Secret Royal - Avery Flynn - E-Book

Secret Royal E-Book

Avery Flynn

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Beschreibung

Royal wider Willen

Nick Vane hat wichtigere Dinge zu tun, als der nächste Earl of Englefield zu werden. Doch als sein Großvater erkrankt und den Titel an ihn - den amerikanischen Rebellen - übergeben will, bleibt ihm keine Wahl. Zumal Brooke Chapman-Powell, die Assistentin des Earls, ihm keine Ruhe lässt und ihn nach England schleppt. Hier will sie ihn nicht nur die royale Etikette lehren, sondern auch, was es bedeutet, sich seiner Verantwortung zu stellen. Aber sie hat nicht mit Nicks Charme gerechnet - und dem heißen Prickeln zwischen ihnen ...

"Wenn ihr romantisch-knisternde Feel-Good-Romance mögt, ist dieses Buch genau das Richtige!" NOSE STUCK IN A BOOK

Der Auftakt der prickelnden und humorvollen INSTANTLY-ROYAL-Reihe von Bestseller-Autorin Avery Flynn

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Seitenzahl: 362

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Hinweis der Autorin

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

Epilog

Danksagung

Liebe Leserin, lieber Leser

Die Autorin

Die Romane von Avery Flynn bei LYX

Impressum

AVERY FLYNN

SECRET ROYAL

Roman

Ins Deutsche übertragen von Katrin Mrugalla

ZU DIESEM BUCH

Nick Vane hat wichtigere Dinge zu tun, als der nächste Earl of Englefield zu werden. Doch als sein Großvater erkrankt, beauftragt dieser seine Assistentin, seinen Enkel ausfindig zu machen und ins idyllische Yorkshire zu bringen. Brooke Chapman-Powell, die nach einem Skandal zurück in ihre Heimat gezogen ist, schreibt dem amerikanischen Rebellen eine E-Mail nach der anderen, doch es bedarf all ihrer Überredungskünste, bis sich Nick dazu durchringt, sich auf den Weg nach England zu begeben – eigentlich auch nur, um seinem Großvater zu sagen, dass er ihn mal kreuzweise kann, und dann direkt mit der nächsten Maschine wieder in die USA zu fliegen. Doch schon als sein Blick auf die Assistentin des Earls fällt, gerät Nicks Entschluss ins Wanken. Brooke ist steif, kratzbürstig und stellt ihn vor ein Rätsel. Und wenn Nick einem nicht widerstehen kann, dann sind es Rätsel … Daher lässt er sich auf eine Wette ein: Er wird sich nicht länger Brookes Bemühungen widersetzen, ihn in einen Earl zu verwandeln, ihr aber beweisen, dass er für den Adelstitel absolut ungeeignet ist. Womit sie beide allerdings nicht gerechnet haben, ist das heiße Prickeln zwischen ihnen …

HINWEIS DER AUTORIN

Als ich beschloss, eine Geschichte über ein mir völlig fremdes Land zu schreiben, war mir klar, dass ich nach England reisen und dieser Fisch auf dem Trockenen sein musste. Nur so konnte ich herausfinden, wie sich das anfühlt. Auf meinen Fahrten durch die Landschaft North Yorks habe ich einige Kreisverkehre unsicher gemacht und so manche Ausfahrt verpasst, aber ich hatte auch das Privileg, mit ein paar großartigen Menschen zu reden, die nicht mit ihrer Zeit gegeizt haben. Kim, Nicola und der gesamte Mitarbeiterstab im Gisborough Hall Hotel, Lord Gisborough, Perry, Kate, Alma, Ken und Cecil, herzlichen Dank, dass ihr alle meine dummen Fragen beantwortet und dafür gesorgt habt, dass ich mich ganz wie zu Hause gefühlt habe. Danke an die Wildfremden, die mein Auto vor Parkkrallen gerettet haben, mit mir bei einem Pint über die Gegend gesprochen und meinen Besuch ganz allgemein zu einem Vergnügen gemacht haben. Während die Orte Bowhaven und Dallinger Park frei erfunden sind (genau wie der Earl of Englefield), stellten die Stadt Gisborough und Gisborough Hall die perfekten Vorlagen für mein fiktives Dorf und das Herrenhaus dar. Sollten Sie jemals im Norden Englands sein, kann ich Ihnen nur wärmstens empfehlen, sich diese Gegend zu gönnen. Sie werden es nicht bereuen. Etwaige Fehler auf den folgenden Seiten in Bezug auf Nordengland und das englische Landleben, das der Geschichte ein bisschen angepasst wurde, sind mir und nur mir anzulasten.

PROLOG

Dreißig Jahre zuvor …

Es war einmal ein Land weit, weit weg (okay, Yorkshire), in dem der charmante Erbe eines englischen Earls lebte, der auf Urlaub nach Amerika fuhr. William war jung und gut aussehend und zum ersten Mal in seinem Leben allen Erwartungen entronnen. Als er in einer Kleinstadt in Tennessee die schöne Charity kennenlernte, war es Liebe auf den ersten Blick. Innerhalb einer Woche waren sie verheiratet, und etwa ein Jahr lang war alles reine eheliche Glückseligkeit. Bis zu dem Zeitpunkt, als der aktuelle Earl schließlich seinen Erben ausfindig machte und ihm unmissverständlich zu verstehen gab, dass er enterbt würde, wenn er nicht nach England zurückkehrte. Der Erbe ‒ der zwar charmant und gut aussehend, aber auch ein bisschen egoistisch und rückgratlos war ‒ willigte ein.

Seine junge Frau flehte ihn an, an ihren vor kurzem geborenen Sohn zu denken. William entgegnete, er würde immer für das Kind sorgen, aber das Leben sei nun mal kein Wunschkonzert. Er habe woanders Verpflichtungen, die keinen Platz ließen für eine unpassende Ehefrau aus Amerika, die sich nicht die leiseste Hoffnung darauf machen konnte, eine wahre Gräfin zu werden.

Der Earl ließ seine Beziehungen spielen und die Ehe seines Erben nach bürgerlichem Recht annullieren. Auf der Geburtsurkunde blieb William als Vater eingetragen, sodass das Baby rechtlich als ehelich galt. Dann zahlte der Earl der künftigen Exfrau seines Sohns eine Abfindung, um die ganze Sache zu vertuschen. Er versprach ihr weitere Zahlungen, vorausgesetzt sie hielte den Mund über die kurzlebige Ehe und die Abstammung des Babys.

Natürlich wirkte das kalt und hart, aber der Earl war nun mal nicht der einfühlsame Typ. Deshalb bereitete ihm die brutale Effizienz seines Plans keinerlei Bauchschmerzen. Es war die einzig logische Vorgehensweise. Er konnte keinesfalls zulassen, dass jemals eine Amerikanerin den Titel trug, der seiner Familie vor fünfhundert Jahren verliehen worden war.

Er hatte keine Ahnung, was für epische Verwicklungen er damit auslösen sollte …

1. KAPITEL

Heute …

Die Welt geriet gerade aus den Fugen.

Normalerweise versuchte Brooke Chapman-Powell der Typ Mensch zu sein, für den das Glas immer halb voll ist ‒ nicht auf diese fröhliche, unerträglich dämliche Art, sondern eher nach dem Motto: Lieber Gott, lass das noch nicht alles gewesen sein. Sie war eine Realistin mit Hoffnung. Mit Letzterer war es allerdings jetzt, als sie im Arbeitszimmer des Earl of Englefield stand, nicht weit her.

Erst seit knapp zwei Monaten war sie die Privatsekretärin des gestrengen Siebzigjährigen, und da ihr Lebenslauf ein bisschen zu wünschen übrigließ, hatte sie sich glücklich geschätzt, den Job zu bekommen, auch wenn die Bezahlung eher armselig war. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass sie ihr Leben in Manchester in die Tonne getreten hatte, weil ihr Freund sie betrog, war sie froh, dies hier zu haben. Natürlich war sie nicht unbedingt stolz darauf, sich in Bowhaven zu verstecken ‒ dem Dorf, in dem sie aufgewachsen war und dessen Einwohner sich jeglicher Modernisierung und grundsätzlich allem Neuen verweigerten. Dennoch hatte sie weiterhin diesen Funken Hoffnung, dass sich alles wieder einrenken würde, wenn man sich nur an die Regeln hielt.

Nun, normalerweise tat sie das. Doch jetzt gerade? Sie war völlig ratlos, weil der Earl sie anstarrte, als sei sie ein Häufchen Dreck, das er auf seinem Schuh entdeckt hatte. Dies war mehr so etwas wie ein »Das Glas ist leer«-Moment, und sie war nicht auf den Rausschmiss vorbereitet, der ihr mit Sicherheit bevorstand.

Sie hatte keinerlei Erfahrung mit Entlassungen. Dass ihr das jetzt höchstwahrscheinlich drohte, brachte sie aus der Fassung. Es gefiel ihr nicht. Ganz und gar nicht. Sie hatte leichtes Ohrensausen, und ihre Lungen brannten, aber sie konnte weder ein- noch ausatmen.

Dennoch versuchte sie, ihre undurchdringliche Miene beizubehalten ‒ schließlich war es ihre Fähigkeit, auch im schlimmsten Chaos den Gesichtsausdruck einer Eiskönigin zu wahren, die ihr zu dem Job verholfen hatte. Doch ihre Gesichtszüge mussten ein wenig entgleist sein, denn der Earl stieß einen frustrierten Seufzer aus.

»Ms Chapman-Powell«, sagte er. Er stand hinter seinem Schreibtisch und musterte sie aus zusammengekniffenen Augen, nicht besorgt, sondern verärgert. »Für überzogenes Verhalten haben wir keine Zeit.«

Das »wir« bezog sie selbstverständlich nicht mit ein. Es war das königliche Wir und diente als Erinnerung, dass sie hier nicht als ansatzweise Gleichgestellte saß, sondern weil sie, die Tochter des örtlichen Gastwirts, die Sekretärin des Earls war. Irgendetwas an seinem Tonfall riss sie aus ihrem lungenblockierenden Elend, und die Luft, die sie angehalten hatte, strömte vernehmlich aus ihr heraus.

»Nein, Sir, natürlich nicht.« Sie verschränkte die eine Hand fest mit der anderen, um nicht den geringsten Anschein von Unsicherheit oder Anspannung durchschimmern zu lassen.

Es musste gereicht haben, denn der Earl senkte den Blick auf das Blatt Papier in seiner Hand.

»All Ihre Handlungen unterliegen der Vertraulichkeitsvereinbarung, die Sie bei Ihrer Einstellung unterzeichnet haben. Diskretion ist Voraussetzung.«

Sie nickte. »Ja, Sir.«

»Was ich Ihnen gleich erzählen werde, darf diesen Raum nicht verlassen.«

Vielleicht sollte sie doch nicht rausgeschmissen werden. In dem Fall würde er ihr doch nichts erzählen, was dem Vertraulichkeitsabkommen unterlag, oder? Unwahrscheinlich.

»Ich verstehe, Sir.«

Der Earl redete einen Moment lang nicht weiter. Stattdessen drehte er den Kopf und sah aus dem Fenster auf die North York Moors hinaus, deren ursprüngliches Grün durch das violette Heidekraut zusätzliche Farbe erhielt.

»Ich habe eine Diagnose bekommen ‒ Demenz im Frühstadium«, sagte er mit gepresster Stimme.

Brooke war erst seit kurzer Zeit in Dallinger Park, aber ihr war aufgefallen, dass der Earl zunehmend aufgewühlt wirkte, Geschichten oft wiederholte und frustriert reagierte, wenn ihm Einzelheiten nicht mehr einfallen wollten. Sie öffnete den Mund, um ihm ihr Mitgefühl auszusprechen, aber der Earl unterband ihren Versuch mit einer brüsken Handbewegung.

»Ich sage Ihnen das nur, um die Bedeutung dessen herauszustreichen, was ich Ihnen als Nächstes erzählen werde, nicht weil ich meinen Zustand mit Ihnen diskutieren oder von Ihnen kommentiert haben möchte«, sagte er. »Mein Notar bereitet die Papiere für die Übernahme durch meinen Erben vor.«

»Ihr Erbe?« Seit der Sohn des Earls gestorben und dieser als Letzter der Familie übrig geblieben war, hatte es keinen weiteren Vane in Dallinger Park gegeben.

Es hatte in Bowhaven nicht einmal Gerüchte über einen anderen gegeben ‒ und da sie über dem Pub aufgewachsen war, dem zentralen Treffpunkt des Dorfs, hätte sie das mitbekommen.

»Er ist äußerst unpassend, aber es bleibt keine andere Wahl.« Der Earl redete weiter, als würden sie über das Wetter sprechen. »Dennoch, man muss seine Pflicht erfüllen. In meinem Fall bedeutet das, diesen Mann zu meinem Erben zu machen. In Ihrem Fall bedeutet es, Sie müssen dafür sorgen, dass er seine Pflicht erfüllt.«

In einem Gespräch voller Ungeheuerlichkeiten war dies der Punkt, an dem es sie aus der Kurve trug. »Ich?«

»Ja, Ms Chapman-Powell«, erwiderte der Earl und richtete seine Aufmerksamkeit mit zusammengekniffenen Augen voll auf sie, sodass sie sich festgenagelt wie einer der Schmetterlinge in den Schaukästen hinter ihm fühlte. »Und falls Sie versagen, werden die Folgen schrecklich sein. Ohne Erben stirbt der Titel Earl of Englefield mit mir, der Besitz wird an den Meistbietenden versteigert, und die McVie Universität für Gehörlose wird ihren einzigen Geldgeber verlieren, genau wie das Dorf Bowhaven. Ich gehe davon aus, dass Sie der anstehenden Aufgabe gewachsen sind?«

Ihr Magen rebellierte, und ihre Schultern sackten nach vorn, als hätte man ihr ein Zwanzig-Kilo-Joch um den Hals gehängt. Das Letzte, was Bowhaven verkraften konnte, war ein weiterer Schlag für die örtliche Wirtschaft. Und McVie? Ohne die Mittel aus dem Besitz des Earls würde die Schule ihrer Schwester nicht weiterexistieren können. »Ich werde mein Bestes geben, Sir.«

»Das ist nur akzeptabel, wenn Sie erfolgreich sind. Es gibt keinen Spielraum für Fehlentscheidungen. Wir reden hier von meinem Enkel, und ich möchte …«

Für einen kurzen Moment glomm in seinen Augen so etwas wie Hoffnung und Angst und Vielleicht-klappt-es-ja-wirklich auf. Er legte das Blatt Papier, das er in der Hand gehalten hatte, in eine Mappe und reichte sie ihr. »Der erste Bericht des Privatdetektivs.«

Brooke öffnete die Mappe und überflog die erste Seite. Ein Detail stach heraus und beschleunigte ihren Puls. »Er ist Amerikaner?«

Der Earl richtete den Blick wieder auf die Moors. »Eine der vielen unseligen Tatsachen Nicholas Vane betreffend. Er ist ehelich, aber nur so gerade eben. Er hat sich geweigert, mit dem Privatdetektiv zu reden. Er verdient seinen Lebensunterhalt als Erfinder, aber laut jenem Bericht liegt er die meiste Zeit auf der faulen Haut. Er hat kein Gespür für Anstand.«

Ihr sank der Mut. »Und wie wünschen Sie, dass ich auf ihn zugehe?«

»Das Wie ist nicht mein Problem.« Irgendwie gelang es dem Earl mit seiner Oberschicht-Sprechweise, seine Worte gleichermaßen herablassend wie auch bedrohlich klingen zu lassen. »Sie haben lediglich dafür zu sorgen, dass mein Erbe innerhalb eines Monats nach Dallinger Park kommt und bereit ist, der nächste Earl of Englefield zu werden. Laut dem Notar müssen wir diesen ganzen unappetitlichen Prozess so schnell wie möglich abgeschlossen haben, um sicherzustellen, dass ich vor Gericht die Rechtmäßigkeit seiner Abstammung bestätigen kann, sollte diese rechtlich angefochten werden. Sollte das passieren, nachdem ich …« Der Earl schwieg einen Moment und richtete den Blick wieder auf die Moors, als warte dort eine bessere Zukunft als in Dallinger Park. »… zu dem Zeitpunkt in einem schlimmeren Zustand wäre, gäbe es keine Garantie, wie es mit Dallinger Park, Bowhaven oder McVie weitergeht.« Er wandte sich wieder zu ihr um, und sein Blick war so klar wie seine Absichten. »Aber über meinen Zustand darf absolut niemand etwas erfahren ‒ nicht einmal mein Enkel. Haben Sie verstanden, Ms Chapman-Powell?«

Sie nickte. Natürlich wollte er nicht, dass irgendjemand von seinem Gesundheitszustand erfuhr. Außerdem fürchtete sie, dass sein Vermögen und das Wohlergehen der Stadt in Gefahr waren, falls es jemand herausfände, und deshalb würde es ihr leichtfallen, dieses Geheimnis zu wahren. »Ja, Sir.«

»Gut.« Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Sie können jetzt gehen.«

Mit feuchten Händen griff Brooke nach dem Ordner und verließ das Arbeitszimmer. Sie wurde den Verdacht nicht ganz los, dass eine Kündigung vielleicht die einfachere Lösung gewesen wäre.

25. Mai

Sehr geehrter Mr Vane,

ichentschuldigemichdafür,dassSiediesesSchreibenperMailerhalten.NachdemSiedieIhnenvomNotarundvomPrivatdetektivdesEarlofEnglefieldpersönlichüberbrachtenNachfragenjedochzurückgewiesenhaben,seheichmichgezwungen,IhnenaufdiesemWegeineEinladungzumStammsitzIhrerFamilie,DallingerPark,zukommenzulassen.DerEarlübernimmtselbstverständlichjeglicheReisekosten,fallsdasderGrundseinsollte,weshalbSieaufunserevielfachenAngebotenichteingehen.IhrGroßvaterwünschtsichsehnlichst,SiealsseinenErbenindieGesellschafteinzuführen.

Mit freundlichen Grüßen

Brooke Chapman-Powell

Privatsekretärin des Earl of Englefield

Nick Vane, der nahe der Kleinstadt Salvation auf seiner Veranda saß, den See zu seiner Linken und Eichenwälder zu seiner Rechten, drückte etwas fester als nötig auf die Taste mit dem Papierkorbsymbol. Das elektronische Zerknüllen war laut genug, um die im Wind raschelnden Blätter und das Schimpfen der Vögel über die Eichhörnchen zu übertönen, aber es reichte nicht aus, um die Bitterkeit in seinem Inneren zu lindern.

Er richtete den Blick, wenn auch nicht die volle Aufmerksamkeit, wieder auf das Schachbrett, das auf einem geschliffenen und lackierten Baumstumpf stand, und schüttelte den Kopf über die missliche Lage, in die er sich gebracht hatte. Wenn er sich nicht allmählich konzentrierte, würde Mason ihn plattmachen ‒ und das durfte nicht passieren. Schließlich würde es Monate dauern, bis er danach wieder auftrumpfen könnte. Nick schob einen Bauern nach vorn und merkte erst, dass es Selbstmord für die arme Figur bedeutete, als es bereits zu spät war.

Mace schnappte sich Nicks Bauern und stellte ihn neben seinem Bier auf den Boden. »Sag jetzt bloß nicht, dass dein neuestes Mädchen per E-Mail abgesagt und dich vom Spiel abgelenkt hat.«

Nick schnaubte. »Wir wissen doch beide, wie unwahrscheinlich das ist.«

»Ich weiß«, erwiderte sein Freund und verdrehte die Augen. »Du kannst ja nichts dafür, dass du so hübsch bist.«

»Vergiss nicht reich und lässig«, gab Nick zurück, machte seinen Zug, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verbannte alle Gedanken an seinen Arschloch-Großvater in einen dunklen Winkel seines Gehirns.

»Nervensäge hast du ausgelassen.« Mace nahm einen seiner Läufer und schob ihn mit einem hämischen Grinsen auf einen von Nicks Türmen zu. »Aber ich dachte, wir wollten versuchen, nett zueinander zu sein.«

Verdammt. Wenn er diesen Zug nicht hatte kommen sehen, war er wirklich nicht bei der Sache. »Wieso sollten wir?«

»Genau. Also lass dich nur weiter von dem ablenken, was dich so aufwühlt, und ich schlage dich wie üblich.«

Es hatte keinen Sinn, die Frage zu überhören, die Mace stellte, ohne sie zu stellen. Der Mann war so neugierig wie eine alte Tratschtante. Außerdem gab es niemanden sonst, der Nick so nahestand, fast wie ein Bruder. Sie waren kurz nacheinander als Teenager in die Jugendwohngruppe gekommen. Am Anfang war ihre Freundschaft eine Frage des Überlebens gewesen. Als sie sie mit achtzehn beide verließen, waren sie in allem, außer ihrer DNA, Brüder. Dem anderen etwas verheimlichen? Keine Chance.

»Es war wieder eine Nachricht von meinem Großvater ‒ besser gesagt von seiner Sekretärin.«

Mace griff nach seinem Bier, holte ein ungeöffnetes aus der kleinen Kühlbox neben dem Baumstumpf und reichte es Nick. »Der alte Herr hat sich noch immer nicht selbst gemeldet?«

»Hat vermutlich was Besseres zu tun ‒ nicht, dass mich das irgendwie interessieren würde.« Nick öffnete den Verschluss und trank einen Schluck. »Nach allem, was dieses Arschloch meiner Mom angetan hat, gibt es nichts auf Gottes grüner Erde, was mich dazu bringen könnte, diesem Mann auch nur im Geringsten entgegenzukommen.«

»Wieso jetzt?« Sein Freund schob seinen Springer ein Feld vor und zwei zur Seite. »Er war doch zu starrköpfig, dich anzuerkennen oder dich zu sich zu nehmen, um dir die Jugendpflege zu ersparen.«

Nick schüttelte den Kopf. Wäre Mace nicht so darauf konzentriert gewesen, Nick zum Reden über seine Gefühle zu bringen (als ob das jemals passieren würde), hätte er vielleicht gemerkt, dass sein König auf einmal ohne Schutz dastand.

»Er will, dass ich sein Erbe werde«, erwiderte Nick und bewegte seinen Springer so, dass sein Läufer freie Bahn hatte. »Schach.«

»Verdammt«, knurrte Mace. »Was ist der Alte? So was wie ein Ölbaron?«

»Ein englischer Earl.«

Mace riss den Kopf hoch und schaute ihn verblüfft an. »Willst du mich verarschen?« Es hätte niemanden überrascht, der Mason Thomas Pell ‒ Spitzname Bulldogge wegen seiner Neigung zur Sturheit ‒ jemals kennengelernt hatte, dass dieser weiterbohrte. »Und was wirst du machen?«

»Überhaupt nichts. Irgendwann werden der Alte und seine lästige Privatsekretärin den Wink schon verstehen und mich in Ruhe lassen.«

Mace sah Nick durchdringend an und schüttelte dann den Kopf. »Ja. Viel Glück dabei.«

»Erzähl mir nichts von Glück. Ich suche mir mein Glück selbst. Musste ich immer schon.«

Nicht zuletzt wegen dieses snobistischen englischen Earls, der alles getan hatte, um Nicks Leben noch vor seiner Geburt zu ruinieren, und dann tatenlos von der anderen Seite des Ozeans aus zugesehen hatte, als seine Mom einen langsamen und schmerzvollen Tod starb und ihn als Waise zurückließ. Und jetzt wollte dieser Dreckskerl, dass Nick ihn beerbte? Da konnte er lange warten.

Ein verlorenes Schachspiel, zwei weitere Biere und mehrere Stunden später brach Mace auf, und Nick versuchte zu schlafen. Schlaflosigkeit war immer schon die eine Herausforderung gewesen, an der er sich die Zähne ausbiss. Er kannte jede Unebenheit an der Decke, jedes nächtliche Quaken der paarungsbereiten Frösche, das zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens ertönte. Das leise Vibrieren seines Telefons auf dem Küchentresen stach heraus wie eine Gruppe betrunkener Studenten, die in einer Bücherei ein Football-Kampflied anstimmte.

Er brauchte gar nicht erst zu raten, wer das war. Er wusste es einfach. Es war wieder diese Frau: Brooke Chapman-Powell. Ohne zu überlegen, sprang er aus dem Bett und machte sich auf den Weg in die Küche.

Das war ein Fehler.

In der Eile stieß er mit dem kleinen Zeh gegen den Metallrahmen seines Betts. Der Schmerz schoss wie heißer Raketentreibstoff von seinem Fuß aus nach oben, entsprechend der Lautstärke seines Aufschreis. Er hüpfte auf die Tür zu, doch kurz davor landete er mit dem Fuß, der nicht pochte, auf einer liegen gelassenen Socke. Die Socke glitt auf dem glatten Holzboden davon, und Nick rutschte weg und wäre mit der Nase beinahe gegen den Rahmen der Schlafzimmertür geprallt. Er konnte sich gerade noch fangen, indem er sich mit einer Drehung durch die Tür katapultierte. Mit rasendem Puls, noch immer schmerzendem Zeh und voller Angst vor einem Rachegott setzte er vorsichtig einen Schritt in die Küche. Als er nach dem Telefon griff, stieß er mit dem Ellbogen an das metallene Gewürzregal auf dem Küchentresen. Laut fluchend schnappte er sich das Telefon von der Granitplatte und rief die neue E-Mail auf.

26. Mai

Sehr geehrter Mr Vane,

bitteverzeihenSie,dassichmicherneutmelde,aberichhabeaufmeinevorherigeMailkeineAntworterhalten.DieseEinladungistvonhöchsterWichtigkeit,undfüreineumgehendeReaktionwäreichIhnensehrdankbar.Ichhabeversucht,Sieanzurufen,abermeineAnrufewurdenaufdieVoicemailweitergeleitet,diemirmitteilte,sieseivoll.DerEarlsiehtIhrerAntwortvollerErwartungentgegen,undichhabemeineTelefonnummerhinzugefügt,fallsSielieberzueinerIhnengenehmenUhrzeitzurückrufenmöchten.

Mit freundlichen Grüßen

Brooke Chapman-Powell

Privatsekretärin Earl of Englefield

0128 75 55 12 3

Er hatte die Nummer auf seinem Display eingetippt, bevor sein Gehirn seinem Tun hinterherkam. Sie hob beim vierten Klingeln ab.

»Brooke Chapman-Powell.«

Ihr unüberhörbar britischer Akzent bohrte sich unangenehm in seine Ohren. Er stieß gegen die empfindliche Stelle in seinem Gehirn, die etwa um die Zeit des Tods seiner Mutter beschlossen hatte, dass es auf dieser feuchten, nebligen, hochnäsigen Insel auf der anderen Seite des Atlantiks nichts Lohnendes oder Gutes gab.

»Lassen Sie mich in Ruhe«, sagte er und legte all die Jahre voller Groll in diese fünf Wörter.

Er konnte deutlich hören, wie sie nach Luft schnappte. »Wer ist da?«

Guter Versuch. »Sie wissen genau, wer hier ist.«

»Mit Sicherheit nicht.«

Die Verbindung wurde unterbrochen.

Nick starrte verblüfft auf sein Telefon. Sie hatte einfach aufgelegt. Nachdem ihn die Frau, die dieses hochnäsige Englisch sprach, zwei Wochen lang mit Briefen und E-Mails bombardiert hatte, warf sie ihn jetzt einfach aus der Leitung!

Nicht dass er noch einen weiteren Grund gebraucht hätte, niemals nach England zu fahren, aber die Verachtung, die in Brooke Chapman-Powells Worten mitgeschwungen hatte, besiegelte seine Abneigung. Das ganze Land konnte gern im Atlantik versinken. Dennoch ging ihm auf dem Weg zurück ins Schlafzimmer ihre Stimme einfach nicht aus dem Kopf ‒ und nicht wegen ihrer Aussprache. Irgendetwas in der Art, wie sie noch nicht ganz wach klang, obwohl sie bereits E-Mails verschickte, und wie sie ihren Namen gesagt hatte, ließ sich nicht verdrängen und weckte seine Neugier ‒ so wie oft, wenn ihm die erste vage Idee für eine Erfindung kam. Er wusste, das würde nicht aufhören, bis er mehr in Erfahrung gebracht hatte. Er drehte sich um, ging zurück in die Küche und griff nach seinem Telefon, um ein bisschen bei Google nachzuforschen.

Er hatte gerade den Home Button gedrückt, als das blöde Ding in seiner Hand zu klingeln anfing. Die Nummer erkannte er sofort ‒ Brooke Chapman-Powell rief ihn zurück. Die Frage war, sollte er rangehen?

Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte Brooke sich so sehr gewünscht, dass jemand abhob und nicht abhob. Egal was von beiden passierte, das Ergebnis würde grauenvoll sein. Ihre verdammte Unfähigkeit, sich früh am Morgen zu konzentrieren!

Sie hatte die E-Mail nicht weniger als sechzehnmal gelesen, bevor sie sie abgeschickt hatte, weil sie genau wusste, wie fehlerhaft ihr Gehirn morgens um sechs Uhr arbeitete. Ein quasi sofortiger Rückruf vom Erben des Earls war das Letzte, womit sie gerechnet hatte. Nach seinem wochenlangen Schweigen hatte sie kaum mehr auf eine Antwort zu hoffen gewagt, schon gar nicht auf eine Stimme am anderen Ende der Leitung. Und so hatte sie es voll vergeigt.

Mit schweißnassen Händen packte sie das Telefon fester und lauschte dem transatlantischen Klingeln. Dann ging er dran. Nicht dass er irgendetwas sagte ‒ aber er war da. Sie wusste es einfach.

Sie holte tief Luft und überlegte, was sie sagen sollte ‒ etwas, das sie wirklich hätte tun sollen, bevor sie die Rückruftaste drückte. Das sah ihr so gar nicht ähnlich.

»Dahintergekommen, wie?« Nick Vanes verschlafene Stimme wirkte irgendwie beruhigend, obwohl er sie einsetzte, um sie für ihren Fehler zu quälen.

»Mr Vane«, erwiderte sie, während sie in ihrem kleinen Schlafzimmer auf und ab lief. »Ich möchte mich entschuldigen.«

Tausendmal. Vielleicht sogar eine Million Mal. Hiervon hing zu viel ab, als dass ihr morgendlich umnebelter Kopf Chaos anrichtete.

»Wie spät ist es bei Ihnen?«

Das war kein »Entschuldigung angenommen«, aber er hatte auch nicht aufgelegt, also konnte sie das auf der Plusseite verbuchen. »Zehn nach sechs.«

»Das ist früh.« Er klang fast schon mitfühlend.

Sie nickte zustimmend, doch dann begriff ihr Gehirn, worauf er offenbar hinauswollte. Es musste dort etwa Mitternacht sein. Das war kein Mitgefühl in seiner Stimme, es war subtiler Sarkasmus ‒ die Muttersprache ihres Heimatlands.

Natürlich war er derjenige, der sie angerufen hatte, während sie ihm lediglich wie ein zivilisierter Mensch eine E-Mail geschickt hatte. Dass sie recht hatte, bedeutete aber nicht, dass sie sich nicht zu entschuldigen brauchte. Nicholas Vane war der Enkel und zukünftige Earl, und das hieß, dass sie sich vermutlich die nächsten zwanzig Jahre entschuldigen würde, wenn sie nicht vorher rausflog. Wie nett.

»Ich freue mich darauf, mich persönlich bei Ihnen entschuldigen zu können.« Ihr wurde erst bewusst, dass sie das Kinn trotzig vorgereckt hatte, als ihr Blick in den Spiegel über der Kommode fiel. »Wünschen Sie mit einem bestimmten Flug zu kommen?«

»Ich komme nicht.«

Mist. Mist. Mist. Angst und Schrecken führten einen Tango in ihrem Magen auf. Sie schaute aus dem Fenster und sah, wie Bowhaven trotz der frühen Stunde zum Leben erwachte. Die Mitglieder des Blumenkomitees hängten Körbe mit Blumenarrangements an die Pfosten entlang des Bürgersteigs der oberen Straße. Ein paar Häuser weiter öffnete Abigail Posten die Tür zur Bäckerei. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Duft nach frischem Brot hinauf in ihr Zimmer über dem Pub der Familie gelangen würde.

»Sir«, sagte sie und gab ihr Bestes, damit er ihr ihre Sorge nicht anmerkte. Lass niemals zu, dass man dich zusammenklappen sieht, Brooke, nicht einmal eine Minute lang, oder es wird wieder wie in Manchester. Totale öffentliche Demütigung. Sie rang ihre Panik nieder, straffte die Schultern und richtete sich gerade auf. »Ich bitte respektvoll darum, dass Sie zu einer anderen Antwort gelangen.«

»Sie können bitten, so viel Sie wollen, meine Antwort wird sich nicht ändern.« Er schwieg einen Moment, dann stieß er einen genervten Grunzlaut aus. »Und hören Sie auf, mich ›Sir‹ zu nennen.«

Sie konnte den Mund gerade noch schließen, bevor ihr ein weiteres »Sir« rausrutschte. Sie holte tief Luft und sagte: »Ich verstehe, dass dies alles etwas plötzlich kommt, da Sie nicht auf Ihrem Familienbesitz geboren und aufgewachsen sind, aber Sie werden hier gebraucht, Sir.«

Oh je. Jetzt war es ihr doch rausgerutscht.

»So wie Sie das sagen, klingt es, als wäre es die Entscheidung meiner Mom gewesen, alleinerziehend zu sein, und meine, mal abgesehen vom rechtlichen Status, als uneheliches Kind aufzuwachsen.« Seine Stimme klang schroff. »Und hören Sie mit diesem ›Sir‹-Blödsinn auf. Ich heiße Nick. Das ist alles. Mehr nicht.«

Draußen schlenderte Robert McClung gerade auf den Gebrauchtwarenladen zu, den er leitete und der leider einer der meist frequentierten im Dorf war. Seit die Pepson Factory ihre Tore dichtgemacht hatte und die Arbeitslosigkeit in Schwindel erregende Höhen gestiegen war, hatte Bowhaven ein wirtschaftlicher Tiefschlag nach dem anderen ereilt. Dass Nick Vane nicht kam, war keine Option. Jeder Einzelne, der im oder um das Dorf herum wohnte, brauchte ihn hier, auch wenn er ‒ und Nick selbst ‒ das nicht wusste.

»Aber Sie sind mehr als nur Mr Vane, und wenn Sie die Einladung des Earls annehmen würden, würden Sie das verstehen.«

Laut und deutlich tönte ein verächtliches Schnauben den ganzen Weg von Amerika zu ihr herüber. »Mir ist egal, wieso er meine Eltern gezwungen hat, ihre Ehe zu annullieren, oder wieso er jetzt beschlossen hat, mich anzuerkennen. Ich brauche ihn nicht. Reden will ich mit ihm schon gar nicht. Und es gibt etwa eine Million Dinge, die ich lieber täte ‒ einschließlich nackt die Main Street entlanggehen und ›Jingle Bells‹ singen ‒, als über den Atlantik zu fliegen und ihn zu besuchen.«

Brooke ließ sich auf ihr Bett sinken. Ihre Beine waren nicht mehr in der Lage, sie zu tragen.

»Bitte, Sir.« Sie versuchte, nicht so zu klingen, als ob sie bettelte, obwohl sie genau das tat. »Betrachten Sie es einfach als Kurzurlaub. Sie werden wirklich gebraucht, und nicht nur vom Earl, der …« Sie konnte sich gerade noch rechtzeitig bremsen. »Der der Earl ist.«

Ja, sechs Uhr morgens ‒ die Uhrzeit, wo ihre Kompetenz im Tiefschlaf lag.

Dass sie ihm nicht mehr erzählen konnte, ohne das Vertrauen des Earls zu missbrauchen oder sich seinem Befehl zu widersetzen, machte ihr zu schaffen. Trotz der Entfremdung sollte der Erbe über die Gesundheit seines Großvaters Bescheid wissen. Egal, was geschah, die Familie lag einem immer am Herzen.

»Sir, für das Dorf hätte das weitreichende Folgen. Viele hier könnten, wenn Sie sich weigern, also wir ‒ sie ‒ könnten ihre Arbeit verlieren, wenn Sie sich weiterhin weigern.«

»Und wieso genau sollte mir das etwas ausmachen?«

Leise seufzend rieb sie sich den Magen. »Sir …«

»Mein Name ist Nick«, schnitt er ihr das Wort ab. Seine tiefe Stimme klang unnachgiebig. »Sagen Sie es.«

Was zum Teufel spielte die Etikette unter diesen Umständen für eine Rolle? Sie würde ihn auch schnellste Taube im Taubenschlag ihres Vaters nennen, falls er das wünschte. »Nick.«

Sie wusste nicht, was sie sonst noch sagen sollte, also lauschten sie beide nur eine gefühlte Ewigkeit lang dem Atmen des anderen.

»Ich werde darüber nachdenken.« Ohne auf eine Antwort zu warten, legte er auf.

Brooke stieß einen fast unhörbaren Freudenschrei aus und tanzte ein wenig in ihrem Zimmer umher. Sie würde ihn in den nächstmöglichen Flieger befördern, koste es, was es wolle. Alles würde sich finden. Das musste es einfach.

Sie brauchte ihn nur zu überzeugen, dass er seine Pflichten akzeptieren musste. Wie schwierig konnte das schon sein?

2. KAPITEL

Es war gerade Seezeit, als sein Handy zum dritten Mal während der letzten Stunde summte. Nick überlegte, es in das kristallklare Wasser zu pfeffern, aber seine Neugier gewann die Oberhand.

Brooke: Guten Morgen, Mr Vane. Während Sie mit sich zu Rate gehen, wollte ich Ihnen ein paar Fotos vom Dallinger-Park-Anwesen schicken, die Ihnen vielleicht helfen, sich das Haus Ihrer Ahnen besser vorstellen zu können. Danke. Brooke Chapman-Powell.

Er scrollte durch die Bilder der ersten Nachricht. Grüne Hügel ohne Ende? Genau. Bewölkter Himmel? Ebenfalls. Riesiger Steinhaufen, der aussah wie ein Hollywoodschloss, in dem es vielleicht spukte? Auch das. Selbst ohne dieses Arschloch von einem Earl gab es auf diesen Fotos nichts, was ihn von Salvation, Virginia, weggelockt hätte, der Heimat des besten Pekannusskuchens im Kitchen Sink Diner.

Sein Magen knurrte. Verdammt, jetzt hatte er Bock auf Kuchen. Er steuerte sein Boot in den See hinaus, auf dessen Oberfläche sich die frühmorgendliche Sonne spiegelte, und klickte die nächste Mail an.

Brooke: Ebenfalls als Entscheidungshilfe hier ein Link zu einer kurzen Geschichte der Familie Vane. Sie ist tatsächlich recht faszinierend. Gruß Brooke Chapman-Powell.

Er klickte den Link an. Ihre Vorstellung von kurz entsprach mit Sicherheit nicht seiner. Es war ein in den Sechzigern entstandenes Buch, das bestimmt dreihundert eng bedruckte Seiten hatte. Nein, das würde er mit Sicherheit niemals lesen, nicht einmal, wenn es nicht von seiner angeblichen Familie handeln würde, deren Mitglieder eigentlich eher DNA-Spender waren. Sobald er an seinem Lieblingsplatz angekommen war, stellte er den Motor ab, setzte den Anker und fing an zu angeln ‒ dann gab er auf und klickte die dritte Nachricht an.

Brooke: Und falls Ihr Zögern in irgendeiner Weise mit meinem vorherigen bedauerlichen Verhalten zusammenhängen sollte, möchte ich Ihnen versichern, dass es ein Fehler meinerseits war, der nicht wieder vorkommen wird. Mit herzlichsten Grüßen, Brooke Chapman-Powell.

Die Frau war hartnäckig, das musste man ihr lassen. Er riss eine Coladose auf und trank einen großen Schluck. Es gab keinen schöneren Ort als diesen hier, wo die Sommersonne einen versengte. Für Nick war er, seit seine Mutter gestorben war, am ehesten so etwas wie Heimat. Er hielt sich selten woanders auf. Wozu auch? Hier hatte er alles, was er wollte. Und dennoch … diese englische Bulldogge hatte ihn ins Grübeln gebracht. Ohne groß nachzudenken, ließ er die Daumen über die Tastatur huschen.

Nick: Was gefällt Ihnen daran?

Umgehend erschienen die kleinen drei Punkte.

Brooke: Hier bin ich aufgewachsen. Meine Familie lebt hier. Die North York Moors sind unglaublich schön.

Familie. Das eine Wort reichte, dass Nick das Herz schwer wurde. Abgesehen von Mace war er ein Einzelgänger ohne enge Freunde, und statt Familie hatte er eigentlich nur DNA-Spender. Und genau so gefiel es ihm. Er hatte nicht die geringste Lust, daran jemals etwas zu ändern.

Jemandem den Freiraum zu lassen, in seinem eigenen Tempo zu einer Entscheidung zu kommen, war so ziemlich genau das Gegenteil von dem, wie Brooke Dinge handhabte. Und da der Earl quasi jede Viertelstunde fragte, was es Neues gab, würde sie ihre Vorgehensweise auch nicht mehr ändern. Um dem Erben des Earls Beine zu machen, schickte sie ihm eine weitere Nachricht. Die meisten ihrer Nachrichten blieben unbeantwortet, aber sie musste dies einfach hinbekommen. Das Dorf hing, auch wenn es das nicht ahnte, von der Antwort eines Amerikaners ab.

Brooke: Haben Sie noch weitere Fragen, oder darf ich mich um Ihren Flug kümmern?

Nick: Wieso ist Ihnen das so wichtig?

Brooke: Das ist mein Job.

Nicht die ganze Wahrheit, aber auch keine Lüge. Er brauchte ja nicht alles zu wissen.

Nick: Nennen Sie mir drei Dinge, die nichts mit Dallinger Park zu tun haben und eine Reise nach England erträglich machen könnten.

Was für eine Unverschämtheit von diesem Kerl! Ihr Gesicht lief vor Empörung rot an, und sie hämmerte heftiger als nötig auf die Tasten ein.

Brooke: Englische Schokolade schmeckt köstlich. Nichts geht über ein Pint im Stammpub. Sie werden niemals etwas Schöneres zu sehen bekommen als die Moors, wenn die Heide blüht.

Nick: Besser als das hier?

Das Foto war eine Nahaufnahme einer verbeulten Bierdose, die auf einem sehr muskulösen Unterarm balanciert wurde. Okay, sie würde es niemals zugeben, aber das war kein unangenehmer Anblick.

Nick: Verkehrtes Foto!

Das nächste Foto zeigte den Sonnenuntergang an einem See. Es war eine Farbenpracht aus Rosa-, Orange- und Dunkelblautönen. So wollte er das Spiel also spielen? Herausforderung angenommen. Sie eilte Dallinger Parks Haupttreppe zu einem der Gästezimmer hinauf und riss das abgeschrägte Fenster auf. Die Heide stand noch nicht in voller Blüte, der Anblick war dennoch umwerfend. Sie machte ein Foto und drückte auf Senden.

Nick konnte nicht widersprechen, dass die Moors postkartenmotivwürdig waren, aber das war nicht der Grund, wieso er das Foto am nächsten Tag immer noch anschaute, während er am Tresen des Kitchen Sink Diner den besten Pekannusskuchen der Welt genoss. Es war das Spiegelbild der Frau, die einfach kein Nein akzeptieren wollte. Wegen des Winkels konnte er nicht genau erkennen, wie sie aussah, aber es reichte, dass er mehr wissen wollte. Brooke Chapman-Powell machte ihn neugierig.

Wieso wollte sie ihn so unbedingt nach England locken? Gut, es war ihr Job, aber man konnte den Job auch machen, ohne gleich die gesamte Hofberichterstattung zu übernehmen. Bezahlt wurde sie so oder so, was also sollte der Quatsch?

»Stimmt was nicht mit dem Kuchen?«, fragte Ruby Sue, die auf der anderen Seite des Tresens die Kuchentheke abwischte.

Ruby Sue, garantiert schon Mitte siebzig, rüstig und clever, kannte jeden in Salvation und wusste genau, was die Leute beschäftigte. Sie war das Tratschzentrum dieser Kleinstadt, und ihr Pekannusskuchen war die Seele, die das Herz der Stadt schlagen ließ.

»Nein, Ma’am.« Mit dem Kuchen stimmte immer alles.

»Wirklich?« Sie hängte das feuchte Spültuch an einen Haken und sah ihn durchdringend an. »Weil du ihn normalerweise so schnell runterschlingst, dass ich rasch ein Gebet für dein Verdauungssystem spreche.«

»Ich arbeite an einem Rätsel.« Ein Rätsel um eine Frau, die ihn auf Teufel komm raus dazu bringen wollte, das Eine zu tun, was er niemals hatte tun wollen. Und das Rätsel, wieso er derart in Versuchung war.

Ruby Sue schenkte sich gesüßten Tee ein, fügte viel zu viel zusätzlichen Zucker hinzu, als dass man ihn auch nur ansatzweise hätte gesund nennen können, und setzte sich auf den Stuhl neben ihm. »Spuck’s aus.«

Also tat er es, wenn auch nicht nur, weil die Tratschtante der Stadt das Geheimnis des Nusskuchenrezepts hütete, den er ‒ erfolglos ‒ nachzubacken versucht hatte, seit er nach Salvation gezogen war, obwohl auch das ein wenig hineinspielte.

Als er geendet hatte, schüttelte Ruby Sue den Kopf und sah ihn mit einem Blick an, der eindeutig »Du meine Güte!« besagte. »Dann lehnst du also einen kostenlosen Urlaub in England ab, weil du zu stolz bist, Ja zu sagen.«

»So stimmt das nun auch wieder nicht.« Hatte sie den Teil mit den familiären Pflichten und dem verhassten alten Mann überhört?

»Das scheint mir aber doch so.« Sie trank einen Schluck von ihrem Tee, der ein normales menschliches Wesen in einen diabetischen Schock versetzt hätte. »Du fährst hin, triffst diesen Earl, sagst ›Nein danke, ich bleibe in Salvation‹, kommst nach Hause. Problem gelöst.«

Sollte es wirklich so einfach sein? Seit Tagen drehte und wendete er das Problem hin und her, und Ruby Sue löste es in einer Minute. Wenn er hinfuhr, konnte er dem Earl sagen, dass er niemals sein Erbe sein würde, konnte seine Neugier bezüglich einer gewissen Brooke Chapman-Powell befriedigen und sich diese Moors mal selbst anschauen. Dann würde er wieder nach Hause kommen. Er war praktisch schon zurück auf dem See.