuchend Luft holte. Sie sah noch keinen dichten Rauch und hörte auch keinen Feueralarm, doch sie war sich sicher, dass das bloß eine Frage von Sekunden war.

»911, was haben Sie für einen Notfall?«

»In meinem Haus brennt es.«

Nachdem sie ihre Adresse durchgegeben hatte, eilte sie die Treppe hinunter, mit nur einem einzigen Gedanken im Kopf – zuzusehen, dass sie hier wegkam, ehe sie in irgendeinem Inferno gefangen saß.

»Feuer!«, brüllte sie auf dem Weg nach unten, wohl wissend, dass ihre Stimme laut genug war, um bis nach Riverside vorzudringen.

Sie hatte es gerade bis zum Treppenabsatz des ersten Stocks geschafft, als jemand ihren Namen rief. Instinktiv drehte sie sich um und bereute sofort die zu schnelle Bewegung. Ihr zehn Zentimeter hoher Absatz verfing sich im Teppich, und sie kippte nach vorn. Gleichzeitig zog die Schwerkraft sie herunter. Sekunden bevor sie auf die Nase fallen konnte, legte sich ein starker Arm um ihre Taille und riss sie zurück gegen etwas Unnachgiebiges und – sie schnupperte – etwas, das nach verbranntem Schokoladenkuchen roch.

»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte Tyler und ließ sie los, sobald sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte.

»Wir müssen weg hier.« Sie griff nach seiner Hand und zerrte ihn zur Treppe – nun, sie versuchte, an ihm zu zerren, aber er war zu stattlich und muskulös, als dass sie ihn auch bloß zwei Zentimeter hätte vom Fleck bewegen können. »Es brennt!«

»Was? Nein. Ich habe gebacken und den Backofen zu heiß gestellt«, sagte er, als sei es keine große Sache, beinahe ein Haus niederzubrennen. »Meine ganze Wohnung war verqualmt, als ich aus der Dusche kam.«

Sie sah sich um und bemerkte, dass der Rauch tatsächlich schwächer wurde. In dem Moment ertönte das erste Schrillen der Sirenen, kaum lauter als die Furcht, die in ihr hämmerte. »Die Feuerwehr.«

»Sagen Sie mir, dass Sie die nicht gerufen haben«, stöhnte er. »Sie waren in diesem Monat bereits dreimal hier.«

»Wegen Ihrer Backerei?«, erkundigte sie sich. Sie dachte nicht über ihre Frage nach, sondern konzentrierte sich einfach darauf, ihren Atem zu beruhigen, ehe sie noch hyperventilierte. Nachdem das Mehrfamilienhaus neben ihrem bis auf die Grundfeste abgebrannt war, als sie ein Kind gewesen war, geriet sie schon beim bloßen Gedanken an ein Feuer im Haus in Panik.

Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Ja.«

Bei jeder anderen Gelegenheit hätte sie gecheckt, wie seine Bizepse in seinem kurzärmeligen Shirt aussahen, hätte die sehnigen Linien seiner Unterarme bewundert. Armporno war ihre Schwäche. Wie die Dinge lagen, war sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als das nur am Rande zu bemerken. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Keine Panik. Schön ruhig atmen.

»Wie wär’s mit einem Kochkurs?«

Sein Kinn verspannte sich, und die Ader in seiner Schläfe trat hervor. »Wie wär’s, den Dingen erst mal auf den Grund zu gehen, bevor Sie überreagieren?«

»Überreagieren?« Und wusch, helle Panik überkam sie erneut bei der Erinnerung an die Schreie, die aus diesem brennenden Haus gekommen waren. »Als ich aus meiner Wohnung gekommen bin, war der Hausflur voller Rauch.«

Er schaute in dem Treppenhaus nach oben, und trotz des Ärgers, der sich mit ihrer Panik duellierte, konnte sie nicht umhin, die perfekte Gelegenheit auszunutzen, einen langen Blick auf sein Gesicht zu werfen, ohne dabei beobachtet zu werden. Der Mann war für ihren Geschmack zu gut aussehend. Kantiges Kinn. Markante Züge wie ein Fotomodell. Dunkles Haar, das sich in einer Shampoowerbung gut machen würde. Und seine Augen? Diese Blauschattierung sollte gesetzlich verboten sein wegen der Dinge, die sie mit dem Herzschlag einer Frau machte – ganz zu schweigen von ihrer Libido –, wenn er sie direkt ansah.

Sie waren einander seit dem Tag ihres Einzugs nicht mehr über den Weg gelaufen. Als ihr Ärger über seinen unhöflichen Vorschlag, Sprechunterricht zu nehmen, verflogen war, war ihr eingefallen, wie müde er um die Augen ausgesehen hatte. Irgendein Nachbar hatte erwähnt, dass er gerade aus Europa zurückgekommen war, und sie war bereit gewesen, das Missgeschick auf sich beruhen zu lassen und ihn nicht gleich abzustempeln. Sie hatte sich gesagt, dass ein Mann, nur weil er reich war und sich die Mühe machte, Sprechunterricht zu nehmen, um seinen Proletenslang abzulegen, deswegen noch lange nicht so war wie ihr Vater. Die Tatsache, dass er ihr nahegelegt hatte, ihren Akzent loszuwerden, stellte jedoch ein Warnsignal dar, das sie besser beachten sollte.

Aber sie würden eine ganze Weile Nachbarn sein, daher war es klug, nicht mit ihm aneinanderzugeraten. Ganz abgesehen davon, wie seine Hand ihre umfasst gehalten hatte, oder von diesem irrwitzig sexy Grinsen, mit dem er sie einlullen wollte. Natürlich war ihr zweiter Eindruck von ihm nicht besser als der erste.

»Ich sehe keinen Rauch«, brummte er.

Sie hob den Blick und sah … nichts als Luft. »Er muss sich verzogen haben.«

»Davon bin ich überzeugt«, sagte er und klang genau wie Nunni jedes Mal, wenn sie Everly bei einer Lüge ertappt hatte. Von draußen erklang das Schrillen von Sirenen, gefolgt vom Poltern gestiefelter Schritte auf der Treppe. »Erzählen Sie das den Feuerwehrleuten.«

Das tat sie, allerdings nicht überzeugend. Als die Feuerwehrleute das Gebäude überprüft hatten, insbesondere Tylers Wohnung, und wieder aufgebrochen waren, war Everly wirklich reif für den Drink mit Kiki. Doch bevor sie wieder die Treppe hinaufgehen konnte, erschien Tyler neben ihr. Er hielt eine Schachtel in Händen, die er ihr mit einem entschuldigenden Grinsen überreichte. Darin befand sich ein Papierteller mit Brownies, die so verbrannt waren, dass sie so hart waren wie Eishockey-Pucks. Und das löste das Mysterium, was zum Teufel das Haus mit Rauch gefüllt hatte.

»Und dann ist er einfach weggegangen?«, fragte Kiki einige Stunden später, als sie es sich in einer Ecknische ihres Lieblingsweinlokals bequem gemacht hatten.

»Ja, ist er«, bestätigte Everly, die immer noch versuchte, das zu verdauen. »Er ist wieder in seine Wohnung und hat die Tür zugemacht.«

Kiki, die über den Rand ihres Weinglases spähte, ehe sie einen Schluck daraus nahm, warf ihrer Freundin einen fragenden Blick zu. »Geht es um den heißen Typen, mit dem du im Flur geredet hast und der den Witz über deine Aussprache gemacht hat?«

»Ja.« Gott, sie hatte die Leute satt, die dachten, jemand mit ihrer Aussprache müsse sie ändern, sonst würde man ihn nicht ernst nehmen. Während der ganzen Collegezeit war das der Rat Nummer eins von den Leuten des Kunstbereichs gewesen. Damals hatte sie ihnen gesagt, sie sollten sich zum Teufel scheren, und daran würde sie sich jetzt auch halten. Sie war stolz auf ihre Herkunft, sogar Leute aus Riverside wussten Kunst zu schätzen.

»Und heute hat er dir ungenießbare Brownies geschenkt?«, fragte Kiki. »Meinst du, er ist verrückt?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nur angepisst.«

»Hör mal, du wohnst im selben Haus wie dieser Mann. Ich schlage vor, du machst ihm ein Friedensangebot.«

Das war gar keine schlechte Idee. Wer wollte schon Krieg mit seinem Nachbarn wie bei Tom und Jerry? »Irgendwelche Vorschläge?«

»Hier.« Kiki griff in ihre Handtasche und zog einen Geschenkgutschein ihrer Firma Be Merry Catering hervor. »Der Mann kann offensichtlich nicht kochen. Ich kann ihm Mahlzeiten für eine ganze Woche bieten. Er braucht bloß anzurufen und mir zu sagen, was er von unserer Speisekarte haben will.«

Das war brillant. »Du bist die Beste.«

»Ich weiß.« Kiki wurde ernst. »Wie ist eigentlich dein letzter Besuch bei Nunni gelaufen?«

Everly wurde sofort schwermütig, und ihre Gliedmaßen fühlten sich an wie Zementblöcke. »Es ging ihr so gut, wie man das bei ihrer Demenz erwarten kann. Sie hat wieder gedacht, ich sei meine Mom.«

Kiki zuckte mitfühlend zusammen. »Sie hat dir also einen Vortrag gehalten?«

»Ja.« Genau wie bei neun von zehn Besuchen. Es war nicht ungewöhnlich, dass Demenzpatienten sich ein Ereignis in ihrem Leben aussuchten, auf das sie sich immer wieder bezogen, aber das machte es nicht leichter zu ertragen – vor allem weil es Everly stets aufs Neue das Herz brach. »Jedes Mal, wenn ich dachte, sie würde davon ablassen und auf etwas anderes zu sprechen kommen, kam sie wieder darauf zurück und warnte mich vor all den Verderbtheiten der Männer, die einem den Himmel auf Erden versprechen und einen dann durch die Hölle gehen lassen.«

»Dein Dad war auf jeden Fall ein Mistkerl.«

»Gelinde gesagt.« Der Mann war ein narzisstisches, verlogenes und hinterfotziges Arschloch erster Güte.

Kiki hob erneut ihr Glas. »Darauf, dass du deine Daddy-Probleme überwindest.«

»Welche Daddy-Probleme?«, fragte sie, ließ aber trotzdem ihr Glas gegen das ihrer Freundin klirren und ignorierte die kleine Stimme, die ihr sagte, dass sie ganz schön geliefert war.

»Süße, es hat keinen Zweck, sich zu verstellen.« Kiki verdrehte die Augen. »Du verurteilst jeden Mann, der dich auch nur ansieht, als müsse er für die Sünden deines Vaters bezahlen.«

Das mochte ja stimmen, doch wer konnte ihr einen Vorwurf daraus machen nach dem, was ihr Vater getan hatte, was ihrer Mutter anschließend zugestoßen war und der Tatsache, dass die ganze Geschichte Nunni so dermaßen zugesetzt hatte, dass das jenes Ereignis war, auf das sie sich am meisten fixierte, während sie ihre Tage in dem Zentrum für betreutes Wohnen verbrachte. Die ganze Sache war makaber, und Everly musste Tag für Tag damit leben. Dennoch: Eine sehr wichtige Tatsache ließ sich nicht leugnen.

»Bloß weil Nunni dement ist«, sagte sie Kiki, »heißt das noch lange nicht, dass sie sich in Bezug auf selbstsüchtige reiche Arschlöcher irrt.«

Als Tyler am nächsten Tag ohne jede Spur von Jetlag erwachte, fand er einen Umschlag, den ihm jemand unter der Tür hindurchgeschoben hatte. Da er nicht tickte, öffnete er ihn.

Be Merry Catering

Geschenkgutschein für den Lieferservice für eine Woche. Bitte rufen Sie uns an, um weitere Informationen zu erhalten.

Unterschrieben war der Gutschein von Everly Ribinski.

What. The. Fuck. Da hatte er ein Blech Brownies verbrannt – okay, er konnte bereits gar nicht mehr zählen, wie oft ihm in der Küche etwas misslungen war, aber das wusste sie nicht –, und schon wurde ihm gesagt, er solle einfach aufgeben? Wenn er das Handtuch geworfen hätte, hätte er es niemals aus Waterbury weggeschafft. Er hätte irgendeinen langweiligen Job, der eine Sackgasse war, statt Millionen zu scheffeln, indem er tat, was er mochte.

Er sah auf das Blatt Papier in seiner Hand. Noch nie zuvor war ihm mittels eines Geschenkgutscheins Salz in eine Wunde gestreut worden. Also, so sollte es laufen, ja? Krieg mittels passiv-aggressivem Geschenkgutschein?

Er warf das Papier auf seine Kochinsel, hielt inne und dachte über seine Optionen nach. Interpretierte er da zu viel hinein? Er hatte Brownies für sie gebacken, um sich für seine beschissene Bemerkung über ihre Aussprache zu entschuldigen, und sie hatte die Feuerwehr von Harbor City gerufen. Dann hatte sie ihm obendrein erklärt, er sei ein so miserabler Koch, dass er einen Caterer engagieren solle. Okay, er taugte nichts in der Küche, doch er lernte dazu. Außerdem wusste er, dass die Frau noch nie in ihrem Leben etwas nicht hinterfragt hatte, obwohl er nur zweimal mit ihr geredet hatte. Ihr Denkvermögen bestand aus vielen Schichten von Intelligenz und Beweggründen – wie ein verdammtes Parfait.

Das Klappern der Absätze der fraglichen passiv-aggressiven Person wanderte über seine Decke. Er lauschte, wie sie von einem Ende der Wohnung zum anderen hin und her ging, und jeder Schritt klang so selbstzufrieden, wie sie sich gewiss fühlte. Na schön. Dieses Spiel kann man zu zweit spielen.

Er schnappte sich sein Handy und feuerte eine E-Mail an seine Assistentin ab.

Lauschige fußförmige rosa Monstrositäten mit oben aufgeklebten Glubschaugen spähten zu Everly empor wie ein irregewordener Stalker. Sie hielt sie vor ihr Display, damit Kiki sehen konnte, was in dem Päckchen angekommen war, zusammen mit einer Notiz von Tyler, in der er seine Überlegung kundtat, ob ihre High Heels ihren Füßen ebenso wehtaten wie seinen Ohren.

»Pantoffeln?«, fragte Kiki und hielt ihr Gesicht näher an ihre Kamera, als wolle sie die grässlichen Dinger wirklich besser sehen können. »Er hat dir potthässliche Pantoffeln geschickt?«

Everly konnte nichts anderes tun, als zu nicken. Sie warf noch einen Blick auf die Pantoffeln, schauderte unwillkürlich und warf sie in den Müll.

»Wie süß genau ist er?«, fragte Kiki.

Zum Totumfallen süß. »Nicht süß genug für so was.«

»Also, was ist dein Plan?«

Ihre beste Freundin kannte sie in- und auswendig. Sie hatte immer einen Plan. »Ihm aus dem Weg zu gehen, soweit das möglich ist.«

»Und wenn es das nicht ist?«

Es war ein kleines Haus mit nur einer Handvoll Wohnungen und einer Tiefgarage. Es war wahrscheinlich ein frommer Wunsch, ihm immer aus dem Weg gehen zu können. Das Beste war es, vorbereitet zu sein. »Ich werde keinen Deut nachgeben.«

»Also wirst du ihm zeigen, wie man das in Riverside macht?« Kiki lachte.

Dass sie ihre Kindheit und Jugend in einer armen und beschissenen Gegend verbracht hatte, bedeutete, dass sie mit einem Kodex aufgewachsen war. »Wir kneifen nicht. Niemals.«

»Süße«, Kiki schüttelte erheitert den Kopf, »ich habe dich lieb, aber nicht alles im Leben ist ein Kampf auf Leben und Tod.«

»Ist es sehr wohl.« Wie würde ihr Leben aussehen, wenn sie einfach jedem Arschloch, das ihr über den Weg lief, nachgeben würde? Sie würde jedenfalls keine eigene Galerie besitzen, so viel stand fest.

Kiki kicherte. »Das dürfte interessant werden.«

Etwas Interessantes war das Letzte, was Everly gegenwärtig in ihrem Leben brauchte, doch vor einem Streit zurückzuschrecken, lag einfach nicht in ihrer Natur.

2. Kapitel

»Sie wollen mich wohl verarschen.«

Tyler hielt seinen Blick auf seine Ausgabe der Investor’s Business Daily gerichtet. Er brauchte nicht aufzusehen, um die Sprecherin oder ihr Auto zu identifizieren. Und deshalb wendete er den Blick nicht von der Zeitung ab, die er nicht mehr las, seit sie näher herangefahren war. Es war nicht so, als müsste er die Frau tatsächlich betrachten. Zu seinem großen Ärger hatte er niemals Mühe, sich seine Nachbarin mit diesem starken Riverside-Akzent vorzustellen, die Kaffe statt Kaffee sagte. Everly Ribinski war eine High-Heel-Süchtige, die laut genug durch die Wohnung über seiner klackte, um Tote zu wecken.

Aber das war nur der Anfang ihres kleinen Krieges vor zwei Monaten gewesen, was erklärte, warum er mitten an einem Dienstag in einem klappbaren Liegestuhl auf dem vordersten Stellplatz in seiner Tiefgarage saß und darauf wartete, dass seine boshafte Nachbarin aus der oberen Etage nach Hause kam und versuchte, dort zu parken. Das würde nicht passieren. Dafür würde er sorgen.

»Gehen Sie da weg, damit ich parken kann, oder muss ich Sie überfahren?«, fragte sie.

Er sah auf. Großer Fehler. Von seinem Platz auf dem Liegestuhl aus war sie, wie sie da neben der offenen Tür ihres Autos stand, eine ausgesprochen kurvige und obendrein hochmütige Erscheinung. Verdammt, wem machte er etwas vor? Everly sah alarmierend attraktiv aus, ganz gleich, wo er saß. Schwarzes Haar, das in einer Welle endete, die gerade eben ihre Schultern streifte, und dieser üppige Körper in einem hautengen schwarzen Kleid samt Lederjacke, volle Lippen, die darum bettelten, dass man den roten Lippenstift davon herunterküsste, und ein herzförmiger Hintern, der seinen Schwanz jedes verdammte Mal, wenn er sie sah, in Habachtstellung versetzte. Der heutige Tag war da keine Ausnahme, obwohl er ihren Po von hier aus gar nicht sehen konnte. Wirklich ein Jammer.

Langsam senkte Tyler den Blick, klappte seine Zeitung zusammen, faltete sie und legte sie dann auf seinen Schoß. Er griff nach der Bierflasche mit dem langen Hals neben ihm und blickte wieder zu ihr hinüber. Everly schien nicht glücklich darüber zu sein, ihn zu sehen. Das war nicht weiter verwunderlich. Sie war nie froh darüber – allerdings lieferte er ihr auch keinen Grund, es zu sein.

Er nahm einen langen Zug aus der kühlen Flasche und beobachtete, wie sie ihre braunen Augen zusammenkniff und ihn musterte. Er konnte praktisch sehen, wie ihr Gehirn ratterte, während sie überlegte, wie sie ihn aus dem Weg räumen konnte. Natürlich würde sie das niemals tun. Er kannte sich mit Leuten aus. Wusste, wie sie dachten. Kannte all ihre Intrigen und Pläne. Wusste, wie man sie überlistete und den anderen den Kürzeren ziehen ließ. Immer.

Nun, bis zu dem Moment, als er sie kennengelernt hatte. Aber obwohl sie in einer Pattsituation gesteckt hatten, war er überzeugt, dass sein jetziges Manöver ihn ein und für alle Mal als Sieger hervorgehen lassen würde.

Er stellte die Flasche zurück auf den Beton und zwang sich, sich nicht all die Dinge vorzustellen, die ihre kirschroten Lippen tun konnten. »Sie werden mich ja wohl kaum überfahren.«

Sie ließ ihre Schlüssel klimpern. »Denken Sie noch mal nach, Mr 2B.«

»Nun, Ms 3B«, sagte er und spielte ihr Ich-kenne-Ihren-Namen-nicht-Spiel mit, »im Gefängnis sind keine High Heels erlaubt.«

»Sie glauben gar nicht, was so alles in den Knast geschmuggelt wird«, antwortete sie, ohne eine Sekunde zu zögern.

»Sprechen Sie aus Erfahrung?«, fragte er, wohl wissend, dass es nicht so war.

Everly Ribinski mochte zwar aus einem zwielichtigen Teil der Stadt kommen, aber sie war keine Mafiabraut oder darauf aus, sich in einem sehr rauen Stadtviertel einen Namen zu machen. Sie war eine Kunsthändlerin mit einem Schuhfetisch und einem Mordshintern.

Sie reckte das Kinn arrogant noch höher. »Sie haben ja keine Ahnung.«

»Also gibt es Klärungsbedarf.«

»Wegen Ihrer Schwäche für Abgase und dunkle Tiefgaragen?«, fragte sie. »Ich stimme Ihnen völlig zu. Das ist seltsam.«

Er erhob sich aus dem Liegestuhl und öffnete die Arme, um die zweieinhalb Meter breite und drei Meter lange gelb markierte Fläche neben dem Aufzug zu durchmessen. Sie lag zufällig direkt neben dem Stellplatz, auf dem Mrs MacIntosh ihren uralten Chevrolet parkte, wobei sie für gewöhnlich eine Schicht Farbe von dem Auto mitnahm, das das Pech hatte, auf dem Parkplatz daneben zu stehen, weshalb sein Wagen drei Blocks entfernt in der Garage eines anderen Hauses untergebracht war, das ihm gehörte. Das war der Grund, warum er alle von diesem Parkplatz fernhielt. Wobei er den wahren Grund Everly niemals verraten würde. Er zog es vor, sie in dem Glauben zu lassen, dass es ihm einfach Spaß machte, sie zu schikanieren. Was zufällig ein echter Pluspunkt nebenbei war. »Dieser Parkplatz gehört mir.«

Sie starrte ihn an, als raube er ihr tatsächlich den allerletzten Nerv, nur dass das Funkeln in ihren braunen Augen sie verriet. »Wer zuerst kommt, darf ihn nehmen.«

Er drehte die Handflächen nach oben. »Und ich bin da.«

Sie lachte, ein lautes, erstauntes Geräusch, das in der Garage widerhallte. »Sie sitzen auf einem hässlichen rosa Liegestuhl. Wo haben Sie den überhaupt her?«

Vom Sperrmüll, aber das brauchte sie nicht zu wissen.

»Sie parken nicht einmal hier«, sagte sie, und ihre Stimme troff vor Ärger.

»Jetzt schon. Ich habe beschlossen, mir ein Bike zu kaufen. Ich hatte ein Auge auf eine Harley geworfen, und heute habe ich zugeschlagen. Sie wird am Nachmittag geliefert, und ich brauche einen Platz, um sie in der Nähe des Fahrstuhls abzustellen, wo die Wahrscheinlichkeit am geringsten ist, dass sie gestohlen wird. Also, verstehen Sie, ich brauche den Parkplatz nötiger als Sie.« Wie wahr. Nun, bis auf den Teil, in dem er angeblich ein Auge auf ein Bike geworfen hatte. Er konnte überhaupt nicht Motorrad fahren, daher würde es niemals von diesem Stellplatz weggefahren werden. Er versuchte, die Tatsache zu verdrängen, dass er ein Bike für fünfzigtausend Dollar gekauft hatte, um seiner Erzfeindin zu ersparen, dass ihr geliebter Wagen regelmäßig zerbeult wurde. Bei der Bonitätsprüfung anlässlich der Vermietung der Räume für die Kunstgalerie hatte er ihre Finanzen eingesehen und wusste, dass sie jeden Monat bloß knapp über die Runden kam. Er wusste außerdem, wie es war, hart dafür zu arbeiten, um Erfolge vorweisen zu können und zu sehen, wie ein anderer einen Scheiß darauf gab. Er schüttelte den Kopf. Nein, er hatte fünfzig Riesen zum Fenster rausgeschmissen, weil er gern gewann, schlicht und ergreifend. Wenn er überdies ihr Auto rettete, nun, das war ein positiver Nebeneffekt für sie.

»Ich werde mit Ihnen eine Münze um den Parkplatz werfen. Und wenn ich gewinne, ziehen Sie die High Heels aus, wenn Sie in Ihrer Wohnung sind.« Es war ein Spiel, das er manchmal spielte, um gewisse Entscheidungen von der Gefühlsebene wegzuholen. Natürlich hatte er sich eine Technik angeeignet, die seine Chancen beim Münzwurf verbesserte. Schließlich war er kein Mann, der die Dinge wirklich jemals dem Zufall überließ. Und sosehr er diesen kleinen Krieg auch genoss, brannte er darauf, ihr diese Schuhe auf die eine oder andere Weise auszuziehen. Sie hielt ihn wirklich bis in die Puppen wach, und er war davon überzeugt, dass es diese klappernden Fick-mich-High-Heels waren und ihr feuriger Blick, den er sich immer wieder vergegenwärtigte. Also war er sich angesichts der gegenwärtigen Umstände nicht zu schade, die Münze zu manipulieren, um es herauszufinden.

»Ich rufe den Hausmeister an.« Aber sie griff nicht nach ihrem Handy. »Sie spinnen doch.«

»So was.« Er zog die Brauen hoch und sprach die Herausforderung aus, ohne die Worte zu benutzen. Nach dem Hin und Her der vergangenen Monate brauchte er das nicht. »Vertrauen Sie nicht auf das Schicksal?«

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und streckte eine Hüfte vor. »Ich komme aus Riverside«, antwortete sie und unterstrich ihre Gossenpose mit einer vorsätzlichen Verstärkung ihres Akzents, sodass es wie Rivaside klang. »Ich vertraue auf gar nichts.«

Sie kannten beide das Spiel, das sie spielten, und keiner von ihnen gab auch nur einen Deut nach. Er verbrannte sein Essen und verpestete mit seinem Gestank ihre Wohnung. Sie stampfte über seine Decke. Er belegte den besten Parkplatz mit einem Klappstuhl. Sie drohte, ihn zu überfahren. Wenn sie wüsste, dass das Haus ihm gehörte, würde sie einen Rückzieher machen. Und obwohl ihm anfangs nichts lieber gewesen wäre als das, wollte er sich mittlerweile den Spaß nicht mehr nehmen lassen, denn die Königin des High-Heel-Flanierens machte Schritte, die er nicht voraussehen konnte. Und das war in seiner Welt eine absolute Kuriosität. Eine, die aufzugeben er nicht bereit war, und nach dem Funkeln in ihren Augen zu urteilen, war sie das auch nicht.

»Wir werfen einmal die Münze, und der Gewinner bekommt den Parkplatz. Andernfalls werde ich einfach hier sitzen bleiben und mein Bier trinken, bis mein Bike geliefert wird. Ihre Entscheidung. Zumindest gebe ich Ihnen mit der Münze eine Fifty-fifty-Chance auf den Parkplatz.«

Sie hielt ihre Schlüssel hoch. »Ihnen ist aber schon klar, dass ich die Schlüssel für Deutschlands zweitbeeindruckendste Exportware habe und dass sie genug PS hat, um Sie zu zerquetschen wie einen Käfer, oder?«

Er warf einen Blick auf den BMW und kam zu dem Schluss, dass er zu ihr passte. Schwarz. Windschnittig. Mit einem satten Schnurren, wenn man den Motor richtig behandelte. »Was ist die beeindruckendste Exportware?«

»Anselm Kiefer.«

Er stutzte. »Wer?«

»Bloß ein provokanter deutscher Gegenwartskünstler«, antwortete sie in herausforderndem Ton, als wolle sie, dass er ihr widersprach.

Fehdehandschuh aufgenommen. »Ich hätte glatt gewettet, Sie würden Schwarzwälder Kirschtorte sagen. Ich habe schon daran gedacht, eine für Sie zu backen.«

Sie funkelte ihn böse an. »Sehr witzig.«

Er zuckte die Achseln. »Was soll ich sagen? Kunst bringt es bei mir nicht, Kuchen schon.«

»Das ist die idiotischste Bemerkung, die je gemacht wurde.« Ihre Pupillen weiteten sich, und sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Sie verströmte ebenso Entrüstung wie heiße Funken, die seine Haut verbrannten. »Kunst ist besser als Kuchen. Kunst ist genauso lebensnotwendig wie Atmen. Und wenn wir ehrlich sind, kann niemand atmen, wenn Sie irgendetwas backen.«

Das hatte gesessen. Gut gekontert. »Manche Kunstwerke mag ich durchaus, wie die altmodischen weichgezeichneten Elvis-Porträts oder diese pokerspielenden Hunde«, sagte er, um sie anzustacheln.

Der Fluch, den Everly ausstieß, klang italienisch, aber ganz sicher war er sich nicht. »Sie sind ein Tier.«

»Nur zu Ihrer Information: Alle Menschen sind Tiere.« Er zog den Vierteldollar, den er vor Jahren aus dem Kleiderschrank seines Vaters stibitzt hatte, aus einem speziellen Fach seiner Brieftasche hervor und hielt ihn hoch, damit sie ihn sehen konnte. Die Geldmünze begleitete ihn seit Jahrzehnten, und die Entscheidungen, die er mit ihr getroffen hatte, hatten ihn aus Waterbury herausgeholt. Manch einer würde sie vielleicht seinen Glücksbringer nennen. Für ihn war sie eine Menge mehr. »Kopf oder Zahl?«

»Das ist nicht Ihr Ernst.« Sie schüttelte den Kopf und ließ ihr schwarzes Haar um ihre Schultern tanzen.

Er hob die Hand zum Pfadfinderschwur. »So ernst wie es einem Büchernarr mit der Bibliothek ist.«

»Sie verspotten Büchernarren?«

»Meine Liebe, ich bin ein Büchernarr.« In seiner Kindheit und Jugend war die Bibliothek seine Zuflucht während der vielen Streitereien seiner Eltern gewesen, vor allem jener Streitereien, in denen dem Gebrüll Teller folgten, die an den Wänden zerschellten.

Everly sah auf den schäbigen Vierteldollar in seiner Hand hinab. »Einer mit einer Obsession für Two-Face?«

Oh ja, das hier war ein Gesprächsthema, dem er gewachsen war. »Batman oder Superman?«

Sie grinste ihn an. »Wonder Woman.«

Ja. Er konnte es sehen – vielleicht eine Spur zu gut. Die Vorstellung von Everly in Wonder Womans Outfit blitzte in seinem Kopf auf, bevor er es verhindern konnte, und er musste seine Haltung korrigieren, um die Oh-das-mag-ich-Reaktion seines Schwanzes zu berücksichtigen. »Kopf oder Zahl?«

»Zahl für den Parkplatz.«

Sie traf die Entscheidung, und Tyler hatte keine Skrupel, den Wurf zu manipulieren. Er rettete ihren Wagen so oder so, selbst wenn sie es niemals so sehen würde. Und er würde das Funkeln in ihren Augen verursachen, wenn sie verlor. Also wäre es Gleichstand.

»Meine Liebe«, sagte er und warf die Münze mit einem harten Schnippen in den genau richtigen Winkel, »bereiten Sie sich schon einmal darauf vor, in absehbarer Zukunft am Ende der Garage zu parken.«

Everly ließ ihre Schlüssel fallen, sobald der Vierteldollar in der Luft war. Die Münze flog hoch und drehte sich mehrmals um sich selbst, ehe Everly sie auffing, sie umdrehte, auf ihren Handrücken klatschte und die andere Hand darüberlegte. Mr 2B – okay, Tyler Jacobson, sie kannte seinen Namen – starrte sie nur mit großen Augen und heruntergeklappter Kinnlade an.

Männer. Sie sind so verdammt einfach gestrickt.

Na ja, er war es bis jetzt jedenfalls nicht gewesen. Der dunkle Adonis, der aussah wie der Frauenschwarm David Gandy mit seinem schwarzen Haar, den blauen Augen und dem perfekten Körper – mein Gott, wie viel Zeit verbrachte er im Fitnessstudio? Sie stellte ihn sich erhitzt und verschwitzt vor. Seine Bizepse, die sich bei jeder Bewegung dehnten. Seine Oberschenkel spannten sich bei jeder Kniebeuge. Sein Rücken glänzte, wenn er – Mädchen, konzentrier dich! –Wo war sie? Oh ja, sie schockierte den schwanzfixierten Mr Ich-weiß-alles-besser, indem sie nicht nach seinen Regeln spielte. Werden Sie damit fertig, Mr 2B!

»Was ist denn? Sie wollen doch nicht eine Münze werfen und sie dann auf dem Boden landen lassen wie bei den Heiden, oder?«, fragte sie, als er sie anstarrte, als sei sie ein Zauberwürfel, der gelöst werden musste. »Sie werfen. Ich fange. Das ist bloß fair, stimmt’s?«

Tyler erholte sich schnell, das musste sie ihm lassen. Der schwarzhaarige, blauäugige Teufel klappte den Mund zu und beendete die Bewegung mit einem frechen Lächeln, das nicht im Mindesten etwas bei ihr auslöste. Lügnerin.

»Wie du mir, so ich dir, hm?« Er streckte die Hand aus, die Handfläche nach oben gedreht, weil er seinen Vierteldollar offensichtlich zurückhaben wollte.

Sie zuckte die Achseln. Was konnte sie sagen, sie war Italienerin mit polnischem Einschlag, und sie hatte sich von Nunni die Auge-um-Auge-Zahn-um-Zahn-Auffassung abgeguckt.

»Wenn man Groll hegt, ist das nicht gut für die Gesundheit«, bemerkte er und trat einen Schritt näher, so selbstbewusst wie ein Mann, der auf dem Schachbrett immer sechs Züge vorausdachte.

Sie deutete mit dem Kinn auf den Stuhl hinter ihm. »Auf meinem Parkplatz zu sitzen auch nicht.«

Entschlossen, den köstlichen Duft seines Eau de Cologne zu ignorieren, der ihre Sinne reizte, und wie sexy seine Unterarme in diesem bis zu den Ellbogen aufgekrempelten dunkelblauen Hemd aussahen, ging sie mental einige von Tylers größten Kochsünden durch. Angebranntes Curry. Versengter gegrillter Käse. Verkohlte Eier. In Brand gestecktes Popcorn.

»Der Parkplatz gehört Ihnen nicht«, sagte er. »Ich glaube, Sie haben sich für Zahl entschieden.«

Ihr Magen vollführte einen Tanz, als sie die Hand hob. Sie brauchte keinen Blick auf die Münze zu werfen. Der Ausdruck auf dem selbstgefälligen Gesicht des Bastards sagte alles. Es war Kopf.

Everly schaute über ihre Schulter in die Düsternis der kleinen Tiefgarage. In dem langen schmalen Raum gab es nur sechs Plätze, außer den beiden vorderen alle quer zur Wand, einen für jede der sechs großen Wohnungen über der Black Heart Gallery. Sie hatte von Mrs MacIntosh erfahren, dass Clyde Fester in 1C vor zwei Jahren ein Vermögen dafür ausgegeben hatte, sich die Rechte an dreien der Parkplätze für seinen Pontiac GTO zu sichern, den er bloß zu besonderen Anlässen fuhr. Damit blieben der Parkplatz an der Tür neben Mrs MacIntosh und einer im hinteren Teil der Garage. Everly hatte Geschichten darüber gehört, dass Mrs MacIntosh von Zeit zu Zeit die Autos rammte, die neben ihr parkten, aber Everly hatte eine Vollkasko-Versicherung und außerdem eine Schwäche für jeden, der älter war als sechzig. Das kam davon, wenn einen die Grandma zusammen mit ihrem Zirkel halsabschneiderischer Bingopartner praktisch von der siebten Klasse an großzog. Also würde Everly Helga, ihre betagte deutsche Blechkiste, so weit wie möglich weg von der gelben Linie neben Cecilias Straßenkreuzer stellen und schön brav monatlich in ihre Versicherung einzahlen. Sie würde sich außerdem den eine Meile langen Fußmarsch in ihren Zehn-Zentimeter-Stilettos vom hinteren Teil der Garage sparen. Denn wie jede vernünftige Frau zustimmen würde: Was ist eine Beule im Vergleich zu einer Meile zu Fuß in High Heels?

»Ah. Wirklich Pech. Spielen wir, wer zwei von drei gewinnt?«, fragte Tyler, und seine aalglatte Stimme lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf die gegenwärtige Angelegenheit.

Sie nahm die Münze von ihrem Handrücken und betrachtete beide Seiten. Sie war schmuddelig, eine Münze, die durch unzählige Registrierkassen gewandert war, aber das Gewicht war gut. Sie hatte eine Seite für Kopf und eine Seite für Zahl. Sie hatte nichts Seltsames, das auffiel. Trotzdem wurde sie ihr ungutes Bauchgefühl nicht los. Klar, Tyler brachte sie immer ganz durcheinander. Es war einer der Gründe, warum sie in seiner Nähe stets so zickig wurde. Er machte sie nervös – nein, korrigierte sie sich, er erregte sie, machte sie hoffnungsvoll, stachelte sie an. Drei Dinge, die sie sich nicht leisten konnte, wenn sie sich weiter darauf konzentrieren wollte, ihre am Rande der Insolvenz entlangschrammende Galerie flottzubekommen und die gut mit Personal ausgestattete fürsorgliche Seniorenresidenz für Nunni zu finanzieren, statt sie in ein vom Staat betriebenes Pflegeheim zu geben.

Was hätte Nunni in diesem Moment gesagt? Dass sie sich ihre Kämpfe aussuchen sollte. »Nein, schon gut.« Sie bedachte ihren Erzfeind mit einem bösartigen Feixen. »Wie dem auch sei, es wird eine gute Übung sein, all meine künftigen High Heels von meinem neuen Stellplatz aus einzulaufen.«

Er grinste schief. »Ich habe gewonnen. Keine High Heels in Ihrer Wohnung.«

»Diesem Teil habe ich keineswegs zugestimmt. Wie dem auch sei, jeder hat ein Laster.« Sie schnippte ihm die Münze zu und genoss den kleinen Sieg.

Er griff sie sich aus der Luft und stopfte sie in seine Tasche. »Könnte Ihr Laster nicht einfach in der Badewanne unter Wasser meditieren sein?«

»Und dafür mein Salsatraining zum Rhythmus, mit dem Sie mit einem Besenstiel gegen Ihre Decke klopfen, verpassen? Wo bleibt denn da der Spaß?« Ja, sie verspottete ihn, aber nach diesem Stunt verdiente er es.

»So eine Antwort war von einer Frau zu erwarten, die an die heilende Macht von Kunst glaubt und immer von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet ist, wahrscheinlich bis hin zu ihren Slips, die immer verdreht sind«, spottete er.

Geh weg, Everly. Geh einfach weg.

Es war ein großartiger Rat, den sie sich da selbst erteilte, allerdings würde sie ihn auf keinen Fall beherzigen. Herausforderungen, Nachdenken, provozierende Kunstwerke und der Geruch von Bingokarten-Marker waren ihr Lebenselixier – und Tyler Jacobson, Mr 2B, war eine Herausforderung, die es wirklich in sich hatte.

Sie hob das Kinn, sah ihm in die Augen und wich keinen Zentimeter zurück. Sie mochte zwar beim Münzenwerfen nicht gewonnen haben, aber sie würde nicht die Schlacht verlieren. »Sie irren sich.«

»Nein. Tu ich nicht«, widersprach er, frech wie immer. »Ich irre mich nie.«

»Diesmal doch.«

Sie standen so dicht beieinander, dass sie die verschiedenen Blauschattierungen in seinen Augen sehen konnte und die Spannung spürte, die er in Wellen verströmte, die ihre Kaltblütigkeit unterwanderte und sie heiß und erwartungsvoll machte. Das war der Grund, warum sie weggehen sollte – denn Streit mit Tyler fühlte sich stark nach Vorspiel an. Und das gefiel ihr.

»Sie glauben nicht an die heilende Macht der Kunst?« Er trat nicht zurück und berührte sie nicht, aber das brauchte er auch nicht.

»Nein«, sagte sie und übertönte dabei kaum das Donnern ihres Pulses in ihren Ohren. »Ich trage keine schwarzen Slips.«

Das hätte sie nicht sagen sollen. Diese Vorstellung sollte er von ihr nicht haben. Doch es war zu spät. Seine funkelnden blauen Augen verdunkelten sich um ein paar Nuancen, gefolgt von langsam hochgezogenen Mundwinkeln. »Weich. Mädchenhaft. Rosa.«

Sie beugte sich dicht zu ihm vor. »Gar keine.« Ihre Lippen waren nur wenige Millimeter von seinem Ohr entfernt. Ein köstlicher Schauder überlief sie.

Zufrieden, dass sie sein Spielbrett abgeräumt und alle Spielsteine auf neue Positionen gestellt hatte, trat sie einen Schritt zurück, aber nicht weit genug. Die rohe Hitze in seinem Blick – Dreistigkeit oder Selbstbewusstsein waren wie weggewischt – enthüllte nichts anderes als ehrliches, nacktes Verlangen. Es schoss wie ein sengender Strahl direkt zu ihrer Klitoris. Das Herz galoppierte in ihrer Brust, als ihr Körper begriff, wo genau er sein wollte. Und ausnahmsweise einmal ohne nachzudenken trat sie einen Schritt vor. Blitzschnell bewegte er sich auf sie zu, und sein Mund senkte sich auf ihren hinab. Es war, als halte man ein Streichholz an ein Ölgemälde – alles fing Feuer. Ehe sie sich’s versah, wurde ihr Hintern an die Motorhaube ihres gebrauchten BMW gepresst, ihre Hände waren in Tylers schwarzem Haar, und sie benutzte noch immer ihre Zunge, um sich mit ihm zu duellieren, jedoch auf eine vollkommen andere Weise. Sie hatte gedacht, sie sei vorher schon erhitzt gewesen – sie hatte sich geirrt. Dies war wirklich sengend heiß, und alles, was sie wollte, war mehr.

Sie spreizte die Beine so weit wie möglich in dem hautengen Kleid aus Stretchjersey, und er stand zwischen ihnen, sein harter Schwanz rieb an ihrem Bauch, während er sie um den Verstand küsste. Die Versuchung, ihm die Beine um die Hüften zu schlingen und die Knöchel direkt über seinem knackigen Hintern zu überkreuzen, überwältigte sie beinahe. Es würde sich so gut anfühlen. Sie wollte es. Unbedingt. Was genau der Grund war, warum sie es nicht tun durfte. Erwachsen gewordene Verbindungsstudenten und Leute mit viel Geld wie Tyler vernaschten Frauen wie sie und spuckten sie dann aus. Sie versprachen, einem die Sterne vom Himmel zu holen, und lieferten nur kitschige, im Dunkeln leuchtende Sticker, die man sich an die Schlafzimmerdecke klebte. Sie wusste es aus erster Hand. Sie war mit solchen hellgelben Sternen aufgewachsen, eines der billigen Geschenke von einem Mann, der sich nie von der Arbeit losreißen konnte, um von dem eleganten Stadtteil von Harbor City nach Riverside zu kommen, wo zerbeulte, ältere Automodelle die Straßen säumten, um jemand so Unwichtiges zu besuchen wie seine uneheliche Tochter.

Es kostete sie keine Anstrengung, Tyler wegzustoßen – nun, zumindest sobald sie in der Lage war, sich zu zwingen, die Hände auf seine muskulöse Brust zu legen und ihn wegzudrücken. Er trat zurück, blieb eine Armlänge entfernt stehen. Seine Brust hob und senkte sich schnell, sein Haar war zerzaust von ihren Fingern, und seine blauen Augen waren dunkel von Verlangen.

»Das dürfen wir nicht noch einmal tun«, stieß sie schwer atmend hervor und klang in ihren eigenen Ohren, als hätte sie gerade einen Marathon beendet. Nunni hatte sie bestimmt tausendmal davor gewarnt, dass in dieser Richtung Ärger und Gefahr lag und der ganze Schlamassel auf der Welt daher kam.

»Dieser Kuss war …« Die Worte verklangen, und er fuhr sich mit den Fingern durch sein dickes Haar. »Sie können den Parkplatz haben. Ich werde den Hausmeister bitten, die Linien neu zu streichen, um den Platz größer zu machen, damit er nicht so nah bei Mrs MacIntoshs Auto ist.«

Und damit war der Moment zerstört. Eine Transaktion. So sahen Männer wie Tyler Leidenschaft. Sie mochte zwar im Geiste Streit und Vorspiel miteinander verwechselt haben, aber zumindest brachte sie eine schlechte Idee nicht mit Bezahlung für erwiesene Dienste in Zusammenhang.

»Fick dich!«, sagte sie, stolzierte von der Motorhaube zur Fahrertür und riss sie auf.