Ice Knights - Mr Perfect für eine Nacht - Avery Flynn - E-Book + Hörbuch

Ice Knights - Mr Perfect für eine Nacht Hörbuch

Avery Flynn

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Beschreibung

Es sollte nur eine Nacht sein ...

Nach einem Skandal flieht Eishockeystar Ian Petrov in eine einsame Hütte, um der Presse zu entkommen. Er will alleine sein und seine Wunden lecken. Umso entsetzter ist er, als er feststellen muss, dass er nicht der einzige Bewohner ist. Ausgerechnet hier trifft er auf Shelby Blanton. Shelby, die ihn in der Öffentlichkeit bloßgestellt hat, Shelby, die sich von seiner grummeligen Art nicht einschüchtern lässt - Shelby, die sein Herz schneller schlagen lässt. Für eine Nacht geben sie der Anziehungskraft nach und sind nicht darauf gefasst, was sie am nächsten Tag erwartet ...

"Mr Perfect für eine Nacht ist eine wunderbare, humorvolle und äußerst romantische Liebesgeschichte!" Reading between the sheets

Band 3 der sexy Sports-Romance-Serie von Bestseller-Autorin Avery Flynn

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Zeit:7 Std. 39 min

Sprecher:Miriam Reichenbach

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

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Epilog

Die Autorin

Die Romane von Avery Flynn bei LYX

Leseprobe

Impressum

AVERY FLYNN

Ice Knights

MR PERFECT FÜR EINE NACHT

Roman

Ins Deutsche übertragen von Ralf Schmitz

Zu diesem Buch

Nach einem Skandal flieht Eishockeystar Ian Petrov in eine einsame Hütte, um der Presse zu entkommen. Er will alleine sein und seine Wunden lecken. Umso entsetzter ist er, als er feststellen muss, dass er nicht der einzige Bewohner ist. Ausgerechnet hier trifft er auf Shelby Blanton. Shelby, die ihn in der Öffentlichkeit bloßgestellt hat, Shelby, die sich von seiner grummeligen Art nicht einschüchtern lässt – Shelby, die sein Herz schneller schlagen lässt. Für eine Nacht geben sie der Anziehungskraft nach und sind nicht darauf gefasst, was sie am nächsten Tag erwartet …

»Fang an, wo du bist. Nutze, was du hast. Tu, was du kannst.«

Arthur Ashe

1

Shelby Blanton würde nie wieder schlafen.

Sie hätte wissen müssen, dass sie sich besser kein Double Feature aus Gruselfilmen ansah, während sie irgendwo im Nirgendwo in einer Hütte eingeschneit festsaß.

Ja, das war definitiv ihr erster Fehler gewesen.

Und die nächste gewaltige Fehlentscheidung war der Espresso nach dem Essen gewesen. Eigentlich bevorzugte sie ja grünen Tee, aber da es in der Hütte schon mal eine Espressomaschine gab, hatte sie im ersten Moment gedacht, ja, prima, aber jetzt, oh, mein Gott, sie konnte ihr Herz förmlich schlagen hören, und ihre Augenlider … flatterten? Genau das Richtige für Weicheier!

Nun lag sie hier, in einem Riesenbett, streckte alle viere von sich, schlotterte praktisch, nach der Überdosis Koffein, und fragte sich bei jedem Knacken und Knarzen der finsteren Hütte, ob da böse Mächte am Werk waren, die nur darauf warteten, dass sie endlich einschlief, damit sie ihre Seele rauben konnten. Das Tick-Tack kam sicher von der mächtigen Standuhr – samt Pendeln – im Wohnzimmer. Während das unregelmäßige Brummen von der an- und ausgehenden Heizung herrührte. Und die schlurfenden Schritte kamen von –

Shelby schoss hoch, saß kerzengrade, eine Ecke der dicken Daunendecke an die Brust gepresst und redete sich ein, dass kein Axtmörder in der Hütte war.

Schritte? Das war reine Einbildung. Vielleicht der Wind, oder die Leitungen, oder –

Heilige Scheiße, da, schon wieder.

Das Geräusch kam von unten. Der romantische Kick, in der Natur zu sein, ohne Handyempfang, nicht einmal Festnetz gab es, verwandelte sich mit einem Schlag in eine eiskalte Decke des Grauens, die sie vom Kinn bis zu den Zehen einhüllte. Den Blick fest auf die – natürlich – offene Schlafzimmertür gerichtet, langte sie nach ihrer Handtasche auf dem Nachttisch und kramte darin, bis ihre Finger das kühle Metall des Elektroschockers mit integrierter Taschenlampe berührten. Das war zwar nicht so eine sichere Sache wie Salz und ein Gasbrenner, aber es würde ihr einen gewissen Vorsprung verschaffen, solange es sich um ein menschliches Wesen und nicht um ein bösartiges einäugiges Monster handelte.

Okay, eigentlich war ihr klar, dass der Spuk nur in ihrer Einbildung stattfand, aber sage das einer dem prähistorischen Teil ihres Gehirns, der gerade ultimativ am Rad drehte. Das war’s. Sie würde sich nie wieder einen Horrorfilm anschauen. Nie wieder!

Den Schocker fest im Griff, schlüpfte sie aus dem Bett, hielt den Atem an und versuchte, während sie auf Zehenspitzen zur Tür schlich, etwas anderes zu hören als das in ihren Ohren rauschende Blut. Sie bezog links neben der offenen Tür Stellung und drückte sich mit dem Rücken an die Wand.

Eine Treppenstufe knarzte, dann noch eine, gefolgt von einem langen Seufzer, der gar nicht nach Gespenst klang, sondern eher nach höllischer Müdigkeit. Aber unter dem Aspekt, dass es sich hier um einen Einbrecher/Serienmörder handelte, hatte sie nicht vor, irgendwelches Mitgefühl aufzubringen.

Ein nervöses Giggeln wollte ihr in die Kehle steigen. Sie biss die Zähne zusammen, spannte die Bauchmuskeln an und hoffte, ihren unliebsamen Reflex zu diesem unmöglichen Zeitpunkt unterdrücken zu können.

Fuck.

Das war nicht der richtige Zeitpunkt, um Geräusche zu machen – vor allem nicht den schrillen Ton, der ihr schon als Kind den Spitznamen »Kreissäge« eingebracht hatte. Zugegeben, es war nicht allein das Giggeln. Sie war nie ihre Kleinmädchenstimme losgeworden, egal, wie viel Stunden Stimmbildung sie auch genommen hatte. Nun war es genau dieser Ton, der, wenn sie ans Telefon ging, Werbeanrufer dazu veranlasste, nach ihrer Mutter zu fragen, der zu ihrem sicheren Tod führen würde.

Konzentrier dich, Shelby. Sei so cool, wie deine Tattoos vorgeben, dass du es bist.

Sie hatte einige, aber das größte war ein detailliertes Blatt-Tattoo, das ihren ganzen Unterarm überzog. Es war nicht gerade ein Totenschädel mit gekreuzten Knochen und einem blutigen Dolch, und sich das Tattoo stechen zu lassen, hatte höllisch wehgetan, aber sie hatte es überlebt. Das hieß, sie könnte auch das hier überleben.

Die Schritte kamen näher, und sie stellte sich einen Riesen von Mann vor, vielleicht mit ein wenig Sabber im Mundwinkel und wilden schwarzen Augen, der auf ihre Schlafzimmertür zukam. Sie umfasste den inzwischen schweißgetränkten Griff des Elektroschockers fester – danke, liebe Nerven, dass das jetzt auch noch dazukommt. Sie holte tief Luft, legte den Daumen auf den Schalter, der die Taschenlampe anschaltete und einen Finger auf den Knopf, der den Elektroschock auslösen würde.

Sie hatte sich das Gerät besorgt, als die Drohungen auf ihrem Hockey-Blog The Biscuit schlimmer wurden als die bisher im Internet kursierenden Variationen gegen Frauen, üblicherweise nach dem Motto: Du bist eine echte Schlampe, und ich hoffe, du wirst vergewaltigt. Laut des Selbstverteidigungskurses, den sie absolviert hatte, würde das helle Licht den Angreifer kurzfristig erschrecken, und ihr die Gelegenheit verschaffen, ihm nahe genug zu kommen, um ihm den Schocker in eine empfindliche Stelle zu rammen. Der Schock wäre zwar nicht stark genug, um ihn auszuknocken, würde ihn aber lang genug außer Gefecht setzen, dass sie die Treppe hinunterrennen, ihre Autoschlüssel schnappen und sich aus dieser angehenden Stephen-King-Geschichte davonmachen könnte.

Die Schritte kamen näher.

Shelby stockte der Atem.

Ein Mann kam durch die Tür, hielt inne und betrachtete vermutlich die zerknitterten Laken und die zerwühlte Bettdecke auf dem leeren Bett.

Ein Schuss heißen Adrenalins traf die eisige Panik wie ein Stachel mitten ins Herz. Pech gehabt, Arschloch, ich werde nicht abwarten, ob du mich angreifst.

Shelby ließ einen durchdringenden Schrei los – na gut, eher ein Quietschen. Der Mann fuhr herum, die Hände zu Fäusten geballt. Als er sich drehte, schaltete sie mit dem nächsten Einatmen das Blitzlicht der Lampe an und stieß ihm dann den Schocker in die Magengegend. Theoretisch hätte sie ihn drei Sekunden lang auf die Stelle halten müssen. Sie brachte es vielleicht auf eine halbe Sekunde, bevor sie abrutschte und den Griff verlor. Er stolperte zurück und gab vor Schmerz ein tiefes Jaulen von sich.

Das war der Moment, in dem sie eigentlich hätte rennen müssen, davonlaufen vor Schmerz und Tod. Aber sie tat es nicht – weil sie das Licht der Lampe auf sein Gesicht gerichtet und ihr Magen bis in den Weinkeller der Hütte gerutscht war. Sie hatte ihn sofort erkannt.

Ian Petrov. Eishockeyspieler. Bärtiger Sex-Gott mit Lockenmähne, wenn es nach der Boulevardpresse ging. Und außerdem … die eine Person, die sie hasste wie niemanden sonst auf der Welt.

»Was zur Hölle«, brüllte Ian, hielt sich schützend den Arm vor den Bauch, als er auf sie zuging. »Sie verschwinden verdammt noch mal besser, bevor die Bullen hier auflaufen.«

»Sind Sie mir gefolgt?« Eine gute Frage? Nein, aber ihr Gehirn stand ein wenig unter Schock.

»Warum zum Henker sollte ich …« Der Satz starb auf seinen Lippen, als Erkennen und etwas, das stark an Abscheu erinnerte, über sein viel zu kantig-hübsches Gesicht huschte. Er blieb stehen und stöhnte, dann warf er den Kopf in den Nacken und schickte brummend Verwünschungen zur Zimmerdecke. »Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen. Sie? Hier? Was, stellen Sie mir etwa nach? Haben Sie mir mein Leben noch nicht genug ruiniert?«

Shelby fuhr zurück. Es war purer Zufall gewesen. Aber darauf kam es nicht an. Denn sie war der Grund, aus dem inzwischen jeder in Harbor City wusste, dass Ians bester Kumpel und Ice-Knights-Teamkollege Alex Christensen eigentlich Ians heimlicher Halbbruder war.

Seit herausgekommen war, dass Alex schon seit Jahren darüber Bescheid wusste, ohne Ian etwas zu verraten, sprachen die beiden Männer nicht mehr miteinander. Und die Ice Knights waren darüber pünktlich zum Beginn der Play-offs in zwei Lager gespalten. Damit war das Durcheinander komplett. Und das war allein ihre Schuld.

Ian mochte nicht der freundliche Mörder aus der Nachbarschaft sein, umbringen würde er sie womöglich trotzdem – zumindest im übertragenen Sinn. Er sah so aus, als wollte er sie am liebsten in den Schnee hinausbefördern und über Nacht erfrieren lassen – und ein Teil von ihr konnte es ihm nicht mal verübeln.

Ian hatte schon häufiger irre Situationen mit Frauen erlebt.

Zum Beispiel die Frau, die von Kopf bis Fuß in Ice-Knights-Montur aufgekreuzt war und ihn gefragt hatte, ob er das Tattoo seines Gesichts auf ihrem Hintern bewundern wollte. Er hatte dankend abgelehnt.

Eine andere hatte versprochen, ihm jeden Tag einen zu blasen, wenn er ihr half, Coach Peppers aufzureißen, den sie einen »Stern Brunch Daddy« nannte. Ian wusste bis heute nicht, was das bedeuten sollte, aber falls sie damit einen Kerl meinte, der in der Umkleide herumlief und Kaffee trank, der mehr Milch und Zucker als Koffein enthielt, dann traf diese Bezeichnung auf seinen Trainer zu.

Sein Liebling war allerdings Clarissa, die samt ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester zu ihrer Verabredung erschienen war. Er hatte sich im Vergnügungspark köstlich mit allen amüsiert, aber ein zweites Date war für sie beide trotzdem nicht infrage gekommen.

Aber er war noch nie – kein einziges Mal – in seinem Ferienhaus von der Frau, die mit ihrer großen Klappe sein Leben ruiniert und offenbar nicht nur herausgefunden hatte, wo er die nächsten zwei Wochen verbringen wollte, sondern auch noch vor ihm dort auftauchte, mit einem Elektroschocker attackiert worden.

Er musste zugeben, dass er sich die Frau hinter Harbor Citys beliebtestem Eishockey-Blog, bevor er sie gegoogelt hatte, nie mit einem toughen Jessica-Jones-Look vorgestellt hatte. Jetzt jedoch, ihren Schocker mörderisch fest in der Hand, wirkte sie umso streitbarer.

»Ich rufe die Polizei«, sagte er und schaltete die Nachttischlampe ein.

»Wollen Sie sich selbst anzeigen?« Sie verschränkte die Arme und schnaubte ungläubig. »Nur zu.«

Shelby Blanton – ja, nach allem, was vorgefallen war, hatte er Wert darauf gelegt, ihren Namen in Erfahrung zu bringen – war gestört. Sie sah scharf aus, keine Frage, aber sie war definitiv eine Irre, wenn sie glaubte, sie könnte einfach hier in seiner Hütte auftauchen und er würde ihr deshalb ein Exklusivinterview und die Gelegenheit geben, sich bei ihm zu entschuldigen. Sie musste sich schon was Besseres einfallen lassen, wenn sie ihren Bekanntheitsgrad weiter steigern wollte.

Ohne sich zu rühren sah er sie sich rasch genauer an. Ihr dunkles Haar war kurz und gewellt, auf einer Seite sogar so kurz geschoren, dass sie damit jeden Marinerekruten neidisch gemacht hätte. Sie mochte kaum größer sein als eins fünfundsechzig, trotzdem gelang es ihr, selbst in ihrer einteiligen Thermounterwäsche zäh wie Leder zu wirken. Vielleicht lag das an den Tätowierungen oder an dem Nasenring – nein, Moment, es waren ohne Frage ihre Augen, die groß waren und dunkel und vor Wut fast so was wie Laserstrahlen auf ihn abschossen.

»Warum sollte ich die Polizei wegen mir rufen?«, fragte Ian, während er sich die Bauchmuskeln massierte, die nach der Begegnung mit ihrem Elektroschocker schmerzten. Fuck, er trug eine Lederjacke und ein dickes Sweatshirt, trotzdem tat es noch höllisch weh. Wenn sie ihn länger erwischt hätte, hätte sie ihn womöglich ganz aus dem Verkehr gezogen. Und um die Demütigung, in seiner Ferienhütte von einem Elektroschocker überwältigt worden zu sein, komplett zu machen, hätte er sich dabei ohne Weiteres einnässen können.

»Das ist meine Hütte«, sagte sie jetzt.

»Netter Versuch, aber ich habe einen Vertrag für die Bude hier unterschieben.« Schachmatt.

»Na super, ich auch, aber meiner ist echt.«

Als er nach seinem Handy griff, richtete sie erneut ihre fiese, kleine aufgemotzte Taschenlampe auf ihn.

Seine Bauchmuskeln zogen sich zusammen, und taten prompt noch mehr weh, schnell hob er eine Hand. »Hey, ich laboriere jetzt schon an einer Verletzung – schießen Sie nicht noch mal mit dem Ding da auf mich.«

Shelby nickte ihm kurz zu, er zog sein Handy heraus und rief die E-Mail auf, die seine Buchung bestätigte.

»Sehen Sie?« Er kehrte das Display seiner Angreiferin zu.

Sie verdrehte die Augen, sah schließlich aber doch hin. Er bezweifelte, dass sie den Schocker nur aus Versehen weiter auf ihn richtete und sie hielt weiter eine Armeslänge Abstand zu ihm. Wäre sie nicht uneingeladen und bewaffnet in seiner Hütte aufgetaucht, während er lediglich allein sein und eine Flasche Scotch leeren wollte, hätte er sich vielleicht zu ihr hingezogen gefühlt. Aber darüber wollte er jetzt nicht nachdenken.

Und an seinen Vater, den Arsch, mit seinem übereifrigen Pimmel oder an seinen ehemaligen besten Freund, der ihn jahrelang angelogen hatte, wollte er auch nicht denken. Oder darüber meditieren, warum einige seiner Mannschaftskameraden nicht kapierten, wo das Problem lag. Oder darüber trauern, dass er zwei Wochen nicht aufs Eis durfte, weil er während eines Teamessens über seine eigenen Füße gestolpert und, ohne das geringste sportliche Geschick, wie ein Baum gefällt worden war, wobei er sich den Daumen so lädiert hatte, dass er operiert werden musste. Oder gar über die nicht enden wollenden Medienberichte über die Rempelei brüten, in die er und Christensen geraten waren, und darüber, dass in der Kabine seither, um es vorsichtig auszudrücken, blanke Feindseligkeit zwischen ihnen herrschte. Im Grunde gab es eine Menge Themen, über die er nicht nachdenken wollte, seit er in der Hütte, die Lucy für ihn gemietet hatte, damit er dort untertauchen konnte, bis die Sportberichterstattung von Harbor City sich auf andere Themen stürzte, mit einem Elektroschocker zusammengestoßen war.

»Das ist doch Blödsinn«, erklärte die Frau, senkte aber immerhin ihren Schocker. »So eine Bestätigung habe ich auch.« Sie stapfte zu dem Nachttisch hinter ihm und nahm ihr Handy. Nach kurzer Suche hielt sie es ihm unter die Nase. »Sehen Sie?«

Ein rascher Blick zeigte, dass es sich tatsächlich um die gleiche Bestätigung derselben Verwaltung handelte, die diese Hütten vermietete. »Wie sind Sie da rangekommen?«

»Über eine Freundin, sozusagen.« Sie warf das Handy aufs Bett, hielt den Elektroschocker aber weiter in der Hand, wenn auch etwas lockerer. »Und wer hat Sie mit dieser Bestätigung reingelegt?«

»Also, erstens hat mich keiner reingelegt.« Der einzige Mensch, den er kannte, der diese Art Scherz komisch finden würde, war Christensen, und auch wenn er sich seine DNS mit ihm teilte, hatte er sonst nichts mit ihm gemeinsam. Sie waren keine Freunde mehr, schon gar nicht die Sorte Kumpels, die so etwas aushecken würde. »Zweitens war es die PR-Frau der Mannschaft, Lucy …«

»… Kavanagh«, ergänzte sie an seiner Stelle.

Nein. Unmöglich. Nicht Lucy. Okay, sie hatte geholfen, seinen Mannschaftskameraden Stuckey und seine neue Freundin und Mitbewohnerin zusammenzubringen, und Phillips, Linksaußen der Ice Knights, und Tess hatten sich bei Lucys Hochzeit kennen- und lieben gelernt, aber so etwas würde sie nicht abziehen – jedenfalls nicht mit ihm, nicht jetzt, und ganz bestimmt nicht mit Shelby Blanton. Es musste sich einfach um einen Irrtum handeln.

»Dann sehen Sie sich das mal an.« Sie nahm ihr Handy vom Bett und rief die E-Mail auf, die mit der Buchungsbestätigung gekommen war, und da stand es schwarz auf weiß:

Shelby,

ich kenne genau den richtigen Ort. Friedlich, großartige Aussicht. Und schon gebucht. Da hast du jede Menge Platz, die Hütte ist riesig, und da kannst du dir so viel Zeit für dich nehmen, wie du brauchst, ohne deshalb ganz allein zu sein, was du in Anbetracht der Drohungen bestimmt nicht möchtest. Es ist exakt das, was du brauchst, die perfekte Lösung.

Lucy

So viel dazu, keinen Mann zu treten, der schon am Boden liegt. »Das hat sie mit Absicht gemacht.«

Shelby wurde blass. »Aber warum sollte sie so etwas tun?«

»Kennen Sie Lucy?« Kopfschüttelnd versuchte er sich das Ausmaß des Schlamassels auszumalen. »Sie will immer alle Fäden in der Hand halten und bestimmen, wo es langgeht. Keine Frage, dass sie glaubt, so alle Probleme zu lösen.«

»Ich kann hier nicht bleiben.« Shelby trat ein paar Schritte zurück und presste ihr Handy und den E-Schocker an ihre Brust.

Ian musste indes nicht erst auf sein Handy schauen, um sich davon zu überzeugen, dass es dafür längst zu spät war. Als er vom Highway auf die kilometerlange Schotterpiste zu dieser Hütte abgebogen war, gab es nur eine einzige Wegmarke, die ihm anzeigte, dass er sich nicht verfahren hatte – ein verwittertes Holzschild mit der Zahl Sechs darauf. Und der Radiosprecher hatte alle unterwegs gewarnt, nach Hause zu fahren, ehe der Schnee noch dichter fiel. Außerdem war die Hütte Meilen von jeder nennenswerten Siedlung entfernt.

»Ja, na dann viel Glück. Da draußen schneit es inzwischen schon seitwärts«, sagte er, weil er schon genug Mist am Start hatte, ohne sich auch noch um sie sorgen zu müssen, weil sie womöglich in einer Schneewehe festsaß, nachdem er sie vor die Tür gesetzt hatte. »Sie können das Zimmer hier haben. Morgen früh sehen wir dann weiter.«

Shelby verzog den Mund und glotzte ihn an, als hätte er Macht über das Wetter oder Lucy Kavanagh, die PR-Queen der Ice Knights. Endlich entließ sie ein äußerst unzufriedenes Schnauben. »Na schön.«

Okay, eine Schlacht gewonnen. Die Runde ging an ihn. Gott allein wusste, wie gut ihm das tat.

Er ging im großen Bogen um sie – und ihren Elektroschocker – herum zur Tür. »Ich hoffen, Sie sprechen nicht im Schlaf. Es würde mir nämlich nicht gefallen, wenn Sie noch mehr Geheimnisse ausplaudern und noch mehr Leben zerstören.«

Er hätte schwören können, dass er sie so etwas wie »Fick dich doch, Arschloch, das war ein Versehen« brummen hörte, bevor sie ihm die Tür vor der Nase zuknallte. Aber ganz sicher hörte er sie den Schlüssel umdrehen. Was er ihr nicht verdenken konnte. Ihre Lage war eine Katastrophe. Morgen würde er sich zuerst eine andere Hütte suchen, in der er dann hocken und Scotch trinken und jeden anknurren konnte, der ihm in die Quere zu kommen wagte. Zum Teufel, lieber würde er sich ein zu Eis erstarrtes Heckenlabyrinth suchen, in dem er herumlaufen konnte, bis er zu einem Eiszapfen wurde, als mit ihr hier zu bleiben.

Er warf einen Blick aus dem Fenster und sah den sich auf der Auffahrt rasch auftürmenden Schnee. Solange es nur bis zum Morgengrauen zu schneien aufhörte, wäre er noch vor dem Frühstück über alle Berge.

Sein Plan war brillant, und als er am nächsten Morgen erwachte und heller Sonnenschein durch das riesige auf die Auffahrt gehende Fenster fiel, ließ er einen stillvergnügten Seufzer vom Stapel. So hatte er sich das gedacht, verflucht, ruhig und friedlich. Doch dann beging er den Fehler, aus dem Bett zu steigen, zum Fenster zu gehen und hinauszuschauen.

Es gab keine Auffahrt mehr.

Die Straße den Berg hinunter zum Highway war verschwunden. Alles war unter dermaßen viel Schnee begraben, dass jede Hoffnung auf Flucht damit zunichte gemacht war.

Da bahnte sich Shelbys unverkennbar schrille Stimme ihren Weg durch seine geschlossene Tür. »Haben Sie den ganzen saublöden Schnee gesehen? Keiner von uns wird heute irgendwo hingehen!«

Der Klang glich einem Schlag aufs Trommelfell, und er zuckte gequält zusammen.

Sein Leben war so aus den Fugen, dass er nicht einmal allein sein konnte, um dem Elend seiner Existenz in Gesellschaft einer Flasche Scotch auf den Grund zu gehen. Stattdessen saß er hier fest – mit der Frau, die ihm das Leben zur Hölle gemacht hatte.

Schlimmer konnte es kaum werden.

2

Drei Wochen zuvor …

Shelby stand zwei Etagen unter der Eisfläche, auf der die Ice Knights acht Monate im Jahr ihre Siege erkämpften, allein auf dem Gang zwischen der Umkleidekabine und Coach Peppers’ Büro und versuchte nicht zu hyperventilieren oder sich auf die ausgelatschten Pumps zu übergeben, die sie aus den Tiefen ihres unaufgeräumten Kleiderschranks hervorgekramt hatte.

Ihre Hände waren nicht mehr so schweißnass gewesen, seit sie vor sechs Jahren in die Entzugsklinik eingecheckt hatte, was an jenem Morgen jedoch nicht an ihren Nerven lag – sondern daran, dass sie immer noch den Wodka ihrer jüngsten monumentalen Sauftour ausschwitzte. Ihr Nüchternheitschip glitt ihr leicht wie einem Magier, der einen Münztrick vorführt, von einem Finger zum nächsten, als sie die geschlossene Tür anstarrte. Auf der anderen Seite dieser unauffälligen Tür mit dem über die ganze Breite reichenden Druckbügel und dem Schild »Presseraum« lag ihre Zukunft, auf die sie seit dem ersten Tag ihrer Abstinenz hingearbeitet hatte.

Ein beträchtlicher Teil von ihr hätte am liebsten die Flucht ergriffen. Allerdings nicht in die nächste Bar, sondern nach Hause, zu ihrem Laptop und der auf Eishockey versessenen Welt, die sie dort erschuf. The Biscuit war nicht bloß ein Ice-Knights-Fanblog, der sich zur beliebtesten Hockey-Site von Harbor City entwickelt hatte. Der Blog war ihr persönliches Ventil. Manche begannen zu trainieren, andere dampften E-Zigaretten, und wieder andere verbrachten ihre gesamte Zeit mit dem Versuch, alles zurückzuerlangen, was sie auf dem Grund der Flasche versenkt hatten. Shelby hatte sich für Eishockey entschieden. Im Besonderen für die Harbor City Ice Knights. Und jetzt legte sie ihre Reifeprüfung ab, für eine Arbeit im Dienst der Mannschaft, auf die sie voll abfuhr, und die daraus bestand, Web Content und unabhängige Analysen bereitzustellen, als Bestandteil der neuen Social-Media-Plattform des Teams, in der alles von Podcasts bis zu The Biscuit Platz haben sollte. Nie wieder würde sie mit Nebenjobs, Cateringdiensten, Kaffeekochen und Zeitarbeit in irgendwelchen Büros Geld ranschaffen müssen, um ihre Miete bezahlen zu können. Dieser Job war alles, was sie sich wünschte. Sie hatte sich nicht auf althergebrachte familiäre Beziehungen verlassen, um ihn zu ergattern – obwohl einer ihrer früheren Stiefväter einer der Eigentümer der Mannschaft war. Na ja, was nicht hieß, dass sie ihn einfach so anrufen konnte. Schließlich hatten sie seit der Scheidung vor zehn Jahren nicht mehr miteinander gesprochen.

Jetzt musste sie nur noch durch diese Tür gehen.

Also straffte sie die Schultern, stieß den Atem aus, den sie angehalten hatte und – rührte sich keinen armseligen Millimeter von der Stelle.

Mädchen, jetzt reiß dich mal zusammen und verkack das hier nicht.

Sie schob den roten Chip mit der römischen Ziffer VI in ein Fach ihrer Handtasche und schloss konzentriert und wild entschlossen den Reißverschluss. Aufschieberitis? Sie? Großer Gott, ja! Daher zögerte sie auch nicht ranzugehen, als ihr Handy vibrierte und das Bild ihrer Mutter auf dem Display erschien.

»Hey, Mom«, sagte sie und verdrückte sich in die Toilette gegenüber dem Presseraum.

»Du kommst nie drauf, was Tina mir eben erzählt hat«, sagte ihre Mutter, deren Stimme so laut war, als hätte Shelby den Lautsprecher zugeschaltet. Da sie wusste, dass nun ein peinigend ausführlicher Einblick in das Leben von Huckleberry Hills folgen würde, überzeugte Shelby sich rasch davon, dass alle Kabinen verwaist waren, damit niemand sonst mit dem langweiligen Tratsch aus einer der entferntesten Vorstädte von Harbor City traktiert wurde. Aber alle Schlösser der vom Boden bis zur Decke reichenden Türen standen auf grün.

»Und was hat Tina dir erzählt?«, fragte Shelby, nicht so sehr, weil sie auf die Antwort neugierig war, sondern zutiefst dankbar, dass sie den Presseraum des Teams nun vorläufig noch nicht würde betreten müssen.

Tina war eine Fitness-Freundin ihrer Mutter. Jeden Morgen um sechs ging die Nachbarin mit ihrer Mutter zum Power Walking, dann tratschten sie über alles und jeden, der seine Weihnachtsdeko besonders früh anbrachte oder vor dessen Haustür dreimal pro Woche dasselbe merkwürdige Auto parkte, sobald die treusorgende Gattin zur Arbeit gefahren war. Die beiden lebten geradezu für den allerneusten Klatsch.

»Also, du weiß doch, dass Tina eine ältere Schwester hat? Tja, ich wusste das nicht, aber der Sohn ihrer Schwester, also Tinas Neffe«, fügte ihre Mutter unnötig präzisierend hinzu, »spielt Eishockey.«

»Das ist ja ein Ding.« Seit Shelby The Biscuit ins Leben gerufen hatte, sorgte ihre Mutter dafür, ihr alles, was ihr begegnete und auch nur im Entferntesten mit Eishockey zu tun hatte, brühwarm aufzutischen. »Beim Nachwuchs?«

»Bei den Ice Knights. Er heißt Adam Christmas. Oder Andy Crawford. Oder –«

»Alex Christensen?« Der Angriffsspieler war einer der Besten in der Mannschaft und ein wesentlicher Bestandteil ihrer Anstrengungen, bei den Play-offs als Nummer eins vom Eis zu gehen.

»Ja, genau.« Ihre Mom stieß ein kleines triumphierendes Krächzen aus. »Aber das ist nicht die große Neuigkeit.«

Gewiss würde sie als Nächstes erfahren, mit wem Alex gerade ging – oder besser eine Auswahl, mit wem auch immer er zurzeit vielleicht ging.

»Sein Vater ist David Petrov, und das bedeutet –«

Alles klar, Mom und Tina waren nach dem Laufen definitiv zu Bellinis bei Tina eingekehrt. »Nee, Mom, David Petrov ist Ian Petrovs Vater.« Der Mann hatte, seit er in einem einzigen Spiel acht Treffer erzielt hatte, einen sicheren Platz in der Eishockeyruhmeshalle. Er war eine Eislegende, und die Spieler, die nach ihm gekommen waren, flüsterten immer noch seinen Namen, als wäre er ein Hockeygott. »Ian spielt auch für die Ice Knights.«

»Weiß ich doch. Deshalb ist es ja so umwerfend.« Der entkräftete Seufzer ihrer Mom, der besagen sollte, dass sie ihr nie zuhörte, gab Shelby das Gefühl, wieder dreizehn Jahre alt zu sein. »Alex und Ian sind Brüder – also, Halbbrüder, nehme ich an –, und jetzt spielen sie zusammen in derselben Mannschaft. Ist das nicht reizend? Das solltest du wirklich posten. Das ist doch mal herzerwärmend.«

»Das kann unmöglich stimmen.« Wenn das wahr wäre, hätte irgendwer im Team bestimmt mal ein Wort darüber fallen gelassen. Die beiden waren auf dem Eis und außerhalb praktisch unzertrennlich. Da hätte doch mal jemand eine Familienähnlichkeit oder sonst irgendeine Verbindung bemerken müssen.

»Ich nehme mal an, Tina weiß, wer der Vater ihres Neffen ist.« Ihre Mutter hielt inne und senkte die Stimme zu ihrer Version eines Flüsterns, was immer noch laut genug war, dass man sie im ganzen Supermarkt hören konnte. »Sie hat Fotos von den beiden auf ihrem Handy, von einer Weihnachtsfeier vor einer Ewigkeit. Sie ist auf ein Bild von diesem Alex und seinem riesigen Vater im Hintergrund gestoßen, als sie alte Fotos durchsucht hat. Die beiden trugen darauf die gleichen Pullover. Tina meinte, sie könnte sich noch an das Weihnachtsfest erinnern. Ihre Schwester ist damals fast durchgedreht, weil jemand Fotos gemacht hat und der Vater dabei war. Sie glaubt, dass dieser David womöglich von der Polizei gesucht wurde.«

»Wow«, sagte Shelby und ihre Gedanken überschlugen sich.

Denn David Petrov war den Kameras sicher nicht wegen eines offenen Haftbefehls aus dem Weg gegangen. Sondern weil er noch eine zweite Familie hatte. Ians Eltern waren bis vor ein paar Jahren noch verheiratet gewesen. Und wenn Tina die Wahrheit sagte, dann …

Eine Wasserspülung rauschte, die Tür der Mittelkabine ging auf und Maddie Peters, die Kolumnistin der Harbor City Post, kam heraus, ein überlegenes Grinsen im Gesicht.

Scheiße. Scheiße. Scheiße.

Hier ging es um eine große Sache. Binnen einer Minute würde sich jede Medien-Site von Harbor City darauf stürzen, und wenn alle, die irgendwas damit zu schaffen hatten, absichtlich nichts gesagt hatten, konnte das, wenn die Geschichte jetzt bekannt wurde, durchaus den Zusammenhalt der Mannschaft gefährden. Und das wiederum konnte die Play-offs ruinieren. Was Maddie aber komplett am Arsch vorbeigehen würde – ihr ging es immer nur darum, eine Story an Land zu ziehen, an die sonst niemand herankam. In der Medienwelt von Harbor City wurde mit äußerst harten Bandagen gekämpft und Maddie behauptete sich schon lange gegen die Konkurrenz. Sie war eine Furcht einflößende Legende. Und nun hatte sie alles mit angehört.

Shelby würgte das »Ach du Kacke« hinunter, das ihr auf der Zunge lag. »Mom«, sagte sie, ein bisschen panisch, weil ihre ganze Hoffnung auf den neuen Job jetzt am seidenen Faden hing wie ein Elefant am Wollknäuel. »Ich muss Schluss machen.«

Sie beendete das Gespräch und versuchte sich darüber klar zu werden, was sie als Nächstes tun sollte, während Maddie sich die Hände wusch und noch eine Schicht rosa-goldenen Lippenstift auftrug. »Vielen Dank für den Knüller.«

»Ich bin sicher, da haben bloß die Bellinis aus ihr gesprochen.« Sie gab sich alle Mühe, überzeugend zu kichern, dennoch war die Panik in ihrer Stimme nicht zu überhören. »Tina labert dauernd so einen Scheiß.«

»Oh, keine Sorge«, sagte Maddie, als sie zur Tür ging und sie öffnete. »Ich tue, was ich kann, um Sie da rauszuhalten. Ihr glanzvoller Platz am Tisch der Ice Knights ist nicht in Gefahr.«

Damit ging sie hinaus und ließ Shelby alleine in den Toiletten stehen – diesmal wirklich – und sich den Kopf darüber zerbrechen, ob sie noch hyperventilierte oder schon einen Herzinfarkt hatte. So oder so steckte sie bis zum Hals in der Scheiße. Noch vor ein paar Jahren hätte sie sich die nächste Bar mit den billigsten Drinks gesucht, und sich nicht einzugestehen, dass die Versuchung immer gegenwärtig war, wäre Selbstbetrug gewesen. In diesem Moment summte sie in ihren Ohren wie ein Lied, das sie sich nicht aus dem Kopf schlagen konnte. Manchmal lauter, manchmal weniger laut, aber nach sechs Jahren war sie allmählich fähig, das Summen auszublenden – wenigstens ein bisschen. Sie warf einen Blick auf die Tattoo-Ranke an ihrem Arm, zählte die Dornen und atmete tief ein und aus.

Nach dem letzten Ausatmen ging sie zur Tür. So unwahrscheinlich es auch sein mochte, dass Maddie die Story, mit der Tina um sich warf, erhärten konnte, war Shelby ihrem neuen Arbeitgeber gegenüber verpflichtet, die PR-Abteilung wissen zu lassen, was sich da zusammenbraute.

Zwei Wochen zuvor …

Ian spazierte in den Fitnessraum der Mannschaft, der so voll war wie die Muckibude um die Ecke nach Neujahr. Alle, die das Trikot der Ice Knights trugen, zogen an einem Strang und rangen sich das Quäntchen mehr ab, das am Ende, wenn die Play-offs losgingen, die Entscheidung bringen konnte. Im vergangenen Jahr war das Team zu nassforsch gewesen und nach sechs Spielen sang- und klanglos untergegangen. Das würde sich nicht wiederholen. Das waren seine Jungs, und dies würde ihr Jahr werden.

Zum fünften Mal, seit er das Gebäude betreten hatte, brummte das Handy in seiner Trainingshose. Ja, alles klar. Er wollte gerade eine Million Sachen lieber tun als telefonieren, aber wer auch immer am anderen Ende wartete, war verflucht hartnäckig. Er durchquerte den Trainingsraum und ging zur Umkleide am anderen Ende, wo er seine Sporttasche fallen ließ. Er griff in dem Moment nach dem Handy, als das Brummen aufhörte. Auf dem Display erschien die Benachrichtigung, dass er einen Anruf seines Vaters versäumt hatte, aber das war es nicht, weshalb er wie angewurzelt stehen blieb, sondern der Text gleich unter dem gemeldeten verpassten Anruf. Die Nachricht kam von der Harbor City Post und ergab absolut keinen Sinn.

Heimliche Brüder bei den Ice Knights: David Petrov gibt alles zu.

Wenn man bedachte, dass David-der-Arsch-Petrov sein Vater war und er keine Brüder hatte – nur zwei Schwestern, die einen erwachsenen Mann mit einem Blick zum Heulen bringen konnten –, war das absoluter Blödsinn. Er würde wohl mit Lucy Kavanagh, der Leiterin der PR-Abteilung, reden müssen, sie würde sich schon darum kümmern. Kopfschüttelnd setzte er seinen Weg in die Kabine fort. Selbst jetzt noch, an einem der Wendepunkte seiner Kariere, da endlich alles gut lief und er seine Gesellenzeit allmählich hinter sich ließ, da er es endlich ins Profiteam geschafft hatte, drängelte sich sein Vater ins Rampenlicht.

Was ihn inzwischen aber nicht mehr überraschen sollte.

So war es schon immer gewesen. Nie war er nur Ian Petrov, sondern immer auch David Petrovs Sohn, an den ein Maßstab angelegt wurde, dem niemand – mit Ausnahme seines Kumpels Christensen, dem verdammten Überflieger – jemals genügen konnte. Aber da er seine Mannschaftskameraden kannte, die ihn wegen seines angeblichen »Bruders« nach Strich und Faden verarschen würden, konnte er auch gleich nachsehen, wer dafür ganz sicher nicht infrage kam.

Als er die Story anklickte, erschien ein Foto von ihm und seinem Dad, sie standen nah beieinander, in den Gesichtern das gleiche schiefe Grinsen, im dunkelbraunen Haar die gleichen Wirbel, die beide Männer inbrünstig hassten. Rechts von dem Foto sah er ein älteres Bild von Christensen, das in den Wochen vor seiner Aufnahme in die Mannschaft aufgenommen worden war. Sein hellbraunes Haar war damals noch länger und lockiger gewesen. Auch er grinste, aber nicht so schräg, sondern gerade heraus. Wieso war ihm nie aufgefallen, dass sein Vater und Christensen die gleichen grünen Augen, das gleiche Grübchen im Kinn und die gleiche spitz zulaufende Nase hatten? Vermutlich, weil er die beiden noch nie im selben Raum gesehen hatte, ganz zu schweigen von nebeneinander platzierten Fotografien. Ein komischer Zufall, ja, der eine gierige Journalistin definitiv auf allerlei Ideen bringen konnte. Der Post war es, als sie diese Schlagzeile verzapft hatte, zweifellos um Klicks und nicht um die Wahrheit gegangen.

Er gluckste, schloss die Story und schob sein Handy zurück in die Sporttasche, als er um die Ecke zu seinem Spind bog. Und da saß Christensen schon, ausnahmsweise mal früh, auf der Holzbank.

»Na, wenn das mal nicht mein lang verschollener Bruder ist«, rief Ian und ließ mit einem lauten Klatschen seine Tasche auf die Bank fallen. »Hast du gesehen, was für ein Scheiß in der Post steht? Mann, da hätten die sich genauso gut aus den Fingern saugen können, dass wir zusammen gehen oder so was, oder?«

Doch Christensen hielt zum ersten Mal im Leben die Klappe. Er saß nur mit gesenktem Blick da. Nun rührte sich erstes Unbehagen in Ian Petrov, er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. So wie in den Momenten, wenn er einen Rempler am Rand seiner Wahrnehmung kommen sah, oder wenn der Puck unversehens auf ihn zugesegelt kam. Als wären sein sechster Sinn und eine beginnende Erkältung sehr seltsame Zwillinge.

»Alter.« Er blieb vor Christensen stehen. »Kein Mensch wird denken, dass wir wirklich Brüder sind.«

»Ian.« Sein bester Freund hob den Blick, seine Kiefermuskeln arbeiteten auf Hochtouren. »Ich habe Lucy gebeten, mir etwas Zeit zu verschaffen.« Christensen rieb sich mit heftigen, ruckartigen Bewegungen den Nacken. »Ich war mir sicher, sie kriegt das hin. Sie kriegt doch immer alles hin.«

Irgendein tief verwurzelter Überlebensinstinkt verdrängte das meiste von dem, was gerade aus Christensens Mund gekommen war, als wäre es gefährliche radioaktive Strahlung. Stattdessen hielt er sich an den Rest, klammerte sich daran und wollte auf keinen Fall loslassen.

»Petrov«, sagte er mir rauer Stimme. »Du nennst mich immer nur Petrov. Du hast noch nie Ian zu mir gesagt.«

Christensen verdrehte die Augen und warf die Hände in die Höhe. »Ist es das, was dich gerade interessiert, dass ich dich mit deinem Vornamen angesprochen habe?«

»Ja«, sagte er und baute sich vor seinem Freund auf – mehr als das war er nicht: ein Freund.

»Schön, Petrov«, sagte Christensen, den Nachnamen hervorhebend. »Ich wollte nicht, dass du es so herausfindest. Ich wollte es dir sagen, aber irgendwie war es nie der passende Zeitpunkt, und Dad wollte nicht, dass ich was sage, und da –«

»Dein Dad«, fiel Ian ihm ins Wort, der sich verzweifelt an die Fakten klammerte – denn um Fakten handelte es sich ja.

»Unser Dad«, widersprach Christensen langsam und bedächtig.

Nein. Das konnte nicht sein. Petrov wollte es nicht mal für möglich halten. Er hatte feuchte Hände, in seinen Ohren rauschte es, als das Blut mit dreifacher Geschwindigkeit durch seine Adern raste, und es drehte ihm den Magen um, während er sich an die Welt zu klammern versuchte, die er kannte. Ja, seine Eltern waren geschieden, aber sie waren Jahrzehnte lang verheiratet gewesen. Er hatte zwei Schwestern. Kayla und Ashley. Sein Vater war ein ganz normaler Blödmann – ein Eishockeygott und ein beschissener Vater –, aber nicht der Typ Arschloch, der eine zweite Familie unterhielt.

»Als dieses Biscuit-Mädel Lucy erzählt hat, was die Post-Journalistin mitgekriegt hat, hab ich sie um einen Aufschub gebeten, weil ich es dir selbst sagen wollte, um dir alles zu erklären.«

»Um mir was zu erklären?« Es konnte unmöglich sein, was ihm anscheinend jeder weismachen wollte. Er weigerte sich, das zu glauben.

»Dass dein Vater meine Mutter geschwängert hat und dass wir deshalb Brüder sind«, brüllte Christensen, sprang auf und baute sich unmittelbar vor Petrov auf. »Alles klar? Habe ich mich einfach genug für dich ausgedrückt? Wir haben dieselbe DNS wie dieses Arschloch.«

Ian stieß den anderen so hart gegen die Brust, dass der einen Schritt zurücktaumelte. »Sprich nicht so von meinem Vater!«

»Was? Weil du so ein großer Fan von ihm bist?« Er verschränkte die Arme, seine Lippen verzogen sich zu einem gemeinen Grinsen. »Wie oft hast du gesagt: ›Wenn die Welt wüsste, wie David Petrov wirklich ist‹? Eine Milliarde Mal müsste hinkommen. Er hat deine Mutter betrogen und meiner hat er Geld gegeben, damit sie die Klappe hält – und ich auch.«

»Sie lügt«, sagte Petrov. Angetrieben von dem dringenden Bedürfnis, seine Welt zu retten, seine Mutter vor der Wahrheit zu schützen und wenigstens eine Illusion über den Mann zu bewahren, der ihn aufgezogen hatte, sprudelten die Worte aus ihm heraus. »Sie hat die Beine für irgendeinen Eishockeyschwanz breitgemacht, um ihn anschließend zu erpressen, und dann hat sie all die Jahre nicht lockergelassen.«

Den Bruchteil einer Sekunde später stand er an die Spinde gepresst, die Lüftungsschlitze bohrten sich in seine Wange, und Schmerz mischte sich in die rohen Gefühle, die in ihm miteinander rangen.

»Kein verdammtes Wort über meine Mutter«, sagte Christensen, sein Gesicht glühte rot vor Wut, und in seinen Augen glänzten Tränen. »Kein. Verdammtes. Wort.«

Und in dem Moment wusste er Bescheid. Er brauchte keinen DNS-Test oder die Bestätigung seines Vaters. Scheiße. Er hatte in dem Augenblick Bescheid gewusst, als er die Fotos der beiden nebeneinander gesehen hatte. Die Geschichte hatte Christensen ebenso wie ihn aus der Bahn geworfen, und nun mussten sie zusehen, wie sie hinter ihrem gemeinsamen Erzeuger aufräumten. Er entließ einen tiefen Atemzug und nickte Christensen zu, der ihn losließ und einen Schritt zurücktrat. Dann musterten sie einander wachsam, an Stellen verwundet, die der andere nicht sehen konnte.

»Seit wann weißt du es?«, fragte Petrov.

»Seit der Mittelschule.«

Das zu hören war, als würde er krachend in die Bande schlittern. Seit drei Jahren waren sie auf dem Eis und privat praktisch unzertrennlich, und Christensen hatte es die ganze Zeit gewusst? Fuck, der Apfel fiel wirklich nicht weit vom Stamm! Wie sein Vater manipulierte und verdrehte er alles zu seinen Gunsten.

»Dann hast du dich bestimmt köstlich amüsiert, als du an die Ice Knights verkauft wurdest.« Petrov drängte sich an dem anderen vorbei und rempelte ihn mit der Schulter an, bevor er zum Ausgang marschierte. »Hat dir das Spaß gemacht? Die ganze Zeit Bescheid zu wissen?«

»Ich dachte, du weißt es, und als mir dann klar wurde, dass du keine Ahnung hast, wusste ich nicht, wie ich es dir erklären sollte. Dad meinte, es würde für dich alles kaputt machen, wenn du es erfährst, also habe ich den Mund gehalten.«

»Wie praktisch.«

»Verdammt, willst du mich verarschen?« Christensen brüllte jetzt beinah, als er lostürmte und Ian in den Weg trat. »Daran war gar nichts praktisch. Während du in deiner reichen Familie aufgewachsen bist, habe ich mit angesehen, wie meine Mom zwei Jobs gemacht hat, um die Miete bezahlen zu können. Du warst der Junge mit dem Silberlöffel im Mund, du bist in den Urlaub gefahren, du hattest Familienfeiern, und dein Alter hat dir gezeigt, wie es beim Eisjockey läuft, während ich nicht mal einen eigenen Nachnamen hatte.«