Déjà vu - Alexander Becker - E-Book

Déjà vu E-Book

Alexander Becker

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Beschreibung

In einer Gewitternacht mit orkanartigen Sturmböen kommt es auf einer Landstraße durch ein Waldstück zu einem fürchterlichen Zusammenstoß zweier Autos. Beide Insassen werden herausgeschleudert und kommen nach einer Weile der Bewusstlosigkeit neben den total demolierten Fahrzeugen zu sich. Freudig begrüßen sie die Rettungswagen, doch sehr bald müssen sie feststellen, sie werden überhaupt nicht wahrgenommen und sie können sich auch nicht mit den Helfern verständigen. Fassungslos müssen sie es akzeptieren und machen sich zu Fuß auf den Weg zur nächsten Ansiedlung, merken jedoch, auch hier können sie keine Hilfe finden, denn niemand scheint sie zu bemerken. Bis sie endlich auf Menschen treffen, die zumindest mit ihnen in Kontakt treten können. Eine Frau Doktor, die sie im Krankenhaus betreut und der mystische Herr Weiß nehmen sich den beiden an. Werden sie überleben oder müssen sie sich mit der unnatürlichen Situation der "Unsichtbarkeit" abfinden?

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Seitenzahl: 202

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

In einer Gewitternacht mit orkanartigen Sturmböen kommt es auf einer Landstraße durch ein Waldstück zu einem fürchterlichen Zusammenstoß zweier Autos. Beide Insassen werden herausgeschleudert und kommen nach einer Weile der Bewusstlosigkeit neben den total demolierten Fahrzeugen zu sich. Freudig begrüßen sie die Rettungswagen, doch sehr bald müssen sie feststellen, sie werden überhaupt nicht wahrgenommen und sie können sich auch nicht mit den Helfern verständigen. Fassungslos müssen sie es akzeptieren und machen sich zu Fuß auf den Weg zur nächsten Ansiedlung, merken jedoch, auch hier können sie keine Hilfe finden, denn niemand scheint sie zu bemerken. Bis sie endlich auf Menschen treffen, die zumindest mit ihnen in Kontakt treten können.

Eine Frau Doktor, die sie im Krankenhaus betreut und der mystische Herr Weiß nehmen sich den beiden an.

Werden sie überleben oder müssen sie sich mit der unnatürlichen Situation der „Unsichtbarkeit“ abfinden?

„Hier ist der Ort, wo sich der Weg nach zwei Seiten hin teilt: Auf dem, der rechts zur Stadt des gewaltigen Pluto führt, kommen wir ins Elysium.“

Vergil, Aeneis 6, 372

Inhaltsverzeichnis

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

Epilog

Prolog

Welch ein Glücksgefühl. Der Druck lässt nach. Endlich frei. Keinerlei Belastungen mehr auf dem Körper. Tief durchatmen und sich lösen. Herrlich. Er schwebt wie in Zeitlupe in die Höhe, ähnlich einem Blatt im Herbst, das von einem lauen Lüftchen hin und herbewegt wird. Bis an die Decke des Raumes. Dann, einen kleinen Moment des Innehaltens und ein Blick auf seinen Körper, der sich unter ihm auf einer Liege befindet. Wie friedlich und ruhig er aussieht. Noch nicht einmal ein Atmen ist zu sehen, kein Augenblinzeln, absolut nichts. Da plötzlich, ein kaum wahrnehmbares Zucken belebt ihn wieder.

Nein, er will das nicht!

Es gibt Dinge, die erledigt werden müssen, auch wenn es noch so schwerfällt. Und dazu wird ein Körper benötigt. Behutsam und widerwillig lässt er sich hinabgleiten und haucht ihm den Odem des Lebens ein.

1. Kapitel

Offensichtlich ist der ganz in weiß gekleidete Herr mit seiner Erscheinung zufrieden und betrachtet mit wohlgefälliger Miene ausführlich sein Spiegelbild von oben bis unten. Er geht in das Ankleidezimmer und nimmt aus dem, fast das ganze Zimmer einnehmenden Kleiderschrank, eine helle, zum Anzug passende Krawatte. Sorgfältig legt er sie an und bindet sie, mit einem etwas altertümlich wirkenden, Windsor Knoten. Man könnte ihn durchaus ein wenig eitel bezeichnen, denn er legt sehr viel Wert auf sein Äußeres. Doch heute hat er dazu auch einen besonderen Grund, er feiert seinen Geburtstag. Obwohl er dazu niemanden eingeladen hat, möchte er, auch wenn es lediglich für sein eigenes Ego ist, elegant und vornehm aussehen. Ihm ist völlig klar, der Tag wird ganz sicher so ablaufen wie in jedem Jahr. Doch das stört ihn nicht, daran hat er sich seit langem gewöhnt. Er ist ein Einzelgänger, ein Eremit. Zu seinem Aufenthalt in dieser Stadt hat er sich eine extravagante, noble Gründerzeitvilla, im vornehmsten Viertel der Stadt, ausgesucht. Er liebt die alten, erlesenen Möbelstücke, die schönen Bilder, die wertvollen Teppiche und die mit viel Geschmack ausgesuchten Kunstgegenstände. Dazu braucht er niemanden. Heute hat er beschlossen auszugehen, nicht in ein nobles Restaurant, nein, er wird einfach nur spazieren gehen, den Sonnenschein auf der Haut spüren, dem Gezwitscher der Vögel lauschen und eventuell ein gutes Glas Wein, unterwegs in einer Gartenwirtschaft, zu sich nehmen. Er schnappt sich den weißen Borsellino von der Hutablage im Flur, glättet die kurz geschnittenen, weißgrauen Haare, streicht nochmals über den üppigen, sehr gepflegten Schnauzbart, der an Albert Schweitzer oder an Charly Chaplin erinnert. Dann greift er den im Regenschirmständer stehenden, mit silbernem Knauf versehenen, Spazierstock. Ein letzter kurzer Blick zum mannsgroßen Spiegel im Flur bestätigt ihm, er hat dem Anlass entsprechend genau die passende Kleidung ausgesucht. Dann öffnet er die große Eichentür und geht hinaus auf die sonnengeflutete Allee. Leise vor sich hin pfeifend schlendert er auf dem Bürgersteig unter den großen Linden entlang in Richtung Stadtmitte. Seine gute Stimmung wird jedoch getrübt, da ihm wieder einfällt, es liegt noch eine wichtige Aufgabe an, die unbedingt rasch erledigt werden muss. Ich muss sie endlich finden, diese kleine Göre, denkt er. Seit Tagen schon bemüht er sich, sie aufzutreiben, doch immer wieder entwischt sie ihm. Jetzt wird es wirklich allerhöchste Zeit. Nun gut, grummelt er, es bleibt mir wohl keine andere Wahl, als weiterhin nach ihr zu suchen. Verärgert bleibt er kurz stehen, grübelt darüber, wo er sie eventuell finden könnte. Doch ihm fällt partout nichts ein. So beschließt er kurzerhand, zunächst in ein Lokal zu gehen und sich ein Glas Rosé zu gönnen. Sein Weg führt ihn zu einem kleinen See, wo er ein einladendes Restaurant entdeckt. Er setzt sich unter einen großen, schattenspendenden Baum, ruft die freundliche Bedienung herbei und gibt seine Bestellung auf. Flugs ist sie mit dem Wein zurück und stellt das Glas mit einem „zum Wohl“ auf dem Tisch ab. Herr Weiß nimmt einen kleinen Schluck, nickt anerkennend zur enteilenden Kellnerin und lehnt sich genüsslich auf dem gepolsterten Gartenstuhl zurück. Aus der Gaststätte erklingt laute Musik. Nicht gerade sein Geschmack, aber die Leute sind wohl ganz anderer Meinung, denn fröhlich und ausgelassen singen sie die Schlagermelodien und tanzen auf der Terrasse. Schmunzelnd beobachtet er sie bei ihrem Treiben und denkt an seine eigene Jugend zurück. Ach, wie schnell doch die Zeit vergeht!

„Was ist denn bei Ihnen los?“, fragt er die Kellnerin, als diese vorbeigeht, um am Nachbartisch die Bestellung aufzunehmen. „Eine Hochzeit haben wir heute“, antwortet sie ihm und eilt geschäftig davon.

„Na, die sind ja richtig gut drauf“, murmelt er lächelnd. Er gönnt sich noch einen Schluck des gut gekühlten Rosé und beobachtet weiterhin die fröhlich feiernde Gesellschaft. Er traut seinen Augen kaum, als er mitten auf der Tanzfläche das von ihm schon lange gesuchte Mädchen sieht, die ebenfalls mitsingt und vergnügt tanzt. Oh, das ist ja schön, hat er sie nun endlich gefunden. Das erspart ihm eine Menge Zeit und Ärger. Sofort steht er auf und begibt sich eilig in Richtung Terrasse. Notgedrungen muss er sich durch die Tanzenden hindurchschlängeln, bis er die Gesuchte erreicht. Er nimmt sie am Arm und zieht sie mit zu seinem Tisch. Verärgert schaut sie ihn an, erschreckt, als sie ihn erkennt.

Er bietet ihr an, sich zu setzen, was sie auch wortlos befolgt.

„Du weißt wahrscheinlich, weshalb ich mit dir reden muss“, fängt Herr Weiß das Gespräch mit ernster Miene an.

Sie nickt bejahend.

„Ich will es kurz machen, denn ich möchte mich nicht unnötig noch länger mit dieser Sache beschäftigen. Du bist mir eine Antwort schuldig. Ich muss unbedingt wissen, wie du dich entschieden hast.“

„Es tut mir sehr leid, aber so einfach ist das nicht“, klagt sie und schaut ihn bekümmert an. „Momentan kann ich noch nichts sagen, da ich unbedingt etwas mehr Zeit brauche.“

„Nein, mein liebes Kind, so geht es wirklich nicht. Du musst nun diese Entscheidung treffen und zwar jetzt und heute. Du bist schon lange über der Zeit. Schließlich kannst du nicht ewig hier herumtrödeln. Versteh das doch.“

„Aber“, bettelt sie und schaut ihn mit einem Hundeblick treuherzig an.

„Bitte, nur noch einen ganz kleinen Aufschub. Ich bin kurz davor eine Lösung zu finden“.

„Was soll ich dazu sagen. Es liegt nicht in meiner Hand. Ich habe nicht die Befugnis, dir endlos lange Zeit zu gewähren. Die Regeln müssen eingehalten werden.“

„Ja, ich weiß“, sagt sie kleinlaut und schaut schuldbewusst unter sich.

„Ich verspreche Ihnen hoch und heilig, sobald alles in Ordnung ist, melde ich mich. Großes Indianerehrenwort“.

Sie steht auf, rennt los und ruft ihm zu: „Wo finde ich Sie eigentlich?“

„Ich wohne in der Fürstenallee, Haus Wilhelma. Aber bitte, mach zu. Die Zeit läuft uns davon!“.

„Schau mal, Ludwig“, flüstert die Dame am Nachbartisch zu ihrem danebensitzenden Mann und stößt ihn unauffällig mit dem Knie an, „was ist das denn für ein komischer Kauz da drüben? Der redet mit jemandem, obwohl überhaupt niemand da ist“.

Verstohlen mustert er den weißhaarigen Herrn und meint grinsend: „Sieht aus, als würde er Selbstgespräche führen. Schätze, der ist bestimmt schon ein wenig senil“. Herr Weiß trinkt aus, legt einen passenden Geldschein auf den Tisch, schüttelt den Kopf und begibt ich auf den Nachhauseweg. „Bin ich froh, wenn das endlich erledigt ist“, brummelt er vor sich hin.

2. Kapitel

So, Jungs, das war’s für heute. Ich mache mich jetzt auf den Heimweg“, ruft Mike in die gesellige Männerrunde, steht auf und holt seine Jacke von der Garderobe.

„He, das geht aber nicht“, protestieren seine Freunde. Wir verlangen Revanche. Erst uns das Geld beim Pokern abknöpfen und dann sang und klanglos verschwinden. „Also wirklich, was sind das denn für Manieren“!

Lauthals rufen sie ihm zu, er solle wenigstens noch die Abschlussrunde, die bereits von der Kellnerin serviert wurde, mittrinken.

„Ja, natürlich, Freunde“, sagt er, nimmt sich ein Schnapsglas vom Tablett und knöpft die Jacke zu.

„Na, dann zum Wohl!“

Alle greifen ebenfalls zu den Gläsern und prosten ihm zu.

Nachdem sie ausgetrunken haben, bemerkt er grinsend: „Bevor ihr jetzt hinter meinem Rücken über mich ablästert, sage ich nur, diese Runde geht auf mich und ich habe auch schon beim Wirt bezahlt“.

Die Stammtischfreunde applaudieren und reden auf ihn ein, er solle doch noch ein wenig bleiben.

„Nein, bitte, das geht wirklich nicht. Habt Verständnis, ich muss jetzt los, denn laut der Wetter-App sieht es draußen alles andere als schön aus. Ein Unwetter zieht auf und ihr wisst doch, ich habe noch eine ganz schöne Strecke bis zu meiner Wohnung zurückzulegen. Ihr seid da schon besser dran, da ihr ja alle hier im Dorf wohnt und nachher gemütlich zu Fuß nachhause gehen könnt. Wobei ich nicht glaube, dass es ein gemütlicher Spaziergang werden wird, bei diesem Sauwetter“, fügt er hinzu. „Also, habt noch einen schönen Abend und bis zum nächsten Treffen, dann in einem Monat“.

„Aber Mike“, ruft Niko, „du kannst gerne heute bei mir über Nacht bleiben. Absolut kein Problem, denn Platz habe ich mehr als genug.“

„Das ist gut gemeint von dir, aber ich habe noch eine Verabredung, die mir wichtig ist.“

„Klar, verstehe, du alter Schürzenjäger. Dann viel Spaß und eine gute Fahrt. Grüß die Unbekannte von uns“.

Er macht die Tür auf, winkt noch kurz, schließt sie jedoch sofort wieder, da ein scharfer Wind hereinbläst. Grell blitzt es am Himmel und fast gleichzeitig donnert es gewaltig. Er stülpt sich seine Jacke über den Kopf und rennt so schnell er kann zu seinem Auto auf dem Parkplatz. Es sind nur ein paar Meter, dennoch ist er auf dieser kurzen Strecke triefend nass geworden. Was für ein Scheißwetter, murmelt er und zieht ganz schnell die Wagentür hinter sich zu. Die Scheibenwischer mühen sich redlich, trotzdem ist die Sicht extrem schlecht, da der Regen wie ein Sturzbach auf das Auto herniederprasselt. Der Wind legt immer mehr zu und ist nun zu einem Orkan geworden. Aufgrund der schlechten Sicht drosselt er die Geschwindigkeit drastisch. Ständig fallen Zweige und Äste auf die Straße und er muss den Hindernissen ausweichen. Im Radio erklingt gerade einer seiner Lieblingssongs, „on the road again“. Normalerweise singt er solche Lieder gerne mit, doch im Moment ist ihm überhaupt nicht danach.

Plötzlich wird die Musik unterbrochen und es meldet sich ein Sprecher.

„Achtung, liebe Autofahrer! Der Deutsche Wetterdienst gibt eine Unwetterwarnung heraus. Eine Gewitterzone überquert das mittlere Deutschland. Damit einhergehend wird es zu verstärkten Regenfällen kommen und zu Orkanböen bis zu 100 Stundenkilometern. Es wird vor herabfallenden Ästen und vor umgestürzten Bäumen gewarnt. Bitte meiden Sie Fahrten durch Wälder. Allen weiterhin eine gute Fahrt. Kommen Sie heil und gesund an“.

Um sich nicht ablenken zu lassen, macht er das Radio aus. Die Scheibenwischer laufen auf vollen Touren, dennoch ist kaum etwas auf der Straße zu erkennen. Sie schaffen es nicht, gegen diese Wassermassen anzukämpfen. Wie ein Film legt sich immer wieder eine neue, undurchschaubare flüssige Wand auf die Windschutzscheibe. Er wird immer langsamer und überlegt, ob es nicht besser wäre, anzuhalten, bis das Schlimmste vorüber ist. Er hat ja noch die Option, umzukehren und bei Niko unterzukommen. Plötzlich sieht er Scheinwerfer aus der Dunkelheit auf sich zukommen. Voller Schreck reißt er den Wagen ein wenig zur Seite, doch, es ist zu spät. Der Aufprall ist nicht mehr zu vermeiden. Es gibt einen lauten Knall und der Airbag bläst sich explosionsartig auf. Im letzten Moment gelingt es ihm noch die Gurthalterung zu lösen, bevor er aus der aufspringenden Fahrertür herausgeschleudert wird. Besinnungslos bleibt er im Straßengraben liegen. Nach einer Weile kommt er wieder zu sich und bemerkt wie durch eine Nebelwand das mit ihm kollidierte Fahrzeug ein paar Meter entfernt, auf der Seite liegend. Völlig benommen richtet er sich auf und krabbelt auf allen Vieren hinüber zu dem anderen Auto. Entsetzt sieht er, es hat Feuer gefangen und eine Stichflamme kommt aus dem Motorraum. Mit großen Schmerzen, die ihm fast wieder das Bewusstsein rauben, erreicht er dennoch wie in Trance den Unfallwagen. Durch die Fensterscheibe sieht er eine schwer verwundete, blutverschmierte, junge Frau im aufgegangenen Airbag, offensichtlich ohne Bewusstsein. Mit letzter Kraft zerrt er an der Wagentür, die glücklicherweise aufgeht. Sofort sucht er nach der Halterung des Gurts und öffnet ihn. In diesem Moment schießt eine weitere Stichflamme aus dem Motorraum in den dunklen Regenhimmel. Hastig zieht er die Frau aus dem Auto und beide fallen wie nasse Säcke auf den durchweichten Waldboden. Mike atmet tief durch, stöhnend rafft er sich auf und kommt schließlich wankend wieder auf die Beine. Dann nimmt er die zierliche Person hoch und geht mit ihr ein paar Meter fort von der Unfallstelle, immer damit rechnend, dass es jederzeit eine Explosion geben kann. Weiter schleppt er sie aus der Gefahrenzone, bis er letztlich kraftlos und keuchend, neben ihr liegen bleibt. Er hebt ihren Kopf ein wenig an, um zu sehen, ob sie am Leben ist. Erleichtert stellt er fest, sie atmet noch. aber sie ist sehr schwer verletzt und ein Blutrinnsal fließt aus einer Kopfwunde. Der Regen prasselt erbarmungslos auf die beiden hernieder. Es donnert und Blitze erhellen die Nacht. Dann ertönt ein lauter Knall und das Auto fängt an wie ein Osterfeuer zu brennen. Schnell rollt Mike sie hinter einen am Boden liegenden dicken Baumstamm, um Schutz vor dem Feuer zu finden. Völlig entkräftet kauert er neben ihr, zieht seine Jacke aus und bedeckt sie damit. Er kramt ein Taschentuch aus der Jacke und wischt ihr das Blut aus dem Gesicht. Es wird taghell, als der Tank des Unfallwagens explodiert. Ihr Kopf liegt auf seinem Schoß und als er in das totenbleiche Gesicht schaut, muss er mit den Tränen kämpfen, da er ahnt, sie kämpft um ihr Leben, scheint jedoch dem Tod viel näher zu sein. Er muss unbedingt Hilfe holen, nur wie? Sein Handy ist nicht mehr in der Jackentasche, wie er entsetzt feststellen muss. Vielleicht liegt es im Auto? Sein Wagen ist ebenfalls total demoliert und liegt nun auf dem Dach. Mike kriecht hin und durchsucht das Wageninnere, doch sein I- Phone ist nirgendwo zu finden. Wahrscheinlich ist es ebenfalls mit ihm herausgeschleudert worden, denkt er bestürzt. Nur von einigen am Himmel erscheinenden Blitze erhellt, sucht er im Halbdunkel nach der Stelle, wo er wieder zu sich gekommen ist. Dort angekommen wühlt er sich mit beiden Händen durch das nasse Laub. Doch leider erfolglos. Als er kurz aufschaut, sieht er wie durch einen Schleier, dass sich die junge Frau aufrichtet und Anstalten macht, zu ihm zu gehen. Das ist doch unmöglich, denkt er fassungslos. Sie ist dazu überhaupt nicht in der Lage, bei diesen schweren Verletzungen. Sie kommt wie in Zeitlupe immer näher und bleibt vor dem am Boden kauernden Mike stehen, mustert ihn kurz und fängt laut an zu lachen. „Was machen Sie denn da? Sie durchpflügen ja wie ein Trüffelschwein den Wald. Nun, fündig geworden?“

Mike schaut sie fassungslos an und will ihr antworten, doch dazu reichen seine Kräfte nicht. Er kippt zur Seite und fällt in eine tiefe, rabenschwarze Nacht der Bewusstlosigkeit.

Das ist ja das Seltsamste, was ich je erlebt habe, denkt sie und schaut sich um. Ich stehe hier mitten in einem Wald, neben einem total demolierten Auto, meine kleine Knutschkugel geht in Flammen auf und hier liegt ein mir völlig unbekannter, bewusstloser Mann, noch dazu bei einem schweren Gewitter. Wo bin ich denn hier reingeraten? Ist fast so, wie man es von einem Horrorfilm kennt. Jetzt fehlen nur noch unheimliche Zombies, die hinter den Bäumen hervorkommen. Also, lustig ist das nicht gerade. Sie geht in die Knie und widmet sich dem Fremden, schaut nach, wie schwer er verletzt ist. Rein äußerlich kann sie lediglich ein paar Kratzer entdecken und Brandspuren. Der muss aber viele Schutzengel haben, denkt sie, wenn man das Schrottauto sieht. Ist bestimmt ein Totalschaden. Aber, tadelt sie sich, das ist im Moment nun wirklich nicht wichtig, dem armen Kerl muss doch sofort geholfen werden. Vielleicht hat er ja innere Verletzungen? Nur, wie? Wo ist mein Handy? Ach, du meine Güte! Ich hatte es in meiner Handtasche. Und die ist im Auto, demnach bestimmt ein Opfer der Flammen geworden. Was mache ich bloß? Hier ist weit und breit niemand zu sehen.

In diesem Moment schlägt der Fremde die Augen auf und schaut sie irritiert an.

„Was ist los? Wo bin ich? Und wer sind Sie? Ach, jetzt erinnere ich mich. Bin wohl einen kleinen Moment weggetreten“.

„Das kann man in der Tat sagen. Sie haben mir einen ganz schönen Schreck eingejagt. Im ersten Moment befürchtete ich schon, Sie wären ins Jenseits hinübergegangen“.

„Sie sind gut. Das Gleiche könnte ich von Ihnen sagen, denn nach den schweren Verletzungen grenzt es an ein Wunder, dass Sie noch am Leben sind. Und jetzt, wieder putzmunter? Das ist ja unglaublich“.

„Was soll das denn? Wollen wir uns gegenseitig vorwerfen, dass wir noch am Leben sind? Ich glaube, wir haben ganz bestimmt momentan andere Probleme. Mein Handy kann ich nicht finden, ist wahrscheinlich verbrannt. Haben Sie eins, damit wir einen Notruf abgeben können?“

„Leider nein, ich kann es nicht finden. Was glauben Sie, weshalb ich hier auf allen Vieren im Wald herumgekrochen bin, noch dazu bei diesem Wetter. Ganz bestimmt nicht aus Spaß“.

„Also doch keine Suche nach Trüffeln“, lacht sie.

Mike steht auf, klopft sich den Schmutz von der Kleidung und kommt ein wenig näher zu ihr.

„Es ist ja sehr amüsant mit Ihnen zu plaudern, doch ich bin der Meinung, wir sollten ernsthaft darüber nachdenken, wie wir aus dieser vertrackten Lage herauskommen. Haben Sie eine Idee?“

„Das dürfte schwierig werden. Ohne Handy, mitten im Wald. Aber zum Glück hat es wenigstens jetzt aufgehört zu regnen und nach dem entfernten Donnern zu urteilen, scheint das Gewitter weggezogen zu sein. Ich denke, das Beste wäre, wir gehen zurück zur Landstraße. Vielleicht haben wir Glück und können ein Auto anhalten“.

„Ja, gut, wäre eine Möglichkeit“.

Sie bahnen sich wortlos einen Weg durch das dichte Unterholz. Sophie stolpert über einen Ast, doch Mike fängt sie reaktionsschnell auf. Sie bedankt sich und sagt: „Nachdem wir uns nun von der netteren Seite her kennengelernt haben, schlage ich vor, wir sollten uns vorstellen. Also, ich bin Sophie. Und wie darf ich Sie ansprechen?“

Mike reicht ihr die Hand und antwortet: „Ich bin Michael. Meine Freunde nennen mich Mike“.

Sophie erwidert seinen Handschlag, lächelt und geht vorsichtig weiter in Richtung Landstraße. Mike hinterher. Plötzlich ertönen aus der Ferne Sirenen. Sie halten inne und lauschen.

„Das ist bestimmt die Feuerwehr“, ruft Mike erfreut. „Irgendjemand muss wohl das brennende Auto gesehen haben und hat sie alarmiert.

„Ja, meine kleine Knutschkugel“, murmelt Sophie bedrückt.

„Wie bitte? Knutschkugel?“, amüsiert sich Mike. „Ein lustiger Name für ein Auto. Wie kommen Sie denn darauf?“

„Das ist doch egal. Meine Sache“, entgegnet sie etwas pikiert. „Ich bin stinksauer, dass Sie mir mein Wägelchen zu Schrott gefahren haben“.

„Wie bitte?“, echofiert sich Mike, „ich soll den Unfall verursacht haben? Ich glaube das jetzt nicht. Sie sind doch plötzlich wie ein feuerspeiender Drache aus dem Nebel direkt auf mich zugekommen. Da war absolut kein Ausweichen mehr möglich“.

„Ja, ja, immer diese Ausflüchte. Ich bin sehr langsam gefahren und war ganz bestimmt auf meiner Fahrbahn. Leider habe ich keine Erinnerung mehr, da alles so schnell ging“.

„Da sehen wir’s. Sie können sich nicht mehr erinnern, aber behaupten einfach, ich wäre schuld. Wieder einmal typisch Frau“.

„Jetzt kommen Sie mir aber nicht mit diesem Machogehabe“, entrüstet sich Sophie und schaut ihn strafend an. Bevor das Gespräch in größere Streitereien ausarten kann, sehen sie auf der Straße die Blaulichter eines Fahrzeugs, sich schnell nähernd. Freudig gehen sie näher an den Straßenrand und winken enthusiastisch mit beiden Armen. Es ist tatsächlich ein Feuerwehrauto, gleich dahinter taucht auch noch ein Rettungswagen und mehrere Fahrzeuge der Polizei auf.

„Gottseidank!“, ruft Sophie erleichtert, „wir sind gerettet“. Sie fallen sich in die Arme, drücken sich kurz und wenden sich den Rettungsfahrzeugen zu, die mittlerweile an der Unfallstelle angekommen sind. Doch die Enttäuschung ist groß, denn niemand beachtet sie. Alle Helfer rennen zu dem brennenden Auto, die Feuerwehrleute haben große Feuerlöscher dabei und löschen fachmännisch das Feuer. Die Rettungssanitäter und der Notarzt steigen eilig aus, öffnen die hintere Tür des Rettungswagen und suchen nach Verletzten die Gegend ab.

„Hier sind wir! Hallo!“ schreit Mike und geht näher heran. Doch das scheint niemand zu hören, denn keiner reagiert. Sie nehmen ihn überhaupt nicht zur Kenntnis. Er eilt zurück zu Sophie, die konsterniert und sprachlos am Straßenrand steht und dem Geschehen zusieht.

„He, hallo, wir sind verletzt“, ruft Mike, mit sich überschlagender Stimme, „schauen Sie mal nach der Frau. Die braucht dringend ärztliche Hilfe und muss ganz schnell ins Krankenhaus.“.

Doch so laut er auch ist, es interessiert niemanden, denn sie setzen die Suche nach Verletzten, ohne ihn zu beachten, fort. Geschäftig eilt jeder an ihm vorbei.

„Sie scheinen verbrannt zu sein“ meint ein vorübergehender Feuerwehrmann. „Konntet ihr schon ins Auto reinsehen? Sind da verkohlte Leichen drin?“ „Nein“, ruft ein anderer, „ist noch viel zu heiß.“. „Komisch, die Autos können doch nicht von alleine gefahren sein. Wo sind die denn? Auf, sucht weiter. Vielleicht sind sie rausgeschleudert worden und liegen weiter weg. Marsch, marsch, eilt euch!“

Sophie kommt ein Stück näher zu Mike und sagt mit tonloser Stimme: „Lassen Sie das sein. Sehen Sie denn nicht, es ist sinnlos sich so zu gebärden. Es sieht ganz so aus, als könnten sie uns nicht wahrnehmen“.

Geschockt starrt Mike sie an.

„Was meinen Sie damit? Wir sollen nicht sichtbar sein? So ein Blödsinn! Ich sehe Sie doch ganz klar und deutlich. Sie mich etwa nicht?“

„Doch schon, ich kann Sie sehen. Aber offensichtlich nur ich, die anderen wohl nicht“.

„Das ist mir zu hoch. Was kann das denn bedeuten?“

„Keine Ahnung“.

Wortlos schauen sie sich das unheimliche Treiben rings um sie herum an, hören laute Kommandostimmen der Feuerwehrleute und aufgeregte Rufe der Sanitäter und Ärzte. Nach einer Weile bringen Sanitäter zwei Bahren und schieben sie in den offenen Rettungswagen. Die darauf liegenden Personen sind mit Decken zugedeckt und deshalb können sie nicht sehen, wer da liegt. Mit hoher Beschleunigung und lautem Sirenengeheul setzen sich die Fahrzeuge in Bewegung. Mehrere Polizisten markieren die Unfallstelle mit Bändern, machen viele Aufnahmen und packen nach getaner Arbeit ihre Sachen wieder ein, bevor auch sie in ihre Fahrzeuge einsteigen und abfahren.

„Was nun?“ fragt Mike mit versteinerter Miene, „wie soll das jetzt weitergehen? Nun sind alle weg und was soll aus uns werden? Es sieht ganz so aus, als könnte uns niemand helfen“.

„Ja, scheint so.“

Fassungslos schauen sie den abfahrenden Wagen hinterher.

„Kommen Sie“, löst Mike die unangenehme Stille auf, „hier ist ein Baumstamm. Setzen wir uns hin und überlegen, was wir unternehmen können“.

Sie nehmen Platz, beide schauen auf den Boden, jeder mit seinen düsteren Gedanken beschäftigt.

Nach einer endlos langen Zeit ergreift Sophie couragiert das Wort: „Keine Ahnung was hier abgeht, aber nur hier so rumsitzen, kann’s nicht sein. Das hilft uns nicht weiter. Wir müssen was tun“.

„Super Idee“, grinst Mike gequält, „und das wäre?“