Dem Normannen verfallen - Meriel Fuller - E-Book

Dem Normannen verfallen E-Book

Meriel Fuller

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Beschreibung

Zornbebend starrt Lady Eadita den großgewachsenen, breitschultrigen Krieger in ihrem Schlafgemach an. Auch wenn Freiherr Varin du Montaigu der Befehlshaber über die normannischen Soldaten ist, die ihr Zuhause besetzt halten: Über sie wird er niemals herrschen! Aber als er sie mit einem Blick aus seinen jadegrünen Augen mustert, ergreift Eadita noch ein anderes, gänzlich unbekanntes Gefühl: Sie spürt heißes Verlangen durch ihren Körper fluten. Doch nie im Leben wird sie sich diesem Barbaren hingeben! Die Normannen haben ihren Vater getötet und ihr den Bruder genommen. Sie darf Varin nicht begehren – er ist ihr Todfeind …

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Seitenzahl: 379

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IMPRESSUM

HISTORICAL erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2005 by Meriel Fuller Originaltitel: „Conquest Bride“ erschienen bei: Mills & Boon, London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL, Band 368

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751500487

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, TIFFANY

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1. KAPITEL

West Country, im Jahre 1068

Grundgütiger! Erschrocken riss Eadita die Augen auf. Von ihrem Platz auf dem Ast einer Eiche aus sah sie, wie sich ein Trupp Krieger auf Pferden näherte. Das Geräusch der Hufe wurde durch den morastigen Fahrweg gedämpft. Mit schweißnassen Händen packte sie die trockene Borke, um sich zu ihrem Bruder umzudrehen. Thurstan lümmelte faul auf dem nächsten Ast.

„Pass auf, Schwester“, warnte er leise. „Sonst fällst du noch herunter!“

„Thurstan, wir müssen hier weg, oder sie werden uns entdecken! Bitte!“ Sie klang beinahe panisch. „Das sind Normannen! Sie werden uns töten! Es sind viel zu wenige, um zu Onkel Gronwig zu gehören. Außerdem sind keine Sachsen dabei.“

„Keine Angst, sie werden nicht zu uns hochschauen.“ Thurstans beherrschte Stimme verriet seinen tiefen Hass auf die Männer, die sich ihnen langsam näherten. Eadita musterte ihren Bruder. Die schwarzen Haare waren vom Wind zerzaust, die glatten Gesichtszüge von der Kälte gerötet. Mein Bruder, dachte sie stolz und voll geschwisterlicher Liebe.

„Wenn wir doch nur mehr Männer hätten! Dann würde ich jeden Einzelnen von ihnen ganz langsam töten, für das, was sie unserem Vater angetan haben. Und unserem Land.“ Thurstan schlug mit der Faust gegen die Baumrinde.

„Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür, Thurstan. Und jetzt sei still.“ Eadita hoffte, dass ihr ruhiger Tonfall ihn besänftigte, damit er sich mit seinem hitzigen Gemüt nicht selbst in Gefahr brachte. Dabei hätte ihr Vater ihr das Fell über die Ohren gezogen, wenn er gewusst hätte, was sie jetzt vorhatte.

Die stapfenden Pferdeschritte wurden lauter, die Kettenhemden der Normannen klirrten und die Ledersättel knarzten. Thurstan hatte ihr beigebracht, ihren Ohren zu vertrauen, da man im Zwielicht des Waldes eine Gefahr oft nicht schnell genug erkennen konnte. Hinter den nackten Stämmen der Eichen und Buchen überschritt die Wintersonne ihren Zenit. Selbst zur Mittagsstunde war es so kalt, dass die eisige Luft sich wie Nadelstiche in ihre Haut fraß. Eadita zitterte. Sie wollte nicht hier sein. Sie wollte zu Hause sein, in der Großen Halle, an ihrem Lieblingsplatz in der Küche neben dem knisternden Feuer, umgeben von Lichtern, Lärmen und Lachen. Stattdessen hockte sie hier, mehr als drei Meilen vom Wohnturm des Rittergutes Thunorslege entfernt auf einem Baum, zusammen mit ihrem Bruder, der als Vogelfreier im Wald lebte. Und wenn sie nicht sehr gut achtgaben, liefen sie Gefahr, von einem Trupp normannischer Krieger angegriffen zu werden.

„Thurstan, wir brauchen einen Plan! Jetzt!“, flüsterte sie drängend.

„Es sind nicht besonders viele, und sie haben offensichtlich Münzen und Juwelen dabei … sieh dir nur diesen großen Karren an!“ Seine Augen blitzten auf, aber er machte doch gewiss nur Witze, oder?

„Hast du den Verstand verloren? Wir sind nur zu zweit, und wir haben keine Ahnung, wie wir …“

„Du und deine Pläne, Schwester. Ich habe dir doch schon immer gesagt, Überraschung ist die beste Angriffsstrategie. Aber vielleicht hast du recht, ich werde nicht …“ Der zunehmende Wind riss seine letzten Worte mit sich. Doch als sie ihn ansah, lächelte er und winkte. Bei allen Heiligen! Er wollte die Normannen angreifen! Als sie sah, wie groß die Männer waren, die gerade auf der anderen Seite der Lichtung unter den Bäumen hervorkamen, schluckte sie nervös. Beim Anblick der riesigen Schlachtrösser blieb ihr fast das Herz stehen. Bunte Bänder flatterten an den Langspeeren, die ovalen Schilde trugen waren auffällig mit Rot, Blau und Gold verziert, die Kettenhemden und Helme schimmerten matt im Sonnenlicht. Ihr Magen rebellierte. Gewiss wollte Thurstan sie nur auf den Arm nehmen. Das waren wenigstens zehn Männer! Doch als sie sich erneut zu ihm umwandte, war ihr Bruder verschwunden. Er musste bereits am Boden sein und sich einen guten Platz für seinen Angriff suchen.

Ihr Bruder hatte mit ihr in den letzten Jahren geübt, sodass sie jetzt wusste, was zu tun war. Sie richtete den Blick auf den Anführer. Ein hochgewachsener Mann, dessen Gesicht vom Helm halb verdeckt wurde. Die kräftigen Arme und Beine waren in abgewetztes Leder gehüllt. Angst stieg in ihr hoch, doch dann wurde sie ganz ruhig. Sie holte tief Luft.

Freiherr Varin de Montaigu hatte Mühe, seinen wachsenden Ärger zu unterdrücken. Nach der Belagerung von Exeter wollte er seinen König nicht verlassen, doch William hatte darauf bestanden. Seine Befehle waren unmissverständlich gewesen: Lord Varin sollte ein wachsames Auge auf ihren neuen Verbündeten unter den Sachsen haben, Earl Gronwig. Dessen Landsitz, das Rittergut Thunorslege, sollte als Basislager für das erschöpfte normannische Heer dienen.

Varin warf einen flüchtigen Blick auf den abgedeckten Ochsenkarren, der hinter ihnen durch den Wald rumpelte. Es hatte ewig gedauert, den korpulenten Earl Gronwig hineinzubekommen. Varin war von Natur aus ruhelos und vom Marschieren an ein rasches Tempo gewohnt, doch mit diesem schwerfälligen, plumpen Karren kamen sie nur langsam voran. Aber König William war überzeugt, dass Gronwig den Normannen nicht so treu ergeben war, wie er behauptete. Neben dem Bischof Leofric war Earl Gronwig einer der höchstrangigen und mächtigsten Sachsen im westlichen England. Sein Wort galt etwas bei den Lords, Earls und Gefolgsmännern in dieser Gegend. Sowohl Leofric als auch Gronwig hatten geholfen, die achtzehntägige Belagerung von Exeter zu beenden. Die ausgehandelte Übereinkunft sah vor, dass der Earl William helfen würde, in diesem Teil von Devonshire Fuß zu fassen. Im Gegenzug hatte William ihm seinen Schutz zugesichert.

William hatte Varin, seinen engen Freund und besten Ritter, gebeten, immer in der Nähe des Earls zu bleiben. Gronwigs Widerwille, das normannische Heer in Thunorslege zu beherbergen, war fast mit Händen zu greifen. Widerstrebend hatte Varin dem Marsch durch das Land zugestimmt. Die Männer waren missmutig und angespannt, denn der Weg führte sie durch dunkle Wälder und tückische Moore, in denen ihre erschöpften Schlachtrösser im Morast zu versinken drohten.

In der Mitte einer Lichtung zog er hart an den Zügeln seines feurigen Rosses. Seine kräftigen Schenkel, die im feinmaschigen Kettenschutz steckten, bohrten sich in die Flanken des Tieres, damit es ruhiger ging. Varin sprach seine beleibte Fracht im Karren auf Französisch an.

„Wo entlang geht es jetzt, Mylord?“ Wie die meisten angelsächsischen Edelleute sprach auch Gronwig seine Sprache.

„Es ist die rechte Abzweigung, Mylord. Es ist jetzt nicht mehr weit.“ Eine weiße Hand zuckte kraftlos hinter dem Vorhang auf. Matsch klebte an den riesigen Wagenrädern aus Holz, eine traurige Erinnerung daran, in welchem Zustand sich die Straßen in diesem Teil des Landes befanden. Warum kann er nicht auf einem Pferd reiten wie wir alle? Varin seufzte lautlos. In dem dichten Unterholz war der Weg kaum zu erkennen. Er lenkte sein Pferd nach rechts, dann hob er einen Arm, um seinen Männern zu bedeuten, ihm zu folgen.

Aaarrrrggh! Ein markerschütternder Schrei zerriss die Luft, dann ein zweiter und ein dritter. Das Gewicht eines Körpers krachte Varin auf den Rücken, jemand schlang ihm seine Beine wie eine Klette um die Schultern, sodass er die Arme nicht mehr bewegen konnte. Eisige Furcht packte ihn, als er durch die Halsöffnung seines Kettenhemdes den kalten Stahl einer Klinge an seiner Kehle spürte. Sacrebleu! Er war von Gesetzlosen jeder Couleur angegriffen worden und hatte die Belagerung an der Seite seines Königs in Exeter überlebt. Er würde nicht durch die Hand dieses niederträchtigen Flegels sterben! Er packte den Arm, der ihm das Messer an die Kehle hielt. Doch der Druck um seine Schultern ließ nicht nach, und das Messer bohrte sich ihm noch ein Stückchen tiefer in die Haut.

„Dein Blut wird fließen, normannisches Schwein“, zischte ihm eine Stimme ins Ohr. „Wir werden uns dein Gold nehmen … und dein Leben, wenn du nicht stillhältst!“ Dieser Gesetzlose sprach also Französisch – eine interessante Laune des Schicksals. Und das Gewicht auf seinem Rücken war nach dem ersten Schreck doch nicht so schwer wie gedacht.

„Ich habe keine Zeit für so etwas, Bauer!“, spie Varin aus. Er richtete sich auf und schüttelte sich. Mit reiner Muskelkraft gelang es ihm, den Angreifer abzuwerfen, ihn dabei zu entwaffnen und vom Pferd herunter in den Matsch zu schleudern. Der Bursche landete hart und heulte vor Schmerz und Enttäuschung auf. Rasch saß Varin ab und zückte das Kurzschwert, um diesem unbedeutenden Leibeigenen den Garaus zu machen. Er hatte wahrlich genug vom Töten und Kämpfen, aber dieser Kerl stand zu seinem Pech zwischen Varin und einer warmen Mahlzeit und einem weichen Bett – Annehmlichkeiten, auf die er seit Monaten verzichtet hatte.

Sein Angreifer war noch ein Junge. Er hatte sich seinen Hut tief ins Gesicht gezogen, und der kurze Mantel lag auf dem Boden unter ihm. Seine Tunika und die Beinlinge waren dunkelgrün – er hatte die Farbe wohl absichtlich gewählt, um gut mit der Umgebung verschmelzen zu können. Der Junge wirkte benommen, sein Blick aus den riesigen veilchenblauen Augen irrte suchend umher. Für die Dauer eines Wimpernschlags starrte Varin wie gebannt in diese Augen, doch dann besann er sich. Er hatte niemals Neigungen in diese Richtung verspürt, und die Frauen, die den Normannen im Tross folgten, waren stets willig, wenn er das Bedürfnis verspürte. Varin hob sein Schwert.

„Halt ein, mon ami.“ Eine Hand legte sich ihm warnend auf den Arm und hielt Varin davon ab, dem Jungen den Todesstoß zu versetzen. Neben ihm stand Geraint de Taillebois, sein Freund und Kampfgefährte. Auf dem Feldzug durch dieses heidnische Land war er Varin stets ein ruhiger und verlässlicher Begleiter gewesen.

„Denk an unsere wichtige angelsächsische Fracht“, fuhr Geraint fort. „Dies hier sind seine Wälder, vielleicht möchte er selbst über das Schicksal dieses Vogelfreien entscheiden.“

„Du hast recht.“ Widerstrebend steckte Varin sein Schwert zurück und drehte sich zum Ochsenkarren um. Wie aufs Stichwort schob der Earl in diesem Moment den Vorhang beiseite, um sich das Spektakel anzusehen. Als Gronwig sich herausbeugte, neigte der Karren sich gefährlich zur Seite.

„Gute Arbeit, Mylord“, sagte er lobend. Ein finsteres Lächeln legte sich über sein rotes Gesicht. „Ich bin froh, dass Ihr ihn nicht getötet habt. Es wird mir ein Vergnügen sein, ihn zu foltern, um ihm Informationen über diese ständigen Angriffe in den Wäldern zu entlocken. Wir müssen die Hintermänner zur Strecke bringen. Nehmt den Jungen gefangen.“

Eadita verfluchte den Boden, über den die Normannen gingen. Wie um alles auf der Welt hatte sie sich nur in diesen Schlamassel gebracht? Wo war Thurstan? Er hatte es geschafft, sich rechtzeitig aus dem Staub zu machen – wenn er überhaupt vom Baum gesprungen war. Hatte sie seine Geste falsch verstanden? Tränen brannten ihr in den Augen, als sie fast kopfüber auf dem Hals eines riesigen Schlachtrosses hing. Eine große Hand lag auf ihrem Rücken und hielt sie fest. Als ob sie entkommen könnte. Die Situation wäre zum Lachen gewesen, wenn sie nicht solche Angst gehabt hätte. Nach dem brutalen Angriff dieses Unmenschen tat ihr der ganze Körper weh. Bei ihrem Sturz war ihr sämtliche Luft aus der Lunge gewichen, und dort, wo der Rohling sie gepackt hatte, hatte sie schmerzhafte Prellungen an den Armen. Wie einen Sack Getreide hatte er sie auf das Pferd geworfen, aber zum Glück hatte ihr Schwindelgefühl nachgelassen. Der zähe Matsch hatte ihre Wollkleider durchweicht, und jetzt juckte ihr der nasse Stoff auf der zarten Haut. Der starke Geruch des Pferdes ging ihr nicht aus der Nase, da ihr Gesicht immer wieder gegen den Hals des Tieres stieß.

Sie hatte die Stimme ihres Onkels aus dem Karren sofort erkannt. Ausgerechnet der Mann, der sie hasste und unter dessen Vormundschaft sie lebte, hatte ihr das Leben gerettet. Dieser Trupp Krieger war kleiner als erwartet und begleitete offenbar ihren Onkel zurück zu seinem Landsitz Thunorslege. Dort lebte auch Eadita mit ihrer Mutter und der Familie des Onkels samt Gefolge. Das Rittergut hatte einst ihrem Vater gehört, und er hatte als sächsischer Lord über das Land geherrscht. Doch in der blutigen Schlacht von Hastings hatte er mutig an der Seite seines Herrn und Königs, Harold, gekämpft und war tödlich verwundet worden.

Jetzt hatten die Normannen Exeter erobert. Und ihr hinterhältiger Onkel war den Eindringlingen dabei behilflich gewesen. Sie hatten die Stadt belagert, doch schließlich hatte sich das Volk ergeben, gedrängt vom mächtigen und überzeugenden Earl Gronwig. Ihr Onkel würde heute Abend beim Mahl zweifellos mit seinen Erfolgen angeben. Wie es aussah, waren er und diese französischen Barbaren jetzt beste Freunde.

Endlich hatten die Pferdehufe das Kopfsteinpflaster unter sich, das den Zugang zu ihrem Zuhause kennzeichnete. Eaditas Herz schlug schneller. Ihr Vater war sehr vorausschauend gewesen und hatte sein Wohnturm und die Mauern aus Stein errichtet. Dieses Baumaterial hielt wesentlich länger als das Holz, aus dem solche Landgüter für gewöhnlich gebaut wurden. Sie hörte das dumpfe Krachen, als das massive Holztor mit den schweren Eisenbeschlägen hinter ihnen geschlossen wurde. Sie war wieder zu Hause, aber nicht so, wie sie es geplant hatte. Niemand durfte erfahren, dass die Herrin des Ritterguts eine Vogelfreie war! Hoffentlich genügten die Schmutzflecken im Gesicht und der große Hut, damit niemand sie erkannte.

„Was sollen wir mit dem Gepäck machen, Mylord?“ Die harsche Stimme des Kriegers dröhnte in ihrem Ohr, als er seinen schweren Körper beim Absteigen über ihren beugte. Das Pferd tänzelte unruhig auf dem glatten Kopfsteinpflaster, und Eadita rutschte langsam nach vorn. Ihr Bauch und ihre Beine glitten über den Widerrist des Pferdes. Unwillkürlich streckte sie die Hände aus, um den Sturz aufzufangen, während der schmutzige Boden immer näher kam. Eine kräftige Hand hielt sie mitten im Fall auf. Ohne viel Federlesens stellte der Normanne sie neben sich auf die Beine. Die Männer um sie herum lachten, doch Eadita wagte nicht, den Kopf zu heben.

„Nicht so schnell, Bauer. Du bist schlüpfrig wie ein Aal. Ich hoffe, Eurer Landsitz ist gut gesichert, Mylord“, sagte der Normanne zu ihrem Onkel.

Gronwigs Tochter, Sybilla, tauchte in der Tür zum Wohnturm auf. Ihr rundliches Gesicht zeigte ein angespanntes, wenig herzliches Lächeln. Sie schlang sich die Arme um den Leib, um die bittere Kälte abzuwehren.

„Vater!“, rief sie und blieb oben an der Treppe stehen. „Wir haben Euch nicht so früh zurückerwartet.“

„Ich grüße dich, Tochter.“ Gronwig hievte sich umständlich aus dem Karren, wobei er sich schwer auf seinen wartenden Diener stützte und angewidert den mit Schlamm und Mist bedeckten Boden betrachtete. „Du da!“ Mit dem Finger deutete er auf einen Knecht, der gerade nach den Zügeln eines Pferdes griff. „Mach hier sauber – was für eine Art ist das, unsere Gäste zu begrüßen?“ Aus blassen, rotgeränderten Augen musterte er seine Tochter kühl, die sich zitternd in ihr Tuch aus Wolle schmiegte. „Wo ist Eadita?“

„Wer weiß das schon, Vater?“ Sybilla schüttelte den Kopf. „Wahrscheinlich mischt sie ihre Tränke oder redet mit ihren Pflanzen. Ich habe ihr gesagt, dass Ihr kommt …“

„Das geht zu weit“, zischte der Earl, als er sich seinen Weg durch den Dreck zu seiner Tochter suchte. „Da gewähre ich diesem Mädchen und seiner Mutter Obdach und Essen, während sie …“ Als ihm einfiel, dass sie Gäste hatten, hielt er inne. „Ich werde sie bestrafen lassen.“

„Die Vorbereitungen für das Festmahl heute Abend sind in vollem Gange“, erklärte Sybilla hastig. Eadita, die mit gesenktem Kopf neben dem Krieger stand, unterdrückte ein Schnauben. Wie immer hatte Sybilla, die weit älter war als Eadita mit ihren einundzwanzig Wintern, überhaupt nichts gemacht. Es war Eadita gewesen, die mit dem Vogt Godric und ihren Dienern dafür gesorgt hatte, dass die Schweine geschlachtet und die Hühner und Gänse gerupft wurden. In diesem Moment garte das Fleisch über den Feuern. Man hatte Wurzelgemüse aus der kalten Erde gezogen, Früchte aus den Vorratskammern geholt und Korn mahlen lassen, um genügend Brote für die Männer backen zu lassen, die zusammen mit dem Earl erwartet wurden. Eadita hatte heimlich die besten Stücke vom Fleisch abgezweigt, um sie für die sächsischen Krieger aufzuheben, die später nachkommen würden. Ihre Vorräte waren nicht gerade üppig, und sie hatte nicht vor, das gute Essen an diese hinterhältigen Normannen zu verschwenden.

„Kommt her und lernt meine Tochter kennen, Mylord.“ Gronwig streckte den Arm aus und winkte Varin zu sich zur Treppe, damit er die albern lächelnde Sybilla begrüßte. „Die Diener werden sich um Eure Männer kümmern und sie in den Gästehütten unterbringen.“ Mit einer Handbewegung wies er auf die Hütten entlang der Mauer. „Meine Nichte, Lady Eadita, wird sich ebenfalls um Eure Männer kümmern, sobald wir sie finden.“ Er lachte hohl. „Ich muss mich für ihr Fehlen entschuldigen. Als Herrin dieses Guts wäre es ihre Pflicht gewesen, Euch zu begrüßen. Es betrübt mich, dass sie hin und wieder ein wenig … zerstreut ist. Leider ist meine Gemahlin, Sybillas Mutter, vor einigen Jahren gestorben.“

„Bitte macht Euch keine Sorgen“, erwiderte Varin höflich. „Aber ich möchte diesen Schurken lieber nicht in der Nähe Eurer Tochter wissen. Ich denke, wir sollten uns zuerst mit ihm befassen.“ Varin schüttelte seinen Gefangenen grob und wurde mit einem empörten Aufschrei belohnt.

„Natürlich, ich vergaß.“ Gronwig seufzte. „Ich werde mich später um ihn kümmern. Lasst ihn von den Wachen nach unten bringen.“ Eadita unterdrückte ein Lächeln. Sie würde den Wachen entwischen, bevor sie den Keller erreicht hatten, ein Erdloch unter dem Wohnturm, von dem nur sie etwas wusste. Ihre Freiheit war nah, und der normannische Häscher ahnte nichts davon. Er hielt sie immer noch an den Schultern fest, und sein harter Kettenhandschuh bohrte sich ihr in die Haut.

„Bitte lasst mich den Gefangenen selbst in den Kerker bringen. Ich werde dafür sorgen, dass er sicher angekettet wird.“ Eadita sank das Herz.

„Wie Ihr wünscht. Ihr wollt Euch wohl nicht noch einmal überraschen lassen, was?“ Der Earl feixte. „Ein Diener wird Euch den Weg zeigen.“

„Los, beweg dich oder du stirbst.“ Der Normanne richtete seinen Befehl direkt an Eaditas gesenkten Kopf. Er reichte dem neben ihm stehenden Ritter seine Handschuhe und hob die Arme, um den schweren Eisenhelm abzunehmen, bevor er die Kapuze seines Kettenhemdes zurückschob.

Ein Raunen ging durch die geschäftige Menge der Ritter, Diener und Bauern auf dem Burghof. Um Eadita herum fingen die Menschen an, ehrfürchtig zu tuscheln. Vorsichtig sah Eadita auf, um einen kurzen Blick auf den Mann zu werfen. Jeder hielt inne und starrte den hübschen Mann an, der jetzt vor ihnen stand. Der Anblick musste schon beeindruckend genug gewesen sein, als er auf dem Rücken seines Pferdes durch das Tor geritten war, gekleidet in seine funkelnde Rüstung. Doch da hatte sein Helm sein Gesicht noch verdeckt. Jetzt stand er da wie ein Gott, der den Tücken des Krieges entkommen war. Er fuhr sich mit den Händen durch die rötlichen Haare, die ihm bis auf die Schultern fielen. Rasch senkte Eadita den Kopf wieder, entsetzt von dem Bild, das sie gesehen hatte. Wie konnte jemand, der so grausam war, mit solch einem Aussehen gesegnet sein? Waren die meisten Normannen nicht hässliche Schweine mit kahl rasierten Schädeln? Sie riskierte noch einen Blick. Sonnengebleichte rotblonde Locken fielen ihm bis über den Kragen, das gebräunte und gerötete Gesicht zeugte davon, dass der Mann ein Leben im Freien gewohnt war. Über den Augen bildeten feine Brauen einen anmutigen Bogen. Die Augen selbst waren hellgrün mit goldenen Flecken und langen Wimpern. Die hohen Wangenknochen betonten den entschlossenen Ausdruck auf seinem Gesicht, die breiten Lippen wölbten sich sinnlich vor, wobei die schmalere Oberlippe die erotische Fülle der Unterlippe hervorhob. Die Nase war schmal und gerade und gab ihm ein arrogantes Aussehen, als er den Kopf anhob, um vernehmlich zu schnuppern.

Eadita juckte es in den Fingern, davonzulaufen. Ihre Haut vibrierte, die Nähe zu diesem Mann war für sie fast unerträglich. Wie er sich in der Aufmerksamkeit der Menge badet! Was für ein aufgeblasener Kerl!

„Ihr solltet Eure Tür heute Nacht besser gut verriegeln, Lord Varin.“ Gronwig lächelte schmierig. „Sonst werden die Jungfrauen Euch noch Eure Unschuld rauben.“ Sybilla richtete sich stolz auf und strich den Wollschal zurück, als wollte sie auf die Verlockungen unter ihrem Gewand hinweisen. Der Krieger grinste, und sein Lächeln zauberte kleine Falten um seine Augen hervor, die seinen Sinn für Humor verrieten. Hastig blickte Eadita zu Boden, und ihr Herz geriet ins Stolpern. Lieber Gott, bitte hilf mir! Sie betete still um Rettung. Ihr Häscher reichte seinen Speer, den Helm und seinen Schild einem jüngeren Mitglied seiner Truppe. Sein mit Juwelen verziertes Kurzschwert behielt er.

„Los jetzt.“ Lord Varin packte sie am Oberarm und schob sie mit einer raschen Bewegung zu dem Diener, der geduldig an der Tür zum Wohnturm wartete. Grundgütiger, was sollte sie bloß tun? Wenn sie sich an die Wachen und Diener wandte, die im Dienste ihres Onkels standen, würde ihre Tarnung auffliegen. Sie konnte ihnen nicht vertrauen. Angst erfüllte sie, als der Krieger sie hinter sich her schleifte und sie sich die Zehen am Kopfsteinpflaster anstieß. Er ging so schnell, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Verflucht sei dieser Teufel in Menschengestalt! Wie sollte sie ihn nur loswerden?

Das Glück war auf ihrer Seite. Ein lauter Ruf lenkte Varin ab, als er gerade die Eichentür in der östlichen Mauer des Wohnturms aufstoßen wollte. Leise fluchend schubste Lord Varin Eadita in die starken Arme seines Gefährten Geraint.

„Geraint, kümmere du dich um ihn … Ich habe andere Dinge zu tun.“ Und weg war er. Dieser Geraint war zwar ebenfalls hochgewachsen, aber schlanker als Lord Varin. Er packte Eadita an ihrer Tunika, um sie weiterzuziehen. Sie entspannte sich ein wenig. Jetzt hatte sie eine Chance zu entwischen. Sie gingen durch den steinernen Gang, der hie und da von Talglichtern und Fackeln erhellt wurde. Sie war im Vorteil, weil sie ihr Zuhause genau kannte. Wenn sie schnell genug war, würde sie entkommen.

Der Mann hielt sie an der rechten Schulter fest, doch ihr linker Arm war frei. Sie näherten sich einem großen Wandteppich, hinter dem sich eine schmale Öffnung verbarg. Eadita griff nach der nächsten brennenden Fackel, wirbelte herum und zielte mit der Flamme auf das Gesicht ihres Feindes. Er lockerte seinen Griff für einen Wimpernschlag, doch das genügte ihr. Sie riss sich los, huschte hinter den Wandteppich und lief die steile Treppe hinauf. Als sie laute Schreie hinter sich hörte, hatte sie den schmalen Gang bereits hinter sich gelassen. Ehe der Verfolger ihr nachsetzen konnte, hatte sie den Korridor erreicht und war in Sicherheit.

Vorerst.

„Schnell, füll den Badezuber!“ Eadita trieb Agatha, ihre Dienstmagd, zur Eile an und rief ihre Befehle, während sie hastig ihre verdreckte Männerkleidung auszog. „Beeil dich, die Normannen sind hinter mir her.“ Sie tauchte ihre Hände in ein Becken mit eiskaltem Wasser, um sich den angetrockneten Dreck aus dem Gesicht zu schrubben. Sie trocknete sich das Gesicht mit einem groben Leinentuch ab, bis die Haut hübsch rosig verfärbt war.

„Aber das Wasser ist kalt, Mylady.“

„Das ist egal. Wir müssen nur so tun, als ob.“ Eadita eilte in die Kammer. „Die schmutzigen Kleider müssen wir ebenfalls waschen. Sie dürfen sie nicht finden!“

Vom Korridor drang Lärm zu ihnen. Türen wurden aufgestoßen, Schritte und laute Rufe kamen immer näher. Eadita löste die fest geflochtenen Zöpfe und ließ sie wie Seile herunterfallen. Mit pochendem Herzen strich sie mit den Fingern durch die langen, kastanienbraunen Haare. Sie schlüpfte in ein Unterkleid aus Leinen, damit es aussah, als wollte sie gerade ein Bad nehmen, und warf einen letzten Blick in ihre Kammer, um sich zu vergewissern, dass nichts herumlag, was ihr Doppelspiel hätte verraten können.

Die Tür wurde aufgerissen und krachte gegen die Mauer. Langsam und hoheitsvoll drehte Eadita sich um. Sie weigerte sich, sich von der eindrucksvollen Gestalt in der Tür einschüchtern zu lassen. Grundgütiger! Warum musste er persönlich vor ihr stehen?

Die Kammer schien angesichts Varin de Montaigus stattlicher Erscheinung zusammenzuschrumpfen. Eadita rührte sich nicht von der Stelle, doch ihr Körper schien sich zu ihm hingezogen zu fühlen, als hätte er einen ganz eigenen Willen. Der Normanne trug immer noch das hell schimmernde Kettenhemd, das seinen Oberkörper wie eine zweite Haut umgab. Es betonte die kräftigen Muskeln seiner Schultern und Beine. In ihrem dünnen Gewand kam Eadita sich plötzlich wie nackt vor. Lord Varin sagte kein Wort. Sein voller Mund wurde zu einer schmalen Linie, und die grünen Augen funkelten gefährlich, als er sie gierig von Kopf bis Fuß taxierte.

Agatha sprach zuerst und brach die Spannung.

„Mylord, ich muss doch sehr bitten! Ihr müsst diese Kammer sofort verlassen! Ihr dürft die Kammer meiner Herrin nicht betreten!“ Die Dienerin ging auf ihn zu und rang unwohl die Hände. „Das ist unschicklich, Mylord. Bitte, geht!“ Der Krieger rührte sich nicht, sein Blick haftete auf Eadita, und Agathas Worte schienen wie Wasser auf Öl von ihm abzuperlen.

„Der Heide versteht dich nicht, Agatha“, erklärte Eadita spöttisch im Dialekt der Angelsachsen. „Sobald er begreift, dass er hier nichts finden wird, wird er wieder gehen.“

„Lady Eadita, wie ich annehme?“, sagte Varin auf Französisch zu ihr. Sein Blick glitt über ihr hauchdünnes Unterkleid. „Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen.“

„Dasselbe kann ich leider nicht behaupten“, erwiderte Eadita in dem verwaschenen englischen Dialekt und versuchte, die Ruhe zu bewahren. Sie hatte gehofft, mit ihrer dürftigen Bekleidung jeden Mann, der diesen Raum betrat, zu beschämen und zum sofortigen Rückzug zu bewegen. Doch dieser Normanne schien für Ritterlichkeit nicht viel übrig zu haben. Eadita ballte die Hände zu Fäusten. Wie konnte er es wagen, noch länger hier zu verweilen und sie mit durchdringendem Blick anzustarren? Was für ein unverschämter Kerl!

Varin kam einen Schritt näher, und Lady Eadita hob die Hände, als wollte sie ihn abwehren. „Ich verstehe Eure Sprache nicht, Mylord. Ihr habt meine Magd gehört. Jetzt geht! Hinfort mit Euch!“ Sie wedelte mit den Händen, um ihn fortzuscheuchen.

Varin lachte laut auf. Unwillkürlich musste er lächeln, als er diese bezaubernd schöne Frau betrachtete. Wie diese junge Dame ihn aus ihrer Kammer vertreiben wollte, als wäre er ein streunender Hund! Ihre Überheblichkeit war verblüffend. Entweder kannte ihr Mut keine Grenzen oder sie war unglaublich dumm. Geringere Männer waren dafür gestorben, dass sie einen normannischen Baron auf diese Weise behandelt hatten, und sie war nur eine junge Frau! In diesen Zeiten zahlte es sich aus, besonnen zu bleiben, doch ihr Benehmen war alles andere als das.

Trotz ihres kühnen Auftretens entging seinem wachen Blick nicht, dass seine Anwesenheit sie nervös machte. Durch den fast durchscheinenden Stoff ihres Unterkleids war das Heben und Senken ihrer Brust gut zu erkennen. Mit jedem Atemzug spannte sich der Stoff über den weichen Kurven ihrer vollen Brüste, und die dunklen Knospen hoben sich deutlich ab. Nach drei Monaten harter Kämpfe und unnötigen Blutvergießens war der Anblick dieser Schönheit einfach nur himmlisch, und Varin spürte, wie er hart wurde. Er hatte noch nicht alles vergessen, was er als Ritter je gelernt hatte, und er wusste, dass der Kodex der Ritterlichkeit es verlangte, dass er die Kammer auf der Stelle verließ. Aber der Tag war lang und anstrengend gewesen – irgendetwas Gutes musste für ihn noch dabei herausspringen. Ihre stolze Haltung reizte ihn, ihr irgendeine Reaktion zu entlocken.

„Ich muss Eure Gemächer durchsuchen, Mylady“, sagte er. „Ein Gesetzloser ist uns entkommen. Vermutlich ist er gefährlich.“ Er lehnte sich locker an den Türrahmen und versuchte, vollkommen gelassen zu wirken, doch Lady Eadita schien seine Anspannung zu spüren.

Sie begann zu zittern. Ein eiskalter Luftzug drang durch die geölten Tierhäute vor den Fensteröffnungen. Der Saum ihres weißen Untergewands reichte ihr bis zu den Zehen, und die Ärmel bedeckten die Ellenbogen, doch durch das dünne Leinen wirkte sie entblößt und verletzlich. Als er sie ganz offen musterte, griff sie hastig nach einem Umhang aus Fuchspelz vom Bett und warf ihn sich über.

„Meinetwegen braucht Ihr Euch nicht zu bedecken, Mylady. Euer Aufzug lässt nur wenige Fragen offen.“ Ihr Versuch, den Anstand zu wahren, kam reichlich spät. Verlegen zog sie den Umhang fest um sich. Sie wandte ihm ihr bleiches Gesicht zu, um ihn zu schelten. Ihre blauen Augen funkelten vor Abneigung.

„Verschwindet aus meiner Kammer!“, zischte sie in seiner Sprache. „Raus hier, oder Ihr wünscht Euch, niemals hier gewesen zu sein. In meiner Kammer ist niemand, und das wisst Ihr genau. Kriecht zurück zu Eurem geliebten Erobererkönig in die Stadt und schert Euch zurück nach Frankreich. Verschwindet … sofort.“ Sie kehrte ihm den Rücken zu und schluchzte recht überzeugend. Ihre Magd legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter.

„Ihr sprecht ausgezeichnet Französisch, dafür, dass Ihr kurz zuvor kein Wort verstanden habt … Meine Hochachtung, Mademoiselle.“ Varin blieb, wo er war. Er spürte, dass diese beiden Frauen etwas vor ihm geheim halten wollten. Was immer es war, Lady Eadita spielte ihre Rolle ganz entzückend. Der Fellumhang betonte ihre zierliche Gestalt, und unwillkürlich dachte er an den Anblick ihres elfenhaften Körpers unter dem hauchdünnen Stoff darunter. Ihm wurde warm.

Überrascht von seiner Reaktion auf diese Frau, zwang er sich, an die eher üppigen Rundungen der gesichtslosen Dirnen zu denken, mit denen er sich gelegentlich vergnügte. Frauen, die ganz anders waren als diese zarte Elfe mit ihren weichen kastanienbraunen Locken. Einzelne Strähnen fielen hinab bis zu ihrem Po. Sie hatte das Gesicht abgewandt, sodass er ihre Augen nicht sehen konnte. Augen, die von einem so tiefen Blau waren wie der Himmel kurz vor der Morgendämmerung. Nur ihr Titel und ihre Verwandtschaft mit dem Earl schützten sie. Kein Ritter von Ehre würde auch nur daran denken, eine Edelfrau in sein Bett zu holen, es sei denn, er war bereit, die Konsequenzen zu tragen. Wenn er sie anrührte, wäre er gezwungen, sie zu heiraten. Der König persönlich würde darauf bestehen, doch Varin hatte nicht die Absicht, sich jemals mit einem Weib zu belasten.

Ein heißes Verlangen erfasste ihn. Er versuchte, das unerwünschte Sehnen zu unterdrücken und hieb mit der Faust gegen den Türpfosten. Er betrat die Kammer, und die beiden Frauen zuckten erschrocken zusammen. Lady Eadita drehte sich um, und sah ihn voller Verachtung an, der Blick verschwommen von vorgetäuschten Tränen. Varin machte einen großen Schritt auf ihren Teppich aus Schaffellen, ohne an seine schlammverschmierten Stiefel zu denken.

„Beleidigt mich nicht mit Eurer weiblichen List, Mylady. Ich kenne die hinterhältigen Tricks der Frauen sehr gut. Aller Frauen.“ Er lachte verächtlich. „Wir sind in friedlicher Absicht nach Thunorslege gekommen. In diesem Land herrscht jetzt Frieden. Wir sind in Begleitung Eures Onkel gekommen und werden dafür von Euch mit Feindseligkeit und Flüchen begrüßt?“ Er verlieh seinen Worten absichtlich einen schroffen Klang. „Ich werde Euch im Auge behalten, Mylady“, fügte er warnend hinzu. „Darf ich jetzt bitte mit Eurer Erlaubnis diese Kammer durchsuchen?“

2. KAPITEL

Eadita nickte knapp und räumte mit verbittertem Blick ihre Niederlage ein … für diesen Moment zumindest. Im Dämmerlicht der Kammer, die nur von ein paar Talglichtern erhellt wurde, wirkte der Mann wie ein Riese. Das flackernde Licht verwandelte die goldenen Haarsträhnen in poliertes Kupfer. Das Metall seines Kettenhemdes reichte von der breiten Brust bis zur Mitte der Schenkel. Die Beinlinge aus Wolle waren kreuzweise vom Knöchel bis zu den Knien mit Lederschnüren befestigt. Die dicken Sohlen seiner Lederstiefel waren wasserdicht. Als Eadita sie genauer betrachtete, musste sie neidisch die Künste der französischen Schuster anerkennen – ihre dünnen Schuhe waren kaum geeignet, um die Kälte des Steinfußbodens fernzuhalten.

„Habt Ihr genug gesehen, Mylady?“ Dem Krieger war ihre Neugier offensichtlich nicht entgangen.

„Dann beeilt Euch“, sagte Eadita schnippisch und setzte sich aufs Bett.

Trotz des schweren Kettenhemdes schritt Lord Varin leichtfüßig durch die Kammer und sah sich um. Auf dem Bett lagen farbenfrohe Decken und warme Felle, die Matratze bestand aus angenehm duftendem Stroh mit einem Leinenüberzug. Die hellen Wandteppiche, die die nackten Steinwände bedeckten, waren fein gearbeitet, wenn auch hie und da ein wenig fadenscheinig.

Als er die Kleidung in ihrer mit Schnitzereien verzierten Truhe aus Ulmenholz durchwühlte, lachte Eadita spöttisch auf.

„Wolltet Ihr etwas sagen, Mylady?“ Lord Varin hob eine Braue und machte ungerührt weiter.

„Ihr werdet den Übeltäter wohl kaum in dieser Truhe finden.“ Sie versuchte gar nicht erst, den scharfen Unterton in ihrer Stimme zu mildern, während sie steif auf dem Bett sitzen blieb.

„Der Junge war klein“, sagte er und schaute zu ihr auf. „Etwa von Eurer Statur. Er könnte sich mit Leichtigkeit hier hineinquetschen.“ Ihr stockte der Atem, und sie hoffte nur, dass er ihr ihre Verlegenheit nicht anmerken würde.

Ein rosiger Schimmer huschte über ihre blassen Wangen. Das war ihm schon aufgefallen, sobald er den Vorraum betreten hatte: Lady Eadita wirkte irgendwie schuldbewusst. Doch vorerst fuhr er mit der Durchsuchung der Kammer fort. Auf Brettern überall an den Wänden fand sich, ordentlich aufgereiht, eine bemerkenswerte Sammlung an Töpfen und Krügen aus Ton. Neugierig, was sie wohl enthalten mochten, griff er nach einem der plumpen Gefäße. Der Korkpropfen ließ sich leicht entfernen, und zum Vorschein kam eine stark duftende, weiße Paste. Der Duft von Rosenblättern an einem heißen Sommertag stieg ihm in die Nase. Es war der Duft seiner Mutter. Am liebsten hätte er den Topf fortgeworfen, ihn auf dem Boden zerschmettert und zugesehen, wie er in Stücke ging. Doch die Erinnerung ließ sich nicht mehr zurückdrängen.

Felice hatte halbe Tage damit verbracht, sich die nach Rosen duftende Paste ins Gesicht zu schmieren. Sie war eine kühle, leidenschaftslose Schönheit gewesen, ängstlich darauf bedacht, ihr gutes Aussehen für ihre zahlreichen wohlhabenden Liebhaber zu bewahren. Als sie heranwuchsen, hatten Varin und seine Brüder ungläubig zugesehen, wie sie seinem Vater immer wieder Lügen und Halbwahrheiten auftischte. Doch der sanfte Sigurd liebte sie trotzdem und bewunderte sie, egal, was sie tat. Was für ein Esel sein Vater doch gewesen war!

Sigurd war es gewesen, der ihn und seine zwei jüngeren Brüder, Drogo und Ansger, aufgezogen hatte. Sigurd mit seiner unendlichen Geduld, wenn er ihnen zeigte, wie man den Bogen spannte, ein Pferd beruhigte oder einen Haushalt beaufsichtigte. Eigentlich wäre das Felices Aufgabe gewesen, doch sie weigerte sich beharrlich, ihrer Pflicht nachzukommen. Als kleine Kinder hatten die Brüder alles getan, um ihr zu gefallen. Verzweifelt hatten sie sich nach einem Lächeln von dieser harten, verbitterten Frau gesehnt und nicht begriffen, warum ihre kindlichen Versuche mit beißenden Schlägen und Verachtung belohnt wurden. Als Ältester hatte Varin gelernt, stets die Ruhe zu bewahren und auf der Hut zu sein. Er achtete auf seine Geschwister, tröstete sie, wenn sie Kummer hatten, und sorgte dafür, dass sie sauber und ordentlich gekleidet waren. Die Kinder schlichen um die keifende, missgünstige Mutter herum – bis zu dem Tag, an dem sie verschwand.

Ihr Weggang hätte eine Erleichterung sein können, doch Sigurd versank in tiefer Verzweiflung, als Felice ihn mit ihrem Liebhaber, einem reichen Händler, verlassen hatte. Varin begriff nicht, warum sein Vater ihr so bedingungslos ergeben gewesen war – einer Frau, die ihn ständig gedemütigt und ihm am Ende das Herz gebrochen hatte.

Entschlossen stopfte er den Korken zurück auf das Tongefäß. Er wollte jede Erinnerung an dieses verschlagene, rachsüchtige Weib auslöschen. Sein Vater war ein Narr gewesen, dass er sie so geliebt hatte. Er, Varin, hatte nicht die Absicht, in die gleiche Falle zu tappen. Die Lösung war einfach: Er hatte geschworen, niemals eine Frau zu lieben, sich niemals so tief zu verstricken, dass eine Trennung nicht mehr möglich war, ohne dass es ihm das Herz zerriss. Besser, er versagte sich die Liebe ganz und gar. Mit bebenden Fingern stellte er den Topf in das Regal zurück.

„Was tut Ihr da?“, hörte er Lady Eadita hinter seinem Rücken sagen.

Sein Blick wanderte langsam über die dicht an dicht stehenden Töpfe und Tiegel, während er versuchte, seine Erinnerungen zu vertreiben. „Ich erfülle nur meine Pflicht, Mylady“, brachte er heraus und griff nach einem anderen Topf.

„Bitte rührt sie nicht an. Die Gefäße sind luftdicht verschlossen.“ Lady Eadita kam zu ihm und legte ihm eine Hand auf den Arm, um ihn zurückzuhalten. Er starrte hinunter auf ihr glänzendes Haar. Im flackernden Kerzenlicht funkelte es wie Sterne. Ihm stockte der Atem. Etwas an dieser Frau kam ihm bekannt vor, aber was? Ihr Haar, ihre Augen, ihr Geruch?

„Ihr seid ziemlich besitzergreifend, Mylady“, sagte er und schüttelte ihre Hand ab.

„Hier ist niemand!“ In seiner unmittelbaren Nähe zügelte sie ihren Zorn, als schüchterte seine Größe sie ein.

„Was macht Ihr mit all dem?“ Er ignorierte ihren Ärger und deutete stattdessen auf die Bunde mit getrockneten Kräutern, die Töpfe mit Pasten und Tinkturen.

„Das geht Euch nichts an, Krieger.“

Ehe sie etwas tun konnte, zog er einen Leinenbeutel mit getrockneten Zweigen auf. Ein strenger Geruch stieg auf, der so ätzend war, dass seine Augen zu tränen begannen.

„Das geschieht Euch recht. Ich habe Euch gesagt, dass Ihr sie nicht anrühren sollt.“ Sie tadelte ihn wie ein Kind, obwohl er sie um Haupteslänge überragte. Sie nahm ihm den Beutel aus der Hand und hängte ihn vorsichtig an einen Haken am Regal. Unvermittelt verspürte er den Wunsch, mit der Fingerspitze die Kontur ihrer Oberlippe nachzuzeichnen.

„Seid Ihr eine Heilerin?“ Er konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. „Einige meiner Männer könnten Eure Hilfe gebrauchen.“

„Ich helfe doch nicht meinen Feinden.“ Sie wollte sich abwenden, doch er packte sie am Oberarm. Jeder zarte Gedanke war wie weggeblasen. Was für eine Furie! Sie mochte aussehen wie ein Engel, aber in diesem zarten Körper schlug das Herz einer Schlange. Wie bei jeder Frau, die er kannte.

„Ich habe Euch bereits gewarnt, Eure Zunge zu hüten, Mademoiselle.“ Sie blickte demonstrativ auf seine Hand, die ihren Arm umklammert hielt. Er ließ sie sofort los, angewidert von seinem groben Benehmen.

„Kommt schon, es gibt hier nichts zu sehen. Das sind nur ein paar Mittelchen, die ich zusammenpantsche.“ Lady Eadita versuchte, heiter zu klingen.

„Hetzt mich nicht, Mademoiselle. Ich werde mir so viel Zeit lassen, wie ich brauche.“ Er tauchte seine Finger in den Badezuber. „Ist es in diesem Land nicht üblich, das Wasser vor dem Bad zu erhitzen?“ Er lachte leise, und die düsteren Erinnerungen an seine Kindheit lösten sich in Luft auf.

Eadita spürte seine Wärme an ihrem ganzen Körper, als sie so dicht nebeneinanderstanden. Eine glühende Hitze erfüllte sie vom Scheitel bis zur Sohle. Unter dem eindringlichen Blick aus seinen jadegrünen Augen wurde ihr unbehaglich zumute.

„Euretwegen ist das Wasser jetzt kalt!“, rief sie anklagend. „Bevor Ihr hier eingedrungen seid, hatte es genau die richtige Temperatur.“ Sein Schweigen beunruhigte sie. „Ich schulde Euch keine Erklärung.“ Ihre Stimme zitterte schuldbewusst, als sein Blick sich in sie zu bohren schien. Sie spürte, wie sie errötete, doch sie weigerte sich, den Blick zu senken. Ahnte er etwas? Erriet er, dass sie diejenige war, die ihm mit einem markerschütternden Kriegsschrei auf den Rücken gesprungen war? Jetzt, da er vor ihr stand, wunderte sie sich über ihren Mut … oder war es einfach nur Torheit gewesen? Sei vorsichtig, warnte eine innere Stimme sie.

„Schikaniert Ihr jede Frau auf diese Weise oder nur mich?“ Eadita stolzierte zurück in ihre Schlafkammer, den Rücken gerade und lockte ihn aus dem Vorraum, ehe er die dreckige Kleidung entdeckte, die ihr Doppelleben verriet. Zwei riesige Hände legten sich auf Eaditas Schultern. Ein heiseres Flüstern nah an ihrem Ohr ließ sie zusammenfahren. „Ich behandele alle Frauen gleich.“ Sie erschauerte und schloss die Augen, als unzählige Sinneseindrücke auf sie eindrangen.

„Da Ihr hier niemanden gefunden habt, solltet Ihr Euch vielleicht besser um Eure Aufgaben kümmern.“ Eadita hatte Mühe, die Fassung zu wahren. „Mein Onkel wird nicht sehr erfreut sein, dass ein Verbrecher noch frei herumläuft.“

„Oh, ich bin zuversichtlich, dass man ihn fangen wird.“ Lord Varin beugte sich erneut zu ihr herunter. Sein männlicher Geruch umhüllte sie, als er ihr ins Ohr raunte: „Ich werde nicht einfach verschwinden, nur weil Ihr die Augen schließt. Mich gibt es wirklich, nicht nur in einem schlechten Traum.“ Lachend ging er auf die Tür zu. „Ich werde Euch jetzt allein lassen, Mademoiselle. Es war mir ein Vergnügen.“ Er grinste sie frech an, dann war er zur Tür hinaus.

Was für ein unausstehlicher Kerl! Mit bebenden Fingern ordnete Eadita die Gefäße in ihrem Vorraum neu. Wie konnte er es wagen, hier hereinzuplatzen und darum zu bitten – nein, zu verlangen – ihre Kammer zu durchsuchen? Sie war so empört, dass sie das zaghafte Klopfen kaum hörte, das die verspätete Ankunft des heißen Wassers ankündigte. Immer noch aufgebracht ließ sie sich von Agatha in den Zuber helfen und streckte ihre eiskalten Glieder im warmen Wasser aus.

„Verlangt das nicht noch einmal von mir, Herrin. Das war knapp!“ Agatha atmete scharf ein, als sie die heftigen Prellungen auf Eaditas Rücken entdeckte. „Um Himmels willen, was ist da draußen passiert?“

„Nichts, was ich nicht auch zuvor schon erlebt hätte.“ Entschlossen reckte Eadita das Kinn. Nie im Leben würde sie zulassen, dass dieser Mann ihr das Gefühl gab, verletzlich zu sein.

„Ihr seid nie zuvor erwischt worden! Ihr müsst den Verstand verloren haben, einen Trupp Normannen anzugreifen!“

Die Magd hatte recht. „Erinnere mich nicht daran, Agatha“, sagte sie stöhnend.

„Ich danke dem Herrn, dass dieser Ritter Euch nicht wiedererkannt hat. Egal, was Ihr von ihm haltet, der Mann ist kein Narr.“ Unvermittelt musste Eadita an die jadegrünen Augen denken.

„Alle Männer sind Narren, Agatha“, meinte sie verächtlich und schüttelte den Kopf, um das Bild zu vertreiben. „Du musst nur ihre Schwachstelle finden. Und sie haben alle eine Schwachstelle. Auch ein Lord Varin de Montaigu.“ Sie spie seinen Namen regelrecht aus.

„Ich wäre mir da nicht so sicher, Mylady. Es heißt, er sei einer der angesehensten Ritter und ein enger Vertrauter des neuen Königs. Wenn er herausfindet, was Ihr vorhabt …“

„Aber das wird er nicht, Agatha“, unterbrach Eadita sie zuversichtlich. Sie stand im Zuber auf. In kleinen Rinnsalen lief ihr das Wasser über den flachen Bauch und die schlanken Schenkel, bis Agatha ihr ein Tuch umhängte. Sobald sie abgetrocknet war, nahm Eadita einen Klacks von ihrer Lieblingscreme mit Lavendel, um sie großzügig auf ihrer noch feuchten Haut zu verteilen.

„Er ist nicht wie die Männer, die Ihr gewohnt seid“, sagte Agatha leise.

Eadita hob wortlos die Arme, als ihre Magd ihr eine blaue Wolltunika über das Unterkleid legte, für das sie die Wolle selbst gesponnen, gefärbt und verarbeitet hatte. Als Nächstes folgte ein heidefarbenes Gewand, dessen Saum und Ausschnitt mit goldenen Fäden verziert war. Die weiten Ärmel, die ebenfalls mit Goldfäden durchzogen waren, reichten bis kurz über die Handgelenke, sodass die enganliegenden Ärmel der blauen Tunika darunter zu sehen waren. Stirnrunzelnd betrachtete sie den ausgefransten Saum. Als ihr Vater noch gelebt hatte, konnten die Damen auf diesem Rittergut noch feine Stoffe aus dem Ausland kaufen, um sich ihre Gewänder zu schneidern. Jetzt hatten sie kaum noch genug Geld für das Garn, um sie zu flicken.

„Agatha, bis auf meinen Vater und meinen Bruder sind alle Männer gleich. Aufgrund ihrer Körperkraft glauben sie, alles beherrschen zu können. Dieser Normanne ist nicht anders. Nein, falsch: Er ist noch schlimmer! Er ist nicht nur ein Mann, sondern auch noch mein Feind!“

„Vergebt mir, Mylady. Aber ich habe nur selten erlebt, dass Ihr Euch vergesst und unhöflich werdet – nur bei ihm. Ihr müsst vorsichtig sein, denn das ist Eure Schwachstelle. Er könnte Euch so weit provozieren, dass Ihr die Wahrheit ausplaudert.“

„Niemals. Ich würde Thurstans Leben nie aufs Spiel setzen.“

„Als Tochter eines sächsischen Edelmanns seid Ihr es von Geburt an gewohnt, dass die Menschen tun, was Ihr verlangt. Aber Eure Macht schwindet, Mylady. Ihr könnt nicht mehr alles und jeden kontrollieren. Vor allem ihn nicht.“ Agatha schwieg, um die Lederschnüre in das Überkleid einzufädeln und es eng an Eaditas Kurven anzupassen. Sie schlang ihrer Herrin einen schweren goldenen, mit Amethysten verzierten Gürtel um die Hüfte.

„Seit dem Tod Eures Vaters und seit Eure Mutter sich in ihre Trauer zurückgezogen hat, habt Ihr dieses Rittergut mit fester, aber gerechter Hand geführt. Ihr habt es gut gemacht, Herrin, vor allem wenn man bedenkt, dass Euer Onkel die Macht über die Geldmittel hat.“ Eadita setzte sich auf einen niedrigen Schemel. Ihr anfänglicher Mut verebbte allmählich. Agatha bürstete ihr die Haare und band die weichen kastanienbraunen Locken zu einem losen Zopf zusammen, der ihr wie ein dickes Tau über den Rücken fiel.

„Aber …?“, hakte Eadita nach, während Agatha den kostbaren goldenen Haarreif mit juwelenbesetzten Nadeln an ihrem Kopf befestigte. Ein hauchdünner seidener Schleier vollendete ihre Garderobe.

„Vielleicht solltet Ihr Eure Aktivitäten mit Thurstan für eine Weile etwas einschränken …“

„Auf keinen Fall. Er braucht meine Hilfe. Ich muss die Augen und Ohren offen halten und so oft wie möglich Nahrung und Kräuter in den Wald bringen. Denk doch nur an all die armen Menschen, die verhungern würden, wenn Thurstan ihnen nicht helfen würde. Und das alles nur wegen der Normannen und ihrer Steuern! Wenn ich jetzt aufhöre, haben diese Barbaren gewonnen!“

Agathas Lippen wurden schmal. „Meint Ihr nicht eher ‚dieser Barbar‘? Schließlich ist er der einzige Normanne, den Ihr bisher kennengelernt habt.“