DelfinTeam (1). Abtauchen ins Abenteuer - Katja Brandis - E-Book

DelfinTeam (1). Abtauchen ins Abenteuer E-Book

Katja Brandis

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Beschreibung

Meere, Strände, Unterwasserwelten - packende Delfinabenteuer für Jugendliche ab 12 Sandra findet nichts langweiliger als ihre Ausbildung bei der Bank. Deswegen ergreift sie sofort die Gelegenheit, als ihr ein Job als Taucherin in einem DelfinTeam in Florida angeboten wird. Weit weg von Deutschland lernt Sandra gemeinsam mit ihrer Delfin-Partnerin Caruso die neue Umgebung kennen, übt die gemeinsame Sprache ein und bereitet sich auf ihre Einsätze im Meer vor. Und schon bei ihrer ersten, richtigen Mission mit Caruso wird es gefährlich: Das Bergungsschiff Antares sucht im Meer nach der Silberfracht einer versunkenen spanischen Galeone, doch ein noch größeres Rätsel gibt Sandra das merkwürdige Verhalten der Menschen an Bord auf. Als sie herausfindet, was dahintersteckt, ist es schon fast zu spät … Bestsellerautorin Katja Brandis erzählt packend und spannend von der ganz besonderen Verbindung zwischen Mensch und Tier. Das Delfin Team ist die realistische Analogie zu der berühmten Seawalkers-Reihe. Weitere Bände von Katja Brandis: Woodwalkers Seawalkers Koalaträume Gepardensommer

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Seitenzahl: 302

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Katja Brandis,

Jahrgang 1970, hat Amerikanistik, Anglistik und Germanistik studiert und als Journalistin gearbeitet. Schon in der Schule liehen sich viele Mitschüler ihre Manuskripte aus, wenn sie neuen Lesestoff brauchten. Inzwischen hat sie zahlreiche Romane für Jugendliche veröffentlicht, unter anderem Ruf der Tiefe, Gepardensommer und Khyona. Mit ihren Bestsellerreihen Woodwalkers und Seawalkers begeistert sie Jungen und Mädchen gleichermaßen. Sie lebt mit Mann, Sohn und drei Katzen in der Nähe von München.

www.arena-verlag.de/katja-brandis

Ein Verlag in der Westermann Gruppe

1. Auflage als Arena-Taschenbuch 2022

© 2022 Arena Verlag GmbH

Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg

Alle Rechte vorbehalten

Dieser Roman erschien erstmals in anderer Ausstattung

2011 im Verlag Carl Ueberreuter, Wien.

Dieses Projekt wurde vermittelt durch die Autoren-

und Projektagentur Gerd F. Rumler (München)

Umschlaggestaltung: Caro Liepins unter Verwendung von Bildern

von Shutterstock (© Netfalls Remy Musser, Facanv)

Kapitelvignetten und Abbildung der Taucherausrüstung im Innenteil

unter Verwendung von Bildern von Shutterstock

(© DianaFinch, Sergiy Zavgorodny)

ISSN 0518-4002

E-Book ISBN 978-3-401-81003-4

Besuche den Arena-Verlag im Netz unter:

www.arena-verlag.de

Für Elele, die »Botschafterin«

Teil 1

FOLGE DEINEM TRAUM

Sandra taucht ab

Ein gestreifter Fisch mit Flossen, die wie wehende Seidenschals aussahen, schwamm vorbei. Dann eine Gruppe von drei gelben – wie hießen die noch mal? Gemächlich durchquerte eine Schildkröte das Bild, toll, die kam nicht oft. Ein Stück weiter witschten zwei Clownfische in einer Anemone herum …

»Frau Weidner, wir bräuchten hiervon fünf Kopien. So bald wie möglich, bitte.«

Sandra zuckte zusammen und tippte schnell auf die Leertaste ihres Keyboards, damit der Aquarium-Bildschirmschoner verschwand. Mist, wieso hatte sie nicht aufgepasst? Jetzt hatte Reuschenbach sie beim Nichtstun erwischt! Oder eher beim Glotzen auf ein Rudel virtuelle Fische, und das war noch peinlicher. Sandra schnappte sich ein paar herumliegende Blätter und versuchte auf die Schnelle, beschäftigt zu wirken. »Aber gerne, Herr Reuschenbach.«

Ihr Ausbildungsbeauftragter, ein drahtiger Mann Ende vierzig, blickte sie durch seine randlose Brille mit zusammengekniffenen Augen an. »Wie kommen Sie mit dem Eintippen der Belege voran?«

»Ganz gut – meine Finger rauchen schon fast«, versuchte Sandra abzulenken.

»Prima, dann schaffen Sie die bestimmt auch noch«, sagte Reuschenbach kühl und legte ihr einen dicken Packen auf den Schreibtisch. Sie konnte genau sehen, dass ihm das Spaß machte.

»Nur so wenige?«, fragte Sandra frech. Reuschenbach würdigte sie keiner Antwort und verschwand.

Lange nachdem er gegangen war, starrte Sandra auf den Papierstapel vor ihr. Das durfte echt nicht wahr sein! Noch mehr Belege! Jetzt war sie seit einem halben Jahr Azubi in der Bank, und alles, was sie tat, war, am Kopierer zu stehen, Ablage zu machen und Belege einzugeben. Wozu hatte sie eigentlich Abitur gemacht? Hierfür hätte auch Sonderschule gereicht!

Sandra fühlte sich elend, als sie sich auf den Weg den Gang hinunter zum Kopierer machte. Sie ging schnell – aber nicht schnell genug. Von rechts schoss jemand auf sie zu: »Ach, könnten Sie das auch schnell mitnehmen?«

Sandra beschleunigte ihre Schritte, aber jetzt hatte auch Frau Alzey aus der Abteilung Bauträgerfinanzierung sie gesehen. Sandra mochte sie nicht – sie lächelte ständig, aber ihr Lächeln hatte etwas Verkniffenes, und Sandra wusste, dass ihre Lieblingsbeschäftigung war, über Kollegen zu lästern. Bevor Sandra flüchten konnte, hatte Frau Alzey sie eingeholt und schichtete einen dicken Stoß Kreditakten auf die Ladung, die Sandra sowieso schon trug. »Nehmen Sie das auch noch mit? Vielen Dank. Jedes Blatt dreimal. Und bitte ein bisschen schneller als gestern.«

»Gerne, aber jetzt brauche ich einen Gabelstapler«, murmelte Sandra.

Frau Alzey stelzte davon. Sie trug wie so oft ein dunkelblaues, mit einem bunten Tuch garniertes Kostüm und beigefarbene Strumpfhosen. Wie viele von diesen Dingern hat sie eigentlich?, dachte Sandra. Sie kam an einem Aktenschredder vorbei und war in Versuchung, den ganzen Stoß Papier durch den Reißwolf zu jagen und sich dann in irgendein Land abzusetzen, wo sich nicht alles um Einzahlungsbelege drehte.

Als Sandra mit dem Kopieren fertig war, war es Mittag. Frau Alzey war wie immer nicht in die Kantine gegangen, sondern saß mit einem Becher Diätquark und einer Banane an ihrem Schreibtisch und las irgendein Promi-Klatschblatt. Sandra murmelte »Mahlzeit«, ließ den Aktenstapel neben eine Abbildung von Lena Gercke mit Baby im Tragetuch fallen und machte sich aus dem Staub.

Sandra konnte nur an eins denken: jetzt schnell zu Thomas. Sie nahm den Aufzug in den fünfzehnten Stock und schlängelte sich zwischen Schreibtischen und Gummibäumen zu ihrem Freund durch. Thomas war einen halben Kopf größer als sie – was bei Sandras hundertdreiundsechzig Zentimetern nicht schwer war –, hatte blondes, zurückgekämmtes Haar und eine bunte Designerbrille. Im Gegensatz zu ihr war er in der Bank beliebt. Für Sandra war er, seit sie sich in der Kantine kennengelernt hatten, der Rettungsanker. Thomas war im zweiten Lehrjahr und half ihr geduldig beim Kampf mit rechtlichen Bestimmungen und den Feinheiten der Buchhaltung. Knapp fünf Monate war es jetzt her, dass sie sich dabei verknallt hatten. Komisch, wie schnell das manchmal ging, wenn sonst niemand nett zu einem war. Oder man sich das zumindest einbildete. Schon in den ersten Wochen hatte sich Sandra in der Bank den Ruf eingehandelt, eigensinnig zu sein, und das klebte an ihr wie ein frischer Kaugummi, den jemand auf den Bürgersteig gespuckt hat. Jede neue Abteilung, in die sie kam, wusste schon über sie Bescheid.

Doch diesmal hatte Thomas keine Zeit für sie, seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Computer. Er sah nur kurz auf, lächelte zärtlich und sagte »Moin, moin«, als sie ihm die Hand auf die Schulter legte. Selbst nach acht Jahren in Frankfurt redete er, als würde er immer noch in Bremen leben.

»Ich muss dich unbedingt nachher sehen«, sagte Sandra leise.

Thomas zog die Augenbrauen hoch, fragte aber nicht, was los war. »Sieben Uhr, bei mir?«, schlug er vor und Sandra nickte.

Thomas hatte eine eigene Wohnung. Er hatte die Wände mit asiatischen Holzschnitten verziert und in seinen Regalen standen reihenweise Japan-Bildbände und -Reiseführer. In der Ecke lag die Tasche mit seiner Kendo-Ausrüstung. Seit zwei Jahren lernte Thomas die Kunst des japanischen Schwertkampfs.

»Was ist denn los?«, fragte Thomas, setzte sich auf seinen Futon und nahm Sandra in die Arme. Er roch nach frischer Luft und Regen, weil er mit dem Fahrrad gefahren war, und ein bisschen nach seinem Parfum, dessen Name sich Sandra nie merken konnte. »Du sahst heute Mittag aus, als hätte Reuschenbach dich gezwungen, seine Schuhe abzulecken.«

»Ich halte es nicht mehr aus, Tom«, sagte Sandra. Ihr saß ein dicker Kloß in der Kehle. »Ich schaff’s einfach nicht. Wenn ich morgens daran denke, dass ich wieder in die Bank muss, würde ich am liebsten um mich schlagen.«

»Nerven dich die ganzen Hilfsjobs? Da muss man eben durch.« Thomas lockerte seine Krawatte und zog sie aus. Er behielt Hemd und Stoffhose auch abends an. Sandra warf sich nach Feierabend meist in Jeans und eins ihrer vielen U2-T-Shirts. »Wenn du zeigst, dass du dich für die Themen interessierst, dann traut man dir auch mehr zu und gibt dir interessantere Sachen. Bei mir hat das auch so funktioniert.«

Thomas stand auf und steckte ein Räucherstäbchen an, das einen Duft nach Sandelholz verbreitete. Dann machte er für sich einen grünen Tee und goss Sandra einen Orangensaft ein, weil er wusste, dass sie keinen Tee mochte.

»Dir merkt man eben an, dass du hoch hinauswillst«, sagte Sandra und ließ die Hand über den rauen Leinenstoff des Futons gleiten. Thomas wollte nach der Lehre Betriebswirtschaft studieren und dann in die Bank zurückgehen, um so in die Führungsetagen aufzurücken. »Aber Nina hat mir neulich in der Berufsschule erzählt, dass sie schon im zweiten Jahr ist und immer noch hauptsächlich kopiert.«

»Dann brich die Lehre doch ab.«

Sandra seufzte tief. »Ich habe meiner Mutter versprochen, dass ich die Ausbildung fertig mache. Ich werde noch mal mit ihr reden.«

»Wie bist du überhaupt auf Bankkauffrau gekommen?«

»Ich hatte nach dem Abi überhaupt keine Ahnung, was ich werden wollte. Und meine Mutter hat mir eingeredet, dass ich doch etwas Vernünftiges machen sollte, sonst würde ich werden wie mein Vater. Also habe ich mir gedacht: Okay, du kannst gut mit Zahlen umgehen – bewirb dich bei der Bank!«

»Du brauchst einen Traum«, sagte Thomas. Sein Smartphone dudelte los, aber er brachte es mit einem Knopfdruck zum Schweigen. Sandra war ihm dankbar, dass er dieses eine Mal nicht dranging. »Irgendwas, auf das du dich freuen kannst, wenn du arbeitest«, fuhr er fort. »Glaub mir, das hilft. Dann schafft man’s viel besser, den Alltag zu ertragen.«

»Ich freue mich wahnsinnig auf unseren Urlaub – mit dir nach Japan zu fahren.« Sandra streckte sich auf dem Futon aus und legte den Kopf in seinen Schoß. Sie fühlte sich furchtbar erschöpft. Wenn sie sich ihre Zukunft vorstellte, dann sah sie nur eine graue Nebelwand. Der Gedanke, die Lehre abzubrechen, war gleichzeitig verlockend und erschreckend. Erschreckend, weil sie nicht wusste, was sie stattdessen machen könnte. Studieren vielleicht? Aber was? Wenn sie jetzt abbrach, würde sie danach wahrscheinlich genauso herumdriften wie nach dem Abi, als sie mit ihrer besten Freundin Nadja kreuz und quer durch Europa getrampt war. Schade, dass Nadja nicht mehr hier war, sie studierte inzwischen in Berlin Politikwissenschaft …

»So was wie einen Urlaub meine ich nicht«, sagte Thomas. »Und außerdem ist Japan vor allem mein Traum, den hast du dir sozusagen nur ausgeliehen.«

»Stimmt eigentlich«, sagte Sandra. Im Geist ging sie ihre Hobbys durch. Sie las gerne, zurzeit saugte sie mindestens zwei Bücher pro Woche auf. Sie ging oft ins Schwimmbad. Außerdem fotografierte sie ganz gut und früher war sie geritten.

Thomas ließ nicht locker. »Gibt’s denn nichts, was du gerne mal machen wolltest, aber dich nie getraut hast?«

Sandra überlegte lange. Ließ ihre Gedanken schweifen. Bis sie auf eine herrliche Erinnerung stießen. Korsika. Dreizehn war sie gewesen. Sandra erinnerte sich ans Schnorcheln im türkisfarbenen, lichtdurchfluteten Wasser. Daran, wie faszinierend es gewesen war, die Fische in ihrer geheimnisvollen Welt zu beobachten. Dort gab es so viel zu entdecken, dass Sandra gelernt hatte, bis zu einer Minute die Luft anzuhalten. Und bei einem Ausflug aufs Meer hatten Delfine ihr kleines Boot begleitet, Sandra konnte sich genau daran erinnern. Der eine hatte sich auf die Seite gedreht und sie durch das klare Wasser hindurch neugierig angesehen, als würde er sich für sie genauso interessieren wie sie sich für ihn. Dieses Gefühl der Verbindung, das sie in diesem Moment gespürt hatte, hatte sie lange nicht losgelassen. Seither waren Delfine ihre Lieblingstiere.

»Vielleicht irgendwas mit dem Meer«, sagte Sandra. »Tauchen lernen zum Beispiel. Meine Mutter zieht mich seit Jahren damit auf, dass ich vor dem Fernseher klebe, wenn irgendwas über Unterwasser-Expeditionen oder eine Doku über Wale kommt.«

»Klingt gut«, sagte Thomas. »Aber ich hoffe, du erwartest nicht, dass ich mitmache. Ich habe mit dem Kendo-Training genug zu tun und nächstes Wochenende hat meine Volleyballmannschaft ein Auswärtsspiel …«

»He, habe ich auch nur die allerwinzigste Andeutung gemacht, dass ich so was erwarte?« Sandra war genervt. Die meiste Zeit war Thomas wahnsinnig nett, aber dann brachte er irgendeinen blöden Spruch.

»Sorry«, sagte Thomas und legte ihr den Arm um die Schultern. »Ich bin im Moment auch ein bisschen gestresst, weil ich nächste Woche zum ersten Mal richtig Kunden beraten darf …«

Nachdem sie eine Weile über seine zukünftigen Kunden geredet hatten, fiel Sandra etwas ein. »Vielleicht kann man in Japan auch tauchen! Dann könnten wir unsere beiden Träume verbinden.«

Sie beschloss, über Nacht bei Thomas zu bleiben. Ihrer Mutter Bescheid zu sagen, war nicht nötig – sie hatte Bereitschaftsdienst im Krankenhaus. Sandra musste nur morgen früh kurz daheim vorbeiradeln, um ein paar frische Klamotten für die Bank zu holen.

Als Sandra am nächsten Tag von der Arbeit kam, war ihre Mutter daheim. Aber sie lag völlig erschöpft auf der Couch, ein Buch vor der Nase und ein Rotweinglas neben sich. Das kannte Sandra. Nach dem Dienst war sie meistens so. Immerhin roch es gut nach brutzelndem Käse und Tomate, anscheinend gab es etwas zu essen.

»Na, alles klar?«, fragte ihre Mutter.

»Alles klar«, sagte Sandra und warf einen Blick in die Küche, wo zwei Tiefkühlpizzen im Ofen bedenklich braun wurden. Schnell griff sich Sandra einen Topflappen und nahm die beiden Scheiben aus dem Ofen, solange sie noch genießbar waren.

»Danke«, sagte ihre Mutter und seufzte. Schweigend deckten sie den Tisch und begannen zu essen.

Wieder einmal fiel Sandra auf, dass sie und ihre Mutter sich überhaupt nicht ähnlich sahen. Christine Weidner war schlank, blond und groß, Sandra klein und dunkel. Vielleicht hat sie deshalb immer Angst gehabt, dass ich meinem Vater nachschlage, dachte Sandra. »Übrigens«, sagte sie zwischen zwei Bissen, »ich lerne jetzt tauchen.«

»Wie, wo, was?« Verdutzt blickte ihre Mutter auf. »In der Berufsschule?«

War vielleicht doch keine gute Idee, darüber zu reden, während sie noch so hirntot ist, dachte Sandra. »Nee, zum Spaß natürlich.«

»Ja, aber – richtig mit Gerät und so was?« Ihre Mutter runzelte die Stirn. »Traust du dir das zu? Ist das nicht gefährlich?«

»Kann sein, aber ich habe Lust drauf«, sagte Sandra kampflustig. »Und außerdem bin ich volljährig, wie du vielleicht ab und zu vergisst.«

»O nein, das vergesse ich nicht«, sagte ihre Mutter und lächelte zum ersten Mal an diesem Abend. »Ich bin froh darüber. So was wie deine Pubertät würde ich für kein Geld der Welt noch mal durchmachen wollen!«

Normalerweise hätte Sandra darüber gelacht. Aber heute war ihr nicht danach zumute. »Na, dann sei froh, dass du nur eine Tochter hast«, sagte sie müde.

Die Pizza war bald verschwunden, das letzte Stück war kalt und sah immer mumifizierter aus. Obwohl der Moment nicht gerade optimal war, wusste Sandra, dass sie die Sache mit der Bank ansprechen musste. Sonst verkroch sich ihre Mutter wieder hinter ihr Buch.

Am besten, sie brachte es jetzt gleich hinter sich! Sie schob ihren Teller weg und sagte: »Mama, ich fühle mich nicht wohl in der Bank. Ich überlege, ob ich die Lehre abbrechen soll.«

»Du brauchst eine solide Ausbildung«, sagte ihre Mutter und stellte ihr Rotweinglas ab, dass es nur so schwappte. »Hast du mir nicht versprochen, dass du das durchziehst? Ich kann mich gut daran erinnern. Willst du deine berufliche Zukunft wegwerfen?«

Die gleichen alten Argumente! Sandra spürte, wie sie wütend wurde. »Interessiert es dich überhaupt nicht, wie es mir in der Bank geht?«

»Meine Güte, Sandra, du bist erst sechs Monate dabei, gib dir ein bisschen Zeit, dich einzugewöhnen.« Ihre Augen trafen sich. Sie sieht alt aus heute, fiel Sandra auf. Unter den blauen Augen ihrer Mutter lagen tiefe Schatten, die kleinen Falten rund um ihren Mund schienen mit jeder Woche tiefer zu werden.

»Können wir das auch später diskutieren?«, fuhr ihre Mutter fort. »Am besten in einem halben Jahr. Wenn du dann immer noch nicht zufrieden mit dem Job bist, dann mach meinetwegen was anderes. In Ordnung?«

»Mal schauen«, sagte Sandra und hörte selbst, wie angespannt ihre Stimme klang. Also war Thomas ihr einziger Verbündeter, nur er nahm ihre Probleme ernst! Schweigend aßen sie weiter. Wie soll ich nur ein halbes Jahr durchhalten?, fragte sich Sandra. Thomas hat recht, ich brauche dringend einen Ausgleich. Hoffentlich wirkt das mit dem Traum!

Sie setzte sich an ihren Computer und gab »Tauchclubs« und »Frankfurt« in die Suchmaschine ein. Es gab eine ganze Menge Angebote. Während Sandra durch die Websites scrollte, musste sie daran denken, wie der Delfin sie damals angesehen hatte. Vielleicht hätte ich das schon vor fünf Jahren machen sollen, dachte sie. Vielleicht hat er darauf gewartet, dass ich wiederkomme …

Es war so weit. Jetzt ging’s ans Schnuppertauchen! Sandras Herz pochte laut, als sie zusammen mit einem Rudel angehender Taucher die Umkleide stürmte. Kurz darauf stand sie in der Schwimmhalle vor einer langen Reihe von knallgelben Pressluftflaschen und schaute sich ratlos um. Rings um sie waren Leute emsig damit beschäftigt, ihre Geräte zusammenzubauen. Niemand achtete auf sie. Wo war eigentlich Bernd, der Tauchlehrer? Er hatte ihr am Samstag im Shop geholfen, Flossen und eine Taucherbrille – »Maske« genannt – auszusuchen. Ihm gehörte der Laden, er tauchte seit dreißig Jahren. Eigentlich hatte er heute hier sein wollen. Übersehen hatte sie ihn bestimmt nicht, er war gebaut wie ein Grizzlybär.

»Äh, wie genau geht das?«, fragte Sandra schließlich ihren Nachbarn, einen dünnen, etwa sechzehnjährigen Jungen. Ratlos drehte sie ein Knäuel von Gummischläuchen in der Hand, das aussah wie eine Riesenspinne und das man vermutlich irgendwie an die Pressluftflasche anschließen musste. Außerdem gab es noch eine Art Weste aus festem Nylon. Wer wusste, wozu die gut war.

Zum Glück machte der Junge sich nicht über ihre Ahnungslosigkeit lustig. »Moment, ich bin gleich fertig, dann zeig ich’s dir«, sagte er mit amerikanischem Akzent. Es stellte sich heraus, dass der Junge Leon hieß und das Schlauchgewirr ein »Atemregler« war, der die Luft aus der Flasche in Sandras Mund und in die Weste, das »Jacket«, leiten sollte. Die Weste konnte man auf Knopfdruck Stück für Stück aufblasen, damit die Luft einem Auftrieb gab.

Sie waren inzwischen die Einzigen, die auf festem Boden standen. Alle anderen Tauchschüler schwammen mit kräftigen Flossenschlägen in einer abgeteilten Bahn hin und her, wärmten sich auf. Sandra wurde klar, dass die anderen alle schon Erfahrung hatten und sie an diesem Tag die einzige Schnuppertaucherin war. Ein Lehrer war immer noch nicht in Sicht. Sandra zuckte die Schultern, ließ ihr Gerät stehen und warf sich ebenfalls mit Maske und Flossen ins Wasser.

Schließlich erschien Bernd doch noch. »Oh, sorry«, sagte er, als er sie sah. »Dich hätte ich beinahe vergessen. Wie war noch mal dein Name?«

Dann war es so weit, die Tauchschüler gingen tropfend an Land, um ihre Geräte anzuziehen. Bernd wies sie ein, wie man den Bleigurt anzog und die Pressluftflasche aufdrehte. Dann versuchte Sandra, ihre Arme zwischen Bänder und Schläuchen hindurchzuwinden und sich das Gerät auf den Rücken zu schnallen. »Ist ja nervig, dass man so viel Ausrüstung zum Tauchen braucht«, beschwerte sie sich. »Ich komme mir vor wie ein menschliches U-Boot!«

»So was Ähnliches bist du jetzt auch.« Bernd zog die Gurte an ihren Schultern fest.

Sandra nahm den ersten Zug aus dem Mundstück. Ein Zischen ertönte, das nach dem Atemgeräusch von Darth Vader klang, und kühle trockene Luft strömte in ihre Lungen. Das Mundstück schmeckte ein bisschen nach Gummi, aber das ließ sich aushalten. Viel blöder war, dass diese Pressluftflasche Tonnen zu wiegen schien! Wie sollte man mit so einem Stahlblock auf dem Rücken und einem Bleigurt um die Hüfte aufstehen und durch die Gegend laufen können?

»Du schaffst das«, versicherte ihr Bernd grinsend und stützte sie, als sie schwankend zum Beckenrand ging. Sandra sprang von der Schwimmbadkante und fand sich schwerelos in einer kristallklaren Welt schwebend wieder. Unter Wasser spürte man das Gewicht der Flasche nicht. Auch die Ausrüstung fühlte sich nicht mehr klotzig an, man merkte sie kaum.

Sandra nahm ein paar Atemzüge und schaute sich um. Es war ein seltsamer Anblick: Während an der Oberfläche die Badegäste planschten, saßen unter ihnen in vier Meter Tiefe zwanzig Gestalten im Kreis wie um ein Lagerfeuer und widmeten sich seltsamen Ritualen. Ströme von silbernen Luftblasen stiegen von der Versammlung auf dem Boden des Schwimmbads auf. Die machen da unten irgendwelche Übungen, dachte Sandra und versuchte übermütig, zu den anderen hinunterzutauchen. Aber sie trieb an die Oberfläche zurück wie ein Korken, weil sie vergessen hatte, die Luft aus ihrem Jacket abzulassen. Das mit dem Tauchen war doch nicht so einfach, wie es aussah. Zum Glück schwamm Bernd jetzt neben sie und erklärte, wie man das Gerät richtig bediente und worauf sie achten sollte.

Eine Stunde später wand sich Sandra erschöpft aus ihrem Tauchgerät und pilgerte unter die Dusche. Ihr Kopf war gestopft voll mit den neuen Dingen, die sie erlebt und gelernt hatte.

Bernd war damit beschäftigt, die Pressluftflaschen in den Kombi des Tauchshops zu laden. Er schaffte zwei auf einmal. »Na, hat’s Spaß gemacht, äh …?«

»Sandra«, half sie ihm auf die Sprünge. »Ja, hat es. Ich überlege es mir mit dem Kurs und melde mich bei dir, okay?«

Während sie durch den frostigen Dezembernebel nach Hause radelte, ließ sich Sandra durch den Kopf gehen, ob sie mit dem Tauchen weitermachen wollte. Wenn das immer so chaotisch abläuft, dann kann es ja lustig werden, dachte sie. Und Schwimmen und Schnorcheln ist eigentlich schöner, weil man nicht so viel Ausrüstung mit sich herumschleppen muss.

Aber dann erinnerte sie sich an das Gefühl, im Wasser zu schweben, dort atmen zu können. Das war einfach genial gewesen. Im Meer würde sie mit so einem Gerät ein Fisch unter Fischen sein und sich eine halbe Stunde oder länger umschauen können.

Sandra trat kräftig in die Pedale, bevor sie in die Einfahrt ihres Wohnblocks einbog. Eins ist sicher, dachte sie. In Zukunft werde ich’s nicht mehr nötig haben, Bildschirmfische anzuglotzen!

Der Urlaub mit Thomas rückte immer näher. Trotzig ging Sandra während der Arbeit ins Internet und forschte nach, ob man in Japan überhaupt tauchen konnte. Tatsächlich, sie wurde fündig. Sandra klickte auf das »Drucken«-Symbol. Der Gemeinschaftsdrucker, der auf der anderen Seite des Großraumbüros stand, begann zu wispern …

Zum Glück hörte sie diesmal rechtzeitig, dass Reuschenbach herannahte. Schnell klickte Sandra das Google-Fenster in den Hintergrund.

Reuschenbach schien förmlich zu wittern, dass sie etwas Verbotenes getan hatte. Als er Sandra einen Stapel Unterlagen zuschob, die sie einsortieren sollte, musterte er ihren Schreibtisch und Monitor wie ein Jagdhund, der gerade irgendwo einen Hauch Fuchsgeruch aufgefangen hat. »Suchen Sie etwas Bestimmtes, Herr Reuschenbach?«, fragte Sandra unschuldig.

»Irgendwo hier müssen Sie Ihr Gehirn abgestellt haben«, sagte Reuschenbach kühl. »Als Sie gestern die Unterlagen kopiert haben, haben Sie sie falsch herum sortiert. Ist schon eine so einfache Aufgabe zu schwierig für Sie?«

Sandra biss sich auf die Lippen und verkniff sich eine freche Antwort. Und so was ausgerechnet heute, an meinem Geburtstag, dachte sie wütend. Das hätte er mir auch anders sagen können! Kann ich nicht irgendwie seine Kontonummer rauskriegen und ihm eine Million Euro vom Konto abbuchen? Schließlich bin ich hier in der Abteilung Zahlungsverkehr – und Greenpeace ist über jede Spende dankbar …

Als Reuschenbach außer Sicht war, lehnte sich eine bebrillte, grauhaarige Sachbearbeiterin, die einen Schreibtisch schräg neben ihr hatte, zu Sandra hinüber. Sie blickte mitleidig drein. »Nimm es nicht persönlich. Freitags ist er immer schlecht drauf, weil seine Tochter sich gerade wieder auf den Weg zu einem Punkkonzert gemacht hat. Er verbietet es ihr jedes Mal, aber es nützt nichts.«

Soso, dachte Sandra. Vielleicht erinnere ich Reuschenbach an seine Tochter. Reagiert er deshalb so allergisch auf mich? »Und warum ist er montags auch meistens ungenießbar?«, flüsterte sie zurück.

»Ist er nicht immer. Kommt drauf an, ob er ein Schachturnier hatte und ob er gewonnen hat oder nicht …«

In diesem Moment fiel Sandra ein, dass sie vergessen hatte, ihre Blätter aus dem Drucker zu holen. O nein! Was war, wenn einer ihrer Kollegen das Zeug fand? Dann wussten sie, dass Sandra während der Arbeit herumsurfte!

Sandra sprang auf und sprintete quer durchs Büro.

Es war zu spät. Neben dem Gerät stand Markus Reuschenbach und blätterte stirnrunzelnd in den Ausdrucken. Als er sie herankommen hörte, hob er den Kopf. »Das sind Ihre, oder?«

Sandra nickte. Es machte keinen Sinn, zu lügen. Sie hatte zwar niemandem von ihrem Tauchkurs erzählt, aber dass sie bald nach Japan fuhr, wusste Reuschenbach als ihr Ausbildungsbeauftragter natürlich.

»So was geht nicht, Frau Weidner«, sagte Reuschenbach und musterte sie streng. »Sie sollten in Bilanzen abtauchen, nicht in irgendwelche Meeresparks! Ich fürchte, es ist Zeit für ein ernstes Gespräch.«

Ein eisiges Kribbeln ging durch Sandras Körper. Jetzt war sie wirklich in Schwierigkeiten.

»Aber ich bin kein Unmensch«, fuhr Reuschenbach fort, faltete die Ausdrucke und steckte sie ein. Als Beweismittel, dachte Sandra. »Ich würde vorschlagen, dass wir das nach Ihrem Urlaub machen.«

»Ja«, sagte Sandra tonlos.

Mechanisch verbrachte sie den Rest des Tages mit Ablagearbeiten. Vielleicht schmeißen sie mich raus, dachte sie bitter. Immerhin brauche ich die Lehre dann nicht mehr selbst abzubrechen!

Der einzige Trost war, dass heute Tauchen auf dem Programm stand. Danach hatte sie sich mit Thomas verabredet. Und in ein paar Wochen ging es los, dann saßen sie im Flugzeug!

Einen so teuren Urlaub wie die zwei Wochen Japan hatte sie noch nie gemacht. Sandra hatte dafür einen großen Teil ihrer Ersparnisse abgehoben, die sie sich in den letzten Jahren als Aushilfe in einer Zoohandlung zusammengejobbt hatte. Eigentlich hatte sie sich dafür eine neue Stereoanlage kaufen wollen. Muss halt warten, dachte Sandra. Zum Glück hatte ihre Mutter ihr den Tauchkurs zu Weihnachten spendiert, sonst hätte sie das vergessen können. Und heute Morgen hatte neben dem Geburtstagskuchen ein Scheck mit einem fetten Zuschuss für Japan gelegen. Wahrscheinlich will sie so ihr schlechtes Gewissen beruhigen, weil sie wenig Zeit für mich hat, dachte Sandra.

Ein paar Stunden später war Sandra im Schwimmbad. Und hatte es fast geschafft, die Sache mit den Ausdrucken und Reuschenbach zu vergessen.

Unter Wasser fühlte Sandra sich inzwischen sicher und wohl. Sie kam nach dem Reinspringen gar nicht mehr an die Oberfläche, sondern tauchte mit kräftigen Flossenschlägen zu den anderen Schülern hinüber. Auf dem Boden des Beckens war Striptease angesagt. Bernd demonstrierte ihnen, wie man unter Wasser das Tauchgerät ablegt und es wieder anzieht. Im Notfall konnte es wichtig sein, so etwas zu beherrschen. Sandra begann einen Kampf mit den Verschlüssen und Riemen ihres Jackets, um die Übung nachzumachen. Die ganze Zeit über beobachtete Bernd sie gelassen.

Gerade als sie nach viel Zappelei ihr Jacket wieder angelegt hatte, gingen in der Schwimmhalle die Hälfte aller Lichter aus. Wenn in fünf Minuten nicht alle Taucher aus dem Becken verschwunden waren, würde der Bademeister die fluchenden Wassersportler im Dunkeln paddeln lassen.

Als Sandra in Richtung Duschen gehen wollte, hielt Bernd sie auf. »Ich glaube, du bist bald reif für die Prüfung«, sagte er. »Wenn du willst, können wir nächstes Wochenende die Freiwassertauchgänge durchziehen, die dir noch fehlen. Dann kannst du im Urlaub tauchen gehen.«

Sandras Herz machte einen Sprung. Dann war ihre Vorstellung vorhin unter Wasser doch nicht so schlecht gewesen! »Das wäre toll«, sagte sie. »Meine Theoriestunden habe ich alle zusammen.«

Die Theorie war Sandra leichtgefallen. Obwohl es so viel gab, was man beachten musste. Zum Beispiel durfte man nie schnell, sondern immer nur ganz gemächlich auftauchen. Außerdem musste man in geringer Tiefe »Dekostopps« genannte Sicherheitspausen einlegen. Sonst bildeten sich Stickstoffbläschen im Körper und das Blut begann zu perlen wie eine frisch geöffnete Flasche Sprudel. Und das war ganz schön ungesund! Wieder in Straßenkluft, geföhnt und mit etwas besserer Laune machte sich Sandra auf den Weg zu Thomas.

»Hey, herzlichen Glückwunsch!«, sagte er und drückte sie an sich. »Na, wie war’s beim Tauchen?«

»Gut.« Sandra ließ sich auf seinen Futon fallen. »Bisher war der Tag die reinste Achterbahnfahrt.« Sie erzählte ihm von der Katastrophe mit den Ausdrucken, Bernds Ankündigung und dem Urlaubszuschuss ihrer Mutter. »Dafür hat mein Vater wieder nur eine Karte geschrieben. Schöne Grüße aus Indien, aus dem Aschram soundso. Kein Wort davon, ob er irgendwann zu Besuch kommt. Ich habe das Ding in den Schrank gestopft, ganz hinten in die Ecke.«

»Das mit Reuschenbach klingt nicht gut«, meinte Thomas. »Hättest du den Scheiß nicht daheim ausdrucken können? So schadest du deinem Ruf nur noch mehr.«

Sandra verzog das Gesicht. »Danke, das habe ich jetzt gebraucht. Wie wär’s mit weiteren Vorwürfen, um den Tag abzurunden?«

»Ich hätte eine bessere Idee«, grinste Thomas und drückte ihr ein Päckchen in die Hand. Darin fand Sandra eine kleine, kunstvoll gearbeitete silberne Pfeife.

»Aus Asien, wie du dir denken kannst«, sagte Thomas. »Es gibt da eine Legende, dass manche Menschen, die ihren Geist und ihr Herz gereinigt haben und mit der Natur in Frieden sind, damit alle Tiere zu sich rufen können – zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Ich dachte, das gefällt dir bestimmt.«

Behutsam setzte Sandra das Pfeifchen an die Lippen und blies hinein. Der Ton war klar und zart wie ein Tautropfen. »Hast du sie ausprobiert?«

»Allerdings«, sagte Thomas und lachte verlegen. »Aber mein Herz war wohl nicht rein genug. Der Köter von nebenan ist erschienen – aber das war auch alles.«

Im Zeichen des Delfins

Wie kann man nur für ein Land schwärmen, in dem ein Mineralwasser in manchen Restaurants umgerechnet zehn Euro kostet? Seufzend zählte Sandra die Yen-Scheine in ihrer Geldbörse. Es wurden rapide weniger. Tokio war teuer gewesen. Sie hatten den Kaiserpalast angestaunt und waren durch die neonhellen Straßen der Innenstadt gewandert. Doch nach ein paar Tagen hatte Sandra gestreikt. »Ich muss hier raus. Das ist ja ein endloses Meer aus Beton! Jetzt ist ein richtiges Meer dran …«

Da die Züge und Busse auf die Sekunde pünktlich fuhren, hatten sie keine Probleme gehabt, zur Pazifikküste weiterzukommen. Hübsch, wenn auch ziemlich touristisch war es auf der Halbinsel Izu und man konnte im Awashima-Meerespark tauchen.

Sandra klappte ihre Geldbörse zu und schob sie in ihre Hosentasche. Einmal würde sie tauchen gehen! Egal, wie teuer es war. Schließlich hatte sie ihre Kreditkarte dabei.

»So, ich mach mich auf den Weg«, sagte Sandra und gab Thomas einen Kuss. »Ich geh zu Fuß – die Tauchbasis ist nicht weit weg.«

»Geht klar. Ich warte im Café auf dich.« Thomas steckte die Nase in einen Reiseführer. »Am besten suche ich schon mal die Zugverbindung nach Kyoto raus. Viel Spaß!«

Im Nachhinein fragte sich Sandra, ob er sie auch so einfach hätte gehen lassen, wenn er gewusst hätte, was geschehen würde.

Die Gruppe bestand aus zwei japanischen Paaren und dem Tauchlehrer, einem netten Australier im ausgeblichenen Shirt und Flipflops. Mit einem weißen Touristenboot ging es raus aufs Meer, das in der Sonne verlockend schimmerte. Es roch nach Salzwasser, Sprit und Sonnenöl. So gut es auf dem schwankenden Deck ging, baute Sandra die geliehene Ausrüstung zusammen und nahm einen Zug kühle Pressluft aus dem Mundstück, um zu testen, ob der Atemregler funktionierte. Sie spülte ihre Maske aus und zwängte sich in den geliehenen scheußlichen Neoprenanzug. Neben ihr versuchte das jüngere der beiden Paare mit wenig Erfolg, das Gleiche zu tun. Die beiden schnatterten aufgeregt miteinander. Trotz ihrer schicken, brandneuen Ausrüstung in Schwarz und Neongelb schien es mit ihren Fähigkeiten nicht so weit her zu sein. Es gruselte Sandra, als sie zusah, wie ungeschickt sie ihre Flasche anschlossen. Sie ging hinüber, um zu helfen. »Do you speak English?«

Hilflos lächelnd, schüttelte die Frau den Kopf. »Sorry, just a little bit.«

Sandra zeigte ihnen, wie man die Flasche richtig herum anschloss. Dann kam zum Glück der Australier und kümmerte sich um die beiden. »Mit wem magst du tauchen? Gehst du mit uns?«, fragte er Sandra.

Sie schaute zu dem anderen Paar hinüber, das sehr professionell und aufeinander eingespielt wirkte. Die hatten sicher keine Lust auf einen Dritten im Bunde. »Klar, gerne.«

Sandra ging als Erste ins Wasser und wartete wie abgesprochen an der Boje, die den Tauchplatz markierte. Dann folgte das junge Paar, als Letzter kam der Australier. Schnell wurde Sandra klar, dass sie doch lieber die anderen Taucher hätte begleiten sollen. Die beiden Anfänger strampelten im Wasser herum wie Frösche und kamen Sandra ständig in die Quere. Nachdem sie einen Kick mit der Flosse abbekommen hatte, hielt Sandra Abstand.

Das Riff war wie eine geschäftige Stadt in zwölf Meter Tiefe, eine seltsame außerirdische Metropole mit eigenartigen Bewohnern. Die Fische kümmerten sich alle um ihre Angelegenheiten, ohne die Taucher besonders zu beachten. Fasziniert sah Sandra einen Doktorfisch vorbeiflösseln und einen pastellfarbenen Papageifisch hungrig an einer Koralle nagen. Zwei Schmetterlingsfische jagten sich hin und her und flirteten heftig. Ein armlanger Zackenbarsch spreizte die Flossen und wartete geduldig, während Putzerfische ihn von Hautparasiten befreiten.

Als Sandra sich dem Australier zuwandte, um ihn darauf aufmerksam zu machen, sah sie, dass er aufgeregt in eine Richtung deutete. Was meinte er? Hatte er irgendeinen ungewöhnlichen Fisch gesehen? Sandra konnte nichts erkennen …

Eine neongelbe Flosse traf sie am Kopf, sodass ihr das Mundstück herausflog und die Maske ihr vom Kopf gerissen wurde. Scheiße!, schoss es Sandra durch den Kopf. Diese blöden aufgeregten Anfänger!

Das Salzwasser brannte ihr in den Augen, sie blinzelte. Ohne Maske war vor ihren Augen nur Geflimmer, sie sah kaum etwas. Sandra hielt die Luft an und kämpfte mühsam die Panik nieder. Sie wedelte mit den Armen, versuchte, das irgendwo hinter ihr schwebende Mundstück einzufangen. Und wo war die Maske abgeblieben? Wieso half ihr eigentlich keiner? Achtete denn niemand von ihren Tauchpartnern auf sie?

Ein grauer Streifen tauchte in ihrem Blickfeld auf, ein großer stromlinienförmiger Körper, der an ihr vorbeischoss. Ein Hai!, fuhr es Sandra durch den Kopf und eisige Furcht jagte durch ihren Körper. Verzweifelt angelte sie nach dem Schlauch des Atemreglers, fand ihn endlich, nahm einen Zug Pressluft aus dem Mundstück. Prallte auf den Meeresboden, schlug hektisch mit den Flossen, um nach oben zu kommen. Sah noch immer nur ein Durcheinander von Farbflecken. Das Tier umkreiste sie im Abstand von wenigen Metern, steuerte plötzlich direkt auf sie zu. Als es nur eine Armlänge von ihr entfernt war, begriff sie, dass es ein Delfin sein musste. Aus ihrer Angst wurde Staunen.

Das Tier drängte sich unter sie und schubste sie energisch nach oben. Dabei erwartete es keine Mitwirkung von Sandra, es behandelte sie wie ein Stück Treibholz oder eine Wasserleiche. »He!«, blubberte Sandra, aber sie war viel zu verblüfft, um sich ernsthaft zu wehren. Der Delfin hatte Kraft, obwohl er nur etwa zweieinhalb Meter lang war. Seine Haut fühlte sich an wie ein fest aufgepumpter Wasserball aus glattem Plastik.

In fünf Metern Tiefe fiel Sandra siedend heiß ein, dass sie auf diese Art viel zu schnell hochkam. Das konnte böse enden! Doch sosehr Sandra auch zappelte, der Delfin war entschlossen, sie bis an die Oberfläche zu bringen. Wie sollte sie ihm verständlich machen, dass sie keine Hilfe brauchte? Dass seine Hilfe ihr gefährlich wurde?

Was kostet ein Leben?

Hinter den Kulissen des Delfinariums sah es nicht ganz so geleckt sauber aus. Ein paar Bretter, Netze und Betonsäcke lagen herum, daneben standen ineinandergestapelte bunte Plastikeimer. An den fünf kleineren Becken, die durch Schleusen mit dem Hauptbecken verbunden waren, blätterte am Rand die Farbe ab. Es roch nach Fisch und Salzwasser. Thomas seufzte, als er sah und hörte, was die ganze Aufregung hervorgerufen hatte. Es war ein Delfin – und er machte einen höllischen Lärm. Das Vieh war ein wahres Ein-Mann-Orchester: Es hatte den Kopf aus dem Wasser gestreckt und schnalzte, knarrte, pfiff, quietschte.

Sandra lachte begeistert. »Das ist er! Ganz sicher! Siehst du die Kerbe in seiner Rückenflosse?«

»Scheint Hausarrest zu haben, der kleine Caruso«, bemerkte Thomas. Caruso war ein berühmter Sänger gewesen. Vielleicht würde er das später mal googeln, um sein Gedächtnis aufzufrischen. Sandra hockte sich auf den Rand des kleinen Geheges. Der Delfin verstummte mit seinem Konzert, schwamm heran und betrachtete sie aus vorwitzigen dunklen Augen. Sandra versuchte, ihn näher heranzulocken, und streckte die Hand nach ihm aus.

Thomas setzte sich neben Sandra, versuchte aber nicht, es ihr nachzumachen. Dieses Vieh hatte ein Maul voller riesiger Zähne! Mehr als jeder Schäferhund!

Plötzlich warf sich der Delfin herum und verschwand unter Wasser. Was hatte ihn erschreckt? Sandra und Thomas wandten sich um und blickten auf zwei makellos gepflegte schwarze Herrenschuhe und beige Hosenbeine. Thomas legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf in das Gesicht eines zierlichen Verwaltungsangestellten mit ordentlichem Mittelscheitel. Er trug ein Polohemd mit dem Logo des Aquariums und dem Namensschild ARAKAWA. Er hatte zwei Männer in Overall dabei, die nicht gerade fröhlich dreinblickten. Scheiße, dachte Thomas. Jetzt fliegen wir raus. Hochkant. Und zumindest einer von denen sieht wie ein ehemaliger Sumoringer aus …

»Hi«, sagte Sandra in sonniger Laune. »Wieso lassen Sie diesen Delfin eigentlich nicht auftreten? Den finde ich besonders nett.«

Der Japaner war so verblüfft, dass er eine Weile brauchte, bis ihm dazu etwas einfiel. »Hier ist Betreten verboten«, sagte er schließlich in gutem Englisch. »No trespassing! Bitte gehen Sie sofort wieder in den öffentlichen Bereich!«

Gehorsam setzte sich Thomas in Bewegung. Doch Sandra rührte sich nicht. »Entschuldigen Sie, Arakawa-san«, sagte sie und lächelte von einem Ohr zum anderen. »Aber ich kenne diesen Delfin. Kann es sein, dass er Ihnen vor Kurzem ausgerissen ist?«