Sophie. Die Kaisermacherin - Michaela Baumgartner - E-Book

Sophie. Die Kaisermacherin E-Book

Michaela Baumgartner

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Beschreibung

Mit gemischten Gefühlen, aber jeder Menge Optimismus im Gepäck verlässt Sophie, die Tochter des bayrischen Königs, 1824 ihre geliebte Heimat. Dass künftige Generationen sie ausgerechnet als böse Schwiegermutter ihrer charismatischen Nichte Sisi in Erinnerung behalten werden, kann sie zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen. Ihr steht ein langer, harter Weg bevor - von der lebenslustigen Biedermeierprinzessin zur mächtigsten Frau am Wiener Kaiserhof.

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Seitenzahl: 366

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Michaela Baumgartner

Sophie. Die Kaiser­macherin

Roman über Sisis ungeliebte Schwiegermutter

Impressum

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Christine Braun

Satz: Julia Franze

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Illustration Lutz Eberle nach einem Foto von Brooklyn Museum Costume Collection at The Metropolitan Museum of Art – Evening dress, 1850–55; https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.en

ISBN 978-3-7349-3338-7

Prolog

Ächzend lehnt er sich zurück und wuchtet mit einem deutlich vernehmbaren Stöhnen seine Beine auf den Schreibtisch. Was für ein Tag! Ihnen rennt die Zeit davon, und jetzt, am späten Abend, wartet noch der leidige Papierkram auf ihn. Wenn die Leute wüssten, wie es bei einer Filmproduktion hinter den Kulissen zugeht. Honorardiskussionen, Verträge, Versicherungen, Drehgenehmigungen – ein wahrer Albtraum. Am Set gibt es keinen Grund zur Klage, Gott sei Dank, abgesehen von dem einen oder anderen Geplänkel. Aber kapriziös sind sie alle auf ihre Art. Bis auf das Mädel, das ist eine Wucht! Für die Entscheidung, der Ziemann den Laufpass zu geben, klopft er sich immer noch auf die Schulter. Schockverliebt hat er sich, als ihm die gute Magda bei einem gemeinsamen Abendessen ihre knapp 15-jährige Tochter Romy vorgestellt hat. So süß, die Kleine, eine Traumbesetzung für die »Sissi«. Als blutige Anfängerin spielt sie alle an die Wand. Der steht eine Batzenkarriere bevor, davon ist er überzeugt. Sogar eine Grande Dame wie die Degischer hat zu tun, um neben ihr nicht unterzugehen.

Herrje, die Degischer! Die hat er ja völlig vergessen!

Und wie auf Bestellung tönt ihre unverwechselbar herrische Stimme mit aller Schärfe durch die Hallen. »Natürlich ist er da, was erlauben Sie sich!«

»Aber der Herr Marischka …« Seine Sekretärin klingt verzweifelt.

»Ich will sofort mit ihm sprechen! Noch einmal lass ich mich nicht abspeisen.« Und schon reißt Vilma Degischer die Tür auf.

In der Eile fällt er mit der ganzen Pracht seiner Leibesfülle fast vom Stuhl, er kann ihr schließlich nicht die Schuhsohlen in das perfekt geschminkte Gesicht strecken.

Sie quittiert seine unbeabsichtigte Slapstick-Einlage mit einem maliziösen Lächeln. »Na, das hätten wir uns erspart, wenn …«

»Ich weiß, ich weiß und bitte untertänigst um Vergebung«, unterbricht er sie hastig und schafft in einem zirkusreifen Balanceakt aus dem fast freien Fall sogar einen formvollendeten Handkuss. Erleichtert stellt er fest, dass sie ihn gnädig mustert.

»Die Kleine wird zu wichtig«, kommt sie sofort zur Sache. »Der arme Böhm kann sich überhaupt nicht entfalten. Dass ihre Mutter das nur zu gern sieht, ist klar. Aber ich …«

»Aber Sie haben damit doch kein Problem. Das kleine Mäderl kann Ihnen nicht das Wasser reichen«, schmeichelt er sicherheitshalber.

Ihre Lippen werden gefährlich schmal. Die Rolle der bösen Schwiegermutter ist ihr wie auf den Leib geschneidert, findet er, nicht zum ersten Mal.

»Sie brauchen sich nicht bei mir einzuschleimen, mein Bester. Ich will mit Ihnen über meine Rolle sprechen.«

»Die ist doch ganz fabelhaft«, entgegnet er rasch. »Die perfekte Antagonistin zum Zuckerguss der Kleinen. Und niemand könnte sie besser verkörpern als Sie. Diese erbarmungslose Resolutheit, die Frau hat die Hosen an! Eine Traumrolle voller Herausforderungen.« Er redet sich so richtig in Rage. »Jedes Märchen braucht eine Hexe«, schließt er zufrieden. Moment, hat er das gerade wirklich gesagt? Es scheint so, denn die Miene der Degischer verzieht sich aufs Unheilvollste. Sie schaut derart finster drein, dass er es fast mit der Angst zu tun bekommt.

»Ich weiß, dass ich ein eher herber Typ bin«, entgegnet sie gefährlich ruhig. »Das süße Mädel passt nicht zu mir, hab ich auch nie gespielt. Mutterrollen allerdings bekam ich schon zu einer Zeit, als ich vom Alter her noch gar keine so großen Kinder haben konnte. Anscheinend hatte ich früh den richtigen Ton dafür gefunden.«

»Wie wahr«, bekräftigt er, um Schadensbegrenzung bemüht, und erntet erneut einen scharfen Blick.

»Verstehen Sie mich nicht falsch, ich spiele sie gern, die Erzherzogin Sophie. Eine starke Frau, eine spannende Person, intelligent, mächtig und durchsetzungsorientiert in einer Zeit, in der Frauen nicht viel zu sagen hatten.«

Ernst Marischka nickt eifrig.

»Aber …«, eine kunstvolle Pause, »aber sie ist mir zu wenig stark moduliert, zu oberlehrerinnenhaft. Die Sophie, wie Sie sie darstellen, wirkt kalt wie ein Gefrierschrank. Dabei hat sie ihren Sohn so sehr geliebt, dass sie für ihn auf den Thron verzichtet hat. Was für eine Größe! Diese Frau hatte ein Herz, und das möchte ich zeigen. Wir haben mit diesem Projekt ein wichtiges Kapitel der österreichischen Geschichte aufgeschlagen, da sollten wir doch so dicht wie möglich an der Wahrheit bleiben, nicht wahr?«

Marischka seufzt. Manchmal hasst er seinen Job. Warum kann sich nicht jeder auf seine Rolle beschränken? Er ist der Regisseur, er sagt, wo’s lang geht. Wo kommen wir da hin, wenn Schauspielerinnen ihre Figuren selbst anlegen? Aber wie soll er ihr das erklären, ohne sie vollends zu verstimmen?

Ein Blick auf den Schreibtisch und den Berg an Papieren belehrt ihn eines Besseren. Gar nichts wird er erklären.

»Sie haben vollkommen recht, meine Liebe. So hab ich das noch nicht gesehen. Ich werde mich bemühen.« Er nickt bekräftigend. »Sie sollen schließlich zeigen, was Sie können«, fügt er stromlinienförmig hinzu.

Es funktioniert, stellt er erleichtert fest. Sie wirft ihm sogar ihr umwerfend charmantes Lächeln zu.

»Da bin ich gespannt«, erwidert sie und verlässt ohne ein weiteres Wort sein Büro.

Wie ein Sack Mehl plumpst er auf seinen Stuhl und wischt sich die Stirn. Kopfschüttelnd macht er sich an seine Arbeit. In gewisser Weise kann er sie ja verstehen, die Degischer, wenn sie sich unterfordert fühlt mit ihrer Rolle. Trotzdem. »Die Wahrheit! Wen interessiert die Wahrheit?«, brummt er in sich hinein. »Wer weiß schon, was vor mehr als hundert Jahren wirklich passiert ist? Jetzt schreiben wir das Jahr 1955, die Menschen wollen unterhalten werden. Das haben sie sich nach diesem elenden Krieg auch verdient. Modulierte Charakterrollen? Eine totale Themenverfehlung! Kitsch ist das beste Mittel gegen Trauer, der wird nicht moduliert – und damit basta.«

Königliche Kinderstube

»Fifi!« Die helle Stimme ihrer Zwillingsschwester Marie gellt durch das Vestibül.

»O nein!« Behände schwingt sich Sophie, die kleine Prinzessin von Bayern, so rasch es ihr knöchellanges Seidenkleidchen erlaubt, von ihrem Schaukelpferd, schnappt sich die Porzellanpuppe mit dem abgebrochenen Zeh und flüchtet, über verstreutes Spielzeug hüpfend, aus dem Thronsaal der Münchner Residenz. Es sieht wieder besonders unordentlich aus, fast wäre sie über Mister Kakadu gestolpert, ihren geliebten Ball.

Auch die aktuelle Erzieherin hat resigniert, wie all ihre Vorgängerinnen. Sophies Eltern, seit vier Jahren König und Königin von Bayern, lieben es nun einmal, den Amtsgeschäften inmitten ihrer Kinderschar nachzukommen, da soll die Nase rümpfen, wer will.

Atemlos versteckt sie sich hinter einem der schweren Brokatvorhänge und unterdrückt einen Hustenanfall. Der Stoff riecht komisch, stellt sie fest, dumpf, ein bisschen wie Großmutter Amalie nach dem Aufstehen. In einer Aufwallung kindlichen Zorns ballt sie die zarten Fäuste. Dass man auch nie in Ruhe spielen kann! Ich bin doch gerade erst zu dem verwunschenen Schloss aufgebrochen, wo der verzauberte Prinz auf seine Rettung wartet. Ich kann ihn jetzt nicht im Stich lassen! Nicht auszudenken, was passiert, wenn der böse Drache ihn findet.

Sie reibt sich die Nase. Nur nicht niesen, denkt sie, sonst findet mich Marie. Außerdem, ich bin doch kein Hund! Dass ihr Name von allen Mitgliedern ihrer großen Familie derart verballhornt wird, goutiert sie ganz und gar nicht. Fifi, Fefe, Pipi, Pifi, Bibi oder Sinpilfer … »Sophie« findet sie viel hübscher.

Sophie Friederike Dorothea Wilhelmine seufzt tief auf. Ihre Chancen, diese Familientradition zu ändern, stehen für sie sehr gering, als drittes von fünf Kindern – die drei älteren Halbgeschwister aus der ersten Ehe ihres Vaters nicht mitgezählt.

Sie denkt angestrengt nach. Warum hat die Aja mich gestern gefragt, ob ich noch ein Brüderchen oder Schwesterchen haben möchte? Sophie blickt auf ihre Hände und starrt entsetzt den kleinen Finger ihrer rechten Hand an. Dann wären wir ja neun! Unmutig streicht sie den glänzenden Rock der Puppe glatt. Sie liebt ihre Familie wie verrückt, das tut in diesem Fall aber leider nichts zur Sache. Ich werde wohl immer Fifi bleiben – Prinzessin hin, Königliche Hoheit her.

Energisch reckt sie ihr Kinn. Eines Tages, so schwört sie sich an diesem 27. Januar 1810, ihrem fünften Geburtstag, werde ich es sein, die den Ton angibt. Und keiner wird es mehr wagen, mir Hundenamen zu geben!

Schon hört sie Maries trippelnde Schritte näher kommen, nun gibt es kein Entrinnen mehr. Widerwillig wagt sie sich aus ihrem Versteck.

»Da bist du ja!« Eifrig packt Maria Anna Leopoldine Elisabeth Wilhelmine, wie ihre nur um wenige Minuten jüngere Schwester mit vollem Namen heißt, sie am Arm. »Komm, es gibt Schokoladentorte und gaaaanz viel Eis.«

Das lässt sich Sophie nicht zweimal sagen. Hand in Hand laufen die kleinen Prinzessinnen in den königlichen Speisesalon.

»Wer als Erste da ist!«, ruft Sophie übermütig, reißt sich los und wirft sich mit einem seligen Lächeln in die Arme ihrer geliebten Maman.

Träume, Tüll und Tränen

Leise plätschern die Wellen ans Ufer. Der Tegernsee glitzert in der Abendsonne. Sophie sitzt auf ihrem Lieblingsfelsen, hört dem Zwitschern der Amseln zu und atmet den Duft des frischen Grüns. Ihr Pferd grast friedlich vor sich hin, während sie versucht, diesen perfekten Moment in ihrem Skizzenbuch einzufangen. Sie inspiriert sie stets aufs Neue, diese einzigartige Harmonie der bayrischen Landschaft mit ihren sanften bewaldeten Hügeln, den satten Wiesen und dem Schloss, das am Seeufer thront, als wäre es schon immer da gewesen. Kurz schließt sie die Augen, um das aufregende Farbenspiel des Wassers zu verinnerlichen. Vom tiefen Blau in der Mitte des Sees über das intensive Türkis, das sie so liebt, bis zum lehmigen Gelb des Uferrandes. Sie wird die vielen verschiedenen Töne später hinzufügen, zu Hause an ihrer Staffelei mit den Aquarellfarben, die sie zum Geburtstag, ihrem neunzehnten, bekommen hat.

Was für ein wunderschöner Frühlingstag! Seit Stunden irrlichtert sie mit Flöckchen, ihrer Lieblingsstute, den See entlang, wo es das Gelände erlaubt, in gestrecktem Galopp. Das ist es, was ihr in München fehlt. Die Natur, die Ruhe. Und das Alleinsein, hin und wieder. In der Residenzstadt darf sie ohne Begleitung nirgendwohin.

Sophie gibt sich einen Ruck, es wird Zeit zu gehen. Morgen ist ein großer Tag, der Tag, auf den sie seit ihrer Kindheit vorbereitet wurde. Ein Teil von ihr fürchtet sich davor, der andere ist voller Vorfreude. Maman hat gesagt, sie soll ihn sich nur anschauen und sich ruhig Zeit lassen mit ihrer Entscheidung. Die Bilder, die sie bisher von ihm gesehen hat, sind wenig vielversprechend, aber das Aussehen ist ja nicht entscheidend. Erzherzog Franz Karl, der Sohn des österreichischen Kaisers, ist auf jeden Fall eine glänzende Partie, da kann man über den einen oder anderen äußeren Makel durchaus hinwegsehen. Er selbst war angeblich überaus angetan von dem Miniaturgemälde, das er von ihr erhalten hat. So wurde ihr zumindest berichtet. Und nun wird er an den Tegernsee kommen, um sie kennenzulernen. Hoffentlich kann sie gut schlafen. Augenringe und ein blasser Teint sind das Letzte, was sie morgen braucht. Sophie möchte auf jeden Fall einen guten Eindruck machen.

Liebevoll tätschelt sie Flöckchens Hals. »Alles wird gut, nicht wahr?«, flüstert sie ihr zu.

Die Stute schnaubt zufrieden und legt den Kopf auf Sophies Schulter.

»Das heißt wohl ja.« Sophie wirft einen letzten Blick auf den See. »Jetzt müssen wir aber los, sonst wird die Rotberg am Ende noch mit uns schimpfen.«

Das sauertöpfische Gesicht ihrer Erzieherin vor Augen, grinst sie in sich hinein, während sie den Weg zurück zum Schloss in flottem Galopp zurücklegt. Ausnahmsweise lässt sie heute die Hindernisse aus, man muss Fortuna ja nicht herausfordern.

*

Sophie schläft unruhig in dieser Nacht. Häufig schreckt sie hoch, und als sich am nächsten Morgen die Sonne durch die geblümten Seidenvorhänge stiehlt, fühlt sie sich wie gerädert. Doch ein erster alarmierter Blick in den Spiegel ihres Toilettentischchens beruhigt sie. Sie sieht, warum auch immer, aus wie das blühende Leben. Ihre ausdrucksvollen blauen Augen strahlen, die vollen Wangen sind leicht gerötet, sogar ihr braunes Haar glänzt. Erleichtert hüllt sie sich in ihren Morgenmantel und läutet nach der Kammerfrau.

Die Garderobe für diesen wichtigen Tag war seit Wochen Gegenstand eifriger Erörterungen mit ihren Schwestern und Maman, die die Schneiderin an den Rand der Verzweiflung trieben. Zweimal musste sie Ärmel und Dekolleté umarbeiten, die Rüsche am Rocksaum wurde verlängert, gekürzt, gänzlich entfernt und dann doch in ihrer ursprünglichen Version wieder angenäht. Einzig die Farbe stand von Anfang an außer Streit. Himmelblau. Da waren sich alle einig.

Als sie pünktlich auf die Minute das Speisezimmer betritt, ist Maman nicht allein. Marie und ihre jüngste Schwester Ludovika – alle nennen sie Luise – nehmen sie neugierig in Augenschein. Sie kichern und albern so lange herum, bis ihre Mutter sie aus dem Salon treibt. Es gebe noch einiges zu besprechen, das nicht für ihre Ohren bestimmt sei, erklärt sie resolut. Dann wendet sie sich an Sophie. »Du bist heute besonders reizend anzusehen.«

Sophie gibt ihr im Stillen recht, sie fühlt sich wohl in dem schulterfreien Seidenbatistkleid mit den zierlichen Maschen und den nach der neuesten Mode frisierten Locken. Was es wohl so Wichtiges zu besprechen gibt? »Ich kann es kaum erwarten, bis er ankommt«, gesteht sie ihrer Mutter. Sie trinkt einen Schluck aus der für sie bereitgestellten Tasse und bestreicht ein Milchbrötchen dick mit Butter. »Der Kaffee schmeckt übrigens herrlich.«

Maman legt beruhigend eine Hand auf ihr Knie.

Jetzt erst fällt Sophie auf, dass sie die Füße nicht still halten kann. Sie ist tatsächlich aufgeregt. Vielleicht sollte sie besser Tee trinken.

Als könnte sie Gedanken lesen, winkt ihre Mutter den livrierten Diener heran. »Eine Tasse Tee für meine Tochter.«

Maman ist so ernst. Da wird Sophie gleich noch nervöser.

»Du solltest deine Erwartungen heute nicht allzu hochschrauben, mein Kind. Franz Karl ist wahrlich kein Adonis. Aber vor zehn Jahren war noch sein älterer Bruder als Kandidat im Gespräch. Nicht auszudenken!«

Sogar Kaiser Franz, der Vater der beiden Brüder, wertete das Aussehen und die geistigen Fähigkeiten seiner Söhne vor einer Weile mit einem resignativen »Dass es Gott erbarm«. Das machte am bayrischen Königshof schnell die Runde.

Der arme Ferdinand ist besonders schlimm dran, findet Sophie. »Erinnern Sie sich, Maman, damals in München im Theater? Erst hat er die Vorstellung verschlafen – und dann das!« Sie kichert. Was »das« war, will sie nicht laut aussprechen. Die ganze Zeit haben die Besucher über sein Aussehen getuschelt, seinen deformierten Kopf, seine gebückte Haltung, den seltsam geformten Mund mit der dicken Unterlippe, der immer ein wenig offen stand. Und als er aufwachte … Alle haben es gehört, bis in die hintersten Reihen. Der Sohn des Kaisers hat geräuschvoll gepupst, wie unendlich peinlich!

Sophies Mutter geht nicht darauf ein. »Deine Schwester Charlotte und ich haben ohnehin umdisponiert, Ferdinand kommt als Kandidat nicht mehr infrage. Franz Karl ist zwar nur Zweiter in der Thronfolge, aber der Kaiser setzt alle Hoffnungen auf ihn. Ferdinand wird wohl nie einen Thronfolger zeugen können.«

Dieses Thema ist Sophie nun wirklich unangenehm. Sie hält sich die Ohren zu, das macht sie seit ihrer Kindheit, wenn sie etwas nicht hören will.

Ihre Mutter lächelt nachsichtig. »Bald wirst du dir selbst ein Bild machen. Versprich mir nur, dir die Entscheidung noch ein letztes Mal gut zu überlegen.«

»Ist sie denn nicht schon längst getroffen worden, auf dem Kongress damals in Wien?« Sophie zieht eine Augenbraue hoch.

»Noch bist du nicht verlobt.«

Sophie zuckt die Achseln und wendet sich ihrem Tee zu. Ernste Gespräche hat sie nie besonders gemocht. Erleichtert stellt sie fest, dass Maman das Thema offensichtlich für abgeschlossen erachtet.

*

Ihr Herz macht einen Sprung, als die Equipage mit den hohen Herren am Nachmittag des 26. Mai 1824 vor Schloss Tegernsee hält. Sophies potenzieller künftiger Verlobter kommt nämlich nicht allein. Niemand Geringerer als Clemens Fürst Metternich wurde ihm auf Wunsch des Kaisers zur Seite gestellt. Sophie kennt den österreichischen Staatskanzler bereits vom Fürstentreffen vor zwei Jahren. Ein schöner Mann, stellt sie erneut fest, als er aussteigt, er hat ihr schon damals gefallen.

Umso größer ist der Schreck, als der Erzherzog die kleine Behelfstreppe hinuntersteigt und unsicher auf das bayrische Empfangskomitee zugeht. Obwohl es sich offiziell um ein informelles Treffen handelt, wurde zumindest für einen ordentlichen Empfang gesorgt. So dauert es eine Weile, bis Franz Karl sie endlich mit einer linkischen Verbeugung begrüßt. Sophie betrachtet ihren zukünftigen Bräutigam indigniert, wie er so vor ihr steht, klein und alles andere als stattlich, mit seinem schütteren Haar, dem ebensolchen Bart und dem trüben Blick aus merkwürdig farblosen Augen. Er sieht schlimmer aus als auf den Bildern. Dazu hat er bedauerlicherweise diese hängende Unterlippe, ein recht trauriges Markenzeichen seiner Familie. Die zittert gerade wie bei einem Kind, das jeden Moment in Tränen ausbricht. Am schlimmsten aber findet sie seine Stimme. Warum spricht er bloß so viel, so schnell und dann auch noch in diesem eigentümlich schreienden Tonfall? Du lieber Gott! Sie versteht ihn kaum.

Doch nachdem sie den ersten Schock überwunden hat, siegt ihr ausgeprägtes Pflichtgefühl. Natürlich hat sie die Blicke ihrer Umgebung bemerkt. Sie will sich dadurch aber nicht aus dem Konzept bringen lassen und den Heiratskandidaten einer näheren Prüfung unterziehen. Also reicht sie ihm gnädig die Hand zum Kuss und versucht angestrengt, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu behalten. Seine Hände sind so feucht. Sie atmet tief ein, und irgendwie gelingt es ihr, ihm ein strahlendes Lächeln zu schenken. Dabei kommen ihr die endlosen Empfänge in der Münchner Residenz zugute. Bei diesen Anlässen hat sie gelernt, freundliche Miene zum bösen Spiel zu machen, selbst wenn ihr sterbenslangweilig ist oder sie sich hundemüde fühlt. Auf Anraten ihrer Mutter denkt sie dann einfach an etwas Angenehmes. So wie jetzt. Mit Flöckchens Bild vor Augen, wie sie fröhlich über die Wiesen galoppiert, gelingt ihr sogar ein überzeugendes »Es ist mir eine große Freude, Sie kennenzulernen«.

Und siehe da, der Anflug eines Lächelns huscht über das verkrampfte Gesicht des kleinen Erzherzogs. Das steht ihm gut.

»Wie war Ihre Reise?«, fragt sie ihn, während sie an seiner Seite das Vestibül betritt.

»Angenehm«, antwortet er erstaunlich fest. »Wir sind heute in aller Herrgottsfrüh aus Salzburg aufgebrochen. Aber die Vorfreude hat mir die Fahrt auf denkbar wohltuende Weise verkürzt.«

»Das ist schön«, erwidert Sophie erleichtert. Er hört sich plötzlich ganz normal an, seinen Dialekt findet sie sogar irgendwie drollig.

Recht rasch bemerkt sie, dass Metternich seinem Schutzbefohlenen nicht von der Seite weicht. Manchmal wiederholt er die Sätze des Erzherzogs langsam und auf Hochdeutsch wie ein Übersetzer, lässt beiläufig durchklingen, wie beliebt der Sohn des Kaisers in Wien ist und wie viel Enthusiasmus er bei der Führung seines Regiments an den Tag legt. Es fällt Sophie schwer, sich zu beherrschen, als sie den ungläubigen Blick bemerkt, den der Erzherzog dem Reichskanzler bei diesen Worten zuwirft.

Beim Tee lockert sich die Stimmung, und auch Franz Karl taut auf. Er erzählt mit wachsender Begeisterung von den Reisevorbereitungen, den Büchern, die er über Bayern gelesen hat, den Landkarten, die er studiert hat. Als er unversehens beginnt, von dem Friseur zu schwärmen und dem angesagten Schneider, den er ihr zu Ehren – er nickt Sophie ehrerbietig zu – aufgesucht habe, fällt Metternich beinahe die Tasse aus der Hand. Sophie lacht hell auf. Auch wenn die Bemühungen des Friseurs und des Schneiders vollkommen umsonst waren, findet sie ihren zukünftigen Verlobten zunehmend amüsant.

Metternich versucht die Situation zu retten und befragt seine Gastgeber zur Geschichte des königlichen Sommersitzes. Sophie erinnert sich genau, dass sie ihm bei seinem Besuch vor zwei Jahren bereits ausführlich davon berichtet hat. Er will den Erzherzog am Sprechen hindern, konstatiert sie erheitert. Offensichtlich liegt dem großen Diplomaten viel daran, dass der Sohn seines Kaisers sich hier nicht bis auf die Knochen blamiert. Und es funktioniert. Ihre Mutter nimmt den Ball geschickt auf und erzählt ausführlich über die königliche Residenz am Tegernsee.

»… ein Schloss wie im Bilderbuch«, bemerkt Metternich gerade.

»Und Liebe auf den ersten Blick«, antwortet Königin Karoline mit einem schelmischen Seitenblick auf den Erzherzog. »Nach dem Ende des Kongresses verspürte mein Gemahl Sehnsucht nach der Ruhe der Bergwelt. Wir haben uns sofort in das aufgelassene Benediktinerkloster verliebt.«

»Du hast dich verliebt«, korrigiert König Max sie mit einem Augenzwinkern. »Ich habe nur bezahlt. Und zwar nicht wenig. Der Vorbesitzer verstand es wahrhaft, geschickt zu verhandeln. Aber wie könnte ich dir jemals einen Wunsch abschlagen?«

Karoline wirft ihm ihr charmantestes Lächeln zu.

Sophie seufzt. Nach all den Jahren sieht man ihren Eltern an, wie sehr sie immer noch ineinander verliebt sind. Seit sie denken kann, ist es diese Liebe, die sie trägt, dieses Gefühl der Geborgenheit, das ihr und ihren Geschwistern eine unbeschwerte, heitere Kindheit bereitet hat. Ein Geschenk, das sie jetzt hinter sich lassen muss. Sie mustert den jungen Erzherzog. Nie würde sie ihn so lieben können.

Er scheint ihren Blick zu bemerken und sieht sie fragend an.

Plötzlich spürt sie seine Einsamkeit, seine tiefe Traurigkeit – und eine unbestimmte Sehnsucht. Nachdenklich betrachtet Sophie Franz Karls feingliedrige Hände. Es gibt viele Formen der Liebe, das wird ihr in diesem kurzen Augenblick zart aufkeimender Verbundenheit bewusst.

»Und dann kam eins zum anderen«, fährt ihr Vater fort. »Meine Gemahlin pflegt Gebäude zu sammeln wie andere Damen Schmuck.«

Metternich lacht. »Hört, hört, eine Dame, die weiß, was sie will.«

»Sie sagen es«, bestätigt König Max. »Das heruntergekommene Kurbad Kreuth musste auch gerettet werden. Schön ist es geworden, das Bad, nicht wahr? Und eine Freude für die Freibadler. Diese einfachen Menschen arbeiten hart, sie haben sich bei Gott auch ein Stück vom Glück verdient. Und uns fällt kein Stein aus der Krone, wenn wir ihnen hin und wieder Platz machen.«

»Sie sind ein Freidenker und Menschenfreund, Ihr Ruf eilt Ihnen weit voraus«, bemerkt der bekannt konservative Reichskanzler, dessen Stirnrunzeln mehr Missbilligung verrät, als sein leichter Tonfall glauben machen will. Es ist kein Geheimnis, dass der ehemalige Kurfürst von Bayern mit seiner Menschenliebe und dem Hang zu modernen Reformen nicht auf Metternichs politischer Linie liegt.

Sophie lächelt in sich hinein. Die feine Klinge diplomatischer Konversation hat sie schon als Kind fasziniert.

»Die einfachen Menschen sind mir allemal lieber als so manch gekröntes Haupt«, poltert Max prompt. Ihm ist, wie Sophie weiß, der Österreicher ein wenig zu glatt.

»Erinnern Sie sich, werter Fürst, an den befremdlichen Auftritt des Zaren hier in Tegernsee?«, eilt Karoline ihm zu Hilfe. Ihr ist an einer Missstimmung bei dieser heiklen Mission ganz und gar nicht gelegen.

»Natürlich«, pariert Metternich geschmeidig. Auch er hat die feste Absicht, mit einer Erfolgsmeldung nach Wien zurückzukehren. »Alexander war wohl ein wenig indisponiert.«

Eine gewaltige Untertreibung angesichts der Tatsache, dass er hier jedem Rockzipfel nachjagte, denkt Sophie amüsiert.

»Nun ja, eine Oper haben wir nicht hier auf dem Lande. Die können wir beim besten Willen selbst für einen Zaren nicht aus dem Hemdsärmel zaubern«, antwortet Karoline.

»Er hat es schließlich eingesehen und nach zwei Tagen mit seiner Entourage das Feld geräumt«, pflichtet Metternich ihr bei.

Jetzt, da das heikle Thema umschifft ist, begibt man sich in stillem Einverständnis wieder in seichtere Gewässer. Der Nachmittag verläuft aus Sicht aller Beteiligten mit einem kleinen Spaziergang harmonisch.

*

Am Abend kommt die Königin in Sophies Zimmer. »Mein armes Kind!« Sie setzt sich an ihr Bett und nimmt sie in die Arme, wie damals, als sie klein war.

Sophie richtet sich auf, soweit es die dicken Polster erlauben. »Maman, ich werde mich schon an ihn gewöhnen.«

»Du bist so brillant, geistreich und dabei auch noch ausnehmend hübsch. Er hingegen ist … so furchtbar langweilig, zusätzlich zu allem anderen«, stößt ihre Mutter hervor. »Jedem will er es recht machen, er ist überaus bemüht und sicher ein guter Junge, aber ich finde ihn einfach … schrecklich!« Sie seufzt tief. »Dabei wünsche ich mir so sehr, dass du glücklich wirst.«

Sophie, die den Ausbruch ihrer Mutter mit geradezu stoischer Ruhe beobachtet, ergreift ihre Hand und sieht ihr tief in die Augen. »Das werde ich, Maman, versprochen. Und vielleicht, wenn ich ihn näher kennenlerne, ist er gar nicht so schlimm.«

Nachdem ihre Mutter das Zimmer verlassen hat, vergräbt sie ihren Kopf in ihrem Kissen und weint bitterlich.

Wider Erwarten bessert sich die Stimmung, je mehr Zeit sie mit dem Erzherzog verbringt. Dass ihnen reichlich davon zur Verfügung steht, dafür sorgt das Protokoll. Hinter seiner wenig vorteilhaften Fassade verbirgt sich, wie Sophie feststellt, ein überaus gutmütiger, aufrechter, warmherziger, ja zärtlicher Charakter. Franz Karl wiederum fühlt sich durch Sophies konstant freundliche Zuwendung bestätigt. Er beruhigt sich und macht keinen Hehl aus seiner stündlich wachsenden Verliebtheit.

»Sie sind so hübsch«, bemerkt er während eines Spaziergangs.

Sie schlendern am See entlang durch den romantischen Laubengang des Schlosses, den der berühmte Gartenarchitekt Friedrich von Sckell geplant hat und der angenehm schützt gegen Sonne und Wind. Sophie, die in ihrem jungen Leben schon raffiniertere Komplimente gehört hat, lächelt huldvoll. Er meint es ja gut. Sie bleibt stehen und schaut verträumt aufs Wasser.

Franz Karl deutet das als gutes Zeichen und nähert sich ihr um zwei Schritte. »Finden Sie mich denn passabel?« Seine Stimme klingt gefährlich hoch.

»Natürlich«, antwortet Sophie rasch, um ihn nicht unnötig aufzuregen.

»Das ist gut.« Er lächelt sie an.

Arglos wie ein Kind sieht er aus, wenn er lächelt, denkt sie und erwidert es.

»Der liebe Gott hat hier alles schön eingerichtet.« Er meint nicht nur das Schloss und den Tegernsee. »Ich wusste gleich, es ist der Ort meiner Bestimmung.«

Sie versteht. »Das glaube ich auch.«

Franz Karl strahlt. Und plötzlich wird Sophie warm ums Herz.

Später, nun in München auf Schloss Nymphenburg, wird den beiden noch mehr gemeinsame Zeit zugestanden. Beim Dejeuner und beim Diner sitzen sie beisammen, und während der ausgedehnten Spaziergänge entdecken sie zu Sophies Beruhigung allerlei Gemeinsamkeiten. Franz Karl ist vielleicht nicht geistreich oder charmant, aber überraschend klug und gebildet. Er liest viel und gern wie sie. Ihre katholische Erziehung verbindet, sie sehen viele Dinge ähnlich. Die wachsende Vertrautheit fühlt sich gut an.

Als Sophie am Abend des 28. Mai vor dem Schlafengehen ihr Gebet verrichtet – wie immer vor ihrem Bett kniend –, fügt sie folgenden Satz hinzu: »Bitte, lieber Gott, lass uns glücklich werden, den Franz und mich. Ich werde Ja sagen, wenn er mich fragt.«

Am nächsten Tag stellt der Erzherzog während eines ausgedehnten Spaziergangs im Park tatsächlich die Frage aller Fragen. Erstaunlich souverän und ganz ohne zu stottern.

Sie sagt »Ja, Franz« und reicht ihm die Hand, die er erst innig drückt, um sie dann, ihr Einverständnis mit einem flehentlichen Blick erbittend, an seine Lippen zu führen. Als wäre der Bann gebrochen, sprechen sie nun offen über ihre gemeinsamen Zukunftspläne, ihre Wünsche und Hoffnungen. Sophie fühlt sich, wie sie erstaunt zur Kenntnis nimmt, sehr wohl dabei. Und Franz Karl blüht auf.

Am Abend wird der glückliche Umstand gebührend gefeiert. Man ist grenzenlos erleichtert. Sogar Metternich blickt, von einem bestens gelaunten König Max eifrig unterstützt, etwas zu tief ins Glas. Sophie nimmt all das wie durch einen Schleier wahr. Sie ist froh, dass diese Last von ihren Schultern genommen, die Entscheidung getroffen ist. Nun wird sie das Beste aus der Situation machen. Die leise Stimme des Zweifels in ihrem Hinterkopf ignoriert sie tapfer.

Da die Angelegenheit zur allgemeinen Zufriedenheit geklärt ist, steht einer Rückkehr der österreichischen Gesandtschaft nichts mehr entgegen.

Nachdem Franz Karl sich schweren Herzens, aber formvollendet von seinen künftigen Schwiegereltern und dem Rest der Familie verabschiedet hat, nimmt er Sophie zur Seite. »Ich werde Sie schrecklich vermissen«, flüstert er. Ihm stehen Tränen in den Augen.

»Möge der liebe Gott Sie auf Ihrer Heimreise beschützen«, flüstert Sophie gerührt zurück. »Sie müssen in Wien recht oft an mich denken, und vergessen Sie nicht, dass ich Sie schon jetzt innig liebhab.« Sie schluckt. War das zu viel? Durch sein Strahlen bestätigt, fährt sie fort, nun laut und für alle vernehmlich: »Ich freue mich darauf, Sie wiederzusehen und bald schon für immer mit Ihnen verbunden zu sein.«

»Ist das wahr?« Seine Stimme klingt wieder recht hoch.

»Ja, das ist es.«

»Dann kann ich Sie also ganz ohne Sorge verlassen?«

»Das können Sie«, antwortet sie mit einem energischen Nicken.

Ein Lächeln überzieht sein Gesicht. Ohne ein weiteres Wort verbeugt er sich und wendet sich zum Gehen.

Sophie sieht ihm nach, während er ein wenig linkisch der Kutsche zustrebt, und läuft, einer spontanen Gefühlsregung folgend, ihrem Verlobten hinterher. Bevor er in die Equipage steigt, drückt sie seine Hand. Ihre Augen betupft sie mit einem Schnupftuch. Den wahren Grund für ihre Tränen gesteht sie niemandem, nicht einmal sich selbst. So oder so, die Würfel sind gefallen.

*

Je näher ihre Übersiedlung nach Wien rückt, umso stärker bröckelt der Putz von Sophies gelassener Fassade. Die ungeheuerliche Dimension ihrer Entscheidung trifft sie mit voller Wucht. Denn mehr noch als alles andere in der Welt liebt sie, neben ihrer Familie, ihre bayrische Heimat. Sie glorifiziert alles, sogar ihre als Kind so verhassten Kosenamen. Was gäbe sie jetzt dafür, für immer Fifi zu bleiben! Beinahe jeder ihrer Sätze beginnt mit einem »Weißt du noch …?«.

Am Anfang hörten sie noch geduldig zu, die stille Marie, die Sophie rein äußerlich gleicht wie ein Ei dem anderen, und die ihr treu ergebene Luise. Doch jetzt rollen sie mit den Augen, wenn sie wieder anfängt, meistens mit »… wie herrlich wir Ball spielen konnten auf dem Balkon? Elise war immer viel zu langsam, und die Erzieherinnen hatten Angst, dass wir uns die Knie aufschlagen.« Ewig kann Sophie schwärmen, von Coco, dem entzückenden Affen, der süßen Puppenstube mit der Einrichtung aus Pappmaché, in der sogar Erwachsene Platz fanden, von den aufregenden Theater- und Konzertbesuchen oder dem Bauernhäuschen im Park von Schloss Nymphenburg mit seinen Blumenbeeten, die sie, die Kinder, selbstständig bepflanzen durften.

An diesem heißen Nachmittag im Juli, den sie glücklicherweise am Tegernsee verbringen, folgt nach einer ausführlichen Debatte über die Lieblingsblumen der Schwestern plötzlich ein helles Glucksen. »Wisst ihr noch, die Sache mit der Tirolerin? War das nicht lustig?« Sophie sitzt mit ihren Schwestern im Park, sie genießen ihr Eis und gekühlte Zitronenlimonade.

Marie, die sonst immer bereit ist, auf die Späße ihrer Zwillingsschwester einzugehen, löffelt verbissen Gefrorenes in sich hinein und schweigt.

Sophie betrachtet sie irritiert. »Hast du es vergessen?«

»Nein«, gibt Marie einsilbig zur Antwort.

»Vielleicht findet sie die Sache nicht so amüsant wie du«, wirft Luise ein.

»Da magst du recht haben, meine liebe Wusibibeln!« Sophie grinst diabolisch und zeigt mit spitzem Finger auf Marie. »Ha, du mochtest ihn! Warst du verliebt?« Sie springt auf, erhebt ihr Glas und hüpft wie wild um ihre arme Zwillingsschwester herum. »Marie war verliebt in den Gärtner, in den Gärtner …!«

»Warum hat er auch unbedingt Französisch sprechen müssen?«, bricht es aus Marie heraus. »Ewig ist ihm das nachgehangen, das hat er nicht verdient! Wir waren richtig ekelhaft zu ihm.«

»Stimmt«, bekräftigt Luise. »Er wollte das Beste für seine Cousine. Man kann schließlich nicht sein Leben lang Mist schaufeln. ›Femme de chambre‹ wollte er sagen, als er der Rotberg davon erzählt hat. Kammerzofe. Und, mein Gott, dabei hat er sich halt ein wenig versprochen.«

»Ein wenig versprochen?« Sophie lächelt maliziös. Sie fühlt sich so richtig in ihrem Element. »Was hat er gesagt? Marie? Du kannst dich sicher erinnern.«

Marie schweigt.

»Nun sag schon!«

»Ach, hör doch auf, sie zu quälen«, eilt Luise ihrer Schwester zu Hilfe.

»›Pot de chambre‹hat er gesagt!« Sophie schüttelt sich vor Lachen. »Pot de chambre!Da darf er sich nicht wundern.« Langsam beruhigt sie sich. »Was soll’s, ›Nachttopf‹ war doch ein schöner Spitzname für sie.«

»Er hat nie wieder mit uns gesprochen«, meldet sich Marie jetzt zu Wort, sichtlich verstimmt.

Sophie schnappt nach Luft. Mit diesem neuen Mieder kann sie nicht einmal richtig lachen. Warum muss sich eine Wiener Erzherzogin enger schnüren als eine bayrische Prinzessin? Sie ist zwar nicht mager, aber schlank genug, findet sie.

Prompt fallen ihr die Tanzereien ein, die prächtigen Kinderbälle bei Hof.

»Wie süß haben wir alle ausgesehen in unseren duftigen weißen Kleidchen.« Sophie fasst sich an die Taille und streckt ihren Rücken. »Ganz ohne lästige Korsagen. Und wisst ihr noch, wir haben immer diese famosen Bonbons gegessen, bis uns schlecht geworden ist. Und einmal, da hat mir der kleine Hohenzoller bei der Ecossaise einen so schmerzvollen Fußtritt verpasst, dass mein seidener Kreuzbandschuh gerissen ist.« Sie stöhnt auf. »Mein Gott, ist das heiß!« Entschlossen winkt Sophie den Diener heran. Er möge doch ihre Stühle tiefer in den Schatten der Linde rücken. Und mehr Limonade bringen. Mit Eis!

Auch ihren Schwestern scheint die Hitze zuzusetzen. Sie sind sehr schweigsam heute.

Sophie legt den Kopf zurück, starrt in den wolkenlosen Himmel und lässt ihren Gedanken freien Lauf, zurück in die Tage ungetrübten Glücks.

»Mein Gott!«, platzt sie heraus. »Wisst ihr noch, unsere Menagerie? War es nicht putzig, das Lama? Und die zierlichen Gazellen und die zwei Kängurus und Georg Pranger, der Hofnarr …«

Luise reicht ihr ein Taschentuch.

»Wie der immer und mit jedem seine Scherze getrieben hat, sogar auf der Straße! Nun ist er seit fast vier Jahren tot, der Prangerl.« Sophie putzt sich geräuschvoll die Nase. »Und der Thiersch, wie er unsere Bücher konfisziert hat …«

Luise nickt. »Die französischen Liebesromane, die uns die Hofdamen heimlich zugesteckt haben.«

»Nini ist so oft auf meinem Schoß gesessen, und ich hab ihr daraus vorgelesen. Die kleine Ni…« Nun ist es ganz vorbei. Die Erinnerung an das drei Jahre zuvor an Typhus verstorbene Nesthäkchen Maximiliane – sie ist nur zehn Jahre alt geworden – bringt Sophie völlig aus der Fassung. Aufgelöst stürzt sie ins Haus.

Und wie immer ist es Marie, die ihr folgt wie ein Schatten. Die weint gleich mit, denn im Gegensatz zu Sophie hat sie noch nicht einmal einen Brautwerber in Aussicht. Der Gedanke, allein in ihrem Elternhaus zurückzubleiben, macht sie mindestens genauso traurig.

Sophie weiß, wie sehr ihre Schwester darunter leidet, sie gehen lassen zu müssen. Die größeren Zwillinge sind schon aus dem Haus. Amalie wurde vor zwei Jahren mit Prinz Johann von Sachsen verheiratet, Elise im November des Vorjahres mit Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen.

»Pifi, bitte, hör auf zu weinen«, schnieft Marie.

Sophie, die sich in ihrem Jungmädchenzimmer mit großer Geste aufs Bett geworfen hat, drückt ihr Gesicht noch tiefer in die Kissen. »Ich kann nicht«, wimmert sie. Kurz hebt sie den Kopf. »Ich will nicht nach Wien. Ich will hier bei dir bleiben und bei Maman.« Das Schluchzen hört einfach nicht auf. Dabei ist es längst Zeit für das Mittagessen.

Marie, die sich mittlerweile wieder gefangen hat, streicht ihr sanft über den Kopf. »Magst lieber ins Kloster?«

Prompt dreht sich Sophie herum und hält sich die Ohren zu.

»Das wirst du nämlich, wenn du diese glänzende Partie ausschlägst«, fährt Marie ungerührt fort. »Wer traut sich denn noch zu fragen, wenn sich erst herumspricht, dass du dem Sohn des Kaisers einen Korb gegeben hast?« Sie setzt ihren Unschuldsblick auf. »Na ja, vielleicht ein Landgraf aus der tiefsten Provinz, der von dem Skandal nichts gehört hat.«

»Ach, hör auf, du …«

Der Polster trifft Marie mitten ins Gesicht. »Au!« Mit gespielter Empörung reibt sie sich die Wange.

Sophie nimmt Marie das Taschentuch aus der Hand und trocknet sich das Gesicht. »Du hast ja recht.« Ein tiefer Seufzer entringt sich ihrer Brust. »Ich wär eine Närrin, würd ich mich von sentimentalen Gefühlen leiten lassen und mir damit meine Zukunft verbauen.«

Mit einem verständnisinnigen Lächeln legt Marie ihr den Arm um die Schultern und drückt sie fest an sich. »Amalie und Elise waren auch nicht gleich verliebt. Und jetzt sind sie glücklich. Der Wiener Kaiserhof ist, so heißt es, der mit Abstand eleganteste in Europa. Mit ein bisschen Glück wirst du eines Tages vielleicht sogar Kaiserin.«

Sophie nickt. »Nett ist er ja, der Franz. Ich hab ihn gern.«

»Na siehst, das wird schon. Anders als bei mir. Wer bleibt denn noch übrig? Wenn du dir den Franz schnappst, sind alle aussichtsreichen Junggesellen weg. Seinen Bruder, den will ich wirklich nicht. Da geh ich lieber ins Kloster.«

»Den Ferdinand will keiner«, stimmt Sophie ihr mit dem Brustton der Überzeugung zu. »Selbst wenn er einmal Thronfolger werden sollte.«

»Schau, was du für ein Glück hast.« Marie hüpft auf. »Und jetzt gehen wir essen, bevor die Rotberg einen Suchtrupp losschickt.«

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Der geplante Tag der Abreise rückt näher, da passiert etwas völlig Unerwartetes: Die stets kerngesunde Sophie wird krank. So krank, dass die Reise außer Reichweite gerät. Wegen ihrer Übertreibungen beim Tanzen in Baden-Baden, mutmaßt ihre Mutter, und ihrer unnötigen Promenaden an den Vormittagen.

Sophie leidet vor sich hin und schweigt, ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit. Natürlich hat ihre Mutter recht, sie dürfte den Bogen ein bisschen überspannt haben. Aber bald wird sie sich als biedere Ehefrau an Franz Karls Seite zu Tode langweilen, davon ist sie überzeugt. Also hat sie getanzt bis zum Umfallen und mit ihren zahllosen Kavalieren geflirtet, die sie auf den Bällen umschwärmten wie die Motten das Licht, um ihnen am nächsten Tag bei einem Spaziergang oder einem ausgedehnten Ausritt elegant einen Korb zu geben. Das hat Spaß gemacht, jeden Moment hat sie genossen. So ausgelassen würde sie nie wieder sein, da nimmt sie gern eine Erkältung in Kauf, oder was es auch ist. Die Ärzte sind besorgt, aber das sind sie immer.

Nach ihrer Genesung muss die Abfahrt noch einmal verschoben werden. Diesmal der Königin wegen. Sie ist indisponiert – was für ein Durcheinander! Die Vermählung wird auf den 4. November vertagt. Sophie ist nicht unglücklich darüber.

Im Gegensatz zu ihr kann Karl Franz es nicht erwarten. Er lässt sich zwar zunächst vertrösten, doch Mitte Oktober gibt es für den verliebten Bräutigam kein Halten mehr. Er besucht seine zukünftige Schwiegerfamilie in München und zieht sich damit den Unmut der Königin zu, die befürchtet, seine Erregtheit und sein ununterbrochenes Geschwätz könnten Sophie doch noch dazu bringen, ihre Entscheidung grundsätzlich zu überdenken. Aber ihre Sorge erweist sich als unbegründet. Nach der emotionalen Berg- und Talfahrt der letzten Monate hat Sophie sich endlich gefangen. Alle Tränen sind geweint, die Kindheit ist begraben. Auch der Abschied von ihrem Verlobten – er reist mit König Max voraus – verläuft deutlich weniger tränenreich.

Gefasst und ohne Widerspruch begibt sich Sophie Ende Oktober mit ihrer Mutter und ihren Schwestern Marie und Luise auf die Reise in ihre neue Heimat. Die Vernunft hat den Sieg davongetragen. Es wird nicht das letzte Mal sein.

»Ich will glücklich werden.«Wie ein Mantra betet die tapfere Braut diese Worte vor sich hin, während sie in der mäßig bequemen Reisekutsche in ihr neues Leben schaukelt.

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Was für ein herzlicher Empfang! Schönbrunn beeindruckt sogar die von den emotionalen Turbulenzen und der langen Reise angeschlagene Sophie. Vielleicht ist Wien doch nicht so schlimm, wie sie befürchtet hat. Sie freut sich sehr, ihre Halbschwester Charlotte wiederzusehen, und auch der österreichische Kaiser, Charlottes Gemahl, erweist sich als überaus freundlicher Mann. Blass und hager ist er, aber liebevoll und unprätentiös. In dieser Hinsicht gleicht er ganz Sophies Vater, allerdings ist er wesentlich sensibler als der bayrische König – und deutlich stiller.

Max läuft gerade zu seiner Hochform auf. Launig berichtet er beim Diner im Familienkreis von seinem gestrigen Besuch des k. k. Hoftheaters am Kärntnertor mit seiner Tochter Charlotte – »der Kaiserin«, wie er stolz hervorstreicht – und seinem zukünftigen Schwiegersohn. Dargeboten wurde Mozarts vergnügliche Opera buffa »Le nozze di Figaro«. »Ein Heidenspaß war das, sag ich euch! Wir haben uns glänzend unterhalten, nicht wahr, Lottchen?«, schwärmt er.

Amüsiert stellt Sophie fest, dass die so titulierte Kaiserin Karolina Augusta, wie Charlotte jetzt offiziell heißt, nicht recht weiß, wie sie reagieren soll. Sie kann die Not ihrer Schwester durchaus nachvollziehen. Papa kann schon peinlich sein.

Nach kurzem Zögern entscheidet sich Charlotte, einfach huldvoll zu nicken.

»Wie das Publikum applaudiert hat, als wir in die Loge gekommen sind. Alle sind aufgestanden, richtig gejohlt haben sie und sich gar nicht mehr beruhigt. Ich glaub, die freuen sich sehr auf deine Hochzeit, Sopherl.«

»Gewiss, Papa«, pflichtet Sophie ihm bei und zwinkert Franz Karl verschwörerisch zu.

Dem fliegt ob der unerwarteten Avance seitens seiner Angebeteten fast die Serviette vom Schoß.

»Eine Prinzessin und ein Erzherzog! Das sieht man auch in Wien nicht alle Tage. Nicht wahr, Schwiegerpapa?« Max redet sich richtig in Rage. Die Diener kommen gar nicht nach mit dem Nachschenken.

Kaiser Franz schweigt verblüfft, was nicht weiter auffällt, weil er ohnehin nicht viel redet.

Sophie blickt in die Runde und ist überglücklich. Es geht in Wien gar nicht so fad zu, wie sie dachte.

Da lächelt ihre Mutter sie an. »Siehst du, Papa fühlt sich wie zu Hause.«

Zum ersten Mal hört Sophie ihren Schwiegervater laut lachen.

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Als sie am nächsten Tag die Augen aufschlägt, klopft ihr Herz wie wild. Und als ihre Mutter das Schlafgemach betritt, hüpft sie ihr aufgeregt entgegen.

»Du bist so gut gelaunt«, stellt Königin Karoline erfreut fest.

»Warum sollte ich nicht?«, entgegnet Sophie. »Franz Karl macht hier in Wien eine viel bessere Figur, finden Sie nicht? Ich werde Erzherzogin sein, der Kaiser scheint mich zu mögen, Charlotte wird meine Schwiegermutter. Und …«, sie fasst ihre Mutter bei den Händen und wirbelt sie herum, »ich werde Kinder haben, so viele wie Sie. Wir werden Spassetteln treiben und eine glückliche Familie sein.« Abrupt bleibt sie stehen und betrachtet Karoline verwundert. »Was ist mit Ihnen? Weinen Sie?«

Die Königin zieht ein Taschentuch aus ihrem Retikül und tupft sich die Tränen von den Wangen. »Das ist nur, weil ich erleichtert bin.« Sie nimmt ihre Tochter in die Arme. »Ich hatte solche Angst, dich unglücklich zu sehen. Dieses Arrangement …«

»… ist von großer Wichtigkeit für unsere Familie«, unterbricht Sophie sie resolut. »Und für den Frieden zwischen Bayern und Österreich.«

»Ach, Kind.« Karoline streicht ihr zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Von wem du nur diesen Pflichteifer hast?«

»Das ist kein Pflichteifer, Maman, ich werde ja nicht Gemahlin eines kleinen Landgrafen. Also empfinde ich mich als durchaus privilegiert.« Sophie wirft einen Blick auf die Kammerdienerinnen, die soeben mit einem devoten Knicks und einer rosafarbenen Robe am Arm auf den kunstvoll bemalten Paravent zusteuern. »Und jetzt muss ich mich ankleiden.«

»Natürlich.« Karoline zögert.

»Was haben Sie, Maman?«

»Ich mache mir Sorgen um dich, mein Liebes. Wie anders ich in deinem Alter war. Romantische Schwärmereien sind ein Privileg der Jugend. Diese Heirat jedoch geschieht aus Staatsräson und auf ausdrücklichen Wunsch deines Vaters. Ich habe mich seinem Willen gebeugt, doch überkommen mich immer wieder Zweifel. Wie du gelitten hast in den letzten Wochen, ist mir nicht entgangen. Und noch ist es nicht zu spät.«

»Das weiß ich zu schätzen«, antwortet Sophie leise. »Aber glauben Sie mir, geliebte Maman, ich weiß, was ich tue.«

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Eine Stunde später betrachtet sie sich zufrieden im Spiegel. Das pfingstrosenfarbene Seidenkleid mit seinen opulenten Schleifen und Bändern, den entzückenden Puffärmeln und dem vorteilhaften kleinen Dekolleté steht ihr wahrhaft vorzüglich. Und dann die Frisur! Der derzeit angesagte Mittelscheitel schmeichelt ihrem Gesicht leider nur bedingt. Aber die herbeigeeilte Friseurin hat ihr dunkles Haar geschickt gebändigt und in hoch angesetzten Locken sehr vorteilhaft festgesteckt. Einzig die eklig aussehende Pomade, mit der sie ihr Kunstwerk fixiert hat, ist Sophie ein Dorn im Auge.

Die Coiffeuse, ihren fragenden Blick missverstehend, erklärt ihr stolz, dass sie dieses Wundermittel nach ihrem ganz persönlichen Geheimrezept aus dem Mark von Ochsenknochen, drei Eiern, gekochten Spargelspitzen und Peru-Balsam hergestellt hat. Sophie kann den spontan aufsteigenden Brechreiz nur mit Mühe unterdrücken, auch weil sie noch nicht gefrühstückt hat und recht eng geschnürt ist. Jetzt, da sie die langwierige Prozedur des Frisierens überstanden hat, neigt sie vorsichtig den Kopf hin und her, und siehe da, die Haare sitzen bombenfest, nicht einmal der heftigste Windstoß würde ihnen etwas anhaben können.

Als ihr Maman schließlich die kostbaren Perlen anlegt – ein Vorgeschmack auf den großzügigen Trousseau, die Aussteuer, die neben 49 Kleidern unter anderem Schmuck im Wert von 80.000 Gulden beinhaltet –, huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Die Saphire der schweren Ohrgehänge entfachen ein Feuerwerk in Sophies großen kornblumenblauen Augen.

»Mit deiner Anmut wirst du Wien im Sturm erobern«, bemerkt die Königin stolz. »Den armen Bräutigam an deiner Seite wird man einfach übersehen.«

Sophie erhebt sich.

»Vielleicht ist dieses Arrangement gar nicht so schlecht«, fügt Karoline, mehr zu sich, leise hinzu.